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Romantasy voller Magie, Spannung und mit einer wunderbaren Liebesgeschichte – perfekt für alle, die gerne von einer anderen Welt träumen. Die Böse Königin ist zurück. Um Mia zu schützen, hat Liam sie – gegen ihren Willen – wieder in die Menschenwelt geschickt. Aber Mia findet keine Ruhe, solange sie weiß, dass die wunderbaren magischen Wesen in Gefahr sind. Sie setzt alles daran, zu ihnen zurückzukehren – und vor allem zu Liam. Der attraktive Prinz geht ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf, egal, wie sehr sie versucht, nicht an ihn zu denken. Nur gemeinsam haben sie eine Chance, die Dunkelheit mit Licht zu besiegen und das Schicksal der Magie zu retten. Wäre da nicht der Fluch, der auf Liam liegt und in dem er sich immer mehr zu verlieren droht... //Dies ist der zweite Band der mitreißenden Romantasy-Trilogie von Laura Nick. Alle Bände der »Zeilenmagie«-Reihe: -- Band 1: A Story of Light -- Band 2: A Story of Darkness -- Band 3: A Story of Power// //Es handelt sich um eine bearbeitete Neuauflage der beliebten Fantasyserie »Fabula Magicae«, erstmals erschienen unter dem Pseudonym Aurelia L. Night.//
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Laura Nick
Zeilenmagie 2: A Story of Darkness
In der magischen Welt zwischen den Buchseiten gehen gefährliche Dinge vor sich. Um Mia zu schützen, hat Liam sie zurück wieder in die Menschenwelt geschickt. Aber Mia findet keine Ruhe, solange sie weiß, dass die wunderbaren magischen Wesen weiterhin bedroht sind. Sie setzt alles daran, zu ihnen zurückzukehren – und vor allem zu Liam. Der attraktive Prinz geht ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf, egal, wie sehr sie versucht, nicht an ihn zu denken. Nur gemeinsam haben sie eine Chance, das Schicksal der Magie zu retten. Wäre da nicht der Fluch, der auf Liam liegt und immer mehr überhandnimmt …
Buch lesen
Vita
© privat
Laura Nick wurde im März 1995 inmitten des Ruhrpotts geboren. Jedem, der sie hören wollte – oder auch nicht –, erzählte sie Geschichten über fantasievolle Abenteuer und Liebe. Unter dem Pseudonym Aurelia L. Night hat sie seit 2016 Fantasy- und Liebesromane veröffentlicht. Sie ist aktives Mitglied im PAN e.V. und setzt sich für die deutsche Phantastik in der Buchbranche ein. Mittlerweile lebt, liest und arbeitet Laura Nick mit ihrem Ehemann in Niedersachsen, nahe des Meeres und der niederländischen Grenze.
Für Claudia,die Schwester, die ich niemals hatteund in dir gefunden habe.
Alendia vor 21 Jahren
Gras kitzelte unter ihren bloßen Füßen und der Wind spielte mit ihren Haaren, während die zwei jungen Frauen über die Wiese rannten, die gespickt mit Blüten war. Die Sonne schien freundlich vom klaren Himmel auf sie hinab. Das Lachen hallte über die Hügel und war noch meilenweit zu hören.
Außer Atem blieb Mariella neben ihrer Freundin stehen, die wie eine Schwester für sie war. Grinsend sahen die Mädchen ins Tal hinab. Glück durchflutete sie beide, weil sie dem Turm für wenige Stunden entkommen waren. Die frische Luft fuhr durch die Kleider und hob die Röcke an. Der Wind strich wie eine Liebkosung um Mariellas Knöchel und sie genoss die Freiheit. Sie wusste, dass diese ein kostbares Gut war, das sie nicht lange besitzen würde.
Aus den Schornsteinen der Häuser quoll Rauch, der in den Himmel wanderte. Die meisten Mütter waren nun dabei, das Essen für ihre Kinder zuzubereiten. Ein sehnsuchtsvoller Stich machte sich in Mariellas Innerem bemerkbar.
Zoeys dunkelrotes Haar wehte im Wind und Mariella bekam eine Strähne davon ins Gesicht, was sie von ihren trüben Gedanken ablenkte. Pustend wischte sie sie fort.
»Behalt deine Haare bei dir«, meckerte sie im Spaß.
Zoey sah zu ihr und ihre goldenen Augen funkelten im Schein der Sonne. Deren ebenmäßige Züge machten es Mariella schwer, die Freundin nicht als wunderschön zu bezeichnen. Doch die spitzen Reißzähne, die an den Mundwinkeln hervorsahen, zerstörten das Bild.
»Ach komm, du magst meine Haare doch«, wehrte Zoey ab und grinste der Freundin frech entgegen.
Mariella schüttelte lächelnd den Kopf. »Wir sollten wieder nach Hause gehen«, sagte sie leise. »Sie wird nicht mehr lange weg sein.« In ihrer Brust wurde es enger, als sie daran dachte, dass sie wieder in den Turm mussten, bevor ihre Mutter zurückkehrte. Sie hatte Angst vor dieser Frau, die das Schlimmste in ihr zum Vorschein brachte. Und doch waren diese Frau und Zoey alles, was Mariella an Familie besaß.
»Was passiert, wenn wir einfach abhauen? Wenn wir nicht zurückkehren?« Zoeys sonst so klarer Blick schien in die Ferne zu schweifen. Zu einer Zukunft, die in den Mauern des Turms kaum vorstellbar war.
Mariella verstand den Gedanken. Wie oft hatte sie schon davon geträumt zu verschwinden? Die Mutter hinter sich zu lassen und alles zu vergessen, was ihr beigebracht worden war. Der Turm war kein Zuhause. Er war ein Gefängnis. Nur hatte Mariella das zu spät verstanden. Wohingegen Zoey schlicht nichts anderes kannte.
»Wir würden anfangen uns zu bekämpfen«, wiederholte Mariella die Worte ihrer Mutter, die diese nicht müde war immer wieder in Erinnerung zu rufen. »Wir würden nicht nur uns vernichten, sondern ganz Mediocris in den Abgrund reißen.«
Das blonde Menschenmädchen spürte den zweifelnden Blick ihrer Freundin auf sich.
»Ich könnte dich niemals vernichten«, wehrte Zoey ab und griff nach Mariellas Händen. »Du bist nicht nur meine beste Freundin, sondern meine Schwester. Dich zu hassen käme für mich niemals infrage.«
Mariella wusste, dass Zoey die Wahrheit sagte. Sie könnte Mariella weder hassen noch vernichten. Aber das Problem war nicht Zoey. Das war die Dunkelheit, die in Mariellas Venen pulsierte und wie Pech jeden Winkel in ihr ausfüllte. Sie wusste mit unbrechbarer Gewissheit, dass diese Dunkelheit einen Grund liefern würde, weswegen sie einander vernichteten. Mariella wusste, dass ihre Magie noch schlief – im Gegensatz zu Zoeys, die ihnen die Nächte in dem dunklen, fensterlosen Turm angenehmer gestaltete und nun auch die Tage, an denen die Mutter nicht da war. Und sie wusste auch, dass ein Grund, warum dieses Pech noch so sanft in ihr schlummerte, ihre Ziehmutter war.
Mariella sah beschämt zu Boden. »Ich liebe dich wie eine Schwester, aber ich könnte dich hassen. Dich und so viele andere.« Sie spürte Zoeys Trauer, als wäre es ihre eigene.
»Das wirst du nicht. Ich vertraue dir. Lass uns verschwinden. Das Dorf ist nicht weit. Komm mit mir. Bitte!«
Mariella hob ihren Blick und starrte in Zoeys zuversichtliche Augen. Sie sah zu den Häusern in der Ferne. Die Sehnsucht schaffte es, dass ihr Herz sich zusammenzog. Mariella hatte sich immer vorgestellt, wie es wäre, wenn sie wirklich bei einer richtigen Familie aufwachsen würde. Mit einer Schwester oder einem Bruder, einer liebenden Mutter und einem Vater.
Doch alles, was sie hatte, war Zoey. Und ihre Mutter. Eine Mutter, die die Mädchen einsperrte, damit sie wachsen und gedeihen konnten. Damit sie einander nicht hassten und damit Mariella sich nicht zum Untergang für Mediocris entwickelte. Immer wieder hatte ihre Mutter wiederholt, dass sie, ihre Mutter, der Grund war, wieso Mariella und Zoey einander nicht verachteten. So oft, dass Mariella ihr glaubte und an nichts anderes zu denken wagte. Sie brauchte die Mutter, damit sich die Liebe, die sie für ihre Schwester empfand, nicht in Hass verwandelte.
»Komm«, wiederholte Zoey und zog sie mit in die Richtung, in der das Dorf lag. »Ich weiß, dass es das Richtige ist.«
Mariella zweifelte. Sie hatte Angst. Unglaubliche Angst, die sich um ihr Herz wickelte. Das träge Pech in ihr würde aktiv werden und alles vernichten, was sie liebte. Vehement schüttelte sie den Kopf und wandte sich von ihrer Freundin ab. Mit schnellen Schritten rannte sie zum Turm zurück. Die junge Frau spürte Zoeys Blick in ihrem Rücken. Am liebsten würde sie umkehren und ihre Schwester begleiten. Aber es ging nicht. Die Angst und das Wissen, dass sie alles zerstören würde, ließ sie mutlos werden.
Mariella wusste nicht, wie sie ohne Zoeys Magie zurück in den Turm kommen sollte, aber sie würde sich etwas einfallen lassen. Spätestens wenn ihre Mutter zurückkehrte, könnte sie in den Turm hineinkommen. Sie würde Ärger bekommen. Aber das war ihr egal. Zoey hatte es verdient zu fliehen. Mariella durfte ihre Schwester nicht davon abhalten. Wobei es ihr das Herz zerriss, sie ziehen zu lassen.
»Mariella!«, rief Zoey ihr hinterher.
Doch sie sah nicht zurück. Sie konnte nicht von ihrer Schwester verlangen, wie sie im Turm zu bleiben. Zoeys Magie war kein Pech. Sie war das reine Glück. Sie würde den Menschen in ihrer Nähe niemals wehtun. Sie wäre eine Bereicherung für die Bewohner von Mediocris – im Gegensatz zu Mariella.
Sie fühlte, wie sich eine Träne den Weg über ihre Wangen bahnte, und wischte sie rüde weg. Sie würde nicht weinen. Zoey war das genaue Gegenteil von ihr. Und das würde immer so sein. Sie war das Glück, das Leben. Mariella hingegen war das Pech und der Tod.
Der Turm kam in Sicht und Mariella blieb stockend stehen. Sie ließ den Anblick auf sich wirken. Hoch ragte das dunkle Gemäuer in den Himmel auf. Efeu rankte sich an dem porösen Stein hinauf und umwickelte ihn wie einen Mantel. Zoey hatte mithilfe ihrer Magie bunte Blumen in das Grün gezaubert. Doch noch immer wirkte der Turm dunkel und kalt. Aber er war die einzige Heimat, die sie kannte.
Ihre leiblichen Eltern waren tot oder hatten sie nicht haben wollen. Sie war immer allein gewesen. Dreckig und hungernd hatte sie in den düsteren Gassen von Eventyr gelebt. Ihre einzige Nahrung war der Abfall, den die Menschen in ihre Eimer geschmissen hatten – und diesen hatte sie sich mit Ratten teilen müssen.
In all diesem Dreck war die Frau, die sie als ihre einzige Mutter kannte, in ihr Leben getreten. Sie war genauso blond wie Mariella und wenn man nicht wusste, dass sie eigentlich nicht miteinander verwandt waren, würde man diese Lüge glauben.
Ihre Mutter hatte sie zum Turm gebracht – und zu Zoey. Die Mädchen waren gleich alt und in diesem Turm hatte Mariella zum ersten Mal das gefunden, wonach sie so lange gehungert hatte: eine Familie.
Jahre waren vergangen, bis Zoey und auch Mariella bemerkt hatten, dass dieser Turm eher einem Gefängnis glich als einem Zuhause. Aber zu dem Zeitpunkt hatte Mariella ihre eigene Magie schon durchschaut – ebenso wie Zoey und ihre Mutter.
Fortan hatten beide Kinder die Magie üben müssen, die in ihnen herrschte. Zoey hatte sich früh als Meisterin entpuppt und schnell Aufgaben für die Mutter erledigen müssen. Sie hatte sich von ihrer Magie einhüllen und sich auf ihr treiben lassen, während Mariella selbst einfach nur Angst vor ihrer eigenen Kraft gehabt und sich vor ihr verschlossen hatte.
Mariella schüttelte sich und warf die Gedanken beiseite. Sie musste zurück in den Turm. Er war die einzige Barriere, die sie daran hinderte, Mediocris zu vernichten und damit alle, die sie liebte.
***
Mariellas Rücken brannte von den Hieben und ihre Augen wegen der unvergossenen Tränen. Schon lange Zeit hatte sie sich geschworen, nicht wegen der Maßregelungen ihrer Mutter zu weinen. Sie starrte an die Wand des Turmes und hatte nur ein leichtes Hemd an, das nicht allzu schwer auf den frischen Wunden lag.
Ohne Zoeys Magie strahlten keine Sterne und auch nicht der Mond durch die rauen Wände, einzig Dunkelheit und Kälte waren um sie herum. Sie vermisste das sanfte Leuchten, das ihr in den finstersten Stunden des Tages einen Funken Hoffnung gegeben hatte. Erst jetzt traute Mariella sich die Traurigkeit zuzulassen, die in ihr herrschte, seitdem sie sich von Zoey getrennt hatte. Langsam floss das Salzwasser zunächst über ihre Wangen, bis sie ungehemmt schluchzen konnte.
Die Mutter war ausgezogen, um Zoey zu suchen. Mariella wusste nicht, ob sie wollte, dass ihre Schwester gefunden wurde, oder nicht. Sie vermisste das Elfenmädchen. Aber sie wollte auch, dass ihre Freundin glücklich war – zumindest wusste sie, dass dies das richtige Gefühl gewesen wäre. Etwas anderes brodelte in ihr, das mit dem Pech zu tun hatte. Aber Mariella wollte es nicht zulassen. Sie war nicht böse auf ihre Freundin.
Sie kniff die Augen zusammen und zwang sich den Hass loszulassen, den sie spürte, der alles in ihr einnehmen wollte.
»Mariella?«, flüsterte eine allzu bekannte Stimme.
Erschrocken richtete sich Mariella auf, zischte wegen der Wunden, die sich schmerzend bemerkbar machten, und sah zu Zoey, die im Dunkeln in ihrem Zimmer stand. Trotz des Ziehens auf ihrem Rücken stahl sich ein Lächeln auf ihre Lippen.
»Du bist zurückgekommen«, wisperte sie und wollte ihrer Freundin dankbar um den Hals fallen und sie gleichzeitig schütteln.
»Komm mit mir. Ich habe einen Platz zum Leben gefunden.«
Mariella runzelte die Stirn. Das Brodeln machte sich bemerkbar und ließ sie die Hände zu Fäusten ballen. »Nein. Ich kann nicht weg.«
»Doch, du kannst. Wir beide werden zusammen sein. Niemand wird sich zwischen uns drängen. Ich verspreche es.«
Sie sah zu Boden und setzte sich in ihrem Bett auf. »Zoey, ich kann nicht.« Mariellas Stimme klang verzweifelt und sie hasste sich in dem Moment dafür, dass sie ihre Schwester nicht begleiten konnte, weil die Angst stärker war als der Wunsch nach Freiheit.
Ihre Freundin betrachtete sie traurig. »Ich passe auf dich auf«, versuchte sie es noch einmal.
»Nein. Ich sollte nicht raus. Ich … ich bin hier am richtigen Ort.«
Sie hatte sich dieses Leben ausgesucht. Voller Freude hatte sie die Hand der Frau ergriffen, die ihr ein Zuhause und eine Familie versprochen hatte.
Zoey war schon immer in diesem Turm gewesen. Sie konnte sich an nichts anderes erinnern. Mariella war damals alles besser erschienen, als weiterhin allein zu sein. Niemals hatte sie damit gerechnet, dass ihre Schwester sie einmal verlassen könnte.
»Du solltest wieder gehen«, sagte Mariella, »bevor sie zurückkommt. Sie ist zornig.«
»Ich kann dich doch nicht hier allein lassen – nicht mit ihr. Sie tut dir – uns – nicht gut!«
»Du musst. Das hier ist mein Zuhause. Du gehörst nicht hierher. Du bist das Leben und dort solltest du hingehen. Ich muss hierbleiben. Ich bin gefährlich – für alle.« Und während sie das aussprach, wusste sie, dass sie auch für ihre Schwester eine Gefahr war. Wahrscheinlich für sie sogar die größte.
Die Matratze senkte sich unter dem Gewicht ihrer Schwester, die sich neben sie setzte.
»Ich will dich aber nicht allein lassen«, sagte Zoey leise und griff nach Mariellas Hand.
»Erzähl mir etwas«, versuchte Mariella ihre Freundin und sich abzulenken, damit sie selbst nicht auf das Drängen eingehen konnte. Sie wusste, dass Zoey nicht eher gehen würde, bis sie nicht vollends überzeugt davon war, dass es Mariellas absoluter Wille war, in diesem Turm zu bleiben. Und diese Kraft musste Mariella erst finden. Die Kraft, hierbleiben zu wollen. In diesem Turm, in dem sie Kälte, Einsamkeit und Dunkelheit erwartete.
»Ich … ich habe eine Familie gefunden. Die Leute … sie sind nett. Sie lieben einander. Und ihr Sohn heißt Aron. Er hat mich am Fluss gefunden. Ich hatte Angst und Aron setzte sich einfach neben mich und fragte, ob er mir helfen könne.« Zoeys Wangen färbten sich rot. »Aron ist nur ein wenig älter als wir und sieht gut aus – sehr gut sogar. Er hat mich mit ins Dorf genommen …«
Mariella bekam einen Kloß im Hals und ließ ihre Schwester weitererzählen. In diesen wenigen Stunden, die sie voneinander getrennt gewesen waren, hatte sie so viel erlebt. So viele Menschen und Elfen kennengelernt. Mariella bekam Fernweh.
Es war so ungerecht! Wieso konnte sie nicht das Leben sein? Wieso musste sie gerade die Gefahr sein? Sie wusste, dass sie unglaublich egoistisch klang. Und dass sie eigentlich nicht so empfand. Es war das Pech in ihr. Die dunkle Magie. Sie schloss die Augen und lauschte Zoeys Erzählungen. Sie versuchte sich zu freuen. Aber mit jedem Wort, das Zoeys Mund verließ, wuchs der Hass in ihr wie eine Dornenranke und schloss sich um ihr Herz.
»Ich mag Aron. Er ist unglaublich nett und sieht toll aus. Ich glaube … ich glaube, er ist es. Der Eine. Weißt du, was ich meine? Wie in den Geschichten, die wir mal in einer Kiste gefunden haben. Mein Herz schlägt lauter in seiner Gegenwart, seine Berührung fühlen sich an, als würde ein Blitz durch meinen Körper fahren … Und ich glaube, ihm geht es genauso«, erzählte Zoey.
Das Pech begann in Mariellas Adern zu brodeln und sie entzog der Schwester ihre Hand. »Du solltest gehen«, murmelte sie und wich dem besorgten Blick aus. Der Hass auf Zoey stieg mit jedem Wort, das sie sagte, und ließ die Dornenranke um Mariellas Herz wachsen. Sie verachtete ihre Freundin dafür, dass sie ihr das antat.
»Wieso? Mariella, du solltest mitkommen. Sie haben für uns beide Platz!«
»Nein, für mich hat niemand Platz«, sagte Mariella und meinte es ernst. Wieso sollte sie jemand haben wollen? Diejenige, die nur heuchelnd Liebe und Freundschaft zeigen konnte, während sich alles in ihr nach dem Hass verzehrte. Mit einem Mal spürte Mariella Zoeys Magie.
Der Duft von Blumen drängte sich in ihre Nase, ein Prickeln stieg über ihre Arme und all das verursachte ihr Übelkeit. Ein süßlicher Geschmack legte sich in ihren Mund, der sie fast zum Brechen brachte.
Die Gefühle bereiteten ihr Angst. Wieso spüre ich die Magie auf einmal? Sie horchte in sich, doch das Tor, das ihre Magie verschloss, war zu. Und sie würde nichts tun, damit es sich öffnete – zumindest hoffte sie das.
»Du spinnst«, warf Zoey ihr vor. »Du bist meine Schwester. Ich liebe dich! Und niemand könnte mich dazu bringen, anders zu fühlen!«
Mariella versuchte den Hass zu zügeln. Das Pech kochte in ihren Venen. Zoey hatte mit einem Schlag alles bekommen.
Eine Familie, die sie liebte. Einen Jungen, der der Eine für sie war.
Und sie?
Sie hatte gar nichts. Sie hatte sogar alles verloren, als Zoey sie verlassen hatte.
»Geh«, forderte Mariella sie mit belegter Stimme auf und krallte die Finger in ihre raue Decke. Das Pech floss fordernd durch ihre Venen. Rüttelte an dem Tor, um die Magie freizulassen. Schweiß legte sich auf Mariellas Körper, weil sie sich anstrengte, die Magie zurückzuhalten.
»Ich lass dich jetzt nicht allein!«, wehrte sich Zoey.
»Verschwinde!«, versuchte Mariella es noch einmal. Sie konnte dem Hass nichts mehr entgegensetzen. Alles in ihr verlangte danach, Zoey zu verletzen. Ihr alles zu rauben, was sie auf einmal besaß, seit sie Mariella verlassen hatte.
Der Verrat ihrer Schwester tat weh. Mehr, als die Mutter ihr jemals wehtun könnte. Die Magie und auch sie selbst wollten sich für diese Schmerzen rächen. Aber auch irgendwie nicht. Sie schloss die Augen, versuchte gegen die aufkochenden Gefühle anzukämpfen, die in ihr brodelten und verlangten hinausgelassen zu werden.
»Mari, beruhige dich! Guck mal, ich habe dir etwas mitgebracht!«
Mit Mühe öffnete Mariella die Augen. Ihre Schwester hielt ihr eine Lederkette hin, an der ein weißer Anhänger hing.
Doch Mariella hatte keinen Blick mehr dafür. Der Neid zerfraß sie. Sie ballte die Hände zu Fäusten, wusste in dem Moment nicht, ob sie dem Rausch, der sich ankündigte, nachgeben oder ihn bekämpfen sollte.
»Guck, Mari.« Die Stimme ihrer Schwester klang ängstlich, während sie ihr die Kette weiter hinhielt und ein Gegenstück dazu aus ihrer Tasche fischte, das einen schwarzen Anhänger besaß. »Der ist für mich. Er soll uns beide darstellen. Und du bist das Weiße, das Helle. Bitte, Mari! Vergiss nicht, wer du sein willst.«
Ein Kribbeln fuhr über die Haut, genauso wie gerade eben, als sie Zoeys Magie gespürt hatte. Die Elfe versuchte ihre Magie gegen sie einzusetzen. Langsam und voller Gefühl versuchte Zoey zu ihr durchzudringen, damit sie abließ von dem Rausch.
Aber es würde nicht funktionieren. Mariella ließ sich in ihre Magie fallen. Ließ sich von dem Rausch beeinflussen, der sie mitriss.
Das Tor, hinter dem Mariellas Magie immer verborgen gewesen war, wurde zerstört, als die Dunkelheit in ihr explodierte und sie in ein grünes Licht hüllte, das aus jeder ihrer Poren drang.
»Mari! Nein!«
Mariella hörte die Angst ihrer Freundin und badete darin. Genoss es. Sie hob den Arm und gleichzeitig ihre Schwester an, bis sie auf Augenhöhe waren. »Du hättest mich nicht verlassen dürfen«, sagte ihre Stimme, die sich fremd in den eigenen Ohren anhörte. »Du hättest bei mir bleiben oder ganz und gar verschwinden sollen.«
Zoey sah sie voller Angst in den Augen an. »Mari, bitte … Das bist du nicht«, wimmerte sie und versuchte sich aus dem Klammergriff zu befreien, der um ihre Kehle lag.
Aber Mariella ließ es nicht zu. Mit ihren Gedanken schuf sie einen Sarg aus Glas. Er ragte in dem kahlen Zimmer auf. Ein mystischer Schein umgab ihn. »Du hättest nicht so dumm sein dürfen«, erklärte sie ihrer Schwester und hob sie weiter an. »Du wusstest, dass ich dein Verderben bin«, erinnerte sie Zoey. »Mutter hat es oft genug prophezeit, dass ich das Böse werden würde und du mein Feind. Und jetzt ist es eingetreten. Ich hasse dich.« Sie holte tief Luft und genoss die Macht, die durch ihre Venen strömte – die Macht, die sie einen Höhenflug erleben ließ. »Und es fühlt sich so gut an«, berichtete sie ihrer Schwester und schenkte ihr ein Grinsen.
»Mariella, nein! Bitte! Ich bleibe bei dir, versprochen! Ich bleibe – für dich – für uns!« Angst ließ die Stimme ihrer Schwester zittern und für Mariella gab es in diesem Moment keinen schöneren Klang.
»Nein, dafür ist es zu spät – und für deine neue Familie.«
Zoey bekam große Augen. »Mariella, sie können nichts dafür!«
»Sie haben dich mir weggenommen. Allen voran Aron. Sie werden leiden, wegen deines Fehlers«, erinnerte Mariella ihre Schwester und legte sie in den Sarg.
Das Glas schloss sich um Zoeys Körper. Sie schlug dagegen. Mit ihren Fäusten und ihrer Magie. Aber sie hatte nicht dieselbe Kraft, die Mariella durch ihren Hass besaß. Niemand hatte diese Macht.
»Schlaf gut, Schwesterherz«, spottete Mariella und legte einen Schlafzauber über die junge Frau hinter Glas. Nichts würde stark genug sein, um ihn zu brechen. Außer dem Einen – und den würde sie töten, weil er ihr das geraubt hatte, was Mariella am wichtigsten gewesen war.
Grinsend wendete sie sich der Turmwand zu und sprengte sie mit einer Handbewegung aus dem Weg.
Sie ging durch den kleinen Wald über die Blumenwiese zu dem Dorf, das ihre Schwester als neue Heimat auserkoren hatte. Die Dorfbewohner lagen selig schlafend in ihren Betten.
Mariellas Magie riss die Bewohner aus dem Schlaf und zerstörte alles. Das Holz der Häuser zersplitterte. Die böse Kraft hob Steine in die Höhe und ließ sie gegen die Mauern krachen. Ein magisches Band zog Mariella zu dem kleinen Häuschen, in dem Zoey willkommen gewesen war.
Sie stieß die Tür auf und stand direkt dem Vater gegenüber. Seine blonden Haare standen wirr in alle Richtungen ab. Mit einer Handbewegung brach sie ihm das Genick, genauso wie der Mutter, die panisch in den Raum gerannt gekommen war. Aron lief ebenfalls ins Zimmer. Bei dem Anblick seiner Eltern blieb er stehen. Sein Blick richtete sich auf Mariella, die noch immer in der Tür stand. Das grüne Licht umhüllte sie und ließ sie stärker werden.
»Mariella?«, hauchte er. Seine blauen Augen strahlten, wurden aber durch die geweiteten Pupillen verdrängt. Der Geruch von Angst drang aus jeder seiner Poren.
Erstaunt hob die junge Frau die Augenbrauen.
»Was …?« Seine Stimme zitterte und er stolperte zu seinen Eltern. Fahrig strich er über ihre Körper, versuchte noch Lebenszeichen zu finden. »Was hast du getan?!«, schrie er sie an und Tränen strömten über seine Wangen. »Wo ist Zoey?«
»Zoey hat über mich gesprochen?« Sie ignorierte seine Frage. Es hatte sie überrumpelt, dass er sie erkannte. Sie waren einander noch nie begegnet.
»Sie hat kaum von etwas anderem gesprochen«, gab er zu. »Wo ist sie?«
In seiner Stimme tobte Angst, Mariella glaubte Hass spüren zu können. Ihr Herz stolperte und riss sie wieder zur Besinnung. Sie konnte Aron nicht umbringen. Die Magie zog sich zurück, aber das wollte sie nicht. Sobald ihre Zauberkraft verschwand, käme das Gewissen. Mit voller Wucht würde es sie mitreißen und überrollen wie ein Karren. Der Schmerz würde ihr die Luft rauben.
Die wahre Liebe war die einzige Macht, die ihren Fluch brechen konnte – die einzige Macht, die jeden Fluch in Mediocris brechen konnte. Sie schluckte hart und beobachtete Aron, der verzweifelt über seine Eltern gebeugt war und weinte.
Sie konnte ihn nicht umbringen. Nicht wenn sie sich selbst noch achten wollte. Mariella kratzte den Rest ihrer Magie zusammen und hob ihre Hand. Grüner Rauch stieg daraus hervor und umschlängelte Aron. Drang in seine Augen und in seinen Verstand.
»Sie ist schuld an alldem. Ich habe sie aufgehalten, du wirst mir dankbar dienen und sie hassen – für alle Zeit.«
Alendia heute
Lächelnd öffnete die böse Königin die Augen und starrte an die Decke des Turmes. Ihr Blick glitt zur Seite, wo ihre Schwester noch immer in dem Glassarg lag und selig schlief. Niemand hatte je gewagt sich dem Turm zu nähern.
Sie war in der damaligen Nacht zurückgekommen – mit Aron an ihrer Seite. Die Mutter hatte sie bereits erwartet, aber sie war niemals dazu gekommen, Mariella zurechtzuweisen. Denn sie hatte der Mutter gezeigt, was wahrer Schmerz war. Bei der Erinnerung daran verwandelte sich das Lächeln in ein Grinsen. Es hatte gutgetan, die Wut herauszulassen.
Danach hatte Mariella einen Bann um den Turm gewunden, der ihn vor all den neugierigen Blicken hatte schützen sollen. Und trotz ihres Todes wusste noch immer kein Mensch, wo die Magie des Lebens verborgen war, und niemand ahnte, dass deren Trägerin nicht einmal zu ihrer vollen Kraft herangereift war.
Gemeinsam mit Aron hatte Mariella einige Monate im Wald gelebt. Aber sie hatte mehr gewollt. Mehr vom Leben und mehr von der Macht. Es war überall bekannt gewesen, dass König Seban eine Braut suchte, und so hatte sie sich bei ihm vorgestellt. Gegen alle Vernunft hatte sie zugelassen, dass sie sich im Schloss wohlfühlte. Sie hatte ihre Magie weggesperrt und das Leben genossen. Selbst Aron hatte sie fortgeschickt – auch wenn sie ihn nie vergessen hatte.
Doch wie damals, als sie auf die Worte ihrer Mutter reingefallen war, hatte sie auch den lügnerischen Versprechen von Seban geglaubt.
Mariella biss die Zähne zusammen und schloss noch einmal kurz die Augen. Seban hatte, genau wie Mutter, dafür bezahlt.
Sie öffnete die Augen und streckte sich. Das Pech floss durch ihre Adern. Sie lächelte bei dem Gefühl. Im Gegensatz zu ihrem jüngeren Selbst hieß sie es heute willkommen und ließ sich komplett davon einnehmen. Sie wollte den Schmerz nicht spüren. Wollte nicht schwach sein. Sie hatte es satt, sich ständig anderen unterzuordnen oder sich von anderen in Ketten legen zu lassen. Sie war die böse Königin. Die anderen würden vor ihr niederknien.
Ihr Blick richtete sich in Richtung Norden, wo Eventyr lag. Ihr Herz schlug schneller. Sie wollte ihn. Und jetzt stand ihr niemand mehr im Weg, der sie daran hindern konnte, sich zu nehmen, was sie wollte.
Sie spürte, wie die Weltentore sich rührten, als jemand Mediocris verließ. Die böse Königin horchte in sich hinein und lächelte. Ihr Sohn war nicht dumm.
Sie wandte sich Aron zu, dem sie damals alles geraubt hatte. Ihr Blick glitt weich über ihn. Er war älter geworden, genau wie sie, aber durch seine Elfengene sah er noch immer aus wie Mitte zwanzig. In all der Zeit war er ihr treu ergeben gewesen und hatte Dinge getan, die sie ihm aufgetragen hatte. Er hatte erreicht, dass Seban auf sie aufmerksam geworden war. Auch hatte Aron um sie getrauert, als sie gestorben war. In seiner Ohnmacht war er blind durch die Wälder gestreunt und als sie ihn gerufen hatte, war er sofort herbeigeeilt.
Seine braunen Haare hatte er zu einem einfachen Zopf gebunden. Die blauen Augen lagen abwartend auf ihr.
»Folge dem Mädchen«, befahl sie, »hindere sie daran zurückzukehren.«
Sie drehte sich wieder dem Loch in der Turmwand zu, das sie damals gerissen hatte, und hörte, wie der Elf sich durch ihre Macht verwandelte. Eine Krähe flog an ihr vorbei zu dem Berg der Seelen, um dem Mädchen den Weg der Rückkehr zu versperren.
Mariellas Blick richtete sich wieder gen Norden. Das Herz in ihrer Brust zog sich verlangend zusammen und auch die Macht in ihr zwang sie zu ihm zu gehen. Sie hatten eine zweite Chance, ein zweites Leben erhalten.
»Ich bin wieder da, Barthos«, murmelte sie, streckte ihre Arme aus, verwandelte sich ebenfalls in eine Krähe und erhob sich in die Lüfte.
Der Fall endete abrupt und auf etwas Weichem. Meine Fingernägel bohrten sich in die Handflächen, während die Sicht vor meinen Augen verschwamm. Ich wusste, wo ich war. Es war ein instinktiver Gedanke, ein Gefühl, das ich nur in diesen vier Wänden gehabt hatte. In meinem Hals wuchs ein riesengroßer Kloß. Und doch wollte ich es nicht wahrhaben. Wollte nicht glauben, dass Liam mich fortgebracht hatte. Dass er über meinen Kopf hinweg entschieden hatte, wie es für mich weitergehen würde. Jetzt machte es auch Sinn, dass Melina mit seiner Entscheidung nicht einverstanden gewesen war. Er musste es ihr erzählt haben. Aber nicht mir.
Tränen liefen über meine Wangen. Er hatte nicht nach meiner Meinung gefragt. Hatte nicht gefragt, ob ich lieber nach Hause wollte, um den Gefahren zu entgehen. Nein. Er hatte es entschieden. Und jetzt sollte ich mit den Konsequenzen leben, während die Menschen, die in den wenigen Wochen zu so einem festen Bestandteil von mir geworden waren, einer unglaublichen Gefahr ausgesetzt waren, die zu einem Teil ich heraufbeschworen hatte.
Was dachte Liam sich? Glaubte er wirklich, dass das hier besser war? Die Ungewissheit? Die trügerische Sicherheit? Ich fühlte den Unglauben übermächtig in meinem Körper. Konnte nicht fassen, dass er über mich hinweg entschieden hatte, was für mich das Beste war. Die Trauer, dass er mich übergangen, dass er mir so wenig vertraute, überrannte mich. Und ließ endlich zu, dass die heiße Wut in meinen Bauch stieg und sich von dort aus ausbreitete. Die Wärme trocknete die Tränen.
Ich setzte mich auf, wischte über die Spuren von Nässe, um sie zu verscheuchen. Mein Blick wanderte durch das Zimmer, das mich all die Jahre beherbergte und nun doch vollkommen fremd auf mich wirkte. Was zum Teil daran lag, dass Mediocris meine Heimat war. Mein Zuhause. Aber der Rest daran, dass abgesehen von den Möbeln der Raum leer war.
Nur beleuchtet vom Mondschein, der durch das Fenster schien, begutachtete ich das, was von meinem Zimmer übrig war. Meine Anziehsachen lagen nicht verstreut im Raum. Das Bücherchaos war fort. Langsam richtete ich mich auf, um keinen Laut von mir zu geben. Unsicher zog ich die Schranktüren auf, hinter denen kein Platz mehr für noch ein einziges T-Shirt gewesen war. Doch nun gähnte mir Leere entgegen. Eine Erkenntnis sickerte durch mich hindurch, die mein Herz ängstlich schlagen ließ. Mama und Papa mussten geglaubt haben, dass ich für immer fort war. Nach nur vier Wochen hatten sie alle meine Sachen weggetan. Hatten mich scheinbar vergessen. War das die Magie von Mediocris? Vergaß die andere Welt diejenigen, die durch die Weltentore traten?
Ein Stoß fuhr durch meinen Körper und ich sah mich noch einmal um.
Das Buch!
Hektisch hob ich die Matratze, sah unter dem Teppich und auf dem Schreibtisch nach. Aber das Buch war weg. Genauso wie der Rest. Atemlos stand ich in diesem Zimmer, das einmal meine ganze Persönlichkeit beherbergt hatte, und nun nur noch ein hohler Raum war.
Wenn ich das Buch fand, konnte ich ausprobieren, ob es mich wieder hinüberließ – und dann für immer. Noch einmal würde Liam nicht für mich entscheiden. Aber was war, wenn ich es nicht mehr fand? Wenn meine Eltern es verschenkt hatten? Ich rieb mir mit den Händen übers Gesicht. Was sollte ich nur tun? Dass ich zurückmusste, war so fest in mir verankert, dass keinerlei Unsicherheiten Platz fanden. Nicht nur damit ich Liam sagen konnte, dass seine Entscheidung falsch gewesen war, sondern auch wegen Lio und Oskar. Ich hatte ihnen versprochen zurückzukommen. Und ich würde alles tun, um mein Versprechen gegenüber dem Troll und dem kleinen Elfen zu halten.
Unruhig lief ich auf und ab. Versuchte dabei möglichst leise zu sein, damit meine Eltern nicht auf mich aufmerksam wurden. Dabei blieb mir nichts anderes übrig, als mich ihnen zu stellen. Ich wollte sie auch wiedersehen. Auch wenn Mediocris viel Platz in meinem Herzen eingenommen hatte, während der vergangenen Wochen hatte ich sie vermisst. Und ich sehnte mich nach ihrer Umarmung. Doch wie erklärte ich ihnen, dass ich vier Wochen lang durch eine märchenhafte Welt gewandert war, die mein Herz erobert hatte und in die ich unbedingt zurückwollte? Sie würden mich mit aller Wahrscheinlichkeit in die Psychiatrie stecken.
Selbst wenn Großvater meinem Vater einen erklärenden Brief hinterlassen hatte, so glaubte ich nicht, dass sie mir abnehmen würden, dass ich die Wahrheit sagte. Ich schloss kurz die Augen und atmete durch. Versuchte meinen Herzschlag zu beruhigen. Wichtig war, dass ich gefasst meinen Eltern gegenübertrat und nicht wie eine vollkommen aufgelöste Alice, die unbedingt zurück ins Wunderland wollte.
Leise öffnete ich meine Zimmertür und starrte auf den Flur hinaus. Erleichtert stellte ich fest, dass hier noch Möbel standen, ebenso wie die wenige Deko. Der Flur lag im Dunkeln. Die einzige Lichtquelle war der Mond, der durch mein Zimmer zumindest die Umrisse deutlich werden ließ. Vorsichtig schlich ich zur Tür meiner Eltern und hielt das Ohr daran. Doch kein Ton kam daraus hervor.
Zum ersten Mal jagte die Angst durch mich hindurch, dass meine Eltern mein Verschwinden zum Anlass genommen hatten, woanders neuanzufangen. Dass dieses Haus gerade nur ein leerer Fleck war, nur noch gefüllt von Erinnerungen. Heftig klopfte das Herz gegen meinen Rippenbogen. Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte die Panik zu verscheuchen.
Trotz meiner Befürchtung legte ich die Hand auf die Klinke des Schlafzimmers und öffnete möglichst leise die Tür ins Innere. Doch Leere schlug mir entgegen. Ein Zustand, der mir in den letzten Minuten zu häufig auffiel.
Auf leisen Sohlen wandte ich mich vom Zimmer ab und schlich stattdessen die Treppe hinunter. Durch die Haustür schien das Licht einer Laterne und erhellte den Flur. In dem ich Briefe auf dem seitlichen Beistelltisch bemerkte. Und Mamas Jacke, die an der Garderobe hing. Erleichterung flutete wasserfallartig mein Bewusstsein. Sie war noch hier.
In der Küche war niemand. Dort bemerkte ich die nächsten Anzeichen von Leben. Geschirr, das neben der Spüle stand. Ein Topf, der noch mit Resten gefüllt auf dem Herd zu warten schien. Und im hinteren Bereich, der zum Wohnzimmer führte, bemerkte ich das flackernde Licht des Fernsehers. Doch statt weiterzugehen, blieb ich angewurzelt stehen.
Ängstlich knetete ich den Stoff meines Hemdes. Was sollte ich sagen? Wie würden sie reagieren? Wie würde ich reagieren? Ein Zittern erfasste meinen Körper und ich schlang die Arme um mich. Ich schloss die Augen und holte tief Luft.
Meine Beine fühlten sich an, als seien sie mit Blei beschwert worden, als ich mich dem Wohnzimmer näherte und im Türrahmen verharrte.
Mama lag leise schnarchend auf dem Sofa. Sie hatte sich in ihre Lieblingsdecke eingekuschelt. Die Fernbedienung hing lose in ihrer halb geöffneten Hand und auf dem Tisch stand eine Wasserflasche. Ich konnte die kleinen Blubberbläschen sehen, die sich an der Flasche abgesetzt hatten.
Mein Herz begann zu rasen. Freude überfiel mich und am liebsten wollte ich mich in ihre Arme werfen. Erst jetzt wurde mir klar, wie sehr ich sie vermisst hatte. Ich ging einen Schritt auf sie zu, stoppte dann aber. Ich wollte sie nicht erschrecken.
»Mama?«, flüsterte ich. Meine Stimme klang zerbrechlich, als ich sie zu wecken versuchte. Sie zog die Stirn kraus, als würde sie sich noch gegen das Aufwachen wehren. »Mama?«, fragte ich dieses Mal lauter.
Blinzelnd öffnete sie die Augen. Ihr Blick glitt durch das Wohnzimmer, bis er an mir hängen blieb. Sie zuckte zurück und die Fernbedienung fiel aus ihrer Hand. Mit einem leisen Knall landete sie auf dem Fußboden.
»Mia?«, hauchte sie und hob die Hand an ihren Mund. »Bist du es wirklich?«
Tränen sammelten sich in meinen Augen und ich sehnte mich nach ihrer Umarmung. Mir gelang es bloß zu nicken. Der Kloß in meinem Hals wurde so übermächtig, dass kein Wort sich daran entlangschieben konnte. Sie sprang auf, stolperte über die Decke, was sie kaum aufhielt, und kam geradezu auf mich zugeflogen. Ihre Arme legten sich um mich. Zogen mich in eine erbarmungslose Umarmung, die so fest war, dass ich beinahe Angst bekam, dass Mama mir Knochen brach, aber es kümmerte mich nicht. Mir war nicht bewusst gewesen, wie sehr ich sie und Papa vermisst hatte; bis jetzt. Denn jetzt überrollte mich die Sehnsucht und ich klammerte mich an sie, als wollte ich sie nie wieder loslassen.
»Gott, ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht!«, wisperte sie in mein Haar.
Tränen liefen mir über die Wangen. Und ich spürte, wie Schluchzer den Körper meiner Mutter beben ließen. Ich war zu Hause. Und gleichzeitig war ich es nicht. Ein Gedanke, den ich erstmal beiseite schob. Das Wiedersehen mit ihr kostete ich vollkommen aus und wollte nicht von irgendwas abgelenkt werden. Ich zog die Arme enger um sie. Und sie drückte mich fester an sich. Es fühlte sich an, als würde sie nie wieder zulassen wollen, dass mich ihr etwas wegnahm – und ich genoss es. Obwohl ich wusste, dass ich wieder gehen musste.
Wir standen lange so da. Weinend. Im Moment versunken. Und glücklich darüber, den anderen wieder in die Arme zu schließen.
Widerwillig schien mich meine Mutter von sich zu drücken. Sie betrachtete mein Gesicht, als wolle sie sichergehen, dass es mir gutging. Dass es tatsächlich ich war, die zu ihr zurückgekehrt war. Beinahe ehrfürchtig strich sie mir über die Wange. »Wo warst du?«
Hastig wich ich ihrem eindringlichen Blick aus. Was sollte ich sagen? Mama, ich war in einem Land, das eigentlich nicht existieren dürfte, habe Opa wiedergesehen und die böse Königin erweckt, die nun Leichen über das Land schickt.
»Mia, sag doch etwas. Wir haben vier Wochen lang nichts von dir gehört! Du warst einfach weg.«
Ich verstand ihre Neugierde, die gepaart war mit Wut und Sorge. »Du würdest es mir nicht glauben«, kam es mir über die Lippen und ich fühlte mich wie Alice, die aus dem Wunderland gepurzelt war.
Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. Ihre Hände rutschten von meinen Schultern und der Verlust ihrer Berührung reichte viel tiefer. Ich sah überall hin, nur um nicht ihrem Blick standhalten zu müssen. Die Skepsis, die sie ausströmte, war nahezu greifbar für mich. Aber wie könnte sie auch nicht? Nach vier Wochen stand ich vor ihr – mitten in der Nacht – und sagte: Hi, bin wieder da!
»Wo ist Papa?«, fragte ich, um die Stille zu füllen, die sich wie ein Abgrund zwischen uns ausbreitete.
Ihr Seufzen lenkte meinen Blick zu ihr und ich entdeckte Schatten, die ihr übers Gesicht wanderten. »Setz dich.«
Ich folgte ihrem Wunsch, auch wenn es mir schwerfiel. Mein Körper schien unter Strom zu stehen. Viel lieber wollte ich stehen bleiben oder durch den Raum wandern.
Sie setzte sich neben mich und griff nach meiner Hand, als hätte sie Angst, dass ich mich wieder in Luft auflöste, wenn sie es nicht täte. »Nachdem du weg warst, haben wir mit der Polizei die ganze Stadt durchkämmt. Aber nirgends konnten wir eine Spur von dir finden. Es nahm mich mit. Und …« Sie hob ihren Blick und lächelte mich voller Trauer an. »Du wusstest es lange Zeit vor mir. Und es tut mir leid, dass ich nicht auf dich gehört habe. Und den Hinweisen, wie ich weiterverfahren sollte. Die Situation forderte alles von mir, weswegen das Vergessen immer verführerischer wurde.«
Sie umschmeichelte die Tatsache, die uns schon viel länger mitgenommen hatte. Die ein so großer Teil unseres Lebens geworden war, dass sie in der eigenen Familie beinahe zu einer Fremden geworden war. »Nach zwei Wochen schleppte mich dein Vater zu einem Treffen der Anonymen Alkoholiker und verließ mich.«
»Wie, er verließ dich?«, hakte ich nach.
»Nachdem ich von den AAs nach Hause kam, war er weg. Genauso wie deine Sachen.« Sie weigerte sich, mich anzusehen. Scham drang aus jeder ihrer Poren und ich wünschte, ich könnte gerade mehr für sie tun.
»Wo … wo ist er?«
»Ich weiß es nicht«, gab sie mit zittriger Stimme zu. »Auf seinem Handy habe ich so oft versucht ihn anzurufen … Irgendwann habe ich aufgegeben es zu versuchen.«
Das war zu viel. Mein Vater hatte, einfach so, alle meine Besitztümer weggebracht und meine Mutter verlassen. Verblüfft ließ ich mich gegen die Lehne sinken und versuchte die Gedanken zu ordnen. Mein Blick fiel wieder auf die Wasserflasche. »Die AAs scheinen zu helfen.«
Ein Lächeln schlich sich auf das Gesicht meiner Mutter, sie kramte in ihrer Hosentasche und reichte mir einen Chip. Es war so einer, den ich aus vielen amerikanischen Filmen kannte, wenn die betreffende Person einen Meilenstein erreicht hatte:
zwei Wochen.
»Seit dem Tag, an dem Papa dich dahin gebracht hat?«
Sie nickte. »Ich habe gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann. Ich habe nichts mehr um mich herum mitbekommen. Existierte nur noch und lebte nicht mehr. Dass ich alles dabei verloren habe – sogar mich selbst. Während dieser schweren Zeit … Ich konnte für keinen von euch da sein. Ich war nur noch ein Schatten meiner selbst. Erik zu verlieren tat weh. Dich zu verlieren zerstörte mich – und zum Schluss noch deinen Vater. Ich war am Ende, aber gleichzeitig wusste ich, dass es die Schuld des Alkohols war … Nicht dass Opa Erik gestorben ist, aber ich habe mir die Schuld gegeben, dass du weg warst. Und danach dein Vater. Jetzt bist du wieder da.«
Tränen des Glücks standen in ihren Augen.
»Du warst nicht schuld an meinem Verschwinden«, erklärte ich und schaffte es nicht mehr, sie anzusehen. Die nächsten Worte standen mir quer im Mund. Wollten mir nicht so recht über Zunge kommen, obwohl sie bitter nötig waren. »Ich kann nicht bleiben«, offenbarte ich und erwartete das Schlimmste.
»Was? Aber du bist doch gerade erst wiedergekommen!«
Unwillkürlich sah ich zu ihr auf. Der Schmerz in ihren Augen raubte mir den Atem. Meine Finger spielten nervös mit dem Chip. Ich freute mich unbändig darüber, dass sie endlich erkannt hatte, dass es so nicht weitergehen konnte, aber was würde sie machen, wenn ich wieder weg war? Und Papa niemals zurückkehrte? »Dort, wo ich war, werde ich gebraucht. Ich habe etwas getan, was ich nur dort wiedergutmachen kann.« Ich verschwieg absichtlich, dass diese andere Welt mein Zuhause geworden war. Dass ich mich danach sehnte, wieder zurückzukehren. »Wo ist das Buch, das auf meinem Bett lag?«
»Welches Buch? Bernd hat das Zimmer leergeräumt.«
Ich presste die Lippen aufeinander. Es tat weh, dass mein Vater alles von mir – und sich selbst – aus Mamas Leben geworfen hatte. Besaß er die Sachen noch? Aber wo war er?
»Mia, was ist los? Wohin musst du wieder zurück?«
»Mama, du würdest es mir nicht glauben!«, wiederholte ich mich.
Sie holte tief Luft. »Versuch es.«
Überrascht sah ich sie an. »Wenn ich dir erzähle, dass ich einem weißen Kaninchen in ein Loch gefolgt bin, klingt das realistischer als die Wahrheit.«
Ein Grinsen legte sich auf die Lippen meiner Mutter. »Deswegen versuche ich also mittlerweile sechs unmögliche Dinge vor dem Frühstück zu erledigen?«
Ich biss mir auf die Lippe und nickte schließlich. Im schlimmsten Fall würde sie mich für irre halten. Ich umfasste die Kette, die Liam mir geschenkt hatte, strich mit meinen Fingern sanft über seine Feder, die ebenfalls an meinem Hals baumelte, und begann zu erzählen – von Anfang an. Wie mich die Nixe in ihr Reich hatte hinabziehen wollen, wie der Löwenadler mich gerettet hatte und wie Liam und ich unfreiwillige Wegbegleiter geworden waren. Und wie wir die böse Königin wiedererweckt hatten, die nun drohte das Land zu vernichten, in welches ich mich verliebt hatte.
Als ich in meiner Erzählung innehielt, sah meine Mutter auf ihre Füße. »Ich sehne mich gerade wirklich nach einem Wodka«, murmelte sie, sodass ich sie kaum hören konnte, und fuhr sich mit bebenden Fingern durch die braunen Haare. Sie sah zu mir. »Das ist kein Scherz, oder? Du warst wirklich in einer Welt, die sich Mediocris nennt.«
»Ja, und dahin muss ich auch zurück. Liam und ich haben etwas losgetreten und er braucht mich, damit wir Mediocris retten können. Melina, die Seherin, meinte zu ihm, dass wenn er mich fortschicke, alles untergehen würde.«
»Aber wäre es dann nicht sicherer für dich, wenn du hierbliebest?«
Verstimmt presste ich die Lippen aufeinander. »Natürlich wäre es einfacher und vor allem sicherer. Aber, Mama, ich kann nicht! Opa hat damals diese Welt gerettet und ich kann nicht zulassen, dass ich schuld daran bin, dass sie vernichtet wird!«
Sie lehnte sich zurück und starrte an die Decke. »Dann müssen wir also Bernd finden. Ich weiß nicht, wohin er deine Sachen geräumt hat.«