Zeppelino - Andrea Onken - E-Book

Zeppelino E-Book

Andrea Onken

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Beschreibung

Wer hat den richtigen Riecher und kommt dem vierbeinigen Übeltäter auf die Schliche, der in der Kastanienallee riesengroße Haufen hinterlässt? Ist es der Polizist Spürnase oder Anna-Lena, seine 12- jährige Assistentin? Nach fieberhafter Suche stößt das pfiffige Mädchen eines Tages auf eine heiße Spur. Sie folgt der Fährte, die durch einen verwunschenen Garten führt und an einer Bretterbude endet. Dort trifft sie auf einen verwahrlosten Hund, der sprechen kann! Zeppelino, ein Neufundländer, erzählt der kleinen Detektivin seine außergewöhnliche Lebensgeschichte, die Anna- Lena tief erschüttert. Ohne lange zu überlegen, kümmert sie sich fortan um das pflegebedürftige Pfotentier. Schnell werden die beiden dickste Freunde. Allerdings gerät Anna-Lenas Leben nach der Begegnung mit der Weichschnauze Zeppelino ganz schön durcheinander. Ob es dem Duo gelingt, die aufregenden und verzwickten Abenteuer zu bestehen?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 185

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Andrea Onken: Zeppelino – Eine Freundschaft überwindet alle Hindernisse

Mit jedem verkauften Buch werden der Bundesverband Kinderhospiz e.V.

und der Bund gegen Missbrauch der Tiere e.V. finanziell unterstützt.

Impressum

Zweite Auflage © 2024

Andrea Onken

c/o Firma Aller-leih Wenckebach

Palmzeile 11

14129 Berlin

[email protected]

Das gesamte Werk ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwendung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig.

Das gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Lektorat/Korrektorat: Sandra Krichling - Lektorat Text-Theke - www.text-theke.com

Satz/Schlussredaktion: Sandra Krichling - Lektorat Text-Theke - www.text-theke.com

Umschlaggestaltung: © Peggy Löhle - peggy.loehle.illustration

Illustrationen: © Peggy Löhle - peggy.loehle.illustration

Liedtext-Quelle „Mein kleiner grüner Kaktus“: LyricFind

E-Book: Kia Kahawa Verlagsdienstleistungen, Michael Haitel, www.kiakahawa.de

Herstellung & Verlag: Tredition

ISBN: 978-3-384-33034-5

Gewidmet meinen Enkelkindern

Sophie, Charlotte, Philipp, Luise und Philippa

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1. Kapitel

Anna-Lena drückt die Schlummertaste an ihrem Wecker und kuschelt sich noch einmal gemütlich in ihr Kopfkissen.

„Zum Glück beginnen bald die Sommerferien. Dann kann ich endlich ausschlafen“, träumt sie im Halbschlaf vor sich hin. Doch dann schreckt sie vom Geschrei ihres Bruders hoch:

„Mamiiiii, was soll ich anziehennn?“

Genervt quält sich Anna-Lena aus ihrem Bett.

„Zieh die schwarze Jeans und das rote T-Shirt an. Die Sachen liegen auf der Waschmaschine“, hört sie von unten ihre Mutter antworten, die schon emsig in der Küche hantiert.

Der Frühstückstisch ist gedeckt, als Nächstes bereitet Sabine Dotterweich die Pausenbrote für ihre beiden Kinder vor. Ihr Mann Sven ist schon zur Arbeit gefahren. In dieser Woche hat er wieder Frühschicht.

Erste Sonnenstrahlen blinzeln durch die dünne Wolkendecke und scheinen durchs offene Küchenfenster. Beiläufig wirft Anna-Lenas Mutter einen Blick auf die Straße und sieht, wie ihr Nachbar, hoppla hopp, flotti galoppi, bereits kurz nach 6.00 Uhr sein Haus verlässt. Sabine winkt ihm zu und wünscht einen guten Morgen. Zum Gruß lüftet er kurz seine blaue Polizeischirmmütze und spurtet zum geparkten Dienstwagen. Während er in Windeseile das mobile Blaulicht auf dem Dach montiert, tönt alarmierend seine Stimme über die Straße:

„Katze im Baum. Notfall!“

Sabine schüttelt irritiert den Kopf. Zum Glück braust er nur mit eingeschaltetem Blaulicht davon. Hätte er das ohrenbetäubende Martinshorn, was jedem durch Mark und Bein fährt, aktiviert, stünden sicherlich einige Anwohner in der ruhigen Stichstraße „Am Fuchsbauerweg“ senkrecht in ihren Betten.

Apropos Bett. Die 12-jährige Anna-Lena schlurft schlaftrunken ins Bad. Sie steht neben ihrem 7-jährigen Bruder am Waschbecken, der zweieinhalb Köpfe kleiner ist als sie. Verschlafen schaut sie in den Spiegel und wuschelt ihre blonden Locken zurecht. Kleine niedliche Sommersprossen, die an Pippi Langstrumpf erinnern, sprenkeln ihr Gesicht. Ihre sportliche Figur, die lustigen braunen Augen, die Stupsnase und die langen Wimpern hat sie von ihrer Mama.

Ihr Bruder ist, mit seinem schmalen Gesicht und den strahlend blauen Augen, ein süßer Fratz. Zu seinen Markenzeichen gehören, wenn sie nicht gerade in der Wäsche sind, die Fußballsocken vom 1. FC Bayern, die er am liebsten Tag und Nacht tragen würde.

Als Bombe-Granate-Mittelstürmer spielt er in der F-Juniorenmannschaft des ansässigen Vereins.

Anna-Lena schupst ihren Bruder an und drängelt:

„Jonas, nun mach mal hinne! Ich will jetzt unter die Dusche!“

Er bändigt noch fix mit Paps’ Haargel seinen rotblonden Schopf und überlässt Anna-Lena das Feld.

Kurt Spürnase, der mit seiner Familie gegenüber von Anna-Lenas Elternhaus wohnt, ist Polizist vom Scheitel bis zur Sohle, auf ganzer Linie, von Kopf bis Fuß.

Spüri, diesen Spitznamen hat ihm Anna-Lena verpasst, ist eine etwas eigenwillige, sonderbare Person. Hinzu kommt, dass seine äußere Erscheinung nicht gerade dem Idealbild eines Polizisten entspricht.

Mit seinen kurzen Beinen und dem schmächtigen Körper wirkt er in seiner Uniform etwas verloren. Ulkig sieht auch die viel zu große Dienstmütze auf seinem schmalen Kopf aus. Diese findet lediglich durch die abstehenden Ohren Balance, ansonsten würde sie noch tiefer in sein Gesicht rutschen. Bei genauerem Hinsehen fallen einem seine rötlichen Haare auf, die wie elektrisch geladene Drähtchen unter der Kopfbedeckung spärlich hervorspitzen. Sehr auffallend hingegen und respekteinflößend ist seine Brille: schwarzes Gestell mit dicken Gläsern, die seine Augen wie unter einem Vergrößerungsglas riesig erscheinen lassen. Durch die Schwere der Gläser findet die Brille erst an einer behaarten, klobigen Warze am rechten Nasenflügel Halt. Seit einigen Jahren trägt Spüri zudem einen buschigen, rötlich gesprenkelten Schnauzbart, der seine klaffende Zahnlücke geschickt kaschiert. Wie es dazu kam? Bei einer Schlägerei schlug ihm ein Verbrecher die oberen Schneidezähne aus dem Kiefer. Aus Angst vor der Zahnbehandlung mit Spritzen, Skalpell und Bohrer wählte Spüri lieber die schmerzfreie Bart-Variante.

Normalerweise verlässt er um 6.21 Uhr das Haus, um pünktlich um 6.30 Uhr auf der Polizeiwache „Am Handschellendamm 110“ zu sein. An diesem Morgen, gleich nach Dienstbeginn, erhält Spüri Besuch von seinem Chef, Hauptkommissar Hugo Schutzweste. Er ist ein Mann, der nicht lange um den heißen Brei herumredet, sondern die Karten gleich auf den Tisch packt!

„Spürnase, es gibt Arbeit“, hallt es durch die Amtsstube. „Die ständigen Beschwerdemeldungen von Frau Nörgel gehen mir gehörig auf den Zeiger. Sie hat mich heute in der Früh schon wieder von ihrem Geschäft aus angerufen. Sie brüllte durchs Telefon, dass ein großer, brauner Hund mit langem Schwanz auf dem Gehsteig in der Kastanienallee seine Haufen hinterlässt.“ Spüri rückt seine Brille zurecht und schaut seinem Chef konzentriert in die Augen. Erst kürzlich sei Frau Nörgel auf dem Weg zur ihrer Konditorei mit ihren neuen weißen Lackpumps in einen Haufen getreten und dabei fast ausgerutscht. Ihre teuren Schuhe könne sie nun wegschmeißen. Es sei eine Sauerei, was einem als Bürgerin dieser Stadt so zugemutet wird. „Sie besteht darauf, dass die Polizei diesen unerträglichen Missstand unverzüglich abstellt. Nähere Angaben zu diesem widerlichen, ekeligen und unerzogenen Hund konnte sie nicht machen. Und stellen Sie sich vor, Kollege Spürnase, dann beendete sie das Telefonat, ohne meine Antwort abzuwarten. Ich denke, werter Spürnase, der Job ist Ihnen wie auf den Leib geschneidert. Sie werden den Fall übernehmen und aufklären und das möglichst schnell. Mit dieser Frau Nörgel ist nicht gut Kirschen essen, die hat einen heißen Draht zur Presse und scheut sich nicht, uns bloßzustellen, falls wir den Fall vergeigen.“

Kurt Spürnase hat keine Wahl. Sich einer Dienstanweisung zu widersetzen, kommt für ihn nicht in die Tüte! Ein Unding! Befehl ist Befehl!

„Chef, Sie haben völlig recht. Sie können sich wie immer voll und ganz auf mich verlassen!“

Kurt Spürnase, nicht gerade ein bekennender Hundeliebhaber, sitzt einige Zeit später an seinem Schreibtisch und zermartert sich sein Hirn, wie er die Dienstanweisung ausführen könnte.

Allein der Gedanke, in der Kastanienallee Kontrollgänge absolvieren zu müssen und womöglich dem Hund zu begegnen, bringen seine Knie zum Zittern. Als Kind war er mal von einem Dackel in den Po gebissen worden. Sowohl die Narbe vom Biss als auch die Angst vor Hunden ist seitdem geblieben.

Als Spüri an diesem Tag nach getaner Arbeit im Sportdress mit Sturzhelm auf seinem E-Bike Richtung Fußballplatz fährt, kommt ihm Anna-Lena mit ihrem Bruder Jonas entgegen.

„Hallo, Herr Spüri. Ich meine: Herr Spürnase“, stottert sie verlegen. „Wir fahren zur Eisdiele.“

Spüri fackelt nicht lange, ändert blitzschnell die Fahrtrichtung und folgt den beiden Nachbarskindern.

„He, ihr beiden, stoppt mal, ich lade euch zu einem Eis mit vier Kugeln ein!“

Anna-Lena und Jonas schauen sich verdutzt an. Der sonst so miesepetrige Nachbar, der immer gleich motzt, wenn sie im Garten zu laut sind, will ihnen, so mir nichts, dir nichts, ein Rieseneis kaufen? Seit wann trägt der denn Spendierhosen? Da ist doch was faul!

Jonas fackelt nicht lange und gibt seine Bestellung auf. Die vier Kugeln Erdbeer, Vanille, Stracciatella und Waldmeister türmen sich in seiner Waffel.

„Los!“, spitzt er Anna-Lena an, „bestell, bevor Spendierspüri es sich anders überlegt!“

Wie aus der Pistole geschossen, ruft sie dem Eisverkäufer zu:

„Schoko, Himbeer, Tiramisu, Joghurt-Pfirsich.“

„Becher oder Waffel?“, fragt der Eisverkäufer.

„Waffel! Bezahlen tut der da.“ Dabei zeigt sie auf Kurt Spürnase, der umständlich sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche friemelt und dem Eismann einen 20€-Geldschein reicht.

Während der Polizist noch aufs Wechselgeld wartet, radeln die Kinder einhändig an ihm vorbei und bedanken sich überschwänglich für das Eis! Spüri schaut ihnen verdattert hinterher und ruft:

„Stehenbleiben! Halt! Stopp! Ich wollte doch …“

Eifrig lecken die Kinder an ihrem Eis, was bereits in dünnen Rinnsalen an der Waffel runterläuft. Mit einer Kopfbewegung signalisiert Anna-Lena ihrem Bruder, zum nahegelegenen Spielplatz abzubiegen. Dort nehmen sie auf einer Schaukel Platz und schlecken in aller Ruhe ihr Eis auf.

Der kurzsichtige Spüri, der nicht uneigennützig die erfrischende Leckerei spendiert hat, hält vergebens nach den Kindern Ausschau. Er fährt einige Straßen der Umgebung ab, aber die Kinder sind wie vom Erdboden verschluckt. Frustriert steuert er den Sportplatz an. Seine Mannschaft, der

1.PC Abseits, hat heute ein Heimspiel, was unbedingt gewonnen werden muss, ansonsten heißt es: Abstieg in die Bezirksliga.

Auf dem Spielplatz treffen Anna-Lena und ihr Bruder zufällig einige Klassenkameraden, die eine riesige Sandburg mit Tunneln und Türmen bauen. Bis zum Abendessen helfen die beiden fleißig mit, damit das Kunstwerk noch fertig wird.

Pünktlich um 19.00 Uhr sitzt Familie Dotterweich vollzählig am Abendbrottisch, als es an der Haustür klingelt.

„Wer kann das denn sein?“, stöhnt Anna-Lenas Mutter und geht etwas genervt zur Haustür. Polizist und Nachbar Herr Spürnase steht vor ihr.

„Guten Abend, entschuldigen Sie die späte Störung. Darf ich reinkommen? Es dauert nicht lange.“ Er schiebt Sabine Dotterweich, ohne ihre Antwort abzuwarten, beiseite und steht breitbeinig im Hausflur. „Sie wissen ja, mit den Viechern, den Hunden, habe ich es nicht so. Da gehe ich gleich auf Abstand. Von meiner Phobie, Fracksausen, Panik vor Hunden, habe ich Ihnen ja schon mal erzählt.“

„Kommen Sie zur Sache“, unterbricht ihn Frau Dotterweich. „Meine Pfannkuchen werden kalt.“

„Ja, ja, natürlich. Darf ich Anna-Lena kurz sprechen?“

„Wieso? Hat sie etwas ausgefressen?“

„Nein, nein! Ich brauche ihre Hilfe. Rein dienstlich.“ Er hat den Satz noch nicht beendet, da steht Anna-Lena bereits wie ein Zinnsoldat neben ihm.

„Anna-Lena, ich brauche deine Unterstützung, so eine Art Assistenz, als meine persönliche Handlangerin. Mein Kollege ist im Urlaub und die Arbeit wächst mir über den Kopf. Ich sehe mich außer Stande, die Observation …“

„Was ist denn Absurdation?“, wirft Jonas ein, der sich klammheimlich in den Flur geschlichen hat und hinter seiner Schwester steht.

Spüri nimmt seine Brille von der Nase und putzt, bevor er Jonas antwortet, mit seinem blauen Taschentuch die verschmierten Gläser blank.

„OBSERVATION, mein kleiner Mann, heißt: Beobachtung! Diese wird von der Polizei meist verdeckt durchgeführt! Nun zu dir, Anna-Lena: Du bist doch mit deinem Rad viel unterwegs, auch in der Kastanienallee. Ist dir dort schon mal ein großer, brauner Hund begegnet? Der erleichtert sich, entleert, kackt seit einigen Monaten regelmäßig auf den Bürgersteig und ich soll den Hundehalter ausfindig machen. Aber mir fehlt die … äh … Zeit,

mich ganztägig mit dem Fall zu befassen. Mir wäre es sehr recht, wenn du einige Stunden die Überwachung in dieser Allee übernehmen könntest.“ Anna-Lena überlegt kurz und antwortet:

„Nö, so einen Hund habe ich da noch nicht gesehen! Aber als Hilfspolizistin stehe ich natürlich gerne zur Verfügung, wenn meine Eltern nichts dagegen haben. Hört sich total spannend an.“

Sie knallt die Hacken zusammen und schielt erwartungsvoll zu ihrer Mutter rüber. Sabine wirft ihrer Tochter einen zustimmenden Blick zu.

„Am Abend hast du allerdings pünktlich um 20.00 Uhr zu Hause zu sein, sonst gibt es Ärger, meine Liebe.“

„Könntest du dich gleich zu Ferienbeginn auf die Lauer legen? Für deine Verdienste winkt ein hübsches Sümmchen, eine angemessene Entlohnung.“

„Klar! Das passt bestens. In diesem Jahr fahren wir nämlich nicht in Urlaub.“

Spüri fällt ein Stein vom Herzen. Überschwänglich verabschiedet er sich und springt mit einem Satz die vier Stufen am Hauseingang herunter und schmettert noch hinterher:

„Details, Genaueres, Einzelheiten besprechen wir am Montag um 10 Uhr in meinem Dienstzimmer.“

2. Kapitel

Anna-Lena schwingt sich am ersten Ferientag auf ihr Fahrrad und steuert den Supermarkt an, der auf dem Weg zur Polizeistation liegt. Sie ist ziemlich aufgeregt und kann sich noch gar nicht so richtig vorstellen, wie sie dem riesigen Übeltäter-Hund auf die Schliche kommen kann. Keiner ihrer Freunde hat einen blassen Schimmer, welch krassen Ferienjob sie angenommen hat.

Es ist kurz nach 9.00 Uhr, also genügend Zeit, um in aller Ruhe Proviant einzukaufen, den sie in den nächsten Tagen mit zum „Dienst“ nehmen möchte. Schwuppdiwupp landen Apfelsaft, Nüsse, Möhren, Gummibärchen, Äpfel, Brötchen und vorsorglich auch Hundeleckerli im Einkaufswagen. Voll bepackt radelt Anna-Lena nun zum Handschellendamm 110.

Sie parkt ihr Rad neben einem Polizeiauto und schließt es sicherheitshalber an einem Laternenpfahl ab. Ein bisschen mulmig ist ihr schon, als sie das Gebäude betritt. Auf einer Bank im Eingangsbereich sitzen zwei Männer, die sich gegenseitig in einer Affenlautstärke beschimpfen. Neugierig verlangsamt Anna-Lena ihren Schritt und lugt aus den Augenwinkeln zu den Typen rüber.

„Watt glotz’de denn so blöd, du Göre“, graunzt der Dickere. Dann fuchtelt er mit seinem Arm, um ihr zu verdeutlichen: Schleich dich!

Der Dünnere setzt nach und brüllt:

„Ick mach dir gleich Beene, bring mir nich zur Weißglut, du Früchtchen!“ Anna-Lena wirft den schrägen Gesellen einen abfälligen Blick zu und marschiert selbstbewusst auf Polizeihauptwachtmeister Spürnase zu, der am Ende des Ganges schon auf sie wartet.

„Da bist ja, komm rein in die gute Stube! Hier sieht es ein bisschen chaotisch, wie Kraut und Rüben aus.“ Er zeigt auf die Berge von Akten, die sich rund um seinen Schreibtisch und auf dem Fußboden stapeln. „Noch unbearbeitete Fälle: Verbrechen, Straftaten, mit denen ich mich noch rumschlagen muss.“

Anna-Lena schmunzelt. So eine Unordnung dürfte sie in ihrem Zimmer nicht hinterlassen. Spüri räumt einen der Schreibtischstühle frei.

„Setz dich, Anna-Lena!“

Die Luft ist stickig. Es riecht nach abgestandenem Kaffee, alten Büchern und fauligem Obst. Fruchtfliegen umkreisen den vollgestopften Papierkorb, der neben ihrem Stuhl steht. Zwischen dem zerknüllten Papier lugen olle Apfelkitschen, Bananenschalen und Pizzareste hervor. Spüri bemerkt, wie Anna-Lena ihre Nase rümpft und kommentiert lapidar:

„Die Putzfrau hat Urlaub. Ich mach mal das Fenster auf.“

Er tänzelt geschickt um die Aktenordnertürme herum und öffnet einen Fensterflügel. Einen Moment bleibt er stehen und sieht, wie sein Chef Schutzweste die Konditorei von Frau Nörgel betritt. Ihr Geschäft und das dazugehörige Café liegen nämlich direkt gegenüber der Polizeistation. Wenn der Wind, so wie heute, richtig steht, weht eine Duftwolke aus süßem Gebäck, geröstetem Kaffee und frischen Backwaren bis in sein Dienstzimmer hinein. Bevor er mit einem gekonnten Sprungmanöver vom Fenster auf seinem quietschenden, abgewetzten Drehstuhl landet, wischt er sich die feuchten Speichelfäden mit seinem blauen Taschentuch vom Mund ab.

„So, nun wird es amtlich!“ Er legt die Unterarme auf die Schreibtischplatte und schaut mit ernster Miene über den Rand seiner Brille auf seine „Hilfspolizistin“. „Uns liegt eine Beschwerde von einer Geschäftsfrau, Frau N., vor, die in der Kastanienallee wohnt. Wir, als Behörde, sind verpflichtet, der Sache nachzugehen. Den Namen darf ich aus Datenschutzgründen nicht nennen.“

Anna-Lena amüsiert sich still, denn ihr ist sofort klar, wer sich hinter dem Kürzel verbirgt. Vor Wochen erschien in der regionalen Tageszeitung ein Artikel über die Hundehaufensauerei und schlug riesige Wellen der Empörung. Unzählige Leserbriefe schlossen sich den Äußerungen von Frau Sybille Nörgel an, dass Hinterlassenschaften von Hunden nun wirklich nicht auf Gehwege gehören.

„Warum grinst du so, Anna-Lena? Wir sitzen hier nicht zum Vergnügen, zum Spaß! Pass gefälligst auf und sei mit Ernsthaftigkeit bei der Sache!“ Kleinlaut antwortet Anna-Lena:

„Ist nicht so wichtig, aber ich sag es Ihnen trotzdem. Die Beschwerdetante ist Frau Nörgel. Sie betreibt das Café da drüben auf der anderen Straßenseite.“

Spüri überhört ihre Bemerkung und fährt pflichtbewusst und bürokratisch fort:

„In der Früh beginnt deine Dienstzeit um 8.00 und endet gegen 11.00 Uhr. Einmal pro Stunde machst du deinen Kontrollgang, peilst die Lage und achtest auf jede Besonderheit. Alle Auffälligkeiten sind zu notieren! Jeder noch so unwichtig erscheinende Hinweis kann uns auf die Fährte zum ominösen, unbekannten, verdächtigen Hund führen. Ist das klar? Hast du mich verstanden?“

Wie aus der Pistole geschossen antwortet Anna-Lena:

„Jawohl, Herr Hauptwachtmeister!“

„Nach deiner Mittagspause findest du dich dann um 14 Uhr wieder am Standort ein. Je nachdem, wie viel Zeit du hast, bleibst du zwei bis drei Stunden. Am Abend das gleiche Spiel: Von 18.00 20.00 Uhr absolvierst, leistest du die letzte Schicht ab, danach übernehme ich. Verlasse pünktlich den Tatort, damit wir keinen Ärger bekommen, denn Kinder in deinem Alter dürfen gemäß Jugendschutzgesetz ohne Erwachsene nach 20.00 Uhr nicht mehr unterwegs sein. Kapiert? Ruf mich auf meinem Diensthandy an, falls du Unterstützung brauchst. Meine Nummer steht auf dem Deckblatt des Blocks, den du zum Protokollieren, Abfassen, ja, zum Aufschreiben mitnimmst.“

Während er aufsteht, schiebt er ihr einen Papierblock über den Tisch, auf dem das Reklamelogo der Polizei abgebildet ist.

Die beiden „Kollegen“ verabschieden sich und Anna-Lena steuert den Hinterausgang an. Ihr Kopf glüht. Die Anspannung und Nervosität lösen sich erst wieder, als sie draußen an der frischen Luft ist. Fix steckt sie den Notizblock in die Jackentasche und radelt davon.

Zuhause angekommen, nimmt Anna-Lena ihren Rucksack aus dem Kleiderschrank. Er ist ein Geschenk von ihrem Patenonkel Kunibert zum 11. Geburtstag gewesen. Der Rucksack ist groß genug, um Taschenlampe, Fernglas, warme Klamotten und Regenumhang verstauen zu können. Danach schmiert sie in der Küche die Brötchen mit Frischkäse und legt oben auf noch ein paar Gurkenscheiben. Vier Wasserflaschen und die belegten Brötchen stopft sie in die Satteltaschen des Fahrrads. Das aufgeladene Handy steckt sie zum Geldbeutel in die vordere, kleinere Rucksacktasche mit Reißverschluss. Einen kurzen Gruß an die Eltern heftet sie an die Kühlschranktür. Dann radelt sie zur Kastanienallee. Als Beobachtungsposten peilt Anna-Lena die Bushaltestelle an. Der kleine Glaskasten mit Bank scheint als Standort optimal. Von dort hat sie die gesamte Straße im Blick.

Die Stunden vergehen nur langsam. Eigentlich ist es ziemlich langweilig. Nichts Außergewöhnliches passiert. Um sich die Zeit zu vertreiben, trinkt Anna-Lena den mitgebrachten Apfelsaft und vertilgt ein Brötchen. Zum Nachtisch stopft sie eine Handvoll Gummibärchen in ihre Futterluke und lässt den süßlichen Gummibrei im Zeitlupentempo im Mund umherkrei-

sen. Von Weitem erkennt sie den Stadtbus Nr. 73, der im Stundentakt an ihrem Standort hält. Nur wenige Anwohner steigen ein oder aus. Diese Gegend ist nicht so dicht besiedelt wie der Stadtteil, in dem Anna-Lenas Elternhaus steht. Gerade in der Kastanienallee liegen die herrschaftlichen Einfamilienhäuser in parkähnlichen Gärten. Die meisten Anwohner fahren mit ihren Autos und nicht mit den Öffis (öffentliche Verkehrsmittel). Ab und an schlendern Hundebesitzer mit ihren Vierbeinern — klein, groß, dick, alt, jung, reinund nicht reinrassig — am Grünstreifen der Allee entlang. Die meisten Hundeleute glotzen auf ihr Handy, während ihr Wauwau sich schnüffelnd vorwärts bewegt.

Einige neugierige Passanten sprechen Anna-Lena an:

„Willst du verreisen? So ein großer Rucksack. Musst du nicht nach Hause? Der nächste Bus kommt doch erst morgen um 6.00 Uhr!“

Genervt stiert Anna-Lena mit aufgerissenen Glubschaugen die Leute an, so, als ob sie kein Deutsch verstünde.

Im Stundentakt absolviert sie ihre Inspektionsrunden. Anschließend sucht sie mit dem Fernglas fast jeden Zentimeter der Gegend noch einmal ab. Aber ein großer Hund mit langem Schwanz kommt ihr nicht vor die Linse. Immer wieder schreckt sie von unterschiedlichen Geräuschen auf: Mal ist es ein Rascheln im dürren Eichenlaub, der Ruf eines Waldkäuzchens, entferntes Hundegebell, laute Musik aus vorbeifahrenden Autos oder grölende Jugendliche, die im Konvoi auf ihren Rädern an ihr vorbeiflitzen.

Mittlerweile ist es Abend geworden. Anna-Lena reibt sich ihre müden Augen und wirft einen Blick auf die Armbanduhr: 19.00 Uhr. Ihr ist vom Sitzen in dem zugigen Bushäuschen kalt geworden, also zieht sie sich den Pulli mit dem Ringelmuster über, den ihr die Mutter kürzlich gestrickt hat. Als sie gerade dabei ist, ihren Anorak noch anzuziehen, entdeckt sie etwas: ein dunkler Busch am Straßenrand, der sich bewegt. Dieser große, dunkle Schatten nähert sich zeitlupenartig dem Bushäuschen. Vor lauter Aufregung stößt sie gegen das Fernglas, das mit einem lauten Knall zu Boden fällt. Blitzartig entfernt sich das „Dingsda“. Anna-Lena schaudert, Gänsehaut pur! Aufgeregt und mit zittrigen Fingern tastet sie nach dem Fernglas, während sie die Straße weiter im Blick behält. Sie setzt das Fernglas an und richtet die Sehschärfe aus. Zum Glück funktioniert die Durchsicht noch. Angestrengt suchen ihre Augen die Umgebung ab.

„Wie vom Erdboden verschwunden! Sonderbar! Nichts zu sehen! Pech!“, flucht Anna-Lena leise vor sich hin. „Scheint nicht mein Tag zu sein.“

Für heute hat sie jedenfalls die Faxen dicke. Enttäuscht packt sie ihre Sachen zusammen. Bevor sie sich aufs Rad schwingt, verfasst sie noch schnell den Tagesbericht für Spüri. Doch dann bimmelt ihr Handy.

„Hallo, Anna-Lena, Spürnase am Apparat. Kann heute nicht mehr kommen, wichtiger Einsatz, Bankeinbruch, Verfolge die Diebe! Over!“

Auch das noch! Jetzt fällt auch noch Spüris Nachtschicht in der Kastanienallee ins Wasser. Bedröppelt und erschöpft macht sich Anna-Lena auf den Heimweg.

Wie ein begossener Pudel kommt sie völlig durchnässt zu Hause an, denn ein plötzlich einsetzender wolkenbruchartiger Regen hat sie voll erwischt. Mit gesenktem Kopf schiebt sie ihr Rad in die Garage, rennt blitzschnell zur Haustür, schließt auf, wirft den durchnässten Regenumhang in den Flur und flitzt auf direktem Weg rauf ins Badezimmer. Sie lässt Wasser in die Wanne laufen, spritzt einen Schwall vom blauen Badezusatz hinein und zieht die nassen Klamotten aus. Schon bald hat der kräftige Wasserstrahl einen Schaumberg aufgeschlagen, in den sie ihren durchgefrorenen Körper gleiten lässt. Ihre Mutter spitzt durch die Badtür und stellt ihr eine dampfende Kakaotasse und ein paar Plätzchen auf den Beckenrand.

„Danke, Mami, super Idee von dir!“

Während sie am Kakao nippt, überlegt sie angestrengt, wie sie dem geheimnisvollen Tier vielleicht schon morgen auf die Schliche kommen kann. Erschöpft und müde kuschelt sie sich an diesem Abend in ihr Bett. Teddybär Fritzchen, den sie seit ihrer Geburt hat und der seitdem ihr treuer Bettgefährte ist, steckt sie unter ihren Kopf. Wie fast jeden Abend liest sie vor dem Einschlafen. Obwohl das Buch „Keiner gruselt sich vor Gustav“ spannend ist, kann sie sich heute nicht so richtig konzentrieren. Immer wieder wandern ihre Gedanken in die Kastanienallee. Nach einer Weile legt sie das Buch auf ihren Nachttisch und löscht das Licht.

„Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht“, überlegt Anna-Lena laut, „wenn ich mein bewährtes Wunschritual ausführe, was mir bei der ein oder anderen Mathearbeit schon Glück gebracht hat.“ Sie legt sich flach auf den Rücken, kneift fest die Augen zusammen, kreuzt Zeigeund Mittelfinger beider Hände, zieht die Beine an den Bauch, krallt ihre Zehen zusammen und flüstert:

„Ich glaub daran, fest wünsch ich’s mir, morgen erwisch’ ich das Hundetier.“ Die zweite Zeile hat sie abgewandelt, ansonsten lautet der Vers vor einer Mathearbeit: „Ich glaub daran, fest wünsch ich’s mir, die Mathe schreib ich besser als nur Vier.“