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Der weitgereiste, unternehmungsfreudige, skat- und fußballbegeisterte Rentner Paul und seine Ehefrau Erika erfüllen sich einen Traum: Sie erwerben in Puerto de la Cruz auf Teneriffa eine Wohnung und verbringen zehn zusätzliche Frühlinge im Winter auf der Insel. Dabei werden sie mit interessanten Lebensgewohnheiten, Traditionen und Landschaften konfrontiert. Die beiden erfahren viel über die Geschichte der Insel, lernen neue Freunde und Bekannte kennen. Paul trifft noch vor dem ersten Winter den Guanchen Waldemar vom Bollullo-Strand. Der in einer Höhle lebende Einsiedler hat ein Geheimnis. Wird Paul eines Tages Waldemars Geschichte erfahren? Lassen Sie sich mit einem spannenden Unterhaltungs-Mix aus Autobiografie und Fiktion überraschen.
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Seitenzahl: 398
Veröffentlichungsjahr: 2024
Impressum
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.
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© 2025 novum publishing gmbh
Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt
ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0239-8
ISBN e-book: 978-3-7116-0240-4
Lektorat: Juliane Johannsen
Umschlagfotos: Horst Pape, Florentrols | Dreamstime.com
Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh
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Widmung
Der Autor bedankt sich herzlich bei seiner Schwiegertochter Mara, der Nachbarin Anita und seinem kollegialen Freund Richard für deren freundliche Unterstützung beim Korrekturlesen und diversen Formulierungsvorschlägen.
Kapitel 1
Los Cristianos
Es war am Sonntag, den 3. Januar des Jahres 1982, als Paul unvermittelt aus seinem gewohnten Mittagsschlaf gerissen wurde. Verschlafen rieb er sich die Augen und sah dann seinen sechzehnjährigen Sohn Peter vor sich. Erst wollte er sich über diese Störung beschweren, besann sich aber, denn er blickte in strahlende blaue Augen.
„Was ist, mein Sohn?“, lächelte Paul fragend. „Entschuldige, Vater, gestern hat mir mein Freund Detlef von seinem Urlaub auf Teneriffa erzählt. Er ist von dieser Insel sehr begeistert und hat mir sogar einen Prospekt von der Insel überlassen.“ „Ja, und?“, erkundigte sich Paul. „Die Insel soll ein wahres Naturparadies sein, und damit, so meine ich, müsste sie sich doch für deine und Mutters Suche nach einem passenden Urlaubsort empfehlen“, strahlte Peter erwartungsvoll. „Schlage es deiner Mutter vor“, grummelte Paul und wandte sich wieder zur Seite. Paul hatte eine anstrengende Woche hinter sich, er musste als verantwortlicher Bezirksdirektor in einigen von ihm überwachten Läden die Inventurarbeiten kontrollieren und war deshalb noch sehr angespannt.
Da in der Planung familiärer Urlaubsreisen Pauls Ehefrau Erika schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden hatte, war der Hinweis, es der Mutter zu sagen, sehr berechtigt. Selbst seit ihre beiden Söhne nicht immer mitreisen wollten, sondern auch mal ihre eigenen Wege gingen, blieb es bei dieser Regelung.
Bernd, der drei Jahre ältere der zwei Söhne, hatte nach dem Abitur eine Lehre als Landschaftsgärtner begonnen, diese auch erfolgreich abgeschlossen und nur wenig später mit seiner Freundin Sabine in Duisburg eine eigene Wohnung bezogen.
Sohn Peter war, im Unterschied zu Bernd, ein unruhiger Geist. Er besuchte noch das Gymnasium „Filder Benden“ in Moers, aber nur die Schulbank drücken, genügte ihm nicht. So machte er in seiner Freizeit alte Mofas wieder fahrtüchtig, um sie dann zu verkaufen. Auch besserte er sein Taschengeld mit einem Brötchen-Lieferdienst vor Schulbeginn auf. Auf Reisen mit seinen Eltern wollte er allerdings noch nicht verzichten.
An Schlafen konnte Paul nun nicht mehr denken, auch weil ihn der Hinweis auf Teneriffa zu beschäftigen begann. Als Erika ihre Männer zu Tisch bat, verflüchtigte sich das Thema Teneriffa wieder ein wenig, aber nicht bei Peter. Obwohl es eine seiner Lieblingsspeisen, grüne Bohnen mit Ketchup, gab, blieb er beim Thema Teneriffa: „Mutter, du kannst dich in dem wunderbaren Klima der Insel gewiss gut entspannen und Vater sicher auch“, lächelte er verschmitzt. „Und mir nützt es, vor dem bevorstehenden Abitur ein wenig abgelenkt zu sein.“
„Wann wäre uns ein Termin denn möglich?“, erkundigte sich Paul dann doch. „Für mich wäre, wegen der Osterferien, Ende März der beste Zeitpunkt. Wie aber passt es dir und wie Mutter?“, ereiferte sich Peter. „Den Termin könnte ich übernehmen“, sagte Paul nach kurzem Überlegen. „Zumal ich meine diesjährige Junggesellentour von März auf den Mai verschieben muss, weil einer meiner beiden Kumpels im März verhindert ist. Aber lass uns hören, was die Mutter davon hält“, nickte Paul und blickte dann mit Peter zu Erika. Und was sahen sie? Ein belustigtes Lächeln. „Lieber Peter, das kommt mir etwas zu plötzlich, dazu muss ich erst meinen Terminkalender studieren, aber die Idee finde ich nicht schlecht.“
Vielleicht dachte Erika auch daran, dass die Familie sich aus besonderen Gründen schon zwei Jahre nur kleinere Reisen innerhalb der Bundesrepublik und im nahen Ausland gönnte, eine längere Reise also durchdacht werden musste. Erika und Paul hatten sich nach zwölf berufsbedingten Ortsveränderungen in Moers eine Doppelhaushälfte gekauft, was einiges an Nerven für Erika und viel der knappen freien Zeit von Paul abverlangt hatte. Jetzt aber fühlten sie sich hier am Germendonkskamp in Moers endlich zu Hause.
Erika und Paul, sie in Hildesheim und er in Dortmund geboren, konnten sich hier erstmals während ihrer Ehe einen breiteren Bekanntenkreis aufbauen.
Für Erika war es eine lustige Kniffel-Gruppe, die sich abwechselnd einmal im Monat bei ihr, bei Tutti, Beate oder bei Margret traf, sowie zu gemeinsamen Ausflügen in die nähere Umgebung. Auch Paul wurde wieder ruhiger, er traf sich an jedem ersten Donnerstag im Monat mit seinem Nachbarn Clemens und den Sportfreunden Norbert und Artur zum Skatabend. An Mittwochabenden war fast immer Sport bei ihm angesagt, wozu er sich mit Sportinteressierten in der Turnhalle am Germendonkskamp traf, um unter der Leitung des Trainers Bernhard vom MSV-Meerbeck nach einer Lockerungsgymnastik erst Faustball und danach Fußballtennis zu spielen. So blieb es auch nicht aus, dass der Bekanntenkreis immer größer wurde, und Pauls Kellerbar an manchen Wochenenden ein Ort der Kommunikation in behaglichen Runden wurde.
Diese erfreulichen Bereicherungen ihrer privaten Zeit belebten nicht nur Erikas und Pauls Eheleben, sie führten Paul auch in seiner beruflichen Arbeit zu neuen und positiven Impulsen. Er wurde gelassener und in manchem verständnisvoller, während Erika nach dreiundzwanzig Ehejahren und anstrengender Nachwuchsbetreuung ruhiger, ausgeglichener und fröhlicher wurde.
Nach dem Mittagessen wurde noch aufgeräumt, und dies machten sich Vater und Sohn zur Aufgabe, um Erika für das Studium ihres Terminkalenders Zeit zu geben. Nach dieser Arbeit begaben sich die beiden Männer ins Wohnzimmer, wo auch Erika schon weilte, sie wollten sich die Sportschau ansehen. Peter konnte jedoch, mit Blick zu seiner Mutter, seine Neugier nicht länger zurückhalten. „Mutter, was sagt dir die Überprüfung deines Terminkalenders?“ Erika lächelte: „Bei mir ist alles klar, ich könnte dabei sein“, war ihre kurze Antwort. „Danke“, lachte Peter, „das trifft sich ja famos.“ Er sagte es und stürmte in sein Zimmer in der ersten Etage, um den Urlaubsprospekt zu holen. „Da schau mal einer“, freute sich nun auch Paul, während er darin blätterte. „Ein Bungalow mit zwei Schlafzimmern in einer wunderschönen Anlage nahe dem Strand von Los Cristianos“, las er vor. „Was hältst du davon?“, erkundigte er sich daraufhin bei Erika. „Nicht schlecht, und auch der Preis stimmt“, gab Erika ihre Zustimmung. „Dann werde ich, wenn ihr einverstanden seid, am Montag im Reisebüro alles perfekt machen“, schlug Paul lachend vor.
Und Ende März hatte ihr Warten dann ein Ende. Am Düsseldorfer Flughafen hob eine Maschine mit dem Ziel Teneriffa-Süd ab, und voller Erwartungen flogen Erika, Paul und Peter zu ihrem neuen Urlaubsort.
Los Cristianos liegt im Süden der Insel unweit ihres Zielflughafens und ist etwa 70 Kilometer von der Inselhauptstadt Santa Cruz de Tenerife im Norden der Insel entfernt. Hier im Süden hatte sich ab den 1970er Jahren um das winzig kleine Fischerdorf Los Cristianos ein beachtliches touristisches Zentrum entwickelt. Allerdings war die Gegend schon im 16. Jahrhundert bekannt, denn eben dort war schon ein Hafen geschaffen worden, von dem aus Fähren zu den Inseln El Hierro, La Gomera und La Palma ausliefen. 1924 wurde für die stetig wachsende Bevölkerung in Los Cristianos eine Kapelle errichtet und ab den 1960er Jahren siedelten sich aufgrund der klimatisch günstigen Bedingungen im Süden Teneriffas einige Pflegeheime, vor allem für Lungenkranke und deren Rehabilitation, an, womit auch die touristische Entwicklung von Los Cristianos begann. Für den aufblühenden Tourismus wurden entlang der Südküste erste Strandabschnitte künstlich mit Sand aus der Sahara angelegt und seither lassen diese Uferpromenaden keine Wünsche mehr offen. Restaurants, Cafés und allerlei unterschiedliche Einkaufsstätten, kleinere und größere, boten alles, was man in einem Urlaubsort erwarten konnte.
Das Hotel, die umgebende Parkanlage und der weite Strand hielten, was der Urlaubsprospekt versprochen hatte. Auch Erika und Paul waren von der Umgebung dieses Ortes sehr angetan. „Hier kann man Urlaub machen“, freuten sie sich.
Mit Wanderungen und vielerlei Besichtigungen ließen sie keinen der gebotenen Höhepunkte aus. Und immer, wenn sie tagsüber in der Anlage waren, tummelten sich die drei in dem großen Swimmingpool, um danach das Bad in der Sonne auf der Liege zu genießen.
Wenige Tage vor dem Ende ihres Aufenthaltes besuchten die drei eine unterhaltsame Varieté-Show in Las Américas, der sich die Costa Adeje, Torviscas, Playa de Fañabé und La Caleta anschlossen, und hier durfte Peter seine Urlaubsabenteuer krönen. Mit seiner Eintrittskartennummer gewann er bei der angekündigten Verlosung eine Flasche Schampus, die er nach der Heimkehr in ihr Ferienhotel nach kurzer Kühlung köpfte und mit seinen Eltern genießen konnte.
„Warum nennt sich dieser Ort an Teneriffas Küste Las Américas, wenn alle anderen Küstenorte spanisch klingen?“, erkundigte sich Peter während ihres gemütlichen Beisammenseins. Paul blickte interessiert auf, aber Erika wusste es: „Der Name soll sich auf die bekannten US-Schauspieler Elizabeth Taylor und Richard Burton beziehen. Das Ehepaar hatte während des hier im Süden beginnenden Touristenbooms in Santa Cruz im Norden Urlaub gemacht, und war gut beraten, sich in der in Planung befindlichen Feriensiedlung einen ganzen Wohnkomplex zu kaufen, der sich Jahre später als ihre ertragreichste Geldanlage erweisen sollte.“ „Wenn das stimmt, war es jedenfalls clever von den beiden geschäftstüchtigen Stars der amerikanischen Filmbranche“, bemerkte Peter und gähnte dabei müde. Ja, er hatte sich ausgetobt, er bedankte sich bei seinen Eltern für den gelungenen Abend und zog sich dann in sein Zimmer in einem Nebengebäude zurück.
So verbrachten die drei auf dieser ihnen bisher unbekannten Sonneninsel im Atlantischen Ozean einen unvergesslichen und nachhaltigen Urlaub. Erika und Paul tat die Erholung sichtlich gut. Sie hatten miterlebt, wie sich Peter an ungestümen Wasserschlachten im Pool mit Gleichgesinnten beteiligte und Spaß an ausgedehnten Touren durch anspruchsvolles Gelände mit einem angemieteten Moped hatte. Auch ihre Spaziergänge, kleinen Wanderungen und organisierten Bustouren in die Umgebung waren eine Bereicherung für sie. Sie fühlten sich hier sehr wohl. „Hierher fliegen wir nochmals“, war Erika überzeugt.
Aus beruflichen Gründen mussten Erika und Paul Moers nach fünf erlebnisreichen Jahren wieder verlassen. Das musste sein, da Paul als Einkaufsdirektor in die Frankfurter Zentrale seines Arbeitgebers berufen worden war. Den Kontakt zu ihrem bisherigen Bekanntenkreis ließen sie jedoch nicht abbrechen. Ihre Immobilie konnten sie günstig verkaufen und zogen nun in ein angemietetes Einfamilienhaus in Rödermark, einem Ort in der Nähe von Frankfurt am Main.
Paul besaß mit Erika zwar in Brombachtal-Hembach ein idyllisch gelegenes Zweifamilienhaus, das Paul fünfzehn Jahre zuvor hatte bauen lassen und als ihr Altersruhesitz gedacht war, aber wegen der langen Wegstrecke zu Pauls neuer Wirkungsstätte wollten sie noch nicht dorthin ziehen. Dafür erfüllte Paul seinen Eltern, Lotte und Peter, damals einen Lebenstraum. Sie verließen ihr Heim, Pauls Geburtshaus in Dortmund-Hombruch, als Vater Peter vom Arbeitsleben als Bergmann Abschied genommen hatte, und fühlten sich danach im dörflichen Hembach, mitten im Odenwald mit einem Gemüsegarten direkt am Hause, sehr wohl. Auf sie traf der Spruch „Einen alten Baum verpflanzt man nicht“ nicht zu, inmitten der Natur blühten sie, von neuen Aufgaben gefordert, förmlich auf. Aber auch Erika und Paul verbrachten hier mit ihren Kindern in ihrer Ferienwohnung im oberen Stockwerk viel Freizeit, worüber sich die Großeltern und deren Enkel Bernd und Peter freuten.
Leider verstarb Pauls Vater nach einer kurzen, aber schweren Erkrankung im Jahre 1988. Von da an wurde Mutter Lotte noch öfter besucht, und Weihnachten wurde nur noch bei ihr im Odenwald gefeiert.
„Wo wollen wir Sylvester diesmal feiern?“, fragte Erika Paul kurz vor Weihnachten im Jahre 1990. Paul erinnerte sich an Teneriffa, und so entschieden sich die beiden für einen Kurzurlaub zum Jahreswechsel auf dieser Insel. Paul buchte einen Aufenthalt vom 27.12. bis zum 05.01. im Hotel Botanico in Puerto de la Cruz, im grünen Norden der Insel. Zuvor hatten die beiden in den vergangenen Jahren bereits Urlaube in La Caleta und an der Costa Adeje verbracht, aber den Norden Teneriffas kannten sie noch nicht. Das Hotel war großflächig von einer bezaubernden Gartenanlage umgeben und bot alle Annehmlichkeiten, die einen Aufenthalt zu einem unvergesslichen Erlebnis machten. Vor allem aber waren sich Erika und Paul einig: „Wir haben vieles gesehen, haben viel bereist, aber hier im grünen Norden der Insel fühlen wir uns, wie man sich nur in einem Paradies fühlen kann.“ Und dieser Kurzurlaub war es, der alle ihre Erwartungen erfüllte, danach hatten sie nur noch ein bevorzugtes Urlaubsziel, Teneriffa. Hier war es vor allem Puerto de la Cruz, wo sie sich zuhause fühlten. Von da an nutzten sie nahezu jede Gelegenheit, um dieses Paradies zu besuchen.
Fern der Ferienerlebnisse ging das Leben der Familie jedoch gewohnt weiter.
Sechs Jahre vor Pauls Pensionierung dachten Erika und Paul wieder an einen neuen Umzug, und es sollte ihr letzter werden. Nachdem in recht kurzer Zeit zweimal in ihr gemietetes Einfamilienhaus in Rödermark eingebrochen worden war, woran vor allem Erika litt, wurde ein erneuter Ortswechsel nötig. Ein Umzug in das Haus im Odenwald, das ursprünglich als ihr Altersruhesitz vorgesehen war, kam für Erika aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr in Frage. Die Räume im Obergeschoss waren dafür zu klein. Und deshalb dachten beide, Erika wie Paul, wieder an Moers, ihre neue und alte Heimat. Mit der freundlichen Hilfe von Pauls Sportfreund Rüdiger, dem erfahrenen Sparkassendirektor, gelang ihnen rasch, im Ortsteil Schwafheim eine sehr schöne Bleibe zu kaufen. Sie entschieden sich für die Parterre-Wohnung in einem Zweifamilienhaus mit einem sechshundert Quadratmeter großen Garten, den ihr Sohn Bernd mit seinen Mitarbeitern nach seinen Ideen und zu Erikas Freude umgestaltete.
Jetzt begann eine Zeit der Wochenendehe für die beiden. Paul wohnte, seiner beruflichen Verpflichtung wegen, nun an Wochentagen bei seiner noch rüstigen siebenundsiebzigjährigen Mutter im Odenwald, während Erika sich in Moers allein wieder einleben musste. Über diese gefundene Lösung freute sich Pauls Mutter natürlich, sie konnte jetzt wieder ihren Sohn verwöhnen, wenn er denn mal im Lande war. Berufsbedingt war er fünf Monate des Jahres im Ausland tätig.
Im Dezember 1996 wurde Paul nach über zweiundvierzig Jahren Tätigkeit im selben Unternehmen in die Altersruhe entlassen, und von da an war dann Moers auch für ihn wieder die Heimat.
Rasch wurden einstige Freizeitaktivitäten mit den alten Bekannten und Sportfreunden in Moers wieder zur alltäglichen Gewohnheit, die Erika mit wöchentlichen Turnabenden und Paul mit monatlichen Kegelabenden ergänzten. Auf Dauer genügte dies Paul doch nicht. Als Bernhard, der Trainer der Mittwoch-Sportgruppe aus Altersgründen zurücktrat, nahm er die Herausforderung an, und machte den Trainerschein in der Sportschule Duisburg-Wedau und versuchte danach sein Glück als Trainer, zum Vergnügen seiner Sportfreunde, die begeistert mitmachten.
Kapitel 2
Die Entscheidung!
Wann immer Paul seine Reiselust beschreiben wollte, sagte er: „Besser selber sehen, als davon nur zu hören oder lesen.“ Reisen war für ihn der beste Weg, um die Welt besser kennenzulernen.
Dies galt auch für seine jährlichen vier- bis sechstägigen „Kulturtouren“ mit seinen Kollegen Peter, Reinhard und Siggi, mit denen er fast alle Hauptstädte Europas schon besucht hatte. Diese Reisen gönnte ihm Erika, zumal sie immer auch Pauls Reisen mit der Familie anregen konnten. Mit seiner Familie hatte er schon die Niederlande besucht, war mit nach Österreich gefahren, nach England und auch nach Dänemark. Und als die Kinder flügge geworden waren, bereiste er mit Erika die USA und Kanada, und einige Länder in Asien und in Afrika, und als Besonderheit betrachtete er ihre gemeinsame Reise nach Australien. Innerhalb Europas galt das Interesse der beiden vor allem den Ländern Italien, Ungarn, Polen und Frankreich, und schließlich auch Spanien und Portugal. Erst in ihren reiferen Jahren besuchten sie dann die nordischen Länder Schweden, Finnland, Litauen und Norwegen, und mit großem Interesse auch Russland. Und so konnten die beiden mit gewissem Stolz sagen, dass sie schon die halbe Welt besucht hatten.
Was war es aber, das die beiden immer wieder nach Teneriffa und vor allem in den Norden der Insel trieb? Auf den Kanaren hatten sie schon die Inseln Gran Canaria und Lanzarote besucht, aber keine dieser Inseln hatten Erika und Paul so sehr begeistert wie eben Teneriffa. „Der ewige Frühling ist es, mit seiner immergrünen, paradiesischen Natur“, lächelte Erika auf solche Fragen.
Und so war es kein Wunder, dass sich die beiden auch im Februar 2010 entschlossen, ihren bevorstehenden Urlaub wieder in Puerto de la Cruz im Norden Teneriffas im Hotel Bahia Principe San Felipe zu verbringen. Von hier versprachen sie sich eine wunderbare Sicht auf die Playa de Martiánez und den Atlantischen Ozean. Da sie den Ort und seine Umgebung schon kannten, verbrachten sie hier ihre ersten Tage vor allem in der tropischen Gartenanlage und am Pool des Hotels, wo sie sich auch von der hervorragenden Küche von morgens bis abends verwöhnen lassen konnten.
Paul fühlte sich hier sehr wohl, denn nach den kältesten und schneereichsten Winterwochen der beiden letzten Jahre in der Heimat, hätte er sein erholsames Nichtstun gerne weiter gepflegt, aber Erika ließ dies nicht zu. Sie interessierte sich für die Geschichte von Land und Leuten, und daran sollte auch Paul sich beteiligen. Sie schlug deshalb vor, Puerto de la Cruz genauer kennenzulernen.
Puerto war im Jahre 1604 gegründet worden, auch wenn schon Menschen ein Jahrhundert früher hier gelebt und gearbeitet hatten. Schon damals wurde ein einfacher Hafen angelegt, obwohl die Gegebenheiten an der Nordküste zum Atlantik nicht besonders einladend waren. Die weitere wirtschaftliche Entwicklung erforderte einen Ausbau des Hafens, so entstand der „Puerto von Araotava“. Ab etwa der Mitte des 16. Jahrhunderts erblühte hier im Orotava-Tal der Weinhandel, der nach und nach immer wichtiger wurde. Weinstöcke wurden breitflächig angepflanzt, und für die Menschen in und um Puerto ergaben sich dadurch viele neue Betätigungsfelder. Fassbinder und Transportarbeiter, Schiffsleute zum Verladen und viele andere fanden mit ihren Familien dadurch zu neuem Broterwerb, was zur Folge hatte, dass die Bevölkerung ständig anwuchs. Um das Jahr 1604 gab es hier vielleicht 50 Häuser und 220 Bewohner, aber schon 630 Häuser mit 2 830 Bewohnern waren es im Jahre 1707. Ende des 19. Jahrhunderts begann das noch zarte Pflänzchen Tourismus zu wachsen, um dann, nach dem Zweiten Weltkrieg, geradezu zu explodieren. Daher wurde Puerto de la Cruz von der spanischen Regierung im Jahre 1955 zu einem „Ort von touristischer Bedeutung“ erklärt. 1963 begann die bauliche Umgestaltung der Stadt, die ihren Höhepunkt mit dem vierundzwanzig Stockwerke hohen Hotel Belair erreichte. Der Umbau des Lago Martiánez nach Entwürfen des Architekten César Manrique im Jahr 1971 war der Beginn einer Rückbesinnung auf Tradition und natürlich gestaltete Landschaft, wie sie auch an der Playa Jardín, die vom selben Künstler entworfen wurde, am westlichen Ende der Stadt noch heute erkennbar ist. Am 23. Mai 2006 erklärte die Regierung der Kanarischen Inseln die Innenstadt von Puerto und einige außerhalb liegende Gebäude als Gesamtheit zu einem Ort von kultureller Bedeutung.
Lange herumliegen war Erika nicht gewohnt, und sie mochte dies auch nicht. Sie schlug deshalb vor, den Ortsteil La Paz, was auf Deutsch „der Frieden“ heißt, den sie einst als Gäste des Botanico-Hotels besucht hatten, genauer kennenzulernen, zumal ihnen ein Liegen-Nachbar verraten hatte, dass dieser Ortsteil unter Touristen gerne als „Deutscher Stadtteil“ bezeichnet wird. Nach leichtem Gemurmel war Paul dann doch bereit, Erika zu begleiten. Direkt vor dem Ausgang ihres Hotels befand sich die Playa de Martiánez, ein Strand aus schwarzem Vulkansand, der über dreihundert Meter lang und fünfundzwanzig Meter breit war, der aber die beiden nicht zum Verweilen oder gar zum Schwimmen verführen konnte. Rechts unweit des Ausgangs blickten sie auf die imposante fünfzig Meter hohe, mit Sträuchern bewachsene Felswand, auf deren Plateau sich La Paz über Jahrhunderte lang entwickelt hatte.
Vom Hotel bummelte der großgewachsene, jetzt vierundsiebzigjährige Paul mit seiner eher zierlichen Erika durch eine ansehnliche Palmenallee, bemerkte dabei manche kleine Bausünden an den Hotelanlagen, und nach nur kurzer Zeit erreichten sie das große Einkaufscenter „Las Piramides de Martiánez“. Aber dafür interessierten sich die beiden an diesem Tage nicht, dieses wollten sie zu anderer Zeit besuchen.
„Hier müssen wir rauf?“, fragte Erika erschrocken, als sie über die Brücke des Martiánes Barrancos gingen und dann vor einer Treppe standen. „Diese Treppe endet wohl nie?“, stöhnte Erika. Über zweihundert Treppenstufen stiegen sie hoch, mühsam und immer wieder anhaltend, um nach Luft zu schnappen. Aber die Mühe lohnte sich, denn danach erreichten sie das Café Yucca. Und dieses Haus war eine kleine Überraschung für das Paar, denn das Café wurde von einem aus der Nähe von Grömitz stammenden Ehepaar geführt. „Na, dann sind wir wohl im ,Deutschen Stadtteil‘ von La Paz angekommen“, erinnerte sich Paul und bestellte auf der Terrasse des Cafés auf Erikas Wunsch zwei Zaperocos, obwohl hier auch ein mit Mineralwasser hergestellter deutscher Filterkaffee angeboten wurde. Aber Erika liebte diesen Zaperoco, eine köstliche spanische Spezialität, die in mehreren Schichten hergestellt wird. Die untere Schicht besteht aus süßer Kondensmilch, über die ein Espresso und ein Schuss Likör 43 kommen, alles dann mit Milchschaum ergänzt und mit einer Prise Zimt und einem Limettenscheibchen serviert wird. „Ach, schmeckt der himmlisch“, lobte Erika.
Nach dieser kleinen Einkehr bummelten die beiden weiter und erreichten nach einem erneuten, aber weniger steilen Anstieg eine kleine, recht schmucke Kapelle, die Ermita de San Amaro und damit das gewiss älteste Sakralgebäude von Puerto de la Cruz, das schon im Jahre 1591, durch die verstärkte Christianisierung der Menschen dieser Region, erbaut worden war. Die weit offene Tür lud zum Eintreten ein, und Erika und Paul folgten dieser Einladung gerne.
Beim Verlassen des Gebäudes blieb Paul auf dem Treppenabsatz stehen und wies geradeaus : „Erika, schau mal dort, siehst du da hinten das Spielcasino im Taoro-Park?“ „Ja, natürlich, aber was soll das?“, erkundigte sich Erika erstaunt, musste dann aber lachen: „Ein Besuch dort würde dir wohl sehr gefallen, aber mehr als das Casino gefällt mir der dortige Park“, erklärte Erika. Und damit hatte sie recht. Erika meinte eine weite Parkanlage, die mit ihren verschlungenen Wegen, mit Wasserfällen und Springbrunnen und vielen schattigen Plätzen unter exotischen Bäumen und Palmen jeden Besucher anspricht.
Erika sah jedoch noch mehr: „Schau mal weiter nach links, dann siehst du sogar auf den Teide mit einer weißen Schneemütze!“, jubelte Erika, als sie Spaniens mit 3 715 Metern höchsten Berg zum ersten Mal mit einer schneebedeckten Spitze sah, die sich vor dem azurblauen Himmel deutlich abhob. Nur wenige Schritte von der Kapelle entfernt war es ein Zufall, dass Paul ein in Rockwellschrift verfasstes Firmenlogo eines Immobilienmaklers bemerkte. Paul blieb stehen und überflog die angepriesenen Angebote. „Schau mal, Erika, ist das nicht …?“ Weiter kam er nicht, denn Erika unterbrach ihn: „Du denkst doch nicht daran, hier eine Wohnung zu mieten?“ Eine Antwort blieb Paul seiner Erika allerdings schuldig, denn genau in diesem Moment klingelte sein Handy. Es war sein Sohn Peter, der ihn anrief. Er erkundigte sich nach ihrem Befinden und ließ Paul wissen, dass seine Enkel, Paul und Finn, ihn und Oma sehr vermissen würden. Das freute Paul, denn er dachte gerne und oft an die zehnjährigen Zwillinge. Seit ihrer Geburt verbrachte er mit diesen, wann immer es möglich war, viel Zeit, und weit mehr als er es mit den eigenen Kindern gekonnt hatte. Damals hatte der Beruf eben Vorrang.
„Und was treibt ihr so?“, erkundigte sich der Sohn. „Wir spazieren gerade nach La Paz und stehen vor dem Schaufenster eines Immobilienmaklers, deine Mutter will hier unbedingt eine Wohnung mieten“, lachte Paul über seinen Scherz. Auch Peter lachte darüber, sagte dann aber: „Das lasst besser bleiben, wenn ihr an so etwas denken solltet, dann denkt doch eher darüber nach, auf Teneriffa eine Wohnung zu kaufen!“ „Jetzt machst du aber Witze“, erwiderte Paul etwas irritiert. „Ich meine das in allem Ernst, schaut euch mal um, was der Markt so hergibt, vierzehn Tage habt ihr ja noch Zeit. Welche Kosten für einige Aufenthalte auf Teneriffa fallen an? Kann man mit diesem Gesamtwert auch eine Wohnung kaufen, wenn man es über einige Jahre hochrechnet?“ Dies waren Peters letzte Worte, er wollte noch mit seiner Mutter reden. Paul schüttelte den Kopf. „Wie kommt mein Sohn nur auf so abenteuerliche Gedanken? Eine Wohnung auf Teneriffa kaufen?“ Wenige Minuten später war er mit Erika einig: „Der Junge spinnt doch!“
Die beiden bummelten weiter. Paul wäre nicht Paul gewesen, wenn ihn dieses Thema nicht noch weiter beschäftigt hätte. Schon in seiner beruflichen Arbeit liebte er es, von seinen Mitarbeitern auch mal scheinbar verrückte Ideen zu hören, denn verrückte Ideen helfen oft, völlig neue Wege zu finden und alte Trampelpfade zu verlassen. Dieser verrückte Vorschlag seines Sohnes beschäftigte Paul so sehr, dass er diesen bald gar nicht mehr als so verrückt sah. In seinem Oberstübchen quirlten einige „Wenn und Aber“ weiter, als er Hand in Hand mit Erika die sehr belebte Carreta Botanico am Canaris Center vorbei entlang spazierte. Erst als sie das Einkaufscenter La Cupula erreichten, lenkte ihn dies wieder ab. Hier musste Erika reinschauen. Dann, nach einem Rundgang durch das Handelshaus und die angrenzenden Geschäfte, brauchte Paul eine Stärkung. Erika war es recht, so steuerten die beiden auf dem Rückweg das Lokal Zebra Maria, ein gepflegtes Ecklokal mit einladend großem Terrassenbereich, an. Vom kleineren, aber rustikalen Innenbereich wäre sogar ein freier Blick in die Küche möglich gewesen, aber Erika zog einen kleinen Seitentisch im Freien vor. Die Pizza schmeckte vorzüglich, nur hätte sich Paul einen herberen Wein gewünscht. Dass ihn dies aber wortkarg gemacht hätte, glaubte Erika nicht. Sie ahnte sehr wohl, dass seine Zurückhaltung nur mit Peters Anruf und dem Kauf einer Wohnung zusammenhängen konnte. Und so war es auch. Paul griff das Thema recht bald auf und Erika hörte sich in Ruhe seine gedanklichen Ausführungen an, sie blieb aber reserviert. Als Paul dann sogar schon mit Rechenbeispielen zu „mieten oder kaufen“ begann, winkte Erika versöhnlich ab: „Lass uns erst eine Nacht darüber schlafen“, riet sie ihm. Erika kannte ihren Paul ja, er sprang gerne auf neue Ideen an und war ohnehin immer ein Freund schneller Entschlüsse. Solche hatten ihm in seiner beruflichen Arbeit ja meist mehr Vor- als Nachteile eingebracht.
Als sich der Himmel dann plötzlich zu verdunkeln begann, brachen die beiden recht eilig wieder auf. Solche schnellen Wetteränderungen entwickeln sich auf Teneriffa im Norden der Insel häufiger als im Süden. Aber ebenso schnell wie Regenwolken kommen, so verschwinden sie meist wieder, sorgen damit aber für eine natürliche Bewässerung der wunderbar grünen und blühenden Landschaften.
Am nächsten Morgen waren sich Erika und Paul, auch ohne viele Worte, einig. Sie hatten darüber nachgedacht und beide waren zu der Einsicht gekommen, dass sich ein Kauf eigentlich lohnen müsste, zumal sie sich ja für Teneriffa als Winter-Urlaubsziel für die kommenden Jahre längst entschieden hatten. Sie hatten ja schon vieles gesehen und ihre Entdeckerfreude fand allmählich ihre Grenzen. „Ich werde die Gegend nach einem passenden Immobilienhändler abklappern, dann sehen wir ja, was sich so alles anbietet“, schlug Paul vor, und Erika war damit einverstanden.
Ein „Irgendwann“ kannte Paul nicht, er liebte das „sofort“, und er musste auch nicht lange suchen, ihm war das Immobilienbüro Meier in der Calle de Hoya in der Nähe ihres Hotels schon aufgefallen. Hier wollte er versuchen, sich unverbindlich über die Möglichkeiten eines Wohnungskaufs zu informieren. Wenige Stunden später stand Paul dem Inhaber des Immobilienbüros dann auch gegenüber. Dieser ließ sich Pauls Größenvorstellung einer Wohnung schildern und hatte gleich mehrere Vorschläge parat. Eine davon befand sich in der City von Puerto, die schon am nächsten Tag zu besichtigen war. Paul war interessiert und versprach dem Mann, den Termin mit seiner Frau wahrzunehmen.
Nun war Paul in seinem Element. Nur mit einem Makler Kontakt zu haben? Nein. Er erinnerte sich wieder an Carmen, eine einheimische TUI-Reiseleiterin, die im Hotel zu bestimmten Zeiten für Kontaktgespräche bereitstand. Diese kannte sich auf der Insel bestens aus, und von ihr konnte er womöglich eine neutralere Meinung über den hiesigen Wohnungsmarkt erhalten. Und richtig, als er die Lobby betrat, sah er die hübsche, schwarzhaarige Carmen in der sogenannten Touristenecke allein an einem Tisch sitzen. Nach einer herzlichen Begrüßung sprach Paul sein Interesse am örtlichen Wohnungsmarkt an und ließ durchblicken, dass er, so sich eine Gelegenheit böte, eine Wohnung mit Wohn-, Schlafzimmer, einer Küche und einem nicht zu kleinen Bad kaufen wolle. Carmen hörte aufmerksam zu und dann schmunzelte sie. „So etwas ist leicht zu finden, wie aber sieht es bei dir mit Kinderfreundlichkeit aus, wie mit dem gewünschten Umfeld?“ Sie bat Paul um seine Einstellungen zur Nähe von Stränden, zu Einkaufsmöglichkeiten und natürlich auch, welche Preisvorstellungen er habe. Paul versicherte, keine Strandnähe anzustreben, sich über einen freien Blick aufs Meer aber freuen würde. Ein Kindergarten nebenan müsse nicht sein, gegen eine nahe, auch gut besuchte Grünanlage habe er keine Einwände, und preislich denke er so an 150 000 bis 200 000 Euro. Carmens offene Art gefiel Paul sehr, und er nutzte den Moment, ihr einziger Besucher zu sein, um ihr seinen halben Lebenslauf zu erzählen. Carmen lächelte: „Damit kann ich etwas anfangen“, sagte sie und empfahl Paul einen Makler in der Calle Acevino von La Paz. „Der kennt einige sehr schöne Wohnanlagen“, erklärte sie, als sich ein weiterer Gast ihrem Tisch näherte. Paul bedankte und verabschiedete sich.
Schnell eilte er zu seiner Erika auf der Liegewiese, die mal wieder die Marco-Polo-Broschüre „Teneriffa“ studierte und ein wenig erschrak, als ihr Paul von hinten kommend die Lektüre aus der Hand nahm. „Na, was hast du erfahren?“, erkundigte sie sich. „Davon später, erst muss ich eine Runde schwimmen“, lachte Paul. Dann aber, auf dem Weg zur Dusche, war Erika nur noch reine Neugier. „Nun erzähl schon“, forderte sie leicht ungehalten. „Ja, Hinweise auf Wohnanlagen haben mich begeistert“, lächelte Paul sie an. „Also eine brauchbare Perspektive für unsere Suche?“, antwortete Erika fragend und schubste dabei Paul in den Pool, um ihm mit einem mutigen Satz zu folgen.
Pünktlich erschienen Erika und Paul am nächsten Tag zu ihrem Termin im Büro des Maklers Meier. Nach einer freundlichen Begrüßung wies der Mann darauf hin, dass er nicht nur die eine, sondern auch eine zweite Wohnung im Ortsteil Las Arenas anbieten könne. „Dann lassen wir uns gerne überraschen“, antwortete Paul. Danach begab sich die kleine Gruppe zu dem ersten Objekt, das sich nur zweihundert Meter entfernt in der gleichen Straße, einer Fußgängerzone unweit des bekannten von César Manrique entworfenen und erbauten Meerwasser-Freibades befindet. Als sie etwa in der Mitte der Ladenzeile ankamen, blieb Meier vor einem Geschäftshaus stehen, wies auf die Außenfront und erklärte: „Hier im ersten Stock befindet sich die freie Wohnung!“ Paul rümpfte die Nase und schaute zu Erika. Er sah deren leichtes Kopfschütteln und sagte: „Die Besichtigung können wir uns sparen, die Lage ist für uns inakzeptabel.“ Herr Meier verstand sofort, er hatte wohl auch keine andere Entscheidung erwartet. „Dann lasst uns zurück in mein Büro gehen und ich fahre mit Ihnen in den Ortsteil Las Arenas, dort ist eine freie Penthouse-Wohnung zu besichtigen“, lächelte er. So geschah es auch. Die Größe der Räume dieser wirklich noblen Heimstatt überzeugte sowohl Erika wie auch Paul, denn ein eingebauter Grill auf der Veranda und die gute Sicht auf den Teide wirkten verführerisch. Auch der Kaufpreis war akzeptabel, aber irgendetwas hinderte beide daran, sich festzulegen.
Am folgenden Tag wollte Erika alle Gedanken um die Suche nach einer Wohnung verdrängen und bat darum, einen Spaziergang nach Punta Brava zu machen. Dieser Ortsteil von Puerto de la Cruz liegt am Ende der Playa Jardín, dem längsten und schönsten Strand in Puerto. Paul hätte ja lieber einen weiteren Makler in La Paz besucht, war dann aber einverstanden. „Vielleicht entdecken wir bei dieser Gelegenheit auch neue Wohnungsangebote“, tröstete er sich, und folgte Erika.
Unter azurblauem Himmel schlenderten die beiden bei gefühlten 23 Grad die Avenida Colón entlang, kamen am dortigen Meerwasser-Freibad und der Eremita San Telmo, einer kleinen Fischerkapelle vorbei, erreichten schließlich die geschützte Marina in der Altstadt von Puerto. Natürlich bemerkte Erika, dass Paul wieder vor einem Immobilienbüro stehen blieb. „Was hat er nun schon wieder?“, dachte sie. Paul hatte im Schaufenster ein Wohnungsangebot des Maritim-Hotels entdeckt. Dieses Hotel war ihm schon von der Terrasse eines Cafés im Taoro-Park aufgefallen, es war mit seinen fast zwanzig Stockwerken und zwei Wohntürmen an der Atlantikküste unübersehbar. Erika wartete ungeduldig, und ohne ihre Frage nach dem Warum seines Zurückbleibens zu beantworten, schlug er ihr vor, den Spaziergang über Punta Brava hinaus bis zum Maritim-Hotel zu verlängern. „Warum denn das?“, fragte Erika kopfschüttelnd. „Das erzähl ich dir, sobald wir dort sind“, schmunzelte Paul. Gedanklich war er inzwischen bei einer Wohnung in einem Hotelbereich, wie er eine solche in Marbella an der Costa del Sol in Andalusien vor einigen Jahren mit Erika kennengelernt hatte. Paul dachte auch an mögliche Pool- und Gartenbenutzung, dachte an Handwerker- und Notfallservice und auch an mögliche soziale Kontakte. Erika ertrug sein Schweigen zwar, brachte ihn mit einer Frage dann doch wieder auf den Boden der Realität: „Wo machen wir endlich eine kleine Pause, die haben wir uns nach dem anstrengenden Pflasterlaufen wohl verdient?“ „Wir können bis nach Punta Brava weitergehen, oder wir finden schon eine Möglichkeit an der Strandpromenade der Playa Jardín“, antwortete Paul, der natürlich lieber schnurstracks zum Hotel gegangen wäre.
Nach etwa fünfzehn Gehminuten verließen die beiden die Altstadt, kamen am Kreuz El Penón in dem Tempelchen vorbei und erreichten das Castillo San Felipe. Ein wahrlich prächtiges Festungsbauwerk, das schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts erbaut worden war, um die Landebucht in der Mündung des Barranco Felipe vor Piraten zu schützen. Die Anlage war mit vier Kanonen bestückt und bot damals 35 Männern eine sichere Unterkunft. Das Castillo wurde durch eine große Flut im Jahre 1826 allerdings stark beschädigt und Ende des 20. Jahrhunderts restauriert. Heute dient es kulturellen Zwecken.
Nach dieser imposanten Festung begann mit der Playa Jardín der wohl bekannteste Strandabschnitt dieser Region. Auch dieser wurde in den 90er Jahren von dem renommierten kanarischen Künstler César Manrique geschaffen, mit dem Ziel, den Besuchern Wohlgefühl und Entspannung zu vermitteln. Schon allein der Zugang zum Strand über Gärten mit endemischen Pflanzenarten, über kleine Pfade zwischen Vulkansteinmauern und an Wasserfällen vorbei, sorgt für jedermanns Wohlbefinden.
„Hier werden wir ein passendes Lokal für einen Café con leche finden“, freute sich Paul. Und nur wenig später, als sie die Umkleidekabinen links des Strandweges und die Duschen auf der rechten Seite passiert hatten, bot sich eine Möglichkeit zur Einkehr. Leider sagte diese Erika nicht zu. Also gingen sie über die etwas höher gelegene Landzunge El Charcón weiter. Hier hatten sie einen herrlichen Blick, nicht nur über den schönsten Strandabschnitt der Playa Jardín, sondern bis zu dem verträumten Örtchen Punta Brava. Und mit dem Restaurant Los Faroles fanden sie für Erika auch eine ansprechende Lokalität, wo sie sich den ersehnten Café con leche servieren ließ. Paul, der sich ein Cerveza bestellt hatte, ahnte sehr wohl, dass Erika ihre Neugier nur mit Mühe zurückhalten konnte. Und dies traf zu: „Nun sprich doch schon, was hast du dir wieder ausbaldowert?“, bohrte sie hartnäckig. Paul schilderte Erika nun recht ausführlich, was er gesehen und sich im Geiste auch schon zurechtgedacht hatte, und seine Gedanken beunruhigten Erika, auch wenn sie nicht widersprach. „In einem Hotel wohnen?“ Natürlich sprach einiges dafür, aber Erika musste darüber noch nachdenken.
Wieder etwas erholt, wanderten die beiden den Strandweg weiter, kamen am Loro-Tierpark vorbei und erreichten dann mit Punta Brava einen der hübschesten Ortsteile von Puerto de la Cruz. Die dort direkt am Meer liegenden Häuser, Straßen und Plätze haben ihren ganz eigenen Charme. Scheinbar verirrten sich an diesem Tag nur wenige Touristen in dieses ehemalige Fischerdorf.
Lange aufhalten wollten sich Erika und Paul hier nicht, denn Pauls Ziel war das Maritim. Eine knappe halbe Stunde mussten sie noch gehen, um das Areal des Maritim-Hotels zu erreichen. Sie durchquerten dazu einen sehr schönen Park mit einer großen Poolanlage, erreichten dann die großzügig gestaltete Rezeption. Allerdings befand sich das von ihnen gesuchte Maklerbüro im Nachbargebäude. Aber auch hier hatten sie Pech, denn an diesem Tage war das Büro nicht geöffnet. Ein zufällig vorbeikommender älterer Herr bemerkte ihr augenblickliches Desaster und stellte sich als Wallraf vor. Er erzählte, dass er hier schon viele Jahre eine eigene Wohnung besäße, und erkundigte sich, ob er irgendwie helfen könne. Paul erklärte ihm, dass er und seine Frau daran dächten, sich hier möglicherweise einzukaufen, aber noch unschlüssig seien. Der freundliche Mensch erklärte daraufhin, dass hier mehrere Wohnungen frei seien, und hatte auch einen freundschaftlichen Rat: „Und wenn ihr euch zu einem Kauf entscheidet, dann rate ich von einer Wohnung mit direktem Blick auf den Atlantik ab, auf dieser gen Norden liegenden Seite kann es ungemütlich kalt werden“, und schüttelte sich dabei, scheinbar fröstelnd.
Erika und Paul bedankten sich für die freundliche Auskunft und mit dem Gefühl, in ihrer Suche einen Schritt weiter gekommen zu sein und begaben sich in ihr Hotel zurück.
„Was ist denn das? “, erschrak Erika, als sie ihr Zimmer betraten und auf dem Doppelbett einen großen Zettel liegen sahen. Es war ein Warnhinweis des Hotels, mit dem sie gebeten wurden, ihrer eigenen Sicherheit wegen die Fenster und Türen zum Balkon geschlossen zu halten, weil ein Sandsturm zu befürchten sei. Ungläubig schüttelte Erika den Kopf: „Wo soll denn hier feiner Sand herkommen, etwa der grobe, schwarze Sand von den Stränden?“ Paul lächelte und erklärte Erika: „Solcher Sand wird bei einer sogenannten Calima-Wetterlage über dreihundert Kilometer von der Sahara über den Atlantik bis hierher geweht, so wie es zuweilen auch bei uns zuhause vorkommt, was wir immer dann sehen können, wenn geparkte Autos und unsere Veranda von hauchdünnen Sandschichten bedeckt sind.“ Paul konnte nur weniges erschüttern und roter Sand aus der Sahara gehört nicht dazu, er schlief die Nacht über tief und fest. Am nächsten Morgen zuckte er hilflos mit den Achseln, als Erika darüber klagte, durch die Gewalt des Sturmes zweimal geweckt worden zu sein. Sie klagte auch darüber, dass eine rote Sandschicht unterhalb der Balkontür über einen Meter weit ins Zimmer geweht worden sei. Als sie dann beide vom Balkon hinabschauten, waren die Auswirkungen eines Sturms deutlich zu erkennen. Abgebrochene Äste und Palmzweige schwammen im Pool und emsiges Hotelpersonal war schon mit Aufräumarbeiten auf den Wegen beschäftigt. „Gibt es solche Stürme öfter hier?“, erkundigte sich Erika leise. „Dann sollten wir den Kauf einer Wohnung doch noch überdenken!“ Paul beruhigte seine Erika wieder: „Solche Unwetter erleben wir doch auch zuhause in Moers!“
Als sie später wegen des gesperrten Aufzugs den Frühstücksraum zu Fuß erreichen wollten, war auf ihrem Weg eine zwei Meter hohe, umgekippte Zimmerpalme zu übersteigen, und im Treppenflur mussten sie über Unmengen Glassplitter und anderen Unrat balancieren. Zwei Eckfenster waren im Sturm zerbrochen und in der Lobby war wegen der zersplitterten Glasflügeltür der Zugang zum Garten mit Sesseln provisorisch gesperrt.
Natürlich war dieses Unwetter im Frühstücksraum jetzt das alles beherrschende Thema. Ob an den Tischen oder am Büfett, jede und jeder hatte bei diesem nächtlichen Höllenlärm einen anderen Horror erlebt. Paul blieb auch jetzt gelassen, er bedankte sich bei Erika dafür, dass sie ihn trotz allen Lärms in der Nacht nicht geweckt hatte.
„Und was machen wir heute?“, erkundigte sich Erika, als sie sich nach dem Frühstück wieder beruhigt hatte. „Lass uns doch den Ortsteil La Paz besuchen, von dem mir die hübsche TUI-Reiseleiterin Carmen anvertraut hatte, dass es dort ausgesucht schöne Wohnungen zu kaufen gäbe.“ La Paz zu besuchen gefiel Erika, auch wenn der Weg nach dem Sturm dorthin beschwerlich sein konnte. Und ja, der Sandsturm hatte auch hier seine Spuren hinterlassen. Nach dem mühsamen Aufstieg der über zweihundert Treppenstufen und einem Stück des Weges über die Carreta Botanico bogen sie nach links in die von Carmen empfohlene Calle Acevino ab und erreichten eine eher bescheiden anmutende Einkaufsmeile. Natürlich tasteten Pauls Augen wieder alle Hausbeschilderungen ab, es hätten darunter ja solche von Maklern sein können. Lange musste er nicht suchen. Nach nur wenigen Metern hinter einem kleinen Einkaufscenter wurde er im Tiefparterre des Masaru-Hotels fündig. Es war ein kleines Büro, in dem auch nur zwei Angestellte ihrer Arbeit nachgingen.
Und es war vor allem ein smarter, sehr sympathischer Niederländer, der sich die Wünsche seiner Besucher anhörte. Er erkundigte sich, ab wann sie denn eine Wohnung benötigen würden, und ob sie eine Wohnung mieten oder kaufen möchten. „Wir denken an einen Kauf“, sagte Paul. Er legte seinen Besuchern dann Bilder von geeigneten, leerstehenden Objekten vor und war im Übrigen die Geduld in Person. Zwei der abgebildeten Objekte gefielen Erika und auch Paul. Edwin, so hatte sich der Mann vorgestellt, nickte verstehend und ließ sich von seiner Kollegin die Schlüssel für diese Wohnungen geben und lud seine Kunden in sein Auto ein. Nach einer sehr kurzen Fahrt hielt er an einer sehr ordentlichen Anlage, die sich sowohl in direkter Nähe zum Garten des Hotels Botanico und ebenso zum Einkaufscenter La Cupula befand. „Sehr ansprechend“, lobte Erika nach der Besichtigung der Räumlichkeiten und Paul stimmte ihr beifällig nickend zu. Ähnlich äußerten sie sich auch nach einer Besichtigung in einer im maurischen Stil erbauten Wohnanlage namens Lotos Park. Ja, auch diese Wohnung gefiel sowohl Erika als auch Paul. „Aber wir brauchen noch Bedenkzeit und …“, weiter kam Erika nicht. Und der clevere Edwin bemerkte sehr wohl, dass seine Kunden noch unschlüssig waren, und da ihm noch etwas eingefallen zu sein schien, sagte er: „Ich habe noch ein weiteres Highlight hier in La Paz und auch das möchte ich Ihnen zeigen, müsste dafür allerdings mit einer befreundeten Kollegin sprechen, die für ein anderes Maklerbüro arbeitet.“ „Aber ja, wir haben Zeit“, versicherte Paul. Edwin telefonierte nun mit der genannten Kollegin und lud seine Kunden zur Weiterfahrt ein. Nach nur wenigen Minuten erreichten sie über die Calle Sabina das Portal E des Strelitzia Parks 2, vor dem die von Edwin angerufene Dame wartete. Paul wunderte sich ein wenig, dass Edwin mit der Angestellten eines Konkurrenzunternehmens zusammenarbeiten wollte. „Warum nicht, die Courtage werden sie sich bestimmt teilen“, schmunzelte er sich in den Bart. Die freundliche junge Dame öffnete ihnen erst das Tor zur Anlage und im ersten Stock die Tür zu einer Wohnung. Nach nur wenigen Augenblicken dachte Paul: „Die könnte es sein“, und schaute zu Erika, die ihm nur zurückhaltend zulächelte. Beim anschließenden Rundgang durch den parkähnlichen Garten, an einem Wasserfall vorbei zum Pool, sah Paul Erikas glücklich strahlende Augen, nur die Lage der Wohnung war noch ein Knackpunkt. Das bemerkte Edwin wohl, und er wusste, woran er zu arbeiten hatte. Er bat Paul um seine Handy-Nummer und erkundigte sich, wie lange sie noch vor Ort wären. Dann fuhr er die beiden in ihr Hotel zurück. Nach all diesen Besichtigungen hatten Erika und Paul nur noch diesen einen stillen Wunsch: Es sollte eine Wohnung im Strelitzia-Park sein.
Lange brauchten Erika und Paul auf Edwins Anruf nicht warten. Schon am nächsten Morgen, als es sich die beiden auf der Sonnenliege in Pool-Nähe gemütlich gemacht hatten, klingelte das Handy.
„Sie könnten heute Nachmittag mit mir in der Strelitzia-Park-Anlage eine Wohnung besichtigen“, hörte Paul. Edwin erklärte ihm, dass der Besitzer auf das Festland ziehen und seine Wohnung verkaufen wolle. „Kann ich Sie um 15 Uhr abholen?“, erkundigte er sich. Da gab es kein Zögern: „Aber ja, wir sind bereit!“, versprach Paul. „Da hat der gute Edwin wohl alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Courtage alleine zu kassieren“, lachte Paul erheitert, als er Erika über den vereinbarten Zeitpunkt zur Besichtigung informierte. Edwin kam pünktlich und die Fahrt von ihrem Hotel nach La Paz, an der imposanten, hochragenden begrünten Felswand vorbei, erschien den beiden weit kürzer, als sie es tatsächlich war.
Dann ging alles recht fix. Ein braun gebrannter Spanier empfing Edwin und seine Begleitung mit seiner Lebensgefährtin, einer Dame aus Venezuela. Er stellte sich als Gonzales vor, sprach recht gut Deutsch und aus dem Gespräch entnahm Paul, dass er als Hotelmanager tätig war. Nun war es vor allem Erika, die vieles wissen wollte. Sie interessierte sich für viele Details der Wohnung, die Eigenheiten des Wohnzimmers, der Küche, und ebenso des Schlaf- und Gästezimmers. Und noch ausführlicher erkundigte sie sich nach dem geräumigen Bad und einer Gästetoilette. Die 75 Quadratmeter große Wohnung besaß einen idealen Zuschnitt, der sie größer erscheinen ließ, als sie wirklich war. Paul freute sich vor allem über die große, etwa vier Meter breite und zehn Meter lange geflieste Terrasse mit einem zwei Meter breiten Grünstreifen davor, auf dem vier kleine Palmen im Verbund und ein Wandelröschen-Busch standen. Und ebenso gefiel ihm, dass eine Schefflera-Hecke und ein kleines Türchen diese Wohnung zum Park hin abschloss. „Hier lässt sich ein Urlaub wohlig verbringen“, dachte Paul. Dann, nach einem Rundgang durch die Räume, bot Gonzales seinen Besuchern noch an, einige Möbelstücke des Wohnzimmers, das Schlafzimmer, Kühlschrank und Herd, sowie die Terrassenmöbel und die Lampen in allen Räumen zu übernehmen und wies nebenbei auch darauf hin, dass zur Wohnung eine abgeschlossene Garage gehöre. Diese Angebote kamen Erika und Paul durchaus gelegen, denn die gesamte Einrichtung samt den technischen Geräten war in gutem Zustand. Schließlich bat Gonzales seine Gäste zum Kaffee, und dabei sprachen sie dann über den Preis der Immobilie, der auch die übernommenen Einrichtungsgegenstände einschloss. Als Gonzales dann darauf hinwies, dass die Wohnung spätestens im April frei sein werde, war Paul begeistert.
Und so waren sich Erika und Paul ohne viele Worte einig, ein im Vergleich zu den bisher gesehenen Wohnungen faires Angebot erhalten zu haben.
Dann verständigten sich Gonzales und Paul noch darüber, dass Edwin beim Notar alle Vorbereitungen zum Vertragsabschluss treffen und Paul in Deutschland über den genauen Termin zur Unterschrift informieren sollte. Paul hielt es für selbstverständlich, auch seinen Sohn Peter schon von hier aus zu informieren. Er teilte ihm in knappen Worten mit, dass der Weg für einen Vorvertrag frei und per Handschlag besiegelt sei.
Nach dem Gespräch wies Edwin Paul noch darauf hin, dass er und sein Sohn sich auf jeden Fall beim spanischen Konsulat in Düsseldorf noch eine sogenannte NIE-Nummer (Número de Identidad de Extranjeros) besorgen müssten, weil ohne diese Steuernummer ein Wohnungskauf auf Teneriffa nicht möglich sei.
Dann war alles geregelt, man trennte sich, und Edwin fuhr seine Kunden ins Hotel zurück.
„Erika, wir haben gerade zum letzten Mal auf Teneriffa Urlaub in einem Hotel verbracht“, lachte Paul, als Erika ein paar Tage später die Koffer zur Heimreise zu packen begann.
Kapitel 3
Am Baumhaus
Nach den Aufregungen bei der Suche nach einer geeigneten Wohnung auf Teneriffa freuten sich Erika und Paul wieder auf ihr Zuhause in Moers.
Nach der Landung auf dem kleinen Flughafen Weeze an der holländischen Grenze waren sie erst einmal froh, dass der redefreudige Horst, ein Versicherungskaufmann, Skatbruder und Sportfreund aus Pauls Turngruppe, sie wieder abholte. Während der vierzig Minuten dauernden Fahrt nach Moers plauderte Horst über einiges, das sich vor Ort und in der Sportgruppe ereignet hatte, aber Erika und Paul waren recht unkonzentriert. Zu sehr wirkten die letzten Ereignisse auf Teneriffa bei ihnen noch nach.
Erst als sie an ihrem Haus am Siedweg ankamen, lebten sie wieder auf. Erika und Paul bedankten sich bei Horst dafür, dass er sie abgeholt hatte, aber dafür hatte dieser nur ein fröhliches Lächeln übrig und nach einem „Bis bald“ gab er Gas und fuhr wieder ins Büro.
„Ach wie schön“, seufzte Erika glücklich, als sie blühende Schneeglöckchen in ihrem Vorgarten erblickte. Und es war typisch für Erika, dass sie nach dem Abstellen des Gepäcks in der Diele sofort in ihren Garten eilte.
„Lass sie machen“, dachte Paul, dem der Garten nicht so wichtig war. Lieber sah er die eingegangene Post durch, die ihm in der Küche von der Nachbarin Anita auf dem Tisch bereitgelegt worden war. Es könnte sich ja etwas Wichtiges darunter befinden. Plötzlich klopfte es am Fenster, und Paul sah, dass ihm Erika energisch zuwinkte, zu ihr in den Garten zu kommen. „Ist was Schlimmes passiert?“, erkundigte er sich und fürchtete, Erika würde wohl aus einer Mücke wieder einen Elefanten machen. „Es ist schlimm genug, schau doch, die Fische im Teich bekommen zu wenig Luft, und schau hier die dicke Eisschicht über dem Wasser“, ereiferte sich Erika besorgt. Paul lächelte und beruhigte Erika: „Keine Sorge, meine Liebe, das Schilf im Wasser und am Uferrand leitet reichlich Sauerstoff unter die Eisschicht und keiner unserer Goldfische kann ersticken.“ Das leuchtete Erika ein. Sie schaute sich weiter im Garten um, wo schon erstes Leben zu erblühen schien: „Schau doch mal zur Zaubernuss, schau ihren herrlich gelb blühenden Busch an. Ist er nicht wunderbar?“ Paul winkte ab, sagte noch „ja – ja“, und begab sich wieder zu seiner Post. Kurze Zeit später beendete Erika ihre Garteninspektion, sie war mit allem zufrieden und nahm Pauls Einladung zu einem Glas Sekt gerne an. „Gibt es Neues in der Post?“, erkundigte sich Erika wie beiläufig, und Paul verneinte es.