Atomkraft – Das Tabu - Martin Schlumpf - E-Book

Atomkraft – Das Tabu E-Book

Martin Schlumpf

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Beschreibung

Unter dem Menetekel einer drohenden Stromversorgungskrise stellt sich die Frage nach dem wie weiter in der Energiepolitik. Weder ein Zubau an Stromversorgung noch ein Ausbau von Speichern und Netzen dürfte genügen, um die Ziele der Energiestrategie 2050 zu erreichen. Damit ist die Frage wieder auf dem Tisch, ob auf den beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie zurückzukommen ist, da ohne Grundlast liefernde Kernkraftwerke eine zuverlässige und klimafreundliche Stromversorgung in dem definierten Zeitfenster kaum möglich sein dürfte. Der Autor geht dieser Frage «ohne Scheuklappen» nach, fundiert und mit anschaulichen Grafiken zeigt er Möglichkeiten und Grenzen einer Stromerzeugung unter Einbezug aller verfügbaren Systeme, darunter auch der Kernenergie auf. Damit setzt sein Buch einen Kontrapunkt zur allgemein verbreiteten medialen «Mei­­nung» zur Kernenergie.

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Martin Schlumpf

Atomkraft – Das Tabu

Brauchen wir Kernkraftwerke?

Mit Beiträgen vonSimon Aegerter, Johannis Nöggerath, Alex Reichmuth, Hans Rentsch, Walter Rüegg und Markus Saurer

Impressum

2. Auflage

© 2023 Edition Königstuhl

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert werden, insbesondere nicht als Nachdruck in Zeitschriften oder Zeitungen, im öffentlichen Vortrag, für Verfilmungen oder Dramatisierungen, als Übertragung durch Rundfunk oder Fernsehen oder in anderen elektronischen Formaten. Dies gilt auch für einzelne Bilder oder Textteile.

Bild Umschlag:

Kernkraftwerk Gösgen

Gestaltung und Satz:

Stephan Cuber, diaphan gestaltung, Bern

Lektorat:

Manu Gehriger

Druck und Einband:

CPI books GmbH, Ulm

Verwendete Schriften:

Adobe Garamond Pro, Akrobat

ISBN 978-3-907339-36-7

eISBN 978-3-907339-74-9

Printed in Germany

www.editionkoenigstuhl.com

© Foto: Lisa Harand

Martin Schlumpf, geboren 1947 in Aarau, ist Musiker, Forscher und Publizist. Nach seinem Musikstudium in Zürich wurde er 1977 Professor für Musiktheorie und Improvisation an der Musikhochschule Zürich. Nach deren Integration 2007 in die Zürcher Hochschule der Künste, war er bis zu seiner Pensionierung 2011 dort auch Senats- und Hochschulversammlungs-Präsident. Sein umfangreiches Werk als Komponist wurde in Konzerten in der Schweiz, in Europa und in den USA aufgeführt. Seit seiner Pensionierung setzt er sich immer mehr mit philosophischen und wissenschaftlichen Themen auseinander. Dabei ist eine Reihe von Publikationen entstanden, darunter seine bekannten Grafik-Kolumnen, was u. a. zu seiner Berufung in den Expertenbeirat des Energie Club Schweiz geführt hat.

Inhalt

Übersicht

Vorwort von Hans Rentsch

1 ZuverlässigkeitAtomkraft ist zuverlässiger als Sonnenenergie

2 WinterstromlückeSolarstrom vergrössert die Winterstromlücke um das Dreifache

Exkurs 1Alex Reichmuth:

Das Versagen der Medien beim Atomthema

3 MaterialbedarfSolarstrom bedeutet Ressourcenverschleiss

4 PrimärenergieIn Uran steckt gewaltig viel Energie

Exkurs 2Walter Rüegg:

Reise ins Innere von Tschernobyl

5 SicherheitKernkraftwerke töten nicht öfter als Solarpanels

6 StrahlungÜberschätzte Kernkraftwerk-Strahlung

Exkurs 3aSimon Aegerter:

Was in Fukushima geschah

Exkurs 3bJohannis Nöggerath:

Lehren aus Fukushima

7 Kosten Teil 1Atomstrom ist billiger als Solarstrom

8 Kosten Teil 2Fazit: Solarstrom ist teurer als Atomstrom

Exkurs 4Markus Saurer:

Ineffiziente Materialschlacht und Nichtnachhaltigkeit

9 AbfälleDie Lagerung radioaktiver Abfälle ist technisch gelöst

10 Zusammenfassung«Atomkraft? Ja, bitte!»

Exkurs 5Johannis Nöggerath:

Maximierung der Betriebsdauer unserer Kernkraftwerke als Schlüssel für die Energiestrategie 2050+

11 Energiewende ins Nichts 1Platzt unser Traum einer CO2-neutralen Gesellschaft?

12 Energiewende ins Nichts 2Unsere Energiewende wird teuer

Nachwort

Biografien

Verzeichnis der Grafiken

Stimmen zum Buch

Das vorliegende Buch von Martin Schlumpf kommt zur rechten Zeit. Was dem aufmerksamen Beobachter längst klar ist, nämlich dass die Erreichung der hehren Ziele der Energiestrategie 2050 und von Netto-Null unrealistisch ist, wird unter dem Eindruck der drohenden Stromversorgungskrise zunehmend auch in der Öffentlichkeit und hoffentlich auch in der Politik erkannt. Weder der Zubau an Stromerzeugung noch der Ausbau von Speichern und Netz vermögen zu genügen. Für die Gesellschaft stellt sich deshalb die Frage nach den Zielprioritäten: Was ist wichtiger, Versorgungssicherheit und Klimaschutz oder der Ausstieg aus der Kernenergie? Die Antwort kann nur lauten, dass die Kernenergie auch langfristig eine tragende Stütze der Energieversorgung sein muss. Martin Schlumpf zeigt dies eindrücklich.

DR. EDUARD KIENER, ehemaliger Direktor des Bundesamts für Energie

Die Schweiz steht vor gewaltigen Herausforderungen, die künftige Stromversorgung sicherzustellen und gleichzeitig die ambitionierten Klimaschutz-Ziele zu erreichen. Vor diesem Hintergrund brauchen wir dringend eine Antwort auf die Frage, ob wir uns den beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie überhaupt leisten können. Martin Schlumpf liefert mit seinem Buch eine notwendige Einordnung und gewichtige Argumente für eine Zukunft mit Kernkraft in der Schweiz.

HANS-ULRICH BIGLER, Präsident Nuklearforum / Vorstandsmitglied Nucleareurope

Als Gründungspräsidentin der Women in Nuclear (WiN), die nun schon 30 Jahre alt ist und immer noch wächst und in über 100 Ländern mit über 35’000 Mitgliedern aktiv ist, freut es mich, dass Martin Schlumpf mit seinem Buch den deutschsprachigen Lesern zeigt, dass nur mit Kernenergie der Ersatz der Fossilen Energien erreicht werden kann. Für WiN stand immer der Dialog – vor allem mit Frauen, aber nicht nur – über alle Aspekte der Stromversorgung im Vordergrund: Technische, wirtschaftliche, sicherheitsrelevante aber auch emotionale Themen und vor allen die Ängste vor Radioaktivität und Kernenergie werden angesprochen. Wir versuchen die Menschen zu informieren, etwas, was Martin Schlumpf mit seinen eingängigen Grafiken auch macht.

Ich wünsche dem Buch den nötigen Erfolg, damit man auch im deutschsprachigen Raum einsieht, dass Sonne und Wind Kernenergie nicht ersetzen können.

DR. IRENE AEGERTER, Physikerin

This titanic replacement requires efforts analogous to a WWIII: destroy/remove and reconstruct. Thus, it is vital that the public, governments and decisions be informed to make reasonable choices. The book of Martin Schlumpf cannot come at a better moment to communicate absolutely essential pieces of information. By putting physics, thermodynamics, engineering, demographics, economics back in the assessment of the relative merits of civil nuclear energy compared with solar energy, the book of Martin Schlumpf will help escape the aspirational dreams that characterizes many present discussions and decisions, to come back to earth and foster a resilient and harmonious energy replacement and future reasonably prosperous and stable societies.

DIDIER SORNETTE, Prof. em. on the Chair of Entrepreneurial Risks at ETH Zurich

In unseren herausfordernden Zeiten ist es besonders wichtig, sachlich, besonnen und kritisch mit allen verfügbaren Informationen die Möglichkeiten und Szenarien auszuloten, welche der Schweiz zur Verfügung stehen, um in Zukunft umweltschonend und preiswert Energie, insbesondere Strom, erzeugen und verbrauchen zu können. Denn ohne stabile Energie-Versorgung ist nicht nur der Wohlstand, sondern auch die gesellschaftliche und politische Stabilität gefährdet!

Das Buch von Martin Schlumpf beleuchtet «ohne Scheuklappen» die Möglichkeiten und Grenzen der Stromerzeugung in der Schweiz mit Einbezug aller verfügbaren Systemen, darunter auch der Kernenergie. Diese wurde in den letzten Jahrzehnten grösstenteils medial marginalisiert, und sie wird es weiterhin, denn rein nach Christian Morgenstern gilt: «… was nicht sein darf, kann nicht sein …». Dieses Buch bricht eine Lanze dafür, wieder Technologie-offener und sachlicher über die Schweizer Energiezukunft diskutieren zu können und setzt diesbezüglich auch einen hervorragenden Kontrapunkt zur allgemein verbreiteten medialen «Meinung» zur Kernenergie.

DR. MATTHIAS HORVATH, Präsident Schweizerische Gesellschaft der Kernfachleute

Als Präsidentin des Energie Club Schweiz freut es mich, dass Martin Schlumpf, der Mitglied des Expertenbeirats ist, ein solch informatives Buch verfasst hat, das mit anschaulichen Grafiken nun als Nachschlagewerk für die Information der Bevölkerung vorliegt. Es hilft, mit klaren Fakten die Angst vor Atomkraftwerken zu vermindern und zeigt, wie wichtig Grundlast liefernde Kernkraftwerke für eine sichere, zuverlässige und klimafreundliche Stromversorgung sind. Ich gratuliere Martin Schlumpf zu diesem Werk und wünsche allen Lesern viel Vergnügen.

VANESSA MEURY, Präsidentin Energie-Club Schweiz

Martin Schlumpf habe ich kennengelernt als einen ehemals linken Musikprofessor aus Zürich, der in Würenlingen gegen das Zwischenlager gekämpft hatte, wo er dafür viele Nachteile in Kauf nahm, was ihn am Ende aber nicht daran hinderte, weiterhin selber zu denken. Und wer selber denkt, kommt irgendeinmal zum Schluss, dass Atomkraft okay ist und viele unserer Probleme zu lösen vermag. Diesen Weg ging auch Martin – und es war eine grosse Freude für mich, ihn als Kolumnisten für den Nebelspalter zu gewinnen. Seine Grafiken, seine Texte gehören inzwischen zur Pflichtlektüre für jeden vernünftigen Menschen, der eine andere, eben vernünftige Energiepolitik wünscht – und sie zählen mit Recht zu den am meisten gelesenen Beiträgen im Nebelspalter.

Was Martin hier als Buch vorlegt, ist so gesehen die Fortsetzung des Journalismus mit anderen Mitteln. Ich bin überzeugt, dass er noch mehr Aufmerksamkeit damit erlangen wird – und das ist auch nötig. Wenn wir in den kommenden Jahren nicht in einer Ruinenlandschaft der energiepolitischen Luftschlösser sitzen wollen, wo es zu dunkel ist, um einen Lichtschalter zu finden, und falls doch, dieser kein Licht bringt, selbst wenn man ihn anstellt, dann verdienen Autoren wie Martin Schlumpf, dass man sie liest, damit wir auch richtig abstimmen. Mehr Licht, weniger Ideologie.

MARKUS SOMM, Chefredaktor Nebelspalter.ch

Übersicht

Die zwölf durchnummerierten Kapitel bilden das Rückgrat dieses Buches. Es sind alles Beiträge, die ich im Zeitraum von November 2021 bis April 2022 für das Online-Magazin «Nebelspalter» geschrieben habe. Da ich dort als Grafik-Daten-Kolumnist arbeite, gibt es in jedem Text eine (oder mehrere) Grafiken, in denen wichtige Fakten zum Thema bildlich dargestellt sind. Herausgefordert durch die zunehmenden Schwierigkeiten der Schweizer Energiestrategie 2050 – spezifisch mit den Schwächen unseres Stromsystems – verfolge ich in diesen Beiträgen das Thema «Atom versus Solar». Um diese zentrale Frage dreht sich das ganze Buch: Können wir es uns leisten, aus der Kernenergie auszusteigen, und unser Elektrizitätssystem mit Wasserkraft und Erneuerbaren allein sichern? Ich glaube nicht, und das will ich hier begründen.

Ausgehend von der zentralen Frage der Zuverlässigkeit eines Energieträgers arbeite ich mich durch die Themen Ressourcenbedarf, Sicherheit, Kosten und Abfälle durch, bevor ich in Kapitel 10 eine Rückschau auf alle vorherigen Kapitel und eine Zusammenfassung mit spezifischen Bewertungen biete, die im Urteil gipfelt: «Atomkraft? Ja, bitte!» Wer den raschen Überblick sucht, steigt am besten mit diesem 10. Kapitel ein, um danach einzelne Fachbereiche separat zu vertiefen. Abgeschlossen wird dieses Rückgrat des Buches durch zwei weitere «Nebelspalter»-Beiträge, die sich mit den Zukunftsaussichten unserer Energiewende beschäftigen («Energiewende ins Nichts»). Bei all diesen Texten habe ich mich darum bemüht, objektiv, datenbasiert und gut verständlich zu schreiben. Alle, die das Bedürfnis nach vertiefter Information über die hier behandelten schwierigen und umstrittenen Themen haben, selber aber nicht genügend Zeit dafür investieren können, sollten hier auf ihre Rechnung kommen.

Um dieses Rückgrat gruppiert finden sich dann ein ausführliches Vorwort von Hans Rentsch, das die ganze Vorgeschichte der Energiewende aufrollt, sowie sechs sogenannte Vertiefungs-Exkurse. Das sind fachspezifische Texte zu Themen, die in meinen Beiträgen angeschnitten, aber nicht bis ins Detail behandelt sind. In Exkurs 1 beleuchtet Alex Reichmuth, wie die Medien bei heiklen Atom-Fragen wegschauen oder alarmistisch berichten. Im zweiten Exkurs folgen wir Walter Rüeggauf seiner Reise ins Innere von Tschernobyl. In den beiden Exkursen 3 erzählt zuerst Simon Aegerter, was in Fukushima geschah, worauf Johannis Nöggerath den detaillierten Sicherheits-Vergleich der japanischen mit den schweizerischen Kernkraftwerken macht. In Exkurs 4 beschreibt Markus Saurer aus ökonomischer Sicht, warum die Energiewende nicht nachhaltig ist. Und im letzten Exkurs 5 zeigt Johannis, warum wir die Laufzeit unserer Kernkraftwerke verlängern und den Bau neuer Kernkraftwerke angehen sollten.

Vorwort von Hans Rentsch

Wussten Sie, dass Strom aus Kernkraftwerken (KKW) unter Berücksichtigung aller Kosten nicht teurer ist als Wind- und Solarstrom? Oder war Ihnen bekannt, dass das Entsorgungsproblem für die vielen problematischen Materialien, die für Windräder und Photovoltaik verwendet werden, mindestens so anspruchsvoll und teuer ist wie für den «Atommüll»? Oder hatten Sie schon einmal gehört, dass Kernenergie im Vergleich die sicherste Form der Stromerzeugung ist?

Falls Ihre Antwort auf alle drei Fragen nein lautet, brauchen Sie sich keinen Vorwurf zu machen. Die seit Jahrzehnten laufende Dämonisierung der Kernenergie durch fundamentalistische KKW-Gegner und die permanente Gehirnwäsche durch Medien und Politik haben auch bei Ihnen ihre Wirkung hinterlassen. Höchste Zeit also, sich mit den Fakten auseinanderzusetzen, falls Sie wirklich auch bereit sind, liebgewonnene Vorurteile über Bord zu werfen. Diese Publikation liefert dafür die Grundlagen.

Chronologie einer überstürzten Energiewende

Im Jahr 2008 reichen die Betreiber der schweizerischen Kernkraftwerke drei Rahmenbewilligungsgesuche für den Bau von neuen KKW ein. Am 11. März 2011 kommt es in Japan zu einem gewaltigen Erdbeben mit einem verheerenden Tsunami und der Reaktorkatastrophe im KKW Fukushima Daiichi. Unmittelbar nach dem Unfall beschliesst das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK), die laufenden Verfahren für die Bewilligungsgesuche der neuen KKW zu sistieren. Danach geht alles unschweizerisch schnell, bevor auch nur eine erste Analyse dieses japanischen «worst case» vorliegt:

− Am 23. März beauftragt der Bundesrat das UVEK, die bestehende Energiestrategie zu überprüfen und die Energieperspektiven 2035 zu aktualisieren.− Am 25. Mai fällt der siebenköpfige Bundesrat mit der Mehrheit der vier damaligen Bundesrätinnen einen Richtungsentscheid für einen schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie. Die bestehenden KKW sollen nicht durch neue ersetzt werden.−In der Wintersession spricht sich auch das Parlament für den schrittweisen Atomausstieg aus. Es beauftragt den Bundesrat mit der Erarbeitung einer umfassenden Energiestrategie. Diese soll eine vom Ausland möglichst unabhängige Stromversorgung ohne Kernenergie sicherstellen.− Am 18. April 2012 stellt der Bundesrat in einer Medienmitteilung fest, dass der schrittweise Ausstieg aus der Kernenergie technisch und wirtschaftlich machbar ist. Das UVEK wird mit der Erarbeitung eines ersten Massnahmenpakets beauftragt.− Am 4. September 2013 verabschiedet der Bundesrat seine Botschaft zum neuen Energiegesetz als Teil des ersten Massnahmenpakets zur «Energiestrategie 2050».− Am 30. September 2016 nehmen National- und Ständerat nach Abschluss der dritten Beratung des neuen Energiegesetzes die Vorlage in der Schlussabstimmung an.− Am 31. Januar 2017 meldet die Bundeskanzlei, dass das Referendum gegen das neue Energiegesetz zustande gekommen ist.− Am 21. Mai nimmt das Stimmvolk das neue Energiegesetz mit 58.2 Prozent der Stimmen an. Das Gesetz sowie die Ausführungsbestimmungen treten am 1. Januar 2018 in Kraft.

Im Anhang zum Gesetz findet sich das Verbot zum Bau von neuen KKW. Auf einem Faktenblatt des Bundesamtes für Energie (BFE) steht dazu: «Rahmenbewilligungen für die Erstellung neuer Kernkraftwerke sowie für grundlegende Änderungen an bestehenden Kernkraftwerken werden nicht mehr erteilt … Weiter wird das vom Parlament bereits früher beschlossene Moratorium für die Ausfuhr abgebrannter Brennstäbe zur Wiederaufarbeitung durch ein unbefristetes Verbot ersetzt.»

Der kurze Weg in die energie- und klimapolitische Sackgasse

Der in Aussicht gestellte Erfolg der ES2050 («Energiewende») gründete auf vier Annahmen:

− Einem massiven Ausbau von Solar- und Windstromanlagen sowie von Wasserkraft;− Energieeinsparungen durch Effizienzsteigerungen;− Stromimporten aufgrund eines Stromabkommens mit der EU;− technologischen Quantensprüngen, insbesondere in der Speichertechnologie, um wegfallende Bandenergie aus KKW ohne Einbusse an Versorgungssicherheit durch volatilen Strom aus Solar- und Windanlagen zu substituieren.

Alle vier Bedingungen beruhten auf dem Prinzip Hoffnung. Schon bald wurden wir, durchaus voraussehbar, mit harten Tatsachen konfrontiert. Der erhoffte massive Ausbau der Produktionskapazitäten für PV- und Windstrom erwies sich schon bald als illusorisch. Beim Ausbau der Wasserkraft hätte allein schon der jahrzehntelange Konflikt mit Umweltschutzorganisationen um die Erhöhung der Grimsel-Staumauer übertriebene Erwartungen dämpfen müssen. Und selbst mit höherer Effizienz kann von Einsparungen beim Stromverbrauch keine Rede sein, wenn man gleichzeitig auf die möglichst weitgehende Elektrifizierung der Mobilität und der Gebäude setzt (Stichwort: Sektorkopplung).

Bezüglich Stromimporten waren die offiziellen Botschaften etwas widersprüchlich. Einerseits wurde im Vorfeld des Referendums über das Energiegesetz behauptet, dank der geplanten Massnahmen könne die Schweiz ihre Abhängigkeit von Stromimporten senken. Anderseits kam bald nach der Volksabstimmung eine möglicherweise bewusst zurückgehaltene BFE-Studie heraus, welche die entscheidende Rolle von Stromimporten und deshalb eines Stromabkommens mit der EU unterstrich. Man wusste aber schon seit langem, dass es ohne institutionelles Rahmenabkommen mit der EU kein Stromabkommen geben würde. Allerdings hatte die Schweiz nicht einmal ihre Hausaufgaben gemacht, obwohl man seit Jahren wusste, dass die vollständige Strommarktliberalisierung die Bedingung für ein Stromabkommen gewesen wäre. Ohne Stromabkommen verschärft sich die Herausforderung der notorischen Winterstromlücke. Dieses saisonale Problem haben wir schon heute, und es lässt sich nur mit Stromimporten lösen. Die Speicherkapazität der Pumpspeicheranlagen ist viel zu gering für den saisonalen Ausgleich.

Das Problem der Winterstromlücke wird sich mit der Abschaltung von KKW massiv verschärfen. Wirtschaftlich umsetzbare technologische Quantensprünge in der Speicherung zur Glättung der unregelmässig anfallenden Stromproduktion aus Sonne und Wind sind bei weitem noch nicht in Sicht. Laufende technische Entwicklungen auf diesem Gebiet entpuppen sich bald einmal als Scheinlösungen, sobald man die notwendigen Grössenordnungen ins Kalkül einbezieht.

Für das Gelingen der Energiewende müssten alle vier der oben aufgeführten wackeligen Annahmen gegeben sein, das heisst, es sind kumulative Bedingungen. Wer eine solche auf Sand gebaute «Energiestrategie» entwirft, müsste mindestens einen Plan B haben. Aber das hätte den unerwünschten Eindruck erwecken können, man glaube selbst nicht so recht an den Erfolg der Energiewende. Und so stehen wir heute – mit dem russischen Ukrainekrieg als Notfallbeschleuniger und unhaltbarer Entlastung von politischer Verantwortung – mit abgesägten Hosen da.

Die zuständigen Stellen in der Bundesverwaltung rotieren im Panikmodus. Bezeichnend dafür ist, dass jetzt, unter dem Druck der selbstverursachten Umstände mit möglichen Stromunterbrüchen schon im laufenden Winter, plötzlich von Stromabschaltungen und unpopulären Gaskraftwerken die Rede ist – von der bereits beschlossenen Verlängerung der KKW-Laufzeiten gar nicht zu reden. Dabei war das Energiegesetz dem Stimmvolk primär als Atomausstiegsvorlage präsentiert und von diesem auch so verstanden worden.

Stereotype Vorurteile statt Fakten zur Kernenergie

In jüngerer Zeit bietet nun der politische Eiertanz um die Aufhebung des Verbots neuer Kernkraftwerke im Energiegesetz einen eher zwiespältigen Unterhaltungswert. Auslöser der schweizerischen Diskussionen waren nicht zuletzt die Streitereien in der EU um die Taxonomie-Verordnung, die die Vorgaben für nachhaltige Investitionen definiert. Auf Wikipedia steht dazu: «Die Verordnung enthält die Kriterien zur Bestimmung, ob eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig einzustufen ist.»

Im gefundenen Kompromiss spiegelt sich in schönster Weise der typische EU-Opportunismus, einem Lehrstück, in dem wie so oft die beiden grossen Nachbarn die Hauptrolle spielen. Man hat zwar auf Forderungen Frankreichs und osteuropäischer EU-Länder – trotz Gegendruck von Deutschland und einigen anderen EU-Staaten – die Kernenergie als nachhaltig und «grün» taxiert. Im Gegenzug setzten sich erwartungsgemäss auch die deutschen Interessen durch, indem nun Energie aus Gaskraftwerken ebenfalls als nachhaltig gilt. Denn ohne diese «Brückentechnologie» als Backup für die volatilen Erneuerbaren müsste Deutschlands Energiewende mit der raschen Stilllegung der KKW und dem Ausstieg aus Kohle zwingend scheitern.

Der russische Krieg gegen die Ukraine und die russischen Kriegsspiele mit der Gaswaffe haben allerdings inzwischen die moralisch aufgeladene deutsche Energie- und Klimapolitik gewaltig durcheinandergewirbelt. Bislang sture ideologische Positionen wurden aufgeweicht, und die ganz bösen Fossilen Kohle und Öl sollen das Schlimmste für die nächste Zeit verhindern. Noch ist zum heutigen Zeitpunkt (August 2022) der Koalitionsstreit um die Abschaltung der letzten drei KKW nicht entschieden.

Die Meinungen über die Kernenergie sind über die Jahrzehnte zu stereotypen Vorurteilen geronnen, gegen die mit Sachargumenten nur schwer anzukommen ist. Es ist bemühend zu sehen, wie selbst in den Führungsgremien der schweizerischen Bundesratsparteien Meinungen herumgereicht werden, die mit der Realität wenig bis nichts zu tun haben. So wird die ständige Erhöhung der Sicherheit von Anlagen der alten Generation II (alle Schweizer AKW) durch x-Millionen teure Nachrüstungen kaum je erwähnt, geschweige denn die weitere beträchtliche Reduktion der Risiken durch die neuen Generationen III und IV.

Statt dass man sich wieder unbefangen mit der Projektierung sicherer KKW der neuen Generation befasst, nachdem durch den «worst case»-Unfall von Fukushima zwar Evakuierungsopfer, aber keine Strahlenopfer zu beklagen waren, verlängert man lieber die Laufzeit der alten KKW. Auch an höchsten Stellen verweigert man den Blick über den Tellerrand – zum Beispiel nach Asien –, weil mit der Wahrnehmung der dortigen technologischen Entwicklung im realen Einsatz ein Argument für den Atomausstieg abhandenkommen könnte.

Natürlich ist da auch noch das mehrheitlich KKW-kritische Stimmvolk, wo das durchschnittliche Wissen um die hohe Komplexität eines nachhaltig sicheren Strom- und Energiesystems eher unterentwickelt ist. Die meisten Leute haben verständlicherweise andere Prioritäten, als sich aufwändig über dieses Thema zu informieren. So verwundert es auch nicht, dass in der VOTO-Nachbefragung zur Abstimmung über das Energiegesetz vier Fünftel der Befragten sagten, sie wünschten sich eine Schweiz ohne Kernenergie. Und bis heute ist gemäss einer repräsentativen Umfrage des Verbands der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen VSE eine Mehrheit der stimmberechtigten Bevölkerung gegen die Aufhebung des Verbots zum Bau von neuen KKW. Gut, wünschen kann man vieles, nur zerschellen Wünsche gerne an der harten Realität – so wie gerade jetzt die in die Energiewende eingebauten Illusionen.

Drei Lager, drei Argumente

Die AKW-Gegnerschaft besteht zu einem guten Teil aus drei unterscheidbaren Gruppen, allerdings mit gewissen Schnittmengen. Erstens gibt es die vielen oberflächlich Informierten, die sich ihre Meinungen mithilfe von Schlagworten in den Medien oder aus Parolen der ihnen nahestehenden Partei bilden. Die notwendigen Opfer an knapper Zeit, um sich vertieft über Fakten und Zusammenhänge zu informieren, sind ihnen zu hoch. Diese freiwilligen Ignoranten handeln in dem Sinne rational, als sich grosser Informationsaufwand nicht lohnt, wenn man an den fast infinitesimalen Einfluss einer einzelnen Stimme in Wahlen und Abstimmungen denkt.

Ein zweites Lager sind die Hugos. Vor der Abstimmung über das Energiegesetz vom Mai 2017 erklärte mir mein alter Schulfreund Hugo, weshalb er für das Gesetz stimme, gegen das als einzige Partei die SVP die Nein-Parole gefasst hatte. Er habe sich zwar nicht gut informiert, aber «ich werde doch nicht Blocher helfen, eine Abstimmung zu gewinnen!» In der Konstellation «alle gegen die SVP» – die übliche Situation in der Energie- und Klimapolitik – gibt es besonders viele Hugos. Das Wahlverhalten der Hugos nennt man in den USA «expressive voting». Man stimmt gar nicht zum Thema ab, sondern benützt die Abstimmung, um in einer Art symbolischem Akt emotionalen Gewinn zu erzielen. Der Nutzen daraus übertrifft die Informations- und Teilnahmekosten bei weitem.

Die dritte Gruppe besteht im Kern aus ideologisch fixierten Überzeugungstätern, die mit ihrer Opposition gegen die Kernenergie ihr Selbstbild als Progressive im Kampf gegen die Ewiggestrigen pflegen. Dieses Lager ist missionarisch unterwegs, bewirtschaftet die verbreitete diffuse Abneigung gegen «Atomstrom» und liefert der Öffentlichkeit mit Unterstützung geneigter Medien in ritueller Wiederholung die drei eingängigsten Schlagworte: Erstens: KKW sind gefährlich, siehe Tschernobyl und Fukushima (ein SRF-Radiohörer ergänzte die beiden Ereignisse noch mit Hiroshima). Zweitens: Das Entsorgungsproblem für den «Atommüll» ist nicht gelöst. Drittens: KKW sind viel zu teuer, kein Investor wird deshalb heute ein KKW bauen.

Mit diesen drei Killer-Argumenten und mit einigen anderen vorurteilsbeladenen Kritiken an der Kernenergie hat sich Martin Schlumpf in Nebelspalter-Beiträgen seit Dezember 2021 eingehend beschäftigt und diese – stets unter Beizug von Daten aus offiziellen Quellen – weitestgehend widerlegt. Diese Beiträge zu verbreiteten Irrmeinungen über die Kernenergie bilden das Rückgrat dieser Publikation. Zwischen den Beiträgen finden sich ergänzend Exkurse von Experten über verwandte Themen.

«Let my dataset change your mindset»

Martin Schlumpf ist als energiepolitischer Konvertit ein interessanter Fall. Ursprünglich war er als Musiker und Musikprofessor an der Zürcher Hochschule der Künste ideologisch fest in Kulturkreisen verankert. Mitte der 1980er-Jahre erfuhr er in seiner Aargauer Wohngemeinde Würenlingen von Ungereimtheiten um eine Mülldeponie. Er gründete einen Umweltverein, ging mit Gleichgesinnten der Sache auf den Grund und schuf mit seinem ersten politischen Engagement ziemlich viel Unruhe in der Gemeinde. Als wenig später bekannt wurde, dass in Würenlingen ein Zwischenlager für radioaktive Abfälle geplant war, hatte Schlumpf mit seinem Verein gleich wieder ein neues Oppositionsprojekt und wurde zum engagierten AKW-Gegner. Mit seinen Aktivitäten steigerte er zwar in der Region seine Bekanntheit, nicht jedoch seine Popularität bei Behörden und in politisch gesetzteren Kreisen, wo er als «rotes Tuch» galt.

Schlumpfs Wende zum überzeugten Befürworter der Kernenergie war ein langer Prozess der neugierigen Beschäftigung mit anderen Sichtweisen und, damit verbunden, mit Daten und harten Fakten. Dabei ging es gar nicht unbedingt und in erster Linie immer um die Kernenergie, sondern auch um die Einbettung dieses Sonderthemas in grundsätzlichere Zusammenhänge. Er las Bücher von Matt Ridley (The Rational Optimist), Fritz Vahrenholt und Sebastian Lüning (Die kalte Sonne), Steven Pinker oder dem Energieökonomen Vaclav Smil. Als besonders wichtiger Einfluss auf Schlumpfs Denken ist schliesslich Hans Rosling zu erwähnen, der 2017 verstorbene Professor für Internationale Gesundheit am Karolinska Institutet und Direktor der Gapminder-Stiftung in Stockholm.

Dieser wurde berühmt durch seine bewegten Grafiken über den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt der Menschheit. Damit kämpfte er datengestützt gegen die in der westlichen Öffentlichkeit verbreiteten Vorurteile und gegen den latenten Pessimismus. Man könnte sagen, dass Schlumpf Roslings Motto nachlebt, das lautet: Let my dataset change your mindset. Oder wie es der berühmte britische Ökonom John Maynard Keynes ausdrückte: Wenn die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung. Die Wahrnehmung der Fakten kann sich ändern, weil man sich zuvor gar nicht eingehend mit ihnen befasst hat, aus Sorge, das eigene Weltbild könnte Schaden nehmen.