Aqua Mortale. Ein Karlsruhe-Krimi - Petra Knauer - E-Book

Aqua Mortale. Ein Karlsruhe-Krimi E-Book

Petra Knauer

0,0

Beschreibung

Der Fund einer Leiche am Leopoldshafener Baggersee in der Nähe von Karlsruhe, bringt Elli Schönberg, eine ortsansässige Tierheilpraktikerin, und ihre beiden Hunde Miro und Pida in ernsthafte Gefahr. Aus einem harmlosen Spaziergang entwickelt sich ein Alptraum. Chris Holland, junger und dynamischer Hauptkommissar, wird sehr schnell persönlich in den Mordfall hineingezogen. Zwischen ihm und Elli knistert es heftig. Bald hat er alle Hände voll zu tun, um einen psychopathischen Mörder dingfest zu machen, der es offensichtlich auf das Leben der eigenwilligen Zeugin Elli abgesehen hat. Der Fund einer weiteren Leiche und ein Attentat halten alle Beteiligten auf Trab. Die Schauplätze wechseln vom mittlerweile umgekippten Leopoldshafener Baggersee, zum Landschaftsschutzgebiet um den Untergrombacher Michaelsberg, bis hin zu einer Fahrt auf dem Neckar bei Heidelberg mit einem Schiff der weißen Flotte. Während die Vierbeiner Pida und Miro den Fall schon längst gelöst haben, tappen die Menschen immer noch im Dunkeln, bis es beinahe zu einer weiteren tödlichen Katastrophe kommt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 383

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Titelseite

Über den Autor

Impressum

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Petra Knauer

AQUA MORTALE

Ein Karlsruhe-Krimi

Engelsdorfer Verlag Leipzig 2011

Die Autorin Petra Knauer wurde am 29.9.1963 in Heidelberg geboren.

Nach Grundschule und Gymnasiumsbesuch das Abitur 1983.

Danach ein kurzes Studium der Biologie, welches aber nach zwei Semestern abgebrochen wurde.

Es folgte ein abgeschlossenes Studium der Architektur an den Hochschulen Darmstadt und Karlsruhe. Seit 1992 Diplom Ingenieurin der Fachrichtung Architektur. Es folgten die Ausbildungen zur Tierheilpraktikerin und Groomerin.

Seit 1995 führt die Autorin eine eigene erfolgreiche Tierheilpraxis mit Hundesalon in Leopoldshafen in der Nähe von Karlsruhe.

Nebenher schreibt sie in jeder freien Minute Krimis und Kurzgeschichten.

2010 eine Zweitplatzierung beim Kurzkrimiwettbewerb des Röser Verlags Karlsruhe „Rabenschwarzer Boulevard“.

Besondere Interessensgebiete:

Lesen und schreiben, vorzugsweise Krimis

Aktiver Tierschutz

Fauna und Flora, besonders einheimische Orchideen

Musik, spielt Saxophon, Querflöte und Djembe, aktiv in zwei Bands und einem Orchester

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Copyright (2011) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

eISBN: 9-783-86268-536-3

Prolog

Reinhard Klug, Finanzbeamter im Ruhestand, war ein Frühaufsteher. Jeden Tag um fünf Uhr dreißig, Sommers wie Winters. So auch an jenem extrem warmen Maitag. Laut Wetterbericht sollten erstmals die 26 Grad Celsius überschritten werden. Ein idealer Tag also für Reinhard Klug, um schon früh zum Leopoldhafener Baggersee aufzubrechen.

Als passionierter Freizeitangler beschloss er, das Wetter zu nutzen, um den gesamten Tag dort zu verbringen.

Voller Vorfreude packte er sein Angelzeug in den Fahrradanhänger, ein Vesper für Mittags dazu, sowie seinen Lieblingsfrüchtetee, gekühlt selbstverständlich.

Da er auf keine Frau oder Freundin Rücksicht nehmen musste, stand seinem Angeltag nichts mehr im Weg.

Die Straßen waren an jenem Freitagmorgen noch leer, so dass er ohne störende Autoabgase und Verkehrslärm die Hauptverkehrsstraße von Eggenstein Richtung Leopoldhafen entlangfahren konnte.

Laut fröhlich vor sich hin pfeifend radelte er vorbei am Pfinzentlastungskanal, an der Ampelkreuzung links in die Leopoldstraße und dann immer geradeaus bis zum See.

Mittlerweile war es sechs Uhr dreißig, die ersten Frühaufsteher zogen die Rollläden hoch und Reinhard Klug grüßte sie im Vorbeifahren.

Dann noch über die kleine Brücke und schon lag rechterhand der idyllische, ruhige Baggersee mit dem Seglervereinsgelände.

Vorbei an den Seglern und weiter Richtung Angelstege zum nördlichen Teil.

Er war glücklich! Ein Tag in Stille und Frieden. Kein Stress, kein Ärger, keine Badegäste um diese Jahreszeit und vielleicht hatte er ja auch wieder Glück beim Angeln so wie beim letzten Mal, als er einen großen Hecht an Land gezogen hatte. Ein wahrer Festschmaus! Das hatte sich wirklich gelohnt.

Sein Lieblingsplatz war ein besonders breiter Steg mit Holzrückwand, die so schön die Sonne reflektierte. Da er stets früh dran war, gelang es ihm auch im Sommer fast immer, diesen Steg zu belegen, ehe die anderen Badegäste oder Angler es konnten.

Wie immer im Leben. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst! Ganz sein Lebensmotto.

Er bog um die Kurve, dann noch etwa zweihundert Meter weiter und da wurde auch schon der Steg sichtbar. Genauer gesagt erst mal nur die Rückwand. Er stellte am Wegrand sein Fahrrad ab und musste sich leider zum ersten Mal an diesem Tag ärgern: Bierflaschen, zerschlagene, liegen gelassene Bierflaschen! So eine Sauerei!

Direkt auf dem Weg, jeder konnte sich verletzen, die Fahrradreifen aufgeschlitzt werden. Eine ohnmächtige Wut bemächtigte sich Herrn Klugs, sein friedlicher Angeltag hatte schon einen Knacks erhalten.

Sein Baggersee und sein Angelplatz waren durch eklige Bierflaschen verseucht worden. Überhaupt Bierflaschen! Primitives Arbeitergesöff!

Er würde so etwas nie anrühren. Er atmete tief durch, um sich etwas zu beruhigen. Noch konnte der Tag gerettet und die Bierflaschen vielleicht entsorgt werden. Er hatte immer Plastiktüten dabei. Aber jetzt erst mal den Steg belegen.

Vorsichtig hob er sein Angelzeug vom Hänger und betrat die schmale Holzbohle, die zum Steg führte.

Er wollte gerade schwungvoll sein Angelzeug auf die Plattform wuchten, als er sah: da war schon jemand. Offensichtlich war ihm ein Badegast zuvorgekommen. Dieser bückte sich gerade zum Wasser hinunter, wohl um die Temperatur zu fühlen. Lächerlich! Im Mai war an Schwimmen nicht zu denken.

Herr Klug wollte ihn gerade ansprechen, als dieser etwas völlig Überraschendes tat. Er erhob sich, kam rasch auf ihn zu.

Herr Klug konnte gerade noch sagen: „Was machst Du denn hier, so früh am Morgen?“, da ergriff sein Gegenüber eine liegen gelassene leere Bierflasche, zerbrach diese an der Holzrückwand und zog sie mit einem blitzschnellen Ruck quer über Herrn Klugs Kehle. Er brach röchelnd zusammen, sein Blut spritzte heftig über die Holzplanken.

Dann umschloss ihn friedliche, schwarze Stille.

1.

Endlich! Das war ein verdammt langer und kalter Winter gewesen. Doch jetzt wärmten kräftige Sonnenstrahlen den frisch ergrünten Waldboden. Bärlauch verbreitete seinen knoblauchartigen Duft, Kuckucksblumen und Huflattich waren schon lange verblüht. Ackerschachtelhalme in Vorbereitung.

Stampf! Das Ende eines zarten jungen Triebes. Zwei Zentimeter daneben, stampf! Auch das Nachbarblatt vernichtet. Was sich für die Bärlauchtriebe ausnahm wie ein trotteliger Dinosaurier, war in Wirklichkeit – Miro.

Seiner Art nach ein etwas zu groß geratener Lhasa Apso Rüde.

Na ja, für einen Lhasa Apso hält ihn voller Stolz ja nur seine Dosenöffnerfreundin. Seine vierbeinige Freundin Pida, eine Pudel-Malteser- Dame, glaubt doch eher seine wahre charakterliche Herkunft zu kennen: ein dahergelaufener, eingewanderter, griechischer Straßenköter, der mit seiner frechen, dicken Nase überall herumschnüffeln muss. Eine echt nervige Landplage!

Noch im Teenageralter, nur Blödsinn im Kopf, keiner Rauferei abgeneigt und zudem noch extremst verfressen!

Was hat eine edle Pudelmischlingsdame schon mit so etwas zu tun.

Zugegeben, auch Pida stammt von der griechischen Insel Kos, aber man kann doch einen Pudel nicht mit einem Lhasa Apso vergleichen.

Dazwischen liegen Pidas Ansicht nach unüberwindbare soziale Unterschiede.

Okay, als Schutz vor großen, schwarzen Hunden ist er ja schon gut geeignet. Hier und da spielt sich auch recht nett mit ihm. Und nachts, sicher, da lässt er sich als Kuschelkissen gut verwenden, aber – er ist halt nur ein Rüde. Zudringlich, frisst einem alles weg, will ständig spielen und muss immer wieder zur Vernunft geknurrt werden.

Ach ja, man hat es eben nicht leicht als edle Pudel-Malteser-Dame.

Wie schön ist es da doch mit der Dosenöffnerfreundin namens Elisabeth, Kurzform Elli.

Pida hatte Elli in Griechenland kennen gelernt, als diese dort Urlaub machte. Pidas Leben auf den griechischen Straßen war sehr hart. Kampf ums tägliche Überleben, Futtersuche, Giftköder erkennen können und sich gegen große zudringliche Artgenossen verteidigen. Das war kein Zuckerschlecken! Drei Jahre schon hatte sie dies durchgehalten. Menschen waren für Pida lediglich Bedrohung. Ab und zu bekam sie zwar Futter von ihnen, besonders von Urlaubern, aber ein Sicherheitsabstand war doch ratsam.

Dies begann sich an dem Tag zu ändern, als ihr Elli auf der Straße in Kos über den Weg lief. Elli kam Pida irgendwie anders vor als die anderen Menschen. Sie stürzte sich nicht sofort begeistert auf sie, wie manche Touristendamen, besonders Engländerinnen, es zu tun pflegten mit dem Ausruf: „Oh, how sweet! Oh you are such a darling!“

Bei diesen Worten pflegte Pida sofort das Weite zu suchen. In ihren Ohren klang das nach hysterischem, beängstigendem Gekreische. Da waren die Griechen, die sie lediglich mit Fußtritten verscheuchten, fast noch besser zu ertragen.

Nein, Elli war anders. Sie verhielt sich ganz ruhig, summte leise vor sich hin, hatte etwas sehr lecker Riechendes in der Hand und setzte sich im Abstand von etwa fünf Metern vor Pida einfach auf den Boden. Das war merkwürdig, aber nicht bedrohlich.

Und interessant zumal Pida extremen Hunger verspürte. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen, hmm gebratenes Fleisch hatte sie seit Tagen schon nicht mehr gehabt.

Vorsichtig und mit eingezogenem Schwanz kroch sie unterwürfig auf Elli zu. Diese beachtete sie überhaupt nicht und begann von dem leckeren Fleisch zu essen. Immer näher kroch Pida, Zentimeter um Zentimeter. Als sie noch etwa einen halben Meter von dem begehrten Objekt entfernt war, ließ Elli langsam die Hand sinken. Das Fleischstück, verpackt in ein Stück Weißbrot, von den Menschen Hamburger genannt, wanderte in Pidas Richtung auf den Boden. Elli brach ein kleines Stück davon ab.

Vorsichtig aß Pida es, zog sich aber gleich wieder zurück. Oh, war das fein und roch so gut! Nur noch ein kleines Stückchen! Bitte! Die Hand wanderte näher und hielt ihr ein weiteres Stück hin. Zart nahm sie auch dieses entgegen.

Dieses Spiel dauerte noch fast eine halbe Stunde, bis Pida sich endlich etwas entspannte und von Elli unter dem Kinn kraulen ließ.

Aber mehr war nicht möglich. Jeden Tag um die gleiche Zeit wiederholten sich Ellis Besuche fast eine Woche lang. Von Besuch zu Besuch wurde Pida etwas zutraulicher. Gegen Ende der Woche ließ sie sich sogar ein Halsband und eine Leine umlegen und führen, allerdings sehr geduckt und mit eingekniffenem Schwanz.

Und dann kam der große Schock. Am letzten Tag gab Elli Pida ein Stück Fleisch das irgendwie komisch roch, aber sie aß es trotzdem vertrauensvoll auf. Ihr wurde etwas schwindelig und eine große Müdigkeit breitete sich rapide über ihren kleinen Pudelkörper aus. Schlafen, nur noch schlafen. Sie fühlte sich willenlos hochgehoben, weggetragen und irgendwo eng eingesperrt. Dann wurde es über längere Zeit sehr, sehr laut, dröhnend und kalt, soo kalt. Endlich wieder stiller, aber alles nur im Halbschlaf, verschwommen. Noch kälter. Was war das denn nur, hatte Elli sie verraten und verkauft? Vielleicht sogar an ein Tierversuchslabor, um dort qualvoll zu verenden? Sogar im Halbdämmerzustand wurde Pida übel bei dem Gedanken daran.

Dann – wieder wurde sie hochgehoben, Wärme, Frieden. Zunehmend kehrten ihre Sinne wieder und sie fand sich-

Gott sei Dank in eine dicke Decke gewickelt auf Ellis Schoß liegend in einem kuscheligen Wohnraum wieder. Endlich geschafft, endlich ein Zuhause!

Das war nun schon über ein Jahr her und in der Zeit hatte sich sehr viel getan.

Pida wurde immer offener und zutraulicher, gewöhnte sich mehr an Menschen und fing an, ihren Job als Chefsekretärin in der Tierheilpraxis zu genießen. Dieses Geschäft gehört zwar Elli, aber Pida ist ebenbürtige vierbeinige Chefin geworden. Ihr fällt auch die Unterhaltung mit den vierbeinigen Kunden leichter.

Wenn Elli dann wieder einmal meint: „Ach könntest Du mich doch nur verstehen, wie sehr ich Dich mag und dass ich Dich damals aus Kos einfach mitnehmen musste.“, wundert sich Pida doch über die Naivität der Menschen, die immer noch glauben, Tiere könnten die menschliche Sprache nicht verstehen.

Wenn Pida dann antwortet: „Ich hab das alles doch längst kapiert. Ich mag Dich ja auch ganz arg!“

Dann meint Elli immer: „Heute ist meine liebe Pida aber wieder sehr gesprächig und grummelt so vor sich hin. Ob ihr vielleicht schlecht ist von dem Hühnchen zu Mittag?“

Pida kann dann nur noch die Augen verdrehen, angesichts soviel menschlicher Dummheit.

Irgendwann erklärte ihr Elli: „Auch wenn Du mich jetzt nicht verstehen kannst, möchte ich Dir von Miro erzählen. Das ist ein wunderschöner, weißer Pudelrüde auch aus Kos. Ich habe ihn im Internet gesehen und beschlossen, er würde ganz gut zu uns passen. Was meinst Du dazu?“

Man kann sich vorstellen, dass Pidas Antwort natürlich wieder mal nicht verstanden wurde, aber ein edler Pudelrüde, der würde ihr schon gefallen.

Und dann kam der Tag X.

Ein Transportkäfig wurde gebracht, Pida schon ganz aufgeregt, in freudiger Erwartung, das Fell gestylt. Aus der Box kläffte es erst einmal sehr unpudelig laut und tief. Die Dame, welche die Box gebracht hatte, erging sich in Entschuldigungen, dass der Pudelrüde in Kos schon gut vermittelt worden war, aber vielleicht könnte man doch dieses süße kleine Fellknäuel da in der Box vorübergehend aufnehmen.

Natürlich ließ Elli sich breitschlagen, und heraus kam- von wegen süßes Fellknäuel: ein in Pidas Augen hässlicher, machomäßiger, kurznasiger weiß-nicht-was-Köter.

Er durchquerte sofort im Laufschritt die Wohnung direkt zur Küche, stürzte über Pidas noch halb vollen Futternapf her und pinkelte danach an den Elektroherd. Das alles mit der Bemerkung: „Gehört jetzt alles mir. Cooler Laden hier. Na Puppe, wie wär’s mit uns zwei?“

Pida war komplett aus der Fassung geraten, knurrte und geiferte das Ekel an und zog die Lefzen bis zum Anschlag hoch.

„Verlass sofort mein Reich Du unerträglicher Angeber, auf der Stelle.“

Die Dame vom Tierschutz meinten dazu: „Ach sieh mal, sie fangen schon an, sich zu beschnuppern. Das könnte ein Dream-Team werden.“

Von dem Zeitpunkt an wurde Pida klar, so nett Menschen auch sein können, ein volles gegenseitiges Verständnis würde niemals möglich sein.

All diese Erinnerungen zogen Pida so durch den Kopf, als sie mit Elli und Miro am Leopoldshafener Baggersee spazieren ging. Inzwischen hatte sie sich mit Miro etwas versöhnen können. Mit strengen Erziehungsmaßnahmen ihrerseits und viel, viel Geduld war er sogar zu ertragen. Manchmal konnte er sogar richtig liebevoll sein. Als Pida sich z.B. im Winter eine schlimme Blasenentzündung holte und zwei Tage ziemlich daniederlag, kuschelte sich der kleine Macho doch tatsächlich an sie, um sie zu wärmen. Er leckte ihr die Lefzen und beruhigte sie ständig: „Das wird schon wieder. Mit dem hochdosierten Antibiotikum, das Du zwei Mal täglich kriegst, ist das in einer Woche garantiert vergessen.“ Er behielt Recht und sie liebte ihn dafür.

Sie fing sogar an mit ihm zu spielen, Junghunde müssen ja beschäftigt werden. Auch ihr Selbstbewusstsein anderen Hunden gegenüber gewann enorm mit dem griechischen Vollmacho an ihrer Seite. Sollte sich da vielleicht doch ein Dream-Team entwickeln?

Müßig sich über so was Gedanken zu machen, für Hunde zählt nur jeder einzelne Tag, nicht die Zukunft. Und so wanderten alle drei an diesem herrlichen Frühjahrsmorgen am See entlang, jeder so in seine Gedanken versunken.

„Miro, lauf nicht so weit voraus, Du weißt doch, dass Elli es nicht mag. Sie befürchtet, Du könntest nicht mehr zurückfinden.“

„Red doch keinen Quatsch, hier riecht es viel zu intensiv nach Hasen, um rumzutrödeln. Zurück würde ich immer wieder finden.“

„Ja, aber das weiß sie doch nicht und wir haben auch nicht so viel Zeit, das Geschäft ruft.“

„Hat Elli nicht gesagt wir hätten heute frei? Sie wollte doch den schönen Vormittag genießen.“

„Stimmt fällt mir auch gerade wieder ein. Trotzdem mach ihr keinen Ärger, sonst sinkt die Laune enorm Richtung Gefrierpunkt. Du weißt doch, wie empfindlich Menschen sein können.“

„Schon klar, Mami, ha, ha!“

„Flegel, ich zeig Dir gleich Mami!“

Schon sauste Pida hinter Miro her und die beiden verschwanden um die nächste Ecke.

„He, ihr Chaoten, was soll das“, ertönte da die erboste Stimme von Elli. „Schon mal was von Jägern gehört, die am frühen Morgen kleine Hunde abknallen?“

„Wir kommen ja gleich wieder“, antwortete Pida außer Atem. „Ich muss nur erst diesen Rabauken zur Vernunft bringen. Außerdem habe ich auch gerade Hasen gerochen.“

„So ein Mist“, schimpfte Elli. „Jetzt sind beide weg. Ich werde wohl wieder mit der Schleppleinenarbeit bei Miro anfangen müssen. Der gehorcht immer noch nicht.“

Herrlich, so durch die taufrischen Sträucher zu rennen und Hasenspuren zu erschnuppern. Pida fühlte sich wieder wie ein Junghund. Wie zwei übermütige Welpen kugelten die zwei übereinander und jagten sich gegenseitig.

Da musste sogar Elli lachen: „Die zwei haben ja richtig Spaß miteinander. Das wenigstens wird immer besser. Pida ist ja so was von aufgeblüht seit Miro da ist. Hätte ich nie erwartet.“

„Hab Dich gleich“, japste Pida.

„Von wegen, ich bin viel schneller, Oma!“

„Dir geb ich Oma!“

„Mich kriegst Du nie, lahme Pudelzicke!“

„Meine Beine sind länger als Deine und ich hab auch nicht so eine Fettwampe wie Du.“

Schwungvoll hechtete sie an ihm vorbei. Mitten im schönsten Spiel zog ein merkwürdiger Geruch in Pidas Nase. Blut! Sie verlangsamte, Miro sprang hämisch grinsend an ihr vorbei, bis auch er plötzlich wie angewurzelt stehen blieb. Sie sahen sich gegenseitig an: „Blut!“ ertönte es wie aus einem Munde.

„Ich will ja nichts sagen, aber das riecht mir verdammt nach Menschenblut. Und nicht zu knapp!“, schnupperte Miro.

„Komm lass uns woanders hinlaufen, das behagt mir nicht.“ Pida fing etwas an zu zittern.

„Ach was, das muss erkundet werden.“

„Nein! Lass uns so tun, als ob wir nichts gemerkt hätten.“

„Nein, als echter tapferer Grieche werde ich vor einer Herausforderung nicht zurückschrecken, koste es, was es wolle.“

Energisch erschnupperte Miro sich den Weg weiter, immer dem Geruch nach. Pida lief zurück zu Elli.

„Der Idiot bringt uns nur in Schwierigkeiten, hör nicht auf ihn.“

„Wo will denn Miro so eilig hin? Hat der wieder einen Hasen gerochen? Der wird nie so perfekt wie Du, Pida“, seufzte Elli.

„Vor allem ist er unvorsichtig, Elli. Bitte, bitte ignoriere ihn einfach.“

Sie schmuste sich an Elli heran.

„Nanu, so verschmust heute Morgen, was ist los?“ Elli bückte sich, um Pida den Kopf zu kraulen.

Da ertönte etwa fünfzig Meter entfernt Miros hektisches Gekläffe. „Ich hab ihn, ich hab ihn. Ist so richtig schön zermetzelt. Elli, Pida kommt schnell her, ich bewache ihn so lange.“

„Oh nein, jetzt geht der da nicht mehr weg, und ich kann doch kein Blut sehen.“

Sie zog an Ellis Hose und versuchte sie zum Umkehren zu bewegen.

„Ich glaube heute spinnt ihr beide. Die eine will zurück, der andere verbellt da vorne was. Jetzt kommst Du an die Leine.“

Frustriert senkte Pida den Kopf und ließ sich kampflos anleinen.

„Jetzt tu nicht so beleidigt, einmal alle drei Wochen kannst auch Du mal an der Leine gehen.“

Elli, mit der widerwilligen Pida im Schlepptau, näherte sich dem kläffenden griechischen Helden, ohne zu ahnen, welch Anblick ihr in Kürze bevorstehen sollte.

Zuerst einmal stolperte sie beinahe über einen Haufen zerbrochener Bierflaschen am Wegrand.

„So eine Sauerei. Pida, pass auf, alles voller Glas. Hoffentlich ist Miro nicht schon verletzt.“

Vorsichtig umging sie den Haufen und sah Miro ständig auf einem Anglersteg auf und ab rennen und kläffen.

„Was hat der denn? So aufgeregt hab ich ihn ja noch nie gesehen.“

„Das wirst Du gleich merken. Ich hatte Dich gewarnt, aber Du hörst doch nie auf uns.“

„Miro, komm sofort hierher. Aber sofort! Aqui, ven“, rief Elli erbost. Normalerweise gehorchte er auf Spanisch etwas besser.

Diesmal keine Chance, Elli musste den Ungehorsamen wohl doch vom Steg holen. Energisch betrat sie die rutschige Holzdiele, die bockende Pida hinter sich her ziehend.

„Heute könnt ihr beide aber echt nerven“, schimpfte Elli vor sich hin.

Das Geschimpfe verging ihr allerdings schlagartig beim Anblick dessen, was der kleine Rüde verbellte.

Eine Leiche! Ein blutüberströmter Haufen, von etwas, das einmal ein Mensch gewesen war.

Zwar voll bekleidet, aber Kopf und Hals nur noch als Blutmasse zu erkennen.

Elli wurde es schlagartig schwindelig und übel bei dem Anblick.

Ziemlich still nahm sie den aufgeregten Miro an die Leine und zog ihn vom Steg.

„Das habe ich gefunden, ha, bin ich nicht ein echter Held?“

„Halt endlich die Klappe, Du Vollidiot. Wirst noch sehen in was Du uns da geritten hast“, knurrte Pida jetzt sehr erbost.

Miro hielt doch tatsächlich den Schnabel, weil seine edle Freundin noch nie solche Fäkalausdrücke verwendet hatte, und er zudem den Zustand bemerkte, in dem Elli sich befand.

Sie war kreidebleich geworden und taumelte am Wegrand entlang, kurz davor, sich zu übergeben.

„Auweia, da hab ich wohl doch Mist gebaut“, meinte Miro bedrückt.

„Das kannst Du wohl laut sagen, jetzt ist es zu spät.“ Pida hätte Elli diesen Anblick gerne erspart. Sich selbst allerdings auch. So viel Blutgeruch war definitiv nichts für ihre empfindliche Pudelnase.

Beide Hunde drückten sich dicht an Elli, wie um sie zu stützen. Diese sank erst einmal auf den weichen Waldboden.

„Jetzt nicht schlapp machen“, tröstete Pida. „Lass uns schnell von hier verschwinden, wir haben ja gar nichts gesehen.“

Sie versuchte Elli mit ihren kleinen Zähnen an der Hose zu packen und von diesem Ort des Grauens wegzuziehen.

Fast willenlos und wie betäubt gab Elli der kleinen Pudelhündin nach und ließ sich ein paar Meter bewegen. Der bedrückte und in seiner Mannesehre gekränkte Miro versuchte wenigstens seine Beschützerinstinkte herauszukehren und beäugte wachsam die Sträucher ringsherum.

„Das ist ja ein Alptraum“, stöhnte Elli. „Mir ist kotzübel. Hier an unserem schönen Baggersee eine Leiche. Den Anblick werde ich nie vergessen! Der arme Mensch.“

Sie versuchte irgendwie Ordnung in ihre wirren Gedanken zu bringen. Was war jetzt zu tun? Bestand Gefahr für sie selbst und die beiden Hunde? Hektisch blickte sie um sich, sah aber nicht wirklich etwas, obwohl ihr Blick auch unbewusst am Seeufer entlang schweifte. Pida zog sie immer noch energisch weiter.

Also erst einmal in Sicherheit bringen und zurück zum Auto. Im Eilschritt ging es zurück zum Parkplatz. Vielleicht waren ja schon andere Spaziergänger unterwegs, oder besser nicht. Einer davon könnte der Mörder sein. Ein eiskalter Schauder durchlief sie. Wie oft war sie schon an diesem schönen Baggersee gewesen. Wie früher würde es nach diesem Fund nie mehr werden.

Kaum am Auto angekommen riss sie die Tür auf, verfrachtete die beiden Hunde hinein, setzte sich hinters Steuer und verriegelte erst mal alle Türen. Erst jetzt fühlte sie sich etwas sicherer, aber noch schwindelig.

Ihr würde nichts anderes übrig bleiben, als die Polizei zu holen. Sie wollte schon den Zündschlüssel umdrehen, als sie merkte wie zittrig und wenig fahrtüchtig sie sich eigentlich fühlte. Das Handy! Diesmal hatte sie es Gott sei Dank nicht zu Hause vergessen, sondern im Auto gelassen. Der Akku war ausnahmsweise auch geladen. Also nichts wie 110 wählen. Pida, die mitbekam, was Elli gerade machte, stöhnte auf. „Nein, das hatte ich befürchtet, jetzt geht der Ärger los. Hätte sie nicht einfach nach Hause fahren und die ganze Sache vergessen können?“

Aber Elli zückte ihr Handy und wählte 110, nicht ahnend, dass damit in Zukunft ihr Leben in vollkommen anderen Bahnen verlaufen würde.

Etwas weiter vorn, direkt auf dem Waldweg entlang des Baggersees, hatte ein Mann neben seinem großen, weißen Geländewagen mit einer Beschriftung auf der Tür gestanden. Er war Elli heimlich bis zum Parkplatz gefolgt. Dort konnte er beobachten, wie sie im Auto saß und telefonierte. Pech für ihn, Glück für sie. Er merkte sich die Zeugin mit ihren beiden Hunden, sowie das Nummernschild ihres Jeeps sehr genau.

Seine Zeit würde noch kommen.

2.

Chris Holland, junger und dynamischer Hauptkommissar der Karlsruher Kriminalpolizei, Abteilung Morddezernat, zog seinen Audi Quattro schwungvoll um die Kurve Richtung Leopoldshafener Baggersee.

Der Anruf, den er heute Morgen erhalten hatte, „Leichenfund an einem Baggersee bei Leopoldshafen“, war für ihn reine Routine.

Zerstückelte Leichen konnten ihn nicht mehr schockieren, dazu hatte er schon zu viele gesehen. Er war ein Ass in seinem Beruf.

Vor seinem brillanten, messerscharfen Verstand zogen sogar die neidischsten Kollegen den Hut. Nicht umsonst hatte er es so früh schon zum Hauptkommissar gebracht. Von den Verbrechern gefürchtet, von den Frauen vergöttert.

Die Spurensicherung war schon vor Ort, wie ihm mitgeteilt worden war. Er zeitlich nur knapp zu spät. Er war auf der Dienststelle aufgehalten worden.

Er fuhr schnittig auf den Parkplatz und bremste scharf. Sein Fahrstil war schon immer etwas gewöhnungsbedürftig gewesen. Jetzt aber zackig an die Arbeit. Als erstes war er erstaunt, dass die Leute von der Spurensicherung noch immer wie begossene Pudel auf dem Parkplatz herumstanden. Genauer gesagt um einen kleinen Jeep mit getönten Scheiben. Suzuki Jeep, stellte er verächtlich fest. Klapperkiste und Rostbeule. Sollte sich darin etwa die Leiche befinden? Ungeduldig schüttelte er seine mehr als schulterlangen Haare zurück und ging zügigen Schrittes auf die Gruppe zu.

„Na was ist hier los. Fangt doch endlich mit eurer Arbeit an!“

„Hi, Chef.“ Verlegen näherte sich ein Kollege. „Würden wir ja gerne, aber …“ Unterbrochen wurde er von wütendem Gekläffe aus dem Jeep.

„Was ist das denn? Ist bei der Leiche noch so ein blöder Köter oder was? Habt ihr etwa Schiss vor einem Fußabtreter mit Fellbesatz? Ha, ha hört sich doch eh nur an wie ne kleine Tretmine. Wie peinlich!“

Diese Aussage hätte der Herr Hauptkommissar besser unterlassen. Energisch wurde die Tür des Jeeps aufgerissen und heraus trat- keine Leiche, sondern eine zierliche Brünette. Sportlich gut durchtrainiert, stellte Holland fest.

– Death zone! No prisoners! –, als Schriftzug, umrahmt von Totenköpfen, auf ihrem schwarzen T-Shirt, stach ihm sofort ins Auge.

Na ja, so gefährlich wie ihr Outfit war diese Erscheinung garantiert nicht. Innerlich musste er lächeln. Das Lächeln verging ihm jedoch recht schnell, denn im Moment steckte in dieser Frau eine Amazone, nach ihrem Gesichtsdausdruck zu schließen.

„Hab ich das etwa richtig gehört? Fußabtreter mit Fellbesatz! Tretmine! Was für ein impotentes Arschloch habe ich denn gerade vor mir?“

Erschrocken zuckten die dabei stehenden Polizisten zurück und machten unwillkürlich Platz wie für einen Boxkampf zwischen zwei recht ungleichen Gegnern.

Ehe der verdutzte Holland zu Wort kam, ging die Beschimpfung weiter.

„Wissen Sie, ich habe einen furchtbaren Morgen hinter mir, obwohl der Tag gerade erst angefangen hat. Ich will hier lediglich friedlich spazieren gehen. Meine Hunde entdecken eine Leiche, ich muss mich schier übergeben, schleppe mich zum Auto zurück, rufe als braver Staatsbürger 110, warte auf die Polizei. Kaum ist dieser Haufen hier angekommen, soll ich sie zum Tatort führen, obwohl es nur einen Weg gibt und die Leiche nach meiner Beschreibung gut zu finden wäre. Dann kommen Sie daher und beschimpfen meinen reinrassigen, griechischen Lhasa Apso als Fußabtreter und Tretmine. Auch wenn ich jetzt wahrscheinlich eine Anzeige bekommen werde, allerdings stehe ich ja unter Schock, hier noch ein letztes Wort von mir: Machs Dir doch selber! Mir reicht’s völlig!“

Mit diesen Worten warf sie ihre hüftlangen Haare zurück und wollte wieder in den Jeep steigen, hatte jedoch nicht mit der Reaktionsgeschwindigkeit eines Kampfsport trainierten Hauptkommissars gerechnet. Der packte sie am Ellenbogen und zog sie aus dem Kreis auf die Seite außer Hörweite.

„Ach, Sie vergreifen sich jetzt auch noch körperlich an unschuldigen Zeuginnen. Das ist ja interessant!“

„Jetzt hör mir mal gut zu, Du Zeugin“, zischte Holland.

„Seit wann Duzen wir uns denn?“

„Seit das impotente Arschloch, das es sich selber machen soll, etwas gereizt worden ist. Schock hin oder her. Das ist Beamtenbeleidigung eines Hauptkommissars, die Sie jetzt mindestens 1600 Euro und eine Strafanzeige kosten wird.“

„Fußabtreter mit Fellbesatz und Tretmine ist Beamtenbeleidigung eines reinrassigen griechischen Lhasa Apsos, auch nicht gerade billig.“

Holland hielt die tobende Frau am Arm auf Abstand von sich. Ein Junkie war sie nicht, soviel war ihm sofort klar. Auch Alkohol war keiner zu riechen. Er sah ihr lange in die Wut blitzenden, grünen Augen und konnte nicht anders, er musste schallend lachen.

„Beamtenbeleidigung eines griechischen Lhasa Apso, der war gut! Also eins muss ich Ihnen lassen, Sie haben entweder viel Mut oder stehen wirklich unter Schock.“

„Was ist daran denn so lustig?“, klang es schon etwas besänftigter. „Mist, jetzt bekomme ich wohl echt Ärger, oder? Sorry, war nicht so gemeint von mir, aber meine Hunde lasse ich nicht beleidigen. Die haben als Straßenhunde in Griechenland schon genug mitmachen müssen.“

„Ist schon okay, ich werde ausnahmsweise noch mal ein Auge zudrücken. Es ist schon verdammt lang her, dass mich einer im Dienst so beschimpft hat, außer Besoffenen oder Junkies.“

„Also wirklich, ich trinke nicht und Rauschgift habe ich noch nie konsumiert“, schnappte sie wieder beleidigt. Das bisschen Cannabis in ihrer Studentenzeit zählte sie nicht dazu.

„Ich denke wir fahren unsere Emotionen jetzt beide runter und gehen an die Arbeit, okay?“

Erschöpft senkte die ermüdete Amazone den Kopf, streckte Holland die Hand hin. „Elli, Elli Schönberg. Ausführlich auch Elisabeth Schönberg.“

„Chris Holland, Hauptkommissar der Karlsruher Kriminalpolizei, Morddezernat.“

Noch etwas zögerlich schüttelten die zwei Kampfhähne sich die Hände.

„So Jungs, jetzt gehen wir mal langsam an die Arbeit. Frau Schönberg wird uns hoffentlich zum Tatort führen. Wäre das in Ordnung für Sie? Wir sind ja dabei.“

Elli sah ihn genauer an und dachte, obwohl er nur ein Mann ist, kann er ja auch nett sein.

„Okay, ich führe Sie hin, aber meine Hunde bleiben hier im sicheren Auto.“

„Das käme uns auch entgegen. Wegen Spuren und so“, fügte Holland noch schnell hinzu.

Überdrehte Tierschutzzicke, dachte er bei sich. Braucht wohl wieder mal ’nen ordentlichen Kerl, nach der unverschämten Beschimpfung zu schließen, die er sich hatte anhören müssen.

Elli ging zum Auto beugte sich nach hinten und sagte: „Hey meine Süßen. Ich muss noch mal kurz mit denen mitgehen, bleibt schön brav, ich lass das Fenster etwas herunter.“

„War klasse von Dir eben, dem Trottel hast Du es aber gegeben“, kläffte Miro. „Sei still, sie kriegt sonst noch mehr Ärger“, ermahnte Pida den Unruhebolzen.

Draußen vor dem lehmbeschmutzten Jeep verdrehte Holland die Augen und raunte seinem Kollegen zu: „Wo ist die denn entsprungen? Nervige, überdrehte Kuh.“

„Na ja, man findet als Normalbürger nicht jeden Tag eine Leiche, Chef. Da muss man, glaube ich, etwas Nachsicht üben …“

„Was ich mich übrigens vorhin gefragt habe: Wieso soll ich es mir eigentlich selber machen? Sehe ich denn so schlimm aus?“

Die ganze Runde brach in Gelächter aus.

Elli hatte ein sehr gutes Gehör, drehte sich um und meinte trocken: „Vielleicht einfach mal ausprobieren, Herr Hauptkommissar, soll echte Erleichterung verschaffen bei erhöhtem Testosteronspiegel!“

Jetzt beschloss Holland doch besser zu schweigen, um die Situation nicht eskalieren zu lassen.

Die Beamten schlossen die Schranke des Versorgungsweges auf. Das Fahrzeug der Spurensicherung mit Chris und Elli an Bord setzte sich in Bewegung. Elli war plötzlich sehr kleinlaut und still geworden und überdachte ihr Verhalten von vorher gründlich. Wieso hatte sie sich nur dermaßen daneben benommen? Das passte doch gar nicht zu ihr. Sie konnte sich selber nicht mehr verstehen. Zwar war sie nicht auf den Mund gefallen, aber gleich so ausfallend zu werden, lag eigentlich nicht auf ihrer Linie. Dieser Hauptkommissar hatte etwas an sich, das sie mächtig reizte und aggressiv werden ließ. Wenn das nicht noch ein heftiges Nachspiel gab, von wegen Beamtenbeleidigung und so. Sie hätte glatt losheulen können, was sie natürlich tunlichst unterließ.

Chris, der wegen der Enge im Auto gezwungenermaßen dicht an seine Zeugin gepresst saß, hatte plötzlich und völlig unerwartet ganz andere Probleme. Und die waren ihm dermaßen peinlich, wie noch nie in seinem ganzen Leben. Da wurde er als Hauptkommissar zu einem Mordfall gerufen. Er ließ sich von einer Zeugin übel beschimpfen, ohne diese gleich anzuzeigen, was ihm selber eigentlich gar nicht verständlich war, und hatte jetzt peinliche zunehmend drängende Enge in seiner eh schon knapp sitzenden Jeans. Er hätte vor Verlegenheit in den Boden versinken können. Wenn das bloß keiner merkte!

„Geht’s nicht einen Tick schneller?“, knurrte er den Fahrer böse an.

„Hat der jetzt eine Scheißlaune“, dachte Elli. „Hoffentlich lässt er die nicht an mir aus. Hätte ich allerdings verdient.“

„Bloß Abstand von dieser Tussi“, dachte Chris, „ich blamiere mich ja schon den ganzen Morgen.“

„Halt nicht weiter, sonst vernichten Sie vielleicht Spuren. Da vorne, etwa 100 Meter weiter, ist der Steg.“ Elli beugte sich aufgeregt nach vorne und drückte dabei unbewusst ihre Brust an seinen Ellenbogen.

Als der Minibus anhielt stürzte Chris hinaus.

„An die Arbeit, los, los.“

„So kenne ich den Chef gar nicht“, raunte ein Beamter seinem Kollegen zu. „Er ist doch sonst so ruhig und besonnen. Passt gar nicht zu ihm. Was ist dem heute denn über die Leber gelaufen?“

„Vielleicht ein reinrassiger griechischer Lhasa Apso? Oder hat ihn wieder mal eine von seinen vollbusigen Blondinen verlassen?“, flüsterte der andere zurück. Beide verkniffen sich das Lachen und gingen zur Ausrüstung.

Chris, dem das Getuschel nicht entgangen war, kam sich vor wie ein Idiot. Wenn sein Verhalten weiter so unprofessionell war, konnte er den guten Ruf als Hauptkommissar vergessen. Schlagartig war er ernüchtert!

Hätte er gestern Abend nur nicht die drei Bierchen reingekippt aus Frust über seine letzte gerade beendete Beziehung zu einem 22 jährigen Fotomodell namens Karin. Diese Beziehung hatte zwar nur wie seine meisten knapp ein halbes Jahr gehalten, aber diesmal hatte es ihn doch mehr getroffen. Er verspürte langsam eine schreckliche Leere in sich. Seine Gedanken fingen wieder vermehrt an, um Violetta zu kreisen. Seine geliebte Violetta …

Zwanghaft riss er sich los von dem beginnenden heftigen Schmerz, der ihn wieder einmal zu überwältigen drohte.

„Gelände absperren, keiner darf hier mehr durch. Frau Schönberg, Sie bleiben bitte hier stehen.“

„Klar, ich gehe sicherlich nicht wieder auf den Steg. Den Anblick ertrage ich kein zweites Mal.“

„Das brauchen Sie auch gar nicht.“

Sanfter als beabsichtigt schob Chris sie am Arm erst ein Stück beiseite, hielt sie dann fest. Ein gewisses Kribbeln überlief sie bei der Berührung.

Was sollte das denn? Sie hatte eindeutig genug von Männern. Ihre letzte katastrophale Beziehung war schon über zwei Jahre her und immer noch hatte sie sich nicht davon erholt. Dieser falsche Fuffziger namens Erwin. Der Name hätte sie gleich warnen sollen. Drei Jahre lang hatte er ein Doppelleben geführt und sich parallel zu ihr eine zweite Freundin geleistet, wie sie mittlerweile wusste.

Als Elli die Erklärung für seine samstäglichen Ermüdungen vom angeblichen Tennisspielen entdeckte, fühlte sie sich wie vom Blitz getroffen. Eine Kundin hatte beiläufig erwähnt, dass Erwin schon ewig nicht mehr im Tennisclub aufgetaucht war. Eine Kontrolle seiner Handynachrichten brachte Elli traurige Gewissheit.

„Mein Eumelchen! Wie freue ich mich wieder auf nächsten Samstag. Bis dann, Dein Schnuckiputzileinchen.“

Eumelchen, Schnuckiputzileinchen! Elli hätte beinahe in das Handy gekotzt. Wie gelähmt hatte sie die gemeinsame Wohnung verlassen und nur das Notwendigste mitgenommen. Obwohl sie Erwin am liebsten erschlagen hätte, brach sie sofort jeglichen Kontakt mit ihm ab und mietete das kleine ehemalige Forsthäuschen mitten im Wald, welches sie schon länger im Visier gehabt hatte, damals allerdings in der Hoffnung, es gemeinsam mit Erwin zu beziehen.

Mittlerweile hatte sie sogar dank einer Erbschaft ihrer reichen Tante das wunderschöne kleine Häuschen erwerben können.

Sie fühlte sich mit jedem Tag glücklicher in ihrem selbst erschaffenen und frisch renovierten Paradies. Einen Teil hatte sie als Tierheilpraxis umbauen können. Eigentlich fehlte ihr gar nichts, bis auf das typische Singleproblem der Einsamkeit an Feiertagen, Weihnachten und langen Winterabenden, an denen auch Freunde keine Zeit hatten. Aber all dies war immer noch viel besser als eine stressige, enttäuschende Beziehung. Der Typ Hausmuttchen, welches Ehemänner bekocht und pflegt, war sie noch nie gewesen. Selbständigkeit und Freiheit gingen ihr über alles.

Also, was sollte dann das verdächtige Kribbeln im Bauch als dieser unmöglich arrogante, leider zu gut aussehende Hauptkommissar sie am Arm berührte? Flirten war nicht ihr Ding.

„Hallo, könnten Sie mich vielleicht wieder loslassen?“

„Entschuldigung.“ Verlegen nahm er seine Hand von ihrem Arm.

„Da vorne liegen die zerschlagenen Bierflaschen und auf dem Steg die Leiche. Vielleicht hat ja jemand dem eins mit so einer Flasche übergezogen.“

„Mutmaßungen überlassen Sie doch bitte der Polizei.“

„Ja, ja ich weiß dein Freund und Helfer. Dann kann ich ja jetzt das Schlachtfeld räumen und endlich nach Hause duschen fahren.“

„Ist in Ordnung. Geben Sie doch bitte noch kurz einem Kollegen Ihre Adresse. Übrigens: Haben Sie oder Ihre Hunde die Leiche berührt?“

„Igitt, ich garantiert nicht. Bei Miro bin ich mir nicht so sicher. Der hat ihn zuerst entdeckt und ziemlich lange verbellt, bis ich ihn einfangen konnte. Könnte sein, er hat dran geschnuppert oder ist drübergelatscht, das Trampeltier! Pida ist gar nicht hin und hat versucht, mich wegzuziehen, die Gute!“

„Na ja, solange keiner der beiden die Leiche angekaut hat.“

„Jetzt werden Sie aber sehr makaber, Herr Holland. Meine Hunde essen keine Leichenteile, nur gekochtes Fleisch.“

Als Chris sich bei diesem Satz schmunzelnd zur Seite wandte, merkte Elli, was für einen Blödsinn sie gerade verzapft hatte.

„Äh, ich merke gerade, mir ist doch nicht so wohl. Ich gehe besser zum Parkplatz zurück.“

„Soll ein Kollege Sie begleiten?“, fragte Chris besorgt. Eine kollabierende, hysterische Zeugin hätte ihm an diesem Morgen noch gefehlt.

„Nein, nein, ich habe meine Adresse vorhin schon angegeben und jetzt verlasse ich Sie. Ich laufe zurück. Wird mir gut tun und den Kreislauf anregen. Das meiste habe ich Ihren Kollegen ja schon am Parkplatz erzählt.“

Sie drehte sich auf dem Fuße um und ging davon.

Chris atmete erleichtert auf. Endlich konnte er in aller Ruhe mit der eigentlichen Arbeit anfangen.

3.

Einen Tag später.

Elli hatte sich gerade ihren Morgengetreidekaffee eingeschenkt, als es an der Tür klingelte. Miro raste los, kläffte wie ein Gestörter und auch Pida unterstützte seine Bemühungen.

„Den kenn ich, das rieche ich genau! Der Trottel vom Baggersee, der Elli angegrapscht hat.“

„Jetzt übertreibst Du aber Miro.“

„Klappe, ihr zwei! Sitz und still!“

Murrend fügten sich die zwei Vierbeiner der Anordnung und platzierten sich beschützend neben der Haustür.

„Wer ist da?“, rief Elli durch die geschlossene Tür.

„Das impotente Arschloch von gestern Morgen.“ Holland wurde schlagartig klar, dass er sich schon wieder wie ein Idiot verhielt. Er musste langsam seinem Berufsstand wieder gerecht werden! Diese Frau trieb ihn noch zum Wahnsinn.

Schmunzelnd öffnete Elli die Haustür und hielt Miro am Halsband fest.

„Hereinspaziert! Die Tretmine frisst keine Kriminalbeamten, nur gekochte Leichenteile.“

„Hätte ich auch in seinem eigenen Interesse nicht gehofft.“

Er quetschte sich durch den Türspalt und Elli schloss schnell wieder hinter ihm.

„Auch einen Getreidekaffee?“

„Äh ein normaler unkastrierter wäre mir eigentlich lieber. Entschuldigung, Fachjargon.“

„Ach, macht nichts, sage ich auch immer. Ich mache Ihnen gerne einen Unkastrierten.“

Elli ging voran Richtung Küche, gefolgt von Chris in engem Schlepptau Miro.

„Jetzt bedräng ihn doch nicht so. Das ist ein Hauptkommissar“, stöhnte Pida

„Egal, er hat mich als Tretmine beschimpft. Das vergesse ich ihm nie. Außerdem hat er eindeutige Interessen an Elli.“

„Was Du nicht alles so glaubst zu riechen. Er ist nur nett zu ihr.“

„Ha, nett. Das denkst auch nur Du! Bei den Menschen gibt es keine Freundschaften zwischen Mann und Frau. Nicht so wie bei uns Hunden.“

„Ich weiß nicht. Mama hat doch etliche schwule Freunde.“

„Ja, aber die haben keine sexuellen Interessen an ihr. Das macht die Sache einfacher.“

„Sex, Sex, das ist doch nicht alles im Leben.“

„Glaubst Du?“

„Sind Ihre Hunde immer so gesprächig?“, fragte Chris.

„Gesprächig nennen Sie das? Ich würde es eher als Morgengegrummel bezeichnen.“

„Eh, versteht der uns etwa?“, meinte Pida hoffnungsvoll.

„Quatsch, das war Zufall. Menschen verstehen Hundesprache nicht. Wenn Mama das nicht kann, schafft es keiner.“

„Da hast Du wohl leider Recht. Sie sind doch recht beschränkt in ihren Möglichkeiten der Kommunikation.“

Während Elli in der Küche tätig war, hatte Chris die Möglichkeit den übrigen Wohnraum in Augenschein zu nehmen. Durch den offenen Grundriss gab es quasi keine Zwischenwände. Alles großzügig gestaltet und lichtdurchflutet. Gemütliche Naturholzmöbel, terracottafarbene Fliesen und hohe Zimmerpflanzen schufen einen warmen Farbton, ein offener Kamin ließ auf gemütliche, kuschelige Winterabende hoffen. Große Aquarelle mit Meereslandschaften und mediterranen Dörfern fügten sich gut in das Gesamtbild. Beim näheren Betrachten der Bilder erkannte Chris, dass seine Mordzeugin selbst die Malerin war. Seine Achtung vor dieser Frau stieg etwas. Hier war wohl außerdem ein guter Innenarchitekt zu Werke gewesen. Aus einem alten Schuppen ein solch urgemütliches zuhause zu erschaffen, war nicht jedermann gegeben. In einer Ecke stand ein Saxofon, direkt neben einer beachtlichen Stereoanlage. Bose-Boxen, vom Feinsten.

Sehnsüchtig zogen seine Gedanken ein paar Jahre zurück, als auch er von so einem Heim mit Violetta geträumt hatte. So ähnlich hatte er es sich immer vorgestellt. Mit ihr, die ihm leider so grausam entrissen worden war. Ohne es verhindern zu können, schossen ihm Tränen in die Augen. Er wandte den Blick durch die großen Schiebetüren nach draußen in Richtung Terrasse und dem verwilderten Garten, um nicht in die Küche sehen zu müssen.

Bloß sich jetzt keine Blöße geben. Männer weinen nicht! Und schon gar nicht Jahre hinterher. Damals waren seine Tränen vor Schock versiegt. Er konnte seinem Schmerz keinen freien Lauf lassen, sonst wäre er durchgedreht. Wieso dann jetzt?

„Kaffee ist fertig. Mit Milch und Zucker oder ohne?“

Ruckartig und wie ertappt drehte Chris sich um und riss dabei eine Blumenvase zu Boden. Sie zerschellte mitsamt den darin befindlichen Osterglocken auf dem Boden.

„Oh nein, das tut mir entsetzlich leid“, stammelte er.

Elli wollte gerade eine bissige Bemerkung loslassen, als ihr Blick in sein Gesicht fiel. Nanu? Was war denn mit dem los? Glitzerten da nicht Tränen in seinen Augen? Wegen einer Vase mit Osterglocken? Der taffe Hauptkommissar hatte wohl entweder Heuschnupfen oder ein seelisches Problem.

Elli beschloss das Ganze mit einer flapsigen Bemerkung zu entschärfen.

„Ach, die alte Vase ist eh vom Sperrmüll, mein bevorzugtes Beuterevier. Wollte ich schon wegwerfen.“

Als Chris sich bückte, um die Scherben aufzuheben, erkannte er auf der Unterseite der ehemaligen „Sperrmüllvase“ die Eingravierung „Rosenthal“.

Er hielt ihr das Stück hin.

„Was man nicht so alles auf dem Sperrmüll findet. Was hat das gute Stück denn gekostet? Ich ersetze es selbstverständlich.“

Verlegen drehte Elli die Zuckerdose in der Hand herum und entgegnete:

„Manche werfen halt auch wertvollere Stücke weg. Ist schon in Ordnung.“

„Nichts ist in Ordnung. Ich werde mich nach dem Neupreis erkundigen und ihn bezahlen.“

„Wie wollen Sie jetzt Ihren Kaffee?“, lenkte Elli ab.

„Schwarz mit etwas Zucker, bitte. Und außerdem einen Wischlappen und eine Kehrschaufel.“

Elli brachte beides aus der Besenkammer und wollte sich schon bücken, als Chris es ihr aus der Hand nahm. Wieder verspürte sie ein Kribbeln im Bauch bei der Berührung. Chris ging es auch nicht viel anders und er bemühte sich eifrig darum, den Boden blitzblank zu putzen.

„Nicht zu sauber, bitte. Fällt sonst auf zum Rest der Wohnung. Es sei denn, Sie möchten komplett putzen. Hätte nichts dagegen!“

Wie Elli so lässig an den Türrahmen gelehnt stand mit einer Tasse in der Hand und ihrem luftigen Sommerkleid hätte Chris sie am liebsten vom Fleck weg geküsst.

Stattdessen beendete er schnell die Aktion und erinnerte sich an den eigentlichen Grund seines Besuches.

„Ich hätte da noch ein paar Fragen an Sie wegen gestern.“

„In Ordnung. Setzen wir uns doch hier ins Wohnzimmer, das ist gemütlicher als die Küche.“

Chris wollte sich gerade auf das mit Kissen bedeckte, breite Sofa niederlassen, als er unter seinem Allerwertesten etwas Unebenes spürte. Verwundert zog er einen abgenagten Maiskolben hervor. Wortlos hielt er ihn Elli hin, die knallrot wurde.

„Oh. Das ist mir aber echt peinlich. Ich hatte mich schon gewundert, wo Miro meinen Mittagessensrest von gestern hinverschleppt hat. Miro, was soll das denn?“

Drohend hielt sie dem kleinen Rüden den Maiskolben vor die Schnauze. Dieser klemmte den Schwanz ein und verzog sich in sein Körbchen.

„Hatte ich Dir nicht gesagt, das gibt wieder Ärger“, erzürnte sich Pida. „Du bist einfach unmöglich.“

„Wenn sie erst entdeckt, wo ich den Ochsenziemerrest versteckt habe, kriege ich sicher heiße Ohren“, meinte Miro kleinlaut.

„Wo ist der denn?“

„Verrate ich nicht, sonst schnappst Du ihn doch nur weg. Hältst Du mich für so blöd?“

„Egoistischer Geizhals!“

„Also könnten Sie mir nochmals genau schildern, was gestern Morgen vorgefallen ist?“

„Klar. Ich bin wie gewohnt zum Baggersee gefahren, habe meinen Jeep auf dem Parkplatz abgestellt, die Hunde ausgeladen und bin auf dem gewohnten Weg am See entlang gelaufen.“

„War auf dem Parkplatz noch ein anderes Fahrzeug. Auto, Motorrad oder Fahrrad, irgendetwas?“

„Nein ganz sicher nicht. Wäre mir sofort aufgefallen. Ich stand da alleine. Auch den ganzen Weg entlang ist mir niemand begegnet. Ist um die frühe Uhrzeit auch normal.“

„Das heißt, Sie gehen da öfter spazieren.“

„Ja, mindestens drei Mal die Woche. Der See ist zu jeder Jahreszeit herrlich. Oder war es bis gestern zumindest. Nur im Sommer, wenn viele Badegäste sich darum verteilen, meide ich ihn eher. Da stören die Hunde sonst nur.“

„Und Sie sind immer so früh unterwegs?“

„Meistens. Manchmal, besonders am Wochenende, wird es auch Nachmittag.“

„Okay, jetzt schildern Sie einfach mal den genauen Hergang von gestern.“

Elli wunderte sich selbst, wie friedlich und unkompliziert sie sich im Gegensatz zu gestern mit dem Hauptkommissar unterhalten konnte. Der Schock hatte wohl doch eine gewisse Rolle gespielt. Er wurde ihr zunehmend sympathischer und sogar menschlich.

„Also wie gesagt ich ging den Weg entlang, die Hunde rasten wie immer voraus.“

„Unangeleint?“

„Ja ich weiß das ist nicht erlaubt, aber sie gehorchen beide super und wildern nicht.“

„Ich wusste gar nicht, das Mama so gut lügen kann“, prustete Pida heraus mit einem Seitenblick auf Miro.

„Das interessiert mich jetzt nicht, ich bin von der Mordkommission und nicht vom Ordnungsamt.“

„Wie beruhigend! Dann kann ich ja höchstens wegen Mordes verhaftet werden und nicht wegen wildernder Hunde. Wie gesagt die beiden spielten und tobten miteinander herum. Miro vorneweg und der war dann plötzlich verschwunden und kläffte wie blöd. Ich dachte schon, er hätte einen Hasen oder ein Reh entdeckt.“

„Soviel zum Thema meine Hunde wildern nicht“, lachte Chris.

„Scheiße, ertappt! Ich hoffe, Sie verraten mich jetzt nicht bei Ihren Kollegen.“ Elli sah ihn mit riesengroßen, bittenden Augen an. Wer könnte da schon widerstehen?

„Das muss ich mir noch sehr überlegen. Wie viele Rehe hat er denn schon gerissen?“

„Das war jetzt aber ein schlechter Witz. Miro ist viel zu lahmarschig und erwischt leider noch nicht mal die Mäuse im Garten. Stimmt nicht ganz. Neulich abends hat er sich auf sein Kissen auf der Terrasse plumpsen lassen. Darunter nächtigte wohl eine Maus. Die war dann verständlicherweise platt. Die einzige Maus, die er meines Wissens bisher erbeutet hat.“

„Dass Du mich vor Fremden immer so runtermachen musst“, knurrte es aus dem Körbchen.

„Ich glaube, wir schweifen etwas vom Thema ab.“

„Stimmt. Also er war plötzlich weg, und Pida schlich ganz geknickt auf mich zu. Ich rief ihn, keine Reaktion, also musste ich ihn holen gehen. Pida versuchte ständig, mich wegzuziehen. Jetzt weiß ich auch warum. Dann vor dem Steg am Wegrand entdeckte ich die zerschlagenen Bierflaschen, die mich ärgerten, da die Hunde sich hätten verletzen können. Wütend kletterte ich auf die Holzdiele, die zum Steg führt, um Miro zu holen. Als ich um die Ecke bog, wäre ich beinahe über … na ja die Leiche gestolpert.“

Elli musste schlucken und vergrub ihr Gesicht schweigend in ihrer riesengroßen Tasse.

Chris ließ ihr Zeit, um sich zu fangen, weil ihm klar war, dass ein Leichenfund keine Angelegenheit war, die man so leicht wegsteckte. Er war sowieso verwundert, wie gut sich diese Frau hielt, die gestern Morgen eine Blut überströmte Leiche gefunden hatte. Sie schien sehr in sich zu ruhen und gefestigt zu sein. Die beleidigenden Ausbrüche schob er auf den Schock.