Wurzeln ohne Erde - Sandra Hohmann - E-Book

Wurzeln ohne Erde E-Book

Sandra Hohmann

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Beschreibung

Kurze Geschichten über das Aufbrechen, Suchen, Verlieren. Die Suche nach anderen Orten oder anderen Menschen, die doch vielleicht immer nur die Suche nach sich selbst ist.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 37

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Diese Geschichten sind zwischen 1999 und 2015 entstanden. Einzelne wurden u. a. in Literaturzeitschriften veröffentlicht, ehe sie 2016 erstmals als Sammelband erschienen sind.

INHALT

A

UFBRUCH

A

US DER

F

ERNE

E

RINNERUNGEN

S

PURLOS

V

ERFLOSSENES

E

IN

W

INTERURLAUB

Z

WISCHENRÄUME

AUFBRUCH

Mein Großvater hatte einen kleinen Fischkutter in der Nähe von Laboe, ein kleines altes Boot, auf das er furchtbar stolz gewesen ist. Wir haben es uns vom Mund abgespart, hatte meine Großmutter immer gesagt, und mir dann erzählt, wie wenig Butter es gab und dass sie das Kartoffelwasser noch für das Gemüse später benutzt hat und Großvater sich anschließend damit die Füße wusch, ehe sie es an die Blumen und an die Gemüsepflanzen in ihrem kleinen Garten gekippt hat. Großvater nahm mich eines Tages mit auf einen Ausflug, jetzt ginge das ja problemlos, hatte er gesagt, früher konnte man nicht einfach so nach drüben. Er fragte mich, ob ich mich an die Geschichte erinnern würde, die er mir einmal erzählt habe, von seiner geheimen Bootsfahrt, und ich nickte eifrig. Gut, sagte er, er wolle mir nun endlich einmal zeigen, wo das ungefähr gewesen sei. Und er blickte mich, so fand ich, ein wenig streng an, als wolle er mein Erinnerungsvermögen prüfen. Aber Großvater hatte mir die Geschichte so oft, viel öfter als nur einmal, erzählt, sodass ich mich in allen Einzelheiten an sie erinnerte.

Die See war ruhig an dem Tag, an dem Großvater seinem Cousin und seiner Frau mitsamt dem Kind im Alter von drei Jahren dabei half, rüberzumachen. Anfang November. Leichter Nebel schien auf dem Wasser zu liegen, friedlich und ein wenig gespenstisch zugleich, so still, als sei man allein in der Weite und so undurchsichtig, als würden tausende Augen von einem feinen Schleier verborgen. Er ist nachts gefahren, natürlich sei er nachts gefahren, sagte er immer wie selbstverständlich, auch wenn ich lange nicht verstand, warum.

Er hatte das Boot langsam gegen die Küste treiben lassen, den Motor frühzeitig ausgestellt und gehofft, dass er bereits nah genug am Land war, dass er sich nur nicht verschätzt hatte. Insgeheim hatte er gebetet, dass er nur den Motor nicht nochmals anwerfen musste, um den Kurs zu korrigieren, denn das Geräusch eines knatternden Dieselmotors in der Stille der Nacht, auf dem weiten Meer ...

Großvater brach ab und schüttelte den Kopf.

Die drei – damit meinte Großvater dann wieder seinen Cousin mit Frau und Kind –, die drei hatten ein primitives Floß, selbst gebaut aus Holzplanken, dazu zwei Planken, mit denen sie paddeln konnten. Das Kind wollten sie auf dem Floß festmachen und so Großvaters Boot entgegenpaddeln.

Das war der Plan, manchmal schnaubte Großvater verächtlich, weil er den Plan später für so primitiv hielt, und ihm selbst blieb auf dem Boot nichts anderes übrig, als einfach nur zu warten.

Und während Großvater wartete, schwirrten tausende Gedanken durch seinen Kopf. Die Angst, dass er irgendwann, weit, viel zu weit von ihm entfernt, nur Schreie hören würde, verzweifelte Hilfeschreie, und er wusste nicht, ob es schlimmer gewesen wäre, sie hätten geschrien, weil das Floß kenterte, ihre Pullover und Hosen sich viel zu schnell mit kaltem Wasser voll gesogen und sie verzweifelt nach ihm gerufen, der sie doch noch vor dem Ertrinken bewahren würde – unmöglich wäre das gewesen, warf Großvater stets ein – oder weil sie erwischt worden wären, im Kegel einer Lampe grimmigen Gesichtern entgegengeschaut hätten, denen vielleicht jemand Bescheid gegeben hatte und die schon die ganze Zeit da gewesen waren, unsichtbar für ihn und für die drei auf dem Floß.

Ein seltsamer Laut durchdrang plötzlich die Stille, es war kaum auszumachen, aus welcher Richtung er gekommen war.

Großvater schaute sich nach allen Seiten um, wusste nicht recht, was er tun sollte. Den Motor starten, so schnell wie möglich wenden und wieder hinaus auf die See fahren? Seinen Cousin mit Frau und Kind zurücklassen, wo immer sie in diesem Moment auch sein mochten? Er suchte hektisch nach der Lampe, die er bislang nicht benutzt hatte. Ein einzelnes Licht auf offener See, eine wahre Einladung an alle tausend Augen, hinzuschauen. Hier und dort war der Nebel etwas lichter. Großvater strengte sich an, kniff die Augen eng zusammen, konnte es aber nicht genau erkennen. Küste war dort hinten zu sehen, das war klar, die kleinen, feinen weißen Kämme, die sich an Land schoben.