Zucht und Haltung - Aron B. Wake - E-Book

Zucht und Haltung E-Book

Aron B. Wake

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Beschreibung

Die Welt steht laut einem mysteriösen Whistleblower, der sich als Mitglied der «Planetarischen Allianz» ausgibt, vor einem Unglück ungeahnten Ausmasses. Er offenbart den Menschen, dass sie nicht Ureinwohner der Erde seien, sondern vor Tausenden von Jahren von ausserirdischen Wissenschaftlern mittels genetischer Versuche erschaffen wurden. Heute werde dieses Experiment als Fehlschlag eingestuft, da sich die Menschheit im Laufe ihrer Evolution als zu selbstzerstörerisch, gewalttätig und unreflektiert entpuppt habe. Diese Einschätzung der Verantwortlichen der geheimnisvollen Organisation hat fatale Konsequenzen für die Erde und ihre Bewohner: Es droht nichts Geringeres als die Apokalypse. Der Whistleblower präsentiert der Menschheit einen möglichen Ausweg. Allerdings ist der Preis dafür ungemein hoch...

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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ARON B. WAKE

 

 

 

 

 

Zucht

und

Haltung

 

 

 

 

Endzeit-Thriller

 

 

 

Cover: Lars Buchschacher

 

Impressum:

 

Aron B. Wake c/o Christophe Terraz Ghangetrietstrasse 7 CH – 8335 Hittnau

 

 

Titelbild: Lars Buchschacher

 

 

Alle Rechte vorbehalten.

Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung, können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden. © 2023

Woher kommen wir?

Ein Rätsel, ungelöst.

Die Ursprünge verborgen,

Im Nebel der Zeit verhüllt.

 

Ein Funken des Lebens,

Ein göttlicher Hauch.

Doch das Geheimnis bleibt,

Ein ewiger Fluch.

 

(Johann Wolfgang von Goethe)

In den Wäldern von Packwood

 

Mik Riley schloss die Augen und atmete die kühle Nachtluft ein, die so vertraut nach nassem Unterholz roch. Unbekümmert drückte er seinen Rücken gegen die hölzerne, schweren Lehne des Schaukelstuhls. Jedoch bewegte sich die Konstruktion ächzend und knarrend nur um wenige Zentimeter nach hinten.

Riley lächelte. Er war nach all den vielen Jahren tatsächlich wieder da, sass auf der Veranda eines gemieteten Blockhauses inmitten des gewaltigen Waldes bei Packwood. Die flackernde Kerze auf dem sperrigen Tisch aus Ahornholz tauchte die Szenerie in schattenhafte Umrisse. Er vermochte die Umgebung nur wenige Meter weit zu überblicken.

 

Fast hatte der Stadtmensch in all den Jahren den geliebten Duft nach Harz, modrigem Holz und frischem Moos vergessen.

Er erinnerte sich daran, wie er diese Geruchsmischung als Kind geliebt hatte. Wie oft war er als Kind und Jugendlicher mit seinem Vater und der Schwester in den Wäldern des Mount-Rainier-Nationalparks unterwegs gewesen und was hatten sie auf ihren Abenteuerreisen in den tiefen Wäldern nicht alles zusammen erlebt?

Ein seliges Lächeln sank in Rileys Gesicht, während der schon überraschend kühle Herbstwind die riesigen Baumkronen hin und her bewegte und dabei dieses ebenfalls bestens vertraute Geräusch nach raschelnden Blättern erzeugte.

 

Wieder hier zu sein, erfüllte Riley gleichzeitig mit stechender Wehmut und hochfliegenden Glücksgefühlen. Die widersprüchlichen Empfindungen kämpften um die Oberhand, während er an seinem Whisky nippte, der nach rauchigen Holzfässern roch.

War es denn tatsächlich nötig gewesen, dass er den Job verlor, um endlich hierhin zurückzukehren und sich an die schönste Zeit seines Lebens zu erinnern?

 

Das halbvolle Glas leerte er in einem langen Schluck und griff nach der Flasche, um nachzufüllen.

„Heute ist das egal“, dachte er sich. Er brauchte auf niemanden Rücksicht zu nehmen und zuallerletzt auf sich. Das hatte er sich verdient nach all dem Ärger der vergangenen Wochen und Monate. Ein einsames Besäufnis an der Stätte verblühter Glückseligkeit; das kam ihm jetzt gerade recht.

 

Und da waren sie auch schon wieder, kaum hatte er seine Aufmerksamkeit einen kurzen Moment auf die jüngste Vergangenheit gelenkt: Schwere Gedanken und schmerzvolle Erinnerungen an die verlorene Arbeit, an die viel kritisierten Artikel, die er geschrieben hatte, die Gespräche beim Chef, die überraschende Kündigung und an den tiefen Fall ins Bodenlose.

Sofort lenkte er seine Aufmerksamkeit wieder zurück ins Hier und Jetzt.

„Langsam und tief atmen“, dachte Riley und schickte einen dankbaren Gedanken an Madison Palmer, seine Psychologin.

Sie hatte ihn aus dem tiefen Loch geholt, in das er sich zurückgezogen hatte, nachdem ihm der Boden unter den Füssen weggezogen worden war. Die erlernte Atemtechnik war eines der Hilfsmittel, das sich als besonders wirksam herausgestellt hatte, wenn ihn die zähe Masse schwerer Gefühlsempfindungen zu umschliessen drohte.

Spätestens seit dem Suizid seines Vaters vor 15 Jahren war ihm klar geworden, dass er die Anfälligkeit für Schwermütigkeiten von ihm geerbt haben dürfte, Stichwort genetische Veranlagung. Depressionen, erklärte auch Madison Palmer, traten familiär gehäuft auf. Zum Glück führte Mik Riley bis vor kurzem ein meist recht erfülltes Leben. So gab er der möglichen psychischen Störung erst gar keinen Raum, um auf fruchtbaren Boden zu fallen.

Gut möglich, dass er auch deshalb ein so fähiger und beachteter Investigativjournalist geworden war – er steckte so viel Zeit und Herzblut in seinen Job, dass es eher erstaunlich gewesen wäre, hätte er es nicht zur Meisterschaft gebracht.

 

Riley überlegte gerade daran herum, ob er sich eine Jacke holen sollte. Die Kälte kroch ihm inzwischen unter die Kleidung und gar schon in die Haut.

Gerade wollte er aufstehen, als plötzlich wie aus dem Nichts ein greller Blitz die Nacht erhellte und die nähere Umgebung für einen kurzen Augenblick in eine unwirkliche Atmosphäre aus gleissendem Licht und schwarzen Schatten verwandelte.

Riley erwartete mit zusammengekniffenen Augen und unwillkürlich leicht geduckt das folgende Donnergrollen und staunte darüber, wie schnell und unerwartet ein Gewitter aufgezogen war.

Eigentlich war er mit den Wetterkapriolen hier bestens vertraut und froh darüber, dass er in einem fest verankerten Haus nächtigen würde und nicht in einem Stoffzelt, wie so oft als Kind. Er erinnerte sich schaudernd an die nasskalten Stunden, in denen die dürftige Behausung weder dem starken Regen noch der kriechenden Kälte standgehalten hatte und an den wärmenden, massigen Körper des Vaters, der ihn jeweils umhüllt hatte. Fast so, wie es eine Bärenmama mit ihren Jungen tat.

 

Es donnerte nicht.

Seine Beine zitterten und kämpften damit, seinen Körper aufrecht zu halten. Dieser signalisierte deutlich: Eigentlich reichen vier gut gefüllte Gläser Whisky dann auch schon völlig.

Torkelnd schlich er ein paar Schritte vorwärts, bis sich seine schweren Hände am hölzernen Terrassenzaun festkrallten. Dann beugte er sich nach vorne, so dass er unter dem Dachrand hervorgucken konnte.

Sterne!

Dort, wo die Baumkronen die Sicht auf den Himmel freigaben, glitzerte es am Firmament – weit und breit kein Gewitter im Anmarsch. Dafür lag nun urplötzlich ein metallener Geruch in der Luft und ein zuvor nicht gehörtes Sirren wurde ruckartig lauter und drohte in seinen Ohren zu explodieren.

„Was zum Teufel ...!“

Er griff sich mit beiden Händen an den Kopf, hielt sich die schmerzenden Ohren zu und taumelte gegen die hölzerne Wand des Blockhauses.

 

In diesem Augenblick begann das Whiskyglas auf dem Tisch leicht zu zittern, bevor es immer heftiger wurde und schliesslich das gesamte Möbelstück zum Schwingen brachte.

Instinktiv schossen ihm panische Gedanken durch den Kopf und so etwas wie ein Überlebensinstinkt setzte ein: Auf dem 12 Meilen langen Kiesweg, runter von der Hauptstrasse, war er an höchstens zehn Blockhäusern vorbeigefahren. Keines davon schien in dieser Jahreszeit und jetzt, wochentags, besetzt gewesen zu sein.

Er war ganz alleine im Umkreis von mindestens 15 Meilen.

Was zur Hölle lief hier ab? Und wie hatte er sich zu verhalten?

 

Unvermittelt erhellte sich explosionsartig eine Stelle im nahen Wald, höchstens 50 Schritte von der Veranda entfernt.

Riley kniff die Augen zusammen und kämpfte weiter gegen das Schwindelgefühl und den anschwellenden Tinnitus an – was, verdammt nochmal, war hier los?!

 

Aus dem formlosen Gleissen war zwischenzeitlich eine strahlend helle Kugel geworden, vielleicht zehn Meter gross im Durchmesser. Das grelle Licht blendete ihn so sehr, dass er eine Hand schützend vor die Augen halten musste.

 

Dann, unvermittelt: Grabesstille und blinde Dunkelheit.

 

Als Riley zitternd die Augen öffnete, schwebten farbige Punkte durch die Gegend. Es gelang ihm nicht, etwas zu fokussieren. Das grelle Licht hatte ihm nachhaltig zugesetzt.

Immerhin liess der Schwindel sekündlich nach und genau so schnell ebbte auch der Tinnitus ab, so dass nur noch die Erinnerung eines Pfeifens in den Ohren widerklang.

 

Endlich begann sich sein Blick wieder zu schärfen.

Riley kniff die Augen zusammen, weil er es kaum für möglich hielt, was sie ihm offenbarten: Aus der Richtung, wo zuvor die bedrohliche Lichtquelle wütete, näherte sich eine Gestalt!

 

Riley schossen panisch Gedanken durch den Kopf:

„Hol die Flinte aus dem Kofferraum des Jeeps!“

„Verschanz dich im Haus!“

„Bau dich auf der Veranda auf und sieh bedrohlich aus!“

„Wo kommt der Typ plötzlich her?“

„Bin ich so betrunken, dass ich halluziniere?“

 

Das wilde Gedanken-Durcheinander führte dazu, dass er genau nur Eines machte: gar nichts.

Wie angewurzelt blieb Riley am oberen Ende der vier hohen Stufen stehen, die vom Kiesplatz hinauf auf die Veranda führte. Die Gestalt war mittlerweile so nah, dass die Zeit nicht reichen würde, das Jagdgewehr aus dem Kofferraum des Autos zu holen.

Adrenalin schoss in Rileys Venen, was dazu führte, dass er trotz des beachtlichen Alkoholpegels ziemlich klar wurde im Kopf.

„Hey!“, rief er laut der Gestalt entgegen, die immer näher kam.

Als Reaktion auf den drohenden Tonfall blieb sie abrupt stehen. Vielleicht noch zehn Meter entfernt.

 

„Hab keine Angst, Mik Riley!“

Die Stimme tönte roboterhaft, schneidend und scherbelte ein wenig.

Was Riley aber noch viel mehr irritierte, als die gewöhnungsbedürftige Klangfarbe dieser Erscheinung, war, dass sie seinen Namen kannte.

Sein Hirn arbeitete auf Hochtouren, dem Alkoholpegel zum Trotz. Wer oder was stand da mitten im Nirgendwo vor ihm und schien ihn zu kennen?

 

Das gleissend helle Licht. Der stechend sirrende Ton. Die helle Kugel ...

Und plötzlich machte alles Sinn. Aber warum ... und wieso ausgerechnet hier und jetzt? War er denn nicht schon genug geprügelt worden?

Irgendjemand schien ihn bei „Scare Tactics“ angemeldet zu haben, einer viel gefeierten TV-Show, die vor kurzem unter grosser Aufmerksamkeit verschiedener Medien wieder eingeführt worden war und zu bester Sendezeit im Sci-Fi-Channel lief. In dieser Show wurden ahnungslose Teilnehmer mittels versteckter Kamera erschreckt. Ganz offensichtlich war die Umgebung dieses Blockhauses vor seiner Ankunft verkabelt worden. Und gerade eben wurden – zugegebenermassen spektakuläre – Special Effects gezündet!

 

„Hört auf, Leute, die Show ist vorbei!“, blaffte er halb erleichtert, halb verärgert und begann wissend zu lächeln, „Ihr verdammten Arschlöcher, echt!“

Er hatte sich wieder auf den ausladenden Holzstuhl gesetzt, griff nach dem Glas und rief in die dunkle Nacht: „Auf meine Kosten Quoten machen, das ist das Allerletzte! Pervertierte Scheissmedien!“

Er hob das Glas an und wollte es an die Lippen führen, nur gelang dies nicht. Der Arm schien wie blockiert und bewegte sich keinen Zentimeter näher auf die durstige Kehle zu.

„Du hattest genug“, mahnte die scherbelnde Stimme bedeutend näher als zuvor. Er blickte auf und schreckte zurück.

 

Der unheimliche Fremde aus dem Nichts stand plötzlich in Griffnähe vor ihm auf der Veranda. Riley fragte sich, wie der Typ in dieser kurzen Zeit absolut geräuschlos so nah gekommen war. Das Gesicht vermochte er in der Dunkelheit nicht zu erkennen.

Aber diese Stimme ...

„Es ist genug jetzt!“, blökte Riley in die Nacht und an dem riesigen Fremden vorbei, in die Richtung, wo er die Filmcrew vermutete.

Geheuer war ihm die Sache nicht, auch wenn er sich noch immer ziemlich sicher war, dass er hier das Opfer eines aufwändig inszenierten Streichs geworden war. Es gab keine andere rationale Erklärung für den ganzen Spuk.

 

„Mik Riley. Das hier ist kein Scherz – ganz im Gegenteil. Besorgniserregender könnte der Grund meines Besuchs gar nicht sein.“

„Und was stellst du dar? Ein Alien, ja?“

„Ja. Mein Name ist Rephaim.“

„Tatsächlich? Wieso bist du kein kleines, grünes Männchen mit überdimensionalen, dunklen Augen?“

„Oh, die gibt es sehr wohl auch. Eure Vorstellungen darüber stimmen ziemlich genau. Kein Wunder, Ihr habt sie ja schon eingehend untersuchen können. Es gibt sie in Grün und in Grau – aber bei dieser Form von Ausserirdischen handelt es sich bloss um unsere Helfer. Eine Art Bedienstete, das kommt der Sache wohl am nächsten.“

 

Riley schärfte seinen Blick und betrachtete das Gesicht der Gestalt genauer. Er war absolut nicht gewillt, diesem Gefasel über Bedienstete zuzuhören und sich für blöd verkaufen zu lassen. Also agierte er als Spielverderber und sprach zu dem Hünen, als benähme sich dieser mehr als peinlich und gab ihm zu verstehen, dass es wirklich höchste Zeit sei, den missglückten Täuschungsversuch zuzugeben.

„Du siehst aus wie ein ganz normaler Mensch, ein bisschen mehr Mühe hättet Ihr Euch also schon geben können!“

 

Selbstgerecht prustete er heraus und grölte in die Nacht. Der Whisky hatte seine ganze Wirkung entfaltet und Riley fühlte sich bestens unterhalten – und kein bisschen mehr verängstigt.

„Ihr Wixer!“, rief er in die Dunkelheit und streckte den Mittelfinger beider Hände ins Schwarz der Nacht.

 

Rephaim hob seinen rechten Arm und streckte die Hand aus, um sie in sicherem Abstand vor Rileys Kopf zu arretieren. Er spreizte die Finger und schloss die Augen.

Wieder setzte ein Summen ein, in einer tieferen Frequenz als zuvor – aber ähnlich unangenehm.

„Was machst du, hör auf?!“, befahl Riley und wollte die bedrohliche Hand vor seinem Kopf zur Seite schieben. Aber wieder gelang es ihm nicht, seinen Arm zu bewegen. Als wäre sein ganzer Körper in schwere Ketten gelegt, wollte auch kein Bein oder Fuss sich rühren.

 

Nach wenigen Sekunden war der Spuk auch schon wieder vorbei – genauso wie das angenehme warme und leichte Gefühl des Angetrunkenseins. Er war unvermittelt klar im Kopf. Da waren keine trägen oder verschwommenen Gedanken mehr.

Er war stocknüchtern, gerade so, als hätte er nicht einen Tropfen Alkohol getrunken.

 

„Ok, das ist unheimlich“, kommentierte er und zog die Augenbrauen zusammen.

„Hab ich nun endlich deine Aufmerksamkeit?“, fragte Rephaim.

„Ein weiteres Kunststück würde helfen.“

„Was darfs denn sein?“

Riley überlegte kurz.

„Zaubere mir meinen Job zurück!“

„Ich habe etwas viel Besseres für dich ...“

Drei Wochen zuvor

 

Es war ein guter Tag für die Betreiber des „Six Flags Americas“, einem grossen Vergnügungspark in Bowie, östlich von Washington D.C. gelegen.

Der Spätsommer zeigte sich von seiner schönsten Seite und hunderte Familien und Vergnügungssüchtige befriedigten auf dem Gelände ihren Wunsch nach Zerstreuung, Abenteuer und Nervenkitzel.

 

Auf einer Sitzbank vor der „Batwing“, einer der meistbesuchten Attraktionen – einer spektakulären Achterbahn, die ein wenig in die Jahre gekommen war, aber von ihrer Faszination kaum etwas eingebüsst hatte – sassen zwei Männer, die nicht den Anschein machten, auf einen wilden Ritt zu warten.

„Ich hasse diesen Ort“, sagte Gary Roberts.

„Das ist mir durchaus bewusst“, erwiderte der Andere, dessen metallisch und roboterhafte Stimme nicht bis zu den Leuten in der Warteschlange vor ihnen drang, „es ist trotzdem der ideale Platz für unsere Treffen“.

„Solange du mich nicht wieder nötigst, das Monster hinter uns zu besteigen!“

Roberts machte eine Kopfbewegung zur Batwing in ihrem Rücken.

„Nein, heute nicht, lieber Freund. An einem so traurigen Tag wie heute ist kein Platz für Vergnügen.“

„Erzähl, mein Lieber, was bedrückt dich und warum treffen wir uns heute schon? Die nächste Zusammenkunft war doch erst Anfang Oktober geplant?“

„Das ist richtig. Aber die Dringlichkeit der Angelegenheit liess mir keine andere Wahl. Ich habe äusserst schlechte Nachrichten, lieber Freund.“

Roberts drehte den Kopf zu Rephaim, was er selten tat, da mögliche Beobachter aus der Distanz nicht den Eindruck gewinnen sollten, dass sie miteinander kommunizierten.

 

Gary Roberts hatte das Gesicht Rephaims hinter der Latexmaske schon betrachten dürfen. Die silbern schimmernde Haut, die gelben Katzenaugen und die länglichen Nasenlöcher. Die Nase war eigentlich das Einzige, was offensichtlich fehlte und dieses Gesicht fremdartig machte. Alles sonst wirkte allenfalls befremdlich – aber nicht wie von einer anderen Welt.

Katzenaugen trugen auch andere Menschen auf der Erde, wenn auch als Gadget und in Form von Linsen. Mit ein bisschen Make-up brachte man auch den Teint der Haut so hin, dass er genau so funkelte.

Rephaims Kopfform unterschied sich auch nur geringfügig von der menschlichen – mit etwas gutem Willen hätte man übersehen können, dass der Schädel nach hinten länger und höher auslief.

Des Menschen Haare werden in seiner Evolution ständig weniger – die „Makkaiden“, Rephaims Spezies – waren diesbezüglich schon einen grossen Schritt weiter: Da blieben haartechnisch einzig feinste Wimpern übrig, die den Zweck erfüllten, filigranste Staubpartikel vom Eindringen in die Augen fernzuhalten.

Glatzköpfe und gänzlich unbehaarte Körper finden sich aber auch zu Millionen unter den Menschen; so blieb einzig die fehlende Nase das irritierende an seinem Erscheinungsbild.

 

Roberts blickte ernsthaft besorgt und war sichtlich beunruhigt.

„Was ist denn passiert, um Himmels willen?“

„Das Planetarische Symposion ist kurz davor, die Geduld mit Euch zu verlieren.“

„Was, jetzt schon?!“

„In der letzten Konferenz haben mehrere führende Köpfe beantragt, das Experiment 'Menschheit' aufzugeben.“

„Das ist ja fürchterlich!“, sagte Roberts entsetzt. Sein Herz begann zu rasen und pochte bis in die Schläfen.

Ein etwa 12-jähriger, blonder Junge, der unweit in der Menschenschlange vor der Batwing stand, reagierte auf den entsetzten Aufschrei und blickte zu ihnen rüber.

„Bitte beherrsche dich“, sagte Rephaim mahnend, „keine Aufmerksamkeit erregen!“

Die Geheimnistuerei kam nicht von ungefähr; beide gingen durch ihre Treffen erhebliche Risiken ein: Sie riskierten dabei mindestens ihren Job.

Roberts schluckte leer, sammelte sich ein paar Sekunden und fragte dann:

„Und was heisst das denn jetzt konkret?“

„Das Symposion unterzieht Euch einer finalen Überprüfung. Und man muss objektiv sagen, dass Eure Chancen schlecht stehen. Im grossen Konzil wird Bilanz gezogen – in etwas mehr als einem Jahr, am 17. Februar 2023.“

Rephaim räusperte sich, was sich der Stimmprothese wegen anhörte, wie wenn eine Metallsäge im Leerlauf lief.

„Gary. Es ist Ultima Ratio. Wir müssen unseren Masterplan umsetzen – jetzt!“

Der Special Agent

 

Das Regierungsflugzeug mit Special Agent Gary Roberts an Bord hatte den Sinkflug auf den Homey Airport begonnen.

Der Leiter der Abteilung „Untersuchung nicht identifizierter Luftphänomene“ brütete über Dokumenten, die er am Morgen von höherer Stelle zugeschickt bekommen hatte. Gerade hielt er Aufnahmen eines kleinen, grauen, lädierten Körpers in den Händen. Obwohl er oder es an einen Sitz festgegurtet war, hing er zur Hälfte aus demselben hinaus – der Kopf war aufgeplatzt und die Gliedmassen ungesund verdreht.

„Sir, wir landen in 15 Minuten“, meldete sich die Stimme des Copiloten der Legacy 650E aus dem Cockpit.

 

Roberts seufzte müde und verstaute sämtliche Dokumente im Aktenkoffer, verschloss diesen fein säuberlich und erinnerte sich beim zischenden Geräusch während des Schliessvorgangs daran, wie ungesund es wäre, mehr als zweimal den falschen Code einzugeben.

Seine Geschäfte unterlagen der höchsten Geheimstufe des US-Militärs und spätestens seit er vor mehr als drei Jahren der neu gegründeten Abteilung vorstand, versuchten Dutzende Organisationen oder Einzelpersonen an die Geheimnisse heranzukommen, die er hütete. Manche Bemühungen gestalteten sich einfallsreicher, andere gar plump. Auch der Aktenkoffer war ihm schon geklaut worden. Ob sich der Dieb beim Versuch, das Teil zu öffnen, die Hände weggesprengt hatte, entzog sich seiner Kenntnis.

 

Der Special Agent lehnte sich für den Landeanflug noch einmal in seinen Sessel zurück, schloss die Augen und versuchte, sich ein paar Minuten zu entspannen.

Ihm war bewusst, was für ein anstrengendes Programm vor ihm lag und ebenso, dass er kaum Schlaf finden würde in den nächsten Stunden.

Nach der Landung würde er direkt in den Bunker geführt, um die Überreste des gefundenen Körpers zu begutachten. Experten würden ihm dann sämtliche Erkenntnisse über den Fund schildern, mit jenen von früheren Ereignissen vergleichen und dann müsste er sich von einer anderen Fachperson das Flugobjekt erklären lassen – obwohl Roberts auf den Fotografien und den kurzen Ausführungen gesehen hatte, dass es keines von unbekannter Bauart war. Von diesem Typ Ufo hatte das Verteidigungsministerium in den Tiefen des Bunkers schon mehrere Modelle gelagert. Auch besser erhaltene als dieses hier.

Aber wer weiss, vielleicht hatte der aktuellste Fund ja dennoch neue Erkenntnisse gebracht; Roberts war gespannt und spürte noch immer dieses Prickeln. Weit weniger intensiv als zu den Anfangszeiten – aber es war noch da.

 

Bis zu seinem 35. Lebensjahr hatte er bei der Air Force als Pilot gedient und seinen Job des Fliegens wegen über alles geliebt.

Es war kein Zufall, dass er anschliessend an seine Zeit im Cockpit im Verteidigungsministerium gelandet war und sich mit der Frage der möglichen Bedrohung nicht identifizierbarer Luftphänomene auseinandersetzte: Mehr als einmal war er in seiner 11-jährigen Karriere im Cockpit in Situationen geraten, die es so niemals hätte geben dürfen. Anomalien auf Geräten und in der Umgebung, Sichtkontakt mit unerklärlichen Phänomenen – er erlebte beides dutzendweise – und zwar zu einer Zeit, in der Piloten nicht mehr ausgelacht wurden, wenn sie davon berichteten.

Waren Meldungen über Sichtungen von unbekannten Flugobjekten noch vor der Jahrtausendwende mit einem Stigma belegt, hatten sich die Zeiten danach geändert. Auch, weil die schiere Zahl entsprechender Meldungen zu explodieren schien und nahezu jeder Pilot, der mehr als drei Monate in der Luft war, diesbezüglich etwas zu berichten hatte.

 

Die ersten drei Jahre im Pentagon verdiente er sich mit Schreibkram und anderen niederen Arbeiten die Sporen ab, blieb aber immer interessiert, aufgeschlossen und trotzdem kritisch. Gepaart mit seinem Fleiss und der Tatsache, dass er weder Frau noch Kinder hatte und entsprechend weniger Gewissenskonflikte auszutragen haben würde, wenn er tiefer in die Materie eintauchte, sah sich der Stab schnell dazu motiviert, ihn zum Special Agent zu befördern.

So war er bald schon direkt dem Abteilungsleiter Charles Tucker unterstellt, einem Soldaten der alten Garde.

Der war jedoch mehr daran interessiert, ob es sich bei den unbekannten Phänomenen um neue Rüstungstechnologien von Rivalen wie Russland oder China handelte. Wenn die Untersuchungen zum Schluss kamen, dass dies nicht der Fall war, hatte sich die Angelegenheit für Tucker schnell erledigt und wurde nicht weiter untersucht.

 

Diese Zustände der Ignoranz änderten sich im Jahr 2017, weil sich die führenden Köpfe im Pentagon durch die immer häufiger werdenden Sichtungen tatsächlich Sorgen um die Sicherheit der Nation zu machen begannen. Plötzlich waren die möglichen Bedrohungen aus dem Weltall um ein Risiko grösser geworden: Nebst der Gefahr von unkontrollierten Gesteins- und Metallbrocken auf Kollisionskurs mit der Erde, schloss das Verteidigungsministerium nun auch nicht mehr aus, dass sich da draussen auch feindliche Spezies herumtummelten, die es auf die Erde abgesehen haben könnten.

Tucker wurde in der Folge ausgemustert, beziehungsweise befördert – je nach Sichtweise und Blickwinkel. So leitete er ab 2018 die Joint Base Andrews Naval Air Facility in Maryland und wurde in den Rang eines Major Generals gehoben.

Dass er vom ungeliebten Emporkömmling Gary Roberts aus dem geliebten, weil einflussreichen Job katapultiert worden war, hatte Tucker nicht vergessen und wartete nur darauf, den Rivalen bei sich bietender Gelegenheit zu diskreditieren.

 

Als Gary Roberts zum Abteilungsleiter der neu organisierten und strukturierten Ufo-Abteilung des Verteidigungsministeriums ernannt worden war, stieg auch sein Geheimhaltungsgrad auf die höchste Stufe.

Plötzlich erhielt er nicht nur Einblicke in verborgene Verschlusssachen grösster Wichtigkeit (in den USA haben gemäss Wikipedia mehr als 850’000 Personen eine Freigabe für den höchsten der Allgemeinheit bekannten Geheimhaltungsgrad „Top Secret“), sondern erfuhr auch von geheimsten Programmen, Forschungen und verblüffenden Geheimnissen von Staat und Heer. Relevant für seine Arbeit war indes in erster Linie die „Schatzkiste“ Area 51, das militärische Sperrgebiet im südlichen Nevada, die sich im Besitz der United States Air Force und des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums befand.

 

Mehrere Verschlusssachen betrafen die Abteilung, die er leitete, ganz direkt:

So war das Verteidigungsministerium der USA längst im Besitz sterblicher Überreste von Aliens und auch deren Flugmaschinen, beziehungsweise den jeweiligen Überbleibseln nach den Abstürzen. Der Roswell-Crash von 1947 beispielsweise hatte sich tatsächlich ereignet – bloss nicht in Roswell und nicht im Jahr 1947.

Es waren wohl Whistleblower gewesen, die diese bestgehüteten Geheimnisse ausgeplaudert hatten. Wie geschickt die CIA aus der Wahrheit eine Verschwörungstheorie gemacht hatte, war längst legendär. Nur logisch daher, dass die Anhänger dieser Thesen verunglimpft wurden und sich kein Gehör verschaffen konnten.

 

Obwohl er in einer ersten Phase Mühe mit dem Fakt hatte, dass die Bevölkerung diesbezüglich im Dunkeln gelassen wurde, verstand Roberts je länger je mehr, warum die Geheimhaltung absolut matchentscheidend war: Die Grundfesten des Menschseins würden durch die Wahrheit derart erschüttert, dass es nicht absehbar gewesen wäre, was es mit den Menschen und der sozialen Ordnung gemacht hätte, wäre das Wissen um die Existenz intelligenter extraterrestrischer Lebewesen in die Öffentlichkeit geraten.

 

Nie würde er den Moment vergessen, in dem er in den Bunkern unter der berühmt-berüchtigsten Militärbasis der Welt den ersten toten Alienkörper betrachtet und das erste Flugobjekt berührt hatte.

Aber auch nicht die dunkelste Stunde im Dienste für das Vaterland:

Als er von der „Liste der Schande“ erfuhr – einem Dokument, dessen Ursprünge in die Zeit der Gründungsväter der USA zurückreichte und das längst digitalisiert war. Aufgelistet darauf waren inzwischen über 5’000 Namen von Menschen, die in irgendeiner Form für die US-Regierung gearbeitet hatten – und von ebendieser getötet wurden.

Mitarbeiter, die im schlimmsten Fall als Spione den Feind mit Informationen und Geheimnissen versorgt hatten. Oder auch nur damit an die Medien im eigenen Land gelangt waren.

Namen von über 5’000 Spionen, Spitzeln und Whistleblowern. Ermordet auf Befehl von Regierungsvertretern.

 

Das bedeutendste Erlebnis seines Lebens widerfuhr dem Special Agent aber anfangs Mai 2018:

Gary Roberts war seit über einem Jahr Leiter der Ufo-Abteilung und in alle geheimen Programme und Erkenntnisse der Behörden eingeweiht gewesen und hatte zum ersten Mal ein paar Tage Ferien eingezogen, als er auf seiner Europa-Reise die Bekanntschaft mit einem lebenden Alien machte:

 

Er besuchte die Heimat seiner Mutter, die er kaum gekannt hatte.

Roberts erfüllte sich also einen lang gehegten Wunsch und bereiste in einem Wohnmobil den Süden Norwegens, und startete seine Reise hierfür in Bergen, der Stadt, in der seine Mutter aufgewachsen war.

Am dritten Abend seiner Tour stellte er sein Gefährt beim Eindunkeln unweit vom historischen Städtchen Egersund in einem verträumten Waldstück ab. Die Lage war absolut grandios: 20 Schritte gegen Süden fiel das Gelände 90 Grad steil nach unten ab. Etwa 50 Meter tiefer schlug das Meer hohe Wellen an die Felswand.

Möglichst nahe an der Klippe wollte Roberts seinen Klappstuhl aufstellen, um den Zauber des spektakulären Sonnenuntergangs zu geniessen. Vorher ging er aber noch ein paar Schritte in den Wald hinein, um Holz für ein kleines Feuer zu sammeln, das er beim Eindunkeln entfachen wollte.

Als er aus dem Wald trat und zu seinem Wohnmobil hinüberschaute, staunte er Bauklötze: Da hatte sich doch tatsächlich ein Fremder erdreistet, den bereitgelegten Klappstuhl aufzustellen und sich ungeniert draufzusetzen.

 

Roberts war gut gelaunt und begegnete dem Mann überaus freundlich.

„Guten Abend, sitzen Sie bequem?“, sprach er ihn an.

Der unscheinbar wirkende Fremde hob den Kopf und schaute ihm direkt in die Augen und lächelte sanft.

„Es ist Zeit, dass wir uns kennenlernen“, ertönte eine leise, mechanisch tönende Stimme, die ihn an einen Onkel erinnerte, der nach einer Operation am Kehlkopf nur noch mittels elektronischer Sprachhilfe Töne hervorbrachte.

 

Nicht nur die Stimme des Fremden wirkte irritierend; die ganze Erscheinung verstärkte den Eindruck, dass irgendwas nicht stimmte. Er trug eine Art Overall, wie es Mitarbeiter eines Labors trugen, die es mit gefährlichen Substanzen zu tun haben, nur nicht so klobig – der Einteiler wirkte fast ein bisschen zu modisch – fast wie eine gut sitzende Uniform. Dass er eine wärmende Mütze trug, mutete in Norwegen nicht aussergewöhnlich an, schon eher aber die Handschuhe und der Schal – die aktuelle Temperatur betrug nicht unter 10 Grad Celsius.

Das Gesicht war unauffällig durchschnittlich; der Mann war wohl um die 30 Jahre alt.

 

Roberts stellte sich vor den Fremden hin, noch immer lächelnd.

„Ist das so? Warum denn?“, fragte er höflich und steckte sich eine Zigarette an.

„Ich habe alle Antworten, nach denen Sie suchen.“

Roberts musterte den unverhofften Gast möglichst unauffällig, weil er nach dem Gerät suchte, das für den metallischen Klang der Stimme verantwortlich war. Es schien so, als wäre es irgendwo direkt im Körper verbaut, eine Stimmprothese wohl.

„Wie kommen Sie denn darauf, dass ich nach Antworten suche?“

„Wer tut das nicht? Aber bei Ihnen ist der Wunsch noch viel, viel ausgeprägter.“

„Ok, gut, spielen wir das Spiel“, sagte Roberts und holte den zweiten Klappstuhl hervor, um sich dazuzusetzen. Etwas zu trinken bot er dem Gast aber ganz bewusst nicht an.

„Sie wissen also, wer ich bin?“, fragte er.

„Ihr Name ist Gary Roberts und Sie sind Leiter der Ufo-Abteilung im US-Verteidigungsministerium.“

Roberts bemühte sich darum, keine Regung zu offenbaren, und nickte wenig beeindruckt. Aus den Augenwinkeln checkte er die Umgebung ab. Wo stand das Fahrzeug dieses Mannes, der augenblicklich zur Bedrohung geworden war? Es war weit und breit keines zu erkennen. Jeder Muskel in Roberts' Körper war angespannt, auch wenn er nach aussen lässig wirkte.

 

Er war geschult für solchartige Situationen und hatte nebst der theoretischen Ausbildung auch Praxiserfahrung aus dem Irak-Krieg. In die heikelste und durchaus lebensbedrohliche Situation war er im Februar 2005 geraten, als er in einem kleinen Nest vor Tikrit während eines dreitägigen Urlaubs in Gefangenschaft geriet.

Eine kleine Splittergruppe des Widerstands hatte ihn zusammen mit einem Freund aus der Bodentruppe in ihrer Gewalt und einige der Männer drohten mehrfach, ihn zu ermorden, und hätten es vielleicht auch getan, wenn er in einem unbedachten Moment etwas Falsches gesagt oder getan hätte.

 

In Situationen wie diesen waren drei Dinge von grösster Wichtigkeit: vorneweg Beobachtungsgabe und absolute Achtsamkeit. Es galt, möglichst unaufgeregt alles zu erfassen, was um einen herum geschah und war. Jedes Detail konnte über Leben oder Tod entscheiden. Gelassenheit war die zweite Sache: Panisches oder auch nur verunsichertes und daher auffälliges Verhalten machte auch Entführer nervös. Und schliesslich ging es darum, den Aggressoren möglichst auf Augenhöhe zu begegnen. Wer eine gewisse Selbstsicherheit ausstrahlte und es irgendwie sogar schaffte, dem Feind oder Gegner eine Art von freundschaftlicher Verbundenheit vorzutäuschen, hatte die bestmöglichen Karten in diesem Spiel von Ohnmacht und Lebensgefahr.

 

Roberts war ein Meister dieses Spiels und bisher noch aus allen kniffligen Situationen herausgekommen – in jeder Prüfung der militärischen Ausbildung, in schwierigen Einsätzen, im Irak-Krieg und bestimmt auch aus jener hier im Süden Norwegens.

 

Wer war dieser Kerl – und was wollte er von ihm?

Er versuchte so gelassen wie nur irgendwie möglich zu reagieren:

„Das stimmt, ja. Und woher wissen Sie das? Sind Sie ein Journalist und haben in Wirklichkeit mehr Fragen als Antworten?“

„Entspannen Sie sich bitte“, sagte der Fremde, „ich bin keine Bedrohung. Ich komme als Freund. Und ich habe Antworten, keine Fragen.“

Roberts schnippte die Zigarette auf den Boden neben den rechten Fuss und trat sie aus.

„Wirke ich denn nervös?“, fragte er gleichmütig.

„Sie verbergen Ihre Anspannung meisterlich.“

Der Fremde beobachtete sein Gegenüber, die Hände auf die Stuhllehnen gelegt. Roberts machte keine Anstalten, die Initiative zu übernehmen und sass stumm lächelnd auf seinem Klappstuhl.

 

„Mein Name ist Rephaim. Der Betrieb Eures Nasa-Forschungssatelliten 'Keppler' wird Ende Jahres eingestellt und Eure Astrophysiker werden in Ihrem Abschlussbericht zum Schluss kommen, dass es in unserer Galaxie an die 300 Millionen potenziell bewohnbarer Planeten gibt. Einer davon ist mein Heimatplanet 'Yoaritin'“.

 

Ganz langsam entspannten sich Roberts Gesichtsmuskeln und ein Lächeln zeichnete sich ab. Dann legte er die Stirn kraus und den Kopf schief.

„Das ist grossartig, wer hat sich das ausgedacht – und warum?“

Er lachte mittlerweile herzhaft.

„Ist das ein Einführungsritual für Abteilungsleiter? Hey, reichlich spät, ich arbeite schon seit über einem Jahr ...!“

 

Das Wechselbad der Gefühle hielt an und das Pendel kippte innerhalb weniger Sekunden wieder in die andere Richtung. Wie in Zeitlupe fror Roberts Lachen ein und der entstandene Gesichtsausdruck glich dem berühmten Gemälde Edvard Munchs, als sich der Besucher mit einer flinken Handbewegung das Gesicht abzog und darunter dessen wahres Antlitz zum Vorschein kam.

Mit langsamen und sehr kontrollierten Bewegungen legte Rephaim die Maske auf den Tisch, dann auch die Linsen, die er sich von den Augäpfeln geschält hatte, und blickte sein Gegenüber mit gelben, reptilienartigen Augen an, deren schlitzartige Pupillen sich verengten. Die dünne Haut im Gesicht schimmerte silbern-blau und Roberts konnte darunter pulsierende Gefässe sehen, durch die Blut pumpte.

 

„Das ... das ist mit Abstand das Gruseligste, das ich je gesehen habe“, gab der Special Agent zögernd und sichtlich beeindruckt zu, „aber beweist noch gar nichts. Das könnten Anomalien sein ...“

„Wenn ich mich teleportiere und eine Minute später wieder hier erscheine – wäre das dann Beweis genug für dich?“

Roberts überlegt kurz, um dann vorsichtig zu nicken und eine Bedingung zu stellen:

„Wenn ich dir aufgeben darf, wohin du reist und was du als Beweis für deinen Besuch dort zurückbringen sollst?“

„Einverstanden. Wenn du einen Ort wählst, an dem keine Menschen mein Erscheinen beobachten können. Das könnte traumatisch enden, nicht wahr?“

Roberts nickte.

„So schwer mache ich es dir nicht einmal. Geh in den Norden, egal wohin, und bring mir einen Beweis mit!“

 

Der Besucher machte ein gurrendes Geräusch, wie es Tauben zu tun pflegen, blinzelte irritierend und erhob sich aus dem Klappstuhl.

„Ich verstehe, dass du hinschauen willst. Aber das könnte für deine Augen böse enden“, sagte er warnend.

 

Obwohl er natürlich für sein Leben gern betrachtet hätte, wie der ungebetene Gast verschwinden und danach wieder erscheinen würde, wandte Roberts seinen Blick ab. Er kannte die Theorie von verdichteter Energie – das Auflösen eines Körpers in pure Energie – die diese Art des Reisens, zumindest theoretisch, erfordert.

In den Augenwinkeln beobachtete er ein gleissend helles Licht, begleitet von erstaunlich heftigen Windbewegungen und einem glockenreinen Sirren, das in den Ohren schmerzte.

Urplötzlich war der Zauber verschwunden – genauso wie Rephaim.

Der Special Agent sass total euphorisiert da wie im Rausch.

 

War das eben tatsächlich geschehen? War er wahrhaftig Zeuge geworden von einer Teleportation?

Zumindest schien er nicht zu träumen – er hatte schon in der ersten Phase des merkwürdigen Besuches mehrfach den Schriftzug auf der Aussenwand seines Wohnmobils gelesen; das war, wie er wusste, während des Träumens nicht möglich. Er wiederholte den Realitätscheck sicherheitshalber ein weiteres Mal – mit demselben Ergebnis. Damit schloss er auch aus, dass er halluzinierte. Falls seinem Körper – wann und wie auch immer – Substanzen zugeführt worden wären, hätte er das dank des durchgeführten Realitätsabgleichs ebenfalls bemerkt.

Er schaute sich um, ob er vielleicht beobachtet wurde und andere Leute in der Nähe waren. Nein, auch nicht, da war niemand zu sehen. Er war so allein auf diesem Fleckchen Erde wie zuvor. Diese Abgeschiedenheit hatte er sich für sein Nachtlager letztlich bewusst ausgesucht.

 

Dann, urplötzlich, begann sich die Luft zu verändern, dort, wo Rephaim zuvor verschwunden war. Wieder kam Wind auf, wieder lag dieses silberhelle Sirren in der Luft.

Die Verwirbelungen wurden intensiver, kleine Blitze zuckten durch die Luft und um sie herum türmte sich ein helles, weiss-goldenes, blendendes Licht auf.

Erneut musste sich Roberts abwenden, weil die Augen vehement zu protestieren begannen.

Und wieder war auf einen Schlag Schluss mit dem unfassbaren Spektakel.

 

Er nahm die schützenden Hände vom Gesicht und blinzelte vorsichtig hinter geschlossenen Augen hervor. Eine Hand streckte ihm einen armlangen Eiszapfen entgegen.

„Ok“, sagte Roberts tonlos und mit hochgezogenen Augenbrauen.

Verblüfft, fasziniert und erschlagen zugleich.

Rephaim erklärte trocken: „Komplexe Physik, stark vereinfacht: Teleportation funktioniert mittels Verschränkung von Photonen-Partikeln. Ich war eigentlich gar nicht weg – und irgendwie eben schon. Eure Quantenphysiker haben eine entfernte Idee davon, wie das hier funktioniert. Aber technisch seid Ihr noch Weltreisen hiervon entfernt; das dauert noch über hundert Jahre – es sei denn, Ihr bekommt Hilfe.“

„Mit 'Ihr' meinst du uns Menschen, richtig?“

Rephaim nickte.

„Wo kommst du nochmals her?“

„Mein Planet heisst Yoaritin. Der liegt im nächsten Spiralarm der Milchstrasse. Wir sind quasi Nachbarn.“

 

Roberts wunderte sich einen Moment darüber, wie er, alleine durch den zugegebenermassen verblüffenden Zaubertrick, sofort zu glauben bereit war, dass er tatsächlich mit einem Ausserirdischen konversierte.

Aber er hatte keine rationale Erklärung zur Hand, wie sich der Andere vor seinen Augen hatte auflösen und mit einem Eiszapfen in der Hand wieder erscheinen können. Er entschied sich, einfach mal davon auszugehen, dass das hier alles kein Fake war.

 

„Wie legt Ihr die gewaltigen Distanzen zwischen der Erde und Yoaritin zurück?“

„Rate mal, Ihr habt eine Idee davon.“

„Ihr reist durch Wurmlöcher, richtig?“

„Richtig.“

„Reist Ihr so auch durch die Zeit?“

Rephaim machte wieder dieses Gurgelgeräusch. War das ein Lachen? Die schmalen Lippen des Mundes deuteten zumindest nichts Derartiges an – aber sie bewegten sich auch sonst kaum.

 

„Wir haben eine interessante Nacht vor uns, mein Freund.“

„Das denke ich auch. Ich habe so viele Fragen!“

Gary Roberts Augen funkelten vor Erregung. Das hier war mit riesigem Abstand der beste Moment seines Lebens.

Vor bald einem Jahr

 

Auf der Redaktion der Baltimore Sun herrschte emsiges Treiben.

Im Grossraumbüro, wo die News-Journalisten arbeiteten, war kaum das eigene Wort zu verstehen und Mik Riley dankte dem lieben Gott, dass die Zeiten des Sporen-Abverdienens hier schon nahezu acht Jahre zurücklagen. Dieser Job hier, das ständige Sofort-Reagieren, der immerwährende Wettbewerb, das erste News-Portal sein zu müssen, das die News online stellte, hatte ihn ausgelaugt und um den Schlaf gebracht.

---ENDE DER LESEPROBE---