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Ein Jahr nach ihrer aufsehenerregenden Entdeckung des Römerschatzes in Trier sind die Geschwister Jessica, Alex, Lisa und Lars wieder fest zurück in ihrem Alltag und erinnern sich mit Freude an ihr letztes Sommerabenteuer. Als sie jedoch eines Tages alte, kuriose Besitzgegenstände von Herrn Schwarz, ihrem ehemaligen Verfolger, finden, werden sie von der Neugier gepackt. Sie machen sich auf die Suche nach des Rätsels Lösung und stoßen dabei auf Hinweise, die sie nach Yucatán, einer Halbinsel in Mexiko, führen. Ist das Abenteuer des letzten Jahres doch noch nicht beendet? Gibt es ein weiteres Geheimnis, dass die vier Geschwister lüften müssen?
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Seitenzahl: 238
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Liebe Leserinnen und Leser,
ich freue mich sehr, dass ihr an der Decoded-Reihe drangeblieben seid und nun den zweiten Band vor euch liegen habt, oder dass ihr neu dazugestoßen seid. Ich wünsche euch viel, viel Spaß beim Lesen.
Im Vergleich zum ersten Roman hat die Fertigstellung dieses Romans wesentlich länger gedauert, was bestimmt auch damit zusammenhängt, dass ich keine Lockdown-Zeit hatte, um ihn zu schreiben, und dass er ein wenig umfangreicher als der Vorangegangene ist. Doch vor allem liegt es daran, dass ich mich sehr ausführlich mit dem Handlungsverlauf des Romans beschäftigt habe, was mir diesen nur noch mehr ans Herz wachsen lässt. In diesem Buch stecken zweieinhalb Jahre meines Teenagerlebens, die mich sehr geprägt haben. Dieses Buch hat mich bei vielen Veränderungen in meinem Leben begleitet, bei vielen neuen Erfahrungen, die ich gemacht habe, die alle auf irgendeine Weise Einfluss auf die Handlung oder mein Schreiben genommen haben. Es gab Momente, in denen ich das Buch völlig aus den Augen verloren habe, aus schulischen oder auch privaten Gründen, aber ich bin immer wieder zu der Geschichte zurückgekehrt und habe meinen Alltag beiseitegelassen, um mich in das Abenteuer, was ich vor mir liegen hatte, hineinzuversetzen. Und ich bin sehr stolz darauf, dass die Geschichte der vier Geschwister nun zu einem Ende gekommen ist.
Das ist aber allerdings nicht nur mein eigener Verdienst. Ich bedanke mich vielmals bei meinen wunderbaren Freunden, von denen ich auch einige erst in der Oberstufe wirklich kennengelernt habe. Danke schön für eure Formulierungshilfen an der einen oder anderen Stelle, wo ich nicht weiterwusste, für die Unterstützung bei der Formatierung (Vielen Dank Felix!!!), für die kleine Auskunft über Kampfsport und generell für den Ansporn, den ihr mir immer wieder geliefert habt. Das gilt für alle meine Liebsten und Vertrauten innerhalb dieser zweieinhalb Jahre, denen ich ab und zu eine der Szenen vorgelesen habe und die mir Mut zugesprochen haben. Einige von euch wurden zur Inspiration für ein paar der Charaktere (natürlich nur von den Guten…) oder Szenen.
Besonderer Dank gebührt auch meiner ehemaligen Deutschlehrerin, die sich gerne die Zeit dafür genommen hat, meinen Roman von kleinen Grammatik- und Rechtschreibfehlern zu befreien. Es hat mich sehr beeindruckt, wie schnell Sie mir das Exemplar wieder zurückgeben haben, sodass ich schnell mit der Überarbeitung wieder anfangen konnte. Es war eine sehr große Hilfe.
Herzlich bedanken möchte ich mich zudem bei José Noriega, der mir eine sehr, sehr große Hilfe bei der Covererstellung war und sich viel Zeit dafür genommen hat. Muchas gracias José!!!
Nicht zu vergessen ist der Verkäufer Rommel, den ich mit meiner Familie in Mexiko bei einem Einkaufsbummel in einem traditionellen Kleidungsgeschäft zufällig getroffen habe. Niemals hätte ich gedacht, dass sich daraus eine private und kostenlose Geschichtsstunde über die Maya, ihre Religion und ihr Leben entwickelt, aus der ich Vieles für mein Buch mitnehmen konnte. Besonders die Schmuckstücke, die er mir zeigte, waren eine große Bereicherung: Eines davon wurde dann schließlich zu dem sagenhaften Amulett. Seine Aussage „Ich bin ein Nachfahre der Maya“ ist mir niemals wieder aus dem Kopf gegangen.
Auch meiner Familie möchte ich danken. Ihr seid diejenigen, die mich am meisten unterstützt und motiviert haben, weiterzuschreiben (was dann ja auch meistens gut funktioniert hat). Wie die meisten Leser wahrscheinlich wissen, sind die Hauptcharaktere auch von meiner Familie inspiriert und besitzen durchaus einige Eigenschaften, die ich ihr zuschreiben würde. Ein paar der Szenen haben wir während unserer Mexiko-Reise tatsächlich sehr ähnlich erlebt.
Am meisten geholfen wurde mir schließlich von meinem Vater, dem ich dafür sehr dankbar bin. Es freut mich sehr, wie stolz du von meinem Buch sprichst und wie sehr du dich immer über das nächste Kapitel gefreut hast. Danke für deine Unterstützung und ehrliche Meinung! Die Lesestunden waren sehr schön, auch wenn ich immer mal wieder etwas einstecken musste.
Diesen Roman habe ich mit viel Ausdauer, Kreativität und Willen zustande gebracht. Und ich erhoffe mir, dass ihr an dem Endergebnis genauso viel Gefallen findet, wie ich es tue.
Macht euch bereit für die Suche nach den Spuren der Maya!
Eure Dilara Röttger
Prolog
Kapitel 1
Ein ganz normaler Ferienbeginn…
Kapitel 2
Die Flucht
Kapitel 3
Eine neue Entdeckung
Kapitel 4
Pläne schmieden
Kapitel 5
Mission Spind
Kapitel 6
Der Aufbruch
Kapitel 7
Verzweiflung und Zuversicht
Kapitel 8
Urlaubsglück
Kapitel 9
Neue Probleme
Kapitel 10
Panik am Flughafen
Kapitel 11
Die Franken
Kapitel 12
Mexiko
Kapitel 13
Nächtlicher Aufruhr
Kapitel 14
Neue Erkenntnisse
Kapitel 15
Amankayas Geschichte
Kapitel 16
Tulum
Kapitel 17
Mérida
Kapitel 18
Albträume
Kapitel 19
Uxmal
Kapitel 20
Die Legende des verschollenen Amuletts
Kapitel 21
Offenbarungen
Kapitel 22
Alejandro
Kapitel 23
Endlich Zuhause
Kapitel 24
Das Geheimnis des Amuletts
Kapitel 25
El Juego de Pelotas
Kapitel 26
Entführt
Kapitel 27
Chichén Itzá
Kapitel 28
Freund oder Verräter?
Kapitel 29
Die Suche nach der Wahrheit
Kapitel 30
In Lak'Ech
Kapitel 31
Abschied
Über die Autorin
AUGUSTA TREVERORUM 7 TAGE VOR DEN IDEN DES IUNIUS; 475 NACH CHRISTUS
Keuchend rannte Amankaya durch die kühlen, dunklen Gänge. Ihre Augen hatten sich in den vergangenen Minuten mit Tränen gefüllt. All ihre Träume und Sehnsüchte hatten sich in Luft aufgelöst.
Sie verlangsamte ihre Schritte und blieb vor einem Loch in der Wand stehen. Ihr Rock schien in den Sonnenstrahlen, die daraus hervorgingen, zu leuchten. Sie ließ sich auf Knie und Hände nieder und kroch hindurch.
Im Freien angekommen, verlagerte die Schönheit ihr gesamtes Gewicht auf eine durch Dreck verborgene Steinplatte. Sie löste einen Algorithmus aus, der die Öffnung, die ihr einen Zugang zu der Kirche verschafft hatte, sperrte. Die Wand war nun makellos verschlossen, sodass nur jemand, der diese Tätigkeit beobachtet hatte, an einen geheimen Durchgang glauben würde.
Der Wind ließ ihre braunen Locken nach hinten fallen. Sie seufzte. So lange hatte sie darauf gewartet, ihn wiederzusehen, und nun war er tot. Ermordet durch seine Aufgabe, den Schatz in Sicherheit zu bringen. Ihrem Liebsten waren schon immer seine Pflichten wichtiger gewesen als das eigene Wohl. Dass ihm diese Einstellung einmal das Leben kosten würde, daran hätte sie nicht einmal im Traum gedacht.
Wäre sie doch bloß früher dort gewesen. Vielleicht hätte sie Lucius sogar retten können! Vielleicht… Es war schwer für sie, es sich einzugestehen, doch sie besaß nichts, womit sie ihm hätte behilflich sein können.
Es brachte nichts mehr, darüber nachzudenken. Es war vorbei. Lucius weilte bei den Toten.
Sie schüttelte den Kopf. Nein, noch gab es Hoffnung. Fest drückte sie die goldene Halskette in ihrer Hand. Dieser Gegenstand würde sie wieder zusammenbringen. Die andere Hälfte des Jadeanhängers war in seinem Besitz. Ein tröstlicher Gedanke, der sie zuversichtlich stimmte.
„Keine Sorge“, flüsterte sie in das sanfte Rauschen des Windes, „ich werde dich nicht vergessen.“
In ihrem Kopf hallten Worte wider. Ihre letzten Worte, die sie Lucius zugesprochen hatte: Im Totenreich werden wir wiedervereint sein.
Fest entschlossen, den Anhänger umklammert, lief sie los. Sie wusste genau, was sie jetzt tun musste. Und sie durfte Lucius nicht enttäuschen.
Alex Gonzalez und seine drei Geschwister lachten ausgelassen. Zusammen mit ihrer Familie standen sie im Garten und spielten Crocket. Ihr Vater hatte sich vor nicht allzu langer Zeit einen immensen Fehlschlag erlaubt und fluchte, während er von seiner Frau und seinen Kindern ausgelacht wurde.
Lars, der mit seinen acht Jahren das Schlusslicht der Familie bildete, gab von sich: „Papa, wow, ich habe noch nie so einen guten Schlag gesehen!“, und lachte weiter.
„Jaa, das war wirklich toll“, pflichtete ihm sein 12-jähriger Bruder Alex mit ironischem Unterton bei.
„Jaja, wartet nur ab, der Letzte wird der Erste sein“, drohte ihnen der Vater gewitzt.
Lisa, die zwei Jahre jünger als ihr Bruder Alex war, schimpfte mit ihren Brüdern: „Seid nicht so fies zu Papa, das ist gemein!!“
Während Lars sich vor Lachen schüttelte, bemerkte die Älteste mit ihren 14 Jahren etwas grünlich Glänzendes an seinem Hals. Jedes Mal, wenn er aufsprang, kam auch der Gegenstand an einem Band unterhalb seines T-Shirts zum Vorschein. Jessica runzelte die Stirn. Was er sich wohl da wieder angeschafft hatte…sie würde ihn später darauf ansprechen.
Seitdem sie mit ihren Geschwistern vor einem Jahr einen Römerschatz in ihrer Heimatstadt Trier gefunden und dem Landesmuseum überlassen hatten, war sie viel aufmerksamer geworden und achtete auf solche Kleinigkeiten.
Als Alex seinen Zug vollendet hatte, fragte Samuel, der Vater der Kinder, ihn: „Sag mal Alex, warum lädst du Leticia nicht ein, mit uns zu spielen? Das wäre doch lustig!“
Schlagartig lief er rot an.
Leticia… Sie war letzten Endes auch an der Suche beteiligt gewesen. Nur mit ihrer Hilfe hatten sie es geschafft, den Dom zu besichtigen und sich einen Plan vom Standort des Schatzes zu machen. Auch wenn sie aus Neugier schließlich selbst in Gefahr geraten war... Alex hatte schon seit längerer Zeit etwas für sie empfunden und am selben Abend stellte sich heraus, dass sie genauso fühlte. Seit einem Jahr trafen sie sich regelmäßig.
Jessica beteiligte sich am Gespräch: „Ich verstehe es einfach nicht. Ihr beide seid ineinander verliebt, aber trotzdem tust du so, als wäre da nichts. Seid ihr jetzt ein Paar oder nicht?“
Alex antwortete, sichtlich genervt: „Lass das doch meine Sorge sein. Nein, wir sind nicht zusammen, ich bin doch noch zu jung für sowas.“
Diana, die Mutter, warf ein: „Das sehe ich genauso. Und jetzt lasst den armen Alex in Ruhe, er verwandelt sich noch in eine Tomate.“
Für diese Aussage erntete sie einen Seitenhieb von Alex und Lacher von seinen Geschwistern.
„Lisa, schau bitte noch einmal nach deinem Blutzucker“, erinnerte der Vater das Mädchen. Ihre Stimmung sank ein wenig, als sie ihr Messgerät hervornahm und es an ihren Sensor am Oberarm hielt.
Vor kurzem erst wurde bei ihr der Diabetes Typ 1 diagnostiziert, was eine neue Situation für die Familie war, an die sich alle erst einmal gewöhnen mussten. Sie hielt sich zurzeit stationär im Mutterhaus, einem Krankenhaus in der Trierer Innenstadt, auf, damit sich ihr Blutzucker nach der langen Zeit ohne Insulin wieder regulierte. Heute jedoch durfte sie den Tag probeweise bei ihrer Familie verbringen. Am Abend jedoch war es wieder Zeit, zurückzufahren.
„Ist immer noch hoch, aber ist schon besser geworden“, sagte sie und tat das Messgerät wieder weg.
Damit jedoch hatte sich das Thema erledigt und sie spielten ihre Runde zu Ende.
Abends öffnete Jessica ihr Fenster, setzte sich auf die Fensterbank und schaute nach draußen. Eine erfrischend kühle Brise wehte ihr ins Gesicht. Sie seufzte wohlig. Was für ein schöner Abend.
Der Himmel hatte einen Rosa-Apricot-Ton angenommen und wurde vereinzelt von Wolken weiß getrübt. Die Sonne glänzte golden unmittelbar über dem Horizont.
Es war ein wunderschöner erster Ferientag gewesen. Lisa hatte den Tag mit ihnen verbringen können, bevor sie wieder ins Krankenhaus gehen musste, damit man ihren Blutzucker für die nächsten Tage weiter beobachten konnte. Es war so viel passiert und sie hatten auch außerhalb dieser neuen Situation so viel erlebt. Trotzdem hatte sie das Gefühl, dass etwas fehlte. In ihren Gedanken blickte sie auf das letzte Jahr zurück. Jetzt fiel es ihr ein.
Das war es, was sie vermisste: den Nervenkitzel, die Skepsis, die Furcht, das Gemisch aus Gefühlen! Ein Abenteuer.
Über sich selbst schmunzelnd schüttelte sie den Kopf. Sie konnte doch nicht erwarten, dass jetzt jedes Jahr etwas passierte. Und wenn sie darüber nachdachte, musste es das ja auch nicht. Ferien waren dazu da, um sich von der Schule zu erholen. Und das war auch dringend nötig, die Lehrer hatten einen ziemlich auf Trab gehalten. Nächstes Schuljahr musste sie schon ihre Leistungs- und Grundkurse für die Oberstufe wählen. Eine Entscheidung, die dann ihre nächsten drei Jahre und auch die Zukunft nach der Schule beeinflussen würde. Wie schnell die Zeit doch rannte!
Sie seufzte noch einmal. Jetzt aber mit genervtem Unterton. Das alles spielte in diesem Augenblick keine Rolle. Es waren doch Ferien: frei von schulischen Verpflichtungen. Das musste man genießen! Sie blieb eine Weile dort sitzen und träumte vor sich hin.
*Zeitsprung*
Amankaya rannte und rannte. Sie war sich nicht sicher, ob das, was sie hörte, sie verfolgte oder es aus der Schlacht kam, welche sich hinter ihr abspielte. Sie vernahm markerschütternde Schreie, Kampfesgebrüll und das Weinen einiger Kinder. Sie zitterte. Der Kampf hier in Augusta Treverorum hatte gerade erst begonnen. Sie musste vorsichtig sein, um nicht darin verwickelt zu werden.
Die Frau lief so schnell sie konnte, bis sie endlich an ihrem Versteck angekommen war. Sie achtete auf ihre Umgebung und auf jedes Geräusch. Die Schritte waren verschwunden. Auch der Lärm der Belagerung war nicht mehr zu hören. Erleichtert atmete sie aus und durchquerte leichtfüßig einen schmalen Weg zwischen zwei Bäumen. Nun befand sie sich an dem Ort, an den sie gerne gegangen war, um nachzudenken oder sich vor ihrem Herrn zu verstecken. Er wirkte wie ein kleines Zimmer, da um ihn Bäume wuchsen, die den Ausblick verwehrten und deren Blätterkleid einen Schutz vor Regen bot. Durch die gute Tarnung und Abgelegenheit des Ortes war sie hier noch nie entdeckt worden. Sie setzte sich auf ihre Decke aus altem Stoff, die sie auf dem mit Blättern gepolsterten Boden ausgebreitet hatte, und seufzte.
Jetzt hieß es abwarten. Bevor dieser schreckliche Kampf kein Ende genommen hatte, musste sie hier bleiben. Für ihren Plan war das die einzige Lösung. Eine Weile saß sie dort und dachte nach. Sie dachte an ihren Vater, an ihr Heimatland und an Lucius. Sie reflektierte sich selbst in ihrer Situation und erschrak darüber. Ihr Leben hatte sich zum zweiten Mal gewendet: von einer Dienstmagd zur Ausreißerin und Diebin. Sie schmunzelte. Naja, wie gravierend diese Veränderung auch war, sie war wenigstens geplant gewesen. Nicht wie die, welche vorangegangen war. Während sie dort saß und über ihr Leben nachdachte, wurde es immer dunkler, bis sie schließlich nur noch Umrisse von ihrer Umgebung wahrnahm.
Sie verzehrte ein Stück Brot, welches sie mitgenommen hatte, und legte sich schlafen. Am nächsten Tag wollte sie sich von der Lage in Augusta Treverorum überzeugen, um einschätzen zu können, wie lange sie sich hier noch aufhalten musste.
„Lucius, hier bin ich! Wenn du mich fangen willst, musst du dich schon ein bisschen beeilen“, kicherte Amankaya.
„Na warte, gleich habe ich dich!“, drohte ihr Lucius.
Amankaya lief den beleuchteten Gang mit großer Geschwindigkeit entlang. Sie warf einen Blick auf Lucius, der nur wenige Meter hinter ihr war und die Hand nach ihr ausstreckte. Diese Geste amüsierte sie noch mehr und sie begann, ausgelassen loszulachen.
Als sie am Ende des Ganges angekommen war, lief sie beinahe einen Wächter um, der sich dort positioniert hatte.
„Amankaya, ich bitte dich, pass doch auf!“, maßregelte dieser sie. Sie entgegnete ihm ein über die Schulter geworfenes „Es tut mir leid!“ und rannte mit der gleichen Geschwindigkeit in den Garten hinein.
Er schmunzelte über das Verhalten des Mädchens, als er plötzlich von etwas anderem am Arm gestreift wurde. Er erschrak, doch beruhigte sich gleich wieder, als er einen 7-jährigen Blondschopf an ihm vorbeisausen sah.
„Entschuldigung“, rief dieser laut, ohne sich umzudrehen.
Der Wächter schüttelte lachend den Kopf und verfolgte die beiden Kinder mit seinen Blicken.
Amankaya schaute sich um, doch sie konnte ihren Spielkameraden nicht wiederfinden. Sie blieb stehen und verschnaufte. Diese ganze Rennerei hatte sie müde gemacht.
Plötzlich spürte sie eine Hand an ihrem Rücken. Lucius hatte sich an sie herangeschlichen.
„Du bist dran!“, verkündete er schadenfroh und entfernte sich wieder von ihr.
„Das ist unfair!“, protestierte sie und verfolgte ihn lachend.
Amankaya wachte ruckartig auf. Die Morgensonne erhellte ihr Versteck und einige Strahlen kitzelten sie im Gesicht. Langsam entspannte sie sich wieder. Sie setzte sich hin und streckte sich. Ihr Rücken schmerzte. Anscheinend hatte sie doch nicht so gut auf dem Waldboden schlafen können, wie sie es sich erhofft hatte. Sanft massierte sie sich ihre Schläfe und erlangte allmählich ihr Bewusstsein wieder.
Wehleidig atmete sie aus. Es war ein schöner Traum gewesen, der in ihr den Wunsch weckte, in ihre Kindheit zurückzukehren. Doch es kam ihr nicht vor wie ein Traum. Sie war sich sicher, dass sie diese Szene schon einmal erlebt hatte. Lucius war in ihrer Kindheit oft bei ihr gewesen und sie hatten viel miteinander gespielt. War es eine Erinnerung gewesen, die sich in ihrem Unterbewusstsein befand und ans Tageslicht gelangen wollte?
Sie schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken loszulassen. Sie hatte jetzt etwas anderes zu erledigen! Und das so schnell wie möglich… in dieser Stadt wollte sie keinen Tag mehr verbringen. Jetzt, wo Lucius nicht mehr lebte, gab es nichts, was sie noch in Augusta Treverorum hielt. Bei dem Gedanken an ihn verfiel sie erneut in Trübsal.
Bevor ihre Gedanken sich wieder nur um ihn drehen konnten, erhob sie sich und packte ihre Habseligkeiten zusammen: den Stoff, den sie als Matratze genutzt hatte, ihre Kleidung, das Essen, welches sie aus der Küche mitgehen gelassen hatte und das Gold… Ja, sie hatte ihren Herren wirklich bestohlen. Ob es diesem und seiner Frau aufgefallen war? Doch was interessierten die beiden sie noch? Es war doch eigentlich ein Segen für sie gewesen, dass die Franken kamen und sie sich so endlich unbemerkt von ihnen wegschleichen konnte. Sie hatte es gehasst, wie die beiden mit ihr umgegangen waren. Wenn sie es sich recht überlegte, stand ihr das Gold, das sie sich genommen hatte, sogar zu. In diesen vielen Jahren war ihr einziger Verdienst das karge Brot gewesen. Wenn ihr Hausherr ein Fest veranstaltet hatte, durfte sie sich manchmal die Reste des Festmahls aus der Küche nehmen. Sie schnaubte verächtlich. Dieser eine kleine Sack Gold und das wenige Essen hatten ihrem Herrn wahrscheinlich nicht einmal etwas bedeutet.
Jedoch durfte sie nicht vergessen, dass sie nur durch ihn von der Geheimtür des Kirchengebäudes wusste. Er hatte sich oft auf diese Weise Zugang hinein verschafft, um dort mit Leuten über ihr unbekannte Gegenstände zu handeln. Doch die Tatsache, dass diese Treffen nachts stattfanden und er nicht durch die Haupttore, die von Soldaten bewacht wurden, eintrat, sprach dafür, dass es dort nicht mit rechten Dingen zuging. Ihr war das allerdings gleichgültig. Für sie war die Tür eine Rettung gewesen, die sie vor den Franken bewahrt hatte.
Sie verließ ihr Versteck und biss in einen Apfel hinein. Das sollte ihr Frühstück für heute sein. Sie duckte sich unter den Ästen von Tannen hinweg und schob die prächtigen Zweige der Eichen aus dem Weg. Immer wieder blieb sie kurz stehen, um sich umzuhören. Immer wieder wurde sie mit einer gespenstischen Stille konfrontiert. Sie wusste nicht, ob diese Tatsache sie beruhigen oder verängstigen sollte. War es das Auge eines Wirbelsturms, in dem sie sich befand? Wo waren die Franken?
Dann war sie am Ende des Waldstücks angekommen. Sie lugte vorsichtig hinaus und erschrak. Sie sah Zerstörung und Leere, fürchterliche, unerträgliche Leere. Langsam trat sie heraus und versuchte, die mit Schutt beladenen Straßen zu durchqueren. Sie veranstaltete einen großen Lärm. Hoffentlich war wirklich niemand in der Nähe, der ein Problem für sie darstellen konnte.
Wie um ihre Hoffnung sofort zu enttäuschen, erklang plötzlich ein lautes Rufen: „Stehen geblieben!“
Ruckartig drehte sie sich um und sah einen Mann. Er griff hinter seinen Rücken und zog ein rotes Schwert hervor. Sie schien wie gelähmt. Die Waffe war von Blut geradezu getränkt.
Als er sich jedoch mit langsamen, großen Schritten näherte, erwachte sie aus der kurzen Trance und rannte los. Sie musste hier weg. Sofort!
Der Franke hatte diese Reaktion nicht erwartet und brauchte Zeit, um sich zu sammeln, bevor er ihr nachhastete. Ein kleiner Vorsprung, der Amankaya nur zugutekam. Sie atmete schwer, doch die Angst gab ihr Kraft. Der Mann schrie ihr etwas Unverständliches hinterher, doch sie beachtete ihn nicht.
Sie kam an der Ruine eines Hauses vorbei und betrachtete sie. Dieses zerstörte Haus kannte sie nur zu gut… Hier hatte sie früher gewohnt. Dann riss sie ihren Blick von dem Gebäude los und rannte weiter. Sie wagte einen Blick nach hinten, der Franke war nicht mehr zu sehen.
Als sie sich erleichtert wieder nach vorne richten wollte, merkte sie, dass eine Hand ihre Taille festhielt und sie zu sich zog. Ihr Schrei wurde von einer weiteren Hand auf ihrem Mund erstickt.
-
Ein paar Tage später stiegen Alex und seine Geschwister Lars und Jessica eine Treppe des Mutterhauses empor. Sie wollten ihre Schwester Lisa besuchen, um sie ein wenig abzulenken. Das gestaltete sich leider eher schwierig auf Grund des Corona Virus, der sich nach ihrem Sommerabenteuer weltweit ausgebreitet hatte und den Alltag erheblich einschränkte. Das galt auch für einen Besuch im Krankenhaus.
Glücklicherweise gab es da ihren Vater, der ein paar unbenutzte Ein- und Ausgänge kannte, und sie bei ihrem Vorhaben gerne unterstützte.
Oben angekommen, betraten sie die Kinderstation.
„Raum 307“, murmelte Jessica und hielt nach der Beschriftung der Türen Ausschau.
Sie schlichen ein paar Meter weiter nach links, bis sie einen längeren Gang entdeckten. Alex bewegte sich an der Wand entlang und spähte hinüber. Er war leer. Schnell winkte der Junge sie zu sich.
„Papa hat doch gesagt, wir müssen erst links und dann den Flur bis nach ganz hinten laufen“, erinnerte Jessica sich.
So leise wie möglich näherten sie sich dem Ende des Flurs. Sie kamen an einem Zimmer vorbei, aus dem lachende Frauenstimmen zu hören waren. Instinktiv duckten sie sich und setzen ihren Weg auf diese Weise fort. Schließlich gelangten sie zu den Patientenzimmern.
„307“, rief Lars glücklich, als er die Zimmernummer vor ihnen sah, und bekam von seinen Geschwistern ein „Pschtt!“ als Antwort.
Augen verdrehend öffnete er die Tür, trat ein und erblickte seine Schwester.
„Lisa!“, begrüßte der 8-Jährige das Mädchen, lief auf ihr Bett zu und umarmte sie.
„Moin Lars!“, antwortete sie lachend. Zögerlich traten auch Alex und Jessica hinein.
Alex bereute es, einen Kaugummi mit Minzgeschmack in seinem Mund zu haben. Wegen des Mundschutzes, den sie wegen Corona ständig tragen mussten, spürte er, wie die Schärfe zu seinen Augen zog und brannte. Schnell nahm er die Maske ab und sah sich in dem Zimmer um.
Die cremefarbenen Gardinen waren zurückgeschoben, sodass das Sonnenlicht den Weg durch zwei Glastüren hineinfand. Hinter den Türen erblickte der Junge einen kleinen Balkon. Neben Lisas Bett stand noch ein weiteres Gestell, auf dem eine unbenutzte Matratze ausgelegt war. Ansonsten war der Raum praktisch, aber liebevoll eingerichtet. Eine Wand war gelb gestrichen und mit einem kindlichen Motiv akzentuiert worden. Ein großer Schrank stand neben einem langen Tisch, auf dem auch ein Fernseher seinen Platz gefunden hatte. Und dort stand sein Vater. Alex atmete aus. Keine Krankenschwestern oder -pfleger befanden sich im Raum. Glück gehabt!
Seine Schwester Jessica hatte währenddessen Lisa ins Visier genommen und sich zu ihr gesetzt.
„Hat alles ohne Probleme geklappt?“, erkundigte ihr Vater sich.
„Ja, alles gut“, versicherte sie ihm und wandte sich ihrer Schwester zu: „Lisa, wie geht es dir denn?“
„Ach, bei mir ist alles super, wenn das so bleibt, bin ich in zwei Tagen auch endlich wieder Zuhause.“
„Das ist gut, es ist schon langweilig ohne dich. Niemand mehr da, der einem auf die Nerven geht“, witzelte Alex und zog eine Grimasse.
„Ich habe dich auch lieb“, antwortete Lisa und streckte ihm die Zunge raus. Sofort begannen sie zu kichern.
„Habt ihr Lust etwas zu spielen?“, wollte sie daraufhin wissen. Ihre Geschwister nickten und sie teilte aus.
Nach einer Weile unterbrach ihr Vater das Spiel: „Kinder, ich glaube es ist Zeit, dass ihr euch von Lisa verabschiedet. Es sollte gleich wieder jemand kommen, der nach ihr schaut.“
„Ja, und diese Person wird es gar nicht gut finden, dass ihr so böse seid, mich zu besuchen, obwohl es nicht erlaubt ist“, setzte sie mit einem ironischen Ton hinzu und verdrehte die Augen.
„Okay“, willigte Alex ein und erhob sich.
„Warte!“, stoppte Lars ihn, legte in Höchstgeschwindigkeit seine restlichen Karten ab und schloss damit die Runde, „jetzt können wir gehen.“
Jessica lachte, umarmte ihre Schwester, verabschiedete sich von ihr und ihrem Vater und verließ den Raum zusammen mit Lars und Alex.
„Kinder, ich muss noch kurz ins Arztzimmer; ich habe noch Büroarbeit zu machen. Kommt einfach kurz mit, danach bringe ich euch raus“, forderte der Vater sie auf.
Sie liefen den langen Flur entlang, über den sie zu Lisas Zimmer gelangt waren, doch diesmal verhielten sie sich nicht so vorsichtig wie das erste Mal. Mit ihrem Vater wich ihre Angst, entdeckt zu werden, ein wenig. Dann stießen sie auf eine Tür, die sich automatisch aufschob, wenn man auf einen Schalter neben ihr drückte. Zu ihrem Glück war sie vorhin noch offen gewesen, als sie hindurchgeschlichen waren. Ihr Vater öffnete mit seinem Schlüssel die nächstgelegene, rechte Tür und ließ die drei vorgehen.
Sie betraten einen Vorraum, der von einer weiteren Tür von dem kleinen Büro, welches sich dahinter befand, abgetrennt war. Die Kinder bekamen von ihrem Vater ein Zeichen, dort auf ihn zu warten und sahen sich um, während er die Tür zum Büro hinter sich schloss.
An der Wand gegenüber den Spinden sahen sie ein Foto hängen, das einige Mitarbeiter des Mutterhauses in einer Küche zeigte, die den Betrachter freundlich anlachten.
Alex und Jessica lächelten. Ihre Gedanken drehten sich bei dem Anblick erneut um das Erlebnis letzten Jahres. In dieser Küche hatte Alex Jessica dazu überredet, ihrer Suche nach dem verlorenen Römerschatz eine Chance zu geben, dort hatte ihr Vater ihnen erzählt, dass er an die Existenz eines solchen glaubte, und sie somit ermutigt.
Dort hatten sie aber auch Bekanntschaft mit ihren Verfolgern gemacht, Herrn Becker und… „Herr Schwarz!“, rief Lars aus. Verdutzt und aus ihren Erinnerungen gerissen wurde er von seinen Geschwistern angestarrt.
„Na da! Schaut doch mal“, forderte Lars sie auf, während er auf seine neueste Entdeckung zeigte. Sie folgten seinem Finger zu den Spinden auf der gegenüberliegenden Seite. Alex ließ seinen Blick über die Beschriftungen der einzelnen Spinde gleiten. Und da sah er es:
J. Schwarz
„Lässt er sich öffnen?“, war Alex‘ erste Reaktion.
Die Art, wie er dabei seinen Kaugummi kaute, vermittelte den Eindruck totaler Unbekümmertheit.
„Du spinnst doch, das können wir nicht tun!“, beschimpfte ihn seine Schwester.
„Ist das dein Ernst, Jessi? Der hat dich mit einer Waffe bedroht und jetzt findest du es unmoralisch, seine Sachen zu durchsuchen?“
„Ich fühle mich hier einfach nicht wohl, außerdem könnte Papa jede Sekunde wiederkommen.“
„So viel Zeit muss jetzt sein“, antwortete Lars frech und machte sich mit Alex an dem Schloss zu schaffen.
Jessica kamen die wenigen Sekunden wie Stunden vor und die Spannung in ihr wuchs.
„Verdammt, es geht nicht!“, fluchte Alex.
Da hatte sie eine Idee. Sie zupfte in ihrer Frisur herum und zog eine Haarklammer heraus.
„Versuch es damit.“
„Ah, ich erinnere mich: Mädchen sind immer auf alles vorbereitet“, bemerkte Alex und spielte damit auf eine ähnliche Situation, die vor einem Jahr stattgefunden hatte, an.
Jessica zwinkerte ihm lächelnd zu und übergab ihm die Klammer.
Nach wenigen Sekunden war der Spind offen. In ihm fanden sie Arbeitskleidung, die schon etwas modrig roch, und eine kleine Tasche vor. Die Jungs durchsuchten sie, während Jessica die Kleidung vom Staub freiklopfte.
Alex runzelte die Stirn. Er wusste nicht, was er von dem Inhalt halten sollte. Er sah Pflaster, jegliche Art von Medikamenten, eine Schere und Verbandszeug. Es wirkte so normal, so schlicht. Hatte Herr Schwarz wirklich nichts anderes in seinem Spind aufbewahrt? Dann jedoch kam ihm ein anderer Gedanke: War es nicht das einzig Logische, dass es hier in dem Spind keine wichtigen Dinge gab? Er hatte gerade ja selbst gesehen, wie leicht er auch ohne den Schlüssel zu öffnen war.
„Leute, schaut mal!“, machte Jessica ihn und Lars auf sich aufmerksam und vertrieb so Alex‘ Gedanken.
Auf dem Boden lag ein zweifach gefaltetes Blatt, welches aus einer Hosentasche der weißen Jeans von Herrn Schwarz gefallen war. Lars hob es auf und wollte es schon auseinanderfalten, als Alex etwas hörte. Es dauerte nur einen kurzen Moment, bis er begriff, woher das Geräusch kam. „Achtung, da kommt jemand!“ Jemand machte sich an der Tür zum Arztzimmer zu schaffen und würde gleich eintreten. Der Schlüssel klimperte vor sich hin.