Zeit der Jagd - Robert Crais - E-Book

Zeit der Jagd E-Book

Robert Crais

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Beschreibung

Loyalität, Freundschaft und der Kampf für Gerechtigkeit – diese Werte schweißen Privatermittler Joe Pike und seinen Partner Elvis Cole seit Jahren zusammen. Als Cole im Zuge eines Routineauftrags ein Haus am Echo Park beschattet, ahnt er nicht, dass gerade die schlimmste Nacht seines Lebens beginnt. Denn dort verstecken sich ein geflüchteter Schwerverbrecher und der psychopathische Mr. Rollins. Beide haben genug Sprengstoff, um das ganze Stadtviertel auszulöschen. Für Cole und Pike bleiben nur wenige Stunden, um Los Angeles vor einer Katastrophe zu bewahren ...

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Zum Buch

Meryl Lawrence gab mir an diesem regnerischen Abend, als sie mich beauftragte, Amy Breslyn zu finden, drei Dinge. Eine Adresse in Echo Park, zweitausend Dollar in bar und eine Firmenpersonalakte, die so viele Informationen über ihre verschwundene Freundin enthielt, dass die NSA sie zusammengestellt haben könnte. Was sie wahrscheinlich auch hatte. Sie gab mir diese drei Dinge und nichts weiter. Alles andere war streng geheim.

Zum Autor

Robert Crais, 1953 geboren, begann seine Karriere als Drehbuchautor für das amerikanische Fernsehen und wurde unter anderem mit dem Emmy ausgezeichnet. 1980 beschloss er, sich ganz dem Schreiben von Romanen zu widmen. Crais wurde mit zahlreichen namhaften Preisen ausgezeichnet (u.a. mit dem Edgar Award und dem Anthony Award), seine Thriller erscheinen in 42 Ländern und belegen regelmäßig die internationalen Bestsellerlisten. Robert Crais lebt mit seiner Frau, drei Katzen und Tausenden von Büchern in den Bergen von Santa Monica, Kalifornien.

Lieferbare Titel

Straße des Todes

Gesetz des Todes

Unter Verdacht

Stunde der Rache

ROBERT CRAIS

Zeit der Jagd

THRILLER

Aus dem Amerikanischen

von Jürgen Bürger

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe THE PROMISE erschien bei G. P. Putnam’s Sons, New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Deutsche Erstausgabe 11/2016

Copyright © 2016 by Robert Crais

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Marcus Jensen

Umschlaggestaltung: Robert Schober, München,

unter Verwendung eines Motivs von

© shutterstock/IM_photo, Arcangel/STEPHEN CARROLL

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-19480-2V001

www.heyne.de

Für Randy Sherman

Pilot, Chirurg, Partner und Freund

Gibt keinen Besseren im Rücken

oder vorweg.

DAS DROPHOUSE

1

Mr. Rollins

Die Frau stand in der hintersten Ecke des schwach beleuchteten Raumes, versteckte sich im Schatten wie ein Fisch in grauem Wasser. Sie war klein, pummelig und plump. Die Fransenlederjacke ließ sie wahrscheinlich noch etwas draller wirken, aber ein echter Hingucker war sie ohnehin nie gewesen. Sie erinnerte Mr. Rollins an einen überreifen Pfirsich, und der Pfirsich hatte ganz offensichtlich Angst.

Es hatte sich eingeregnet in dieser wolkenverhangenen Nacht. Der schäbige Einzimmerbungalow im Westen von Echo Park stank nach Bleichmittel und Ammoniak, aber die Fenster waren geschlossen, die Jalousien heruntergezogen und die Türen verriegelt. Das einzige Licht kam von einer einzelnen gelben Fünfundzwanzig-Watt-Birne. Der Geruch der Chemikalien bereitete Mr. Rollins Kopfschmerzen, die Fenster konnte er jedoch nicht öffnen. Sie waren zugeschraubt.

Rollins war nicht sein richtiger Name, aber der Mann und die Frau benutzten wahrscheinlich auch falsche Namen. Amy und Charles. Amy hatte keine drei Worte gesprochen, seit sie eingetroffen waren. Charles übernahm das Reden, und Charles wurde langsam ungeduldig.

»Wie lange dauert das hier noch?«

Die Antwort des Chemikers klang gereizt.

»Zwei Minuten, Alter. Entspann dich. Wissenschaft braucht eben Zeit.«

Der Chemiker war ein aufgekratzter, voll durchtätowierter Typ, der sich über den Couchtisch beugte. Er trug eine LED-Stirnlampe auf dem Kopf. Mit einem kleinen Gasbrenner erhitzte er den Inhalt eines Glasgefäßes, wobei er zwei Messgeräte im Auge behielt, die wie aufgeblähte TV-Fernbedienungen aussahen. Rollins hatte ihn vor acht Jahren gefunden, als er Meth aufkochte, und seitdem häufig eingesetzt.

Charles war ein adretter Mittvierziger mit gepflegten braunen Haaren und der fitten Statur eines Tennisspielers. Mr. Rollins hatte im vergangenen Jahr dreimal bei Charles gekauft, und jedes Geschäft war glatt gelaufen. Aus diesem Grund hatte Mr. Rollins ihm nur dieses eine Mal erlaubt, die Frau mitzubringen, wobei Rollins sich fragte, als er sie jetzt sah, warum sie unbedingt mitkommen wollte. Sie hatte sich gottverdammt fast eingepisst, als Rollins sie filzte und ihnen befahl, die Handschuhe überzustreifen. Jeder, der das Haus betrat, musste Vinylhandschuhe anziehen. Und Rollins duldete weder Speisen noch Getränke. Niemand durfte Kaugummis kauen oder Zigaretten rauchen. Die Liste der Ge- und Verbote war ziemlich lang. Mr. Rollins hatte klare Regeln.

Er lächelte, als er den Sitz seiner Handschuhe korrigierte.

»Man bekommt ziemlich schwitzige Hände in diesen Dingern, Amy, finden Sie nicht auch? Ich weiß, es nervt, aber wir sind ja fast fertig.«

Charles antwortete an ihrer Stelle.

»Ihr geht’s bestens. Sagen Sie Ihrem Mann, er soll endlich zum Ende kommen, damit wir von hier verschwinden können.«

Der Chemiker nuschelte etwas, ohne dabei aufzublicken.

»Leck mich.«

Rollins lächelte wieder Amy an und schaute kurz auf den runden Plastikbehälter, der neben dem Chemiker stand. Der Behälter war mit einem Material gefüllt, das wie Joghurt aussah und sich wie Knetgummi anfühlte.

»Woher haben Sie das eigentlich?«

Wieder kam Charles ihr zuvor.

»Ich hab Ihnen doch schon gesagt, woher wir es haben.«

Rollins überlegte, Charles einfach seine Pistole in den Arsch zu rammen und abzudrücken, ließ sich jedoch nichts anmerken.

»Ich mache nur ein wenig Konversation. Amy scheint nervös zu sein.«

Charles warf Amy einen Seitenblick zu.

»Ihr geht’s gut.«

Amys Stimme war flüsterleise, als sie schließlich etwas sagte.

»Ich hab’s gemacht.«

Der Chemiker schnaubte.

»Ja-ja. Na klar …«

Dann setzte sich der Chemiker auf und sah Rollins an.

»Wer immer das Zeug hier gemacht hat, er hat verdammt gute Arbeit geleistet. Das Zeug ist astrein, Bruder.«

Charles verschränkte die Arme. Selbstzufrieden.

»Sehen Sie?«

Rollins war beeindruckt. Das Material in der Tupperdose war schwer zu bekommen. Charles behauptete, die Frau habe zweihundert Kilogramm davon.

»Was ist mit Markern?«

Der Chemiker schaltete den Gasbrenner aus und baute die Messgeräte ab.

»Der Äthylentest ergibt null. Wenn ich die Probe zu Hause durchjage, kann ich noch eins zu einer Million Teilchen feststellen, aber ich würde jetzt schon mal sagen, das Zeug ist sauber, Bruder. Keine Marker. Nicht zurückverfolgbar.«

Rollins bedankte sich bei dem Chemiker, der seine Ausrüstung in einem grünen Rucksack verstaute und dann durch die Küche das Haus verließ. Ein leichter Winterschauer prasselte aufs Dach.

»Und was jetzt?«, sagte Charles. »Sind wir im Geschäft?

Rollins verschloss sorgfältig die Tupperdose.

»Der Käufer wird die Ware ebenfalls prüfen. Wenn er zum selben Ergebnis kommt, läuft die Sache.«

Amy sprach wieder, und dieses Mal klang sie besorgt.

»Für den richtigen Käufer stelle ich mehr her. Ich kann so viel herstellen, wie die wollen.«

Charles nahm ihren Arm und versuchte sie wegzuziehen.

»Wir wollen zuerst das Geld sehen.«

Amy rührte sich nicht.

»Den Käufer muss ich aber persönlich treffen, verstehen Sie. Das ist die einzige unabdingbare Voraussetzung.«

»Nicht jetzt.«

Charles bugsierte Amy wie einen Einkaufswagen Richtung Haustür. Rollins stoppte die beiden sofort.

»Die hintere Tür, Charles. Niemals die Haustür!«

Charles drehte die Frau um, Richtung Küche. Nachdem er zuerst darauf bestanden hatte, dass sie mitkam, konnte er sie jetzt anscheinend nicht schnell genug aus dem Haus schaffen.

Rollins öffnete ihnen die Tür zum Garten und bat um ihre Handschuhe. Er lächelte Amy freundlich an.

»Käufer treffen sich nicht gern mit ihren Lieferanten, aber für Sie, Amy, werden die eine Ausnahme machen. Ich versprech’s.«

Es schien, als würde sie jeden Moment losheulen. Charles zog sie weiter nach draußen, und sie verschwanden im Regen.

Rollins schloss die Hintertür ab und eilte dann zur Haustür. Dort warf er durch den Spion einen Blick auf die Straße. Als Charles und Amy den Bürgersteig erreichten, kehrte er in die Küche zurück und öffnete die Hintertür, um richtig durchzulüften. Der winzige Garten lag im Dunkeln und war durch dichte Sträucher und einen üppigen Avocadobaum vor den Nachbarn abgeschirmt.

Rollins blieb in der Tür stehen und atmete in tiefen Zügen die Luft ein, die hier draußen nicht nach Ammoniak stank, und rief seinen Käufer an.

»Gute Neuigkeiten.«

Eine verschlüsselte Art zu sagen, dass die Tests positiv verlaufen waren.

»Sehr gut. Ich schicke jemanden.«

»Noch heute.«

»Ja. Jetzt.«

»Sie haben das andere Material auch noch hier liegen. Ich sage Ihnen schon seit einer Woche, Sie sollen das Zeug endlich abholen.«

»Ich schicke jemanden.«

»Ich will’s aus dem Haus haben. Alles.«

»Er wird es mitnehmen.«

Rollins brachte die Tupperdose zu den anderen Sachen ins Schlafzimmer und ging wieder in die Küche. Er trug nach wie vor Handschuhe, die er anbehalten würde, bis er ging. Unter der Spüle holte er eine Ein-Liter-Sprayflasche heraus und sprühte Bleichmittel auf die Arbeitsflächen, den Boden und die Tür. Er sprühte den Couchtisch ein, an dem der Chemiker seine Arbeit gemacht hatte, und den Hocker, auf dem der Chemiker gesessen hatte. Er sprühte den Boden im Wohnzimmer ein und den Türrahmen zwischen Küche und Wohnzimmer. Rollins glaubte, das Bleichmittel würde die Enzyme und Öle von Fingerabdrücken oder Speichel zerstören sowie mögliche DNA-Spuren beseitigen. Er war nicht wirklich davon überzeugt, aber es kam ihm vernünftig vor, deshalb bleichte er jedes Mal das ganze Haus, wenn er es benutzt hatte.

Nachdem Mr. Rollins das Haus gekauft hatte, führte er verschiedene Änderungen durch, damit es seinen Zwecken besser diente, wie zum Beispiel die Fenster zu verschrauben und Türspione zu installieren. Nichts Ausgefallenes, nichts Aufwändiges und nichts, das die Aufmerksamkeit der Nachbarn erregte, von denen keiner ihn kannte, getroffen oder, hoffentlich, gesehen hatte. Rollins investierte gerade so viel in das Haus, dass es nicht zu einem Schandfleck verkam. Gelegentlich ließ er Leute dort übernachten, allerdings niemals jemanden, den er persönlich kannte, und auch immer nur gerade so lange, dass die Nachbarn meinten, das Haus würde vermietet. Mr. Rollins hatte das Haus nicht in eine Festung verwandelt, nachdem er es erworben hatte, sondern lediglich zu einem relativ sicheren Ort umgebaut, von dem aus er seine kriminellen Aktivitäten ausüben konnte.

Er räumte das Bleichmittel wieder fort, kehrte zurück ins Wohnzimmer und schaltete die Lampe aus. Er saß mit einem Brennen in der Nase in der Dunkelheit, während er dem Regen zuhörte.

9:42 abends.

21 Uhr 42.

1742 Zulu-Zeit.

Mr. Rollins hasste es zu warten, aber falls Charles und Amy echt waren, ging es hier um das richtig große Geld. Rollins fragte sich, ob Charles sie schlug. Er machte auf ihn den Eindruck. Sie machte auf ihn ebenfalls den Eindruck. Rollins’ ältere Schwester hatte einen Mann geheiratet, der sie über Jahre misshandelte, bis Rollins ihn umbrachte.

Wieder sah Rollins auf die Uhr.

9:51.

Rollins legte seine Pistole auf die Couch. Er legte eine Hand auf die Waffe, behielt die Uhr im Blick und schloss die Augen.

9:53.

Es hörte auf zu regnen.

10:14.

Jemand klopfte an die Haustür.

Rollins sprang auf und ging schnell in die Küche. Der Mann des Käufers würde niemals die Haustür benutzen. Das war eine Regel. Jeder benutzte ausschließlich den Hintereingang.

Rollins schloss leise die Küchentür und sperrte ab, während es vorn weiter klopfte.

Klopf klopf klopf.

Rollins streifte seine Schuhe ab und eilte zur Haustür.

Klopf klopf klopf.

Mr. Rollins schaute durch den Spion und sah einen erwachsenen Mann in einer dunklen Regenjacke. Die Kapuze war zurückgeschoben, der Reißverschluss geöffnet. Darunter sah man ein knallig gemustertes Hemd. Durchschnittlich groß. Weiß. Dunkle Haare. Der Mann drückte auf den Klingelknopf, aber die Klingel funktionierte nicht, also klopfte er wieder.

Rollins hielt die Pistole an seiner Seite, während er ihn beobachtete.

Der Mann wartete noch einige Sekunden, dann ging er schließlich.

Rollins spähte weitere zwei Minuten durch den Spion. Autos fuhren vorbei, ein Pärchen drängte sich unter einen Schirm, obwohl es gar nicht mehr regnete. Die Welt wirkte völlig normal, aber irgendwo in der Ferne heulte eine Sirene. Rollins hatte ein ungutes Gefühl.

10:32.

Rollins rief den Käufer erneut an.

»Weiß ihr Mann, dass er nach hinten gehen muss?«

»Ja. Natürlich. Er war auch schon früher dort.«

»Wenn Sie jemanden geschickt haben, dann ist er bislang nicht aufgekreuzt.«

»Moment. Ich prüfe das.«

Eine zweite Sirene heulte. Näher.

Die Stimme des Mannes kehrte zurück.

»Er hätte längst bei Ihnen sein müssen. Da stimmt was nicht.«

»Ich stecke hier fest, Mann. Ich will gehen.«

»Bringen Sie mir das Material. Aber nicht hierher. Jemand wird sich mit Ihnen am MacArthur Park treffen. An der Nordostecke.«

Rollins spürte Wut in sich aufsteigen, ließ seiner Stimme jedoch nichts anmerken. Er hatte bereits ein Vermögen mit diesem Mann verdient und würde noch mehr verdienen.

»Sie kennen die Regeln, Eli. Ich kutschiere Ihr Zeug nicht in meinem Auto herum. Kommen Sie die Scheiße abholen.«

Rollins steckte das Handy gerade ein, als er aus dem Garten ein Knirschen hörte. Jemand hämmerte an die Hintertür.

Rollins ging rasch in die Küche, warf einen Blick durch den Spion und sah ein vertrautes Gesicht. Carlos, Caesar oder so ähnlich. Seine Augen strahlten, und er atmete schwer, als Rollins die Tür aufmachte.

Rollins fischte Handschuhe aus seiner Tasche.

»Streif die über, Idiot.«

Carlos ignorierte die Handschuhe, lief ins Wohnzimmer und zog eine Spur aus Matsch und Gras hinter sich her. Er blickte aus dem am nächsten gelegenen Fenster, berührte die Lamellen der Jalousie mit bloßen Fingern. Ein Hubschrauber flog dicht über das Haus hinweg und ließ das kleine Gebäude erbeben.

»Scheiß auf deine Handschuhe, Mann. Hast du das gehört? Die Bullen kleben mir an den Hacken, Bro. Ist das nicht gottverdammt cool? Ich hab die Blauärsche echt abgehängt!«

Das Brummen des Hubschraubers entfernte sich, aber er kreiste immer noch über dem Wohngebiet.

Rollins packte einen Moment lang die Angst, und die Gedanken an Matsch, Gras und Fingerabdrücke auf den Jalousien verschwanden. Er schob die Jalousien beiseite und sah einen grellen Scheinwerfer die nächste Straße absuchen.

»Du hast die Polizei hergeführt.«

Carlos wandte sich ab und lachte.

»Ich hab sie abgeschüttelt, Bro. Ich könnte praktisch überall sein.«

Rollins hatte das Gefühl, als füllte sich sein Kopf mit wütenden Maden. Der Hubschrauber schwebte über ihnen, Licht fiel auf die Jalousien. Das Schlagen des Rotors entfernte sich und kreiste langsam.

»Wie zum Teufel ist es dazu gekommen?«

»Die haben mein Gesicht erkannt. Ich werd mit Haftbefehl gesucht, verstehste? Immer locker bleiben, Mann.«

Carlos ließ sich gackernd auf die Couch fallen, war aufgeputscht von Adrenalin und anderen Substanzen. Seine schlammigen Schuhe lagen auf dem Polster.

»Die wissen nicht, wo ich bin. Die walzen über uns weg, und dann immer weiter.«

Rollins sammelte seine Gedanken. Das Haus war jetzt verloren und die Ware im Schlafzimmer Geschichte. Matsch und Gras spielten keine Rolle mehr. Er konnte nicht zulassen, dass er hier zusammen mit dem Material im Schlafzimmer und diesem bescheuert vor sich hin lachenden Idioten auf der Couch gefunden wurde. Rollins akzeptierte diese Tatsachen, und das Akzeptieren führte zu einer inneren Ruhe.

Die Pistole war jetzt für ihn nicht mehr zu gebrauchen. Rollins kehrte zum Schrank zurück, wo er das Bleichmittel aufbewahrte, und nahm eine verrostete 14-Zoll-Rohrzange heraus. Sie wog locker drei, vier Pfund.

Carlos lag immer noch ausgestreckt auf der Couch, als Mr. Rollins ins Wohnzimmer zurückkehrte. Ohne ein Wort zu sagen, ging er direkt zu Carlos und schlug mit der Rohrzange brutal zu. Er spürte, wie der Schädel bereits unter dem ersten Hieb nachgab, trotzdem holte er zwei weitere Male aus. Rollins ließ die Rohrzange fallen und zog ein frisches Paar Handschuhe über. Er drückte Carlos die Pistole in die Hand, in beide Hände, damit es aussah, als hätte Carlos die Waffe benutzt, und legte sie dann neben der Rohrzange ab. Falls Rollins später aufgegriffen würde, wollte er keine Schusswaffe bei sich haben.

Der Hubschrauber machte einen weiteren Überflug. Die Jalousien blitzten zu grellen weißen Rechtecken auf und füllten sich dann wieder mit Schwärze.

Rollins eilte zur Haustür und sah durch den Spion hinaus. Ein Polizeibeamter ging auf dem Bürgersteig vorbei, ein anderer sprach mit irgendwelchen Leuten auf der anderen Straßenseite. Rollins schloss die Augen. Er atmete ruhig ein und aus, während er langsam bis hundert zählte. Dann legte er das Auge wieder an den Spion. Die Polizisten waren weg.

Rollins ging zurück in die Küche. Er trug ein dunkles Sakko und eine Stoffhose. Es würden sich Blutspritzer darauf befinden, doch die würden nachts und auf dem dunklen Stoff kaum zu erkennen sein. Er hatte eine Nylon-Regenjacke, entschied sich aber dagegen, sie anzuziehen. Das Sakko war besser. Die Polizei suchte einen jungen Latino mit einem schwarzen T-Shirt, keinen älteren, gut gekleideten Anglo. Sein Auto stand mehrere Blocks entfernt. Wenn Rollins aus dem Haus und aus dem Suchbereich der Polizei kommen könnte, hätte er eine Überlebenschance.

Das Licht kehrte zurück und glitt weiter.

Rollins nutzte den kurzen Moment der Dunkelheit. Er öffnete die Küchentür, schälte die Handschuhe ab und trat hinaus. Ein Cop und ein Schäferhund erwarteten ihn im Garten. Der Hund war ein großes, kräftiges Tier mit wütenden Augen und Reißzähnen wie Dolche. Der Cop brüllte irgendwas, als der Hund angriff.

2

Elvis Cole

Meryl Lawrence gab mir an diesem regnerischen Abend, als sie mich beauftragte, Amy Breslyn zu finden, drei Dinge. Eine Adresse in Echo Park, zweitausend Dollar in bar und eine Firmenpersonalakte, die so viele Informationen über ihre verschwundene Freundin enthielt, dass die NSA sie zusammengestellt haben könnte. Was sie wahrscheinlich auch hatte. Sie gab mir diese drei Dinge und nichts weiter. Alles andere war streng geheim.

Die Adresse in Echo Park war vier oder fünf Jahre alt und wahrscheinlich nicht mehr brauchbar, aber es lag auf meinem Nachhauseweg. Um zwanzig vor zehn an diesem Abend – zweiundfünfzig Minuten, nachdem ich mich bereit erklärt hatte, Amy Breslin zu finden – parkte ich bei leichtem Sprühregen unter einer Straßenlaterne einen Block von dem Haus entfernt. Ich hätte näher geparkt, aber es gab keine andere Möglichkeit. Ein Hydrant war meine Rettung.

Hinter dem Fenster eines Hauses auf der gegenüberliegenden Straßenseite jagte ein Teenager einen kleinen Jungen. Nebenan strampelte sich eine Frau mittleren Alters in einer hautengen lila Hose auf einem Heimtrainer ab. Hinter mir lachte ein Mann mit schütterem Haar vor einem Fernseher so groß wie eine Wand. Neun Uhr vierzig war früh. In jedem Haus des Blocks pulsierte das Leben, mit Ausnahme des Hauses, weswegen ich hier war. Das war dunkel und verlassen und schien mir, mit Blick auf meinen Auftrag, die reinste Zeitverschwendung zu sein.

Ich beobachtete die lila Frau, als mein Handy klingelte.

»Detektei Elvis Cole. Wir tun’s auch im Regen.«

Humor. Ich bin mir selbst das beste Publikum.

Meryl Lawrence klang in der Dunkelheit sehr ruhig.

»Ich habe gerade ihren Haustürschlüssel gefunden. Ich vermute, er muss wohl runtergefallen sein. Er lag unter meinem Vordersitz.«

Ich hatte mich mit Meryl Lawrence in ihrem Auto hinter Vroman’s Bookstore in Pasadena getroffen. Ms. Lawrence engagierte mich auf einem Parkplatz, weil sie nicht mit mir zusammen gesehen werden wollte. Sie bezahlte mich bar, weil es keine Aufzeichnungen unserer Geschäftsbeziehung geben durfte. Wie so vieles an Amy Breslyn war auch meine Beziehung zu Meryl Lawrence top secret.

»Gut gemacht«, sagte ich. »Dann ist es ja jetzt nicht mehr nötig, durch ihren Kamin einzusteigen.«

»Kommen Sie zurück? Ich würde Ihnen dann den Schlüssel und den Code der Alarmanlage geben.«

»Nein, heute Abend nicht mehr. Ich bin gerade vor Lerners Haus.«

Sie klang mit einem Mal munterer.

»Und, hat er sie gesehen?«

»Hab noch nicht mit ihm gesprochen. Ich warte, dass der Regen aufhört.«

»Oh.«

Sie klang, als hätte man ihr die Luft abgelassen. Unter dieser Adresse sollte ein aufstrebender Schriftsteller namens Thomas Lerner wohnen. Lerner und Amys Sohn Jacob waren zusammen aufgewachsen. Nach dem College wollte Lerner Schriftsteller werden, also mietete er günstig das Haus in Echo Park und machte sich ans Tippen. Jacob Breslyn schlug die Laufbahn eines Journalisten ein und reiste munter durch die Welt, bis er und dreizehn weitere Menschen bei einem Terrorangriff in Nigeria ums Leben kamen. Amy veränderte sich nach Jacobs Tod, erzählte mir Meryl. Sie zog sich zurück und war nie mehr dieselbe. Jetzt, sechzehn Monate nach Jacobs Tod, war Amy einfach fortgegangen, verschwunden, hatte sich in Luft aufgelöst, over and out, weg. Meryl wusste nicht, ob Amy mit Lerner Kontakt gehalten hatte oder ob er immer noch in Echo Park lebte, falls aber irgendwer Amys Geheimnisse kannte, meinte Meryl, dann würde dies Amys letzte und einzige Verbindung zu ihrem Sohn sein.

»Sieht nicht so aus, als wäre jemand zu Hause. Falls er hier ist, werde ich herausfinden, was er weiß. Falls er umgezogen ist, erfahre ich vielleicht, wie ich ihn erreichen kann.«

»Fragen Sie nach, ob Amy jemals einen Freund erwähnt hat.«

Auf Vroman’s Parkplatz hatte sie lang und breit von dem Freund geredet. Meryl Lawrence kannte seinen Namen nicht und konnte ihn nicht beschreiben, aber sie war zu hundert Prozent davon überzeugt, dass ein Mann hinter Amys Verschwinden steckte. Manchmal muss man Leute einfach reden lassen.

»Ich werde fragen.«

»Ich bin Thomas nur ein Mal begegnet, aber er dürfte sich an mich erinnern. Sagen sie ihm, ich hätte Amy nicht erreichen können, daher mache ich mir Sorgen, aber sagen Sie ihm bitte nicht, dass ich Sie engagiert habe, und, bitte, erwähnen Sie um Himmels willen nichts von dem, was ich Ihnen erzählt habe.«

»Ich weiß, wie ich das anpacken muss.«

»Ich weiß, dass Sie das wissen, aber ich möchte sichergehen, dass Sie das auch wirklich verstehen. Alles, was ich Ihnen erzählt habe, ist streng vertraulich.«

»Wenn ich es noch besser verstanden hätte, wär’s mir auf die Stirn tätowiert.«

Meryl Lawrence verpflichtete mich zur Geheimhaltung, weil sie Angst hatte. Sie war leitende Angestellte eines Unternehmens namens Woodson Energy Solutions, für das Amy seit vierzehn Jahren als Chemieingenieurin in der Fertigung arbeitete. Sie stellten Treibstoff für das Verteidigungsministerium her, was bedeutete, dass ihre Arbeit der Geheimhaltung unterlag. Ihre erste Frage, als wir uns trafen, lautete, ob das Wort »vertraulich« auf meiner Visitenkarte tatsächlich vertraulich bedeutete.

»Ja, Ma’am«, sagte ich, »das tut es.«

»Schwören Sie es mir. Schwören Sie, dass Sie absolutes Stillschweigen bewahren werden.«

»Ich schwör’s.«

Vier Tage zuvor hatte Amy Breslyn ohne weitere Erklärung und ohne jede Vorwarnung Urlaub genommen. Das hatte sie per E-Mail getan. Meryl und ihre Vorgesetzten versuchten, Amy zu erreichen, aber ihre Anrufe und Textnachrichten blieben unbeantwortet. Einen Tag später ging Meryl zu Amys Haus. Amy war fort, aber alles wirkte, als wäre es in Ordnung. Am nächsten Tag entdeckte Meryl, dass aus Amys Abteilung vierhundertsechzigtausend Dollar verschwunden waren. Meryl behielt diese Entdeckung für sich. Sie glaubte, ihre Freundin sei dazu gezwungen worden, und hoffte, die Lage klären zu können, ohne die Behörden einschalten zu müssen. Sie engagierte mich auf eigene Kappe und ohne das Wissen ihrer Firma. Außerdem lehnte sie es ab, mir Zugang zu Amys Büro, ihrem beruflichen E-Mail-Account oder Informationen zu gewähren, die in irgendeinem Zusammenhang mit Amy Breslyns Arbeit standen. Die Sicherheit.

»Ich werde den Schlüssel morgen früh bei Ihnen abholen. Wollen wir uns am gleichen Ort treffen?«

»Oh, mein Gott, nein! Das ist viel zu riskant! Ich muss morgen nach West Hollywood. Suchen Sie sich dort einen Treffpunkt aus, für sieben Uhr.«

Ich schlug einen Parkplatz Ecke Fairfax und Sunset vor. Meryl Lawrence mochte Parkplätze.

»In Ordnung, sofern ich nichts anderes höre, dann also morgen um sieben. Vielleicht können Sie die Sache auch noch heute Abend klären und uns die Mühe ersparen.«

Was ich stark bezweifelte, so wie das ausgestorbene kleine Haus auf mich wirkte.

»Regnet es noch?«

»Ja.«

»Wenn Sie’s auch im Regen tun, dann steigen Sie jetzt aus Ihrem Wagen, und finden Sie sie.«

Erst eine Stunde dabei, und schon wurde die Klientin dreist.

Im diffusen Licht der Straßenbeleuchtung blätterte ich in Amy Breslyns Akte. Das Firmenfoto zeigte eine rundliche Frau mit hellbraunem Haar, einem weichen Gesicht und den traurigen Augen von jemandem, der sein einziges Kind aus Gründen verloren hatte, die kein vernünftiger Mensch nachvollziehen konnte. Falls sie Make-up benutzte, war es nicht zu erkennen. Sie erschien mir so unauffällig wie ein verschwommener Fleck in einer Menschenmenge, bis auf die Tatsache, dass dieser spezielle verschwommene Fleck einen Doktortitel der UCLA in chemischer Verfahrenstechnik besaß. Ich steckte mir ihr Bild in die Tasche.

Als ein paar Minuten später der Regen aufhörte, ging ich die Straße hinauf und zu Lerners Haustür. Direkt neben der Tür hing eine Außenbeleuchtung, aber die Glühbirne war so dunkel wie das restliche Haus. Ich klopfte an, wartete ein paar Sekunden, und klopfte dann erneut an. Ich drückte auf den Klingelknopf, aber die Klingel funktionierte nicht besser als die Lampe. Entzückend.

Ich klopfte noch einige Male, dann kehrte ich zu meinem Wagen zurück.

Zwölf Minuten später versuchte ich zu entscheiden, ob ich weiter warten oder am Morgen wieder vorbeikommen sollte, als ein Hubschrauber des LAPD so niedrig über mich hinwegdonnerte, dass mein ganzer Wagen durchgerüttelt wurde. Sein Suchscheinwerfer strich über die Häuser in der Nähe, ließ ihre nassen Dächer schimmern. Ich reckte den Hals, um besser sehen zu können. Ein Streifenwagen mit rotierenden Warnlichtern sperrte plötzlich drei Blocks voraus die Straße, während ich im Rückspiegel noch mehr Blinklichter sah. Ein zweiter Streifenwagen blockierte die Kreuzung einen Block hinter mir. Der Hubschrauber wummerte wieder über mich weg, harkte die nähere Umgebung mit seinem Scheinwerfer ab. Ich drehte mich um. Was immer hier passierte, es passierte schnell. Weitere Streifenwagen schlossen sich den ersten beiden an, tauchten die Häuser in rote und blaue Lichtblitze, während eine kleine Armee uniformierter Polizisten ausstieg und die Straße abriegelte.

Die Menschen, die in den Häusern wohnten, tauchten nun hinter den Fenstern auf oder kamen nach draußen, um sich das Spektakel anzusehen. Ich stieg aus meinem Wagen und leistete ihnen beim Zuschauen Gesellschaft. Das Los Angeles Police Department umzingelte ihr Viertel wie ein aufziehendes Gewitter.

Ein kleiner Mann in einem verblichenen Sweatshirt kam zur Tür des Hauses hinter mir und rief mit spanischem Akzent.

»Was machen die da?«

»Die ziehen einen Absperrring. Ich glaube, die suchen irgendwen.«

Er kam zu mir auf den Bürgersteig. Eine Frau mit einem Baby auf dem Arm nahm seinen ursprünglichen Platz in der Haustür ein.

Der Hubschrauber zog einen trägen Kreis drei oder vier Blocks im Durchmesser, verbrannte die Erde mit seinem Suchscheinwerfer. Wir standen darunter in einem so grellen Licht, dass wir blinzeln mussten, aber dann war es auch schon wieder dunkel.

Der Mann hakte die Daumen in seine Hosentaschen.

»Wir hier viel zu viel Verbrechen. Ich kleine Kinder im Haus.«

Ich zeigte auf Lerners Haus.

»Das dunkle Haus da drüben, einen Block weiter. Wohnt dort ein Thomas Lerner?«

Er starrte zu dem Haus hinüber.

»Wer?«

»Junger Bursche. Anglo. Er müsste jetzt so was um die achtundzwanzig, neunundzwanzig sein. Thomas Lerner.«

Er schüttelte bereits den Kopf, bevor ich fertig war.

»Wir jetzt drei Jahre hier, und gibt keinen Kerl namens Lermer.«

»Lerner.«

»Als wir eingezogen, wohnten da paar schwarze Tussen, aber die jetzt weg. Ein Filipino-Typ hat ein paar Wochen gewohnt, und dann so ein Mann aus El Salvador, aber das jetzt auch schon ein paar Jahre her. Heute wohnt da keiner mehr.«

Es waren nicht ausschließlich schlechte Neuigkeiten. Falls es vor, während und nach Lerners Zeit eine Mietimmobilie gewesen war, hatte der Vermieter womöglich eine Nachsendeanschrift oder Lerners Bewerbung für das Haus. Aus diesem Antrag würde ich die Namen und Anschriften von Arbeitgebern, Referenzen und vielleicht sogar Lerners Eltern erfahren. Es würde ein Klacks sein, ihn zu finden.

Mehrere Polizeibeamte näherten sich uns, gingen von Tür zu Tür. Ein Beamter mit dunklen Haaren kam den Bürgersteig herauf. Sergeant-Streifen klemmten an seinem Kragen, und auf seinem Namensschildchen stand ALVIN.

»Was ist los?«, fragte ich.

»Wir suchen eine verdächtige Person. Latino, männlich, fünfundzwanzig bis dreißig Jahre alt. Er trägt ein schwarzes T-Shirt mit einem Totenkopf-Aufdruck. Haben Sie so jemanden hier vorbeirennen sehen?«

Wir sagten ihm, nein, hätten wir nicht.

Der Hausbesitzer hakte nach. »Was er denn gemacht?«

»Haftbefehl wegen Mordes. Wir haben ihn drüben auf der Vermont entdeckt und ihn bis hierher verfolgt. Wir sind ziemlich sicher, dass er sich irgendwo in diesem Viertel versteckt hält.«

Der Hausbesitzer warf seiner Frau einen kurzen Blick zu und senkte die Stimme.

»Wir haben kleine Kinder, Sir. Ich will kein Schießen hier draußen.«

»Verriegeln Sie Türen und Fenster, okay? Wir werden ihn finden. Wir haben den Suchscheinwerfer, wir haben unsere Leute, und bald kommt auch noch ein Hund dazu. Bleiben Sie drinnen, und alles ist bestens.«

Der Mann ging schnell wieder ins Haus.

»Leute kommen von der Arbeit nach Hause«, sagte ich, »oder kommen zurück, nachdem sie auswärts essen waren, was weiß ich – werden Sie die reinlassen?«

»Ja, kein Problem, allerdings nicht mehr, nachdem wir den Hund von der Leine gelassen haben. Wenn hier ein Hund herumstreift, lassen wir keinen mehr rein.«

Ich sah zu den Streifenwagen hinüber, die die Kreuzung blockierten.

»Und was ist mit mir? Kann ich gehen?«

»Können Sie, aber erst nachdem wir an jeder Haustür geklopft haben. Sobald wie möglich stellen wir jemanden ab, der die Wagen wegsetzt.«

»Okay, Officer. Danke.«

Es würde eine lange Nacht.

Ein paar Minuten nachdem ich es mir wieder in meinem Wagen bequem gemacht hatte, kam vom Hubschrauber eine aufgezeichnete Durchsage. Die Anwohner wurden davon unterrichtet, dass jetzt ein Polizeihund von der Leine gelassen würde, und an den Gesuchten gerichtet hieß es, dies sei seine letzte Chance, aufzugeben. Ich hörte Gebell, aber es klang weit entfernt.

Schließlich hatten die Cops überall angeklopft und kehrten langsam zurück zur Kreuzung. Ich entdeckte Alvin und beschloss, das wäre jetzt ein guter Zeitpunkt zu verschwinden. Ich steckte gerade meinen Schlüssel in die Zündung, als ein Mann aus Thomas Lerners Haus kam. Sein Gesicht konnte ich nicht erkennen, und ein schwarzes T-Shirt trug er auch nicht, aber alles an der Art und Weise und seinen Bewegungen sagte mir, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Er entfernte sich nicht schlendernd von seinem Haus, wie es jeder normale Mensch tun würde, und er blieb auch nicht stehen, um sich den Hubschrauber anzusehen oder hinaus auf die Straße zu treten. Er hielt sich dicht am Haus und versuchte ganz offensichtlich, im Schutz der unterbrochenen Schatten nicht entdeckt zu werden. Ich stieg aus dem Wagen, um ihn besser sehen zu können, verlor ihn in der Dunkelheit aber aus den Augen. Dann blitzte Licht zwischen den Bäumen hinter dem Haus auf, und der Hund bellte wütend und ganz in der Nähe. Die Schatten bewegten sich, und der Mann rannte von mir fort in den benachbarten Garten.

Ich brüllte und winkte den Cops hinter mir zu.

»Alvin! Ein Flüchtiger! HIER DRÜBEN!«

Alvin brüllte zurück, aber ich verfolgte den Mann bereits.

Der Mann scherte scharf auf die Straße aus, überquerte sie und rannte durch einen schwachen Lichtkreis. Ich sah ein dunkles Sakko, eine dunkle Hose und vielleicht dunkle Haare, dann war er auch schon zwischen den Häusern verschwunden. Alvin brüllte. Ich holte inzwischen auf, als ich Lerners Haus erreichte, aber ein Beamter in taktischer Ausrüstung stürmte in den Vorgarten. Auch er brüllte und richtete dabei eine Pistole auf mich.

Ich blieb sofort stehen und riss die Hände hoch.

»Ein Mann ist hier rausgekommen. Da! Er ist über die Straße gerannt!«

Der Polizist in Kampfmontur brüllte an seiner Pistole vorbei.

»STOPP! Keine Bewegung!«

Ich rührte mich nicht. Irgendwo hinter mir brüllte Alvin, ich sei ein Zivilist, und der Cop des Einsatzkommandos lief zurück hinter das Haus. Alvin und zwei andere Cops erreichten mich. Die beiden anderen Cops liefen weiter, aber Alvin packte meinen Arm.

»Mann, was soll der Scheiß? Wollen Sie unbedingt erschossen werden?«

»Ein Mann ist aus diesem Haus gekommen. Er ist über die Straße gerannt.«

»War es unser Mann? Lange Haare? Latino mit schwarzem T-Shirt?«

»Ich dachte, ja, aber ich weiß nicht. Kurzes Haar. Er trug ein Sakko.«

Alvin gab per Funk durch, dass Polizeibeamte zu Fuß einen Mann verfolgten, der gesehen worden war, wie er das Haus verließ, und nannte die grobe Richtung. Der Hubschrauber über uns flog eine enge Kurve und drehte ab, um sich der Jagd anzuschließen. Das Wopp-wopp-wopp war ohrenbetäubend.

Alvin brüllte gegen den Lärm an.

»Dann haben Sie also beschlossen, den Helden zu spielen?«

»Ich hab gar nichts beschlossen, Alvin. Ich hab ihn gesehen und gedacht, es sei Ihr Mann. Er ist weggelaufen, und Sie waren einen Block hinter mir. Es kam mir wie das Richtige vor.«

Plötzlich hob Alvin das Funkgerät und sah zu dem Haus hinüber.

»Es heißt, wir haben ihn.«

»Den Typ, den ich verfolgt habe?«

Er deutete mit dem Funkgerät auf Lerners Haus.

»Nein, Dummkopf. Der Typ, von dem Sie dachten, dass Sie ihn verfolgen. Unseren 187er, unseren Mordverdächtigen. Er war auch da drinnen, und jetzt rennt er nirgendwo mehr hin.«

Ich starrte zu Thomas Lerners Haus hinüber, und ein ekliges Prickeln kroch mir die Brust hinunter. Ich stellte mir vor, wie ich dort anklopfte, und auf der anderen Seite der Tür stand jemand. Ich stellte mir vor, wie ich nur wenige Zentimeter von einem Mörder entfernt gewesen war.

»Ihr Flüchtiger war in diesem Haus?«

»Ist noch. Sieht so aus, als hätte das Arschloch, das Sie gesehen haben, unseren Mann umgelegt.«

Alvin setzte sich in Bewegung, aber ich rührte mich nicht.

»Alvin, ich suche einen Burschen, der mal hier gewohnt hat. Ich habe gerade erst an genau dieser Tür angeklopft.«

Alvin musterte mich, als verstünde er nicht ganz.

»Ich bin nicht rein. Ich habe mehrere Male angeklopft, niemand hat reagiert, also bin ich zu meinem Wagen zurück. Ich wollte schon losfahren, als ihr Jungs angerollt kamt.«

Alvin verlangte meinen Ausweis. Ich gab ihm meinen Führerschein und meine Lizenz als Privatdetektiv. Er runzelte die Stirn.

»Okay, Mr. Cole, bleiben Sie in der Nähe. Man wird mit Ihnen reden wollen.«

Alvin drückte wieder die Sprechtaste seines Funkgeräts, hatte aber Probleme, eine Antwort zu bekommen. Der Hubschrauber kehrte zurück und tauchte Lerners Haus in eine Lanze aus Licht. Alvins Funkgerät explodierte förmlich mit sich überschneidenden Funksprüchen. Bei etwas, das er hörte, verfinsterte sich sein Gesicht, er packte unvermittelt meinen Arm und lotste mich auf die Absperrung zu.

»Auf geht’s. Die schicken jemanden.«

In diesem Augenblick veränderte sich Alvin. Die Polizeibeamten an ihren Streifenwagen veränderten sich. Die Häuser und die Gärten und die nächtlichen Wolken über uns veränderten sich, als die Luft vor fieberhafter Anspannung knisterte.

Alvin schleifte mich in der Mitte der Straße weiter, als könnten wir gar nicht schnell genug gehen. Die Polizisten, die noch vor wenigen Minuten an der äußeren Absperrungslinie gestanden hatten, verließen eilig ihre Positionen und verteilten sich über das Viertel, klopften wieder mit spröden und besorgten Gesichtern an Haustüren.

»Was ist los, Alvin? Was geht hier ab?«

Alvin begann zu laufen, also steigerte ich mein Tempo.

Leute wurde aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen, als wir vorbeiliefen. Manche zögerten. Andere torkelten auf die Straße. Die Cops steigerten ihr Tempo, ihre Stimmen wurden lauter. Ihre Augen wirkten größer und strahlender.

»Verdammt, warum verlassen all diese Leute ihre Häuser?«

Alvin legte noch mal einen Schritt zu.

Als wir die Kreuzung erreichten, warteten ein männlicher Detective mittleren Alters in einem langweilig grauen Anzug und ein weiblicher Detective in einem marineblauen Hosenanzug neben einer dunkelblauen, nicht weiter gekennzeichneten Limousine. Ein uniformierter Einsatzleiter stand in der Nähe, ignorierte uns aber.

»Das ist er«, sagte Alvin.

Der männliche Detective hob sein Jackett etwas an, um mir seine Marke zu zeigen.

»Bob Redmon, Mr. Cole. Von der Rampart Station. Das hier ist Detective Furth. Wir hätten gern, dass Sie uns begleiten.«

Furth sah mich kaum an. Sie beobachtete, wie die Männer und Frauen, Teenager und Kinder den abgesperrten Bereich verließen, manche von ihnen offensichtlich sauer und missmutig, andere nervös und verängstigt. Sie bildeten eine schnell anwachsende Menge, die sich über den Bürgersteig verteilte.

»Sagen Sie mir, was hier los ist, Redmon«, sagte ich. »Warum holen Sie all diese Leute aus ihren Häusern?«

Redmon überhörte meine Frage.

»Solange das Zeug noch frisch ist, verstehen Sie? Dürfte nicht lange dauern.«

»Verhaften Sie mich?«

Er öffnete die hintere Tür der Limousine und gab mir zu verstehen, dass ich einsteigen sollte.

»Wir fahren Sie später auch wieder zurück.«

»Mein Wagen steht einen Block entfernt.«

Jetzt sprach Furth zum ersten Mal, die Anspannung war ihr deutlich anzuhören.

»Steigen Sie endlich ein, andernfalls buchten wir Sie ein. Komm, Bobby, ich will hier weg.«

Ich fragte sie erneut.

»Warum evakuieren Sie die Leute?«

Redmon hielt einfach nur die Tür auf, bis ich einstieg. Furth und Redmon stiegen dann ebenfalls sofort ein, und Furth ließ den Motor an.

Eine laute Sirene heulte auf der anderen Seite der Kreuzung auf. Ein großer schwarzer Chevy Suburban mit eingeschalteten Blaulichtern traf ein und schob sich vorsichtig über die Kreuzung. Es war ein Unheil verkündendes Fahrzeug, auf dessen Seiten ein Wort stand, das meine Frage beantwortete.

Furth fuhr los, langsam wegen der Menschenmenge. Ich starrte den Suburban an. Irgendwo über uns das Wopp-wopp-wopp des Hubschraubers im Tempo meines Herzschlags. Während meiner Zeit bei der Army war das ein beruhigendes Geräusch gewesen. Das schwere Pulsieren der Rotoren bedeutete, dass jemand kam, um dir den Arsch zu retten.

Ich erzählte der Polizei nicht den wahren Grund, warum ich dort war. Ich erwähnte Amy Breslyn nicht. Noch nicht, nicht in dem Moment. Alles wäre vielleicht ganz anders gekommen, wenn ich es getan hätte.

Meryl Lawrence hatte mir nur wenig über Amy Breslyn erzählt, aber jetzt schienen diese Fakten mit einer neuen und gefährlichen Bedeutung aufgeladen zu sein.

Ich hatte Meryl Lawrence versprochen, Amys Geheimnisse zu bewahren, also machte ich das auch. Und viele davon behalte ich immer noch für mich.

Wir passierten den schwarzen Suburban mit seinen lautlos blitzenden Einsatzlichtern. Die Leute auf dem Bürgersteig reagierten gebannt, als sie das Fahrzeug sahen, so wie Mäuse beim Anblick einer Schlange. Ich war ebenfalls gebannt. Das Wort auf dem Suburban erklärte, warum wir evakuiert wurden.

BOMBENENTSCHÄRFUNGSKOMMANDO.

3

LAPD K-9-Officer Scott James

Ein leichter Schauer besprühte Scott James, als der Hubschrauber der Luftunterstützung über ihn hinwegflog und mit seinem Suchscheinwerfer blendete.

»Erinnere mich daran, dass wir nächstes Mal unsere Sonnenbrillen mitnehmen.«

Die 30-Millionen-Candela starke Nightsun war beeindruckend, aber Scott wusste, dass die stark vergrößernden klassischen Kameras und die FLIR-Infrarotgeräte des Hubschraubers der Luftunterstützungscrew ein erheblich besseres Bild lieferten als ihr Suchscheinwerfer. Polizeibeamte, Hunde, Automotoren und alles, was eine Wärmesignatur erzeugt, würde auf ihrem Monitor aufleuchten. Ihr Himmelsauge-System war die nächstbeste Sache nach dem Röntgenblick, doch unfehlbar war es nicht.

»Wenn sie Superkräfte brauchen, rufen sie die K-9. Stimmt’s, Maggie?«

Maggie leckte seine Finger ab und umkreiste seine Beine.

Maggie war ein fünfundachtzig Pfund schwerer schwarz-gelber Deutscher Schäferhund. Nichts bereitete ihr mehr Freude, als mit Scott zu spielen. Das Spiel an diesem Abend würde die Suche nach einem flüchtigen Mordverdächtigen namens Carlos Etana sein.

Scott legte gerade seine kugelsichere Weste an, als Paul Budress sich vom Befehlsstand näherte. Budress war einer der dienstälteren Co-Trainer der K-9-Staffel.

»Eine Frau hat einen Kerl gesehen, auf den Etanas Beschreibung passt. Könnte sein, dass wir eine Geruchsspur haben.«

»Hervorragend. Sind die Jungs da?«

Maggie würde der einzige Hund sein, der von der Leine gelassen wurde, aber Budress und zwei weitere Hundeführer würden bei der Suche in der Gegend helfen. Zivilisten und normale Streifenpolizisten hatte man gerade abgezogen.

Budress spuckte Kautabaksaft aus.

»Packen wir’s an.«

Scott hakte Maggies Leine ein und folgte Budress in das Suchgebiet. Die Straßen und Gärten waren leer und verlassen, aber Leute standen hinter ihren Fenstern und hielten kleine Kinder hoch, damit sie den Polizeihund sehen konnten, während das Viertel vom Hubschrauber mit einer Bandkonserve beschallt wurde. Die Durchsage bat die Anwohner, in ihren Häusern zu bleiben, und warnte den Verdächtigen, dass er noch eine Minute Zeit habe, sich zu ergeben, bevor ein Hund losgelassen würde. Die Durchsage war so laut, dass Scott an die Szene aus Apocalypse Now denken musste, in der Wagners Ritt der Walküren von amerikanischen Hubschraubern dröhnte, während sie ein Dorf der Vietcong vernichteten. Es war das zweite Mal, dass diese Warnung sowohl auf Spanisch als auch auf Englisch durchgegeben wurde.

Budress hielt sich die Ohren zu.

»Wie viele Warnungen brauchst du noch, bevor wir dich wegen krimineller Dämlichkeit drankriegen?«

Evanski und Peters warteten in einer Zufahrt hinter der nächsten Ecke. Scott hob eine Hand, und die beiden Hundeführer führten sie die Einfahrt hinauf.

Evanski berichtete, was sie von einem Zeugen erfahren hatte.

»Eine Frau sagt, ein Latino sei hier die Zufahrt rauf und dann über den Zaun da. Lange Haare, schwarzes T-Shirt mit Totenkopf. Ganz klar unser Mann.«

Die vier Polizisten nahmen ihre Taschenlampen, als sie einen niedrigen Maschendrahtzaun erreichten, der mit Efeu und Kletterrosen durchzogen war. Frisch abgerissene Blätter und gebrochene Stängel lagen überall auf dem Boden oder hingen in den Ranken. Scott musterte den Garten hinter dem Zaun und sah matschige, herausgerissene Rasenstücke, wo jemand offenbar fieberhaft versucht hatte, Halt zu finden. Das war ein Vorteil, mit dem er nicht gerechnet hatte.

Maggie war darauf abgerichtet, unspezifische menschliche Witterungen aufzunehmen, aber die Suche nach einem unspezifischen Geruch verlief methodisch und langsam. Scott musste sie von Garten zu Garten hinter jedem Haus und jeder Garage führen, damit sie an all den Stellen schnupperte, wo ein Mensch sich verstecken könnte. Ein spezifischer Geruch hingegen modifizierte seinen Plan. Falls Maggie Etanas Geruch erwischte, bräuchte Scott sie nicht von Haus zu Haus zu führen. Maggie würde Etanas Geruchskegel direkt bis zu ihrer Beute folgen.

»Sieht ziemlich gut aus. Seid ihr soweit?«

»Zeig, was du draufhast, Bruder!«

Scott schlug unvermittelt auf seine Knie und wuschelte Maggies Kopf. Eine hohe, piepsige Stimme bedeutete Lob und Spiel. Ein Befehlston war bestimmt und kräftig. Scott machte die Piepsstimme.

»Maggie, mein Mädchen, willst du dir einen schnappen? Willst du uns einen Bösen fangen?«

Maggie wedelte mit dem Schwanz und schmiegte sich an ihn. Dann sprang sie weg und kehrte gleich zurück. Das war jetzt Jagd, und Jagd war Spiel. Maggie wollte spielen.

Scott richtete sich auf und senkte die Stimme.

»Platz!«

Maggie ließ sich auf den Bauch fallen. Ihre Ohren waren nach vorn gerichtet, und sie starrte ihm fest in die Augen. Dies war ihre Ausgangsposition beim Training.

Scott zeigte heftig auf das Gartentor.

»Maggie, riechen! Riech ihn, mein Mädchen. Riech!«

Scott beobachtete ihr Verhalten und ihre Körpersprache, während sie das Laub und die Erde unter den Kletterpflanzen und die Luft rings um die Pflanzen abschnupperte. Maggie verstand, dass Scott von ihr erwartete, den stärksten menschlichen Geruch an der Stelle aufzunehmen, die er ihr zeigte. Als sie den Schwanz anlegte und am Zaun scharrte, wusste Scott, dass sie die Witterung aufgenommen hatte. Er zog seine Pistole, öffnete das Törchen und folgte ihr.

»Maggie, find den Kerl. Such!«

Budress und die anderen folgten und gingen seitlich weg in einer lockeren V-Formation. Der Nightsun-Scheinwerfer strich über sie weg, badete sie in Licht und bewegte sich weiter, tauchte sie wieder in Finsternis.

Maggie brauchte weder Taschenlampen noch Luftunterstützung. Sie trottete zielsicher an einer rostigen Schaukel vorbei, durch eine Hecke und weiter in den nächsten Garten.

»Sie ist dran!«, sagte Evanski. »Seht sie euch an!«

Maggie folgte der Geruchsspur durch das nächste Grundstück in einen weiteren angrenzenden Garten, wo sie plötzlich die Spur zu verlieren schien, doch dann kam ihre Nase wieder hoch, und sie fand ihren weiteren Weg von einem Zaun versperrt. Scott prüfte kurz die andere Seite auf Hunde und mögliche Risiken, dann hob er sie hinüber und folgte ihr. Der schmale Durchgang zwang Budress und die anderen, hintereinander zu gehen und zurückzufallen.

Budress rief.

»Langsamer!«

Scott folgte Maggie durch einen Carport und Sträucher, dann unter eine metallene Markise und weiter durch noch mehr Hecken in einen kleinen Garten, über den sich das Blätterdach eines ausladenden Avocadobaums spannte. Scott stand vor einem kleinen, mit Schindeln verkleideten Haus, das unter dem großen Baum kauerte. Kein Licht hinter den Fenstern, und der Baum hüllte das Haus in Schatten.

Scott richtete seine Taschenlampe genau in dem Augenblick auf das Haus, als ein gut gekleideter Mann herauskam. Der Mann war ein Angloamerikaner mittleren Alters mit heller Haut und kurz geschnittenen Haaren. Er trug eine Freizeithose und ein Sakko. Er zuckte überrascht zusammen, und Maggie stürmte bellend auf ihn los.

Scott rief sie sofort zurück.

»Maggie, aus! Aus!«

Maggie kehrte an seine Seite zurück, aber der Mann war ganz offensichtlich erschrocken.

»Was zum Teufel haben Sie hier hinten zu suchen?«

»Bitte gehen Sie zurück ins Haus, Sir. Wir haben hier einen flüchtigen Straftäter in der Gegend.«

»Was soll das mit dem Hubschrauber? Der macht mich wahnsinnig!«

»Gehen Sie rein, Sir. Bitte.«

Der Mann verzog das Gesicht, verschwand aber wieder in seinem Haus.

Scott hörte, wie die Tür verriegelt wurde, und strich Maggie über den Rücken.

»Mir hat er auch eine Scheißangst eingejagt.«

Budress kam geräuschvoll durch die Hecke, dicht gefolgt von Evanski und Peters.

»Was war das für eine Stimme?«

»Zivilist. Wir haben ihm Angst eingejagt.«

Budress spuckte Kautabak aus.

»Los, sie soll jetzt die Jagd fortsetzen.«

Scott kehrte mit Maggie zur Hecke zurück und zeigte auf den Boden.

»Riech, Mädchen. Riech. Such, such, such!«

Maggie rannte zur Tür und bellte.

Scott rief sie zurück.

»Nicht den Burschen, Baby. Den anderen Kerl.«

Er führte sie wieder zur Geruchsspur und befahl ihr zu suchen.

Maggie stürmte sofort erneut zur Tür.

Scott spürte, wie das Adrenalin durch seine Adern schoss.

»Paul, er ist hier. Etana ist da drinnen.«

Scott befahl Maggie, mit dem Bellen aufzuhören, und nahm Stellung neben der Tür ein. Budress gab die Lage per Funk durch, während Evanski und Peters zu den Ecken des Hauses gingen.

Scott klopfte gegen die Tür.

»Sir, machen Sie auf. Polizei. Bitte öffnen Sie die Tür.«

Der Mann reagierte nicht.

Scott richtete den Strahl seiner Taschenlampe in einen Spalt zwischen Fenster und Jalousie. Ein junger Mann in einem schwarzen T-Shirt lag ausgestreckt auf einer Couch. Ein weißer Totenkopf war deutlich auf seinem T-Shirt zu erkennen, aber ein Teil des Schädels schimmerte rot, und sein Gesicht war ein zermanschter Mix aus Blut, Knochen und Haaren.

Scotts Puls schoss hoch, als er die Sprechtaste seines Funkgeräts drückte.

»Verdächtiger verletzt im Haus, benötigt ärztliche Hilfe. Ein zweiter Verdächtiger drinnen, Angloamerikaner, circa fünfzig, Sakko.«

Noch während Scott die Durchsage machte, begriff er, dass der Mann inzwischen durch die Haustür raus sein könnte.

»Paul, vor dem Haus!«

Scott erreichte den Vorgarten, als der Mann im Sakko über die Straße rannte, aber jemand rief etwas aus der entgegengesetzten Richtung, und Scott sah einen zweiten Mann auf sich zugelaufen kommen, dem drei Polizisten folgten. Scott hob seine Schusswaffe, und der zweite Mann blieb schlitternd stehen, gestikulierte wild auf den Mann im Sakko.

»Ein Mann ist hier rausgekommen! Da! Er ist über die Straße gerannt!«

Scott brüllte ihn nieder und betete, dass der Kerl nichts Dummes tat.

»STOPP! Keine Bewegung!«

Dann brüllte einer der ihn verfolgenden Polizisten. »Er ist ein Zivilist. Der Typ ist ein Zivilist!«

Scott riss die Pistole seitlich weg und lief zu Budress zurück.

»Der Typ, den ich gesehen habe, ist geflohen. Beamte haben die Verfolgung aufgenommen.«

Budress richtete die Taschenlampe durchs Fenster und ging zur Tür.

»Scheiß auf ihn! Der Typ da drinnen ist tot oder liegt im Sterben. Wir müssen rein!«

Budress wich ein Stück zurück und trat kräftig auf eine Stelle über dem Türknauf. Die Tür flog auf, und Scott löste die Leine seines Hundes.

»Hol ihn, Baby, hol ihn!«

Maggie rannte ins Haus.

Scott folgte ihr, die Waffe gehoben und schussbereit. Er sicherte die Küche und ging ins Wohnzimmer. Vor dem Körper war Maggie stehen geblieben und bellte, damit Scott wusste, dass sie ihre Beute gefunden hatte.

Budress trat eine Pistole weg, die neben dem Körper lag.

»Weiter! Das Haus sichern.«

Scott führte Maggie in die Diele. Die Türen zu einem Bad und einem kleinen Zimmer standen offen, eine Tür am Ende des Flurs war geschlossen.

Maggie schnupperte im Vorbeilaufen kurz ins Bad und ins Schlafzimmer, wurde vor der geschlossenen Tür jedoch langsamer. Sie schien die Tür einen Augenblick zu studieren, dann ließ sie sich auf den Bauch nieder und starrte die Tür an. Scott sah, wie ihre Nüstern vibrierten, aber sie bellte nicht, wie sie es tun würde, wenn jemand in dem Zimmer wäre.

»Zimmer vorne gesichert«, sagte Budress. »Was hat sie?«

»Keine Ahnung. Was ist mit dem Geruch hier? Chemikalien?«

»Bleichmittel. Brennt mir total in den Augen.«

Scott ging näher ran. Maggie sah kurz stolz zu ihm auf und wedelte mit dem Schwanz, blieb aber auf dem Bauch liegen. Scott hatte sie noch nie so wachsam erlebt.

Budress brüllte.

»Polizei! Machen Sie die Tür auf, und kommen Sie raus, sofort!«

Scott drückte ein Ohr an die Tür, hörte aber nichts. Er zuckte die Achseln. Budress deutete auf die Tür und nickte.

Scott stieß die Tür auf und richtete die Taschenlampe in den Raum.

Hinter ihm raunte Budress: »Nimm sie an die Leine! Lass sie nicht da rein.«

Scott hakte Maggies Leine ein, dann drückte er die Sprechen-Taste seines Funkgeräts.

»Wir sind im Haus. Nicht näher kommen. Ich wiederhole, nicht näher kommen.«

Die Stimme des Einsatzleiters kam knisternd aus ihren Funkgeräten.

»Was zum Teufel? Was ist los bei euch?«

Scott war nicht ganz sicher, wie er es sagen sollte.

»Sprengstoff. Hier drinnen befindet sich genug Sprengstoff, um das ganze Viertel in die Luft zu jagen.«

Scott warf Budress einen Blick zu, der ihn zurückwinkte.

»Komm, Scott. Gottverdammt, verschwinden wir von hier.«

Scott zog sich mit seinem Hund aus dem Zimmer zurück.

4

Mr. Rollins

Der immer wieder mit kurzen Unterbrechungen fallende Regen besprenkelte seine Windschutzscheibe mit Diamanten. Durch seinen schwitzenden Körper beschlugen die Scheiben, also drehte er das Gebläse voll auf. Es reichte nicht, um den Gestank der Bleiche aus seiner Nase zu nehmen.

Mr. Rollins saß drei Blocks außerhalb des abgesperrten Gebietes in seinem Auto und wischte sich wütend Regen aus dem Gesicht, während er versuchte, seine Angst zu beherrschen. Es war wichtig, das hier jetzt auf eine Weise durchzuziehen, die sein Problem löste.

»Eli, Sie haben einen Idioten geschickt. Die Polizei ist ihm zu meinem Haus gefolgt.«

»Moment. Carlos?«

»Ihr Idiot hat die Polizei zu meinem Haus geführt. Die haben ihn. Wahrscheinlich verpfeift er uns gerade.«

»Sie sind high.«

»Beten Sie, dass ich high bin.«

Elis Stimme wurde schärfer und sein Akzent ausgeprägter.

»Sagen Sie was, das ich verstehe. Wovon reden Sie da?«

Mr. Rollins beobachtete den Hubschrauber, der nur wenige Blocks entfernt die Dunkelheit mit seinem Lichtsäbel zerschnitt. Sie waren immer noch auf der Jagd, nur suchten sie jetzt ihn.

Elis Stimme war eiskalt.

»Ich sage das nicht zweimal. Holen Sie mir sofort Carlos ans Telefon.«

Eli war ein gefährlicher Mann, aber Mr. Rollins hatte keine Angst vor ihm. Unter seinem eigenen und anderen Namen hatte Rollins Einbrüche, bewaffnete Raubüberfälle und Entführungen von Lkws auf Autobahnen begangen, bevor ihm klar wurde, dass er mehr Geld verdienen konnte, wenn er das kaufte und verkaufte, was andere gestohlen hatten. Er war in der Vergangenheit dreimal rechtskräftig verurteilt worden und hatte zwei Haftstrafen abgesessen. Er hatte sieben Menschen ermordet, darunter seinen Schwager, und wann immer er sich mit einem Käufer oder Verkäufer traf, war er bereit, wieder zu töten. Jetzt jedoch mäßigte er seine Stimme.

Er plante das Drehbuch und zog den Plan durch, so machte er das immer.

Regeln.

»Kann ich nicht, Eli. Hören Sie mir zu. Die Polizei hat ihn.«

»Meinen Sie das ernst?«

»Die Polizei hat ihn verfolgt. Zu Fuß, mit dem Hubschrauber, Hunde. Er blutete und redete wirres Zeug. Ich glaube, er ist inzwischen tot. Ich selbst bin nur knapp entkommen.«

»Sie meinen das ernst.«

Keine Frage mehr.

»Das Haus ist erledigt. Da kann ich nie mehr hin und es auch nicht mehr benutzen. Und was im Haus war, ist weg. Die Bullen haben alles.«

Jetzt klang Eli besorgt. Besorgt war gut.

»Ich brauche diese Sachen.«

»Dann schicken Sie das nächste Mal einen besseren Mann als Carlos.«

»Die Termine lassen sich nicht verschieben. Wir haben eine klare Zeitschiene.«

»Alles ist weg, Eli. Ich habe Carlos nicht gebeten, die Scheißbullen mitzubringen.«

Rollins hörte auf zu reden, damit Eli die Sache durchrechnen konnte. Eli war in Verzug geraten und würde weiter in Verzug geraten, sofern er nicht die Dinge ersetzte, die er verloren hatte, und das Material beschaffte, das er immer noch benötigte. Um das zu erreichen, würde er Mr. Rollins brauchen, und die Zeit lief ihm davon.

Keiner sprach für fast eine ganze Minute, dann gab Eli nach.

»Was ist mit dem Zeug, das Sie heute Abend getestet haben?«

»Was soll damit sein?«

»Entspricht es der Beschreibung des Verkäufers?«

»Mein Chemiker sagt, ja. Er wird weitere Tests durchführen, aber das Zeug ist echt, Eli. Kann weder zu einem Hersteller noch zu Lieferanten zurückverfolgt werden.«

»So was gibt es nicht.«

»Der Chemiker sagt, doch.«

Eli zögerte, dachte nach.

»Die könnten das sofort liefern?«

»Jetzt machen Sie sich aber was vor, Mann. Die werden in den Nachrichten sehen, was passiert ist, und dann schießen die mich in den Wind. Der Deal ist Geschichte.«

»Überzeugen Sie sie. Ich kaufe denen alles ab.«

»Eli, im Ernst jetzt, ich habe momentan größere Probleme als das.«

»Welche?«

»Ein Bulle von der Hundestaffel hat mich gesehen. Er hat mir seine Taschenlampe voll ins Gesicht gehalten, und wir haben ein paar Worte geredet. Er kann mich mit dem Haus in Verbindung bringen.«

Eli war wieder still, was ein gutes Zeichen war, wie Mr. Rollins spürte. Eli rechnete die Sache weiter durch und würde zu dem unausweichlichen Ergebnis gelangen.

»Würden Sie ihn wiedererkennen, wenn Sie ihn sehen?«

»Ja. Absolut.«

»Ich schlage vor, wir helfen uns gegenseitig. Wie viel Material ist jetzt noch bei dem Chemiker?«

»Nur etwa hundert Gramm, so in der Größenordnung.«

»Reicht, um Ihr Problem zu lösen, wenn Sie meines lösen.«

»Ich höre.«

»Sie sprechen mit den Verkäufern?«

»Ja.«

»Ich muss das schnell durchziehen.«

»Ich auch. Mein Problem duldet keinen Aufschub.«

»Das geschieht morgen.«

Mr. Rollins senkte sein Telefon. Er beobachtete den kreisenden Hubschrauber, formte dann mit der Hand eine Pistole und verfolgte ihn. Er könnte den Hubschrauber in einen brennenden Schrotthaufen verwandeln mit den Dingen, die er im Haus zurückgelassen hatte.

Rollins fädelte sich ruhig in den Verkehr ein und fuhr gemächlich fort. Er machte innerlich eine Liste und sagte sie dann laut auf.

Langsam fahren.

Auf der rechten Spur bleiben.

Frühzeitig bremsen.

Autofahrer in L. A. nerven bei Regen total.

Das Aufstellen von Regeln gab ihm Ordnung, und diese Regeln zu befolgen gab ihm Frieden. Seine allerwichtigste Regel war eine der ersten, die er je gelernt hatte. Niemals einen Augenzeugen zurücklassen.

Der einzige Mensch, der ihn mit dem Haus in Verbindung bringen konnte, war ein kleiner Bulle mit einem Hund. Ein Clown mit einem Hund.

Der Clown musste weg.

5

Elvis Cole

Redmons Telefon summte, als wir einen Block von der Rampart Station entfernt waren. Er hörte schweigend zu, dann senkte er das Telefon und warf einen Blick über seine Schulter.

»Umweg. Die wollen Sie downtown.«

Furth schlug aufs Lenkrad.

»Das ist totale Scheiße.«

»Wer ist die?«, fragte ich.

Furth seufzte tief.

»Sobald was Fettes passiert, ziehen die sich das gleich an Land. Arschlöcher.«

Die Major Crimes Division war eine Sonderermittlungsgruppe, stationiert im Police Administration Building zusammen mit den anderen Eliteabteilungen der Kriminalpolizei. Die MCD erhielt heiße Fälle, die für Schlagzeilen sorgten und sich auf einer Skala von Serienmorden über Promi-Opfer bis zu Verbrechen bewegten, die möglicherweise die öffentliche Sicherheit gefährdeten. Von der Häufigkeit, in der Detectives der MCD in den Abendnachrichten erschienen, konnten kleine, normale Kriminalbeamte wie Furth nur träumen. Außerdem trugen sie nettere Klamotten. Die MCD waren die tollen Hechte.

»Nie die Hoffnung aufgeben, Furth«, sagte ich. »Vielleicht schmeißen Sie irgendwann den ganzen Laden.«

Furth warf mir einen vernichtenden Blick im Rückspiegel zu, doch dann wurden ihre Augen milder.

»Könnte gut sein.«

Das Police Administration Building war ein prächtiges Gebäude aus Glas und Beton mit einem dreieckigen Atrium, das wie der Bug eines kristallenen Schiffs aussah. Die Cops, die dort arbeiteten, nannten es Das Boot. Die gegenüberliegende Seite sah aus wie ein Mutterschiff der Borg.

Furth blieb beim Wagen, während Redmon mich nach oben brachte. Ich sah sie nie wieder.

Die Hauptbüroetage der Major Crimes war groß, hell und in zahlreiche Arbeitsplätze aufgegliedert. Besprechungsräume säumten eine innenliegende Wand. Büros mit Blick nach draußen befanden sich an der äußeren Wand. Ein Büro war offen, die übrigen waren geschlossen. Drei der Arbeitsplätze waren momentan belegt, und drei Detectives standen vor der Tür des offenen Büros.

»Da sind wir. Die Show«, meinte Redmon.

Ein großer schlanker Detective mit sich deutlich lichtendem blondem Haar kam uns entgegen. Er hatte eine braune Hose an, gehalten von Hosenträgern, und ein blauweiß gestreiftes Hemd. Redmon deutete mit dem Daumen auf mich.

»Das ist er.«

Redmon machte auf dem Absatz kehrt und ging ohne ein weiteres Wort. Auch Redmon sah ich nie wieder.

Der neue Typ lächelte und streckte eine Hand von der Größe einer Monsterkrabbe aus.

»Brad Carter. Sie sind Mr. Cole?«

»Ja, Sir. Elvis Cole.«

Er umklammerte meine Hand, auch wie eine Monsterkrabbe.

»Danke, dass Sie gekommen sind. Unterhalten wir uns hier drinnen.«

Er führte mich zu einem Besprechungszimmer.

»Kaffee oder Tee? Earl Grey. Aus meinem Privatvorrat.«

»Nein, danke.«

»Müssen Sie zur Toilette?«

Der gastfreundlichste Cop der Welt.

»Nein, danke. Alles bestens.«

Das Besprechungszimmer war klein, aber freundlich, hatte einen ovalen Tisch und eine gläserne Wand. Vorhänge waren zugezogen, um das Glas zu bedecken. Carter bat mich, Platz zu nehmen, und setzte sich dann mir gegenüber an den Tisch. Er ließ die Tür offen.

»Würden Sie sich mir bitte kurz vorstellen und mir Ihren Führerschein zeigen?«

Ich rasselte meinen Namen und meine Anschrift runter, zeigte ihm meinen Führerschein und meine kalifornische Privatdetektivlizenz. Beides legte er beiseite, als beabsichtige er, die Ausweise zu behalten, dann nannte er die Adresse in Echo Park.

»Okay, Mr. Cole. Um oder gegen elf Uhr heute Abend haben Sie gesehen, wie ein Mann dieses Wohnhaus verließ?«

»Ja, Sir. Das habe ich.«

»Und Sie haben ihn verfolgt, berichtete man mir.«

»Jawohl, Sir. Hat man ihn geschnappt?«

»Noch nicht, aber wir werden ihn finden. Können Sie ihn mir bitte beschreiben?«

Ich beschrieb Carter den Mann mit dem Sakko, exakt wie ich ihn Alvin beschrieben hatte. Er machte sich mehrmals kurze Notizen auf einem Block, betrachtete mich aber die meiste Zeit, beziehungsweise meinen Mund, fast als müsse er es von meinen Lippen ablesen, um zu verstehen, was ich sagte.

»Nicht gerade viel, womit wir arbeiten können, aber so ist es nun mal. Würden Sie ihn wiedererkennen?«

»Ich habe sein Gesicht nicht gesehen. Er war zu weit entfernt, und es war dunkel. Ich kann nicht mal sagen, ob sein Sakko dunkelgrau war oder dunkelblau oder dunkelrot.«

Er machte sich eine weitere Notiz.

»Okay. Dann verraten Sie mir doch mal, warum Sie ihn verfolgt haben?«

»Ein Officer namens Alvin hatte mir erzählt, dass sich ein Mann, der wegen Mordes gesucht wird, in der Gegend befände. So wie dieser Kerl sich aus dem Haus geschlichen hatte, dachte ich, das müsse der Gesuchte sein. Ich war am nächsten bei ihm, also habe ich die Officers alarmiert und versucht, ihn zu schnappen. Möglicherweise hätte ich es auch geschafft, ihn einzuholen, wer weiß. Ein Officer kam von der Rückseite des Hauses angerannt, richtete eine Waffe auf mich, und das war’s dann.«

»War das Officer Alvin?«

»Nein, ein K-9-Beamter. Er hatte einen Hund. Alvin und die anderen Polizisten waren hinter mir.«

Carters Handy summte, er bekam eine Textnachricht. Er las sie, nahm meine Ausweise und stand auf.

»Ich kopiere die hier kurz und bringe sie Ihnen gleich zurück. Sind Sie sicher, dass Sie nichts haben wollen? Einen Kaffee oder Tee?«

»Wie wär’s mit einer Antwort. Was ist heute Abend passiert?«

Carter schüttelte den Kopf, als wüsste er nicht, wovon ich rede.

»Das ganze Viertel wurde evakuiert«, sagte ich. »Das Bombenentschärfungskommando ist aufgetaucht. Was befand sich in diesem Haus?«

»Ich bin in ein paar Minuten zurück. Warten Sie hier.«

Carter schloss hinter sich die Tür und verließ mich für über eine Stunde. Nach dreißig Minuten stand ich auf. Abgeschlossen. Ich schenkte es mir, es später noch mal zu versuchen. Carter würde mit Alvin sprechen. Er würde meine Geschichte mit Einsatzberichten und Ermittlern vor Ort abgleichen und würde erst wieder auftauchen, wenn er mehr Fragen oder keine Fragen mehr hatte.

Eine Stunde und sechsundzwanzig Minuten nachdem er gegangen war, kehrte Carter in Begleitung einer attraktiven Afroamerikanerin zurück. Sie trug Jeans und einen Blazer. In der einen Hand hatte sie eine Tasse, in der anderen einen silbernen Laptop. Auch Carter hatte eine Tasse, aber die war in seiner Monsterkrabbenpranke verborgen.

Die Frau stellte sich als Detective Glory Stiles vor und ließ ein hübsches Lächeln aufblitzen.