Zeitendämmerung - Simone M. Lindinger - E-Book

Zeitendämmerung E-Book

Simone M. Lindinger

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Beschreibung

Ihren achtzehnten Geburtstag hatte Ellis sich anders vorgestellt. Feiernd, mit Familie und Freunden. Stattdessen sitzt sie im Auto eines geheimnisvollen Fremden und jagt mit ihm durch die Straßen der Stadt. Auf der Flucht vor einem Familiengeheimnis, das ihr Leben für immer verändern sollte.

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Seitenzahl: 218

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Epilog

Prolog

Schnell griff er nach seiner ledernen Reisetasche und eilte die Treppe nach unten.

Dunkelheit empfing ihn in der großzügigen Empfangshalle des herrschaftlichen Anwesens. Ihn fröstelte. Von draußen war der Schein einer Straßenlaterne zu sehen, in deren Lichtkranz er die Umrisse einer Kutsche entdeckte. Ein Mann in dunkler Kleidung wartete in der Kälte der Nacht auf seinen einzigen Passagier. Schnell sprang er vom Kutschbock, als sich die Pforte des Stadtpalais öffnete. Der junge Mann, den Umhang eng um sich geschlungen, trat zu ihm und gab ihm leise Anweisungen.

Kaum hatte er im Inneren der Kutsche Platz genommen, setzte sich der Zweispänner in Bewegung. Erleichtert sank Maximilian Lindh in das Polster der Sitzbank und öffnete seine Tasche. Neben wenigen Kleidungsstücken und anderen üblichen Reiseutensilien fanden sich drei in Leder gebundene Bücher. „Die Prophezeiung“ war auf dem ersten der drei Bände zu lesen und diesen nahm er zaghaft an sich. Das zweite Buch, welches in der Tasche zum Vorschein kam, trug den Titel „Dämmer Spätzeit“. Beide Bücher stammten aus ein und derselben Feder. Bevor er sein letztes Werk aus der Tasche holen konnte, fing die Droschke gefährlich an zu schlingern und kam schließlich ruckartig zum Stillstand. Er fand kaum Zeit die für ihn wertvolle Fracht wieder sicher in der Tasche zu verstauen, schon wurde die Tür zum Innern des Gefährt’s aufgerissen.

Furcht ergriff den Reisenden als er erkannte, wen er vor sich hatte. Einen Söldner, bezahlt Menschen aufzufinden und ohne Skrupel an seine Auftraggeber auszuliefern. So geschah es, dass im Jahre 1782, der bekannte Schriftsteller und glühende Verfechter der aufklärerischen Bewegung, Maximilian Lindh, von einem Tag auf den anderen verschwand und nie mehr gesehen wurde. Unverheiratet und kinderlos wie er war, blieben seine Schriftwerke seine einzige Hinterlassenschaft. Doch seine letzte Publikation, eine Trilogie, deren letzter Band „Lichtdämmern“ das Konterfei einer jungen Frau zierte, blieb, so wie sein Schöpfer, verschollen, um dann 200 Jahre später wieder aufzutauchen und das Leben vieler Menschen auf immer zu verändern.

Die Prophezeiung

Kapitel I

Gehetzt blickte Ellis sich um.

Die Schritte, die sie verfolgt hatten, waren verstummt. Der Straßenzug vor ihr lag im Halbdunkel, nur spärlich ausgeleuchtet durch eine Straßenlaterne. Angestrengt lauschte sie in die Stille.

Wie aus dem Nichts erklangen Stimmen. Vermutlich Nachtschwärmer, die sich nach einem feuchtfröhlichen Abend auf den Heimweg machten und in einer der kleinen schummrigen Bars noch einen letzten Drink nehmen wollten. Vage Erinnerungen an eine unbeschwerte Zeit blitzten auf. Ellis, umgeben von ihren Freunden, trunken von Alkohol und angereichert mit der Unbekümmertheit der Jugend.

Wenig davon war geblieben.

Ellis riskierte einen Blick um die Hausecke. Die jungen Leute bogen gerade in eine kleine Gasse, an deren Ende eine kleine Bar lag. Jetzt oder nie. Sie trat aus dem Häuserschatten heraus und begann zu laufen. Erst langsam und dann immer schneller. Wenn sie Glück hatte, erreichte sie die Gasse unbemerkt. Da hörte das Mädchen schnelle Schritte seitlich auf sich zukommen.

Erst versuchte sie ihnen auszuweichen, doch es war hoffnungslos. Sein Duft umfing sie als erstes. Ursprünglich, wild und berauschend. Dann trat er ins Licht einer alten, flackernden Reklametafel.

Obwohl er die letzten Wochen ihr täglicher Begleiter gewesen war, erstaunte es die junge Frau immer wieder aufs Neue, wie sehr sein Anblick sie überraschte. Er war groß und schlank, geradezu grazil.

Doch das täuschte. Hinter der Gestalt eines Tänzers verbarg sich die Kraft und Ausdauer eines Kriegers. Weh demjenigen, der sich ihm in den Weg stellte und sich seines Sieges sicher wähnte.

Er wurde eines Besseren belehrt. Mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze bewegte er sich die letzten Meter auf Ellis zu.

Zielstrebig und unausweichlich. Ein paar Schritte vor ihr blieb er stehen. Sein Blick aus smaragdgrünen Augen traf sie wie immer mitten ins Herz. Er war wütend. Die folgenden Worte waren eine Bestätigung dafür. „Wie kannst du es wagen aus dem Apartment zu verschwinden? Hast du gar nichts begriffen?“ Seine Augen begannen noch intensiver zu leuchten.

Immer wenn sie ihn ansah, fragte sie sich, warum die Schöpfung so viel Schönheit und Perfektion in einem einzigen Menschen vereint hatte. Ellis hingegen würde sich als guten Durchschnitt bezeichnen. Nicht zu klein, aber auch nicht zu groß.

Schlank, mit den Rundungen an den richtigen Stellen und einem, wie ihr immer wieder bestätigt wurde, bezaubernden Lächeln, das die Männerherzen höherschlagen ließ. Jetzt stand er direkt vor ihr und seine Nähe brachte ihren Körper in Schwingung. Die Signale waren eindeutig. Er begehrte das hübsche Mädchen und auch sie hatte Gefühle für ihn. Es war aber nicht so einfach. Ihre Eltern waren seine Auftraggeber und somit seine Rolle genau definiert.

Tag und Nacht ein Auge auf ihre Tochter zu haben und jeden ihrer Schritte zu überwachen. Doch anscheinend wusste er nicht, was Stunden zuvor in dem gemeinsamen Versteck geschehen war. Sie suchte nach den richtigen Worten, selbst noch weit davon entfernt der Wahrheit ins Auge zu blicken. Ihr Zuhause hatte sie vor elf Wochen verlassen und seitdem lebte sie isoliert von Familie und Freunden. Von heute auf morgen hatte sich das gewohnte Gefühl von Unbekümmertheit und Sorglosigkeit verabschiedet und so sehr Ellis sich bemühte, es stellte sich nicht wieder ein. Dabei war sie noch vor drei Monaten ein Schulmädchen gewesen und ihr Leben drehte sich um Schule, Jungs und Freunde. Dank ihrer Eltern konnte sie sorglos Kindheit und Jugend verleben.

Die Familie war nicht reich, konnte sich aber alles leisten und musste auf nichts verzichten.

Das schmucke Haus, in dem sie zu dritt lebten, hatte ihr Vater Marius von seinen Eltern geerbt und ihre Mutter Mia hatte es, dank ihrer künstlerischen Ader, von Jahr zu Jahr verschönert. Sie arbeitete nach einem Kunststudium als Kunsterzieherin im städtischen Gymnasium und lud regelmäßig ihre Klassen ein, die unterschiedlichsten Kunstprojekte bei ihnen zu Hause, in ihrem Atelier, zu verwirklichen. Marius, ein ruhiger und besonnener Mann, flüchtete sich dann immer in sein Heiligtum, eine kleine Bibliothek, die er stetig mit neuen Werken bestückte. Meine Schätze nannte er sie und manches Mal konnte man ihn ertappen, dass er zärtlich über die Seiten der Bücher strich und dabei vor sich hin lächelte. Als freiberuflicher Lektor arbeitete er von zu Hause aus und oft saß er bis spät in die Nacht in seinem Arbeitszimmer und arbeitete, ohne sich zu beklagen. Er liebte seine Tätigkeit, doch manchmal fragte sich seine Tochter, warum er nie den Sprung gewagt hatte eigene Bücher zu veröffentlichen. Das war die Welt in die Ellis hineingeboren worden war, ruhig und beschaulich, aber niemals eintönig und langweilig. Dafür sorgte die Kleine mit ihrem ungestümen Temperament, das sich hin und wieder auf ihre Mitmenschen entlud. Die Eltern waren geduldig und bestraften ihr viel geliebtes Kind nicht dafür. Ab und an, wenn sie zu sehr über die Stränge schlug, schickten sie das Mädchen am Wochenende zu ihrer Großmutter Pauline. Ellis empfand dies nicht als Bestrafung, ganz im Gegenteil. Die ungeteilte Fürsorge und Aufmerksamkeit dieser Frau, die äußerst klug und belesen war und ihrer Enkelin nur zu bereitwillig von ihrem ungewöhnlichen Leben berichtete, ließ die Zeit wie im Fluge vergehen. Paulines Eltern starben, da war sie neun Jahre alt und nach einem kurzen Versuch, bei ihrer Tante und deren Familie zu leben, entschied man sich, sie in einem Internat anzumelden.

Dort verbrachte sie ihre gesamte Jugendzeit bis zur Reifeprüfung. Die genauen Umstände, die zum plötzlichen Ableben der Urgroßeltern geführt hatten, blieben Ellis verschlossen, da ihre Omama, wie sie liebevoll genannt wurde, schweigsam wurde, sobald die Sprache darauf kam.

Sie verstummte zwar in diesem Fall, doch umso aufregender war es den Rest ihres so ungestümen Lebensweges zu erfahren. Ihre Augen leuchteten auf und blitzten mit ihrem perlenden Lachen um die Wette, sobald sie von dieser Zeit erzählte. Hin und wieder kam sie freudig vom Briefkasten und wedelte mit einem Umschlag, deren Inhalt sie dann bei einer duftenden Tasse Tee vorlas. Ihre Wangen röteten sich merklich und sie sah um Jahre verjüngt aus, während sie an den Geschichten ihrer früheren Schulfreunde und Weggefährten Anteil nahm.

Es war ein stürmischer Herbsttag, eine Kanne Tee stand auf dem großen Esstisch und verschiedene Fotoalben lagen verteilt um die Beiden herum. Neugierig blätterte Ellis darin und fragte hin und wieder nach Personen und Schauplätzen, da klingelte es an der Tür. Ihre Großmutter stand auf, öffnete die schwere Haustür und Ellis sah einen Mann im Türrahmen stehen, hochgewachsen, dem Wetter entsprechend in einen Mantel gehüllt und einen Hut auf dem Kopf. Dadurch konnte man sein Gesicht nicht erkennen, doch seiner Stimme nach war es ein Mann im mittleren Alter. Er sprach schnell und eindringlich auf Pauline ein, die nach hinten wich, sich umdrehte und die Tür zum Flur schloss. Jetzt konnte ihre Enkelin nur noch Wortfetzen verstehen und neugierig stand sie auf, um zu lauschen. „Wie kannst du es wagen hierher zu kommen! Reicht es nicht aus, dass du versucht hast deine eigenen Leute zu hintergehen?

Machst du vor gar nichts halt?“ Tiefste Verachtung sprach aus ihren Worten. Die Antwort war nicht minder verstörend. „Und du kannst deiner Tochter ausrichten, dass wir nicht mit uns verhandeln lassen, wir wollen das Mädchen haben!“

Paulines Tonfall war scharf und eindeutig drohend: „Geh und sag deinen Auftraggebern, dass wir uns nicht einschüchtern lassen. Geh, und komme nie wieder in die Nähe dieses Hauses, sonst kann ich für nichts garantieren.“

Ellis öffnete vorsichtig die Tür zum Windfang und fand ihre Großmutter gegen die Wand gelehnt vor, kreideweiß im Gesicht. Sie nahm das Mädchen an den Schultern und schob sie in das Esszimmer. Auf ihre drängenden Fragen hin gab sie nur ausweichende Antworten und nach einem kurzen Telefonat wurde Ellis frühzeitig von ihren Eltern nach Hause geholt. Es war das letzte Mal, dass Ellis ihre Großmutter alleine besuchen durfte. Erst heute konnte sie die Ereignisse, die folgten, zu einem großen Bild zusammenfügen. Tage, an denen die Eltern Fremde zu Gast hatten und bis tief in die Nacht Gespräche führten.

Anrufe der Großmutter, die ihre Tochter unruhig werden ließen. Eine Unruhe, die sich sogar auf ihren Mann übertrug und manchmal hörte Ellis die beiden diskutieren und streiten. Die Erwachsenen versuchten ihre Tochter nicht zu belasten, doch gerade deshalb gewann Ellis den Eindruck, der Grund für diese Streitereien zu sein. Darauf angesprochen verstummten ihre Eltern und sahen sie schuldbewusst, doch ohne weitere Erklärungen, an. So vergingen Monate, bis Ellis eines Tages den Eindruck gewann, dass sie beobachtet wurde. Jeder kennt dieses Gefühl, das sich vom Nacken her ausbreitet und einen veranlasst sich umzudrehen.

Zum ersten Mal überkam es das Mädchen in einem Einkaufszentrum. Gerade als sie mit zwei Freundinnen einen Shop verließ, packte es sie.

Irgendjemand folgte ihr und wollte dabei nicht entdeckt werden. Ellis konnte nicht mal sagen, ob Mann oder Frau.

Immer wieder drehte sie sich um, ohne Erfolg. Ihre Freundinnen lachten sie aus, ihre Eltern, denen sie zu Hause Bericht erstattete, schüttelten den Kopf und begründeten es mit ihrer regen Phantasie. In den Augen der Mutter jedoch glaubte Ellis ein schlechtes Gewissen ablesen zu können. Das Gefühl, nie ganz allein zu sein blieb und wurde zu einem stetigen Begleiter. In der Zeit kurz vor ihrer Volljährigkeit veränderte sich etwas. Ellis fühlte sich plötzlich nicht nur verfolgt, sondern zugleich bedroht, ohne es an einem bestimmten Ereignis fest machen zu können. Sie wollte ihre Eltern nicht beunruhigen und so weihte sie ihre beste Freundin Felicitas ein. Und Tom. Tom ist Ellis Freund. Sie waren zu diesem Zeitpunkt ein halbes Jahr ein Paar und noch richtig verliebt. Natürlich wollte er wissen, ob etwas vorgefallen sei oder ein anderer Junge ihr nachstellen würde. Beides konnte sie verneinen. Er blickte seine Freundin verwundert an und so beschloss sie, ihn nicht weiter zu behelligen.

Felicitas dagegen war in ihrem Element und ging alle Eventualitäten durch. Ein verschmähter Mitschüler oder eine von ihnen ungeliebte Mädchenclique aus der Parallelklasse, die ihnen schon länger eins auswischen wollte. Das alles waren Mutmaßungen, die die Mädchen amüsierten und deren Phantasie beflügelten, aber insgeheim wusste Ellis, dass es all das nicht war, sondern etwas viel Ernsteres. Und es betraf ausschließlich ihre Person.

Als sie bei einem ihre seltenen gewordenen Besuche in Großmutters Esszimmer sitzend, bei einer Tasse heißer Schokolade, diesbezüglich Andeutungen machte, sah das Mädchen Unruhe in deren Gesicht aufflackern, doch sofort hatte sich Pauline wieder in der Gewalt und lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. Dann kam der lang ersehnte 18. Geburtstag.

Der Tag rückte näher, Ellis Mutter wurde immer geschäftiger, tuschelte hin und wieder mit ihrem Mann und verschwand bei Telefonaten mit ihren Freundinnen aus dem Zimmer. Dann war es soweit. Am Morgen des 01. Oktobers erwachte Ellis mit dem Gefühl, dass sich heute ihr Leben verändern sollte. Schon zum Frühstück bekam das Geburtstagskind ein Ständchen gesungen. Hübsche Blumen standen am Tisch, der reichlich mit Leckereien gedeckt war. An der Tür klingelte es. Felicitas und Tom kamen mit einem breiten Grinsen ins Esszimmer.

„Alles Gute zum Geburtstag, Ellis.“ Felicitas zog ihre Freundin vom Stuhl und umarmte sie.

„Überraschung! Deine Mutter hat uns beide zum Frühstück eingeladen. Als moralische Unterstützung sozusagen.“

Tom stand hinter Felicitas und sah Ellis strahlend an: „Komm schon, jetzt bin ich an der Reihe.“Schon zog er sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr: „Alles Liebe mein Engel.

Bleib so wie du bist und du machst mich zu einem sehr glücklichen Mann.“ Er küsste das Mädchen sacht auf den Mund und sah sie mit seinen bernsteinfarbenen Augen liebevoll an. Tom war Ellis sehr nahe und gab ihr stets ein Gefühl der Geborgenheit.

Noch dazu sah er unverschämt gut aus. Dank seines sportlichen Ehrgeizes sichtlich durchtrainiert, war er der Schwarm vieler Mädchen an Ellis Schule, doch für das temperamentvolle Geschöpf hatte er sich entschieden. Und vor einem Monat waren sie einen Schritt weiter gegangen und hatten ihr erstes Mal gehabt.

Ein leises Räuspern im Hintergrund ließ die Verliebten auseinander fahren.

Ellis Vater stand im Hintergrund und wartete darauf, seiner Tochter zu gratulieren. Nach dem gemeinsamen Frühstück gingen die drei Freunde in Ellis Zimmer und hörten Musik.

Felicitas gestand, dass sie Ellis Cousin ganz toll fand, der hin und wieder bei Schulveranstaltungen als DJ aushalf. Gerade legte diese sich passende Worte zurecht, um ihr schonend die Wahrheit über ihren umtriebigen Cousin beizubringen, da hörte man unten eine Türe schlagen und Stimmengewirr. Jemand eilte die Treppe hinauf.

Hastig wurde die Tür geöffnet.

Mia stand da. Ihr Blick verhieß nichts Gute. „Es tut mir leid. Die Feier für Ellis Geburtstag muss leider ausfallen. Felicitas, Tom bitte seid so lieb und gebt all euren Freunden Bescheid.“

Zu ihrer Tochter gewandt.

„Ellis, wir verlassen die Stadt Pack bitte nur das Nötigste ein. Es muss schnell gehen. In einer halben Stunde werden wir abgeholt.“ Tom und Felicitas sahen entgeistert zu Ellis. Was war nur geschehen?

„Es ist eine Familienangelegenheit, mehr kann ich dazu nicht sagen.

Ellis, es tut mir sehr leid, aber verabschiede dich nun von deinen Freunden.“ Ihre Mutter klang bestimmt, konnte aber ihre Nervosität nicht verbergen. Nachdem Ellis fest von Felicitas und Tom umarmt und diese von Mia nach unten gebracht worden waren, sah sie aus dem Fenster. Tom ging gerade zu seinem Auto, drehte sich nochmal um und winkte ihr zu. Dann stieg er ein und fuhr davon. Daraufhin packte das verstörte Mädchen wahllos Sachen in ihre Reisetasche.

Dabei durchfuhr es sie. Das war kein plötzliches Ereignis, das über sie hereingebrochen war, sondern es hatte sich schon länger abgezeichnet. Das war die Bestätigung dafür, dass es in der Familie Geheimnisse gab. Und genau deshalb mussten sie fluchtartig ihre Sachen packen und das geliebte Heim verlassen. Wütend griff sie nach ihrer Tasche, eilte die Treppe nach unten und traf dort auf ihre Eltern und einen Mann, der ihr bekannt vorkam.

Unsanft ließ Ellis die Tasche am Treppenende zu Boden fallen. „Warum habt ihr mich so zur Eile gedrängt und wo sind eure Sachen?“ Betreten sahen ihre Eltern sie an. „Ihr habt gar nicht vor mitzukommen. Was ist denn nur los mit euch? Ihr könnt mich nicht einfach so wegschicken.

Ich will eine Antwort und zwar jetzt. Sonst gehe ich nirgendwo hin.“

Jetzt mischte sich der Unbekannte ein. „Deine Eltern versuchen dich zu beschützen und je weniger du weißt, desto besser ist es für dich und alle Beteiligten.“ Das wurde ja immer besser. „Und Sie sind wer, dass Sie sich in unsere Angelegenheiten einmischen?“

„Ellis, es ist so wie Vincent gesagt hat. Wir können dich nicht länger schützen und haben ihn gebeten dich in seine Obhut zu nehmen. Es bleibt leider keine Zeit mehr für Erklärungen.“

In Ellis Ohren begann es zu rauschen. „Ich gehe nirgendwo hin, wenn ihr mir nicht sagt, was los ist. Das müsst ihr doch verstehen. Habe ich etwas angestellt? Oder ist das alles nur ein schlechter Geburtstagsscherz?“ Sie klammerte sich an die unwahrscheinlichsten Strohhalme. Ihre Mutter schüttelte den Kopf, aber ihr Vater lenkte ein. „Wenn du bereit bist mit Vincent mitzugehen, wollen wir dir einen Teil der Wahrheit anvertrauen. Bitte sprich mit niemandem darüber.“

Er führte seine Tochter in die Küche, Mia und Vincent schlossen sich an. „Ellis, du kannst dich vielleicht noch an deine Träume erinnern, die dich früher plagten. Das waren keine Träume, sondern Visionen. Du hast eine Gabe, die in der Familie deiner Mutter weitervererbt wird.

Nicht immer ist die Fähigkeit gleich stark ausgeprägt. Doch in deinem Fall wurde uns schnell klar, dass du überdurchschnittlich begabt bist. Wir wollten dich vor Anfeindungen schützen und sahen uns gezwungen deine Veranlagung zu unterbinden.“

Er stockte und blickte zu seiner Frau. Es war ihm sichtlich unangenehm weiterzureden, doch sie nickte ihm aufmunternd zu. „Deshalb brachten wir dich zu jemandem, der eine Barriere in deinem Kopf errichten konnte. So war dir der Zugang zu deinen Fähigkeiten versperrt. Die Visionen hörten auf und du konntest ein normales Leben führen. Die Spuren, die deine Visionen hinterließen, verwischten und niemand außerhalb der Familie hatte Beweise für die Besonderheit deiner Begabung. Bis vor kurzem warst du in Sicherheit, doch dann ist die Barriere durchlässig geworden und ein Bluthund konnte deine Spur aufnehmen. „Was meinst du mit Bluthund?“keuchte Ellis. „So ein Tier wird bei der Jagd eingesetzt. Wollt ihr damit sagen, ich werde gejagt wie ein wildes Tier?“ Entsetzt sah sie ihre Eltern an. Nun war es Mia, die fortfuhr: „Ellis, das war bildlich gesprochen. Es sind Menschen mit stark ausgeprägten medialen Fähigkeiten, die in der Lage sind auch nur den Hauch einer PSI Spur aufzunehmen. Dieser Mann muss sehr begabt sein.

Vincent konnte ihn sehen, aber nur stark verschleiert.“ Ellis Gedanken drehten sich im Kreis. Das, was ihre Eltern ihr hier auftischten, war mehr als unglaubwürdig und dennoch zweifelte sie nicht an der Richtigkeit ihrer Worte. Sie konnte es sich nicht erklären warum, aber es war so, als würde sich ein Kreis für sie schließen.

Jetzt richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf den großen Unbekannten. „Bist du mir seit Jahren wie ein Schatten gefolgt?“ Er nickte. „Dann war es keine Einbildung. Dieses Gefühl nie alleine zu sein und immer unter Beobachtung, das warst du!“

Er sah das Mädchen an und antwortete. „In den Augen deiner Eltern war es notwendig, um deine Sicherheit zu gewährleisten. Dafür bin ich ausgebildet worden.

Menschen zu schützen und zu bewahren. Manchmal auch vor sich selbst.“ Es dauerte einen Augenblick, bis sie begriff, worauf er anspielte. Ihre Beziehung zu Tom. Die heimlichen Treffen mit ihm waren Vincent sicher nicht verborgen geblieben. Eine leichte Röte überzog ihr Gesicht, bei dem Gedanken, dass er sie wohl möglich beim gemeinsamen Liebesspiel beobachtet hatte. Er schien ihre Gedanken zu ergründen.

„Der Vorteil unserer PSI Kräfte ist, nicht immer vor Ort sein zu müssen, um unserer Aufgabe nachzukommen.“

„Dann bist du vergleichbar einem Bluthund, nur arbeitest du für die gute Seite?“

Vincent lächelte und sah dabei unverschämt gut aus. „Warum bin ich für unsere Gegner so wichtig, dass sie regelrecht Jagd auf mich machen lassen, könnt ihr mir das bitte noch erklären?“ Vincent machte einen Schritt zum Fenster und blickte schnell zu Mia. „Wir müssen los, der Bluthund hat die Spur aufgenommen und er ist nicht allein.“ Daraufhin ging alles sehr schnell. Ellis wurde von ihren Eltern umarmt, die Vincent beschworen ihr Kind zu beschützen und schon fing das Abenteuer an. Vincent eilte zu einem Auto, das um die Ecke geparkt war. Die Reisetasche warf er schwungvoll auf den Rücksitz und schon rasten sie davon.

Kapitel II

„Wohin fahren wir?“ wollte Ellis wissen. „Das siehst du früh genug“, war seine knappe Antwort. Ellis Gedanken rotierten. Doch obwohl die Geschichte absurd und absolut unmöglich erschien, zweifelte sie nicht daran. Ganz tief in ihrem Inneren fühlte sie sich sogar befreit, erklärte es doch so vieles, dass sie über die Jahre als unerklärlich empfunden hatte. Sie fuhren Richtung Innenstadt, die Häuser wurden immer höher und moderner und grenzten an den großen Stadtpark an. Eine ruhige und gepflegte Gegend.

Vincent fuhr in eine Tiefgarage, für die er einen Schlüssel besaß und parkte das Auto in einem separaten Bereich. Schnell stiegen beide aus und gingen, nach wie vor schweigend, zu einem Aufzug.

Er ließ Ellis den Vortritt und anhand der angezeigten Stockwerke wusste diese, dass sie sich in einem der größten Gebäude am Park befanden. Er betätigte den obersten Knopf und benötigte dafür noch zusätzlich einen Schlüssel.

Die Fahrt nach oben wurde nicht unterbrochen und so öffnete sich nach kurzer Zeit die Tür. Dahinter lag ein Loft, mit Fenstern, welche die gesamte Häuserfront einnahmen und einen grandiosen Ausblick auf den weitläufigen Stadtpark gewährten. Das Wohnzimmer grenzte an das Foyer. Es war großzügig ausgestattet und eine offene Küche mit Theke und Essbereich schloss daran an. Vincent führte seinen Schützling in Richtung eines großen gläsernen Kamins, von dessen Rückseite ein Gang zu weiteren Zimmern führte. Das Badezimmer war links des Flurs und zur rechten Seite ein Schlafzimmer, das unbewohnt schien. Vincent führte Ellis hinein. Schwungvoll warf er ihre Tasche auf das Bett und ließ sie, mit der Bemerkung noch einkaufen zu müssen, allein. Gut, so hatte sie Zeit sich umzusehen. Sein Schlafzimmer, das dem ihren gegenüberlag betrat sie nicht.

Das Wohnzimmer war mit viel Technik ausgestattet, ebenso fehlte es in der Küche an nichts, das einen Hobbykoch nicht begeistern würde. Das Badezimmer war luxuriös ausgestattet und die erschöpfte Ellis hoffte später auf ein entspannendes Schaumbad. Nach einer halben Stunde öffnete sich die Aufzugtür und Vincent kam, mit zwei Tüten bepackt, herein.

Ellis Magen meldete sich und sie half Vincent beim Verstauen der Lebensmittel.

Die Beiden entschieden sich für italienische Küche und nach kurzer Zeit hatte jeder einen dampfenden Teller Spaghetti Bolognese vor sich stehen. Eine große Schüssel Salat stand zwischen ihnen.

Jedes Mal, wenn sie ein Gespräch in Gang bringen wollte, würgte Vincent es mit seiner Einsilbigkeit ab. Zu guter Letzt wollte er sich, nachdem die Küche aufgeräumt war, in sein Zimmer zurückziehen.

„Kannst du mir bitte mein Handy geben, damit ich meinen Freunden Bescheid geben kann, dass es mir gut geht.“ Ihr Bewacher hatte es ihr abgenommen, bevor er zum Einkaufen gegangen war, jetzt wollte sie es wiederhaben.

Vincent schüttelte den Kopf:

„Das kann ich nicht. Handys können geortet oder auch gehackt werden. Damit würden wir es deinen Verfolgern sehr leicht machen.“

Das wurde ja immer schlimmer.

Eingesperrt mit einem wortkargen Schönling, ohne direkten Kontakt zur Außenwelt, das konnte einen ja verdrießen. Noch dazu an ihrem 18. Geburtstag.

Als könnte er Gedanken lesen, drehte Vincent sich zu ihr um.

„Ich weiß es wird nur ein kleiner Trost sein, aber deine Mutter hat mir ein Geschenk für dich mitgegeben.“

Wie aus dem Nichts streckte er ihr ein Päckchen entgegen.

„Alles Gute zum Geburtstag.“

Überrascht von dem Stimmungswechsel öffnete sie das Geschenk. Eine Schachtel kam zum Vorschein. Der Inhalt, eine Silberkette. Eine Silberkette mit einem Medaillon. Die Innenseiten beherbergten ein Miniaturbild ihrer Eltern. Das zweite Bild zeigte ihre Großmutter Pauline als junge Frau. Sie bekam einen Kloß im Hals, da ihr klar wurde, dass ihre Eltern diese Situation vorhergesehen hatten. Eine Gravur auf der Rückseite las sich wie eine Bestätigung dafür.„So fern und doch so nah." „Willst du jetzt auf deinen Geburtstag anstoßen?“ Vincent stand am Kühlschrank mit einer Flasche Champagner. „Gläser stehen im Schrank über dir.“ Er deutete mit dem Kopf Richtung Terrasse. Von dort aus konnte man den ganzen Park überblicken und nachts die Sterne funkeln sehen. „So kommst du auf andere Gedanken.“ Ellis machte es sich auf einer schwarzen Ledercouch bequem und zog sich eine der Kuscheldecken heran.

Ein Korken knallte und gleich darauf stellte Vincent ein Tablett voller Leckereien auf den flachen Couchtisch. Er schenkte die Gläser voll und setzte sich neben das Mädchen.

„Auf dich Ellis, dass du so schnell wie möglich wieder zu deiner Familie und deinem alten Leben zurückkehren kannst.“

Ihre Kelche klirrten aneinander. Der erste Schluck kitzelte angenehm in der Nase.

Vincent sah Ellis über den Rand seines Glases an. „Willst du immer noch wissen, weshalb die Barriere, die dich beschützt hat, durchlässig geworden ist?“ Sie nickte.

„Nun ich habe eine Vermutung.

Deine Beziehung zu deinem Freund ist intensiv, oder?“

Ein Hochziehen ihrer linken Augenbraue zeigte, damit hatte sie nicht gerechnet. „Was hat meine Beziehung damit zu tun?

Die Fehde zwischen meiner Familie und ihren Gegnern besteht anscheinend schon seit Jahren. Tom und ich sind erst seit knapp sechs Monaten ein Paar.“ „Und wie lange seid ihr beide, wie soll ich es ausdrücken, intim?“ Ellis atmete hörbar aus.„Willst du den Tag wissen und am besten noch wo es stattfand und welche Musik wir dabei gehört haben?“ Sie ließ keinen Zweifel darüber, wie sehr sie seine Frage irritierte. „Ich will keine Einzelheiten von dir hören, doch ich versuche einen Zusammenhang herzustellen zwischen einer Veränderung deines Verhaltens und dem Auftauchen dieser Meute von Bluthunden. Sie haben deine Fährte aufgenommen, das war ihnen eine lange Zeit nicht möglich.“ „Welcher Zusammenhang könnte denn bestehen zwischen meiner Beziehung zu Tom und den Verfolgern. Kläre mich bitte auf.“ Vincent nahm einen Schluck aus seinem Glas, ließ ihn genüsslich die Kehle herunterlaufen und lehnte sich entspannt in seinem Sessel zurück. Er musterte Ellis:

„Seit deinen Treffen mit Tom, verstärkte sich deine PSI Signatur leicht. Dann steigerte sie sich jedoch von Woche zu Woche und dann, eines Abends, brach ein Tsunami der Emotionen über mich herein, mitten in einem Restaurant, der mich fast vom Stuhl kippen ließ. Und diese Welle ging von dir aus. Da habe ich deinen Eltern Bescheid gegeben, dass