Yasemins Kiosk - Christiane Antons - E-Book

Yasemins Kiosk E-Book

Christiane Antons

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Beschreibung

Das Leben muss man nehmen, wie es kommt – das haben alle drei gelernt: Dorothee Klasbrummel, Besitzerin eines Bielefelder Mehrfamilienhauses, hat seit fünfzehn Jahren ihre Wohnung nicht verlassen. Polizistin Nina Gruber wurde suspendiert und die junge lebensfrohe Kioskbesitzerin Yasemin Nowak sieht sich den zunehmend unheimlich werdenden Liebesbeweisen eines Stalkers ausgesetzt. Als im Altpapiercontainer des Kiosks eine Leiche gefunden wird, tun sich die ungleichen Frauen zusammen und ermitteln auf eigene Faust. Primär, um sich von den eigenen Problemen abzulenken. Doch diese Rechnung geht nicht auf … Ein warmherziger Krimi mit Charme und Raffinesse!

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Christiane Antons

Yasemins Kiosk

Zwei Kaffee und eine Leiche

Kriminalroman

© 2018 by GRAFIT Verlag GmbH

Chemnitzer Str.31, D-44139 Dortmund

Internet: http://www.grafit.de

E-Mail: [email protected]

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/goodmoments (Wand), Stefan Ziese (Kiosk)

eBook-Produktion: CPI books GmbH, Leck

Über das Buch

Das Leben muss man nehmen, wie es kommt – das haben alle drei gelernt: Dorothee Klasbrummel, Besitzerin eines Bielefelder Mehrfamilienhauses, hat seit fünfzehn Jahren ihre Wohnung nicht verlassen. Polizistin Nina Gruber wurde suspendiert und die junge lebensfrohe Kioskbesitzerin Yasemin Nowak sieht sich den zunehmend unheimlich werdenden Liebesbeweisen eines Stalkers ausgesetzt.

Als im Altpapiercontainer des Kiosks eine Leiche gefunden wird, tun sich die ungleichen Frauen zusammen und ermitteln auf eigene Faust. Primär, um sich von den eigenen Problemen abzulenken. Doch diese Rechnung geht nicht auf …

Die Autorin

Christiane Antons, geboren 1979 in Bielefeld, studierte allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft, Englisch und Geschichte an der Universität Bielefeld. Nach einer Hörfunkausbildung arbeitet sie seit 2008 beim ›Westfälischen Literaturbüro in Unna e. V.‹. Gelegentlich moderiert sie Lesungen und übernimmt deutsche Leseparts. Nach Stationen im Ruhrgebiet und in Köln lebt sie heute wieder in Ostwestfalen.

www.christianeantons.de

Für meinen Bruder Christian statt Porsche (sorry).

Für meine Mutter Gesine, eine der stärksten Frauen, die ich kenne.

Prolog

Es war ein Knochenjob. Seine Bandscheibe machte das nicht mit. Er brauchte dringend eine Massage. Gleich morgen würde er zu der kleinen Thai gehen und sich ordentlich durchkneten lassen.

Natürlich war ein Mensch objektiv nicht schwerer, wenn er tot war, das wusste er. Aber es fühlte sich verdammt noch mal so an. Deshalb war er jetzt schon klitschnass. Der Schweiß lief ihm den Rücken herunter. Ihm graute davor, den Kofferraum gleich wieder entladen zu müssen. Die drängende Frage war vor allem, wo. Er rubbelte mit seiner Hand an der Wirbelsäule entlang. Es juckte.

Denk nach! Das hier war nicht von langer Hand geplant gewesen. Er hatte so etwas noch nie gemacht. Er musste improvisieren. Das gefiel ihm nicht. Er war Fahrer, kein Entsorger! Seine Loyalität brachte ihn in Teufelsküche.

Denk nach! Er war in der Tiefgarage in der Altstadt einfach losgefahren, ohne Ziel. Den Dienstwagen hatte er stehen lassen, sicher war sicher, und seinen alten Audi genommen. Beim Einsteigen ins Auto war ihm der Schmerz aus den Lendenwirbeln bis in den linken Fuß geschossen. Er hatte sich eindeutig verhoben.

Einfach fahren, dann kommt dir schon eine Idee. Über den Jahnplatz, der Knotenpunkt für die Stadtbahn und Busse und so schön wie eine Warze auf der Nase war, fuhr er stadtauswärts, blickte links hoch zum belebten Hauptbahnhof und überlegte derweil, welcher Ort der geeignete wäre. Als er bemerkte, dass er mit seinem rechten Zeigefinger unaufhörlich auf das Lenkrad tippte, hörte er damit auf und stellte das Radio an. Er bog links ab, verringerte kurz vor der Blitzanlage die Geschwindigkeit und sah in der Ferne das Viadukt, das fast majestätisch vor dem Obersee, einem künstlich angelegten Stausee, in der Dunkelheit stand. Aber eben nur fast. Die Worte Bielefeld und majestätisch passten für ihn nicht recht zusammen. Was nicht hieß, dass er sich hier nicht wohlfühlte. Seit fast zwanzig Jahren lebte er in Ostwestfalen. Nach dem Tod seiner Mutter hatte ihn nichts mehr in Colbitz gehalten. 3.300Einwohner. Ein ehrenamtlicher Bürgermeister. Viel Heidelandschaft. Zu viel. Also hatte er damals beschlossen zu studieren. Woanders. Ohne Heide, ohne Mutter. Das Schicksal hatte ihn nach Bielefeld geführt.

Auf Höhe des Obersees verringerte er seine Geschwindigkeit. Zwei, drei Autos standen auf dem Parkplatz, obwohl es schon weit nach Mitternacht war. Was die da wohl trieben? Der Seekrug auf der anderen Uferseite war noch beleuchtet.

Er setzte seine Fahrt fort. Zu hohes Risiko.

Der Juckreiz wurde langsam unerträglich. Er fuhr in Richtung Uni, in Richtung dieses grauen, riesigen, verschachtelten Kastens, mit seinen nach links und rechts abzweigenden Zähnen. So nannten hier alle die Türme, die vom Hauptgebäude abgingen und in denen die einzelnen Fakultäten untergebracht waren. Nichts war schön an diesem Gebäude. Wie hässlich dieser ausgelegte Gummiboden mit Kreismuster war, der ihn immer an übergroße Legosteine erinnert hatte!

Er hatte sein Studium nicht geschafft. Trotzdem hatte er sich an der Uni eine Zukunft aufgebaut. Weil er die richtigen Freundschaften geschlossen hatte. Freundschaften, die wertvoller waren als ein Magister in Germanistik, Soziologie und Jura. Damit verdiente man nichts. Wahrscheinlich hätte er damit im Supermarkt Regale eingeräumt oder in einem Hähnchenkostüm Werbung für einen Schnellimbiss gemacht. Er wollte gar nicht wissen, wie viele Aushilfen sich so ein Kostüm teilten. Die Körpergerüche, die Bakterien, die ungewaschenen Haare der anderen. Ekelhaft. Er hingegen hatte alles richtig gemacht. Von hier aus konnte er schon fast zu seinem Grundstück hinüberspucken. Er blickte aus dem rechten Seitenfenster, sah vor seinem inneren Auge bereits sein perfektes Einfamilienhaus mit schnuckeligem Garten stehen und deshalb den Einsatzwagen am Straßenrand zu spät. Der Polizeibeamte hob die Kelle. Keine Chance, unbemerkt umzukehren.

Das konnte doch nicht wahr sein! Warum mitten in der Woche?

Bleib ruhig, bleib ganz ruhig. Wie gut, dass er nichts getrunken hatte. Er trank nicht mehr seit damals, seit dieser einen Nacht. Als er das Seitenfenster hinunterließ, zwang er sich zu einem Lächeln.

»Guten Abend, Fahrzeugkontrolle. Ihren Führerschein und Fahrzeugschein, bitte.«

Er nickte. Suchte die Papiere zusammen. Nicht zittern, halt deine Hand ruhig.

»Lohnt sich das denn für Sie? Eine Kontrolle mitten in der Woche?« Er versuchte, seine Stimme heiter klingen zu lassen.

»Heute ist Uni-Party, da kommt schon ganz gut was zusammen«, antwortete der Polizist und gähnte. Als er die Papiere entgegennahm, blickte er ihn kritisch an. »Sie scheinen sehr stark zu schwitzen. Geht es Ihnen nicht gut?«

Er spürte, wie das Rinnsal an seiner Wirbelsäule schneller lief. »Doch doch, bestens. Ich komme gerade aus der Sauna. Schwitze nach. Nicht kalt genug geduscht.«

»Aus welcher Sauna denn?«, hakte der Polizist nach.

Mach schon, aus welcher Sauna. Sie muss weiter weg sein, es ist spät. Denk nach, denk …

»Westfalen-Therme. Bad Lippspringe. Waren Sie schon mal da? Top! Wie Urlaub.«

Der Polizeibeamte schaute auf den Rücksitz. »Und wo ist Ihre Tasche?«

Ihm wurde heiß und kalt. »Na, im Kofferraum natürlich. Oder meinen Sie, ich will mir mit den feuchten Handtüchern meinen Innenraum zustinken?«

Denk nach, was machst du, wenn er an den Kofferraum will? Er könnte sich weigern. Könnte den Polizeibeamten nach dem Durchsuchungsbeschluss fragen. Könnte Zeit schinden. Mit einem Anwalt drohen. Er würde sich damit aber verdammt noch mal auf ganz schön dünnem Eis bew…

»Hey, ich hab nicht die ganze Nacht Zeit. Haben Sie noch Wasser in den Ohren? Hier!« Ungeduldig hielt ihm der Polizeibeamte seine Papiere unter die Nase.

»Entschuldigung, ich war gedanklich …«

»… noch in der Sauna, ja. Gute Fahrt.«

»Danke. Und Ihnen eine ruhige Nacht.« Er ließ das Fenster hochfahren und bemühte sich, ruhig zu atmen.

Du Idiot! Jetzt sieh zu, dass du die Leiche loswirst! Sein Zeigefinger tippte wie wild auf das Lenkrad, als er langsam anfuhr.

Wenige Minuten später bog er in eine ruhige Wohnsiedlung ein. Er hatte jetzt wirklich die Schnauze voll. Er musste handeln. Den Motor stellte er aus und ließ den Wagen ein Stück geräuschlos dahinrollen.

1.

Sie musste zugeben, sein Körper war durchaus appetitanregend. Ein Sixpack vor dem Herrn. Aber er vögelte eine Frau im Stehen von hinten, die vom Alter ihrer Mutter sein könnte. Nina konnte ihren Blick von den dicken Brüsten, die bei jedem seiner Stöße hin und her wackelten, kaum abwenden.

»Das ist nicht dein Ernst, Hetta! Ich glaub, ich spinne!« Sie schaltete den Fernseher aus und drehte sich mit verschränkten Armen zu ihrer Mutter um. »Während ich für uns einkaufe, guckst du Pornos? Das ist … ekelhaft!«

»Nein, das ist Sex, Schatz. Etwas ganz Natürliches. Hast du den Eierlikör mitgebracht?« Henrietta Gruber machte sich nicht die Mühe, die Zigarette aus ihrem Mundwinkel zu nehmen, während sie mit ihrer Tochter sprach.

»Ich hab dir schon tausendmal gesagt, wie sehr ich es hasse, wenn du in der Wohnung rauchst. Stell dich wenigstens ans Fenster. Und zieh nicht immer die Jalousien herunter, da muss man ja depressiv werden, Herrgott!« Energisch zog Nina den Rollladen hoch. »Und du stinkst! Geh endlich duschen!«

»Der Psychiater hat dir das doch erklärt: Meine Erkrankung bringt mangelnde Körperpflege mit sich.« Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. »Ich kann nicht so einfach aus meiner Haut. Deine Mutter ist krank, also sei gefälligst nett zu ihr, sonst gibt’s kein Erbe.« Mit einem halb vollen Eierlikörglas prostete sie Nina zu.

Die schloss für einen Moment ihre Augen. Ihre Mutter war krank, ja, das wusste Nina. Deshalb überkam sie jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn sie spürte, dass sie stinksauer auf Hetta wurde. Ein Gefühl, das Nina seit ihrer Jugend kannte. Doch völlig unabhängig von ihrer Krankheit war Hetta einfach ein schwieriger und oft egoistischer Mensch! Und das war es, was Nina so zusetzte. Es war so anstrengend, so kräftezehrend, sich mit Hetta auseinanderzusetzen. Doch sie durfte sich nicht ständig provozieren lassen und die Aussagen ihrer Mutter persönlich nehmen. Nina atmete tief durch und stellte sich einen Pool im Sommer vor. Sie stand am Beckenrand und glitt mit einem Kopfsprung hinein. Kühle, klare Bilder, vorzugsweise in Blau gehalten, beruhigten sie. Eine Methode, die sie mit ihrer Therapeutin erarbeitet hatte. Der knallroten Wut, die sie zu übermannen drohte, der wahnsinnigen Hitze, die sich in solchen Augenblicken in ihrem Körper breitmachte und ihre Selbstbeherrschung wegbrannte, setzte sie seit einiger Zeit blau getünchte, kühlende Bilder entgegen. Es funktionierte. Nicht immer. Aber immer häufiger.

»Ich habe in Wuppertal mein Leben aufgegeben und bin zu dir gezogen, weil du Hilfe brauchst. Das würden längst nicht alle Kinder machen. Vielleicht könntest du dich hier und da auch ein bisschen zusammenreißen und deine Rücksichtslosigkeit nicht immer mit deiner Psyche entschuldigen«, versuchte es Nina in einem leisen, aber eindringlichen Ton.

»Oho, Mutter Theresa. Wenn ich mich richtig entsinne, haben dich deine Polizeikollegen in Wuppertal ordentlich in den Hintern gefickt und verpfiffen. Und zurückgekommen bist du erst, nachdem der gesetzliche Betreuer an mein Konto gegangen war. Wenn’s um Geld geht, kommen die Kinderlein ganz schnell angelaufen.«

»Das ist nicht fair, Hetta, und das weißt du. Ich räume jetzt die Einkäufe weg.«

»Hast du Eierlikör mitgebracht?«

»Ja, Himmel, ich habe dir deinen Eierlikör mitgebracht«, antwortete Nina matt. Sie ging in den Flur und sah noch aus den Augenwinkeln, wie ihre Mutter den Fernseher wieder anschaltete. In Gesprächen mit Hetta war kein Blau der Welt kühlend genug.

»Die sollte sich auch mal wieder anständig durchvögeln lassen, vielleicht wäre sie dann ein bisschen entspannter«, hörte sie ihre Mutter murmeln.

Die Hitze stieg Nina die Wangen hoch. Sie brauchte eine eigene Wohnung. Sonst würde es bald eine Tote geben.

2.

Frühling in Bielefeld bedeutete, der Regen wurde wärmer. Während Nina von einem Vordach zum nächsten lief und dabei versuchte, den Pfützen auszuweichen, fragte sie sich, ob es ihr Schicksal war, in Städten zu leben, die die grauen Wolken einluden, länger als woanders zu verweilen. Wuppertal und Bielefeld gehörten zu den regenreichsten Städten Deutschlands. In Wuppertal, so sagte ein Sprichwort, würden die Babys mit Regenschirm geboren. Ein ostwestfälisches Kind dagegen sog mit der Muttermilch die Isso-Mentalität auf.

Isso.

Muss ja.

Schulterzucken.

Es gab eine Zeit, da hatte Nina diese scheinbare Gleichgültigkeit in den Wahnsinn getrieben. Nach dem Abitur hatte sie fluchtartig ihre Heimat verlassen. Die einhundertfünfzig Kilometer Distanz zu ihrer Mutter hatte sie freier atmen lassen. Was aber die Ostwestfalen anging, war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie damals nicht wortkarge Gleichgültigkeit mit stoischer Gelassenheit verwechselt hatte. Man ließ den anderen leben und mischte sich nicht unnötig ein.

Sie überquerte den Siegfriedplatz, auf dem bei schönem Wetter das Herz des Bielefelder Westens schlug. Die Bewohner des Viertels bevölkerten ihn mit Decken, Gitarren und Klappstühlen und holten sich bei einem Bierchen einen anständigen Sonnenbrand.

Nina zog einen kleinen Zettel aus ihrer Hosentasche, auf dem sie die genaue Adresse notiert hatte. Ihr Ziel lag noch zwölf Hausnummern entfernt. Sie hoffte, dass es dieses Mal klappen würde, sie musste bei Hetta unbedingt raus. Tag für Tag stritten sie sich wegen Nichtigkeiten, das machte sie bekloppt. Es reichte, dass ihre Mutter es schon war. Der Wohnungsmarkt war angespannter, als sie es aus der Ferne vermutet hatte, heute startete sie ihren achten Versuch. Manchmal hatte sie einfach Pech gehabt und andere Bewerber hatten sich durchgesetzt. Oder sie selbst hatte abgelehnt, weil das Badezimmer kein Fenster besaß. Sie war kein anspruchsvoller Mensch, lediglich dieser Punkt war für sie nicht verhandelbar. Allein der Gedanke an ein fensterloses Bad ließ ihre Hände schwitzig werden.

Ignorierte man den Kondomautomaten und das hässliche Graffito, das frisch auf der Fassade prangte, sah das Mehrparteienhaus, vor dem sie nun stand, recht gepflegt aus. Besonders gefiel Nina der Kiosk im Erdgeschoss. Dort könnte sie sich morgens einen frisch gebrühten Kaffee besorgen und abends ein gut gekühltes Pils. Für die Grundnahrungsmittel wäre also gesorgt. Sie las die Namensschilder, die ausnahmslos im selben verschnörkelten Schriftzug gedruckt waren, und klingelte bei Dorothee Klasbrummel.

»Ja, bitte?«, erklang eine tiefe Frauenstimme aus der knarrenden Gegensprechanlage.

»Guten Tag, hier ist Nina Gruber, wir haben um siebzehn Uhr einen Termin wegen der freien Wohnung.«

»Kommen Sie hoch.«

Oben angekommen, stand Nina vor einer geschlossenen Wohnungstür und klingelte erneut. Wieder ertönte ein Türöffner.

»Einfach durchlaufen, wir sind im Wohnzimmer«, hörte sie die Frauenstimme sagen.

Warum auch den fremden Besucher an der Haustür begrüßen, einfach alle Psychos direkt ins Wohnzimmer einladen, dachte Nina kopfschüttelnd. Offenbar verfügte die Frau auch über einen Türöffner für die Wohnungstür, und das im Wohnzimmer. Warum, war Nina ein Rätsel. Sie schritt durch einen Flur, der in einem warmen Orangeton gestrichen war. Als sie die kleine Duftkerze auf dem Schuhschrank sah, wusste sie, dass sie sich den Orangenduft nicht eingebildet hatte. Eine alte Holzuhr, die an der Wand hing, erinnerte sie an ein ähnliches Exemplar, das einst ihre Großmutter besessen hatte. Auch diese Wanduhr war aus dunklem Holz gefertigt, vielleicht Kirsche, und auf dem goldenen Ziffernblatt zeigten römischen Zahlen an, welche Stunde geschlagen hatte. Für einen Moment legte Nina ihr Ohr an den hölzernen Korpus, um das vertraute Ticken ganz nah zu hören.

Bevor sie eintrat, klopfte sie drei Mal kurz an die angelehnte Wohnzimmertür. Auf dem Sofa saß ein junges Mädchen, das unmöglich die Vermieterin sein konnte. Ihre Wimperntusche war vom Weinen so verschmiert, dass sie die Bestbesetzung für eine Vampirserie hätte sein können. Sie guckte nicht hoch. Dorothee Klasbrummel stand an einem Terrarium in der hinteren Ecke des Raumes. Nina schätzte die Vermieterin auf Ende sechzig, Anfang siebzig. Sie trug ein weites Kleid aus fließendem Stoff, dessen Farbe mit dem Fluranstrich übereinstimmte, und hatte auffallend viele Lachfalten um ihre Augen.

»Guten Tag, Frau Gruber.« Sie kam auf Nina zu und gab ihr die Hand. »Darf ich vorstellen, das ist Yasemin Nowak, sie führt den Kiosk im Erdgeschoss meines Hauses.«

»Tach. Ich seh nicht immer so scheiße aus. Ich musste nur mal kurz Dampf ablassen.« Yasemin blieb auf dem Sofa sitzen und versuchte, mit dem Handrücken die Wimperntusche von ihren Wangen zu wischen. Damit machte sie alles nur schlimmer.

»Hi. Ich bin irgendwann dazu übergegangen, meine Wimpern zu färben, nur so als Tipp, dann hast du das Problem nicht mehr.« Nina deutete auf Yasemins verschmierte Augenpartien und lächelte ihr aufmunternd zu. »Meine Farbe ist wasserfest.«

»Setzen Sie sich doch, Frau Gruber. Möchten Sie auch einen Tee?«, sagte Dorothee Klasbrummel.

»Ja, gerne.« Nina machte es sich auf dem Sessel bequem und schaute sich im Wohnzimmer um. An zwei Wänden standen riesige Bücherregale, die bis zur Decke gefüllt waren. Die Bücherrücken verrieten, dass ihre potenzielle Vermieterin fast jeden Krimi, den es auf dem Markt gab, gelesen haben musste. In dem Terrarium war nichts Lebendiges zu entdecken, wer immer darin hauste, schien tagsüber zu schlafen.

»Rennmäuse?« Nina deutete auf den gläsernen Käfig und schaute Yasemin fragend an, die den Kampf gegen die Wimperntusche aufgegeben hatte und an ihrem Tee nippte.

Die junge Frau schüttelte den Kopf. »Vogelspinne. Echt eklig.«

»Spinnen sind nicht eklig, Yasemin. Das sind nützliche Tiere. Der Ekel wird uns Menschen nur antrainiert.« Dorothee kam aus der Küche zurück und stellte eine Tasse Tee und ein Zuckerpöttchen auf den Tisch. »So, Frau Gruber, Sie haben also Interesse an der Wohnung hier in der zweiten Etage. Natürlich muss ich als Vermietern interessiert daran sein, was Sie beruflich machen?«

Nina nahm die Tasse in die Hand und bemühte sich, entspannt zu wirken. »Selbstverständlich. Ich bin Polizeibeamtin und lege zurzeit ein Sabbatjahr ein. Ich hatte zwar mal ursprünglich geplant, eine Weltreise zu machen, aber nun kümmere ich mich um meine Mutter, die alleine nicht mehr so gut zurechtkommt.« Sie zuckte mit den Schultern. »Es kommt eben im Leben immer anders, als man denkt. Ein Antrag auf Versetzung meiner Dienststelle von Wuppertal hierher läuft, denn ich möchte nach dem Jahr hierbleiben, um für meine Mutter langfristig da sein zu können.« Das war eine etwas geschönte Version, aber wegen kleiner Notlügen kam man schließlich nicht in die Hölle.

»Eine Polizistin! Das gefällt mir. Dann muss ich mir um meine Miete und unsere Sicherheit hier im Haus keine Gedanken machen. Ich schlage vor, Sie schauen sich die Wohnung einfach mal an. Hier sind die Schlüssel, gehen Sie gerne runter.«

»Sie kommen nicht mit?«

»Ich kenne die Wohnung doch, mir gehört dieses Haus.«

Seltsame Person, aber nicht unsympathisch, dachte Nina, während sie drei Etagen hinunter zu der leer stehenden Wohnung ging. Drei Zimmer, Küche und ein Bad mit Fenster. Eine Einbauküche mit glänzend weißen Fronten und einer dunklen Arbeitsplatte war auch vorhanden, das würde ihr Arbeit und Geld ersparen. Nina missfielen zwar die dunklen Holzdecken, die die Räume kleiner wirken ließen, als sie waren. Es war ihr auch ein Rätsel, warum braune Badezimmerfliesen mit Baummotiven produziert und, schlimmer noch, wieso sie gekauft wurden. Doch die großen Fenster und der Balkon, von dem aus sie bis zum Teutoburger Wald blicken konnte, entschädigten sie für die Schönheitsfehler. In dieser Wohnung würde sie sich wohlfühlen können.

»Wenn Sie mir einen Vertrag anbieten, unterschreibe ich ihn gerne.« Nina überreichte Dorothee Klasbrummel wenige Minuten später wieder die Schlüssel.

Die lächelte. »Wie Sie sich vorstellen können, sind Sie nicht die einzige Interessentin für diese Wohnung«, entgegnete sie und spielte mit dem Schlüssel in ihrer Hand.

Nina nickte. Was käme jetzt? Wollte die Vermieterin schon die Miete erhöhen? Geld für die Küche?

»Aber Sie sind mir bislang die sympathischste. Eine Polizistin im Haus zu haben, kann nicht schaden. Zumal Yasemin aktuell ein kleines … Problem hat.«

»Ach, Doro, lass mal, ich krieg das schon irgendwie hin«, entgegnete die junge Halbtürkin und zog sich dabei die Pulloverärmel über ihre Handgelenke.

»Was ist denn das für ein Problem?« Ninas Neugierde war geweckt.

»Yasemin hat erst vor sechs Wochen den Kiosk übernommen. Und vom ersten Tag an macht ihr ein Unbekannter das Leben schwer. Anzügliche Briefe, unschöne Geschenke.« Beim letzten Wort malte Dorothee Anführungszeichen in die Luft. »Wie Sie sich vorstellen können, zerrt das an Yasemins Nerven. Aber, auch wenn ich ihr das empfohlen habe, sie will damit nicht zur Polizei gehen. Ich würde mir wünschen, dass sich Yasemin ganz auf ihre Selbstständigkeit konzentrieren kann. Wenn Sie also ab und zu mal bei ihr vorbeischauen könnten … Vielleicht finden Sie ja heraus, wer dahintersteckt. Dürfte doch bei Ihrer Qualifikation ein Leichtes sein. Und ein bisschen Abwechslung tut Ihnen bestimmt auch ganz gut. Sie können sich ja nicht vierundzwanzig Stunden lang um Ihre Mutter kümmern, da wird man ja …«

»… bekloppt. Sie haben recht. Das ist kein Problem für mich, ich helfe gerne.« Nina musste nicht lange überlegen. Dorothee Klasbrummel erpresste sie zwar streng genommen, aber sie hatte nichts dagegen, einem Stalker das Handwerk zu legen. »Meine Großmutter hatte übrigens früher auch einen Kiosk. Ich habe als Jugendliche manchmal ausgeholfen und so mein Taschengeld aufgebessert. Ich könnte dir also wirklich unter die Arme greifen. Gesetzt den Fall, du bist einverstanden«, wandte sich Nina nun direkt an Yasemin.

Die zuckte mit den Schultern. »Wenn du mich nich’ anschwärzt, weil ich meinen Kunden schwarz die Haare schneide, geht das klar.«

Dorothee lachte laut auf. »Ach Yasemin, du und deine große Klappe. Wunderbar, Frau Gruber, dann sind wir uns einig. Sie haben gesehen, die Wohnung steht leer. Sie können sofort einziehen. Ich bin übrigens Dorothee, lassen Sie uns doch duzen. Auf unsere Vereinbarung sollten wir anstoßen, findet ihr nicht?«

Solange es kein Eierlikör ist, dachte Nina und nickte.

3.

Am Tag ihres Umzugs hatte es wie aus Eimern geschüttet. Trotzdem hatte Nina ihre wenigen Kartons, die sie gepackt hatte, mitgenommen und den Auszug bei ihrer Mutter nicht verschoben. Nachdem sie Hetta mitgeteilt hatte, dass sie eine eigene Wohnung angemietet hatte, hatte sich die Stimmung zwischen ihnen weiter verschlechtert. »Ist ja nichts Neues, du warst ja auch in den letzten Jahren nie für mich da«, war nur einer der Sätze gewesen, die ihre Mutter ihr an den Kopf geworfen hatte. Nina hatte gespürt, wie ihre inneren Bilder von wunderschönen Schneekuppen und türkisfarbenen Ozeanen größere Risse bekamen, durch die die rote Wut sickerte und ihr Inneres vergiftete.

Zwei Mal hatte sie nun schon in ihrer neuen Wohnung übernachtet, genoss die Ruhe, das Tageslicht und die gute Luft, weil sie die Fenster aufreißen konnte, wann immer sie es wollte, und mit niemandem zusammenwohnte, der noch nicht einmal die Energie aufbrachte, sich unter die Dusche zu stellen. Als Nächstes musste sie sich jedoch dringend um neue Möbel kümmern. Ihre Zweizimmerwohnung in Wuppertal hatte sie möbliert untervermietet. Im Augenblick diente ihr eine Holzpalette vorübergehend als Wohnzimmertisch. Daneben stand der Schaukelstuhl, ein Erbstück ihrer Großmutter und das einzige Möbelstück, das sie aus Wuppertal mitgenommen hatte.

Es war früher Nachmittag, als sie das Treppenhaus hinunterging und wenige Minuten später Yasemins Kiosk betrat. Prompt fühlte sie sich zurück in ihre Kindheit versetzt. Damals hatte sie viel Zeit im kleinen Krämerladen ihrer Oma verbracht. Es war ihr Zufluchtsort gewesen, wenn ihre Mutter mal wieder zu tief ins Glas geschaut oder Nina sich gelangweilt hatte, weil der einzige Freund, mit dem sie sich manchmal verabredete, an dem Tag lieber Fußball und nicht mit einem Mädchen spielen wollte. Nina hatte es geliebt, auf dem kleinen wackeligen Holzhocker hinter dem Tresen zu sitzen und zuzuhören, wie Oma einen Schnack mit den Kunden hielt, so hatte sie das immer genannt. »Wenn du willst, dass sie wiederkommen, musst du ihnen zuhören.« Aber Oma hatte nicht nur zugehört, sie hatte auch ordentlich mitgeschnackt.

Yasemin hatte die Wände des Kiosks in einem hellen Blau gestrichen, vor der Tür stand eine Bank, auf deren Lehne Gönn dir eine Pause! zu lesen war, daneben waren eine dampfende Kaffeetasse und ein Eis gemalt. In ihrem Sortiment fanden sich die üblichen Waren wie Zigaretten, Bier und Spirituosen, Zeitschriften und Süßigkeiten. Die Kunden konnten Lotto spielen, Konservendosen, Zahnbürsten und Wolle kaufen.

»Wolle in einem Kiosk?«, entfuhr es Nina.

Yasemin nickte. »Erika, die wohnt da gegenüber«, sie deutete auf einen Achtzigerjahreklinkerbau, »die kauft bei mir ihre Strickzeitschriften. Außerdem mach ich ihr die Haare. Und Erika trifft sich immer mit ihren Freundinnen zum Stricken. Die sind alle über achtzig oder so, auf jeden Fall steinalt, und für die isses voll anstrengend, extra in die Innenstadt zu fahren, um Wolle zu kaufen. Jetzt hat Erika ihnen erzählt, dass sie die auch hier kriegen. Supi, ne?!«

»Absolut! Du bist eine kluge Geschäftsfrau. Mit der Wolle und dem Haareschneiden setzt du dich von der Konkurrenz ab. Bist du gelernte Friseurin oder stülpst du allen einen Topf auf den Kopf und schneidest einmal drum herum?«

»Ich sach mal so. Deine Frisur wäre nach dem Topf nich’ viel schlimmer.« Yasemin lachte ein ansteckendes Lachen, das es Nina unmöglich machte, ihr böse zu sein. »Komm mal mit!«

Die Deutschtürkin führte Nina in das Hinterzimmer, das sich als ein richtiger kleiner Friseursalon mit einem mobilen Waschbecken entpuppte. Auf den Regalen an der Wand standen Haarpflege- und Färbemittel. »Dir würden ein paar Strähnchen in deinem straßenköterblonden Kurzhaarschnitt wirklich guttun.«

»Äh, ja, ein anderes Mal vielleicht.« Verlegen strich sich Nina über ihren Kopf. In den vergangenen Monaten hatte sie andere Probleme gehabt als die Frage, welche Haarfarbe zu ihr passte. »Warum hast du den Job als Friseurin aufgegeben?«

»Mein Chef war ein Arsch und ich glaube, ich bin besser selbstständig als angestellt. Ich lasse mir nich’ so gerne was sagen, weißte?«

Nina nickte. Sie wusste. Und sie mochte diese quirlige junge Frau von Minute zu Minute mehr. Die Klingel an der Tür kündigte einen Kunden an. Ein junger Mann kaufte eine Packung Tabak und Kaugummis.

»Na ja, und dann hat sich vor Kurzem die Gelegenheit mit dem Kiosk ergeben«, nahm Yasemin den Faden wieder auf. »Ich mache Doro seit einem Jahr die Haare. Bei uns im Salon war ich für die Hausbesuche zuständig. Sie erzählte mir, dass der Kiosk frei wird, und ich dachte: Perfekt, das will ich machen. Und Dorothee is’ ja auch echt in Ordnung. Die Miete, die ich abdrücken muss, ist ein Witz. Aber sie braucht die Kohle eh nicht wirklich. Ihr gehört ja das ganze Haus und sie macht außerdem diesen Bücherkram von zu Hause.«

»Bücherkram?«

»Ja. Sie übersetzt Bücher aus dem Englischen. Am liebsten Krimis. Französisch kann sie auch. Dorothee ist echt ganz schön klug. Und nett. Ich glaub, es ist vielleicht so ’ne Art Tochterbonus, den ich hab. Ich bin die Tochter, die sie nie hatte, oder so. Vielleicht ist das auch Quatsch. Aber ich glaub schon, dass sie manchmal ein bisschen einsam ist, da oben so alleine in der Wohnung.«

»Wieso? Hat sie keine Freunde? Verreist sie nicht?«

»Nee, Doro geht nicht aus der Wohnung. Auch wenn sie nie so ganz die Hoffnung aufgibt, dass sie es doch irgendwann wieder hinkriegt. Wir haben’s sogar schon mal gemeinsam versucht, ist aber in die Hose gegangen. Immerhin traut sie sich jetzt wieder bis an die Wohnungstür. Das war schon mal anders. Deshalb hat sie auch diesen Türöffner im Wohnzimmer, haste vielleicht gesehen.«

Jetzt verstand Nina, warum Dorothee sie nicht an der Tür begrüßt hatte. Angst vor ungebetenen Gästen hatte ihre Vermieterin hingegen anscheinend nicht. Erstaunlich, aber jeder Mensch tickte nun mal anders.

»Na ja, das soll sie dir lieber selber mal alles erzählen«, beendete Yasemin das Thema. »Hilfst du mir, die neue Ware einzusortieren? Hinten stehen noch ein paar Kartons mit Zigaretten und Konservendosen.«

Nina nickte. »Rauchst du eigentlich?«, erkundigte sie sich, während sie Zigarettenschachteln und Yasemin Konserven in das Regal räumte.

»Manchmal, wenn ich zu viel getrunken hab, aber sonst nicht. Is’ nicht gut für die Haut.« Yasemin tätschelte sich ihre Wangen. Nicht nur ihr ovales, feingezeichnetes Gesicht und ihre dunklen, lockigen Haare waren ein Hingucker. Vor Nina stand eine schlanke junge Frau, die auf ihren High Heels spazierte, als seien es Turnschuhe, und die eine hinreißende Lebendigkeit versprühte. Yasemin war eine dieser jungen Frauen, bei deren Anblick sich jede Normalsterbliche gebetsmühlenartig vorsagte: Wenn sie älter wird, geht sie aus dem Leim, warte nur ab. Für Ninas Geschmack war sie zu stark geschminkt, doch immerhin waren jeder Strich und jeder Farbakzent gekonnt gesetzt.

»Hast du auch so Kaffeedurst wie ich?«, fragte Yasemin.

»Ja, ich nehme gerne einen. Mit ein bisschen Zucker, wenn du hast.«

Yasemin nickte, ging zur Kaffeemaschine und reichte Nina wenig später eine dampfende Tasse, aus der der Geruch ehrlichen Filterkaffees emporstieg.

»Danke schön. Ich liebe Filterkaffee. Viel besser als diese Pads oder Kapseln.« Nina nahm einen großen Schluck. »Bring mich doch mal kurz auf den Stand der Dinge, was diesen Unbekannten angeht, der dich belästigt. Was macht der? Und hast du einen Verdacht, wer es sein könnte?«

»Puuhhh, nein, ich hab keinen Verdacht. Da wären viele denkbar und keiner. Ich hab keinen festen Freund.«

»Affären?«

»Mann, du willst es aber genau wissen.« Yasemin setzte sich mit ihrer Tasse auf den Tritt, den sie kurz zuvor benutzt hatte, um die Dosensuppen in das obere Regal einräumen zu können. »Ja, hier und da. Der Richtige war noch nicht dabei. Um ehrlich zu sein, suche ich auch noch gar nicht den Richtigen.«

»Okay, was ist bisher passiert? Und wirst du erst belästigt, seit du den Kiosk übernommen hast?«

»Ja. Also, die erste Überraschung im Briefkasten waren Herzpralinen, das war ja süß. In der Karte stand eine E-Mail-Adresse, [email protected], an die ich schreiben sollte, wenn ich einen Mann in meinem Leben haben will, der mir die Sterne vom Himmel holt und das Herz am rechten Fleck trägt. So in etwa.«

»Hast du eine E-Mail geschrieben?«

»Nein. War mir zu kitschig.«

Nina lachte. »Man kann’s uns Frauen nicht recht machen, hm?«

»Ich will einen Mann als Mann, weißte? Einer, von dem ich weiß, dass er mich beschützen kann.«

»Und was passierte als Nächstes?«

»Knapp zwei Wochen später lagen zweiundzwanzig verwelkte Rosen vor der Kiosktür, das war dann nicht mehr so süß.«

»Du bist zweiundzwanzig?«

»Ja. Tja. Tut mir leid. Jetzt müssen wir einen trinken.« Yasemin ging hinter den Tresen und stellte ihre Kaffeetasse ab.

»Wie, trinken?«

»Du hast mein Alter genannt. Schnapszahl. Darauf müssen wir einen trinken. Isso«, entgegnete Yasemin.

Isso. Da waren Widerworte sinnlos.

»Jägermeister oder kleiner Feigling?« Yasemin hielt zwei kleine Fläschchen hoch.

»Himmel. Pest oder Cholera? Ich nehme Jägermeister.«

Yasemin schüttelte sich, als sie den Schnaps geleert hatte, und nahm einen Schluck Kaffee hinterher. »Brrr. Wo waren wir? Ach ja, die Rosen. Vorgestern, bevor ich mich bei Doro ausgeheult habe, hatte ich dieses Foto in meinem Briefkasten gefunden.« Yasemin öffnete eine Schublade und zog ein Bild heraus.