Zementia Silberhaar - Finja Stoldt - E-Book

Zementia Silberhaar E-Book

Finja Stoldt

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Beschreibung

EIN FUNTASTISCHES ABENTEUER Die siebzehnjährige Zementia Silberhaar hat silbernes Haar. Ansonsten verfügt sie eigentlich über keine nennenswerte Persönlichkeit. Doch als eines Tages sämtliche Bewohner ihres Dorfes von bösen Trollen entführt werden und leider spontan kein glorreicher Ritter in glänzender Rüstung vorbeikommt, der sich um das Problem kümmern könnte, sieht sie sich gezwungen, selbst zur Heldin zu werden. WIRD SIE ES SCHAFFEN, DIE GEFANGENEN ZU BEFREIEN? Vielleicht. Oder sie verirrt sich vorher im Wald und die Geschichte endet nach Kapitel 3. Anmerkung: Jeder, der jetzt einfach oberschlau im Buch nachschaut, ob es mehr als drei Kapitel gibt, wird sofort in Flammen aufgehen.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über das Buch
Kapitel 1 – Zementia wäscht Wäsche (alles ist noch wie immer)
Kapitel 2 – Zementia muss sich verstecken
Kapitel 3 – Zementia wird überfallen
Kapitel 4 – Zementia hat einen Anfall von Nonprotagonistphobie
Kapitel 5 – Zementia hat morgendlichen Mundgeruch
Kapitel 6 – Zementia isst etwas anderes als Rübeneintopf
Kapitel 7 – Zementia sucht nach Fossilien (obwohl sie gar keine Lust darauf hat)
Kapitel 8 – Zementia hört Hartsteinmusik
Kapitel 9 – Zementia nimmt unfreiwillig an einem epischen Wettrennen teil
Kapitel 10 – Zementia sucht eine Pommesbude
Kapitel 11 – Zementia findet etwas Wichtiges heraus, wird aber ignoriert
Kapitel 12 – Zementia findet wieder etwas Wichtiges heraus, wird aber immer noch ignoriert
Kapitel 13 – Zementia wird jetzt langsam richtig sauer und isst ihren Gurkensalat nicht
Kapitel 14 – Zementia schaut sich ein komödiantisches Bühnenprogramm an, das überhaupt nicht komödiantisch ist
Kapitel 15 – Zementia wird auf ein Date eingeladen
Kapitel 16 – Zementia sieht aus wie eine Prinzessin
Kapitel 17 – Zementia bekommt einen Heiratsantrag
Kapitel 18 – Zementia wartet sehnsüchtig auf einen Retter in der Not
Kapitel 19 – Zementia wird von allen total missverstanden
Kapitel 20 – Zementia opfert sich selbstlos und heldenhaft
Kapitel 21 – Zementia möchte Lubbsbert mit einem Blumenkübel verdreschen
Kapitel 22 – Zementia befreit einen Drachen
Kapitel 23 – Zementia heiratet (oder vielleicht doch nicht?)
Kapitel 24 – Zementia wird Zeugin eines absolut epischen Kampfes
Kapitel 25 – Zementia tut etwas unglaublich Heldenhaftes
Kapitel 26 – Zementia erfährt von ihrer wahren Abstammung
Kapitel 27 – Zementia bekommt schon wieder einen Heiratsantrag
Ein paar Worte zum Schluss
Die Autorin
Weitere Bücher der Autorin

Stinja Foldt

ZEMENTIA SILBERHAAR

und der
VERSTEINERTE DRACHENGEHÖRKNOCHEN

Texte, Covermotive & -gestaltung © 2025 Copyright by Finja Stoldt

Finja Stoldt, Soundguru-Print GbR, c/o Block Services, Stuttgarter Str. 106, 70736 Fellbach

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Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß §44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.

www.finjastoldt.de

Über das Buch

Die siebzehnjährige Zementia Silberhaar hat silbernes Haar. Ansonsten verfügt sie eigentlich über keine nennenswerte Persönlichkeit. Doch als eines Tages sämtliche Bewohner ihres Dorfes von bösen Trollen entführt werden und leider spontan kein glorreicher Ritter in glänzender Rüstung vorbeikommt, der sich um das Problem kümmern könnte, sieht sie sich gezwungen, selbst zur Heldin zu werden.

WIRD SIE ES SCHAFFEN, DIE GEFANGENEN ZU BEFREIEN?

Vielleicht. Oder sie verirrt sich vorher im Wald und die Geschichte endet nach Kapitel 3.

Anmerkung: Jeder, der jetzt einfach oberschlau im Buch nachschaut, ob es mehr als drei Kapitel gibt, wird sofort in Flammen aufgehen.

Kapitel 1 – Zementia wäscht Wäsche (alles ist noch wie immer)

In einer Welt, die epochal erstaunlich stark an das europäische Mittelalter erinnert, aber in der es außerdem Magie und lustige und weniger lustige magische Wesen und Zauberer und Einhörner und noch viel mehr dergleichen gibt, da gab es einmal ein kleines Bauerndorf. In diesem Dorf lebte eine junge Frau von zarten siebzehn Jahren. Ihr Name war Zementia Silberhaar. Sie hatte silbernes Haar.

Anmerkung: Aufmerksame Lesende werden sich sicher jetzt schon fragen, warum Zementia Silberhaar denn dann ausgerechnet Zementia heißt. Der Name klingt schließlich wie Zement und Zement ist grau. Nicht hübsch-glänzend-wunderschön-anmutig-silbern, sondern beton-stumpf-hässlich-Hochhäuser-Straßen-grau. Wenn sie aber doch silbernes Haar hat, wäre dann ein Name wie Silberline Silberhaar nicht passender? Oder vielleicht Silbille Silberhaar? Silberina, Silbera, Silberita, Silberelle – man könnte die Liste endlos weiterführen.

Warum also ausgerechnet Zementia? Nun, das ist schlichtweg reiner Zufall. In dieser Welt sind Zement und Beton noch gar nicht erfunden, daher können die Bewohner diesen Namen auch nicht damit assoziieren. Zementia ist hier ein ganz normaler Frauenname, wie es bei uns Namen wie etwa Linda, Belana, Adretta, Bintje oder Cheyenne-Hannelore auch sind.

Keiner wusste, warum Zementia Silberhaar silbernes Haar hatte, aber es war schon seit ihrer Geburt so, und schnell gehörte es zur Normalität, sodass sich niemand mehr darüber wunderte. Sie wuchs bei ihrem Onkel und ihrer Tante in einem schäbigen, ärmlichen Bauernhaus auf. Ihre Eltern waren verstorben, als sie noch ein Säugling gewesen war, und sie hatte keinerlei Erinnerungen mehr an sie. Ihr Onkel besaß ein kleines Stück Land, auf dem er Rüben anpflanzte. Diese verkaufte die Familie auf dem Markt, und von dem wenigen Geld, das sie dafür bekamen, bestritten sie ihr bescheidenes Leben.

Zementia machte sich gerade mit einem Holzeimer auf den Weg zum Dorfbrunnen. Ein paar junge Frauen standen tuschelnd zusammen. Schnell senkte sie den Kopf und huschte an ihnen vorbei. In den Augenwinkeln sah sie, wie die anderen kichernd auf sie zeigten. Schon immer war sie eine Außenseiterin unter den Gleichaltrigen im Dorf gewesen. Denn sie war nicht wie die restlichen Mädchen. Sie war anders. Außergewöhnlich. Seltsam. Zum Beispiel liebte sie es, stundenlang ihre Nase in ein Buch zu stecken und in wundersame Welten abzutauchen. Außerdem besuchte sie gern die Pferde, die auf der Wiese hinter ihrem Haus standen, und pflückte Blumen, die sie zu kunstvollen Sträußen arrangierte. Nachts schaute sie oft träumerisch in die Sterne, und sie mochte Katzen. All diese unfassbar ungewöhnlichen Eigenschaften machten sie zu einem Sonderling, mit dem die anderen, normalen Mädchen nichts zu tun haben wollten. Darum verbrachte Zementia die meiste Zeit ihres Lebens damit, mit ihrem Onkel das Feld zu beackern, ihrer Tante im Haus zu helfen oder mit Lesen, Pferdestreicheln und Blumenpflücken.

Sie band ihren Eimer an das Seil des Brunnens und ließ ihn hinab. Nachdenklich beobachtete sie ihre Spiegelung im Wasser. Ihre türkisblauen Augen hatten die Farbe des Meeres, wenn die Sonne an Wintersonnenwende genau auf ihrem Zenit steht und fast vollständige Windstille herrscht (circa Windstärke 1 bis 2 auf der Beaufortskala). Winzige goldene Splitter funkelten wie Diamanten in diesem unendlichen Blau und zarte lila Äderchen durchzogen es wie die Äste kahler Bäume an einem Herbsttag. Ihre buschigen, aber nicht zu buschigen Augenbrauen waren wohlgeformt, ihre Lippen voll und rot, und sie hatte eine zauberhaft niedliche Stupsnase.

Zementia sah sich selbst allerdings komplett anders. Ein schwerer Seufzer entwich ihr. Ihre Augen waren so hässlich und langweilig! Genau wie ihre fürchterlichen grauen Haare. Ganz zu schweigen von ihrer Nase, die in ihrem Gesicht riesig und knubbelig hervorstach. Und ihre Lippen waren viel zu voluminös und rot. Manchmal wünschte sie sich, genauso schön wie die anderen Mädchen zu sein. Doch dieses Glück würde ihr wohl niemals vergönnt sein. Viele in ihrem Alter waren längst verlobt oder sogar bereits verheiratet, aber an Zementia hatte bisher noch niemand Interesse gezeigt – na ja, mal abgesehen von den sieben Heiratsanträgen von diversen jungen Männern aus der Umgebung, die alle sowohl ganz ordentlich aussahen, liebevoll und zuvorkommend waren, als auch über ausreichend Besitz verfügten, sodass sie ihr ein gutes und sorgloses Leben hätten ermöglichen können. Leider hatten sie alle eines gemeinsam: Sie waren eben nur ziemlich gewöhnliche Leute, die weder aussahen wie ein Prinz noch einer waren. Und ein Schloss besaßen sie schon mal gar nicht. Zementia hatte ja nun wirklich keine besonders hohen Ansprüche an einen potenziellen Ehemann, aber zumindest einen gewissen Standard sollten die Bewerber dann doch zu bieten haben können.

Zu diesem Zeitpunkt war sich die arme Zementia also absolut sicher, dass sie ihr ganzes Leben allein verbringen und einsam und traurig sterben würde.

Sie riss sich von ihrem unansehnlichen Spiegelbild los und brachte den vollen Eimer zurück nach Hause. In der Küche stand ihre Tante Margarete Meckermotz und rührte meckernd in einem Topf.

»Da bist du ja endlich, du nichtsnutziger Nichtsnutz! Na los, steh da nicht so verträumt in der Gegend herum, sondern mach dich gefälligst an die Arbeit. Die Wäsche wäscht sich nicht von allein!«

Im Gegensatz zu Zementia hatte Margarete Meckermotz leider nur unscheinbares aschblondes Haar, das überhaupt nicht seidig, glatt und glänzend über ihre Schultern fiel, sondern krause Locken bildete, außerdem sehr dünn war und schnell zu Spliss neigte, sodass es ständig fisselig aussah.Somit lag es natürlich auf der Hand, dass sie – wie jede anständige Ziehmutter mit obligatorischem Hang zur Boshaftigkeit – ihre Pflegetochter ein klitzekleines bisschen hasste. Als Zementia noch ein Kind gewesen war, hatte sie ihr daher Kleidung aus schäbigen Säcken genäht, obwohl eigentlich genügend Geld für Kinderkleidung vorhanden gewesen wäre. Aber sie war einfach viel zu geizig dafür, mehr als unbedingt nötig für Zementia auszugeben. Seit Zementia älter war, trug sie die aussortierten, tausendmal geflickten Kleider ihrer Tante auf, und deren Verachtung für sie wurde nur umso größer, weil dieses blöde Ding sogar in diesen Lumpen unverschämt gut aussah.

»Zementia! Ich sagte, steh nicht so verträumt und nutzlos in der Gegend herum und wasche endlich die Wäsche!«

Tante Margarete Meckermotz hatte vollkommen recht – Zementia stand tatsächlich etwas dümmlich im Weg herum und träumte vor sich hin. Sie dachte gerade darüber nach, ob Wasser eigentlich wirklich keinen Geschmack hatte oder ob die Menschheit einfach kollektiv beschlossen hatte, dass Wasser auf der Geschmacksskala auf dem Nullpunkt lag – alles, was sich darüber, also im positiven Bereich befand, schmeckte gut, und alles, was sich in negativen Bereich befand, schmeckte schlecht. Ob andere Völker wohl dieselbe Geschmacksskala benutzten? Für Elfen mit ihren hohen Ansprüchen an die Welt war sicher so etwas wie Kirschkuchen der Nullpunkt. Für sie schmeckte Kirschkuchen also neutral und erst alles darüber gut. Da Wasser auf dieser Skala ja um einiges unter Kirschkuchen lag, musste dies für Elfen sicher ungenießbar sein. Vielleicht tranken sie deswegen die ganze Zeit nur Saft und Cocktails und so etwas. Ob es sich wohl lohnte, diese Theorie zu testen? Dafür brauchte man dann erst einmal eine ausreichend große Gruppe Menschen und eine ausreichen große Gruppe Elfen. Mittels Fragebögen konnte man zunächst ermitteln, welches Lebensmittel für welches Volk im Allgemeinen gut und welches weniger gut schmeckte, dann konnte man auf dieser Grundlage eine Skala entwickeln und ...

»ZEMENTIA, BEWEG DICH ENDLICH!«

Erschrocken zuckte sie zusammen und vergaß in dieser Sekunde für immer ihren kompletten Gedankengang. Was wirklich schade war, denn hätte sie ihre Theorie tatsächlich getestet, wäre sie daraufhin die erfolgreichste und bekannteste Wissenschaftlerin im Bereich der Geschmacksforschung geworden. In einigen Jahren hätte sie sich von dem Geld, das sie mit ihren Büchern und Vorträgen zu dem Thema verdiente, ihr eigenes Schloss kaufen können. Tja, aber dank Tante Meckermotz waren nun alle Überlegungen wieder in der endlosen Weite ihrer Gedanken verschwunden und somit auch die Chance auf ein erfolgreiches Leben. Sie musste also weiterhin davon träumen, eines Tages einen Mann (im besten Falle einen Prinzen) kennenzulernen, der schon ein Schloss besaß, in das sie dann einfach mit einziehen konnte.

»Entschuldige, Tante«, murmelte sie und huschte mit dem Eimer in den Garten, um die Wäsche zu waschen. Sie grüßte ihren Onkel, der gerade vom Feld zum Abendessen heimkam, und begann mit der Arbeit.

Ihr Onkel trug den Namen Achim Ackerbeackerer, und das war im Grunde auch schon seine vollständige Existenz. Er war ein hart arbeitender Bauer, der gedanklich meistens nur damit beschäftigt war, ob die Rüben auch gut anwuchsen und dass es ja nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig regnete. Wie alle hart arbeitenden Bauern trug er stets karierte Hemden und schlammbeschmierte Stiefel und er besaß eine kleine Plauze. Wie alle hart arbeitenden Bauern war er nicht besonders redselig, und wenn er doch mal etwas sagte, dann brummte oder murmelte er es. Wie alle hart arbeitenden Bauern kannte er eigentlich nur drei Gefühle:

1. Ich muss aufs Feld.

2. Ich muss mir mit meinen Kumpels in der Taverne einen reinbechern.

3. Ich muss schlafen.

Natürlich besaß Achim Ackerbeackerer noch weitere Gefühle, aber diese spürte er allenfalls mal als kleines Kribbeln in der Magengegend und verwechselte sie dann meistens mit Hunger. Auf seine Art war er sehr liebevoll, auch wenn er sich stets davor hütete, Zementia und seine Frau mal in den Arm zu nehmen oder auf ähnliche, völlig abwegige Weise seine Liebe zu bekunden. Er zeigte seine Zuneigung dadurch, dass er hart arbeitete und somit seine Familie versorgen konnte, und wenn er ganz verrückt drauf war, dann kaufte er Zementia manchmal auf dem Markt ein Stück Kuchen und seiner Frau eine Rose. Zementia freute sich meist riesig über die Geschenke ihres Onkels, aber Tante Margarete Meckermotz meckerte eigentlich immer nur darüber, dass ihr die Farbe der Rose nicht gefiel und sie wahlweise nicht gut genug oder zu intensiv roch.

Achim verfügte über eine unfassbare Geduld und ertrug das stetige Gemeckere seiner Frau mit stoischer Gelassenheit. Er kam aus einer Familie mit dem Nachnamen Ackerbeackerer, und so war seine Bestimmung im Leben von Anfang an vorgeschrieben. Genauso verhielt es sich eben auch mit Margarete – ihr Familienname lautete nun einmal Meckermotz, und daher war das Meckern und Motzen folglich ihre vorgegebene Berufung im Leben. Und wer war er, diese infrage zu stellen? Er hatte sie schließlich geheiratet, in dem Wissen, was für ein Mensch sie war und sich somit darauf eingestellt.

Nun ja, man muss streng genommen schon sagen, dass seine Eltern ihn irgendwann sehr dazu gedrängt hatten, doch bitte endlich einmal zu heiraten. Da Achim nie besonders viel Mühe darin investiert hatte, eine geeignete Frau zum Heiraten kennenzulernen, sah er sich eines Tages vor die ernüchternde Tatsache gestellt, dass alle Frauen, die er in irgendeiner Form interessant gefunden hätte, längst unter der Haube waren. Nur Margarete Meckermotz aus dem Nachbardorf war völlig überraschenderweise noch übrig geblieben. Natürlich fand Margarete auch schon damals an allem etwas auszusetzen, an Achim in der Anfangszeit ihres Kennenlernens jedoch erstaunlich wenig. Zumindest hatte er ein Stück Land von seinem Vater vermacht bekommen (das aus ihrer Sicht aber eigentlich viel zu klein war und in keiner schönen Gegend lag), wodurch er sie immerhin versorgen konnte. So musste sie sich nicht auch noch um das Verdienen eines Lebensunterhalts kümmern und konnte sich ganz in Ruhe den lieben langen Tag aufs Meckern und Motzen konzentrieren.

Achim hingegen konnte nicht kochen und war somit auf die nicht besonders herausragenden, aber auch nicht entsetzlich schrecklichen Kochkünste von Margarete angewiesen, solange er sich nicht ewig von seiner Mutter bekochen lassen wollte. So fanden beide gewisse kleine Vorteile in dem jeweils anderen und kamen nach gründlicher Überlegung zu dem gemeinsamen Schluss, dass eine Hochzeit für sie eine sinnvolle Idee war.

In der ersten Zeit nach ihrer Hochzeit hatten Achim und Margarete ganz kurz darüber nachgedacht, sich der anspruchsvollen Aufgabe des Kinderbekommens zu stellen. Das machte man ja schließlich so: Erst heiratete man und dann zeugte man Kinder, die auf dem Hof mithalfen und ihn später übernehmen konnten, wenn sie alt waren. Für sie war es so gesehen ein Glücksfall gewesen, als eines Tages ein Säugling vor ihrer Tür gelegen hatte und daneben die Nachricht, dass dies das Kind von fernen Verwandten wäre, die bei einem Bootsunfall verunglückt seien. Weder Achim noch Margarete wussten, um wen aus ihren Familien es sich dabei handeln sollte, sie kannten niemanden, der kürzlich verstorben war. Auch nach langem Herumfragen bei Familienangehörigen und Nachbarn kamen sie dem Geheimnis um Zementias Eltern nicht auf die Spur. Doch im Grunde war es gar nicht so wichtig, wessen Abkömmling Zementia nun sein sollte, denn so waren sie ganz ohne den anstrengenden Part des Kindermachens an ein Kind gekommen und konnten sich ab da wieder auf die wirklich bedeutsamen Dinge im Leben konzentrieren. Also aufs Ackerbeackern und Meckermotzen.

Aber zurück zu Zementia. Sie war mittlerweile fertig mit Wäschewaschen und hängte die nassen Kleidungsstücke an eine Leine auf.

»Es gibt Abendessen«, brüllte Margarete von drinnen. »Aber das ist nicht besonders gut geworden, weil mir schon wieder Schmackofatz-Kraut fehlt, weil gewisse Leute in diesem Haus das ja nicht auf dem Markt gekauft haben, obwohl ich das mehrfach gesagt habe. Nichts funktioniert hier, alles muss man selber machen! Und irgendjemand könnte gütigerweise endlich mal den Abfall hinausbringen, der seit heute Morgen überquillt!«

Anmerkung: Da Salz und Pfeffer für arme Bauernfamilien leider oft viel zu teuer sind, greifen die meisten stattdessen auf das wesentlich erschwinglichere Schmackofatz-Kraut zurück, das praktischerweise nach einer perfekten Mischung aus Salz, Pfeffer und etwas Knoblauch schmeckt.

Zementia wischte ihre nassen Hände an ihrem Rock ab und ging in die Küche. Margarete tischte immer noch leise meckernd Rübeneintopf auf, so wie jeden Abend. Morgens und mittags gab es Brot und ab und zu einen Apfel, und abends gab es Rübeneintopf. Da sich Zementia seit ihrer frühesten Kindheit fast ausschließlich davon ernährte, konnte man also sagen, dass sie zu etwa vierzig Prozent aus Brot, zehn Prozent aus Apfel und fünfzig Prozent aus Rübeneintopf bestand. Vielleicht war ihre Nase deswegen so unglaublich hässlich und riesig geraten. Während sie in ihrem Essen stocherte, war sie auf einmal fest davon überzeugt, dass ihre Nase eigentlich exakt wie eine Rübe aussah. Der Appetit war ihr vergangen.

»Die Rüben brauchen mehr Wasser«, brummte Achim.

»Du sitzt schon wieder mit dreckigem Hemd am Tisch«, meckerte Margarete.

»Ich glaube, meine Nase ist eine Rübe«, murmelte Zementia.

An jenem Abend war also noch alles wie eh und je. Niemand ahnte, dass in diesem Moment eine große Gefahr nahte. Und dass in wenigen Stunden etwas Schreckliches passieren würde.

Kapitel 2 – Zementia muss sich verstecken

Zementia lag im Bett in ihrer kleinen Kammer unter dem Dach. Sie hielt ein dickes Buch in den Händen. Auf dem Nachttisch brannte eine Kerze. Ihre ihrer Meinung nach riesige, rübengleiche Nase berührte fast die Seiten und ihre Augen flogen schnell und gebannt hin und her.

»Oh mein Held, endlich bist du da«, rief Prinzessin Purzeline und musste stark gegen den Drang ankämpfen, vor Erleichterung nicht in Ohnmacht zu fallen. »Du hast mich vor der bösen Hexe gerettet!«

Ritter Rasenreich reckte stolz die Brust. Seine silberne Rüstung schimmerte anmutig in der Sonne. »Das war doch eine Selbstverständlichkeit, Zuckerpuppe.«

Prinzessin Purzeline kicherte errötend. »Also wirklich!«

An dieser Stelle muss offensichtlich nicht noch einmal erwähnt werden, dass Zementias Lieblingsgeschichten abgrundtief kitschige Romanzen waren, in denen in der Regel eine der beiden Hauptfiguren von der anderen vor irgendeinem Monster gerettet werden musste und aus lauter Dankbarkeit dann dem folgenden Heiratsantrag zustimmte, obwohl sich die beiden meist gerade einmal seit wenigen Minuten kannten.

Zementia war so vertieft in die Geschichte, dass sie erst nach einigen Sekunden das Geschrei hörte, das von draußen kam. Erschrocken klappte sie das Buch zu und ging zum Fenster. Sie konnte kaum etwas erkennen, es war viel zu dunkel. Dann vernahm sie einen lauten Knall. Jemand hatte die Haustür aufgebrochen!

Ängstlich versteckte sie sich hinter ihrem Bett. Einbrecher!

Unten befand sich das Schlafzimmer von ihrem Onkel und ihrer Tante. Zunächst blieb alles ruhig, dann erklang plötzlich ein gellender Schrei von Tante Margarete und kurz danach einer von Onkel Achim. Es wurde wieder still. Zementia hielt den Atem an. Sie hörte, wie jemand stampfend die Treppe hinaufkam. Geistesgegenwärtig pustete sie die Kerze aus und kroch zurück hinter das Bett.

Die Tür flog auf. Eine riesige, breite Gestalt trat in das Zimmer und verharrte einen Moment lang. Ein übler, modriger Geruch stieg Zementia in die Nase. In der Dunkelheit konnte sie den Eindringling kaum erkennen, aber sie sah, dass er sehr muskulös und sehr hässlich war, und ahnte sofort, dass es sich um einen Troll handeln musste. Zum Glück hatte sie bisher noch nie eine derartige Kreatur gesehen, doch aus den vielen Büchern, die sie gelesen hatte, wusste sie, dass dies wirklich grässliche Biester waren.

Anmerkung: Aus irgendeinem Grund gibt es nur männliche Trolle, darum ist es völlig schleierhaft, wie sich diese Wesen eigentlich fortpflanzen. Bisher hat kein Mensch dieses Geheimnis je lüften können, und weil Trolle eben von Natur aus Grobiane und Haudraufs sind, kann man sie auch nicht einfach fragen. Eine bekannte Faustregel besagt: »Siehst du einen Troll, ist das gar nicht toll!« Trolle finden es nämlich ausgesprochen spaßig, jedem, der ihnen zu nahe kommt, eins auf die Mütze zu geben. Da ist es ganz egal, was für ein Anliegen derjenige hat. Das ist insbesondere für Trollforscher natürlich außerordentlich frustrierend, denn so bleibt ihnen für die Verhaltensforschung nur, sich wochenlang im Gebüsch zu verstecken und die Lebensweise dieser Wesen heimlich zu beobachten. Aber das wird meist schon nach wenigen Stunden ziemlich langweilig, denn das Einzige, was Trolle so den ganzen Tag treiben, ist jagen, die Beute zuzubereiten, sie zu fressen und dann zu schlafen. Und manchmal eben jemandem, der ihnen unglücklicherweise über den Weg läuft, zu vermöbeln.

Die wichtige Frage nach der Fortpflanzung von Trollen ist bis heute also nicht aufgeklärt worden, und so können die Forscher nur Theorien nach Theorien aufstellen. Einige Wissenschaftler vermuten zum Beispiel, dass Trolle in Wahrheit eine Art Symbiose aus Steinen und speziellen Moosarten sind. Sie postulieren, dass bestimmte moosbewachsene Felsen, wenn sie sehr lange der prallen Sonne ausgesetzt sind, sozusagen gebacken werden können, was dann eine komplizierte chemische Reaktion in Gang setzt, aus der letztendlich ein Troll entsteht. Diese Theorie stößt aber bei vielen anderen Experten auf rege Kritik, hauptsächlich aus dem Grund, weil die meisten das Konzept von chemischen Reaktionen noch vollständig ablehnen beziehungsweise nicht verstehen, und stattdessen lieber Magie als plausible Erklärung für unerklärliche Dinge benutzen. So ist aktuell die populärste Theorie, dass Trolle einfach das Ergebnis eines bösen Zaubers sind.

Zementia interessierte sich gerade herzlich wenig für die mögliche Entstehung dieser Wesen. Ihr Körper gab ihr mit allem, was ihm zur Verfügung stand, zu verstehen, dass sie gefälligst rennen sollte. Ihr Herz raste, ihr Atem ging stoßartig, ihre Pupillen waren geweitet, und kalter Schweiß lief ihr über die Stirn. Blöderweise konnte sie nicht wegrennen, denn der Troll stand in der Tür und sie befand sich zwischen Bett und Wand. Zitternd hielt sie sich die Hände vor den Mund, damit man ihren Atem nicht hörte, und verhielt sich ganz still.

Eine halbe Ewigkeit stand der Troll nur tatenlos in der Gegend herum.

»Äh ...«, knurrte er, »äh, ist hier jemand?«

Anmerkung: Trolle können etwas nicht einfach ganz normal sagen, sie müssen es immer knurren oder brüllen. Andere Formen der Kommunikation sind ihnen leider nicht möglich.

Zementia musste all ihre Konzentration darauf aufwenden, nicht »Nein« zu sagen.

»Hallo?«, knurrte der Troll.

Noch immer blieb sie stumm.

Der grüne Eindringling zuckte mit den Schultern. »Na gut, dann nicht.« Er drehte sich um und stapfte die Treppe wieder hinunter.

Zementia blieb noch eine ganze Weile stocksteif sitzen und lauschte. Von draußen hörte sie verängstigte Schreie und grobes Gebrüll. Als sie sicher war, dass keine unmittelbare Gefahr mehr drohte, erhob sie sich und schlich an das Fenster. Sie sah, wie zahlreiche Trolle die Dorfbewohner auf dem Platz zusammenscharrten. Im Licht der Fackeln, die einige Trolle dabeihatten, erkannte sie auch ihren Onkel und ihre Tante.

»Also gut, Abmarsch«, brüllte ein Troll und fuchtelte mit der Fackel.

Seine Komplizen setzten sich in Bewegung und scheuchten die Menschen vor sich her. Sie brachten sie in den Wald. Dort wurden sie von der Dunkelheit verschluckt.

Zementia stand am Fenster und lauschte in die Stille hinein. Es war entsetzlich still. Grauenvoll still.

Sie rannte aus dem Haus auf den Dorfplatz.

»Hallo?«, rief sie vorsichtig. Niemand antwortete.

»Ist noch jemand da?«

Immer noch keine Antwort. Also tat Zementia das, was die Protagonistinnen in ihren Lieblingsbüchern auch ständig taten und was ihr in diesem Moment am sinnvollsten erschien: Sie warf sich zu Boden und schluchzte bitterlich.

»Wie schrecklich«, jammerte sie. »Alle sind weg! Die bösen Trolle haben sie verschleppt!«

Sie weinte die ganze Nacht, und als die Sonne aufging, waren die Dorfbewohner samt ihrer Tante und ihrem Onkel trotzdem nicht wieder da. Leider war auch noch kein heldenhafter Ritter in stählerner Rüstung aufgetaucht, den sie den Trollen hinterherschicken konnte, und den sie dann nach erfolgreicher Befreiung der Verschleppten aus lauter Dankbarkeit heiratete. Na toll, natürlich musste sie die Realität mal wieder dermaßen enttäuschen. Mit verquollenem Gesicht setzte sie sich auf und wischte sich die letzten Tränen aus den Augenwinkeln. Allmählich wurde ihr bewusst, dass es wirklich überhaupt nichts brachte, nur hier zu hocken und sich elendig zu fühlen. Also richtete sie sich auf und reckte die Brust. Wenn kein Ritter vorbeikam, musste sie eben selbst etwas unternehmen. Es lag nun an ihr, die Dorfbewohner von den Trollen zu befreien!

Dann ließ sie die Schultern hängen. So schnell die Entschlossenheit gekommen war, so schnell war sie auch schon wieder verflogen. Es war eine Sache, sich vorzunehmen, selbst eine glorreiche Heldin zu werden, aber dies tatsächlich in die Tat umzusetzen, stand noch einmal auf einem vollkommen anderen Blatt.

Sie beschloss, dass sie erst mal ein paar Sachen packen sollte. Es konnte ja schließlich eine Weile dauern, bis sie die Trolle und die Dorfbewohner eingeholt hatte, und sie wollte absolut nicht die ganze Zeit dieselbe Unterhose tragen. Sie ging zurück ins Haus, kramte aus dem großen Schrank einen alten Rucksack heraus und packte nach langen Überlegungen diese Dinge ein:

• Sechs nasse Unterhosen (hier ergab sich folgendes Problem: Insgesamt besaß Zementia sieben Unterhosen, die letzte trug sie gerade. Die anderen hatte sie gestern gewaschen und zum Trocknen an die Leine gehängt, aber sie waren leider noch nicht trocken)

• Sechs nasse Sockenpaare (hier dasselbe Problem wie mit den Unterhosen. Die verdammten Trolle hatten sich wirklich einen schlechten Zeitpunkt ausgesucht, die Dorfbewohner zu stehlen. Hätten sie nicht einen Tag länger warten können? Dann wäre die Wäsche garantiert trocken gewesen!)

• Ein trockenes Kleid aus ihrem Schrank

• Ein Nachthemd (das, was sie bis eben getragen hatte, aber sie hatte sich dann recht schnell dazu entschieden, sich umzuziehen, denn sie kannte keine einzige Heldin, die im Nachthemd in ein Abenteuer zog)

• Einen Mantel

• Ein Paar Handschuhe und eine Mütze (es war zwar Sommer, aber man konnte ja nie wissen, wohin sie die Reise führte)

• Einen Kamm

• Eine Dose mit Gesichtssalbe, welche die Dorfheilerin ihr für die Hautunreinheiten, mit denen sie manchmal zu kämpfen hatte, zusammengemischt hatte

• Einen Geldbeutel mit den wenigen Ersparnissen der Familie

• Eine Wasserflasche

• Das letzte Brot, das vom Abendessen übrig geblieben war

• Eine Wolldecke

• Eine schwarze Katze (diejenige, die oft bei Zementia im Bett schlief und Mäuse aus ihrem Zimmer fernhielt. Sie hieß Fibbeline)

Das Tier packte Zementia nicht in den Rucksack, sondern klemmte es sich unter den Arm. Fibbeline miaute protestierend. Sie hatte wenig bis absolut gar keine Lust darauf, in ein Abenteuer zu ziehen. Wäre es nach ihrer Nase gegangen, dann wäre sie einfach hiergeblieben und hätte sich ein schönes Leben gemacht. Endlich waren die ganzen nervigen Zweibeiner weg, die sie ständig bei ihren ausgedehnten Mittagsschläfchen störten. Aber Zementia brauchte für diese herausfordernde Aufgabe dringend einen Begleiter als emotionale Unterstützung. Da es nun mal keinen Menschen mehr in diesem Dorf gab, blieb eben nur die Katze.

Mit ihrem Gepäck beladen, ging sie in den Stall und sattelte das kräftige Pferd, das normalerweise den Acker pflügte. Es hieß Gaul. Niemand hatte sich je die Mühe gemacht, ihm einen richtigen Namen zu geben, und Gaul passte nun einmal am besten zu ihm. Das Pferd störte sich auch nicht an seinem wenig fantasievollen Namen. Es fand ihn sogar eigentlich ganz schön.

Gaul glotzte Zementia verdutzt an, während diese den Sattel auf seinen Rücken wuchtete und festschnallte. Er wurde so gut wie nie geritten. Schließlich war er ein Arbeitspferd und wusste genau, was seine Aufgaben waren. Pflügen, schleppen, ziehen, tragen. Aber geritten werden? Das kam so selten vor, dass es für ihn stets eine sehr aufregende Erfahrung war. Darum begann sein Herz ganz schnell zu schlagen und er scharrte nervös im Heu.

»Onkel Achim und Tante Margarete wurden von Trollen entführt«, informierte Zementia ihn über die Situation. »Und all die anderen Dorfbewohner auch. Wir müssen sie retten.«

Ach so, dachte Gaul. Das erklärte den Lärm heute Nacht. Das klang spannend. Das war endlich einmal etwas Neues. Das klang nach Gefahr, nach Nervenkitzel, nach Aufregung. Vielleicht durfte er ja sogar mal galoppieren! Sein Herz klopfte immer schneller. Hätte Gaul über sein Leben selbst entscheiden können, dann hätte er vermutlich die Karriere eines Rennpferds eingeschlagen und all den hochnäsigen, arroganten, schmalen und zierlichen anderen Rössern in der Branche mal so richtig gezeigt, dass auch ein bulliges Arbeitspferd das Zeug zum waschechten Champion hatte!

Freudig schnaubte er. Endlich konnte er mal zeigen, was in ihm steckte! Auf eine Gelegenheit wie diese hatte er immer gewartet. In seinem Kopf spielte sich bereits seine glorreiche Zukunft als Heldenpferd ab, die hauptsächlich daraus bestand, dass er die ganze Zeit Leckerlis bekam.

Zementia saß auf und setzte Fibbeline vor sich ab. Die Katze versuchte, wieder hinunterzuspringen, aber Zementia hielt sie entschlossen fest. »Wir ziehen jetzt in ein Abenteuer, und du kommst gefälligst mit und leistest mir emotionalen Beistand!«

Wäre Fibbeline in der Lage gewesen, die Augen zu verdrehen, hätte sie dies nun getan. Dann fügte sie sich schweren Herzens ihrem Schicksal und kauerte sich vor Zementia auf den Sattel. Herrgott, dieses Mädchen konnte wohl gar nichts allein!

Freudig wieherte Gaul. Er stieg mit den Vorderbeinen in die Luft, weil er mal gehört hatte, dass alle Heldenpferde das so machten, sobald man in ein Abenteuer ritt. Dann galoppierte er los. Und zwar in der schnellsten Geschwindigkeit, die ein Pferd jemals erreicht hatte. Bedauerlicherweise war niemand da, der diesen Rekord messen und offiziell anerkennen konnte. Schade. Er nahm die Fährte der Trolle und Gefangenen auf und folgte ihren Spuren durch den Wald.

Das Abenteuer begann!

Kapitel 3 – Zementia wird überfallen

Zementia ritt ungefähr einen halben Tag lang durch den schattigen Forst, ohne dass etwas Nennenswertes geschah, dann wurde sie überfallen. In Wäldern wimmelte es nämlich nur so vor Gaunern und Ganoven. Deswegen wussten natürlich alle aus den umliegenden Dörfern, wie gefährlich es war, allein hindurchzureiten, und mieden den Weg durch den Wald. Zementia wusste das selbstverständlich auch. Aber ihr blieb ja nun mal nichts anderes übrig. Zumindest überraschte es sie nicht sonderlich, als sich ihr drei Räuber in den Weg stellten. Sie waren bullig, riesig, bärtig, haarig, dreckig, zottelig, trugen schlammbeschmierte Stiefel und an ihren Gürteln blitzende Messer. Ihre Augen funkelten gefährlich, genau wie ihre gefletschten Zähne, kurzum, sie gaben einen fürchterlich angsteinflößenden Eindruck ab. Und das nicht ohne Grund. Das große Problem von Räubern im Wald war nämlich, dass sich alle potenziellen Opfer ja darüber bewusst waren, dass sie hier lauerten, und somit lieber auf andere Wege auswichen, die um den Forst herum führten. Räuber trafen also nur äußerst selten auf ein echtes Opfer, und in der Zwischenzeit blieb ihnen mehr als genug Zeit, ihren Auftritt bis zur Perfektion zu proben. Genau genommen war diese Situation nicht nur für Zementia beängstigend, sondern auch für die Räuber. Sie war nämlich ihr erstes Opfer überhaupt. Jahrelang hatten sie auf diesen Zeitpunkt hingearbeitet, jahrelang geübt, und nun war der große Moment endlich da. Sie alle plagte fürchterliches Lampenfieber. Was, wenn jemand seinen Text vergaß? Was, wenn einem aus Versehen das Messer aus den schwitzigen Händen rutschte und er es dann umständlich vom Boden aufklauben musste? Das wäre natürlich an Peinlichkeit nicht zu übertreffen! Was, wenn ihr Opfer sie nicht ernst nahm? Sie einfach höflich darum bat, zur Seite zu gehen? Dem konnten sie schließlich nichts entgegensetzen.

Beherzt trat einer der Gauner vor. Er räusperte sich. »Äh ... Hände hoch und gib uns alles, was du hast!«

Erschrocken riss Zementia die Hände hoch. »Bitte tut mir nichts«, jammerte sie. »Ich habe keinen Besitz bei mir.«

Die Gauner atmeten kollektiv erleichtert aus. Ihr Opfer spielte mit. Na Gott sei Dank! Nun konnte ja gar nichts mehr schiefgehen.

Gauner 2 zückte sein Messer (und es rutschte ihm FAST aus der Hand, aber er bekam es gerade noch zu packen. Puh, Glück gehabt!). »Los, Kleine, gib uns dein Geld!«, donnerte er.

Anmerkung: Gauner und Ganoven können nichts einfach ganz normal sagen, sondern stets nur donnern. Das liegt in ihrer Natur, das muss so sein, um zum Gesamtbild zu passen. Gelegentlich können sie auch mal etwas zischen, aber dafür müssen sie schon wirklich in einer besonderen Stimmung sein.

»Du bist sicher nicht ohne Geld losgeritten«, fügte Gauner 1 (donnernd) hinzu.

»Äh ...« Zementia überlegte fieberhaft. Sie konnte ihr Abenteuer doch nicht ohne Geld weiterbeschreiten! Also konnte sie es unmöglich diesen Ganoven überlassen. Jetzt befand sie sich in einer wirklich schwierigen Zwickmühle. Dummerweise wusste sie nicht, dass sie die Gauner einfach nur höflich darum bitten musste, zur Seite zu treten, um dieser Situation zu entkommen, also blieb ihr nur der nackte Angstschweiß, der ihr den Rücken hinunterrann. Sie versuchte es weiter mit Lügen.

»Bitte, bitte, ich habe wirklich nichts! Ich bin eine arme Bettlerin, ich habe ja selbst Hunger!« Hilfesuchend schaute sie zu Fibbeline, die vor ihr auf dem Sattel lag, aber die Katze bekam überhaupt nichts mit, denn sie schlief. Das stetige Geschaukel des Ritts hatte sie in einen extrem tiefen Schlummer gewogen, aus dem sie die nächsten Stunden nicht einmal aufgewacht wäre, wenn ein feuerspeiender Drache auf sie losgegangen wäre.

Gaul hätte Zementia vielleicht retten können, indem er einfach losgaloppierte, allerdings war er zwar schnell, aber auch ein bisschen blöd. Insbesondere verstand er soziale Interaktionen zwischen Zweibeinern nicht so richtig. Für ihn gab das meiste Gebrabbel, was Menschen so von sich gaben, ohnehin keinen Sinn, und im Augenblick glaubte er, dies sei nur eine nette Unterhaltung unter netten Leuten. Kurzum: Zementia steckte ganz schön in der Patsche.

Die Räuber blickten sich bedeutungsvoll an.

»Du lügst doch«, donnerte Gauner 3. »Das kann ich riechen!«

Die anderen lachten dreckig.

Anmerkung: Räuber können nicht einfach nur ganz normal lachen, sie lachen IMMER dreckig.

Drohend kamen sie näher. Zementia erbleichte. Großartig! Genauso hatten sie es geprobt.

»Wenn du es uns nicht freiwillig gibst«, donnerte Gauner 1, »dann«, donnerte Gauner 2 (er hatte am wenigsten Text, weil er sich einfach keine langen Parts merken konnte), »holen wir es uns eben!«, donnerte Räuber 3. Und Zementia gab den jetzt obligatorischen Angstschrei von sich.

Und dann kam zum Glück die unerwartete Rettung, die eigentlich schon ziemlich erwartbar ist, wenn die Heldin in einer scheinbar aussichtslosen Situation steckt, aus der sie sich selbst nicht befreien kann.

Die Rettung war eine junge Frau auf einem Einhorn, das sich wiehernd aufbäumte.

Anmerkung: Einhörner sind Meister der Dramatik und können die Zeit verlangsamen, wenn sie sich wiehernd aufbäumen, damit auch ja alle Zuschauer sämtliche Details ihres epischen Auftritts mitbekommen.

Die Reiterin hatte unglaublich lange Haare, und sie waren so rot wie Feuer. Sie loderten, sie züngelten, sie flammten! Absolut dramatisch wehten sie im Wind, obwohl es heute windstill war. Und ihre Augen waren nicht einfach nur braun, nein! Sie waren GOLDEN! Sie waren so golden wie das Herbstlicht, das durch ein buntes Blätterdach fällt, und sie glitzerten wie Diamanten.

Entschlossen kniff sie ihre voluminösen und ganz natürlich roten Lippen zusammen, und ihre wohlgeformten Augenbrauen waren verärgert zusammengezogen. Sie trug ein weißes Hemd mit bauschigen Ärmeln und darüber ein sehr, wirklich sehr enges Lederkorsett mit einem sehr, wirklich sehr weiten Ausschnitt. Ihre Lederhose war sehr, wirklich sehr hauteng. Und an ihren Füßen trug sie kniehohe, schwarze Lederstiefel mit Absätzen, die nicht allzu hoch waren, aber doch hoch genug, dass sie insbesondere in epischen Kampfszenen maximal unpraktisch schienen. Und diese Frau war eine Kämpferin, das sah man sofort, spätestens auf den vierten oder fünften Blick, nachdem man sich an ihrem absolut unmenschlich guten Aussehen abgearbeitet hatte und das glänzende Schwert in ihrer Hand bemerkte.

Das Einhorn war weiß und hatte ein pinkes Horn und eine pinke Mähne. Glitzer und Blütenblätter wirbelten umher. Es sah schon wirklich ganz nett und hübsch aus, doch seiner Reiterin konnte es im Augenblick einfach nicht das Wasser reichen. Daher kochte es innerlich vor Wut. Jedes Mal das Gleiche! Nur seinetwegen war die Zeit um die Hälfte verlangsamt, und nur wegen dieses dramaturgischen Effekts wurde die rothaarige Kämpferin so verdammt gut in Szene gesetzt. Das Einhorn machte also die ganze harte Arbeit, beschwor sogar noch Wind und ein unwirklich goldenes Licht herauf, und wie dankte man ihm es? Man schenkte ihm bestenfalls einen kurzen, unaufmerksamen Blick, bevor man wieder mit offenem Mund seine Reiterin angaffte.

Diese brüllte und schwang ihr Schwert. Der Zeitlupeneffekt war vorüber und das Einhorn galoppierte auf die Räuber zu. Sofort machten sie sich aus dem Staub. Man hätte natürlich vermuten können, dass sie angesichts der atemberaubenden Schönheit dieser Frau einfach mit offenem Mund stehen geblieben wären und ihnen Sabberfäden das Kinn hinunterrannen (schließlich ist es ja allgemein bekannt, dass dies die einzige Reaktion ist, die Männer auf eine schöne Frau haben können, insbesondere wenn sie rothaarig ist und enge Lederkluft trägt (das ist wirklich so, wirklich ganz ehrlich, das ist wissenschaftlich bewiesen!)). Aber Räuber im Wald waren eine ganz eigene Spezies. Eigentlich waren sie sehr scheue, menschenfeindliche Wesen. Normalerweise bestand ihr Leben daraus, im Bach Fische zu fangen, Fallen zu stellen, Pilze, Beeren und Wurzeln zu sammeln, die Höhle, in der sie schliefen, regelmäßig zu putzen, Feuer zu machen, Wasser abzukochen und abends ein köstliches Essen zuzubereiten. In ihrer Freizeit legten sie sich dann meist zwei bis drei Stunden pro Tag auf die Lauer und warteten auf Opfer. Da aber eben nie eines kam, musste einfach der Reihe nach einer von ihnen das Opfer spielen, und so perfektionierten sie ihre Raubüberfälle immer mehr. Man konnte sagen, dass die Räuber mit ihrem Leben im Wald fernab aller anderen Menschen ziemlich zufrieden waren. Das mit dem Räubersein taten sie eigentlich nur so nebenbei, um sich die Zeit zu vertreiben, und weil sie Nachnamen trugen wie Stibitzfinger, Ausraub oder Klaustehl, und so seit ihrer Geburt vorgegeben war, dass sie eben Räuber wurden. Da sie so fernab von allem lebten, hatten sie zuvor noch nie eine schöne Frau gesehen, und so wussten sie überhaupt nicht, dass man darauf auch sabbernd und glotzend reagieren konnte. Darum reagierten sie mit Panik und verschwanden schnurstracks zwischen den Bäumen.

Die rothaarige Kämpferin zügelte ihr Einhorn. »Brr, Glitzerglanz! Brr!«

Wiehernd und tänzelnd kam das Fabelwesen zum Stehen. Die Reiterin steckte ihr Schwert ein, sprang ab und trat auf Zementia zu. »Ist alles in Ordnung? Haben die Grobiane dir etwas angetan?«

»Ähhh ... äh, ich äh, ehm, nein, also, ääähhhh ...« Zementia konnte keinen klaren Gedanken fassen. Erschrocken merkte sie, dass ihr ein Sabberfaden am Kinn hinunterlief. Schnell wischte sie ihn weg. Wie peinlich! Nur weil keine Männer in der Nähe gewesen waren, die angemessen auf den Auftritt dieser Schönheit reagieren konnten, hatte sie dies nun übernehmen müssen. Endlich schaltete sich ihr Gehirn wieder ein und sie räusperte sich. »Mir geht es gut. Danke.«

»Zum Glück war ich gerade zufällig in der Gegend. Ohne mich hättest du ganz schöne Schwierigkeiten bekommen.« Sie streckte ihre Hand aus. Natürlich hatte sie zarte, feingliedrige Finger, an denen je ein funkelnder Ring steckte. Ihre Nägel waren lang, mandelförmig und schimmerten, als habe sie einen glänzenden Nagellack aufgetragen, aber in dieser Welt gab es noch keinen Nagellack. Sie glänzten einfach so. Weil es gut aussah. »Mein Name ist Fuchseline Feuerflammenrothaar.«

Zögernd stieg Zementia von Gaul ab und gab ihr die Hand. »Ich bin Zementia Silberhaar.«

Gaul sabberte ebenfalls. Aber er glotzte nicht Fuchseline Feuerflammenrothaar an, sondern das Einhorn. Die beiden kommunizierten gerade per Gedankenübertragung. Wenn man die Konversation in die menschliche Sprache übersetzen wollen würde, klänge sie ungefähr so:

Glitzerglanz: »Was glotzt du mich so an, du hässlicher Gaul?«

Gaul: »Ähhh ... öhhhh ... hehe ... plüdlüdlüü ...«

Glitzerglanz: »Bist du ein bisschen dumm?«

Gaul: »Hähä ... jaaa ... Mähne ... schöööön.«

Glitzerglanz (zu sich selbst): »Oh Gott, jetzt geht das schon wieder los.«

Gaul: »Horn ... schöööön.«

Glitzerglanz: »Ja, ja. Schon verstanden.«

Gaul: »Weißes Fell ... sooo schööön.«

Glitzerglanz: »Im Gegensatz zu dir. Hast du dich eigentlich schon mal je gewaschen? Du stinkst!«

Gaul: »Wrgs prrhh bridl ... Glitzeeeer!«

Glitzerglanz versank wie so oft ein wenig in Selbstmitleid. Er konnte einfach mit keinem Pferd eine vernünftige Konversation führen, weil ausnahmslos alle in diesen nervigen Sabbermodus verfielen. Höchstens konnte er sich mit anderen Einhörnern unterhalten, aber die waren ihm viel zu abgehoben und arrogant. Ganz im Gegensatz zu ihm. Er war wohl das einzige Einhorn auf der großen weiten Welt, das sich eine gesunde Bodenständigkeit bewahrt hatte. Ach ja, übernatürliche Schönheit machte sehr einsam.

Kapitel 4 – Zementia hat einen Anfall von Nonprotagonistphobie

»Was machst du denn hier ganz allein?«, fragte Fuchseline. »Es ist doch allgemein bekannt, dass in diesem Wald Räuber lauern.«