Zwischen Tag und Nacht - Matthias Lass - E-Book

Zwischen Tag und Nacht E-Book

Matthias Lass

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Beschreibung

Max Rothspon begibt sich auf eine fantastische Reise durch Realität und Traum, bei der er lernt, dass auch seine Träume Realität sind. Als seine große Liebe Kim Takimoto ermordet wird, wechselt er die Seiten aus "seiner Welt" in eine "neue Welt".

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Seitenzahl: 164

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

Zwei Freunde, Bier Mojitos und eine Telefonnummer

Wenn du träumst wechselst du die Welt

Faceless und der Duft von Frangipaniblüten

Der Verlust

Der Schmerz und die Ratlosigkeit

Das Paradies, Trost und Hoffnung

Die Normalität und die neue Welt

Neugierde nach dem Fremden

Eine neue Woche, ein neues Leben

Die Welt ist viel mehr als sie vorgibt zu sein...

PROLOG

Ein Mann steht auf einer Dachterrasse, über ihm der Himmel ist hell, aber farblos. Er lauscht dem Lärm der Großstadt, der dumpf zu ihm herauf hallt, während ein Luftzug mit seinem graumelierten Haar spielt. Sein Blick fällt auf das riesige Werbeplakat an der Hausfassade gegenüber, das mit dem Satz beginnt:

DIE WELT IST VIEL MEHR ALS SIE VORGIBT ZU SEIN.

Heute ist nichts mehr sicher, schuld sind die globalen Konzerne und die Großbanken, die gerne Spekulationsgewinne einfahren, aber schlechte Verlierer sind, so wie verwöhnte Kinder. Verlieren Sie, stehen Sie für den Verlust der Spekulationen nicht ein, sondern lassen diejenigen dafür zahlen, die am wenigsten mit den Bankmachenschaften zu tun haben. Den Steuerzahler im Allgemeinen, den der sich brav an alle Regeln hält.

Maximilian Rothspon hat für eine solche Bank gearbeitet und ist in der Bankenkrise gefeuert worden, weil andere, in der Hierarchie Höhere, nicht auf Ihre Boni verzichten wollten. Heute geht alles so weiter, als hätte es nie eine Bankenkrise gegeben, man hat nichts gelernt, gespielte Reue ist wieder in Arroganz umgeschlagen und man feiert wie eh und je Champagnerempfänge. Nur Leute wie Rothspon haben ihren Job nicht wieder, haben Schlafstörungen und Zukunftsängste, sie trinken den Schaumwein vom Discounter – und Rothspon für seinen Teil, kann gut damit leben. Max, wie seine Freunde ihn nennen, ist nun arbeitsloser Ex-Banker, dessen Frau sich von ihm getrennt hat, weil das Superapartment mit Blick über die Skyline und der zur „Uniform“ gehörende, schwarze SUV plötzlich weg sind, Luxusurlaube nicht mehr drin sind genauso wenig wie die Fünfhundert-Euro-Botten, die sie sich regelmäßig vom Gehalt ihres Mannes gönnte. Max sieht die Welt nun aus einer völlig neuen Perspektive und das im wahrsten Sinne des Wortes. Und dabei fing alles ganz unspektakulär an.

ZWEI FREUNDE, BIER MOJITOS UND EINE TELEFONNUMMER

Viele schlaflose Nächte und frustrierende Tage, in denen er sich selbst ständig hinterfragte, liegen hinter ihm. Was hätte er besser oder zumindest anders machen können. Er kam letztendlich immer zum Schluss: NICHTS. Mitten in der Nacht wach werden und nicht mehr einschlafen können, das kann zum echten Horror werden. Gerade wenn man dann aufstehen muss, ist man so gerädert, dass man kaum Antrieb findet und spätestens nachmittags um Zwei ist man so müde, dass man dann schlafen könnte. Doch so ganz langsam hat er das Gefühl wieder Boden unter die Füße zu bekommen, auch wenn er immer noch an Schlafstörungen leidet.

Der deprimierende, nasskalte Winter sollte sich so langsam dem Ende zu neigen, wenn man dem Datum im Kalender glauben schenken mochte, denn dort steht schon März. Aber er tut es nicht, es schüttet aus Kannen, die Stadt liegt blaugrau unter einem wildlederfarbenem Himmel. Die Ledersohlen seiner Schuhe sind durchgeweicht als er die rettende Türschwelle seines Lieblingsstraßenkaffees betritt. Hier hat sich wohl seit Jahren nichts geändert, es riecht immer nach einer Mischung aus Holz und frischem Espresso. Er kann gerade noch einen Platz ganz hinten in der Ecke am Fenster gegenüber der Bar ergattern. Max schält sich schnell aus dem nassen Mantel, trocknet seine Brille und wischt sie klar, jetzt erkennt er auch die freundliche Barfrau, die ihm ein Lächeln zuwirft. Er erwidert es gleich. Sein Blick schweift durch das volle Kaffee, es ist gerade mal 11:00 Uhr und sein Hirn formuliert die Frage: sind die hier auch alle arbeitslos oder haben die Urlaub? Schließlich ist es Donnerstag und nicht Wochenende. Eine Bedienung zerstreut diesen Gedanken noch bei der Entstehung mit der Frage: „Was darf’s denn sein?“ „Einen doppelten Espresso bitte.“

Draußen eilen Leute mit Schirmen vorbei von denen das Wasser läuft, Autos deren Scheibenwischer unermüdlich arbeiten, schieben sich Schritt für Schritt neben den „Beschirmten“ her. Eine Frau fährt mit einem breiten Kinderwagen auf einen Mann zu, der ihr entgegen kommt. Der Gehweg ist kaum breit genug, so dass der Mann in den knöcheltief mit Wasser gefüllten Rinnstein treten muss. Max denkt sich „...wir leben in der Zeit, in der die Autos und die Kinderwagen immer breiter werden.“ Das weiße Porzellan, das seinen doppelten Espresso enthält, wird klappernd auf den Tisch gestellt. Seine Gedanken beginnen zu kreisen. Nun ist er fast vier Monate ohne Job, es kommt ihm doppelt so lange vor, weil soviel passiert ist: der Auszug seiner Frau, die jetzt einen Flugkapitän liebt... er will sich das gar nicht vorstellen... andererseits hatte er sich ohnehin in ihrem Charakter getäuscht, sie war auf ein abgesichertes Leben in Luxus aus, es ging ihr nicht um ihn, es ging ihr nicht um Liebe. Jedenfalls zum Schluss nicht mehr. „Die kann ruhig bleiben wo sie will“, dachte er sich. „Ich möchte sie überhaupt nicht wieder sehen, wenn ich ehrlich bin“. Dann Auto, Wohnung, den Großteil der Einrichtung verkauft, der Umzug in seine neue, kleinere Wohnung, Innenstadtlage mit einem türkischen Supermarkt gegenüber, wo er nun die meisten seiner Einkäufe erledigt... heute ernährt er sich wesentlich besser als damals, denkt er sich und muss schmunzeln.

Hin und wieder trifft sich Max mit Oliver, einem ehemaligen Klassenkameraden. Einer der wenigen Freunde, die ihm noch geblieben sind. Sie ziehen dann gemeinsam durch nächtliche Clubs, was er sich nur leisten kann, weil er noch Erspartes hat und davon lebt wie ein Eichhörnchen. Allein dafür war es wohl gut jahrelang für eine Bank gearbeitet zu haben. Er ist jedenfalls froh, dass Gerd, sein Freund aus alten Schulzeiten, genau wie er Single ist. So kann er mit ihm gemeinsam ausgehen, ohne immer das Gefühl zu haben, das „Dritte Rad“ am Wagen zu sein oder bei Freunden mit scheinbar intakten Beziehungen zum Essen eingeladen zu sein und im Kreuzverhör über Beruf, weggerannter Frau und seiner Zukunft den Appetit zu verlieren.

In dem Mietshaus, in dem er jetzt im 2. Stock lebt, gibt es im Erdgeschoss einen kleinen Sushi-Laden, manchmal leistet er es sich dort zu essen. Zuletzt auch einmal mit Oliver, der ihn darauf aufmerksam machte, dass eine hübsche Angestellte des Öfteren interessiert durch ihre hübschen Mandelaugen zu ihm herüberblickte. Max dachte, Oliver zieht hin und wieder so eine Show ab, um ihn auf andere Gedanken zu bringen oder ihn zu verkuppeln... bei Oliver wusste man nie.

Er trinkt den letzten Rest Espresso, der ihm heute noch bitterer erscheint als der nasskalte Tag da draußen. Während dessen Max die „Großstadt-Choreographie“, hinter der mit Regentropfen gespickten Glasscheibe auf sich wirken lässt, geht er im Kopf seinen Plan für heute durch. Eine Bewerbung schreiben, Lebensmittel und Zahncreme kaufen...

Er beobachtet das System der Regentropfen auf der Scheibe, wie sie zunächst als Individuen an der Scheibe haften, dann zögerlich mit ihres gleichen verschmelzen, um so ruckartig nach unten zu fließen, noch einen und noch einen und noch einen anderen Tropfen mitzureißen, bis schließlich ein kleiner reißender Miniaturstrom entsteht, der in rasender Geschwindigkeit Richtung Boden eilt. Plötzlich schlägt jemand seinen Schirm gegen die Scheibe und lacht schadenfroh beim Anblick seines erschrockenen Gesichts. Es ist Oliver. Gerade hatte er noch an Ihn gedacht. Oliver schiebt sich durch das kaffeetrinkende, zeitungslesende und in Gespräche vertiefte Publikum zu Max hindurch. „Na, alter Freund... siehst aus wie ausgekotzt.“ „Danke für das Kompliment“ entgegne Max und denkt, dass man ihm wohl langsam seine Schlafstörungen ansieht. „Wie läuft’s hast Du inzwischen eine Einladung zu einem Jobinterview?“ „Nein, bisher nicht. Ich habe so langsam den Eindruck, mit 45 hat man die Altersschallgrenze in der Finanzwelt durchbrochen.“ „Gib nicht auf Max, das wird weitergehen, das passende Angebot wird kommen. Aber mal was ganz anderes... heute Abend gehen wir mal wieder ins „Blofeld“, das haben wir schon lange nicht mehr gemacht und außerdem bringt Dich das mal auf andere Gedanken.“ „Ich bin dabei, aber jetzt muss ich noch ein paar Sachen erledigen... wann meinst Du sollen wir uns treffen?“ „Ich klingele bei Dir um elf.“ „Also gut, ich freue mich, Olli.“ Als er sich den Weg nach draußen bahnte, keimt in ihm ein kleiner Funke Freude auf, Freude auf den bevorstehenden Abend mit seinem Freund Oliver.

Während er seine Bewerbung routiniert in den Computer hackt, läuft im Hintergrund ein Song von Chet Baker, eine „alte Kamelle“, aber er denkt sich, irgendwie passt die Musik gut zu diesem verregneten Tag. Er schließt den Briefumschlag mit dem Gefühl sein Tagessoll erfüllt zu haben und schaut vom Wohnzimmer in die verregnete Straße hinab. Drüben beim Türken prüft eine alte Frau, die ein regendichtes Kopftuch aus Plastik trägt, andächtig die Zitronen in der Auslage vor dem Schaufenster.

23:04 Uhr, es klingelt. Es ist Oliver. Max wirft sich nur schnell seine alte Lederjacke über, fährt sich rasch mit einer Hand durch seine grau melierten Haare, zieht die Wohnungstür, die auch mal wieder einen frischen Anstrich brauchen könnte, ins Schloss und eilt die knarzende Holztreppe hinunter. Da steht Olli, der ihn mit „Na Dottore!“ begrüßt. „Laufen wir, oder nehmen wir die U-Bahn?“ Oliver richtet kurz einen Blick in den Himmel und bemerkt: „Könnte 10 Minuten trocken bleiben.“ Der Dauerregen macht in der Tat eine Pause, nur die Straßen glänzen rau und reflektieren hier und da Fragmente bunter Schriftzüge von Läden und Lokalen.

Sie machen sich auf den abendlichen Weg, bis sie schließlich am Club Blofeld ankommen, der im Erdgeschoss eines herrschaftlichen Altbaus liegt. Das Gebäude hat einen etwas morbiden Charme. An einigen Stellen, ragen schmiedeeiserne Balkonbrüstungen aus dem roten Sandstein wie aus paradontösem Zahnfleisch, hier und da schaut das Mauerwerk verstohlen hinter dem Putz hervor. Der freundliche, ägyptische Türsteher kennt die beiden noch und begrüßt sie mit den Worten: „Euch habe ich schon lange nicht mehr gesehen, alles gut?“ „Ja, bei Dir auch alles klar?“ Und schon tauchen die beiden Freunde in die bassgeschwängerte, rot-orangene, feuchtheiße Atmosphäre des Clubs ein. Leute stehen im engen Gang zwischen der langen Bar und der Wand aus der nahtlos Kunststoffsitzflächen wachsen. Dieser schmale Gang führt direkt auf die Tanzfläche zu und in dieser Richtung werden die Menschensilhouetten immer dunkler und dichter im flackernden Gegenlicht. Max brüllt Oliver ins Ohr, dass er ihre Jacken zur Garderobe bringt, Oliver fragt Max stimmlos aber mit kurzer Geste, ob er auch ein Bier haben möchte. Max nickt und macht sich auf den Weg durch die dunklen Silhouetten in Richtung Strobo-Licht um die Jacken an die Garderobe zu bringen. Auf dem Rückweg durch die Menge, sieht er dass Olli schon zwei Stehplätze an der Bar klargemacht hat. Bevor sie mit den beiden eiskalten Heineken Bierflaschen anstießen deutete Olli auf zwei große Cocktailgläser Mojito neben ihnen: „Ich habe uns da gleich mal noch zwei Minz-Getränke machen lassen, die kleinen Bierfläschchen sind ja schnell leer.“ Die Biere waren tatsächlich schnell leer, denn beide stürzten sie auf den Durst herunter.

Sie tauschten sich über aktuelle Musik aus, über Kinofilme, die gerade liefen und auch über Leute, die sie beide kannten. Noch so einige Biere und Mojitos gingen über den Tresen. Irgendwann schoben sich beide durch die feiernden Menschen in Richtung Tanzfläche. Vor dem erhöhten Dj-Pult tanzen die Leute sehr dicht bei einander, jetzt fällt Max erst auf wie voll der Laden war. Eine Diskokugel projetziert hunderttausende, kleine weiß-silberne Lichtpunkte auf die tanzenden Körper, so dass Max die Assoziation von tanzenden Menschen in einer Schneekugel hat. Er nutzt die Zeit, die Oliver auf der Tanzfläche verbringt, um die Leute zu beobachten. Eine sehr attraktive Lady mit langen schwarzen Haaren tanzt schon fast exzessiv, mit geschlossenen Augen und einem Dauergrinsen auf den wohlgeformten Lippen. Ihr weißes Tank-Top verrät, dass sie keinen BH trägt – was sie sich durchaus leisten kann. Ob sie wohl eine junge alleinerziehende Mutter ist, die sich seit langem wieder einmal eine Babysitterin leisten konnte und jetzt hier den Abend ganz für sich genießt? Vielleicht. Das Tanzen hatte sie auf jeden Fall nicht verlernt, das beobachten auch andere Herrschaften, die genau wie Max am Rande der Tanzfläche herumlungerten. Gleich neben Miss Tank-Top tanzt ein Typ eher cool im sehr engen T-Shirt, damit auch jeder sieht, dass er an sieben Tagen der Woche im Fitnessstudio abhängt. Beim Stämmen der Gewichte stöhnt er wahrscheinlich wie Moby Dick, der von der Harpune getroffen wird, und wenn er nicht mehr kann, lässt er die Gewichte mit lauten Schlägen zu Boden plumpsen. Wie dem auch sei, heute Abend trinkt er, so glaubt Max, keine Eiweiß-Shakes. Hinter den im Strobo-Licht zuckenden Körpern steht im Halbschatten an der Wand ein komischer Kautz mit Hut. Die Krempe wirft einen tief, schwarzen Schatten über die Fläche, wo eigentlich ein Gesicht zu erahnen wäre. Max kann nicht erkennen wo er hinschaut, aber einen kurzen Moment hat er das Gefühl, dass „Humphrey Bogart“ ihn durch die Leute hindurch anschaut. Wahrscheinlich wirken so langsam die Biere und die stickige Luft, denkt sich Max. Er wird von dem Gedankengang losgerissen, als ihn eine Frau anrempelt, die den ganzen Abend ihren linken Arm in einem exakten 90°-Winkel hält, damit ihre Louis Vuitton Handtasche daran Platz findet. Sie läuft wirklich den ganzen Abend mit dieser Armstellung herum. Ob sie wohl auch so schläft, auf die Toilette geht, die Büroarbeit macht... jetzt ist sie zu ihren Freundinnen durchgestoßen – mein Gott, die haben alle drei die gleiche prothesenartige Armhaltung mit ähnlichen Handtaschen. Dann ist da diese Frau in den Enddreißigern. Sie hat kurze Haare und ein Gesicht mit feinen, sinnlichen Zügen. Sie tanzt mit geschlossenen Augen. Sie gibt sich der Musik und dem bunten Gewitter der Lichteffekte hin, die ihre Bewegungen wie kurze Momentaufnahmen oder Einzelfotos erscheinen lassen. Durch die langen, dunklen Wimpern ist nicht so recht auszumachen, ob die Augen wirklich geschlossen sind, oder ob sie doch noch etwas von der Außenwelt wahrnimmt. Ihr dezent lächelnder Mund verrät, dass sie sich geborgen und wohl fühlt. Sie scheint eins zu sein mit dem Rhythmus der Musik. Neben ihr tanzen zwei Kerle in völliger Ekstase, sie scheinen dass schon längere Zeit so zu machen, denn glänzend rinnt der Schweiß von ihren Stirnen. Max verwendet einen kurzen Moment, um zu hinterfragen, ob die beiden Kerle wohl ein Paar oder einfach nur Freunde sind. Da plötzlich überkommt ihn wieder das Gefühl, dass er von dem seltsamen Kerl mit dem Hut direkt angeschaut wird. Die Richtung stimmt, doch kann Max beim besten Willen durch die Lichtverhältnisse, die vielen Leute und die harten Schatten nicht erkennen, ob der Typ ihn anstarrt.

Olli kommt von der Tanzfläche, „komm’ ich organisiere uns noch einen Drink“. Beide bahnen sich wieder den Weg zur Bar. Oliver bestellt noch zwei Mojitos, während Max sich den Hals verrenkt, um einen Blick auf den seltsamen Typ mit Mantel und Hut zu erhaschen. Wer steht in einem so heißen Club mit Mantel und Hut herum? Doch Max kann ihn nicht ausmachen, so sehr er es auch versucht. Oliver hält ihm den Mojito vors Gesicht, „na, auf Brautschau?“ Max entgegnet: „Nein ich hatte so einen seltsamen Typ gesehen, im Mantel mit Hut...“ „Was hier in der Hitze? – Prost, darauf, dass Du bald wieder einen Job hast.“ Beide stoßen an.

Am nächsten Tag wacht Max schlagartig auf. Er ist schweißgebadet und rollt sich zur Seite, um auf den Retrowecker auf dem Nachttisch zu schauen. Es war schon 13:15 Uhr. Max sammelt seine Gedanken: „ Wow... da habe ich ja mal wirklich lange und tief geschlafen, aber irgendwie scheine ich ja etwas schlimmes geträumt zu haben, weil ich so sehr geschwitzt habe.“ Er lässt sich zurück ins Kopfkissen sinken und schaut auf die weiße Wand gegenüber. Dort projetziert das Sonnenlicht einen verzerrten Schatten des Fensters mit all seinen Streben und Einzelheiten. Max realisiert, dass seit Tagen endlich wieder einmal der Himmel ein sattes Blau zeigt und die Sonne strahlt. Er schlürft hinüber in die Küche, wo der Dielenboden einige knarrende Geräusche von sich gibt. Er schaltet die Espressomaschine ein und gleich darauf das Radio, das dezent, melodiösen, klavierbegleiteten Jazz von sich gibt. Am Küchentisch sitzend, lässt er einige Erinnerungsfetzen an den gestrigen Abend revuepassieren. Da kommt ihm wieder dieser seltsame Mann mit Hut und Mantel in den Sinn, dessen Gesicht er nie erkennen konnte. Seltsam, er war sich immer noch sicher, dass dieser Typ ihn ständig angestarrt hatte. Max geht ans Fenster, um sich von diesem Gedankengang zu lösen. Er sieht hinüber zum Obst und Gemüsegeschäft, wo Kunden prüfend vor den Früchten in Holz-und Plastikkisten stehen. Andere verlassen das Geschäft mit vollen Papiertüten. Fast zwei Uhr, dachte Max, Zeit was essen zu gehen. Die Espressomaschine piepst um zu signalisieren, dass sie bereit ist duftenden, goldbraunen Kaffee zu spenden. Max holt sich eine dicke, weiße Espressotasse vom Regal, mit der anderen Hand greift er eine passende Untertasse und beginnt sich einen starken Espresso zu bereiten. Ein Start in den Tag ohne eine Tasse Espresso ist in Max’ Augen ein Fehlstart. Er bemerkt im Sonnenlicht, dass seine Brille schmutzig ist, nimmt sie ab und reinigt sie mit dem Saum seines T-Shirts. In der Spiegelung seiner Brillengläser sieht er dass seine Haare in alle Richtungen vom Kopf abstehen. Zeit für ‚ne Dusche denkt er sich.

Frisch geduscht und rasiert überlegt er sich nach unten in das kleine Japanische Restaurant zu gehen, das ist im Erdgeschoss gelegen und er war dort schon längere Zeit nicht mehr. Max schlupft in seine Turnschuhe, zieht sich seine dunkelblaue Strickjacke mit den ledernen Ellbogenschonern über und verlässt die Wohnung. Als er die Glastür zur kleinen Sushi-Bar öffnet, wird er sofort aufs Freundlichste vom Inhaber, einem grauhaarigen, stämmigen Japaner und seinem Personal begrüßt. Ganz besonders freundlich kümmert sich Kim, die Tochter des Inhabers um Max, von der Olli immer so spricht, als würde sie ein Auge auf Max haben. Die Wände der Sushi-Bar sind in einem dunklen Grün gehalten, von denen sich japanische Schriftzeichen goldglänzend abheben. Abends wirken die Wände schwarz wie das Weltall und nur die Gäste sind vom Kerzenschein erleuchtet, als würden sie im Nichts sitzen. Es sind nicht besonders viele Gäste anwesend. Ein verliebtes Pärchen an einem Zweiertisch am Fenster und ein einzelner Mann an einem Tisch in der Mitte des Raumes. Der Bewirtungsbereich und die Toiletten sind von einem schmalen, aber 3 Meter langen Aquarium abgetrennt, in dem bedächtig kleine Goldfische hin und her schwimmen... eigentlich ist das doch eine chinesische Eigenart, denkt sich Max. Die Chinesen haben doch meist Aquarien mit Goldfischen oder Koi-Karpfen im Restaurant stehen... Da kommt Kim auf Max zu: „Wie geht es Dir Max, alles okay?“ „Ja bei mir ist alles okay und wie geht es Dir?“ „Du, ich war so was von erkältet... ich konnte nicht arbeiten gehen.“ „Kein Wunder bei dem Regen die letzten Tage,“ bemerkt Max und ist fasziniert von Kims schönen Augen. Sie sind typisch asiatisch in Mandelform und dennoch groß, schwarz und scheinen immer zu lächeln. Dazu hat sie eine kleine, feine Nase und einen schönen sinnlichen Mund, der durchaus einer Europäerin gehören könnte. Sie ist schlank, aber dennoch sehr weiblich geformt, was durch ihre meist schwarze, körperbetonte Kleidung unterstrichen wird. Auch heute trägt sie einen hautengen, feinen, schwarzen Rollkragenpullover und eine schwarze, äußerst gut sitzende Jeans. „Du hast Hunger, Max? Hast Du denn schon was gefunden?“ „Ja ich würde gerne eine Miso-Suppe bestellen, einen grünen Tee und das Kyoto Menü.“ „Sehr gerne.“ Flink und lautlos wie eine Feder begibt sie sich in Richtung Küche, während Max ihr nach sieht und denkt: „Wow, sie ist sehr attraktiv, ich würde zu gerne wissen, ob Olli recht hat.“

Während Max auf sein Essen wartet, schaut er in die Zeitung, die noch am Nachbartisch lag. Wie gewohnt blättert er zuerst zu den Stellenanzeigen, wo er aber heute nichts Passendes fin