Amors Hilfe - Dana Liebetreu - E-Book

Amors Hilfe E-Book

Dana Liebetreu

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Beschreibung

Der Schutzengel Daniel möchte seinem Schützling Carolina helfen, wieder Freude am Leben zu haben. Er denkt, dass eine neue Liebe ihr gut tut und bittet Amor um Hilfe. Doch so leicht, wie Daniel sich das dachte, ist es leider nicht. Amor ist nämlich nicht gleich Amor, und Menschen lassen sich nicht immer beeinflussen.

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Seitenzahl: 159

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Dana Liebetreu

Amors Hilfe

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Interview mit einem Engel

Danke

Impressum neobooks

Prolog

Begegnung auf der Parkbank

Es passiert zu einer Zeit, in der ich mit mir und der Welt unzufrieden bin - vor allem mit der Welt. Ich bin deprimiert, wütend und will mit niemanden etwas zu tun haben. In diesem Zustand laufe ich mal wieder früh am Morgen durch den leeren Park. Tagsüber vermeide ich das. Diese fröhlichen Menschen nerven mich.

Ich stampfe den Weg entlang. Es ist kalt und windig. Ich habe keinen Blick übrig für die bunten Blätter, die durch die Luft wirbeln. Ein Eichhörnchen springt vor mir über den Weg und erschreckt mich. Blödes Vieh, denke ich nur und laufe weiter.

Mein Ziel ist die Bank, die mitten im Park steht. Als ich dort ankomme, sitzt ein alter Mann darauf. Na toll, denke ich, nicht mal hier hat man seine Ruhe. Ich will schon vorbei gehen, da spricht mich der Typ an: „Setz dich doch. Du sitzt doch jeden Morgen hier.“

Ungläubig starre ich ihn an. Ich habe ihn noch nie gesehen. Ein heimlicher Spanner, oder was? Auch egal. Schlimmer als es gerade in meinem Leben zugeht, kann es eh nicht mehr werden. Also setze ich mich neben diesen komischen Alten.

„Was ist los mit dir?“, fragt er mich.

Ich schaue ihn kurz an. „Wen interessiert das?“

„Mich.“

„Ach ja? Und wer sind Sie?“

„Ich bin Daniel.“

Daniel, ja klar. Heißt man in diesem Alter Daniel? Die Daniels, die ich kenne, sind dreißig Jahre jünger.

„Aha.“

„Also? Was ist los?“

„Nichts. Lassen Sie mich in Ruhe, DANIEL!“

Ich betone seinen Namen extra, um ihm zu zeigen, dass ich ihm nicht glaube.

„Gibt es irgendetwas, was du noch glaubst? Oder setzt du voraus, dass dich jeder belügt?“

Meine Wut kocht wieder hoch. Ja, jeder lügt! Menschen, die nicht lügen, gibt es nicht.

Daniel beugt sich vor, stützt seine Arme auf die Knie und schaut mich an. Dabei lächelt er noch breiter. Ich schaue ihn sehr böse an, in der Hoffnung, dass er einfach geht. Aber den Gefallen tut er mir nicht.

„Du hast sicher Recht“, meint er, „jeder Mensch lügt mal. Aber meistens sagen sie doch die Wahrheit.“

Was war das denn? Ich hatte doch gar nichts gesagt! Oder doch? Meine Wut verwandelt sich in Verwirrung. Kann ich mich jetzt nicht mehr erinnern, was ich sage oder denke? Ich will gerade aufstehen und gehen, da hält mich der alte Mann am Arm fest. „Bleib bitte noch.“

Diese Berührung ist eigenartig. Ich kann sie gar nicht richtig beschreiben. Trotz meiner Winterjacke und eines dicken Pullovers darunter fühle ich eine Wärme und ein Prickeln auf meinem Arm. Irgendwie bin ich unfähig, aufzustehen.

„Wer sind Sie?“, flüstere ich.

Jetzt lacht er laut. „Daniel. Ich bin Daniel. Hab ich dir doch schon gesagt. Erinnerst du dich nicht mehr?“

„Und was wollen Sie von mir?“

„Nichts. Ich will mich nur mit dir unterhalten. Es ist so ein schöner Tag. Mit einer guten Unterhaltung wird er perfekt.“

Schöner Tag? Es ist kalt. Der Wind ist eisig. Wo, bitte, ist das ein schöner Tag?

„Was siehst du?“, fragt Daniel.

Hä?

„Bäume.“, antworte ich knapp. Was auch sonst? Das ist ein Park.

„Das ist ein guter Anfang“, freut sich Daniel, „wie sehen sie aus?“

„Ist das ein Spiel, oder was?“

„Ja. Ja, das ist ein Spiel. Und ich bitte dich, mitzuspielen.“

Okay, ich hab ja sonst nichts zu tun. Zu Hause wartet niemand auf mich. Also schaue ich mir die Bäume an. „Die Blätter sind bunt.“

„Bunt?“

„Ja. Braun, gelb, rötlich... Und sie fallen von den Bäumen. Wie jedes Jahr im Herbst.“

„Sie fallen von den Bäumen?“

„Sie fallen von den Bäumen. Ja. Was sonst?“

„Schau sie dir an!“

Fallen ist wahrscheinlich was anderes, denke ich mir. Ich sehe den Blättern zu, wie sie durch die Luft schweben. Auf dem Wind segeln. Tanzen. Das sieht lustig aus.

„Du lächelst.“ Daniel strahlt mich an.

Ähm, ja.

„Sorry.“, sage ich nur.

„Warum entschuldigst du dich?“

„Keine Ahnung. Kommt automatisch.“

„Du darfst dich doch nicht entschuldigen, wenn du glücklich bist.“

Und meine Wut kehrt zurück. „Glücklich? Ich? Wie kommen Sie auf diese bescheuerte Idee? Sieht jemand aus wie ich, wenn er glücklich ist?“

Wieder dieses laute Lachen.

„Was ist daran komisch?“, frage ich ärgerlich.

„Ich dachte ernsthaft, du kannst nicht so viele Wörter auf einmal sagen.“ Daniel schüttelt es vor Lachen, und irgendwie fühle ich mich veralbert.

„Hören Sie auf mit dem Quatsch. Sonst gehe ich.“

Ich hoffe, dass er nicht weiterlacht, denn ich will nicht gehen. Ich überrasche mich selbst. Seit Monaten vermeide ich jeden menschlichen Kontakt. Ich lasse mich nicht mehr verletzen, hab ich mir geschworen.

„Geht es dir so besser?“ Daniel lächelt nur noch.

„Was meinen Sie?“ Er verwirrt mich schon wieder.

„Allein. Ohne Freunde. Ohne deine Familie.“

Himmel, denke ich laut? Wie macht der das? Ich starre ihn wieder entgeistert an.

„Natürlich.“, sage ich bestimmt.

„So sieht du nicht aus.“

„Ich hab gelächelt. Haben Sie doch selbst gesagt.“

„Über den Tanz der Blätter. Wie sie durch die Luft segeln.“

Waren das nicht meine Gedanken vorhin? Jetzt reicht es aber.

„Wer sind Sie? Und sagen Sie nicht wieder ‚Daniel‘. Das hatten wir schon.“

„Wenn ich es dir sage, glaubst du mir ja doch nicht. Du hast ja beschlossen, niemanden mehr zu glauben.“

„Versuchen Sie’s!“, fordere ich ihn auf.

Jetzt verschwindet sein Lächeln und mit feierlichem Gesicht spricht er folgende Worte: „Ich bin dein Schutzengel.“

Keine Ahnung, wie viel Zeit vergeht, bis ich aus meiner Schockstarre erwache. Wer dreht hier gerade durch? Der alte Mann oder ich? Ich schüttele mich kurz. „Schutzengel.“ Das ist keine Frage, sondern eine zweifelnde Feststellung.

„Siehst du, du glaubst mir nicht. Aber es ist wahr.“

Ich glaube weder an Schutzengel, noch an Himmel und Hölle. Im Moment glaube ich nur, dass ich den Verstand verliere. Daniel sieht gekränkt aus. In der Nähe gibt es ein Seniorenheim. Ist er da vielleicht abgehauen? Ein seniler Alter, der sich für einen Engel hält? Flügel hat er jedenfalls nicht. Haha. Ich sollte jemanden anrufen, der ihn abholt. Andere Menschen sind mir zwar schnuppe, aber ich will nicht schuld sein, wenn der Alte hier erfriert.

„Es wird niemand vermisst.“, unterbricht Daniel meine Gedanken, „weder im Heim, noch sonst wo. Und es ist auch nicht so, dass Schutzengel mit Flügeln herumlaufen.“

Upps, er hat es schon wieder getan. Der Typ liest meine Gedanken. Verdammt, was soll das denn? Vielleicht schlafe ich noch und träume das nur?

„Was wollen Sie von mir?“, frage ich ihn.

„Dich daran erinnern, die Augen offen zu halten. Dich daran erinnern, zu leben.“

Er berührt meine Hand und sofort fließt eine angenehme Wärme durch meinen ganzen Körper. Ein eigenartiges Gefühl macht sich in mir breit. Ich kämpfe dagegen an, aber ich kann nicht verhindern, dass sich meine Augen mit Tränen füllen. Irgendetwas löst sich in mir, während Daniel meine Hand hält. Was ist das? Aufhören! Ich will das nicht!!

Ich weine, wie noch nie in meinem Leben. Ich rutsche von der Bank auf den Boden. Zwischen dem Herbstlaub sitze ich auf den Knien. Mein Körper zuckt bei jedem Schluchzer. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Als ich hochschaue, ist die Bank leer. „Daniel?“ Nur ein Flüstern kommt mir über die Lippen. Ich schaue mich suchend um. Wo ist er geblieben? „Daniel!“, schreie ich durch den Park. Keine Antwort. Keine Spur von dem alten Mann. Ich stehe auf, klopfe mir die Blätter von meinen Jeans. „Daniel, komm zurück!“ Mein Rufen ist leiser geworden. Ich weiß, dass er nicht zurückkommen wird. Ich weiß nur, dass er in der Nähe ist. Das spüre ich.

Nachdenklich mache ich mich auf den Weg nach Hause. Da sitzt schon wieder dieses Eichhörnchen am Wegrand. Ich bleibe stehen und sehe es an. Eine kleine Ewigkeit schauen wir uns in die Augen. Ich stecke meine Hände in die Jackentasche und fühle in einer der Taschen etwas, das sich wie Papier anfühlt. Ich ziehe es heraus und es ist ein kleines Tütchen. Ich öffne es, und darin befinden sich ein paar Haselnüsse. Ich schaue von der Tüte auf das winzige Tier und wieder zurück. Auf der Papiertüte sehe ich ein Bild. Es ist das Portrait des alten Mannes von der Parkbank. Ich nehme ein paar Nüsse heraus und lege sie auf den Weg. Sofort ist das Eichhörnchen zur Stelle und greift nach ihnen. In der Tüte finde ich ein Blatt Papier. Ich falte es auseinander und lese:

Egal, wie dein Leben dir erscheint - vergiss nie, das Schöne zu sehen. Es ist für dich da und wartet nur darauf, dass du dich darüber freust.

Verschließe dich nicht den Menschen. Schenke ihnen Vertrauen. Es wird immer wieder jemanden geben, der dir weh tut. Aber die meisten werden dich respektieren und lieben.

Wende dich deinem Leben zu, Carolina. Dein Leben braucht dich. Nur du kannst dafür sorgen, dass du glücklich bist. Du hast heute gemerkt, dass das Glück ganz winzige Augenblicke sind. Sie kommen manchmal einfach so. Doch meistens sind sie da, wenn du deinen Blick hebst. Das Glück wartet darauf, von dir entdeckt zu werden. Dafür ist es da.

Ich bin bei dir.

Dein Daniel

(der nicht versteht, warum alle Menschen glauben, ein Schutzengel hätte Flügel)

Eins

Daniel

Dieses Mädchen gehört definitiv zu meinen größten Herausforderungen. Sechs Monate sind vergangen, seit ich mich ihr zeigte. Sie glaubt immer noch, dass ich ein Hirngespinst von ihr war. Dennoch hat sie meinen Brief behalten. Fast jeden Tag liest sie ihn, und fragt sich, wie dieses Papier in ihren Besitz gekommen ist. Manchmal glaubt sie, dass irgendein Witzbold ihn in ihre Tasche gesteckt hat. Sie verliert den Glauben an mich. Was aber schlimmer ist, sie verliert den Glauben an sich selbst. Ich muss etwas unternehmen.

Sie fragen sich sicher, wie das so geht mit uns Schutzengeln. Ich wette, es gibt eine Menge Menschen, die nicht an uns glauben. Ich versichere Ihnen: Es gibt uns. Der Job ist hart, und manchmal versagen wir leider. Einige von uns nehmen es auch nicht so genau mit dem Beschützen. Die kriegen dann Ärger mit dem… Oh! Ich rede zu viel. Das ist ja alles streng geheim. Es versteht sich, dass wir im Hintergrund arbeiten. Wenn wir uns mal zeigen müssen, dürfen wir nicht sagen, dass wir Schutzengel sind. Ich weiß, ich habe Carolina das erzählt. Und ich kann Ihnen sagen, das hat mir eine Verwarnung eingebracht. Ich wäre beinahe runtergestuft worden. Was das bedeutet, wollen Sie gar nicht wissen. Davon abgesehen, darf ich es eh nicht verraten.

Nur so viel: Jeder Schutzengel hat ein kleines Gerät (ähnlich wie diese neumodischen tragbaren Computer, die Sie kennen), um seinen Schützling zu beobachten.

Ich sitze also jetzt hier in meinem Zimmer und schaue mal wieder Carolina zu, die sich gerade in ihrem Büro befindet und langweilige Zahlen in ihren Computer tippt. Sie hat schon ein paar Tage nicht mehr gelächelt. Das gefällt mir nicht. Aber sehen Sie selbst:

Carolina

Ich hasse das. Ich hasse das. Ich hasse das. Dieser Tag zieht sich mal wieder wie Kaugummi. Immer, wenn ich denke, ich bin jetzt durch mit diesen blöden Zahlen, kommt die Hartke und bringt mir eine neue Liste. Gut, dass heute Freitag ist. Noch zwei Stunden - dann hab ich diese elende Woche geschafft.

„Hey, Caro“, ruft mir Sabine zu, „was hast du am Wochenende vor?“

Himmel, ich erschrecke mich. Hab nicht damit gerechnet, dass Bine mich anspricht. Naja, eigentlich muss ich immer damit rechnen. Sie ist eine Quasselstrippe. Nur eben jetzt gerade, in diesem Augenblick, meine ich, habe ich es nicht erwartet.

Ich starre sie an. „Nichts.“

Was glaubt sie denn? Jeden verdammten Freitag stellt sie mir dieselbe Frage. Und jeden verdammten Freitag bekommt sie dieselbe Antwort. Warum sollte das heute anders sein?

„Komm doch nachher mit rüber ins Café.“

„Keine Zeit.“, antworte ich mürrisch. Sie soll mich in Ruhe lassen.

„Ich denke, du hast nichts vor.“ Bine lacht mich an. Das Schlimme an ihr ist ihr sonniges Gemüt. Sie nimmt nie etwas krumm. Sie ist nicht nachtragend, und sie denkt von allen Menschen (und Tieren) das Beste.

Würg. Das nervt.

Ich atme tief durch, in der Hoffnung, sie merkt, dass sie mir auf den Keks geht. „Ich muss nach Hause, Bine. Ich erwarte Besuch.“

Mit ihren großen blauen Augen schaut sie mich an. Dann erscheint ein leichtes Lächeln auf ihrem Gesicht, das mit jeder Sekunde wächst. Und auf einmal lacht sie laut. „Klar doch, Caro.“ Sie kriegt sich gar nicht ein. „Du erwartest Besuch. Ich kenn‘ dich jetzt wie lange?“

„Ähm… Ein knappes Jahr? Seit du in dieses ehemals friedliche Büro gestürmt bist und das Chaos mitgebracht hast.“

Ich bin unfair. Na und? Mir egal.

„Du meinst, in dieses ehemals langweilige, trostlose Büro.“

„Büros sind nun mal langweilig und trostlos. Das hier ist nur ein Job.“

„Fakt ist, dass du heute keinen Besuch kriegst. Caro, ich kenn dich nicht sehr gut. Aber ich weiß, dass du dich mit niemanden triffst. Schon gar nicht bei dir zu Hause.“

„Woher willst du das wissen? Spionierst du mir nach?“

„Nein. Natürlich nicht. Das bräuchte ich gar nicht. Also, kommst du nun mit? Auf einen Kaffee?“

Ich bin gerade dabei, mir eine Ausrede einfallen zu lassen. Doch Bine hält mein Schweigen für eine Zustimmung.

„Juchu“, jubelt sie, „das ist toll!“

„Was ist toll?“

„Dass du mitkommst. Ich freu mich so.“

Ähm…

Daniel

Sehen Sie, was ich meine? Carolina geht von Montag bis Freitag in ihr Büro und danach nach Hause. Sonst nichts. Kein Treffen mit Freunden. Kein exzessives Shoppen, wie andere Frauen das gern tun. Kein Kino. Kein Spaß. Von einem Freund mal ganz zu schweigen.

Dabei habe ich extra dafür gesorgt, dass Sabine Müller zu ihr ins Büro kommt. Verstehen Sie das nicht falsch. Frau Müller ist keine von uns. Sie ist ein ganz normaler Mensch, der einfach sehr lebenslustig ist. Im gleichen Alter wie Carolina, also Anfang vierzig. Ihr Schutzengel und ich hatten vereinbart, dass Sabine meiner Carolina auf die Sprünge hilft. Bisher ohne Erfolg. Doch heute scheint sich die Warterei ja mal gelohnt zu haben. Ich bin gespannt.

Carolina

Endlich Feierabend. Nur raus hier. Und bloß nicht Bine in die Arme laufen. Die grinste mich in den letzten beiden Stunden nur blöd an, stemmte ihre Faust in die Luft und schrie tonlos „Hurra“. Meine Güte.

Während der Computer runterfährt, räume ich meinen Schreibtisch auf, ziehe meine Jacke an, nehme meine Tasche vom Stuhl und drehe mich nach Sabine um - die verschwunden ist. Auch gut. Kann ich also ganz entspannt nach Hause gehen.

Ich verlasse das Büro, laufe die drei Etagen über das Treppenhaus hinunter - nicht, dass mir im Lift noch jemand begegnet und das dämliche Spielchen mit dem „Schönes Wochenende“ beginnt. Montage und Freitage sind hier ätzend. Montags wollen alle wissen, was man so gemacht hat an den beiden freien Tagen. Man muss sich Berichte von diversen Partys anhören. Oder von Familienzusammenkünften. Oder von Ausflügen. Wie langweilig.

Freitags dann dieses oberfröhliche Gequatsche von den bevorstehenden Plänen.

Wozu? Warum kann man sich am Wochenende nicht einfach zu Hause aufs Sofa legen, sich durch das öde TV-Programm quälen oder ein gutes Buch lesen? Warum muss man immer irgendetwas tun? Wie kann dieses ewige Hin und Her glücklich machen?

Mittlerweile bin ich unten angekommen und öffne die Tür nach draußen.

„Caro! Da bist du ja endlich.“

Mist!

„Du musst damit aufhören, mich ständig zu erschrecken, Bine. Wenn du mir ans Leben willst, mach es schnell und schmerzlos.“

„Ach, du wieder.“ Sabine hakt sich bei mir unter und zieht mich lachend mit nach rechts.

„Ich dachte, ich warte lieber hier unten auf dich.“, meint sie. „Nicht, dass du versuchst, abzuhauen.“

Genau das hatte ich vor. Beim nächsten Mal muss ich schneller sein.

Ich grinse sie ein bisschen schief an. „Okay, Bine. Einen kleinen Kaffee, und dann bin ich aber weg. Und dass das nicht zur Gewohnheit wird.“

Sie strahlt. Was auch sonst?

Wir laufen ein paar Hundert Meter die Straße entlang, bis wir zu dem kleinen Bistro kommen, in dem wir oft unsere Mittagspause verbringen. Das Kantinenessen ist noch schrecklicher als unsere Chefin. Wobei das kaum möglich ist.

Im Bistro, das ziemlich gut besucht ist, finden wir einen Tisch für zwei am Fenster. Wie romantisch, denke ich mir.

„Weißt du, was ich jetzt vertragen könnte?“, fragt Sabine.

„Du wirst es mir verraten.“

„Ja. Aber nur, weil du es bist.“ Sie kichert ein bisschen. „Ich könnte jetzt ein Glas Sekt vertragen.“

„Gibt es was zu feiern?“

„Jaaaa.“

„Und?“

„Ich hab dich endlich hierher gekriegt.“

Ach je. Hat die Frau keine anderen Probleme.

„Und das willst du feiern?“

„Jaaaa.“

Mir egal. Soll sie doch.

„Na denn.“

Die Bedienung kommt an unseren Tisch, und noch bevor ich was sagen kann, bestellt Sabine zwei Tassen Kaffee und zwei Gläser Sekt.

„Du willst es aber wissen, was?“, meine ich.

„Warum?“ Unschuldig schaut sie mich an.

„Zwei Gläser. Und es ist noch nicht mal dunkel.“

„Erstens, liebe Caro, ist ein Glas für dich. Und zweitens, darf man erst etwas feiern, wenn es dunkel ist?“

„Ich will aber keinen Sekt.“

„Ach komm, das eine Glas merkst du doch gar nicht.“

Was hat sie bloß vor? Wieso will sie mit mir trinken? Wenn ich nicht wüsste, dass Sabine einen festen Freund hat, würde ich denken, sie hat sich in mich verknallt.

„Hast du heute die Bluse von der Hartke gesehen?“, fragt Sabine.

„Die konnte man ja leider nicht übersehen.“ Jetzt muss ich doch grinsen. Frau Luisa Hartke, unsere Chefin, ist Anfang sechzig. Eine große, stämmige Frau mit wasserstoffblonden, hoch auftoupierten Haaren. Sie denkt wahrscheinlich, sie bleibt jugendlich, wenn man grelle Farben trägt. Das zeigt sich bei ihr im Gesicht, was dermaßen überschminkt ist, und in ihrer Kleidung. Heute war es eben diese grasgrüne Bluse mit den goldenen Knöpfen, die bestimmt einen Durchmesser von drei Zentimetern hatten. Die Knöpfe, nicht Frau Hartke. Deren Durchmesser… Lassen wir das.

„Ist sie eigentlich noch mit Hoffmann zusammen?“, fragt Sabine.

Ich starre mein Gegenüber schockiert an. „Wie meinst du das denn?“

„Hast du das nicht mitgekriegt?“

„Ich krieg nix mit, weil es mich nicht interessiert.“ Das stimmt. „Aber DAS würde ich schon gern wissen.“ Das stimmt auch.

Paul Hoffmann ist ein Mitarbeiter der kleinen Baufirma, in der ich arbeite. Er sorgt dafür, dass es immer genügend Aufträge gibt, damit ich immer fleißig langweilige Zahlen in den Computer eingeben kann. Sabine und ich sind in der Buchhaltung beschäftigt.

Paul Hoffmann, der darauf besteht, von jedem Mitarbeiter mit Du angesprochen zu werden, ist Mitte sechzig, ziemlich groß, schlank und für sein Alter wahnsinnig gutaussehend. Seine ehemals schwarzen Haare sind mit Silberstreifen durchzogen, was ihn schon fast sexy wirken lässt. Er ist die Geduld in Person und sorgt mit seinen lockeren Sprüchen immer für eine angenehme Stimmung.