Wut und Liebe - Martin Suter - E-Book

Wut und Liebe E-Book

Martin Suter

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Beschreibung

Live-Tournee mit Martin Suter. Termine und Tickets unter https://suter.reservix.de/ Noah ist ein Künstler Anfang dreißig. Das Gehalt seiner Freundin Camilla reicht knapp für sie beide. Camilla jedoch hat sich mehr vom Leben erhofft, weshalb sie sich von Noah trennt. Es ist eine Kopfentscheidung, doch wann, wenn nicht jetzt, soll sie ihre Zukunft in die Hand nehmen? Um seine verlorene Liebe zurückzugewinnen, ist Noah zu allem bereit. Als eine ältere Dame ihm die Chance bietet, zu einem Vermögen zu kommen, lässt er sich auf den zweifelhaften Deal mit ihr ein.

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Seitenzahl: 254

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Martin Suter

Wut und Liebe

Roman

Diogenes

Für Margrith, Toni und Ana

Erster Teil

1

»Das glaube ich nicht.«

Noah lag auf dem Rücken, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Das dünne Leintuch, mit dem sie sich um diese Jahreszeit begnügten, lag zerknüllt am Fußende, und sie waren beide nackt. Camilla lag aufgestützt auf der Seite, so dicht bei ihm, dass er ihre feste Brust unterhalb seiner linken Achselhöhle spüren würde, wenn sie sich bewegte.

Aber sie bewegte sich nicht. Sie betrachtete ihn von ganz nahe und wartete auf einen nächsten Satz. Ihr Atem hatte eine kleine Alkoholnote.

Noah starrte nur an die Decke und konzentrierte sich darauf, nicht zu blinzeln. Er hatte vor noch nicht allzu langer Zeit herausgefunden, dass er dann an nichts anderes denken konnte als daran, nicht zu blinzeln.

»Und?«, fragte Camilla.

»Das glaube ich nicht«, wiederholte Noah. Aber es war nicht die Wahrheit. Sie hatte lediglich etwas ausgesprochen, das er schon lange befürchtet hatte. Sie waren seit bald drei Jahren ein Paar. Ein plötzliches, wie Camilla es immer genannt hatte. Plötzlich, weil sie mit ihren festen Beziehungen im Club Retro waren, sich auf der Tanzfläche zum ersten Mal im Leben begegneten und nach einer halben Stunde zusammen den Club verließen und ab dann zusammenblieben.

»Schau mich an«, befahl sie. Er drehte ihr den Kopf zu und sah in die großen Augen, deren Nussbraun mit etwas Gold gesprenkelt war. »Siehst du das?«

»Was?«

»Danke, sehr charmant.«

Sie deutete mit dem roten Nagel des Zeigefingers auf den Augenwinkel. »Vor drei Monaten hatte ich die noch nicht, oder?«

»Du hast sie auch jetzt nicht.«

»Ich meine es ernst: Ich verlasse dich.«

»Warum?«

»Weil ich nicht mehr kann.«

»Mich lieben?«

»Quatsch, das kann ich noch lange. Aber das reicht nicht, verstehst du? Nicht für ein ganzes Leben. Jedenfalls mir nicht.«

Camilla stand auf, ging aus dem Zimmer und kam mit einer brennenden Zigarette zurück.

»Du rauchst wieder?«

»Genau. Auch so was, das nicht nötig wäre, rauchen! Weißt du, was das ist? Resignieren. Ich bin einunddreißig und resigniere. Ich bin einunddreißig, arbeite als Buchhalterin und – verzeih – füttere einen Künstler durch.«

Camilla schien selbst erschrocken über ihre Wortwahl. Sie stand vor dem Bett, hatte den Unterarm angewinkelt auf Taillenhöhe über den Bauch gelegt und den Ellbogen des Armes mit der Zigarette darauf abgestützt. »Ja, schau nur. Ich weiß, dass ich schön bin. Mich nerven die Schönen, die so tun, als wüssten sie es nicht. Ich weiß es schon lange. Und es geht mir wie allen Schönen: Sie finden es ungerecht, schön zu sein und kein schönes Leben zu haben.«

Noah sah, dass ihr die Tränen kamen. Er stieg aus dem Bett und umarmte sie. Eine Weile stand er mit der schluchzenden Camilla eng umschlungen im kleinen Schlafzimmer und flüsterte ihr ins Ohr »Nicht weinen« und »alles wird gut«. Eine Erektion begann sich zu regen.

Camilla stieß ihn weg. »Auch das reicht nicht.«

Sie ging ins Bad, Noah schlüpf‌te in die Boxershorts und ein farbbeflecktes T-Shirt, holte ein Bier aus dem Kühlschrank und wartete in der Diele.

Die Altbauwohnung war ein Glücksfall gewesen. Camilla hatte sie von einer Freundin übernehmen können, die zu ihrem Freund gezogen war. Zwei Zimmer in der dritten Etage, eine große altmodische Küche, eine Badewanne mit Löwenfüßen in einem dafür etwas zu kleinen Bad, hohe Räume mit etwas Stuckatur an den Decken, knarrendes Parkett und verschnörkelte Heizkörper.

An den Wänden zwischen den Türen, die von der Diele in die Räume und ins Treppenhaus führten, hingen Bilder von ihm. Immer das gleiche Motiv, der Hinterhof mit der Linde, in verschiedenen Stilen: naturalistisch, impressionistisch, kubistisch, poppig und abstrakt. Ein Experiment, das ihm auf der Suche nach einem künstlerischen Konzept, wie er fand, recht gut gelungen war.

Camilla hatte sich wieder gefasst, als sie herauskam. Die Schäden behoben, die die Tränen um die Augen angerichtet hatten, und die Lidstriche nachgezogen.

»Lass uns reden«, sagte sie und ging voraus in die Küche. Sie holte das letzte Bier aus dem lauten Kühlschrank, den sie schon lange ersetzen wollten, und sie setzten sich an den Küchentisch.

»Verzeih, bitte«, begann Camilla, »ich war ganz ehrlich mit mir in den letzten Tagen. Mit dem Resultat, dass ich es jetzt mit dir auch sein muss. Ich habe viel über mein Leben nachgedacht und bin zum Schluss gekommen, dass es nicht so ist, wie ich es mir vorgestellt habe. Zu diesem Schluss bin ich zwar schon oft gekommen. Aber nie habe ich mir die Frage gestellt, wie ich es mir sonst vorgestellt habe. Jedenfalls habe ich mir bisher nie die Antwort darauf gegeben. Aber jetzt weiß ich sie.« Sie nahm einen Schluck aus der Flasche. »Willst du sie wissen?«

»Klar.«

Camilla zögerte nur kurz. »Ich will ein Leben ohne finanzielle Sorgen. Kein Luxusleben – wobei, da hätte ich auch nichts dagegen –, aber ein Leben, in dem ich nicht immer überlege, worauf ich verzichten muss, um mir das oder das zu leisten. Ein Leben, das ich mir nicht verdienen muss mit einer Arbeit, die ich hasse –«

Sie hielt inne, aber Noah sah, dass sie noch nicht fertig war. »Sag es.«

Sie holte Atem. »Aber nimm es nicht persönlich: mit einer Arbeit, die ich hasse, um jemandem zu ermöglichen, einer Arbeit nachzugehen, die er liebt.«

Noah nickte mit schwerem Kopf. »Warten wir die Vernissage ab. Wenn die auch wieder ein Flop ist, suche ich mir einen Job.«

»Damit beide eine Arbeit haben, die sie hassen. Und trotzdem kein Leben ohne Geldsorgen.«

»Ohne Geldsorgen wird dein Leben auch ohne mich nicht.«

»Doch.«

»Wie?«

»Ich suche mir einen mit Geld. Solange ich noch schön bin.«

Camilla begann wieder zu weinen. Noah streckte die Hand über den Küchentisch und wollte ihre ergreifen.

Sie entzog sie ihm. »Ich weiß, ich klinge wie eine Bitch. Und weißt du, warum?«

Er schwieg.

»Weil ich eine bin.«

2

Die Blaue Tulpe lag auf dem Weg von der Herzpraxis Giovanoli zur Tramstation. Als Betty Hasler sie betrat, wurde ihr klar, dass mit Tulpe nicht die Blume gemeint war, sondern der Bierkelch.

Sie setzte sich an einen der vielen kleinen Tische, die vor der langen gepolsterten Bank entlang der beiden Längsseiten des Raumes aufgereiht waren und von denen die meisten leer waren. Roger Waters sang Another Brick in the Wall. Ausgerechnet! Ausgerechnet die Begleitmusik zum ersten Kuss mit Patrick, den sie von da an Pat genannt hatte.

Neunzehnhundertachtzig war das gewesen, sie war gerade zwanzig geworden. Pat war nicht ihr Erster gewesen, aber ihr Letzter geworden.

Ein Kellner, ganz in Schwarz mit einer knielangen dunkelroten Schürze, fragte sie nach ihrem Wunsch. Betty Hasler bestellte einen Mojito, den Drink von damals.

Sie war keine Trinkerin. Wenn sie etwas Alkoholisches zu sich nahm, tat sie es, um sich zu polstern. Das war das Bild, auf das sie einmal gestoßen war: etwas sehr Zerbrechliches, das in einem Luftpolsterumschlag vor der harten Wirklichkeit geschützt wird. Seit dem Arztbesuch, von dem sie gerade kam, war diese noch ein Stück härter geworden. Und sie noch etwas zerbrechlicher.

Der Kellner brachte zwei Mojitos auf einem Tablett. Zwei große Gläser mit viel Eis und frischer Minze, aus denen ein Trinkhalm wuchs.

»Warum zwei?«, fragte sie.

»Der andere ist für den Herrn dort.«

Er deutete mit dem Kinn zwei Tische weiter zu einem jungen Mann, der vor einem ausgetrunkenen Cocktailglas saß und neugierig herübersah.

Der Kellner stellte ihren Drink vor sie hin und brachte seinen an den anderen Tisch. Der junge Mann prostete ihr zu, Betty erwiderte die Geste.

Die Anlage spielte Rivers of Babylon, auch das Musik aus der Anfangszeit mit Pat. Ein guter Köder, um ihre Gedanken von der Gegenwart in die Vergangenheit zu locken.

Pat hatte einen alten VW-Bus besessen, den er zu einem Camper umgebaut hatte. Damit fuhren sie in ihren ersten Sommerferien nach Griechenland. Sie verbrachten die meiste Zeit an Stränden, meistens nackt und mit einem Ouzoschwips.

Pat studierte Maschineningenieur und verdiente sich sein Studium als Taxichauffeur. Er war drei Jahre älter, groß, sportlich und kurz geschoren, was damals als etwas daneben galt. Und er war in jeder Beziehung wunderbar.

Betty Hasler bestellte noch einen Mojito, und als der Kellner ihn brachte, befand sich wieder ein zweiter auf dem Tablett. Wieder für den jungen Mann, und wieder prostete er ihr zu.

Es war noch hell draußen, aber schummrig in der Blauen Tulpe. Ein beinahe blickdichter Vorhang hinderte das Tageslicht daran, durch die großen Fenster zu fallen, damit innen früh genug die richtige Stimmung für einen Feierabenddrink aufkam.

Bald waren die Tische besetzt, die Hits der Achtziger und Neunziger vermischten sich mit dem Aperitifgemurmel nach Arbeitsschluss. Das Publikum in der Bar teilte sich nun in zwei Kategorien: die Geselligen und die Einsamen.

Die Geselligen kamen in Cliquen, die offensichtlich jeden Abend um diese Zeit hier den Tag ausklingen ließen. In der Überzahl Männer, die die Rückkehr ins Familienleben noch etwas hinauszögern mussten, um die Frustrationen des Tages loszuwerden. Die Einsamen waren über ihre Smartphones gebeugt und tranken systematischer als die Geselligen, aber nicht weniger.

Betty und der junge Mann schienen die Einzigen zu sein, die einfach nur dasaßen und ihren Gedanken nachhingen.

Bei Betty wurden die schönen immer mehr von den anderen verdrängt, den traurigen, den beängstigenden und den hasserfüllten. Die traurigen waren noch die besten. Und sie gewannen jetzt noch einmal Oberhand mit der Hilfe von Barbra Streisands Woman in Love.

Das war sie damals mit Leib und Seele gewesen, eine woman in love. Und sie war es ihr ganzes Leben mit Pat geblieben. Nicht immer mit Leib, aber immer mit Seele. Sie waren vom Liebespaar zum Team geworden, wie viele Paare, wenn sie Glück hatten. Sie hatte ihm den Rücken gestärkt, etwas, das er immer mehr brauchte. Denn er war – das stellte sich immer deutlicher heraus – nicht so stark, wie er aussah. Er war lieb. Lieb und nachgiebig. Von den Instinkten, die er in ihr weckte, war der Mutterinstinkt immer wichtiger geworden.

Der junge Mann zwei Tische weiter bestellte. Der Kellner nickte und sah dann fragend zu ihr herüber. Was soll’s, dachte sie und nickte. Als der Kellner mit den zwei Drinks kam, ließ sie ihn beide auf den Tisch stellen und bat ihn, den anderen Mojitotrinker zu ihr zu bitten.

Der Kellner sah sie überrascht an, als hätte er ihr nicht so viel Extrovertiertheit zugetraut, und ging zum anderen Tisch.

Doch, doch, sie war immer extrovertiert gewesen. Mehr, als sie es zeigen konnte mit Pat, dessen Zurückhaltung oft an Schüchternheit grenzte. Der sich jetzt zum Beispiel für sie und sich geschämt hätte.

Sie sah, wie erstaunt der junge Mann reagierte, lächelnd aufstand und an ihren Tisch kam.

»Setzen Sie sich doch einen Moment«, forderte Betty ihn auf. Er gehorchte, sie gaben sich die Hand.

»Noah Bach.«

»Betty Hasler. Ich finde, man sollte nicht allein trinken. Schon gar nicht das gleiche Getränk.«

»Da könnten Sie recht haben«, antwortete er und überließ ihr die Führung der Konversation. Schließlich hatte sie ihn an ihren Tisch gebeten.

Für Betty war das noch nie ein Problem gewesen. Sie besaß das Talent, Leute, die sie noch nie zuvor gesehen hatte, Dinge sagen zu lassen, die sie gar nicht sagen wollten. Ihr Trick war, sie mit Direktheit zu überraschen. Das funktionierte fast immer.

»Warum müssen Sie sich betrinken, Noah?«, fragte sie.

Als er nicht sofort antwortete, hakte sie nach: »Ich verrate Ihnen dann auch, warum ich das tue.«

Sie hob das Glas, und sie stießen an. »Liebeskummer«, sagte er. »Und Sie?«

»Liebeskummer.«

»Der gleiche Drink, der gleiche Kummer.«

»Es gibt viele Arten von Liebeskummer. In Ihrem Alter ist es der klassische: Sie liebt Sie nicht mehr.«

»Nein. Sie liebt mich noch. Aber sie liebt unser Leben nicht mehr. Besser gesagt: Sie hält es nicht mehr aus.«

Betty sah ihn abwartend an.

»Sie glaubt, ich werde ihr nie ein Leben bieten können, wie sie es sich erhofft hat.«

»Und damit hat sie recht?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich wollte nie eine solche Beziehung.«

»Wovon leben Sie denn?«

Noah wurde etwas verlegen.

»Verstehe«, sagte Betty.

Er wehrte sich: »Aber nur zur Überbrückung. Danach löse ich sie ab.«

Betty lächelte nur.

»Und nun Sie. Ihr Liebeskummer.«

»Mein Mann ist gestorben.«

»Oh. Das tut mir leid. Kürzlich?«

»Ja. Vor etwas über drei Jahren. Wenn Sie denken, das sei nicht kürzlich, irren Sie sich. Es wird immer kürzlich bleiben.«

»Verstehe.«

»Nein. Das können Sie nicht verstehen. Noch lange nicht, wünsche ich Ihnen. Nehmen wir noch einen?«

»Besser nicht«, antwortete Noah.

»Ich bezahle.«

»Dann gerne, danke.«

»Bleiben wir beim Mojito? Oder haben Sie Lust auf etwas Abwechslung?«

»Zum Beispiel?«

»Cuba Libre.«

»Passt.«

Während sie auf die Drinks warteten, ruhten sie ihre Stimmen aus.

In der Blauen Tulpe war der Lärmpegel so gestiegen, dass sie ihr Gespräch lauter hatten führen müssen, als es für dessen Inhalt angemessen war. An einigen Tischen saßen die Gäste nun eng gedrängt auf der Bank, und gegenüber hatten sie freie Stühle von anderen Tischen dazugestellt.

Der Kellner brachte die mit Limettenschnitzen dekorierten Cuba Libres. Sie stießen an.

»Ich war nie in Kuba«, sagte Betty, mehr zu sich als zu Noah.

»Ich auch nicht«, antwortete er.

»Aber Sie können es noch, Sie sind jung.«

»Dreiunddreißig.«

»Über dreißig Jahre jünger.«

»Fünfundsechzig ist heute kein Alter mehr.«

»Wenn man gesund ist.«

»Sind Sie das nicht?«

Anstatt zu antworten, nahm Betty einen Schluck.

Noah sah ihr zu und dachte, vielleicht sollte er sie fragen, ob er sie porträtieren dürfe. Das lange, schmale Gesicht, die stolze Haltung, die großen, umwölkten Augen von, in diesem Licht, unbestimmbarer Farbe – sie sah aus wie schon gemalt. Nur die Melancholie, die sie umgab, wäre schwierig einzufangen.

Er stellte eine Frage, die er ohne die Drinks nicht zu stellen gewagt hätte: »Wie ist Ihr Mann gestorben?«

»Er wurde umgebracht.«

Die Antwort kam so schnell und hasserfüllt, dass es Noah schauderte. »Ermordet?«

»Ja. Qualvoll, langsam, grausam.«

»Von wem, um Himmels willen?«

»Von Peter W. Zaugg.«

Noah wartete auf eine Erläuterung, aber Betty ergriff wieder ihren Longdrink und führte ihn an die Lippen. Sie trank zwei, drei Schlucke, wie eine Medizin, die sie runterbringen musste.

Der Name sagte Noah etwas, Peter W. Zaugg. Das war ein Sammler. Kein großer, aber wenn der ihn sammeln würde, dann müsste Camilla nicht mehr Buchhalterin sein.

»Wissen Sie, wer das ist?«

»Ein Kunstsammler, nicht wahr?«

»Ha! Der und Kunstsammler! Der kauft manchmal ein Bild, um damit anzugeben. Aber von Kunst hat er keine Ahnung. Wie von allem anderen auch nicht.«

»Ich dachte, er sei ein erfolgreicher Unternehmensberater?«

»Zaugg & Partner ist eine erfolgreiche Unternehmensberatung, nicht er. Und nicht dank ihm. Dreimal dürfen Sie raten, dank wem.«

»Ihrem Mann?«

»Genau.«

»Und der hat ihn tatsächlich umgebracht?«, fragte Noah, dem nun klar wurde, dass er das vielleicht nicht wörtlich nehmen sollte. »Warum?«

»Weil er ihn nicht mehr brauchte.«

»Und wie hat er ihn umgebracht?«

»So, wie man dies tut in seinen Kreisen. Indem er ihn ausbeutete, betrog, schikanierte, lächerlich machte und seine Bescheidenheit schamlos ausnützte.«

»Also nicht tätlich.«

»Nein, dazu wäre er viel zu feige. Er hat die schlimmere Methode gewählt. Die fiese.«

Sie hatten nicht bemerkt, dass sich der Kellner genähert hatte. »Möchten Sie eine Kleinigkeit essen?«, fragte er.

In der Blauen Tulpe war es etwas ruhiger geworden. Die Feierabendgäste waren gegangen, an den Tischen hatte man zu essen begonnen.

Der Kellner hielt ihnen die Speisekarte hin.

Betty bemerkte Noahs Zögern. »Ich nehme eine Kleinigkeit. Sie sind mein Gast.«

»Danke. In meinem Beruf pflegen die meisten solche Angebote anzunehmen.« Er ergriff die Karte, warf einen kurzen Blick darauf und legte sie weg.

»Sind Sie öfter hier?«, erkundigte sich Betty.

»Ich wohne hier in der Nähe.« Und bitter fügte er hinzu: »Wohnte.«

Betty ging nicht darauf ein. »Können Sie etwas empfehlen?«

»Die Hamburger sind okay.«

»Und der gemischte Salat?«

»Wahrscheinlich auch.«

Der Kellner nahm die Bestellung auf. Sobald er außer Hörweite war, fragte Noah: »Und der Boss Ihres Mannes?«

»Gesund, munter.«

Sie nahm einen wütenden Schluck.

3

Die Blaue Tulpe hatte sich bis auf ein paar Tische geleert. Es war kein Speiselokal, das Essen diente mehr als Vorwand für Cocktails, Tischweine, Digestif und Schlummertrunk.

Die Stimmen waren leiser geworden, und die etwas aufgedrehte Musik bildete die richtige Geräuschkulisse für die vertraulichen Abendgespräche.

Der Kellner räumte ihre nur halb leer gegessenen Teller weg und brachte die Flasche Champagner, die Betty unbedingt hatte bestellen wollen. »Das erfrischt nach einem schlechten Essen und hat weniger Alkohol«, hatte sie gesagt.

Sie schauten dem Kellner zu, wie er ihre Flasche entkorkte. Man sah, dass er keine Übung darin hatte.

Betty kostete. »Warm«, sagte sie.

»Soll ich ihn noch etwas kühlen?«, fragte der Kellner.

»Dauert zu lange, bringen Sie Eiswürfel.«

Sie sah ihm kopfschüttelnd nach. »Pat hielt Eis im Champagner für eine Sünde!« Sie lächelte nachsichtig. »Pat.«

Der Kellner brachte die Eiswürfel und wollte einen davon in Bettys Glas plumpsen lassen.

Sie nahm ihm die Zange aus der Hand und tauchte das Eis langsam ein. Der Champagner schäumte auf, und erst als sich die Bläschen beruhigt hatten, ließ sie den Würfel frei.

»So macht man das. Sonst schäumt er über.«

Der Kellner zog sich beleidigt zurück.

»Seit wann war Ihr Mann bei Zaugg & Partner?«

»Von Anfang an. Als es noch Hasler & Zaugg hieß, nach den beiden Gründern, in alphabetischer Reihenfolge.« Sie machte eine Pause. »Und nach Bedeutung!«

Betty tauchte den Eiswürfel für Noah in dessen Glas.

»Und wie kam es zur Namensänderung?«

»Es kam ein Juniorpartner hinzu, und sofort hatte Zaugg die Idee mit Zaugg & Partner. ›Wegen der Namenslänge.‹«

Noah sah sie an.

»Ich weiß, was Sie fragen wollen. Die Antwort ist: Weil Pat sich nicht durchsetzen konnte. Er war zu nachgiebig. Und Zaugg ist das Gegenteil.«

Sie leerte das Glas und wollte sich nachschenken. Noah nahm ihr die Flasche ab und tat es.

»Nicht lange nach der Namensänderung überzeugte Zaugg meinen Mann, dass, weil die Firma seinen Namen trug, er eine kleine Stimmenmehrheit haben sollte. Auch da gab Pat nach. Und von da an hatte nur noch Zaugg das Sagen. Pat schmiss den Laden, Zaugg spielte den Boss und sahnte ab. Dieses Schwein.«

Sie trank einen Schluck.

»Und wie lange machte Ihr Mann da mit?«

»Achtunddreißig Jahre«, zischte Betty. »Bis zu seinem dritten Herzinfarkt. Mit fünfundsechzig. Ruhestätte statt Ruhestand.«

»Seinem dritten?«

»Die ersten beiden überlebte er. Und ging natürlich jedes Mal viel zu früh wieder arbeiten.«

»Warum das, um Himmels willen?«

Mit ihrer Antwort übertönte Betty die Musik, ein Liebespaar drei Tische weiter drehte die Köpfe.

»Weil Zaugg ohne ihn aufgeschmissen war! Vollkommen!«

Wieder stellte Noah eine Frage, die er nüchtern nicht gewagt hätte: »Warum wollte er ihn dann umbringen, wenn er ihn so nötig hatte?«

»Er wollte ihn nur fertigmachen, weil Pat ihm intellektuell überlegen war. Umbringen wollte er ihn erst, als er den Laden verkaufen wollte. Denn dazu musste Pat noch immer sein Einverständnis geben. Solange er lebte.«

Noah nickte. »Verstehe.«

»Zaugg versuchte Pat zum Ausstieg zu überreden. Aber das war für Pat das einzige Thema, bei dem er nicht nachgab, nie nachgeben würde. Die Firma war sein Leben. Also sorgte Zaugg dafür, dass Pat noch mehr mit Arbeit überhäuft wurde als bisher. Er schuftete Tag und Nacht, an den Wochenenden und Feiertagen. Ich sah ihn sowieso selten, aber jetzt fast gar nicht mehr. Und wenn, dann schlief er oder brütete stumm vor sich hin.«

Betty leerte ihr Glas. Der Kellner eilte herbei und schenkte beiden nach.

»Sogar gestorben ist er außer Haus.«

Sie nahm ein Taschentuch aus der Handtasche und tupf‌te die Tränen ab, die ihr plötzlich über die Wangen liefen.

Noah legte tröstend seine Hand über ihre. Jetzt schluchzte sie.

Sie brauchte eine Weile, bis sie wieder einen Satz herausbrachte. Er lautete: »Ich bin besoffen.«

»Macht nichts. Ich auch.«

Sie antwortete mit einer Mischung aus Kichern und Schluchzen.

Mehr um das Thema zu wechseln, als weil es ihn interessierte, fragte Noah: »Und Zaugg?«

»Ist nur noch Namensgeber und Grüßaugust. Zaugg & Partner gehört jetzt Germito International, einer Unternehmensberatungsgruppe. Und Zaugg & Partner wird von deren Leuten gemanagt.«

Wieder begann Betty Hasler zu weinen.

Als sie sich gefasst hatte, fuhr sie resigniert weiter: »Ich mach’s nicht mehr lange.«

Noah suchte nach einer Antwort. Aber noch ehe er sie gefunden hatte, sagte Betty: »Ich komme vom Kardiologen dort drüben.« Sie zeigte in eine unbestimmte Richtung. »Mein Hausarzt hat mich geschickt. Ich komme kaum mehr ohne Zwischenhalt eine Treppe hinauf. Herzschwäche. Es kann plötzlich vorbei sein.«

»Bei uns allen«, sagte Noah.

»Bei mir aber wahrscheinlicher.«

Sie winkte den Kellner herbei. »Die Rechnung, alles zusammen, und ein Taxi.«

Sie warteten schweigend, bis der Kellner mit der Rechnung kam. »Zehn Minuten«, informierte er sie.

Die Eingangstür wurde von einem Keil offen gehalten, doch die Luft, die hereinfloss, war sogar noch wärmer als die in der Blauen Tulpe. Trotz der hellen Straßenbeleuchtung konnte man im dunkelnden Himmel Sterne sehen.

Der karge Abendverkehr bewegte sich gemächlich, als wollte er den Sommerabend nicht stören.

Stumm warteten sie auf das Taxi.

Beide waren etwas unsicher auf den Beinen. »Wissen Sie, was immer mein innigster Wunsch gewesen war?«

Noah schüttelte den Kopf.

»Dass Zaugg vor mir abkratzt.«

»Verständlich.«

»Seit heute weiß ich, dass ich nicht die Zeit habe, das abzuwarten. Ich muss dem nachhelfen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Umlegen.«

Scheinwerfer erhellten die Straßenbiegung, das Taxi kam zum Vorschein.

Betty kramte in ihrer Tasche und fand eine Visitenkarte, die sie ihm überreichte. »Wenn Sie jemanden kennen, der das sauber und zuverlässig für mich erledigt, melden Sie sich. Aber es muss ein Profi sein. Es ist mir die Hälfte von dem wert, was mir Pat hinterlassen hat.«

Das Taxi hielt vor ihnen.

»Eine Million.«

Noah half ihr beim Einsteigen. Dann blickte er dem Wagen nach – und sah am Himmel über ihm einen schwarzen Wolkenturm, in dem ein Blitz aufzuckte.

Das Taxischild verlöschte.

4

Camilla saß in ihrem chinesischen Morgenrock am Küchentisch, vor sich ihre große kindische Teetasse mit dem Häschen. Das Küchenfenster war weit offen, und in ein paar Küchen des Hinterhauses brannte noch Licht.

Die Tasse war etwa fünf Jahre jünger als sie, aber nicht so gut gealtert. An manchen Stellen war sie geflickt, aus den Bruchstellen quollen jahrzehntealte getrocknete Klebstoffwülstchen. Sie war ihr oft zu Boden gefallen, zweimal war der Henkel gebrochen. Beide Male hatte ihre Mutter gesagt: »Wer es kaputt machen kann, kann es auch flicken.« Und jedes Mal hatte die kleine Camilla es geschafft.

Ihren Vater hatte Camilla nie gekannt, und sie vermutete, dass dies auch auf ihre Mutter zutraf. Sie war achtzehn gewesen, als Camilla auf die Welt kam, und die ersten fünf Jahre alleinerziehend gewesen. Danach hatte sie einen Installateur geheiratet, den Camilla nicht mochte und er sie auch nicht. Er war um einiges älter als die Mutter und zum Glück so sehr mit dem Aufbau seiner Firma beschäftigt, dass er kaum zu Hause war. Ihre Mutter half im Geschäft mit, wie sich ihr Stiefvater ausdrückte. In Wirklichkeit war sie es, die den Betrieb auf einen Personalbestand von sechsunddreißig Leuten brachte.

Als der Stiefvater ins Pensionsalter kam, verkauf‌ten sie den Betrieb und zogen an die Costa del Sol. Camilla hatte sie einmal besucht. Widerwillig, denn sie waren ihr immer fremder geworden. Sie war nach drei Tagen aus diesem deprimierenden Haus in dieser deprimierenden Villensiedlung wieder abgereist, drei Tage früher als geplant. Alle drei waren froh darüber gewesen.

Sie nahm einen Schluck Tee und fragte sich, warum sie so an dieser lächerlichen Tasse hing. Vielleicht, weil sie ihr half, ihre Mutter nie zu vermissen.

Auf dem Treppenabsatz hörte sie Schritte und gleich darauf den Schlüssel, der versuchte, das offene Schloss zu öffnen. Er war also vermutlich nicht ganz nüchtern. Sie hatte das Licht im Korridor brennen lassen, wie immer, wenn sie noch auf und die Wohnung nicht abgeschlossen war. Sie fühlte sich sicher in dieser Wohnung und mochte es nicht, sich einzuschließen. Sie empfand es als unfreundlichen Akt, denn es bedeutete ja auch, Noah auszuschließen.

»Du bist noch auf?«, fragte Noah. Camilla ging unter der Woche früh zu Bett.

»Ich habe mir Sorgen gemacht.«

»Um deinen zukünftigen Ex?«, fragte er giftig, holte ein Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich zu ihr.

»Nimm lieber ein Alka Seltzer.«

Er brauchte mehrere Versuche, bis er das Bier geöffnet hatte, nahm einen Schluck und setzte die Flasche mit einem übertriebenen Ausatmen ab.

Lange sahen sie einander an. Als hätten sie sich nichts oder zu viel zu sagen.

Schließlich hob Camilla die Schultern und ließ sie resigniert wieder fallen. »Ich weiß.«

»Aber du machst es trotzdem.«

»Ich muss.«

»Quatsch.«

Camilla schloss die Augen und schüttelte sachte den Kopf. »Vielleicht habe ich diesen Job zu lange gemacht. Ich sehe inzwischen das Leben mit den Augen einer Buchhalterin. Und aus dieser Sicht geht es für mich nicht auf. Wie eine Buchhaltung. Da kann man auch nicht warten, bis sie stimmt. Man muss etwas tun. Auch wenn es weh tut. Sonst tut es am Ende allen noch viel mehr weh. Verstehst du?«

Camilla stand auf, setzte sich auf seinen Schoß, legte die Arme um seinen Hals und küsste ihn.

»Komm.« Sie führte ihn an der Hand ins Schlafzimmer und zog ihn aus.

Eine Viertelstunde später lagen sie auf dem Rücken nebeneinander.

»Das ist mir noch nie passiert«, sagte Noah.

Camilla lächelte. »Der Standardsatz aller Männer, wenn es passiert ist.«

Er drehte sich auf die Seite mit dem Rücken zu ihr. »Du hast wirklich zu viel Buchhaltung gemacht.«

Durch das offene Fenster prasselte jetzt Regen auf die schräggestellten Holzlamellen der geschlossenen Läden.

»Wo warst du so lange?«

»Mit einer Frau.«

»Ach so.«

Windböen peitschten den Regen gegen die Fensterläden, und ein wütender Donnerschlag erschreckte sie. Früher hätten sie sich gespielt ängstlich aneinandergekuschelt. Jetzt nicht. Jetzt fragte Camilla nur: »Wie heißt sie?«

»Betty.«

»Klingt nach Stripperin.«

»Fünfundsechzig.«

Camilla lachte auf. Er drehte sich um und sah sie ernst an. »Wirklich. Eine Witwe, die heute eine fatale Diagnose erhalten hat und jemanden brauchte, um sich zu betrinken.«

Camilla schwieg.

»Wie ich«, fügte er hinzu.

Sie legte die Hand auf seine Wange und gab ihm einen versöhnlichen Kuss auf den Mund.

Er legte beide Arme um sie und erwiderte den Kuss etwas inniger. Vielleicht hatte sie es sich überlegt, vielleicht hatte sie es sich anders überlegt. Vielleicht …

Sie schob ihn sanft weg. »So war es nicht gemeint. Erzähl.«

Er berichtete: »Ihr Mann wurde von seinem Partner ein Leben lang ausgebeutet und hat sich schließlich zu Tode geschuftet. Jetzt sucht sie jemanden, der diesen Partner umlegt, bevor sie stirbt. Für eine Million.«

Camilla stieg kopfschüttelnd aus dem Bett. »Ich bring dir jetzt ein Alka-Seltzer, und dann schläfst du dir den Rausch aus.«

5

Liz kam wie immer zu spät. Camilla hatte den freien Stuhl an dem guten Fensterplatz an der Theke verteidigen müssen und ihren Gemüsesaft beinahe leer, obwohl sie sehr langsam getrunken hatte. Wenn sie einen neuen holen würde, riskierte sie, die Plätze zu verlieren.

Das vegetarische Selbstbedienungsrestaurant lag im Einzugsgebiet vieler Büro- und Warenhäuser und boomte in der Mittagspause. Camilla aß oft hier, es lag in Gehdistanz zu ihrem Arbeitsplatz, war preisgünstig und die Küche gut und erfindungsreich.

Endlich kam Liz durch die Tür, reckte den Hals, entdeckte Camilla, lachte, winkte und schlängelte sich durch die Tische zu ihrem Tisch.

Liz war Camillas beste Freundin. Sie kannten sich aus der Mittelschule und hatten sich nie aus den Augen verloren, obwohl Liz ihren Abschluss zwei Jahre vor Camilla gemacht hatte. Liz begann, Jura zu studieren, weil ihr Vater meinte: Wenn du nicht weißt, welcher Beruf dich reizt, studier Jura. Damit kannst du alles werden.

Nach zwei Jahren hatte sie das Studium abgebrochen und war mal dies und mal das geworden.

Camilla nahm nach der Schule ein Wirtschaftsstudium in Angriff, das sie ebenfalls nach knapp zwei Jahren an den Nagel hängte, um dann so lange zu jobben, bis sie genug Geld beisammenhatte, um mit Liz ein halbes Jahr in Asien herumzureisen.

»Sorry, Stau.« Liz küsste Camilla und setzte sich neben sie.

»Seit wann fährst du denn Auto?«

»Nicht ich. Er.«

»Wer?«

»Serge.«

»Sollte ich den kennen?«

»Nein. Ich besser auch nicht. Wer geht zuerst ans Buffet?«

»Du. Sonst bereue ich es wieder, dass ich nicht das Gleiche genommen habe.« Sie sah ihrer Freundin nach und bewunderte sie wieder für die Zielsicherheit, mit der sie ihr Tablett belud. Sie drängte sich nicht vor, die anderen Leute ließen ihr einfach automatisch den Vortritt. Dabei war Liz keine imposante Erscheinung. Sie war eher zart gebaut, nicht sehr groß und trug meistens fast klassische, kühl geschnittene Kostüme. Ohne ihre wilde Mähne wäre sie eine Dame gewesen. Falls es das gibt: eine verschmitzte Dame.

Sie kam zurück mit einer Portion Gemüsecurry, der vegetarischen Variation eines Tempeh-Spießchens und einer Mangomousse und erklärte: »Ich warte mit Essen.«

Camilla kam mit dem Gleichen zurück und setzte sich auf den Hocker neben sie. Liz schüttelte lächelnd den Kopf, und sie wünschten sich guten Appetit.

»Ich habe es getan. Gestern.«

Liz schluckte runter. »Tatsächlich? Wie hat er es aufgenommen?«

»Ungläubig.«

»Das glaub ich. Bei welcher Gelegenheit?«

»Nach dem Bumsen.«

Liz lachte auf. »Dann verstehe ich seine Ungläubigkeit.«

Camilla lachte nicht. »Ich will ja nicht nicht mehr mit ihm schlafen. Ich will einfach nicht mehr mit ihm leben.«

»Nicht leicht.«

Camilla seufzte. »Ich weiß.«

»Ich brauche dich nicht an die andere Lösung zu erinnern.«

»Nein. Für mich ist es keine, das weißt du.«

Liz zuckte mit den Schultern. »Dann wünsche ich dir viel Erfolg mit der Suche nach einem, der dir das Leben ermöglicht, das du dir vorstellst. Und der auch sonst deinen Ansprüchen an einen Mann genügt. Interessant ist, witzig, intelligent, sexy, was noch?«

»Ledig.«

Sie lachten beide.

»Im Ernst«, fuhr Camilla fort, »in zehn Jahren bin ich einundvierzig. Weißt du, wie kurz zehn Jahre sind? Eben war ich noch zwanzig. Mir bleibt nicht viel Zeit, mein Leben zu ändern. Wenn ich es jetzt nicht tue, tue ich es nie.«

»Du könntest bei mir einsteigen, hättest einen Job, der dir Spaß macht, und mit etwas Glück ein Einkommen, mit dem du Noah weiter sponsern könntest. Ich wollte es nur noch einmal gesagt haben. Der Vollständigkeit halber.«

»Danke.«

»Ich weiß, was du denkst. Aber diesmal klappt es. Das Konzept ist gut, und der Businessplan auch. Sonst hätte mir die Bank den Kredit nicht gegeben.«

»Ich denke ja gar nicht, dass eine Agentur für junge Fashion kein Erfolg sein kann, aber du hast es selbst gesagt: mit etwas Glück. Ich habe mich lange genug auf das Glück verlassen, jetzt will ich auf Nummer sicher gehen.«

»Nenn mir etwas im Leben, wofür es kein Glück braucht.«

»Der Tod.«

Liz legte den Arm um Camillas Schulter und zog sie an sich. »Ach, Liebes, deswegen will ich dich ja als Partnerin: weil du so schlagfertig bist.«



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