Zorn ärgere dich - Kerstin Kirchhofen - E-Book

Zorn ärgere dich E-Book

Kerstin Kirchhofen

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Beschreibung

Seine Erinnerung ist ihre Rettung. Exklusives Escape Game auf Burg Trips. Mit dieser Marketingkampagne wirbt Vincent Zorn für seinen nächsten Thriller. Der muss ein Erfolg werden, um endlich seine Spielschulden bei dem russischen Paketka Inkasso bezahlen zu können. Vincents Mutter Evelyn kandidiert für das Amt der Bürgermeisterin Geilenkirchens und möchte mit ihrer Teilnahme bei den jungen Wählerinnen und Wählern punkten. Eine Win-win-Situation für beide. Doch Evelyn taucht nie auf Burg Trips auf. Laut einem dubiosen Hinweis wurde sie entführt. Um sie zu befreien, muss Vincent sich auf eine Reise in seine Kindheit begeben. Stück für Stück deckt er dabei ein grausames Familiengeheimnis auf. Henrys Mutter Maren verschwand vor 16 Jahren unter mysteriösen Umständen. Wurde sie entführt? Diese Frage prägt Henrys Kindheit und lässt ihm keine Ruhe. Endlich hat er die Mittel und Möglichkeiten, nach seiner Mutter zu suchen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 275

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Kerstin Kirchhofen, Jahrgang 1990, arbeitet als Beraterin in der Kreditabwicklung. Nach einem erfolgreichen Abschluss ihrer Ausbildung zur Bankkauffrau hat sie über zehn Jahre ihre Kunden rund um Geldanlagen, Kredite und Versicherungen beraten. Seit Ende 2022 hilft sie Kunden, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind. In diesen Fällen muss mit den Kunden eine individuelle Lösung gefunden werden, was jedes Mal eine kreative Herausforderung ist.

Für eine kurze Zeit sattelte Kerstin auf Berufskraftfahrerin um, merkte jedoch schnell, dass die Freiheit auf der Straße nicht den abwechslungsreichen Kundenkontakt ersetzt. Die Zeit auf der Autobahn rüstete sie jedoch mit Ideen für spannende Geschichten aus, die unter anderem in ihrem aktuellen Thriller einfließen.

Sie lebt zusammen mit ihrem Mann und Hund in einem beschaulichen Dorf namens Effeld, nahe der niederländischen Grenze.

Zu ihrem literarischen Vorbild gehört Sebastian Fitzek, dessen Online-Kurs „Meet your Master“ die Leidenschaft zum Schreiben endgültig entfachte. Schon seit Kerstin lesen kann, ist sie von Büchern begeistert und wollte immer eine eigene Geschichte zu Papier bringen. Kerstin nutzt das Schreiben, um ihre Gedanken zu sortieren und über die Welt nachzudenken.

Kerstin Kirchhofen

Zorn ärgere dich

© 2024 Kerstin Kirchhofen

Website: [email protected]

Lektorat von: Ellen Rennen, www.texpertin.de

Coverdesign von: Laura Newman, lauranewman.de

Korrektorat: Sabine Steck, romanufaktur.net

Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: Kerstin Kirchhofen, Dorfstr. 44, 41849 Wassenberg, Germany.

Für meine Eltern Mehr in der Danksagung, aber Achtung Spoiler!

Prolog

10. Oktober 2008

Vincent

Nervös bereitete Vincent sich auf seinen nächsten Zug vor. „Fünf“, betete er.

Wie in Zeitlupe flog der Würfel über den massiven Eichenholztisch. Aus dem Augenwinkel sah Vincent, wie sein Vater die Hand seiner Mutter streichelte.

Voller Vorfreude, gleich als Sieger vom Platz zu gehen, beobachtete er den kleinen Gegenstand, der eine Pirouette vollführte und mit der Zahl Vier zum Liegen kam.

„Mist!“

„Nicht fluchen“, ermahnte ihn sein Vater.

Verärgert verschränkte Vincent seine Arme vor der Brust, zog einen Schmollmund und warf sich gegen die Rückenlehne seines Stuhls. Sein Blick schweifte zum Fenster. Dicke Regentropfen trommelten gegen die Scheibe. Die Tannen, Fichten, Eichen und Buchen wirkten wie halb gare Spaghetti, die jeden Moment den erbitterten Kampf gegen den Wind verlieren würden. Vincent konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann er zuletzt draußen gelesen hatte. Zuerst hatte er es gehasst, die Wochenenden in der Waldhütte zu verbringen. Nun, mit zehn Jahren, gab es für ihn kaum etwas Schöneres, als an einen Baum gelehnt in einer Phantasiewelt zu versinken. Er stellte sich vor selbst der Held zu sein. Wie er als edler Ritter die Burg verteidigte, wilde Drachen zähmte oder als Pirat in See stach. Seine Mutter ließ sich ab und zu dazu hinreißen in einem grell-gelben Kleid die zu rettende Prinzessin zu spielen.

Die Familientradition, Sonntagnachmittage gemeinsam zu verbringen, nervte ihn mittlerweile, doch bei diesem Wetter war es eine willkommene Abwechslung, auch wenn er seinen Vater für einen Schummler hielt und lieber ohne ihn gespielt hätte.

„Seit Ewigkeiten haben wir kein Mensch ärgere dich nicht gespielt“, sagte seine Mutter lachend. Obwohl sie weit hinten lag, schien sie Spaß zu haben. Auch bei ihrem nächsten Wurf hatte sie Pech: nur eine Eins.

Sein Vater war der gefährliche Gegner. Seine letzte Spielfigur war nur wenige Felder von Vincents Männchen entfernt.

Keine Drei. Vincent kreuzte die Finger. Die Sekunden zogen sich wie Kaugummi. Natürlich zeigte der Würfel drei Punkte.

„Tut mir leid“, sagte sein Vater und fegte Vincents Männchen vom Spielfeld. „Ich hole mir ein Glas Wasser. Will noch jemand?“

Sowohl Vincent als auch seine Mutter schüttelten den Kopf. Sein Vater griff nach seinen drei leeren Bierflaschen, die klirrend gegeneinanderschlugen.

„Jim, bringst du mir doch eins mit Sprudel?“, rief seine Mutter.

Vincent würfelte keine Sechs, um seine Figur wieder auf das Spielfeld setzen zu können.

Jim kam mit den Getränken zurück, stellte sich hinter Vincents Mutter und gluckste: „Vielleicht bringe ich dir ja Glück, Evelyn.“

Tatsächlich würfelte sie zwei Sechsen nacheinander. Freudig verkündete sie: „Ich hole euch noch ein.“

„Na klar“, schmunzelte Vincents Vater und streichelte ihr über die Schulter.

Um seinen lodernden Ärger zu verbergen, konzentrierte Vincent sich auf das Knistern der Holzscheite im Kamin. Fehlte nur noch, dass Dampf aus seinen Ohren pfiff.

Vincent fühlte eine Schramme auf dem Tisch, die noch nicht dem Instandsetzungswahn seines Vaters zum Opfer gefallen war. Stundenlang brachte er mit einem Walnusskern und Walnussöl das Familienerbstück wieder auf Vordermann. Die komplette Hütte bestand hauptsächlich aus antiken Möbeln.

Bevor Jim Platz nahm, dimmte er die Leuchte auf der frisch restaurierten Kommode. „Ist gemütlicher, oder?“

Niemand antwortete. Klackernd warf er den Würfel über das Spielfeld und zog triumphierend seine letzte Figur ins Ziel.

„Herzlichen Glückwunsch!“ Evelyn gab Jim einen Kuss auf die Wange.

In diesem Moment geschah es. Als hätte Magma tausende Jahre Kraft gesammelt, um mit einem ohrenbetäubenden Knall auszubrechen. Vincents Ärger war grenzenlos.

Er pfefferte das Spielbrett vom Tisch. Die Figuren flogen in alle Himmelsrichtungen. Erst als sein Stuhl dumpf auf dem Teppich aufschlug, bemerkte er, wie heftig er aufgesprungen war. Immer noch wütend nahm er schwungvoll das Glas seiner Mutter. Wasser schwappte über seine Hand. Mit Wucht warf er es neben dem Teppich zu Boden. Gefährlich glitzernde Scherben verteilten sich überall.

Das tut gut.

Hastig griff er nach seiner Tasse, aus der er noch vor wenigen Minuten warmen Kakao getrunken hatte. Doch bevor er auch sie zu Bruch werfen konnte, rann warmes, dickflüssiges Blut über seine Lippen. Vincent schmeckte Eisen. Ihm wurde schlecht.

Entsetzt betrachtete er seinen Vater, dessen erhobene Hand zitterte.

Seine Mutter hatte Tränen in den Augen. Ohne ein weiteres Wort stellte Vincent die Tasse ab und stampfte in sein Zimmer.

Weinend rollte er sich auf dem Bett, das die Form eines Rennautos hatte, zusammen. Dass er sein Kopfkissen vollblutete, war ihm egal.

Zaghaft wurde die Tür geöffnet. Durch seine Tränen sah er die verschwommenen Umrisse seiner Mutter. Ihr vertrauter Rosenduft beruhigte ihn.

„Komm, setz dich auf.“

Mit einem nassen Waschlappen entfernte sie die Blutspuren. Als sie fertig war, umarmte sie ihn und flüsterte: „Du weißt, dass es wieder ein Versehen war. Dein Vater liebt dich.“ Eindringlich sah sie Vincent in die Augen.

Seine Tränen waren versiegt und er antwortete brav: „Natürlich, Mama.“

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Anmerkungen

Zorn ärgere dich

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Prolog

Kapitel 51

Zorn ärgere dich

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Kapitel 1

Fast 16 Jahre später

In seiner mittelgroßen Heimatstadt Geilenkirchen konnte Vincent trotz Berühmtheit seine Ruhe genießen. Die Bürger und Bürgerinnen waren mittlerweile an den Krimiautor gewöhnt. Nur selten fragte jemand nach einem Autogramm. Sprach jemand ihn dennoch an, blieb er stets freundlich und erfüllte auch den Wunsch nach einem Selfie.

Den Namen verdankte Geilenkirchen angeblich einer Holzkirche, die ein Franke namens Gelo errichtet haben sollte, im Sinne von „Geilos Kirche“. Doch Vincent behauptete immer, es liege an der geilen Stadt. Die Tatsache, dass sich selten ein Tourist hierhin verirrte, belehrte ihn natürlich eines Besseren. Wer den beliebten Radweg entlang des Flusses Wurm, der auch mitten durch Geilenkirchen floss, nutzte, kam meistens nicht von weither. Doch Vincent war hier aufgewachsen und fühlte sich dem Ort verbunden.

Zufrieden nahm Vincent einen großen Schluck und stellte die Bierflasche vor sich hin. Das vertraute schmatzende Geräusch erklang, als er nach wenigen Sekunden die Flasche erneut von dem klebrigen Tresen befreite. Harrys Kneipe war wie immer spärlich besucht. Es gab nur vier weitere Gäste. Nickend grüßte Vincent seinen Nachbarn Louis, als ihre Blicke sich trafen. Ein Ehepaar unterhielt sich angeregt an einem kleinen Tisch. Der ungepflegte Mann in der hintersten Ecke genoss sein Bier ebenfalls.

Wie kommt Harry über die Runden?

Die Holzverkleidung an der Decke war in den Achtzigerjahren modern gewesen, die Tapete löste sich stellenweise und bei jeder Bewegung wackelte der Holzhocker gefährlich unter einem.

Zum rauschenden Countrysong wippte Vincent mit seinem Fuß. Er liebte das urige Flair, wie vermutlich die anderen Stammkunden auch.

Zehn Stunden lang hatte er Anmerkungen vom Korrektorat durchgesehen und seiner Geschichte den letzten Schliff verpasst. Die Handlung zu seinem neuen Buch war schon vor langer Zeit geboren, doch er hatte sie nie zu Ende geschrieben, da er mit den Tantiemen seines Erstlingswerkes „Der Marionettenmord“ in Saus und Braus leben konnte. Doch diese finanzielle Freiheit hatte er vor ein paar Wochen innerhalb von Sekunden wortwörtlich aufs Spiel gesetzt, sodass die Ideen zwangsweise aus seinen Fingern in den Laptop heraussprudeln mussten. Dem Himmel sei Dank warteten seine Fans auch nach vier Jahren auf eine Fortsetzung. In nur einer Stunde wurde sein kurzer Post mit der Ankündigung über zehntausendmal gelikt. Minütlich kamen mehr hinzu.

Harry stellte ihm ungefragt ein neues kühles Blondes hin.

„Ich muss wohl anschreiben. Du weißt ja, hab selten Bargeld dabei.“

„Kein Ding, weißte doch“, brummte Harry und warf das Spülhandtuch über seine Schulter, um einen neuen Kunden zu bedienen, der in Springerstiefeln zur Theke stapfte.

„Ich nehme auch so eins“, forderte der Fremde mit tiefer Stimme, zeigte auf Vincents Bier und setzte sich zwei Plätze weiter. Ein süffisantes Grinsen umspielte sein Gesicht, das sich fast vollständig unter der Baseballkappe versteckte. Zu einer Jeans trug er ein schwarzes Achselshirt. Seinen linken Oberarm zierte ein tätowierter Totenkopfschädel.

Vincent wurde mulmig zumute. Solche Kerle zettelten schnell eine Messerstecherei oder Schießerei an.

Du hast eindeutig zu viel Fantasie. Doch der Gedanke half nicht, denn der Griff des Bulligen in seine Gesäßtasche sorgte kurz für Schnappatmung. Zum Vorschein kam: ein Smartphone.

Keine Pistole! Hör auf mit deinen Hirngespinsten!

Vincent hatte das Gefühl, der Fremde beobachtete ihn. Wenn er angeblich etwas auf seinem Smartphone las, müssten sich doch seine Augen von links nach rechts bewegen? Über den Spiegel hinter der Bar sah Vincent, dass diese aber hypnotisch auf den kleinen Bildschirm blickten.

Plötzlich legte der Fremde seinen Kopf in den Nacken und lachte dreckig.

Puh, er guckt wohl ein Video. Erleichtert fielen Vincent die Ear Pods auf.

„Noch eins?“ Harry hatte schon den Öffner an die Krone gesetzt.

„Nein danke.“ Als Vincent sich erhob, ächzte der Schemel genau wie die Dielenbretter bei jedem seiner Schritte.

Es war mittlerweile 23:53 Uhr.

„Bis morgen“, sagte Harry und widmete sich dem Spülbecken.

Es knarzte hinter Vincent. Wollte der Fremde ihm etwa folgen? Hatte ihn sein Gefühl doch nicht getäuscht? Mit dem war irgendetwas nicht in Ordnung. Solch ein Typ hatte ihn schon zu Schulzeiten tyrannisiert. Als Vincent berühmt wurde, hatte Dino sich mehrere Male entschuldigt, doch auf solche Leute konnte er gut verzichten. Dino war mittlerweile Alkoholiker und lebte von Gelegenheitsjobs. Vincent würde einen Teufel tun und ihn an seinem Ruhm teilhaben lassen.

Ein Blick über die Schulter verriet ihm, dass der Bullige in sein Video vertieft war. Womöglich hatte er nur die Sitzposition verändert.

Vincent musste dringend ins Bett und gähnte herzhaft. Draußen schlug ihm die schwüle Juli-Hitze entgegen.

Kapitel 2

12. Dezember 2008

Henry

Hell. Alles blass.

Die Wände weiß.

Wie auch die Bettdecke.

Das Jesuskreuz über der Tür braun.

Vorsichtig schaute Henry sich um. Sterne tanzten vor seinen Augen. Benommen fasste er sich an den Kopf. Ein Verband.

„Mama“, wimmerte er.

Niemals würde sie ihn allein lassen. Besonders nicht mit einer Verletzung.

„MAAAMAAA!“, brüllte er.

Die Tür ging auf.

„Alles wird gut.“

Ein Engel in Weiß, hätte seine Mutter gesagt.

„Wo ist meine Mama?“

Tränen kullerten seine Wangen hinunter. Verschwommen sah er einen zugezogenen Vorhang, hinter dem ein Patient schnarchte. In der linken Ecke befand sich eine kleine Sitzgruppe und neben dem Fenster stand ein hölzerner Kleiderschrank.

Dicke Schneeflocken erinnerten ihn an die letzte Schneeballschlacht mit seiner Mutter. Erst lächelte er, doch dass sie nicht hier war, machte ihn traurig. Henry zog die Nase hoch. Ein stechender Geruch von Desinfektionsmittel strömte herein.

„Tut dir etwas weh?“, wich die Krankenschwester seiner Frage aus und gab ihm ein Taschentuch. Auf ihrem Namensschild stand Susanne.

Henry hatte Angst.

„Wie heißt du?“, fragte Susanne.

„Henry.“ Seine Stimme zitterte.

„Und tut dir etwas weh, Henry?“

Er schüttelte den Kopf und ein pochender Schmerz durchzuckte seinen Schädel. Gelogen hatte er, um so schnell wie möglich seine Mutter zu sehen. Sie musste irgendwo im Krankenhaus sein, oder? Durfte sie nicht zu ihm? Oder war sie zu Hause?

Als sein Opa krank gewesen war, hatte Henry ihn auch nicht besuchen können.

Dein Opa braucht Ruhe, hatte ihm die Krankenschwester gesagt. Wenige Tage später war er in den Himmel gegangen.

Das geschieht, wenn man alt ist. Unter Tränen hatte seine Mutter ihm die Nachricht mitgeteilt.

„Gehe ich zu Opa?“, wollte Henry wissen.

„Wo ist er?“ Susanne runzelte die Stirn.

Schniefend setzte er sich auf. „Im Himmel.“

„Nein“, sagte Susanne ruhig und nahm neben ihm Platz. „Du wirst wieder gesund.“

Ihre warme Hand wischte seine Tränen weg. Henry mochte sie. Trotzdem wünschte er, seine Mutter wäre hier.

„Ich weiß, dass dein Kopf wehtut.“

Henry war ein lausiger Lügner. Genau wie seiner Mutter konnte er auch der Schwester nichts vormachen.

„Du ruhst dich jetzt noch etwas aus. Und wenn es dir besser geht, bringe ich dir einen Pudding.“

Die Aussicht war verführerisch, aber die Sehnsucht nach seiner Mutter war größer. Er musste sie suchen und schlug die Decke zur Seite. Sanft drückte Susanne ihn auf das Kissen zurück.

„Keine Widerrede.“

„Ich will zu meiner Mama.“

Panik stieg in ihm auf. Wieso musste er hier ganz allein liegen? Er brauchte eine Erklärung. Jetzt.

Henry wehrte sich mit Händen und Füßen. Ihm wurde schwindelig, er erbrach sich.

„Siehst du, du brauchst Schlaf.“ Susanne streichelte über seinen Kopf. „Ich hole frische Bettwäsche. Bitte versprich mir, dass du liegen bleibst.“ Ein Nicken. Trotz seiner sechs Jahre hatte er in Windeseile einen Plan gefasst. Kaum hatte sich die Tür hinter Susanne geschlossen, versteckte er sich im leeren Schrank. Nicht mal Klamotten hatte seine Mutter ihm gebracht. Hier stimmte etwas nicht.

Nur wenige Minuten später beobachtete er durch einen schmalen Türspalt, wie Susanne die neue Decke aufs Bett warf und seinen Namen rufend wieder hinauslief.

Trotz wackliger Beine schaffte es Henry, den schmalen langen Flur hinunter bis zu den Aufzügen. Die anderen Patienten scherten sich nicht um ihn. Wie er den Krankenhausgeruch hasste. Alt und krank.

Bing. Ratternd öffnete sich die Tür. Eine bekannte Stimme ließ ihn innehalten. Henry lugte um die Ecke. In der Mitte des Flurs neben dem Kaffeeautomaten, saß seine Nachbarin Yvonne.

„Genau, ich sollte auf ihn aufpassen. Maren meinte, es würde nicht lange dauern. Und dann hat Mario geklingelt. Wissen Sie, mein Date. Na ja. Und ich dachte …“, sprudelte es aus ihr heraus.

„Und Sie dachten, Henrys Mutter kommt jeden Moment nach Hause“, ergänzte der Polizist.

„Es war schon halb elf. Länger als 23 Uhr bleibt sie nie weg.“ Yvonnes Stimme klang piepsig, obwohl sie vor Kurzem schon achtzehn Jahre alt geworden war. „Henry hat geschlafen. Ich dachte, er würde nicht mitbekommen, dass er allein ist.“

Der Beamte reichte ihr ein Taschentuch, mit dem sie sich die Tränen wegwischte.

„Und warum sind Sie am nächsten Morgen in die Wohnung zurückgekehrt?“

„Ich wollte mich für mein früheres Weggehen entschuldigen.“ Sie schnäuzte sich. „Ich wunderte mich, dass niemand öffnete, und bin rein und … und dann lag er da. Überall Blut. Oh Gott, ich …“

Der Polizist tätschelte ihre Schulter.

Ich wollte ein Glas aus der Vitrine nehmen und bin gestürzt. Autsch. Gedankenverloren fasste Henry sich an den Hinterkopf. Doch nicht sein Schädel brummte, sondern seine linke Hand schmerzte. Ebenfalls ein Verband.

Nachdem sich Yvonnes Heulkrampf gelegt hatte, fragte der Polizist: „Wo Henrys Mutter hinwollte, wissen Sie nicht?“

„Sie hat nur was von Geilenkirchen gesagt. Sie müsse dorthin.“

„Mehr nicht?“ Der Polizist schaute Yvonne eindringlich an. „Jedes Detail könnte wichtig sein.“

Yvonne nahm sich zum Nachdenken etwas Zeit. Nur das Summen der Deckenlampe war zu hören.

„Als Maren die Tür raus ist, hat sie etwas gemurmelt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es richtig verstanden habe.“

Atemlos spitzte Henry die Ohren.

„Es könnte uns helfen“, ermunterte der Polizist Yvonne.

„Na ja, ein bisschen habe ich mir zusammengereimt.“ Nervös blickte sie sich um. Erst fürchtete Henry, sie hätte ihn entdeckt, doch er hatte Glück.

Geduldig wartete der Polizist, Henrys Herz hingegen pochte wild.

„Sie wolle sich holen, was ihr zusteht. Seit zwei Monaten hätte er nicht mehr bezahlt.“

„Wer?“

„Keine Ahnung.“ Yvonne stand auf. „Vielleicht Henrys Vater?“, sagte sie, während sie die Arme verschränkte.

„Kennen Sie ihn?“

Nun schien Henrys Herz vor Aufregung herauszuspringen. Sein Vater war schon vor seiner Geburt abgehauen. Wenn Henry etwas über ihn wissen wollte, wich seine Mutter immer aus. Umso enttäuschter war er von Yvonnes Antwort. „Nein. Maren spricht nicht gern über ihn. Ich weiß nicht mal seinen Namen.“

„Henry!“ Susannes wütende Stimme hallte über den Flur. Energisch kam sie näher. „Ich habe doch gesagt, du brauchst Ruhe.“

Nun hatte Yvonne ihn auch entdeckt. „Oh Gott, Henry. Es tut mir so leid.“ Schluchzend rannte sie zu ihm und umarmte ihn.

„Ich will zu Mama.“

Yvonne kniete sich vor ihn. „Das … das geht leider nicht.“ Hektisch blickte sie zu Susanne, zum Polizisten und wieder zurück zur Krankenschwester. „Hat es dir keiner gesagt?“

„Was?“

Sanft zog Susanne an Henrys Ärmel. „Nicht jetzt. Er muss sich erholen.“

„WAS?“ Er brüllte und befreite sich mit einem Ruck aus dem Griff.

Er wusste es. Wusste, was kam. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten. Manchmal hasste er es, schlau zu sein.

„Deine Mama … sie ist letzte Nacht nicht nach Hause gekommen.“

Da war sie, die Gewissheit. Jetzt konnte er sie nicht mehr verdrängen.

Mama hat mich nie verletzt allein gelassen.

Nun war es laut ausgesprochen. Oder war sie sogar tot? Wie Opa.

Versteinert blieb er stehen.

„Henry?“, fragten Yvonne und Susanne gleichzeitig besorgt.

„Wir werden deine Mama finden“, versprach der Polizist.

Tot war sie also nicht.

Es gab Hoffnung.

Oder? Bitte!

Kapitel 3

Vincent

Trotz der späten Stunde war es immer noch heiß. Die Straßen menschenleer und jede zweite Laterne ausgeschaltet. Nach wenigen Minuten klebte sein T-Shirt am Rücken. Als er sich den Schweiß von der Stirn wischte, nahm er schwere Schritte wahr. Sein Herz raste. Vincent eilte weiter, hektisch warf er einen Blick nach hinten und blieb verdutzt stehen.

Da war niemand. Er lachte peinlich berührt.

Seine Spezialität: sich selbst Angst machen.

Zügig schlug Vincent wieder den Heimweg ein.

Eine kalte Dusche und dann ab ins Bett.

Eine Elster flog aus einer alten Eiche. Erschrocken fuhr Vincent zusammen und stolperte über eine Wurzel, sodass er sein Tempo wieder drosselte. Die Straßenlaterne über ihm erstarb mit einem letzten Flackern.

Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er seine Umgebung wiedererkennen. Eine Baseballkappe lugte um eine Hausecke. Also doch.

Ruhig bleiben! Soll ich besser die Abkürzung durch den Park nehmen? Langsam ging Vincent weiter. Sein Verfolger sollte keinen Verdacht schöpfen.

Im Stadtpark ist es viel zu einsam.

Andererseits war er bisher selbst auf der Straße keiner Menschenseele begegnet. Nicht mal ein Auto war vorbeigefahren, sodass es hier auch nicht sicherer war. Außerdem kannte Vincent im Park jeden Grashalm.

Am Parkplatz vor dem Eingang zum Park heulte plötzlich einige Meter entfernt ein Motor auf und Scheinwerfer blendeten ihn. Er war also doch nicht allein. Das war seine Chance. Er spurtete zum Auto. Dank der Innenbeleuchtung erkannte Vincent, dass die Fahrerin Lippenstift auflegte.

Am Wagen angekommen, verplemperte er keine Zeit und klopfte direkt an das Fenster der Fahrerseite.

„Ich werde verfolgt! Bitte, Sie müssen mich mitnehmen“, rief Vincent und verfehlte den Griff der hinteren Tür. Als er ihn endlich zu fassen bekam, zog er kräftig daran. Nichts geschah.

Türverriegelung!

Die Frau riss die Augen auf. Ein gedämpfter greller Schrei folgte. Mit quietschenden Reifen fuhr sie davon.

Verflucht!

Warum hatte er nicht nachgedacht?! Sie hielt ihn bestimmt für einen Dieb, Vergewaltiger oder sonst jemanden. Doch Vincent blieb keine Zeit, um über seine Dummheit zu schimpfen. Schwere Springerstiefel knirschten über Glasscherben. Vincent hielt an seinem Plan fest und erreichte den Wurmauenpark, der nur spärlich beleuchtet war. Das war sein Vorteil.

Eine Entenmutter quakte. Nun wurden auch die Küken wach, die in das Konzert mit einstimmten.

Denk nach!

Der Mond spiegelte sich im See und der Winde rauschte sanft durch die Baumkronen. Ein idyllischer Ort, sofern man keinen bulligen Schlägertypen hinter sich hatte und das mitten in der Nacht. Jetzt wirkten die Baumschatten wie Arme, die nach ihm schnappten und das Rufen des Uhus klang wie eine Warnung. Mittlerweile hatte Vincent eine Ahnung, wieso der Typ ihn verfolgte. Er musste den Kerl loswerden. Gut, dass es heute Abend nur zwei Bier gewesen waren.

Das Wasser!

Etwas riskant, aber eine günstige Gelegenheit.

Früher hatte Vincent oft dort gespielt, sodass er den Weg vielleicht noch blind finden würde.

Ihre Mutprobe nach Schulschluss lautete häufig: Mit verbundenen Augen über die Betonsteine im See laufen. Das eine oder andere Kind war dabei gestürzt und hatte sich Schienbein, Stirn oder Arm aufgeschürft. Auch Vincent war einige Male im Wasser gelandet, bis er wusste, wie groß seine Schritte sein mussten. Er hoffte, dass er die Schrittlänge nach all den Jahren noch verinnerlicht hatte.

Die Platten waren kaum zu erkennen. Für seinen Verfolger musste es wie ein Wunder aussehen, als Vincent quasi über den See lief.

Seine Idee funktionierte. Der Verfolger blieb stehen, kramte sein Smartphone heraus und leuchtete das Ufer aus. Nun musste er erkannt haben, dass Vincent anscheinend doch nicht der zweite Jesus war.

Es klappt! Doch Vincents Triumph dauerte nur kurz. Er musste sich schleunigst aus dem Staub machen. Der Fremde würde mithilfe des Lichts schnell aufholen.

Die Unterführung am Ende des Parks brachte Vincent wieder auf eine Straße. Das Echo seines schnellen Atems hallte laut im Tunnel, an dessen Ende er plötzlich geblendet wurde.

Ein Wagen raste auf ihn zu. Wie versteinert blieb Vincent stehen und hob seine Arme, als würden sie den Aufprall verhindern können. Reifen quietschten. Wenige Millimeter vor seinen Knien kam das Auto zum Stehen.

Fluchtinstinkt packte Vincent. Aber hinter ihm versperrte der Bullige den Weg.

Eine Tür wurde geöffnet. Der Mann war um einiges kleiner als Vincent und längst nicht so muskulös wie sein Verfolger, doch deutlich furchteinflößender.

Mit russischem Akzent sagte er: „Komm, Vincent. Steig schon ein!“

Sein Name war Danilo.

Ausgerechnet der Anführer des Paketka Inkassos.

Kapitel 4

Gehorsam schritt Vincent zum Wagen. Gegen den Muskelprotz hatte er keine Chance und an dem Auto kam er sowieso nicht vorbei. Erstaunt stellte er fest, dass es eine Limousine war.

„Brav, Junge!“

Auf Kommando öffnete der Fahrer Vincent die hintere Tür. Sein Magen rebellierte und er ließ sich auf den Sitz plumpsen. Angstschweiß überzog Stirn und Hände. Kaum hatte er den zweiten Fuß ins Innere gehoben, nahm Danilo auf der anderen Seite Platz. Auch der Fahrer stieg ein. Bei jedem Türschlag zuckte Vincent zusammen.

„Warum läufst du vor meine Männer weg?!“

Meinen Männern, korrigierte Vincent in Gedanken.

Sein Verfolger überwachte draußen, den Rücken an die Scheibe gelehnt, die Umgebung.

„Jetzt wir könne ungestört rede.“

Fast entfuhr Vincent ein Lachen. Doch das würde Danilos Laune nur noch schlimmer machen.

Reden. Ja, klar. Und ich bin Jesus, der übers Wasser laufen kann.

„Wo bleibt die Geld?“

Um Zeit zu gewinnen, stotterte er: „Ich … ich zahl alles … wirklich alles zurück.“

„Aber wann?“, fragte Danilo.

Vincent sah sich in der Limousine um. Die Armaturen und Griffe waren aus hochwertigem Carbon. Die roten Polstersitze schimmerten, als wären sie vor Kurzem aufwändig gereinigt worden. Roch es etwa nach Bergfrische?

„Ich … ich …“

„Komm, spuck’s schon aus. Du brauchst keine Angst vor mir zu habe.“

„Bald werde ich genug Geld haben. In wenigen Wochen erscheint mein neuer Thriller.“ Vincent gestikulierte wild, um seine Unsicherheit zu verbergen. „In drei Monaten bekommst du die Kohle. Ich schwöre.“ Seine Lippen bebten.

„Vincent, mein Freund. Drei Monat.“ Danilo lehnte sich zurück. Er tat, als verhandelten sie über einen normalen Geschäftsdeal. „Das ist zu lang.“

Er öffnete ein Fach in der Mittelkonsole. Vincent kniff die Augen zusammen. In wenigen Sekunden würde er in den Lauf einer Waffe sehen müssen. Ganz bestimmt.

Klick.

Oh Gott, er hat die Waffe entsichert.

Ein beißender Geruch breitete sich im Wagen aus. Vincent öffnete vorsichtig die Augen. Genüsslich zog Danilo an einer Zigarre und blies ihm den Rauch ins Gesicht.

„Also, mach mir faires Angebot.“

Fair. Was ist schon fair? Die 20.000 € sind nur zusammengekommen, weil ihr 10 Prozent Zinsen verlangt und das auch noch pro Monat. Unmöglich konnte Vincent ihm das vorwerfen. Genauso gut hätte er sein eigenes Grab schaufeln können.

„Okay, okay. Dann eben zwei Monate.“

Sekunden vergingen. Sein Herz schlug so heftig, dass ihm das Atmen schwerfiel. Wenn Danilo nicht mit sich verhandeln ließ, war Vincent geliefert. Niemand kaufte ein Buch von einem spielsüchtigen Autor.

Plötzlich schnellte Danilo nach vorne, packte Vincent im Nacken und hielt ihm die Zigarre dicht an die Wange. Die Hitze war unerträglich.

„Willst du mich verarsche!“

Danilos Hand zitterte. Die Glut kam jetzt Vincents Auge bedrohlich nahe. Was sollte aus ihm werden, wenn er nicht mehr richtig sehen könnte?

„Gib mir sechs Wochen“, flehte er. „Bitte!“

Schnaubend ließ Danilo ihn los.

„Klingt schon besser.“ Die Betonung verhieß Schlimmes. Vincents Verdacht bestätigte sich.

„Ich geb dir fünf Wochen, weil du es bist.“

Danilo entblößte lächelnd einen goldenen Eckzahn.

Obwohl Vincent keinen Plan hatte, wie er die Frist einhalten und einen so hohen Vorschuss bekommen sollte, stimmte er zu.

„Kann ich … kann ich … jetzt gehen?“

Die Luft war stickig. Ihm wurde schummrig.

„Nicht so schnell“, antwortete Danilo, fuhr sein Fenster herunter und gab dem Bulligen zu verstehen, er solle einsteigen. Zwischen den beiden eingequetscht, stockte Vincent der Atem. Erst recht, als Danilo den Typen aufforderte: „Gib ihm Vorgeschmack auf das, was ihm blüht, wenn er in fünf Woche nicht zahlt, Sascha.“

„Aber ich …“

Sascha stopfte Vincent ein Tuch in den Mund und legte seine Hand auf die Mittelkonsole. Wimmernd versuchte Vincent, sie wegzuziehen.

Vergeblich.

Trotz der schwachen Beleuchtung sah er den faustgroßen runden Stein. Wenn der auf Knochen träfe …

„Nicht doch, Sascha.“

Erleichtert holte Vincent Luft, wodurch Stofffasern in seinen Hals gelangten. Er hustete und Tränen ließen seine Sicht verschwimmen.

„Freu dich nicht zu früh“, sagte Danilo gehässig. „Seine Finger braucht unser Vincent zum Schreibe. Schließlich muss er mein Geld verdiene.“

Vincent hatte keine Zeit, um zu registrieren, was Danilo meinte.

In Windeseile zog Sascha ihm den rechten Schuh aus und zermalmte seinen großen Zeh.

Kapitel 5

Die Hitze war schon in den frühen Morgenstunden unerträglich. Der Asphalt flimmerte, die Grünflächen glichen einer Heulandschaft und die Blumen ließen die Köpfe hängen. Durch ein geöffnetes Fenster drang eine Radiostimme.

„Guten Morgen, liebe Leute. Es ist erst sechs Uhr und die Thermostate haben schon über 25 Grad auf der Anzeige. Die Meteorologen erwarten heute den heißesten Tag der Woche. Baut also eure Planschbecken auf, ihr werdet jede Abkühlung brauchen. Und an alle Hundebesitzer da draußen: Seid so gut und zieht eurem besten Freund Schuhe über. Die Straßen glühen. Und passend zum Wetter geht es weiter mit dem Sommerhit ,36 Grad‘.“

36 Grad, und es wird noch heißer

Mach den Beat nie wieder leiser …

Die Musik drang aus einem riesigen Haus, dessen Säulen allein im Eingangsbereich, so viel wert waren wie ein Kleinwagen. In der ganzen Straße reihte sich ein Luxushaus ans andere. Scheinbar wetteiferten die Eigentümer um das schönste Anwesen. Die Klinker oder der Putz glänzten wie neu. Die Glasscheiben waren aufgrund der peniblen Sauberkeit unsichtbar. Kostspielige Gardinen hingen vor den Fenstern.

Möglicherweise gab es sogar einen Wettbewerb für den schönsten Garten. Die Buchsbäume waren aufwändig geschnitten, die Hecken schienen mit der Wasserwaage gestutzt zu sein und in den Teichen schwammen Koi-Karpfen. In den Einfahrten parkten Lamborghinis, Ferraris oder Porsches.

Neben dem Haus, aus dem die Musik drang, rekelte sich Vincent. Bei jeder Bewegung knackten seine Gelenke. Sitzend war er auf der Bank eingeschlafen. Das Kribbeln seiner Hände ließ langsam nach. Vorsichtig stand er auf und belastete seinen rechten Fuß. Ein greller Schrei entfuhr ihm.

„Alles in Ordnung?“, fragte Louis, der zuvor die Musik leiser gedreht hatte.

„Hab mir nur den Zeh gestoßen“, presste Vincent hervor. „Geht schon wieder.“

„Autsch.“ Ohne einen weiteren Kommentar verschwand Louis im Inneren und schloss das Fenster.

Plötzlich fröstelte Vincent.

Es war kein böser Albtraum.

Mit einem Schlag waren die Bilder wieder da. Nachdem Sascha seinen Zeh zertrümmert hatte, zeigte Danilo sich von seiner freundlichen Seite.

Bringen wir unsere Freund nach Hause.

Eine Machtdemonstration.

Sie wussten, wo er wohnte.

Zu Hause angekommen hatte er sich bis zur Eingangstür geschleppt und war erschöpft auf der Bank zusammengesackt. Eigentlich diente diese rein dekorativen Zwecken, doch für die letzte Nacht war sie Vincents Schlafplatz gewesen.