Zum Herrgott mit dem Teufel (eBook) - Marcel Helmtag - E-Book

Zum Herrgott mit dem Teufel (eBook) E-Book

Marcel Helmtag

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Beschreibung

Sieben Versuche. Sieben Tage. An einem von diesen Tagen muss Natas, der Sohn von Luzifer, es schaffen, eine gute Tat zum Wohle anderer zu vollbringen. Erst dann soll er seinen eigenen Sohn Leamas von Gott zurückerhalten, der ihn entführen ließ, um aus ihm einen neuen Messias zu machen. Unterstützung erhofft sich Natas dabei von seinem dämonischen Diener Imp und Leni, einer jungen Frau, die schon früh Sympathien für den Teufel hegte. Doch dumm nur, wenn die meisten Versuche derart ungeschickt verlaufen, dass dabei sogar Todesfälle nicht ausgeschlossen sind. Während Natas versucht, seine Aufgabe zu erfüllen, sieht sich seine ebenfalls in den Himmel entführte Frau Mariella mit einem verlorenen Gedächtnis konfrontiert. Doch früh ahnt sie, dass etwas faul ist...

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Seitenzahl: 885

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ähnliche


Inhalt

VORWORT

PROLOG

Es begab sich aber zu der Zeit ...

NATAS

Alles nur geklaut

Es ist ein Junge!

GOTT SIEHT ALLES

Wünsch dir was

From Zero to Hero

Cloudwatching

DES EINEN FREUD, DES ANDEREN LEID

1 und 1 macht 3

Komm endlich zum Punkt

Der Plan Gottes

UND MORGEN HOLE ICH DER KÖNIGIN IHR KIND

Engel 007

Höllisch viel zu tun

Im Himmel ist die Hölle los

Vater, Sohn und das teuflische Kind

Der Himmel weiß, warum zur Hölle

BRIEFE VON LENI

Leni schreibt einen Brief

Eine Nachricht von Lorelei Lieblos

Lenis zweiter Brief an den Teufel

Lenis dritter Brief an den Teufel

Wenn der Postmann wirklich klingelt

Höllischer Teufel und wie er zu kontaktieren ist

In der Not liebt der Teufel Menschen

Luzifers Brief an Leni

Lenis letzter Brief

Alles oder nichts

DU SOLLST NICHT LÜGEN

Möge die Allmacht mit dir sein

Das Blaue vom Himmel

Der Beste von Allen

DIE RECHTE UND DIE LINKE HAND DES TEUFELS

Von Menschen und Teufeln

Nachts sind alle Katzen grau

Sie haben ihr Ziel erreicht

Es war einmal...

Die Geschichten vom kleinen Imp und Leni

DIE SEELE VON OMI AKBA

Omi Akba kommt in den Himmel

DIE GUTEN TATEN DER BÖSEN HÖLLE

Die Hölle muss draußen bleiben

Bete, dass der Herr ran geht

Sieben Tage

In einen hohlen Kopf passt mehr Wissen

FREUNDE ODER FEINDE?

Alles auf Anfang

Die Summe der Verluste

Vom Leithammel zum Neidhammel

Dagegen ist ein Kraut gewachsen

JEDEN TAG EINE GUTE TAT

Die Liste der Nächstenliebe

Die 1. gute Tat

Internetgemeinde

Die 2. gute Tat

Im knackigsten Alter

Der Wille war da

Die 3. gute Tat

Glücks-, Zu- und Mordfälle

DIE WURZEL DES BÖSEN

Bitte, Bitte, Bitte!

Besorg es ihnen

Schaffe, schaffe, Tränkle braue

Wie Schuppen von den Augen

Von Angesicht zu Angesicht

JEDEN TAG EINE GUTE TAT

Die 4. gute Tat

Die 5. gute Tat

Die 6. gute Tat

SO GOTT WILL

Verdammt

Die 7. gute Tat

Offenbarungen im Schutz der Hölle

Wie Phönix aus der Asche

Entweder, oder ...

Ein Date der etwas anderen Art

Haken dran

Neue Wege

EPILOG

Neuanfang

ZUGUTERLETZT

Nachwort und Danksagung

Über den Autor

Impressum

VORWORT

Lieber Mensch, der Du gerade meinen Roman in den Händen hältst,

zu­erst möchte ich Dir dafür danken, dass Du diesen (viel­leicht) zu er­werben be­absich­tigst, be­reits er­worben oder als Ge­schenk Zu­gang zu ihm ge­funden hast. Ich hoffe sehr, dass dieses Buch den Men­schen, die es ein­mal lesen werden, Freude und Spaß be­reitet.

Be­vor es los­geht (wobei das Vor­wort natür­lich auch über­sprun­gen werden kann) möchte ich gern noch paar Sätze zu diesem Buch ver­lieren.

Da­zu ge­hört das Ge­ständ­nis, dass ich weder christ­lich oder gläu­big bin, noch sonder­lich viel mit der Kirche zu tun habe. (Ich habe meine Berufs­aus­bil­dung bei einer kirch­lichen Ein­rich­tung ge­macht, aber das ist eine andere Geschich­te). Des­halb sage ich es frei heraus:

Ich bin vor eini­gen Jahren aus der Kirche aus­getre­ten und seit­her strik­ter Athe­ist. In meiner Fami­lie war es ein­fach so, dass man ge­tauft und später konfir­miert wurde, doch ich persön­lich bin ab­solut davon über­zeugt, dass es keinen Gott gibt.

An diesem Punkt kommt be­stimmt die Frage auf, warum ich dann einen Roman schrei­be, der sich doch sehr inten­siv mit dem Teufel, Gott und Engeln aus­einan­der­setzt. Zum Einen mag das daran liegen, dass ich mir auf­grund meines »Nicht­glau­bens«, die vielen klei­nen Frech­heiten er­laube, die in diesem Buch zu finden sind, denn ich be­fürch­te nicht, dass ich »jeman­den dort oben«, oder »jeman­den dort unten« auf viel­fäl­tige Art be­lei­digt habe.

Der zweite Grund liegt schlicht und er­grei­fend in meiner Fanta­sie und der Idee zu dieser Geschich­te be­grün­det.

Was mir fern­liegt, und das möchte ich mit aller Deut­lich­keit sagen, ist es, jeman­des Glau­ben oder An­schau­ung klein­zu­reden oder gar auf bös­wil­lige Weise lächer­lich zu machen. Ich ver­trete ab­solut die Mei­nung, dass jeder glau­ben darf und kann, woran und was er möchte und woraus er Kraft und Hoff­nung zieht. Und nur weil ich nicht an Gott glaube, be­deutet das nicht, dass ich auf andere herab­sehe, die es tun. Jeder darf seine eigene Über­zeu­gung haben – und das ist auch gut so!

Mit allem, was ich ge­schrie­ben habe, ver­suche ich nicht, irgend­welche Mensch­grup­pen zu be­leidi­gen oder mich daran bös­willig zu be­lusti­gen. Es ist sicher ein heik­les Thema, über einen miss­güns­tigen Gott, einen auf­sässi­gen Jesus und die Hölle zu schrei­ben. Doch da es sich nur um eine fik­tive Geschich­te han­delt, die ich un­be­dingt erzäh­len wollte, er­laube ich mir diese vielen … Frevel ;-)

Zu ande­ren Teilen meines Buches möchte ich er­wähnen, dass dort Figu­ren ent­halten sind, die ein­fach meiner Fanta­sie ent­sprun­gen sind und (zu­meist) keine realis­tischen Vor­bilder haben. Ebenso ist mir durch­aus be­wusst, dass viele Dinge, die ich be­schrie­ben habe, im wahren Leben nicht oder ab­solut nicht so zu­tref­fen können. Das sind jedoch meine schrift­stelle­rischen Frei­heiten und wenn sich jemand daran stört, dann stelle man sich doch bitte fol­gende Frage: Muss etwas 1 zu 1 wie aus dem wahren Leben ge­grif­fen sein, wenn man über die Hölle schreibt, die gute Taten erle­digen sollen, Gott, der Kinder ent­führen lässt und Engel, die ins fal­sche Fahr­wasser ge­raten?

Was ich damit sagen will: Es ist bloß eine Geschich­te.

Ge­nießt sie, ohne darü­ber nach­zu­denken, und habt ein­fach nur Spaß.

M. Helm­tag

02.03.2025

FÜR THOMAS

PROLOG

Es begab sich aber zu der Zeit ...

… dass ein Ge­bot von dem Kaiser Augus­tus aus­ging, dass alle Welt ge­schätzt würde.

Und diese Schät­zung war die aller­erste und ge­schah zu der Zeit, da Cy­re­ni­us Land­pfle­ger in Syrien war.

Und jeder­mann ging, dass er sich schät­zen ließe, ein jeg­licher in seine Stadt …

… wäh­rend sich auch Joseph aus Gali­läa, aus der Stadt Naza­reth mit seinem schwan­geren Weib Maria nach Beth­lehem auf­machte, damit er sich schät­zen ließe, da ge­bar auch Ai­ram, eine Ge­liebte des Höllen­fürs­ten Luzi­fer, in einem ande­ren Land und in einem ande­ren Ort ihren ersten Spross.

Und es waren Ko­bolde in der­selben Gegend auf dem Felde, die hüte­ten des Nachts ihre Schaf­herde, die ihnen als Speise diente. Da trat Imp, der ver­trau­teste Dämo­nen­ge­hilfe Luzi­fers zu ihnen, und die Dunkel­heit des Teu­fels um­fing sie. Dro­hendes Un­heil er­war­tend fürch­teten sie sich sehr. Doch der Dämon sprach zu ihnen: »Fürch­tet euch nicht! Sehet ich ver­künde euch große Freude, die allem dämoni­schen Volk wider­fahren ist; denn heute ist ein Kind des Teu­fels ge­boren, wel­ches ist Na­tas, aus dem König­reich der Unter­welt. So macht euch auf den Weg: Ihr werdet finden, das Kind in Win­deln ge­wi­ckelt und einer lohen­den Krippe lie­gend.«

Und als­bald stie­gen da hinter dem Dämon die hölli­schen Heer­scha­ren auf, die lobten Luzi­fer und spra­chen:

»Ehre sei dem Teufel in der Hölle, und Hass auf Erden zwi­schen den Men­schen zu seinem Wohl­gefal­len!«

Und als die Dämo­nen von ihnen in die Hölle zurück­fuhren, spra­chen die Ko­bolde unter­einan­der: »Lasst uns nun gehen in die Unter­welt und die Geschich­te sehen, die uns der dunkle Fürst kund­getan hat.«

NATAS

Alles nur geklaut

- GEGEN­WART -

In dem be­schau­lichen deut­schen Dorf Hölle, das der Stadt Naila zu­ge­dacht und dem Land­kreis Hof in Bayern an­gehö­rig war, be­fand sich in­mitten des hiesi­gen Höl­len­tals ein An­wesen, das sich von der Ein­fach­heit der um­lie­genden Wohn­häuser in Aus­sehen und Größe un­ver­hält­nis­mäßig prunk­voll, wenn­gleich düster und wenig ein­ladend ab­hob. Das Ge­bäude be­saß zwei vor­dere Eck­tür­me und wirkte wie ein Schlöss­chen aus tief­dunk­len, rauen Stei­nen, in das ebenso schwarz ge­tönte Fens­ter­schei­ben ein­gelas­sen waren, die jeden Blick in das Innere zu­nichte­mach­ten. Auf jeder Dach­spitze der Türm­chen war ein eiser­nes Kreuz an­ge­bracht, das in beiden Fällen jedoch auf dem Kopf stand. Vor dem An­wesen war ein Vor­garten an­gelegt, in dem tief­rote und schwar­ze Rosen in ordent­lich dafür ge­pfleg­ten Beeten blüh­ten. Ein Zier­brun­nen stand da­zwi­schen, in dessen Mitte ein kobold­arti­ges Wesen hockte, dem das Wasser kraft­voll aus dem zahn­besetz­ten Maul ström­te. Weil sich viele Men­schen an dieser Optik stör­ten, brach­te es dem Brun­nen früh die ab­schät­zige Be­schrei­bung ›Der Gnom, der Kotz’ aus Wasser speit‹ ein.

Manch Be­wohner in Hölle fragte sich, ob die Teu­fels­hörner auf dem Orts­schild und die höl­zerne Teu­fels­figur an der Ecke Höllen­tal­straße nicht aus­reich­ten, um auf char­mante Art und Weise zu zeigen, in wel­chem Ort man sich hier be­fand. Böse Zungen be­haup­teten des­wegen (und viele davon nur ver­ängs­tigt hinter vor­gehal­tener Hand), dass sich in der ›Teu­fels­burg‹, wie sie unter den Ein­heimi­schen ge­nannt wurde, der Höllen­fürst höchst­selbst nieder­gelas­sen hatte. Um diese Unter­stel­lung noch hervor­zu­heben, ver­wies man außer­dem auf das gol­dene, stets polier­te Tür­schild, in das die Haus­nummer 666 ein­gra­viert war. Die ganze Illu­sion ver­puffte jedoch, als unter be­sagter Nummer nicht ›Luzi­fer‹, ›Teufel‹ oder ähn­lich Ein­deuti­ges als Haus­herr ein­gra­viert stand, son­dern der Fami­lien­name ›van de Ho­el­len‹. Die meis­ten Leute taten es spätes­tens dann als einen über­trie­benen Spaß rei­cher Nieder­länder ab, die es sich leis­ten konn­ten, sich der­maßen zu in­sze­nieren.

Wie es sich für wahr­schein­lich jedes Schlöss­chen ge­hörte, so ver­fügte auch dieses über ein von Feuer­knis­tern er­füll­tes Kamin­zimmer, in dem Na­tas van de Ho­el­len gerade mit über­geschla­genen Beinen in einem hohen, mit rotem Samt be­zoge­nen, Ohren­sessel saß. Er hielt eine Tasse Kaffee in der Hand. Kürz­lich be­kam er aus den USA ein Päck­chen, das den neu­esten heißen Scheiß in Sachen Kaffee­genuss ent­hielt und be­son­ders bei den Jugend­lichen dort sehr be­liebt war: Black-Hu­mour-Coffee. Ein Slogan auf der Ver­pa­ckung ver­sprach sinn­gemäß Fol­gendes: ›Hu­mour – Ist schwarz am besten‹. Na­tas ge­fiel das; er liebte Wort­spiele.

Nun tippte er un­gedul­dig mit dem Zeige­finger gegen das Por­zellan der Tasse, wäh­rend er nach­denk­lich den Mann an­sah, der ihm gegen­über saß. Er hielt ein Blatt Papier in seiner knubbe­ligen Hand und las gerade davon vor. Na­tas über­legte. Weit ent­fernt er­in­nerte er ihn an den klein­wüch­sigen Tattoo in dieser Fern­seh­serie ›Fan­tasy Is­land‹ aus den 70er- oder 80er-Jahren. Er hatte das­selbe paus­ba­ckige Ge­sicht und trug die Haare ebenso füllig und schwarz wie der Schau­spie­ler, dessen Name Na­tas par­tout nicht ein­fallen wollte.

Wie der Mann direkt vor ihm hieß, war ihm hin­gegen seit Jahr­tau­senden be­kannt.

»Imp?«, er­hob Na­tas das Wort. Seine Stimme klang ruhig und an­genehm. Imp blick­te auf.

»Ja, Herr?«

»Imp, als ich er­fuhr, dass meine Frau mit unse­rem Sohn schwan­ger ist, habe ich dir auf­getra­gen, unsere bis­herige Fami­lien­geschich­te auf­zu­arbei­ten. Du stehst schon fast zeit deines Lebens im Dienst der van de Ho­el­lens und bist meinem Vater immer treu er­geben ge­wesen …«

»Ja, Herr!«, unter­brach ihn der An­gespro­chene und zuckte mit den Ach­seln. »Bis er sich ent­schied, Schau­spie­ler zu werden und die Herr­schaft über die Hölle an Euch über­geben hat. Und jetzt … bin ich Euch treu er­geben.«

Na­tas nahm einen Schluck von seinem Black-Hu­mour und schmun­zelte inner­lich über die An­mer­kung zu seinem Vater. Die Leute aus den USA dach­ten noch immer, dass sie jeman­den namens ›Da­vey Will‹ für die Rolle des Anti­chris­ten in der Comedy­serie ›De­vil’s Exit from Hell‹ enga­gierten. Dass er die Rolle be­kam und sich darin selber spiel­te, wirkte nahe­zu wie ein Scherz. Über die Hand­lung ließ sich glei­ches denken, denn diese erzähl­te davon (wie schon der Serien­name an­kün­digte), dass der Teufel aus der Hölle aus­stieg.

Wie es der echte Teufel zuvor im echten Leben tat …

Na­tas schüt­telte den Kopf, um seine Ge­danken zurück auf das Wesent­liche zu lenken.

»Was du da gerade vor­ge­lesen hast … miss­fällt mir!«, sagte er ruhig.

Imp machte ein er­schro­ckenes Ge­sicht, was ihn an­ge­sichts seines ohne­hin schon jungen­haften Aus­sehens wirken ließ, wie ein ver­schreck­tes Schul­kind.

»Ja, Herr? Ich bin … ich bin un­tröst­lich, Herr!«

»Imp, was ich sagen will … Du warst dabei, als ich damals ge­boren wurde. Quasi … Ein Zeit­zeuge …«

»Wie wahr, mein Herr!«, fiel Imp ihm ins Wort.

»… Und den­noch … fällt dir nichts Besse­res für den An­fang unse­rer Fami­lien­geschich­te ein, als ein kurzer, ab­gewan­delter und äu­ßerst müder Ab­klatsch der Geschich­te um die Ge­burt des Sohns … Gottes?« Das letzte Wort press­te Na­tas hervor, als hätte sich etwas Ekli­ges in seinem Mund be­funden. Imp senkte be­schämt den Kopf.

»Es sind in den ganzen zwei­tau­send Jahren nun mal keine schrift­stelle­rischen Quali­täten an mir ver­loren ge­gangen, mein Herr …«, ent­schul­digte er sich. »Und ob­wohl mir das Be­stra­fen und Fol­tern der ver­damm­ten Seelen mehr liegt, so gab ich gleich­wohl mein Bestes. Ich ge­lobe Besse­rung, wenn Ihr mögt.«

Na­tas senkte die Tasse und lächel­te Imp ver­söhn­lich an.

»Sei nicht nieder­geschla­gen. Wir werden unsere Chro­nik schon irgend­wann zu Papier brin­gen, sodass jeder sie eines Tages lesen kann.« Na­tas ver­drehte die Augen und zeigte mit dem Daumen gegen die Zimmer­decke. »›Die über uns‹ haben es mit dieser Bibel schließ­lich auch ge­schafft.«

»Herr, so soll­tet Ihr nicht spre­chen. ›Die über uns‹ hören alles. Wer weiß, wie lange sich der Herr­gott noch die klei­nen Stiche­leien von­seiten der van de Ho­el­lens an­hört, ehe es einen ge­walti­gen Krach gibt. Es kommt schon einem Wunder gleich, dass es dieser gries­grä­mige Zau­sel­kopp dort oben Eurem Vater hat durch­gehen lassen, einen Nach­kommen zu zeugen. Und eines sei noch er­wähnt: Dass Euer ge­schätz­ter Vater nun in dieser US-Serie mit­spielt, hat die Laune des All­mäch­tigen ekla­tant weiter ver­schlech­tert. Da es nun immer mehr Leute gibt, die sich Luzi­fer zu- und von Gott ab­wenden, fühlt dieser sich mehr und mehr in seiner Vor­herr­schaft be­droht.«

Na­tas seufz­te und trank den letz­ten Schluck seines Kaf­fees.

»Dessen bin ich mir be­wusst, Imp. Wenn er den Men­schen jedoch öfter noch zeigen würde, dass er all­gegen­wärtig ist, dann würden diese nicht scha­ren­weise den Glau­ben an ihn ver­lieren. Sein Image-Prob­lem ist haus­ge­macht.« Na­tas zog die Schul­tern hoch und ließ sie gleich­gültig fallen.

Ein zartes Klop­fen an der Tür des Kamin­zim­mers ließen Imp und Na­tas auf­hor­chen. Ohne eine Ant­wort ab­zu­warten, steck­te eine junge Frau den Kopf zur Tür herein.

Sie hieß Ma­riel­la, sah aus wie Mitte zwan­zig, hatte blon­des locki­ges Haar, das ihr bis auf den Rücken fiel und Augen von einem inten­siven Meeres­blau. Sie waren von dich­ten, dunk­len Wim­pern um­geben und zarte Augen­brauen ver­liehen ihr ein vor­nehmes, nahe­zu engels­glei­ches Aus­sehen. Ma­riel­la trug ein boden­langes Kleid aus einem hell­blauen Stoff, der sie beim leich­testen Wind­hauch ele­gant um­spiel­te. Unter dem Kleid zeich­nete sich deut­lich der Bauch einer wer­denden Mutter ab. Als sie das Wort an Na­tas rich­tete, war der Klang ihrer Stimme sanft.

»Na­tas, Schatz! Hier bist du.« Sie sah Imp an und lächel­te ihm mit einem Kopf­nicken zu. »Imp.«

»Wie immer eine Freude, Mylady«, er­wi­derte dieser. Ma­riel­la blick­te zu Na­tas zurück.

»Schatz, ich unter­breche euch nur un­gern … aber es geht los. Die Frucht­blase ist ge­platzt. Das Kind kommt.« Na­tas’ braune Augen, in denen sich ohne­hin die ganze Zeit über die Flam­men des Kamins spie­gelten, fingen noch mehr an zu leuch­ten. Mit einem Satz war er auf­gesprun­gen und zu Ma­riel­la hin­gelau­fen, die sich von ihm in die Arme nehmen ließ.

»End­lich, Ma­riel­la! Wir werden end­lich Eltern! Ich werde sofort nach der Heb­amme schi­cken und dann bringe ich dich auf dein Zimmer.« Ma­riel­la lächel­te und nickte. »Imp«, wandte Na­tas das Wort an seinen Diener, »fahre hinab in die Hölle und sage Mit­ri­zia Be­scheid, dass die Ge­burt bevor­steht.«

»Sehr wohl, mein Herr! Dies ist ein denk­würdi­ger Tag! Der Sohn des Teu­fels be­kommt einen Sohn. Die Hölle hat ein Fest zu feiern.« Darauf­hin löste sich Imp in einer roten Rauch­wolke auf und war ver­schwun­den.

Ma­riel­la blick­te Na­tas in die Augen. »Wie recht er damit hat. Und dein Vater wird stolz auf dich sein.« Sie küsste ihn und krümm­te sich darauf­hin ge­quält zu­sammen. »Wir soll­ten gehen, die Wehen kommen«, sagte sie, als der Schmerz nach­ließ. Na­tas stützt seine Frau und ge­mein­sam gingen sie in die Schlaf­gemä­cher.

Es ist ein Junge!

Es war weit nach Mitter­nacht, als Na­tas und Imp hörten, wie Ma­riel­las Schmer­zens­schreie vom ersten Weinen des Neu­gebo­renen ab­gelöst wurden, das laut und kräf­tig aus dem Schlaf­zimmer drang.

Mit­ri­zia be­stand aus­drück­lich darauf, dass die beiden Herren doch bitte vor dem Zimmer warten soll­ten, da sie nur im Wege stün­den und ohne­hin nichts weiter für Ma­riel­la tun konn­ten. Seit Stun­den saßen oder liefen sie, vor Auf­regung und Un­gewiss­heit mit den Händen rin­gend, im Zimmer auf und ab. Imp war dabei mindes­tens genau­so auf­geregt wie Na­tas, stand ihm doch nach über zwei­tau­send Jahren er­neut die Ehre zu, die Bot­schaft über die Ge­burt eines neuen Teu­fels­kindes unter den Höllen­wesen zu ver­brei­ten.

Die Schreie des Kindes ver­ebbten all­mäh­lich und Na­tas kam es wie eine Ewig­keit vor, bis sich end­lich die Tür öff­nete und Mit­ri­zia heraus­trat. Sie war groß, schlank und be­saß langes schwar­zes Haar. Über ihrer an­nä­hernd weiß schei­nenden Haut lag ein roter Schim­mer wie Perl­mutt. An den Seiten ihres Kopfes wuch­sen zwei kleine Hörner hervor.

»Na­tas, ich gratu­liere dir zum Vater! Ma­riel­la hat einen pracht­vollen Jungen ge­boren. Es geht beiden gut.« Sie kam auf Na­tas zu, um­armte ihn fest und strich ihm freund­schaft­lich mit den Händen über den Rücken.

»Vielen Dank für deine Hilfe, Mit­ri­zia! Wen hätten wir Besse­res als Heb­amme haben können, als die Frau, die auch mich schon zur Welt ge­holt hat?«, sagte Na­tas lä­chelnd, als sie sich von­einan­der lösten.

»Ich wäre be­lei­digt ge­wesen, hätte dies jemand ande­res ge­tan«, sagte Mit­ri­zia zwin­kernd. »Geh end­lich hinein, ich weiß, dass du zu­tiefst un­gedul­dig bist. Doch nimm etwas Rück­sicht, deine Frau ist von der langen Ge­burt sehr er­schöpft. Ich werde in den nächs­ten Tagen regel­mäßig vorbei­schau­en, ob mit deiner Frau und deinem Kind alles in Ord­nung ist. Ach, und ich werde deinen Vater davon unter­rich­ten, dass sein Enkel ge­boren ist. Er hat im Moment ver­mut­lich genug damit zu tun, Dreh­bücher aus­wendig zu lernen, aber er wird es sich des­halb nicht nehmen lassen, sich um­gehend bei dir zu melden.« Gerade als sie im Be­griff war zu gehen, drehte sie sich noch ein­mal herum. »Na­tas, bei­nahe hätte ich es ver­gessen. Wie heißt der Kleine eigent­lich?«

Na­tas, der schon fast durch die Tür zu den Schlaf­gemä­chern ge­gangen war, blieb kurz stehen und lächel­te die Heb­amme an.

»Lea­mas«, antwor­tete er. Mit­ri­zia lächel­te zu­stim­mend und löste sich in einer Rauch­wolke auf. Na­tas sah Imp an und beide gingen leise sowie ehr­fürch­tig in das Schlaf­gemach.

GOTT SIEHT ALLES

Wünsch dir was

Hätte man ge­wöhn­liche Men­schen ge­fragt, wie es wohl im Himmel aus­sieht, so hätte die Mehr­heit ge­ant­wortet, dass es im Himmel wolkig-weiß sein müsse, dass auf jeder flau­schigen Wolke ein Engel in weißer Robe mit einer Harfe sitzt, und darauf glück­lich ein ›Hosi­anna‹ froh­lockt.

Hätte man hin­gegen einen Engel ge­fragt, ob es im Himmel tat­säch­lich so aus­sieht, dann hätte dieser ge­ant­wortet, dass diese Men­schen Sinn für ultima­tiven Kitsch hätten.

Einer dieser Engel war Nat­ha­niel. Hätte man von ihm jedoch wissen wollen, wie es im Himmel wirk­lich ist, so hätte er darauf keine uni­ver­selle Ant­wort geben können. Der Himmel sei für jeden Men­schen, der mit der Er­laub­nis des Apos­tels Petrus das Him­mels­tor durch­schrei­ten durfte, ein ande­rer. Jeder Seele, die an Gottes Tür an­klopf­te, wurde nach erfolg­rei­cher Auf­nahme­prü­fung (die im Wesent­lichen daraus be­stand, ein von groben Sünden be­frei­tes Leben vor­zu­weisen), ein eige­nes Wunsch­kon­zert der himmli­schen Heer­scha­ren ge­geben. Bei diesem konn­ten sich die ver­stor­benen Men­schen ein­malig über­legen, wie für sie der Himmel sein soll. Manch be­tagtes Mütter­lein hatte sich dabei einen großen Garten mit Häus­chen und un­zähli­gen Blumen ge­wünscht, manch armes Kind, das zu früh aus dem Leben ge­rissen wurde, wünsch­te sich ein Spiel­zimmer mit den tolls­ten Spiel­sachen, die es vor­her nie be­saß, und manch muti­ger Mann fragte be­reits, ob man denn nun im Himmel Sünde be­trei­ben dürfe und wünsch­te sich einen mehr­stö­ckigen Puff. Unter Um­stän­den, und nur wenn die Ge­stor­benen ab­solut frei von Sünde waren, kniff Apos­tel Petrus schon mal beide Augen zu und er­füllte ›dem Himmel nicht an­gemes­sene‹ Wün­sche. Jeder dieser Orte, die sich die Men­schen wünsch­ten, schweb­te schließ­lich als eige­nes klei­nes Uni­versum um den Palast Gottes, der auf einer Insel im hell­blauen Nichts trieb.

Da es den Ver­stor­benen nicht verbo­ten war, die ande­ren Himmel zu be­treten, herrsch­te an diesem Tag ein reger Engel­flug­ver­kehr. Dieser be­ein­träch­tigte Nat­ha­niel dabei, zügig zum Herr­gott persön­lich zu ge­langen, der ihn wegen eines Er­eig­nisses mit ›ab­solu­ter Not­wendig­keit zur Ab­hal­tung einer Krisen­sit­zung‹ heran­zi­tiert hatte.

Er holte kräf­tiger mit seinen Schwin­gen aus und er­höhte damit sein Flug­tempo. Kurze Zeit später setzte er ge­übt auf dem Boden der Herr­scher­insel auf, der mit weißen Marmor­flie­sen be­legt war, in denen man sich bei­nahe spie­geln konnte. Zügi­gen Schrit­tes ging er auf den ebenso aus Marmor er­rich­teten Palast zu.

Auf dem Dach des Bau­werks be­fanden sich meh­rere gol­dene Zwie­bel­dächer, die ihm einen orienta­lischen Ein­druck ver­liehen. An der Front­seite be­fanden sich hohe Säulen, die kleine ver­golde­ten Gravu­ren zier­ten, die Nat­ha­niel als Sym­bole für langes Leben und Weis­heiten aus aller Welt aus­machen konnte. Es be­fanden sich weiter­hin meh­rere offene Rund­bogen­fens­ter in den Wänden, die einen un­gestör­ten Blick in das Innere des Ge­bäudes frei­gaben. Von innen glomm ein gelb­golde­ner Schim­mer nach außen, der warm und ein­ladend wirkte.

Vor dem Palast waren meh­rere Engel damit be­schäf­tigt, eine große Grün­anlage zu pfle­gen, auf der weiße Bänke zwi­schen nied­rigen Hecken und Bü­schen von ab­solut gleich­mäßi­gem Wuchs stan­den.

Einen be­sonde­ren Blick­fang bil­dete ein kreis­förmig an­geleg­tes Feld, auf dem blen­dend weiße und strah­lend gol­dene Blumen wuch­sen, die man aus­schließ­lich in Gottes Garten finden konnte. Wegen ihrer Einzig­artig­keit taufte man die Pflan­ze auf den Namen ›Ho­li­ly‹, Hei­lige Lilie. Die Blumen be­saßen tiefe Kelche und sieben spitz zu­lau­fende Blüten­blät­ter. Aus den Kel­chen wuch­sen je­weils sieben feine Blüten­stem­pel wie dünne Bind­fäden. Die Blüten wieg­ten sich leicht in einem Wind­hauch, der sich früh­lings­warm an­fühlte, ob­wohl die Herr­scher­insel keine Jahres­zeiten kannte. Ein leich­ter Duft aus Honig ge­mischt mit dem Aroma von Rosen lag be­ruhi­gend in der Luft.

Als Nat­ha­niel an einem der ande­ren Engel vorü­ber schritt, winkte ihm dieser zu.

»Nat­ha­niel, wie schön dich zu­sehen. Du siehst ge­hetzt aus.«

»Sei ge­grüßt, Dar­iel«, sagte der An­gespro­chene und hielt einen Moment inne. »Ur­sprüng­lich sollte heute mein freier Tag sein. Doch ich wurde wegen drin­gender An­gele­gen­heiten außer­ordent­lich herbei ge­rufen. Es war der reins­te Stress! Man sollte denken, dass es die Ge­stor­benen in der Ewig­keit ruhi­ger an­gehen lassen, doch das Gegen­teil ist der Fall. Der halbe Himmel ist heute unter­wegs. Gibt Elvis dem­nächst ein Kon­zert? Es herrscht ein Ge­wusel wie beim Karten­vor­ver­kauf.«

»Nicht, dass ich wüsste«, gab Dar­iel zur Aus­kunft. Dann sprach er leiser weiter: »Wo wir jedoch gerade vom King spre­chen … Unsere Heilig­keit hat be­reits nach dir ge­fragt. Er tut­tert und zetert wie eine auf­ge­schreckte Pute. Irgend­was ist pas­siert, worü­ber er sich gar nicht mehr zur Ruhe kommt. Möchte zu gerne wissen, was ihn so in Auf­ruhr ver­setzt …«

»Viel­leicht gar nichts weiter. Du weißt doch, wie er ist. Wahr­schein­lich hat Petrus wieder mal einen aus­gefal­lenen Wunsch ge­neh­migt. Wo­mög­lich ein Schlaf­zimmer für einen Mann mit ›so Fotos‹ an den Wänden.« Nat­ha­niel malte mit Zeige- und Mittel­finger beider Hände Gänse­füß­chen in die Luft, zuckte mit den Schul­tern und ver­drehte die Augen.

»Was für ›so Fotos‹?«, fragte Dar­iel ah­nungs­los. Nat­ha­niel wand sich.

»Na so Fotos halt.«

»Werde deut­licher«, dräng­te Dar­iel. Nat­ha­niel seufz­te.

»Hupen­fotos«, zisch­te er.

Dar­iel schlug beide Hände vor den Mund.

»Nein!«

»Doch.«

Dar­iel schau­te be­trof­fen drein. »Der arme Mann … ich hätte mir statt lang­weili­ger Hupen wenigs­tens Fotos von nack­ten Brüs­ten an der Wand ge­wünscht.« Nat­ha­niel sah Dar­iel mit einer Mi­schung aus Mit­leid und Fas­sungs­losig­keit an. Für kurze Zeit war ihm ent­fallen, dass Dar­iel einer der weni­gen Engel war, dessen Heili­gen­schein nicht gerade zu den hells­ten unter den himmli­schen Heer­scha­ren ge­hörte.

»Wie dem auch sei«, sagte Nat­ha­niel lang­sam. »Ich sollte mich jetzt auf den Weg machen und den wahren Grund er­fahren. Wir sehen uns später. Möge der Schein der Heilig­keit wohl­wol­lend über dir leuch­ten, Dar­iel.«

Dar­iel er­wi­derte den Gruß und rich­tete sein Augen­merk auf ein Bündel ein­zu­pflan­zender Ho­li­lys.

»Hupen«, flüs­terte er ver­ächt­lich.

From Zero to Hero

Als Nat­ha­niel end­lich das Ein­gangs­tor zu Gottes Palast durch­schritt, emp­fing ihn sofort ein Ge­fühl inne­rer Zufrie­den­heit und Ruhe. So wie die Men­schen in ihren Kir­chen diese Ruhe finden konnte, war sie hier all­gegen­wärtig. Ledig­lich Nat­ha­niels Rüs­tung, die im Groben aus einem ver­zier­ten Brust­har­nisch, einem Waffen­rock, Sanda­len mit festen Bein­schie­nen, einem großen Rund­schild sowie einem Schwert be­stand, ver­ursach­te in gleich­mäßi­gem Rhyth­mus ein leises Klir­ren und Klap­pern.

Im Inne­ren des Ge­bäudes eilten einige ge­schäf­tige Engel in den weiten Gängen zwi­schen ver­zier­ten Säulen umher, die die hohe Decke stütz­ten.

Engel höhe­ren Ranges ge­statte man, hier im Palast zu wohnen. Hoch­rangig wurde man wäh­rend der Aus­bil­dung zum Erz­engel – doch auch nur dann, wenn man den ›Gold­flügel­status‹ er­reich­te.

Eine Aus­bil­dung zum Erz­engel dau­erte drei Jahr­zehnte, was in Engels­zeit­mes­sung eine über­schau­bare Spanne war. Mit jedem voll­ende­ten Jahr­zehnt, dem ein Engel seinem Aus­bil­dungs­ende näher kam, än­derte sich die Flügel­farbe von Bronze über Silber zu Gold. Die höchs­te Aus­zeich­nung waren schluss­end­lich die kraft­volls­ten Schwin­gen, die ein Engel tragen konn­ten. Sie strahl­ten das Licht Gottes aus und jede einzel­ne Feder be­saß einen Gold­rand, der zu­sätz­lich auf­fällig fun­kelte. Jedem, der einen Blick auf diese Schwin­gen werfen konnte, wurde un­miss­ver­ständ­lich klar, dass man es mit einem von Gottes wich­tigsten Engeln zu tun be­kam.

Nat­ha­niel be­fand sich im letz­ten Drit­tel des ›Silber­flügel­status‹. Noch einige Jahre trenn­ten ihn davon, einer von diesen höchs­ten Engeln zu werden, denen es zu­stand, das Wort Gottes zu über­brin­gen und in seinem Namen in welt­liche Dinge ein­zu­grei­fen. Nat­ha­niel war seit Beginn seiner Aus­bil­dung einer der ehr­geizigs­ten Erz­engel­anwär­ter, was dem All­mäch­tigen längst auf­gefal­len war. Zum Miss­fallen ande­rer Aus­zu­bil­denden be­vor­zugte Gott ihn darum für die Erledi­gung wich­tiger Auf­gaben. Einige der ande­ren Engel fühl­ten sich vom Herrn ver­nach­lässigt, hiel­ten aller­dings aus Ehr­furcht gegen­über seiner All­macht den Mund. Im Himmel galt es, sich wäh­rend der Aus­bil­dung ge­fäl­ligst selbst an­zu­stren­gen und nicht die ver­dien­ten Er­folge der ande­ren zu be­neiden.

Nat­ha­niel machte sich um Ge­rede keine Ge­danken und be­trach­tete jede seiner Auf­gaben als eine nächs­te Mög­lich­keit, dem Herr­gott zu zeigen, dass er für die Aus­bil­dung zum Erz­engel auf jeden Fall ge­eignet war.

Er durch­schritt die heili­gen Hallen und nä­herte sich dem Zent­rum des Palas­tes. Kurz darauf fand er sich in einem großen Saal wieder. In weißen Töpfen, die mit golde­nen Ver­zie­rungen ver­sehen waren, stan­den Palmen und andere Grün­pflan­zen. Der Boden be­stand aus makel­losem weißen Marmor, ein roter Tep­pich lag am Ende des Raumes, auf dem wiede­rum ein großer golde­ner Herr­scher­sitz mit impo­santen Ver­zie­rungen und rechts dane­ben ein klei­nerer, nicht minder ex­klusi­ver Thron stan­den.

Auf dem klei­neren Thron saß ein voll­bärti­ger Mann mit langem brau­nen Haar, das von einem Heili­gen­schein über dessen Haupt glänz­te. Auf der Nase des Mannes saß eine Sonnen­brille mit golde­nem Ge­stell und runden grünen Glä­sern, die Stirn zierte ein Stoff­band, das um den Kopf ge­legt war. Er trug eine braune Teddy­fell­weste, auf die eine gelbe Hand ge­stickt war, die ein Vic­to­ry-Zei­chen machte. Da­runter trug er ein weißes T-Shirt. Seine Beine steck­ten in schlab­berigen brau­nen Stoff­hosen und an den Füßen be­fanden sich luf­tige Sanda­len. Um den Hals bau­melte eine lange Kette, an deren Ende ein Pea­ce-Zei­chen hing. Durch die ge­färbte Sonnen­brille starr­te der Mann nach­denk­lich auf ein langes Stück Papy­rus, das sich bis zum Boden er­streck­te und dort zu einem klei­nen Häuf­chen an­wuchs.

Nat­ha­niel nä­herte sich dem Mann, doch als dieser ihn nicht be­merkte, ver­schränk­te er die Arme hinter dem Rücken und räus­perte sich vor­sich­tig.

»Sei ge­grüßt, Jesus! Wie ich sehe, steckt deine Nase wieder tief in der Arbeit?«

Jesus blick­te auf, be­sann sich kurz und ließ ra­schelnd den Papy­rus sinken. Als er an­fing zu spre­chen, klang seine Stimme fast etwas ge­lang­weilt und seine Worte ge­dehnt.

»Nat­ha­niel! Bitte ver­zeih, Mann. Ich bin zu­tiefst empört, Mann.«

»Über meine Stö­rung?«

»Nicht doch, nicht doch, Mann«, sagte Jesus und we­delte mit einer Hand, als wollte er eine läs­tige Fliege ver­trei­ben. »Über das, was ich hier lese.« Jesus zeigte auf das Papier und schlug ein paar Mal sachte mit dem Hand­rücken da­gegen.

»Dies ist ein ur­altes Schrift­stück, das mir kürz­lich, sagen wir, von einem deiner Mit­aus­zu­bil­denden zu­ge­spielt wurde. Kannst du dir vor­stel­len, dass dieser Ein­falts­pinsel Pon­tius Pila­tus nach meiner Hin­rich­tung darü­ber nach­ge­dacht hat, die Leute künf­tig mit Hohl­kreu­zen zu ver­sorgen? Zieh dir das rein, Mann! Die soll­ten viel weni­ger wiegen als mein Kreuz von damals. Hohl­kreuze … in stabi­ler Leicht­bau­weise und damit gesün­der für den Rücken.« Jesus schüt­telte fas­sungs­los den Kopf.

»Nun, der Fort­schritt kannte schon damals kein Halten«, merkte Nat­ha­niel vor­sich­tig an.

»Na wie dem auch sei, Mann. Is’ lange her.«

Nat­ha­niel zog die Augen­brauen hoch.

»Heißt das, du bist darü­ber hinweg, dass man dich ans Kreuz ge­nagelt hat?«

»Ach klar, Mann«, sagte Jesus und machte eine weg­wi­schende Hand­bewe­gung. »Immer­hin«, er­gänzte er, »kann ich jetzt dafür faul bei Paps im Palast sitzen, an­statt Wasser in Wein zu ver­wan­deln, vier­zig­tau­send hung­rige Mäuler zu stop­fen, Wunder zu voll­brin­gen und Huren vor Steini­gungen zu be­wahren.«

»Es er­weckt den Ein­druck, als wärst du nicht mehr auf die Nächs­ten­liebe be­dacht, wie früher«, sagte Nat­ha­niel nach­denk­lich.

»Was juckt mich mein Ge­schwätz von ges­tern, Mann? Die ganze Geschich­te hat doch nur ge­zeigt, dass die Men­schen un­belehr­bar sind, egal wie sehr man ver­sucht sie zu lieben. Des­halb habe ich es auf­gege­ben.«

»Aber du könn­test es. Du hast die Mittel und die Wege da­zu. Hast du nicht den Flower­power aus­gelöst?«

Jesus atmete hör­bar aus und machte mit den Händen eine ent­schuldi­gende Geste in der Luft.

»Jo, Na­te … es war ein Ver­such, Mann. Aber ich bin Jesus, kein Krösus. Ich kann die Men­schen nicht mehr mit un­end­licher Liebe be­rei­chern und damit ver­suchen, sie besser zu machen. Das klappt kurze Zeit viel­leicht, aber im Grunde werden sie immer schlim­mer. Die wer­keln flei­ßig am eige­nen Unter­gang. Tut mir leid. Da kann ich echt nicht mehr helfen, Mann. Außer­dem hab ich’s im Kreuz …«

Gerade als Nat­ha­niel etwas darauf er­widern wollte, kam eine Stimme näher, deren Laut­stärke merk­lich an­schwoll. Sie gip­felte schluss­end­lich in einem wüsten Ge­schimp­fe, das un­an­genehm in den sonst so ruhi­gen Gängen wider­hallte.

»Was ist da los?«, fragte Nat­ha­niel an Jesus ge­wandt. Der blick­te von seinem Papy­rus auf, dem er sich in der Zwi­schen­zeit er­neut zu­ge­wandt hat.

»Das? Ach, das ist nur Paps, Mann«, gab er zur Ant­wort und hob seinen Papy­rus vor die Nase. Nat­ha­niel wandte sich dem Ein­gang des Saals zu, durch den gerade ein toben­der Herr­gott rausch­te und ab­solut nicht den Ein­druck eines be­sonnen und güti­gen Herr­schers ver­mit­telte.

Im Gegen­satz zu Jesus’ äuße­rem Er­schei­nungs­bild, ent­sprach das des All­mäch­tigen dem, was man von ihm er­war­tete: Er trug ein langes, wal­lendes Ge­wand in heller Farbe, über dem eine rote Schär­pe quer von der linken Schul­ter ver­lief, die dort mit einem großen golde­nen Siegel be­fes­tigt war. Seine Füße waren un­be­schuht, das Haar weiß, ebenso sein langer Bart. So wie Jesus schweb­te über Gottes Haupt eben­falls ein strah­lender Heili­gen­schein. In diesem Moment ballte er die Hände zu Fäus­ten. Seine blauen Augen, sonst gütig und milde, blitz­ten ver­ärgert. Im nächs­ten Atem­zug er­fass­ten sie den Engel.

»Nat­ha­niel!«, rief er und wurde lang­samer. Dieser drück­te den Rücken durch, ver­schränk­te er­neut die Arme dahin­ter und deu­tete eine Ver­beu­gung an.

»Eure Heilig­keit.«

Hinter dem Engel ver­zog Jesus, sicher ver­steckt hinter dem Stück Papy­rus, das Ge­sicht zu einer Gri­masse und äffte Nat­ha­niel mit einem näseln­den »Nät, nät, nät« nach. Damit ge­dachte er jedoch nicht den Engel zu be­leidi­gen, son­dern wenig res­pekt­voll seinem Vater gegen­über zu sein. Gott war in­des vor Nat­ha­niel zum Stehen ge­kommen und ver­suchte, einen ruhi­geren Ton an­zu­schla­gen.

»Wie gut, dass du end­lich ein­getrof­fen bist. Es haben sich ernste Dinge er­eignet. Doch als wenn dem nicht meine aktu­elle Haupt­sorge gilt, musste ich mich erst um einen weite­ren Frevel küm­mern, der sich vor unse­rer Nase im Himmel ab­spielt. Und an dem mein Sohn in­direkt be­tei­ligt ist«, fügte er lauter zu und blick­te Jesus stra­fend an, der hinter seinem Papy­rus etwas in sich zu­sammen­schrumpf­te und diesen wie einen schüt­zenden Schild hoch­hielt.

»Möch­tet Ihr mich in Kennt­nis setzen?«, fragte Nat­ha­niel. Gott seufz­te und holte tief Luft.

»Petrus hat einem im Erden­da­sein voll­kommen un­auf­fälli­gem Neu­zu­gang eine Maria-Hua­na-Plan­tage ge­neh­migt. Nun ver­sorgen sich viele der einst so from­men Seelen – ein­schließ­lich meines Jesus – mit ›Ho­ly Shit‹ und feiern aus­gelas­sen Hasch-Mich-Partys. Zu Leb­zeiten keinen Sünder mimen, aber den Himmel zu einem Gangs­ters Pa­ra­di­se machen und die Sau zur ›Kno­cking on Hea­vens Door‹ raus­lassen …«

Jesus ließ sein Papy­rus sinken und kicher­te.

»Jo, Mann! Neu­lich haben wir sogar Bam­bule zu ›Thank God it’s Christ­mas‹ ge­macht. Mitten im Sommer.«

»So geht das aber nicht«, pol­terte Gott. »Ich dachte schon darü­ber nach, diese ab­trün­nigen Seelen in die Hölle ab­zu­schie­ben, aber damit täte ich nur Luzi­fer einen Ge­fallen. Außer­dem würde ich damit sugge­rieren, dass ich nicht Herr der Lage wäre. Ich habe schließ­lich einen Ruf zu ver­lieren.«

»Nun, Petrus be­nötigt wohl drin­gend mal ein Perso­nal­ge­spräch und neue Ziel­vor­gaben, was seine Arbeit be­langt«, mut­maßte Nat­ha­niel.

»Oder eine Fort­bil­dung«, über­legte Gott.

»Oder Urlaub, Mann«, schlug Jesus vor.

»Urlaub?«, frag­ten Nat­ha­niel und Gott gleich­zeitig und wand­ten sich ihm zu.

»Genau, Mann. Urlaub. Der Typ macht den Job schon seit Tau­senden von Jahren und wird be­stimmt noch bis zum Sankt-Nimmer­leins­tag dort als Pfört­ner sitzen. Der braucht mal ’ne Pause, Mann.«

Gott hob die Hand und fuhr mit den Fin­gern seinen langen Bart ent­lang, wäh­rend er über­legte. Kurz darauf ver­zog er das Ge­sicht und schüt­telte den Kopf.

»Kommt nicht in­frage. Als ich dir das letzte Mal er­laubt habe auf der Erde Urlaub zu machen, da hast du eine Hippie­bewe­gung aus­gelöst und bist seit­dem immer noch nicht wieder normal ge­worden. Sieh dich nur an. Wenn du nicht nackt, wie ich dich schuf, am Palast­pool liegst, klei­dest du dich un­mög­lich, redest wie eine leiern­de Hör­spiel­kas­sette und kiffst nicht nur auf euren Partys, son­dern auch heim­lich auf deinem Zimmer. Ja, ja, leugne es nicht! Ich weiß davon.«

»Ja, schon klar, Mann. Von wegen ›Gott sieht alles‹ und so«, gähnte Jesus und winkte ab.

»Also«, ver­suchte Nat­ha­niel ein­zu­schrei­ten, ehe zwi­schen Vater und Sohn ein Streit ent­bren­nen konnte, »möch­tet Ihr mich nun bitten, mich der Sache an­zu­nehmen, damit im Himmel wieder nor­male Zu­stände herr­schen?«

Gott blick­te ihn an und machte mit den Händen eine ab­wei­sende Be­wegung.

»Nein. Ich habe be­reits No­ta­riel ent­sandt. Sie wird sich darum küm­mern, dass die Maria-Hua­na-Plan­tage sicher ent­fernt und durch ein Kar­toffel­feld er­setzt wird, auf dem alle in­volvier­ten Seelen eine lange Straf­arbeit ver­rich­ten müssen. Um Jesus … küm­mere ich mich später aller­dings selbst.«

Wäh­rend Jesus er­schro­cken den Mund zu­sammen­kniff, ver­suchte Nat­ha­niel sich eine Ent­täu­schung nicht an­merken zu lassen, in­dem er höf­lich nickte.

»Den­noch wird es einen Grund geben, warum Ihr nach mir habt rufen lassen?«, fragte er. Gottes Mine ver­fins­terte sich.

»Ganz recht! Etwas, das diese Drogen­geschich­te weit in den Schat­ten stellt …«

Cloudwatching

Nur kurze Zeit darauf stand Nat­ha­niel stau­nend vor einer großen weißen Wolke, die Gott mitten im Raum er­schuf. Es kos­tete den All­mäch­tigen ledig­lich einige Hand­bewe­gungen, die Jesus aus dem Hinter­grund mit »Nicht schon wieder dieser obso­lete Zirkus­trick, Paps« und »Be­sorg dir end­lich einen ordent­lichen Flat­screen, Mann« kommen­tierte.

Gott igno­rierte ihn ge­flis­sent­lich und stand mit ver­schränk­ten Armen vor der Him­mels­erschei­nung, die mit leicht wabern­den Be­wegun­gen über dem Palast­boden schweb­te.

»Eure Heilig­keit, was ist das?«, fragte Nat­ha­niel.

»Das wirst du gleich sehen«, sagte Gott. »Schau genau hin.« Er machte einen Schritt auf die Wolke zu und klatsch­te zwei­mal in die Hände. Ein helles Licht flamm­te auf, ein Knis­tern wie von Elekt­rizi­tät lag in der Luft. Jesus be­schwer­te sich im Hinter­grund kurz über einen ›ab­arti­gen Ozon­geruch‹, als gleich darauf ein klares Be­wegt­bild in der Wolke er­schien.

Es zeigte das hüb­sche Ge­sicht eines durch­trai­nierten jungen Mannes, der wie Mitte oder Ende zwan­zig wirkte. Seine Haare waren zu einer moder­nen Un­der­cut­fri­sur ge­stylt; die Seiten waren kurz­ra­siert, oben­auf lang­gewach­sen und am Hinter­kopf zu einem Zopf zu­sammen­gebun­den. Die Farbe des langen Haars war auf­fällig. Nat­ha­niel fand, dass sie metal­lisch silber­grau wirkte. Den­noch passte sie aus­gespro­chen gut zu dem Mann. Im Ge­sicht trug dieser einen ge­pfleg­ten Drei­tage­bart. Sein Blick wirkte durch seine dunkel­brau­nen Augen, die von langen und dich­ten Wim­pern um­geben waren, warm­herzig und ein­fühl­sam. Just in diesem Moment ver­zog er seinen fein ge­schnit­tenen Mund zu einem Lä­cheln und legte damit per­fekte weiße Zähne frei. Er trug weiße Snea­kers, enge zer­ris­sene Jeans und darü­ber ein Hemd mit einem weiß-blauen un­regel­mäßi­gen Muster. Mit der rech­ten Hand hielt er ein mobi­les Tele­fon an sein Ohr und unter­hielt sich an­geregt.

Nat­ha­niel hätte ihn rein vom Äuße­ren als einen höchst attrak­tiven Mann be­schrie­ben.

Als Engel be­saß Nat­ha­niel zu­sätz­lich die Fähig­keit, neben der klar sicht­baren Er­schei­nung auch die Aura einer Person zu sehen, die sie wie ein schil­lernd bunter Schim­mer um­gab. Diese, die Aura jenes Mannes … Nat­ha­niel stutz­te. Sie war nicht so, wie er sie be­reits bei Mil­lionen von ande­ren Men­schen ge­sehen hatte. Sie war anders. Nicht bunt, son­dern schwarz, mit kaum sicht­baren weißen Fünk­chen wie ein feines Schnee­gestö­ber. Und alt. Un­sterb­lich.

Nat­ha­niel wusste, wen die Wolke ihm zeigte. Es han­delte sich um den hüb­schen Ab­kömm­ling des einst blen­dend schöns­ten Engels, den man vor Jahr­tau­senden mit dem Morgen­stern gleich­stell­te.

»Das ist Na­tas. Luzi­fers Sohn«, sagte er leise an Gott ge­wandt. Gott blick­te streng auf das Bild und nickte.

»Ganz recht.«

»Eure Heilig­keit, ich ver­stehe nicht ganz … Na­tas ist be­reits über zwei­tau­send Jahre alt. Ihr wisst seit seinem ersten Atem­zug von ihm, und Ihr habt ihn ge­duldet, da Ihr mit Jesus seiner­zeit selbst erst einen Spross in die Welt ge­setzt habt. Ist er plötz­lich Euer Prob­lem?« Gottes Ge­sicht ver­zog sich noch mehr.

»In­direkt. Schau weiter.«

Nat­ha­niel sah hin und be­kam bald darauf große Augen.

DES EINEN FREUD, DES ANDEREN LEID

1 und 1 macht 3

Das mobile Tele­fon, das Na­tas in der Hand hielt, gab einen pie­penden Ton von sich, als er den Knopf zum Auf­legen drück­te. Kurz noch leuch­tete das Dis­play, dann wurde es schwarz. Er legte das Tele­fon auf einem Schrank ab und ging zu Ma­riel­la und Lea­mas zurück ins Schlaf­zimmer, das er zum Tele­fonie­ren ver­lassen hatte.

Lea­mas lag ruhig schla­fend in einem klei­nen Bett­chen. Seine Hände, die zu Fäust­chen ge­ballt waren, lagen neben seinem Kopf. Na­tas stand einen Moment voller Stolz davor und sah zu, wie sein Sohn gleich­mäßig atmete.

Als Ma­riel­la ihm den Klei­nen zuvor in den Arm gab, hatte Na­tas so viel Angst davor ihn ver­sehent­lich zu zer­drü­cken, dass er in einer un­beque­men Hal­tung stock­steif da­stand und nicht traute, sich zu be­wegen. Ledig­lich seine Augen waren stau­nend (und tränen­feucht) über den klei­nen Lea­mas ge­wan­dert. Als dieser ein winzi­ges Baby­gähnen von sich gab, ver­spürte Na­tas auf der Stelle tiefe Zu­nei­gung und Be­schüt­zer­ge­fühle für das kleine neue Leben.

Ma­riel­la, die trotz der Ge­burt bild­hübsch aus­sah, schau­te er­schöpft lä­chelnd zu, wie Vater und Sohn sich kennen­lern­ten.

Schließ­lich stand Imp vor Na­tas und wünsch­te auch, end­lich einen Blick auf das Kind werfen zu dürfen. Na­tas ging un­behol­fen in die Hocke und ver­suchte Lea­mas so zu drehen, dass Imp ihn be­trach­ten konnte.

»Meinen Glück­wunsch, ihr beiden. Er ist wunder­schön«, sagte Imp und griff mit seiner klei­nen Hand nach einer der winzi­gen Hände des Kindes. »Und ich dachte immer, meine Finger­chen seien klein«, fügte er ge­rührt an.

Nach­dem Imp sich an Lea­mas vor­erst satt­gese­hen hatte, ver­abschie­dete er sich und ver­schwand wie zuvor in seiner Rauch­wolke. Dieses Mal be­gab er sich auf eine mehr­tägige Reise, um dem Dämo­nen­volk von Lea­mas’ Ge­burt zu be­rich­ten. Im nächs­ten Moment hatte neben­an das Tele­fon ge­klin­gelt. Na­tas legte seinen Sohn vor­sich­tig und liebe­voll in sein Bett­chen, ent­schul­digte sich bei seiner Frau und war für einige Minu­ten nach draußen ge­gangen.

Jetzt wandte er sich mit Mühe vom Kinder­bett­chen ab, legte sich leise zu Ma­riel­la und gab ihr einen Kuss.

»Es ist un­glaub­lich. Ich bin so glück­lich darü­ber, jetzt Vater zu sein, dass es sich an­fühlt, als müsste mir vor Stolz die Brust plat­zen.« Ma­riel­la setzte sich etwas auf­rech­ter hin und legte eine Hand an Na­tas Wange.

»Es geht mir ähn­lich.« Sie stieß einen be­lus­tigten Laut aus. »Lass uns sehen, ob wir immer noch stolze Eltern sind, wenn Lea­mas uns zu­künf­tig nachts aus dem Bett schreit.«

Na­tas ver­zog den Mund zu einem ge­quäl­ten Lä­cheln.

»Wohl wahr, aber auch diese Zeiten werden irgend­wann ver­gehen. Und viel­leicht wird er ja auch eines von den Babys, die nachts Rück­sicht auf Mami und Papi nehmen.« Er zwin­kerte und gab Ma­riel­la dies­mal einen Kuss auf die Stirn. »Das war übri­gens Dad am Tele­fon. Mit­ri­zia ist, sofort nach­dem sie hier fertig war, zu ihm ge­switcht und hat ihm die Frohe Bot­schaft über­bracht. Es ist ihm zwar be­fremd­lich, dass er jetzt Groß­vater ist, doch er be­glück­wünscht uns aufs Herz­lichs­te. Sobald er eine kurze Pause vom Dreh hat, kommen er und Mum uns um­gehend be­suchen.«

»Vielen Dank«, sagte Ma­riel­la. »Wie läuft es denn in Los An­geles?«

»Dad fühlt sich pudel­wohl dort. Die Dreh­arbei­ten laufen auch gut. Er gab aller­dings zu, dass er sich bei der Film­crew wohl ab und an arg zurück­halten muss, um denen nicht zu sagen, wie es in der Hölle wirk­lich zu­geht. Er reißt sich aber sehr zu­sammen. Schließ­lich soll ja auch nie­mand Ver­dacht schöp­fen.« Na­tas lächel­te. »Oh ja, und Mum macht die meiste Zeit Down­town un­sicher und gibt Dads Geld für Kla­motten aus, die viel zu teuer sind und die sie eigent­lich nicht braucht. Aber er lässt sie ihr Ding machen. So kann er in Ruhe der Arbeit nach­gehen und sie ge­nießt es, nicht die ganze Zeit in der Hölle ver­brin­gen zu müssen.«

Ma­riel­la nickte und legte ihren Kopf an Na­tas’ Schul­ter. »Das klingt nach einer wunder­vollen Zeit, die sie dort haben.«

Einen Moment schwie­gen beide. Kurz darauf hob Na­tas seine Stimme er­neut an.

»Schatz, ich …« Er brach ab. Ma­riel­la sah zu ihm auf.

»Ja?«

»Es ist so … ich … ich möchte mich ent­schul­digen.«

»Ent­schul­digen? Aber wofür denn nur?«

»Dass du wegen meines Vaters diese Schmer­zen bei der Ge­burt er­tragen muss­test.« Na­tas blick­te ihr in die Augen. Erst schau­te Ma­riel­la ernst, doch dann kicher­te sie.

»Wegen deines Vaters? Du meinst, weil Adam und Eva seinet­wegen aus dem Para­dies ver­trie­ben wurden und Gott Eva damit be­straft hat, dass sie unter Qualen Kinder ge­bären muss?« Na­tas nickte.

»Genau darum.«

»Aber Schatz!« Ma­riel­la nahm Na­tas Ge­sicht in beide Hände und blick­te ihm in die hüb­schen Augen. »Dafür musst doch du dich nicht ent­schul­digen. Fragen sollte man sich nur, was Gott sich dabei dachte. Ist es vor der Ver­trei­bung aus dem Para­dies je sein Plan ge­wesen, dass es mehr Men­schen als Adam und Eva geben soll, oder ist ihm das genau in dem Moment ein­gefal­len, als er zornig war? So nach dem Motto ›Was kann ich euch neben der Ver­ban­nung noch böses tun?‹.«

»Stellst du gerade die Schöp­fungs­geschich­te in­frage?«, fragte Na­tas er­staunt.

»Ach, Schatz, ich habe den leib­hafti­gen Teufel zum Schwie­ger­vater. Wie könnte ich dann das an­zwei­feln, was in der Schöp­fungs­geschich­te ge­schrie­ben steht?« Lea­mas zuckte in seinem Bett­chen kurz zu­sammen und gab ein klei­nes Schnau­fen von sich. Ma­riel­la lächel­te und nickte in seine Rich­tung. »Und was die Schmer­zen an­geht … wenn unser Sohn mir später mal frech kommt, dann werde ich eine von den Müt­tern sein, die sagen, dass er mehr Res­pekt gegen­über der Frau zeigen soll, die ihn unter un­end­lichem Leid ge­boren hat.«

Na­tas machte große Augen.

»So eine wirst du?«

Ma­riel­la grins­te ver­schla­gen.

»Ach, als ob …« Sie sah noch­mals zu Lea­mas herü­ber und gähnte hinter vor­gehal­tener Hand. »Ich könnte unse­ren wunder­hüb­schen Sohn die ganze Nacht be­trach­ten, doch ich fühle mich so aus­ge­laugt, dass ich nicht länger die Augen auf­halten kann. Ich werde etwas schla­fen.«

Na­tas nickte ver­ständ­nis­voll.

»Das soll­test du auch. Wenn es dir nichts aus­macht, werde ich hier neben dir auf dem Bett blei­ben und eben­falls etwas schla­fen. Die Zeit ist schon weit voran­geschrit­ten und morgen gibt es eini­ges zu erle­digen.«

»Darf mich in deinen Arm ku­scheln?«, fragte Ma­riel­la. Na­tas brei­tete seinen rech­ten Arm aus und seine Frau machte es sich bei ihm be­quem. Na­tas legte den Arm fest um sie und gab ihr einen langen Kuss.

»Ich liebe dich«, sagte er leise.

»Ich liebe dich auch«, antwor­tete Ma­riel­la mit be­reits zu­gefal­lenen Augen. Kurz darauf atmete sie in gleich­mäßi­gen Zügen und war ein­geschla­fen. Na­tas schau­te sie noch eine Weile an, ver­gewis­serte sich noch­mals, dass auch Lea­mas ruhig schlief, und schloss selber die Augen.

Komm endlich zum Punkt

»Na­tas ist selbst Vater ge­worden?«

Nat­ha­niels Stimme klang lauter als er be­absich­tigte und hallte im Thron­saal wieder. Vom klei­neren Thron her er­tönte die Stimme eines ge­nervt klin­genden Jesus.

»Sch-sch-scht, Mann! Ich ver­suche hier, in Ruhe zu lesen!«

»Das glaubst du ja wohl selber nicht«, gab Gott ebenso ge­nervt zurück. An Nat­ha­niel ge­rich­tet, sagte er:

»Ja, ist er. Sein Spross zählt erst wenige Stun­den. Und schau dir seine Aura an! Sie ist jetzt schon mehr der bösen Seite zu­ge­wandt, denn der guten.«

»Das ist mir auf­gefal­len. Bitte straft mich keinen Dumm­kopf, Eure Heilig­keit, doch was be­deutet das? Wie kann ein Kind, das gerade erst ge­boren wurde, schon der bösen Seite zu­getan sein? Es hat inner­halb der kurzen Zeit seines Da­seins nie­mals be­wusst oder auch nur unter­be­wusst einen Hauch der guten oder dunk­len Seite wahr­nehmen können.«

Gott setze gerade zu einer Ant­wort an, als sich Jesus er­neut von seinem Thron aus mel­dete und un­gehal­ten mit seinem rascheln­den Papy­rus we­delte.

»Na­te, Mann! Er ist der Sohn des Sohns des Teu­fels. Er ent­stammt der Blut­linie des Bösen. Es ist be­reits zum Zeit­punkt seiner Zeu­gung in ihm ver­anlagt ge­wesen.«

Gott nickte: »Aus­nahms­weise hat er mal recht.«

Jesus brei­tete die Arme aus und ver­beugte sich im Sitzen. Dabei rutsch­te sein Papy­rus kom­plett auf den Boden.

»Ver­dammte Hacke noch eins, Mann!«, ent­fuhr es ihm.

»Und schon ver­mas­selt es der Bengel wieder, in­dem er un­ge­niert in meinem Bei­sein flucht«, sagte Gott resig­niert und ver­schränk­te die Arme in­einan­der. Er sah Jesus dabei zu, wie dieser um­ständ­lich auf­stand und seinen Papy­rus auf­klaub­te.

»Du musst vor mir nicht auf den Boden fallen, du ana­chronis­tischer Knecht der Wort­er­fas­sung«, flüs­terte er leise und ließ sich plump zurück in seinen Thron fallen.

Gott zog miss­mutig die linke Augen­braue hoch und fragte sich, wie aus dem eins­tigen Mes­sias ein ge­lang­weil­ter, toll­patschi­ger Dauer­hippie werden konnte.

»Herr, forscht besser nicht nach den Ursa­chen dafür. Findet lieber eine Lösung.«

Die flüs­ternde Stimme von Nat­ha­niel drang wie aus weiter Ferne in Gottes Ohren. Erst all­mäh­lich wurde im be­wusst, dass der Engel ge­spürt haben musste, was ihm durch den Kopf ging.

»Ja«, sagte er lang­sam. »Ja, alles zu seiner Zeit. Doch erst zurück zum Wesent­lichen. Na­tas und seinem Sohn.« Gott räus­perte sich noch­mals, ehe er fort­fuhr. »Lange Zeit habe ich den Ge­danken von mir weg­ge­drängt, dass sich die Saat des Bösen immer weiter fort­pflan­zen könnte. Na­tas habe ich zu­ge­gebe­ner­maßen nur ver­halten und nach un­erbitt­lichen Ver­hand­lungen mit Luzi­fer akzep­tiert. Wir be­schlos­sen, dass Na­tas un­behel­ligt bei ihm und Ai­ram blei­ben durfte, wenn die Mensch­heit ab­solut nie­mals davon er­fahren würde, dass der Teufel eben­falls einen Nach­kommen ge­zeugt hat.« Gott seufz­te. »Und außer­dem ist Na­tas quasi mein Enkel. Ich dachte, dass Luzi­fer zu­min­dest etwas Gutes, das nicht ver­dorben ist, in seinem Da­sein zu­stande bringt. Doch das Böse ist auch in Na­tas von An­fang an ver­ankert. Nicht ein­mal der mensch­liche An­teil, den er von seiner Mutter ge­erbt hat, hat da­zu bei­getra­gen, dass das Dunkle in ihm be­deu­tend blas­ser wird. Aber wie es scheint, weiß er mit seiner Schat­ten­seite um­zu­gehen, denn bis­her war der Junge eher un­auf­fällig. Das ver­anlass­te mich bis­lang auch weiter­hin, die Füße still­zu­halten. Um Na­tas jedoch end­lich zu seiner dunk­len Seite zu be­kehren, hat sich Luzi­fer, ganz zu meinem Miss­fallen, nach neuen Be­schäfti­gungen um­ge­schaut und seinen Sohn ab­sicht­lich mit der Hölle allein ge­lassen. Er soll nun lernen, diese zu führen. Und all das, was der Teufel sonst noch so tut.« Gott zählte an den Fin­gern ab: »Ver­lei­tung zu Sünden, lügen und hetzen, Hass säen, fol­tern und knech­ten.« Dann zuckte er mit den Schul­tern. »Wenn Luzi­fer früher mal so rich­tig einen Kaspar ge­früh­stückt hat, dann fuhr er in irgend­welche Körper und machte sich eine gute Zeit mit den Be­sesse­nen.«

»Zu­min­dest so lange, bis die Leute vom Vati­kan zu einer Aus­trei­bung zu Be­such kamen«, wit­zelte Jesus vor sich hin. Gott schnauf­te.

»Wenigs­tens küm­merte sich jemand darum, diese armen Seelen wieder zu ent­teu­feln!«

»Ha!«, macht Jesus. »Wo du ja sonst nichts von den Pries­tern, Kardi­nälen, Päps­ten und wie sie nicht alle heißen, hältst.«

»Mein lieber Sohn, tu‘ mal nicht so neun­mal­klug!«, mahnte Gott.

Jesus hob die Hände zu einer be­schwich­tigenden Geste.

»Just say­ing«, grins­te er ge­lassen und wandte sich dem Papy­rus zu, den er noch immer in den Händen hielt.

Gott sah seinen Sohn noch einen Moment mit leicht zu­sammen­geknif­fenen Augen an, ehe er weg­blick­te und Nat­ha­niel Auf­merk­sam­keit schenk­te, der dem Wort­wech­sel schwei­gend lausch­te.

»Es tut mir leid, Nat­ha­niel. In letz­ter Zeit über­kommt mich ein­fach zu oft die Ver­ärge­rung über all die Dinge, die all­mäh­lich aus dem Ruder laufen. Ich lasse mich von meinem Zorn mit­reißen. Alles, was ich ge­schaf­fen habe, die Erde, die Men­schen und alles, was daraus und drum­herum ent­stan­den ist …« Gott schüt­telte be­trof­fen den Kopf. »Es ent­glei­tet mir.«

Nat­ha­niel machte ein mit­füh­lendes Ge­sicht.

»Und zu alle­dem kommt nun auch noch dieses Kind. Lea­mas. Ich glaube, wir drin­gen all­mäh­lich zum eigent­lichen Kern dieser Zu­sammen­kunft hier vor«, mut­maßte der Engel.

»Exakt. Ich muss all diesem ent­gegen­wirken. Für Frie­den auf der Welt sorgen. Die Men­schen da­zu brin­gen, wieder an mich zu glau­ben. Mich darum küm­mern, dass das Böse in Schach ge­halten wird. Und meinen Jesus wieder auf Kurs brin­gen, der mir aus un­bekann­ten Grün­den immer weiter ent­rückt.«

»Ich sitze höchs­tens fünf Meter weit weg von dir, Paps«, sagte dieser ge­lang­weilt, ohne auf­zu­bli­cken.

Gott stand kurz davor, auf die neuer­lich heraus­for­dernde Aus­sage zu reagie­ren. Ehe es da­zu kommen konnte, schüt­telte Nat­ha­niel den Kopf, hob beide Hände zu einer be­schwich­tigenden Geste und flüs­terte leise: »Nicht.«

Der Herr atmete hör­bar aus und ent­spann­te sich.

»Nun, dann …«, fuhr der Engel fort und legte nach­denk­lich Daumen und Zeige­finger ans Kinn. »Es gibt demzu­folge eini­ges zu tun. Wie ge­denkt Ihr, diese ganzen Prob­leme an­zu­gehen?«

Gott strich sich mit einer Hand seinen Bart ent­lang und kniff die Augen zu­sammen.

»Darü­ber habe ich mir be­reits Ge­danken ge­macht. Die Lösung, zu der ich schließ­lich ge­langt bin, ist so simpel wie genial.«

»Spiele ich denn darin eine Rolle?«, fragte Nat­ha­niel. Kurz darauf brems­te er seinen Taten­durst und fügte er­klä­rend an: »Mit Ver­laub, bis zu diesem Moment habt Ihr mich noch immer nicht um den ge­nauen Um­stand für mein Zu­gegen­sein er­leuch­tet.«

»Du spielst eine Rolle«, rückte der All­mäch­tige end­lich heraus. »Man kann sagen, eine wich­tige Rolle sogar.« Seine Augen blitz­ten und Nat­ha­niel hielt die Luft vor Span­nung an. Die nächs­te Mög­lich­keit sich zu be­weisen be­fand sich dicht vor seiner Nase und war regel­recht mit den Händen greif­bar.

Gott brei­tete die Arme aus und rief:

»Du wirst Na­tas’ Sohn ent­führen und zu mir in den Himmel brin­gen!«

Der Plan Gottes

Gottes Stimme ver­hallte all­mäh­lich im Thron­saal, doch in Nat­ha­niels Ohren klang sie nach wie ein hart­näcki­ges Echo. Sein Kopf war bis auf einen ein­zigen Ge­danken wie leer ge­fegt.

›Lea­mas ent­führen?‹

Er sah den All­mäch­tigen mit un­gläu­bigen Augen an, der einen leicht irren Ge­sichts­aus­druck an­genom­men hatte. Sein Mund war zu einem wilden Grin­sen ver­zogen, die Nasen­flügel bläh­ten sich und rote Fle­cken mach­ten sich in seinem Ge­sicht breit. Fas­sungs­los schau­te der Engel zu Jesus. Der nahm vor Schreck seine Sonnen­brille ab und glotz­te seinen Vater mit offen­ste­hendem Mund an.

»Eure Heilig­keit …« Nat­ha­niels Stimme klang heiser. Er räus­perte sich um­ständ­lich und star­tete einen zwei­ten An­lauf. »Herr! Das Kind … ver­schlep­pen?«

»Ganz recht, ganz recht!«, nickte Gott be­geis­tert. »Seiner hab­haft werden, es kid­nappen, steh­len, rauben, Mutter und Vater ent­reißen – nenn es, wie du willst.« Er ver­schränk­te die Hände hinter dem Rücken und wippte gleich­gültig auf den Füßen vor und zurück.

Nat­ha­niel war sprach­los. Jesus ge­wann als Erster seine Fas­sung zurück.

»Vater!«, sagte er steif. »Du wirst ent­schul­digen, dass ich das ein­werfe, aber wir sind doch hier nicht bei Rumpel­stilz­chen!« Gott sah ihn an und zuckte mit den Ach­seln.

»Wie auch? Wenn ich mich des Mär­chens kor­rekt ent­sinne, hätte ich der Mutter vor­her einen großen Ge­fallen tun müssen, durch den sie tief in meiner Schuld steht, nicht? Da hast du es! Ich habe keinen Ge­fallen ge­tan, ich will nur das Kind.«

»Das sind doch nicht die Mittel und Wege eines Gottes, Mann!«, gab Jesus schnei­dend zurück.

»›Gottes Wege sind un­ergründ­lich‹, sagt man so auf der Erde. Aber dieses Mal ver­folge ich einen ab­solut durch­dach­ten Plan«, er­klärte der All­mäch­tige ruhig und schlug mit der rech­ten Faust in seine linke Hand­fläche.

»Aber der Gott, an den die Men­schen glau­ben, würde keine Kinder steh­len, son­dern sie den Men­schen schen­ken«, ver­suchte Jesus es er­neut. Gott zeigte mit dem Finger auf Jesus und stach einige Male damit in die Luft.

»Dieser Teil kommt eben­falls – aber erst … später.«

Jesus schwieg per­plex und Nat­ha­niel war ver­wirrt.

»Herr, ich kann alle­dem nicht folgen.« Gott blick­te von Jesus zu Nat­ha­niel und zurück.

»Dann lasst es mich end­lich in Ruhe er­klären«, sagte er und warf Jesus einen war­nenden Blick zu. Dieser ver­drehte die Augen, zog es vor, nichts mehr zu sagen, und setzte lässig seine Sonnen­brille auf die Nase zurück.

Gott wan­derte ge­mäch­lich zu seinem Thron, ließ sich drauf her­nieder und legte beide Hände auf die ver­zier­ten Arm­lehnen.

»Es ist wie folgt«, fasste er zu­sammen. »Wir haben es seit ein paar Stun­den mit zwei männ­lichen Nach­kommen von Luzi­fer zu tun. Dies be­deutet, dass die Macht der Hölle er­neut ein Stück ge­wach­sen ist und es mit jedem zu­sätz­lichen Nach­kommen immer weiter tun wird.

Wäh­rend die Men­schen scha­ren­weise aus den Kir­chen aus­treten und nicht mehr an mich oder an Jesus glau­ben, be­kommt Luzi­fer durch seine al­berne Schau­spie­lerei fort­lau­fend wei­tere Fans. Diese idioti­sche Serie stellt den Anti­chris­ten immer­hin als harm­losen und ge­lang­weil­ten ›Aus­wande­rer‹ dar, der nur noch ab und an mal in ein paar Ärsche tritt. Außer­dem werde ich dort am lau­fenden Band durch den Schmutz ge­zogen und schlecht dar­ge­stellt. Das bleibt in den Köpfen der Men­schen hängen und fällt im Um­kehr­schluss auf mein tat­säch­liches ›Ich‹ zurück. Es herrscht eine immer größer wer­dende Ab­kehr von den An­hän­gern des Him­mels, wäh­rend die Hölle mehr und mehr Fans ge­winnt.«

»Gut. So weit, so nach­voll­zieh­bar«, nu­schelte Jesus. Er stütz­te den Kopf auf einer Hand ab und starr­te mit auf­merk­samem Ge­sichts­aus­druck vor sich hin.

»Wie ich zu meiner eige­nen Schan­de ein­geste­hen muss«, führte Gott weiter aus, »habe ich mir in der letz­ten Zeit keinen groß­arti­gen Hehl daraus ge­macht, was die Men­schen trei­ben. Ich sah zu, wie sie Atom­waffen bauten, ich sah zu, wie sie diese ein­setz­ten. Ich blick­te weg, als sich Größen­wahn­sin­nige zu Dikta­toren auf­schwan­gen und massen­weise Men­schen auf grau­same Arten in Lagern hin­rich­teten. Es interes­sierte mich nicht, wie Kriege über die von mir ge­schaf­fene Erde roll­ten, wie von mir ge­schaf­fene Krea­turen kom­plett vom Men­schen aus­gerot­tet wurden. Es war mir an­nä­hernd gleich, wie die Men­schen die Erde aus­beuten und ver­kommen lassen. Früher be­grüßte ich die Idee, dass ein Papst zum Ober­haupt der Kirche er­nannt werden und somit unter meiner An­lei­tung agie­ren würde. Doch statt diesen mit meinen Worten zu führen, tat ich der­glei­chen … nichts. Die Päpste be­nahmen sich zu­neh­mend selber wie meine Eben­bilder. Sie er­fanden Ge­rüchte und Sünden, die mit der Hölle be­straft würden und sie tun es noch. Sie wie­geln auf, sie hetzen. Und das alles in meinem Namen.«

»Der Ruf des all­gegen­wärti­gen und güti­gen Gottes wankt«, sagte Nat­ha­niel nach­denk­lich. »Ein Grund mehr für die Men­schen, sich von Euch ab­zu­wenden.«

Gott be­dachte ihn mit einem Nicken und Jesus stimm­te ihm zu.

»Die Men­schen glau­ben also, dass Paps den gesam­ten Plane­ten sich selbst über­lässt und kein Inte­resse mehr daran hat.« Jesus seufz­te kurz und sah er Gott an. »Und sie denken sich ›Vater, warum hast du uns ver­lassen?‹.«

»Die Erde und die Men­schen …«, sin­nierte Gott. »Sie waren für mich wie ein Spiel­zeug, das ein Kind an­fangs er­freut, an dem es aller­dings nach ein paar Tagen das Inte­resse ver­liert. Das muss wieder gut­ge­macht werden.«

»Wo wir gerade von ›Kind‹ spre­chen – wie passt dort nun der Sohn von Na­tas hinein?«, wollte Nat­ha­niel Be­scheid wissen. Gottes Miene hellte sich auf.

»Das ist doch ganz ein­fach. Ich werde das Kind in meine und Jesus’ Ob­hut nehmen. Ge­mein­sam werden wir ihm das Böse aus­trei­ben und ihn zu einem würdi­gen Chris­ten er­ziehen. An­schlie­ßend werden wir ihn auf die Erde schi­cken, wo er zu unse­ren Guns­ten missio­nieren wird. So wie Jesus es einst ge­tan hat. Und er wird der Welt fol­gende Kunde brin­gen:

›Merket auf, der Herr, der All­mäch­tige im Himmel, ent­sendet euch einen neuen Hoff­nungs­träger auf die Erde. Durch mich sollt ihr sehen, er ist mit und um euch, er wacht über all eure Taten und lässt euch in schwie­rigen Zeiten nicht im Dun­keln irren. Ge­boren aus der ab­solu­ten Fins­ter­nis machte er aus mir das neue Licht, denn sehet, euer Herr­gott hat die Kraft und die Herr­lich­keit, das Böse zum Guten zu wenden. Durch mich wird er euch nahe sein, denn ich über­bringe sein Wort und seinen Willen. Von Stund an werde ich der neue Hei­land sein und meine Taten sind seine Taten. Lob­prei­set den Herrn, denn er ist mit euch, in der Ver­gangen­heit, jetzt und immer­dar.‹«

Nat­ha­niel und Jesus hatten auf­merk­sam ge­lauscht. Beiden stand der Mund offen.

»Wow«, sagten sie gleich­zeitig.

»Das hast du dir alles in so kurzer Zeit aus­ge­dacht?«, wollte Jesus wissen, worauf­hin Gott stolz nickte.

Nat­ha­niel ge­stand: »Das klingt nach einem, aus Eurer Sicht be­trach­tet, hervor­ragen­den Plan. Doch über zwei Dinge mache ich mir Ge­danken. Punkt eins: Wie sorgt Ihr dafür, dass die Men­schen nicht denken, dass sich ein Spin­ner unter ihnen herum­treibt? Punkt zwei: Wie wird der Ponti­fex Ma­xi­mus darauf reagie­ren?«

»Nun, der nutz­lose Ponti­fex wird seinen Platz räumen müssen. Wo er bis­lang in meinem Namen sein Amt be­klei­det, wird Lea­mas an seiner statt amtie­ren. Im Vati­kan. Es gibt keinen besse­ren Ort dafür. Lea­mas wird von mir einen Heili­gen­schein er­halten, der ihn als eines meiner himmli­schen Wesen un­ver­kenn­bar macht. Und falls das nicht aus­reicht, dann werden wir noch tiefer in die Trick­kiste grei­fen. Ich glaube fest an meinen Plan und sein Ge­lingen.«

»Was ist mit Na­tas?«, warf Nat­ha­niel jetzt ein. »Er und seine Frau werden ver­suchen, ihr Kind zurück­zu­bekom­men!«

»Auch das habe ich be­dacht. Na­tas hat ebenso wie Luzi­fer per se keinen Zu­gang zum Himmel. Sie sind keine Licht­wesen, son­dern die Dunk­len, die Höllen­brut. Bei Lea­mas müssen wir etwas trick­sen, denn er ge­langt ebenso nicht ein­fach in den Himmel. Dafür brau­chen wir seine Mutter. Nur mit ihr zu­sammen schaf­fen wir es, die Ein­flüsse seiner Bös­artig­keit zu unter­drü­cken, um die Grenze zwi­schen Erde und Himmel zu durch­schrei­ten. Sie ist mensch­lich. In ihr sind das Gute, das Neut­rale und das Böse zu glei­chen Teilen vor­handen. Mir wäre es ge­nehm, wenn wir sie im An­schluss gleich sofort los­werden würden. In mir sträubt sich alles da­gegen, jeman­den im Himmel unter­zu­brin­gen, der zuvor mit dem Teufel pak­tiert hat. In Er­mange­lung einer besse­ren Idee werden sich statt­dessen einige Engel direkt darum küm­mern, dass ihre Er­inne­rungen an die Erde und das Kind aus­ge­löscht werden. Man wird sie statt­dessen glau­ben lassen, dass sie immer im Diens­te der Engel stand und aus­giebig mit Auf­gaben be­trauen.

Lea­mas hin­gegen wird um­gehend nach dem Ein­tritt in den Himmel zu einem Ritual der Rein­wa­schung ge­bracht. Nach einem aus­giebi­gen Bad sollte die Dunkel­heit so weit aus ihm ge­wichen sein, dass der Himmel für ihn kein Prob­lem mehr dar­stellt.«

»Wie aus­geklü­gelt ist das denn, Mann?«, über­legte Jesus laut von seinem Platz aus. Nat­ha­niel legte Daumen sowie Zeige­finger an sein Kinn und starr­te vor sich auf den Boden.

»Trotz, dass ich all die Über­legun­gen ver­stehen kann … etwas sträubt sich in mir, diesen ganzen Plan um­zu­setzen. Ich kann nicht ein­fach ein Kind mit­samt seiner Mutter ent­führen! Das ent­spricht nicht den Werten und Lehren, denen ich wäh­rend meiner bis­heri­gen Aus­bil­dung zum Erz­engel ge­folgt bin. Es ent­spricht nicht ein­mal irgend­wel­chen Werten und Lehren des Him­mels. Was ist mit den be­reits aus­gebil­deten Erz­engeln?«

Gott nickte und lehnte sich in seinem Thron zurück.