Black Bullet – Light Novel, Band 3 - Saki Ukai - E-Book

Black Bullet – Light Novel, Band 3 E-Book

Saki Ukai

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Beschreibung

Tokyobezirk, im Jahre 2031. Ein gewaltiger Gastrea hat einen der Monolithen mit einer besonderen Flüssigkeit überzogen, die den einzigen Schutz vor den gefährlichen Monstern zersetzt. Wachmann Rentaro muss im Auftrag der Regierung ein Team zusammenstellen, um sich der näherrückenden Armee aus Gastrea zu stellen. Doch die Suche nach Gefährten gestaltet sich als schwierig, denn Rentaro ist nicht besonders beliebt. Kurz darauf bricht der Monolith frühzeitig zusammen. Und die dritte Schlacht um Kanto beginnt ...

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Es gibt nichts Nervigeres, als in einer schwülen Nacht Wache schieben zu müssen. Der Trageriemen der schweren Waffe schneidet tief in deine Schulter, obwohl du gerade mal zwei Stunden unterwegs bist. Bei der Hitze fällt es schwer, sich zu konzentrieren. Egal wie häufig du dir den Schweiß abwischst, er fließt unaufhörlich weiter aus allen Poren. Überall riecht es nach feuchter Erde. Und wenn ab und an eine erfrischende Brise durchs Unterholz weht, spürst du dank der dicken Tarnkleidung gar nichts davon.

Yoshifusa Sato von der Bodentruppe der Verteidigungskräfte ist in schweren Stiefeln unterwegs. Der Boden unter ihm knirscht bei jedem seiner Schritte. Schon den dritten Tag in Folge hat er beim Kartenspielen gegen seine Kollegen verloren. Deshalb musste er raus, Patrouille gehen.

Plötzlich beginnt die Taschenlampe zu flackern. Genervt schlägt er mehrmals dagegen. Kurz bevor er aufgeben will, stabilisiert sich der Lichtstrahl. Erleichtert leuchtet er die Gegend ab.

Er ist im 40. Bezirk. Ein kleiner Außenbezirk von Tokyo. Die Hölle auf Erden.

Auf der linken Seite kann er im Schein der Taschenlampe nichts als Bäume erkennen. Auf der rechten versperrt ihm die pechschwarze Mauer die Sicht. Yoshifusa schaut einen Moment lang nach oben. Die Mauer ist so hoch, dass er ihren oberen Rand nicht erkennen kann. Er ist aber auch nicht besonders groß. Und er weiß natürlich, dass die Mauer nicht unendlich weit in den Himmel ragt.

Dennoch sind die Monolithen unfassbar riesig. Mehr als anderthalb Kilometer hoch und einen Kilometer breit sind diese Metallklumpen aus pechschwarzem Ballanium, das noch dunkler ist als die Nacht. Manchmal durchtrennen sie sogar tief hängende Wolken.

Nur die Höhe des Fujis – mit fast 3800 Metern Japans höchster Berg – erreichen sie nicht. Aber etwas mehr als zwei Monolithen übereinander könnten ihm Konkurrenz machen. Und um sie in der Breite zu überqueren, würde Yoshifusa in gemütlichem Gang etwa eine Viertelstunde brauchen.

Es ist, als sei man im Land der Riesen gelandet.

Wie kann es sein, dass nicht Götter, sondern einfache Menschen so etwas erschaffen haben?

Die Monolithen stehen in einem Abstand von je zehn Kilometern und schützen, ähnlich wie ehemals die Chinesische Mauer das chinesische Kaiserreich, das mehrere Hundert Kilometer umfassende Stadtgebiet von Tokyo. Die Mauern müssen sich auch vor den alten Pyramiden nicht verstecken. Ein Wall, um die Menschheit zu beschützen.

Weiter draußen wartet nämlich die Hölle. Weiter draußen warten fürchterliche Wesen. Weiter draußen warten Monster, die früher einmal Menschen waren.

Yoshifusa hebt seine Lampe und leuchtet den Monolithen an. Ein aufgemalter Schriftzug erscheint in dem Lichtkegel: Nr. 0032.

Schnell lässt Yoshifusa den Monolithen hinter sich, während er die Dunkelheit der Außenwelt im Blick behält.

Bestimmt sind auch die da draußen, die einst Yoshifusas Frau und Sohn waren und die jetzt als Gastrea unendliches Leid ertragen müssen. Und bestimmt haben sie sich schon so sehr verwandelt, dass es sie nicht länger quält.

Ein Rascheln im Gebüsch neben ihm reißt ihn aus seinen Gedanken. Doch als er schnell in die Richtung leuchtet, aus der das Geräusch gekommen ist, huscht nur etwas Kleines an seinen Augen vorbei. Bestimmt eine Maus.

Das Herz schlägt ihm bis zum Hals. Er keucht. Dann schüttelt er den Kopf. So ein Unsinn. Wovor hat er solche Angst?

Schließlich ist seit dem Gastrea-Krieg kein Gastrea mehr ins Stadtgebiet eingedrungen. Außer fliegenden Ungeheuern konnten Gastrea bisher immer nur über infizierte Menschen in die Stadt gelangen.

Auf einmal stinkt es dermaßen, dass er sich die Nase zuhalten muss. Es riecht nach Kanalisation. Woher kommt dieser furchtbare Geruch?

Dann ertönt über ihm ein schreckliches Brüllen.

Yoshifusas ganzer Körper verkrampft. Schlagartig verändert sich sein Schweiß. Eben nochhat er aufgrund der schwülen Wärme geschwitzt, nun ist es Angstschweiß, und durch ein Gefühl der Hilfslosigkeit ist ihm plötzlich kalt und übel.

Er atmet tief durch, um nicht in Panik zu geraten. Dann richtet er seine Lampe langsam nach oben.

Das Licht wird von einem feucht glänzenden Körper reflektiert und blendet Yoshifusa. Er lässt die Lampe fallen. Sofort weicht alle Kraft aus seinen Beinen. Er kann sich gerade noch aufrecht halten.

»U… Uwah …«

Über ihm befindet sich ein gewaltiges Lebewesen, das fast den gesamten Nachthimmel verdeckt, als es sich an dem etwa fünfzig Meter entfernten Monolithen festklammert. Die geschwungenen Linien seines Oberkörpers zeichnen sich in der Dunkelheit ab. Ein tiefes Grollen zerreißt die Stille. Yoshifusa spürt den heißen Atem des Monsters, das mindestens so groß zu sein scheint wie ein Passagierflugzeug.

»Was … Ist das etwa ein Gastrea?« Es ist unmöglich. Wie denn? Und wann? Ungläubig steht er da.

Plötzlich hallt ein Schuss durch die Nacht. Kurz darauf hört er aufgeregte und schmerzerfüllte Schreie, auf die weitere Schüsse folgen. Sie kommen aus dem Militärlager vor ihm. Sie kommen von dort, wo Yoshifusa und seine Kameraden stationiert sind. Direkt hinter der Mauer.

»Ein Angriff?«, murmelt er benommen. Gelähmt durch die sonderbare Situation, kann sein Gehirn keinen vernünftigen Gedanken fassen.

Dann kommt er zu sich, rennt so schnell er kann zum Lager und springt mit der Schulter voran durch das Tor.

Drinnen gieren Monster über den leblosen Körpern seiner Kameraden.

Sie sehen aus wie Ameisen – aber nicht wie die normalen kleinen schwarzen Insekten. Nein, durch das Gastrea-Virus sind sie gewachsen: Selbst krabbelnd gehen sie Yoshifusa bis zur Brust.

Ameisen-Gastrea. Typus Ant. Nun, da sie beim Fressen gestört wurden, drehen sie ihre Köpfe mit den l-förmigen Fühlern in Yoshifusas Richtung.

Er steht geistesabwesend am Tor und fragt sich zum wiederholten Male: Warum? Wegen der Monolithen sollten sich normale Gastrea eigentlich nicht nähern können. Aber diese Tatsache scheint hier überhaupt keine Rolle zu spielen.

Er weiß nur, dass es schlimmer gekommen ist, als er es sich in seinen übelsten Träumen hätte ausmalen können.

Dann löst er sich aus seiner Starre. »Last meine Kameraden in Ruheeeeeeee!«, brüllt er. Wütend greift er zum Gewehr und drückt den Abzug. Ein heftiger Rückstoß durchzuckt seine Schulter. Die Salve schießt einer Ameise das linke Auge heraus und schleudert es an die Decke, wo es in mehreren Klumpen kleben bleibt.

So wie er es im Training gelernt hat, zielt Yoshifusa sofort auf das nächste Monster und schießt einige Male hintereinander. Während die Gastrea mit jedem Treffer schmerzhaft aufschreien, zieht er sich langsam zurück. Dabei schießt er unaufhörlich 5,56-Millimeter-Kugeln auf seine Gegner ab.

Einen Augenblick lang glaubt er, gewinnen zu können, doch da läuft es ihm kalt den Rücken herunter. Reflexartig macht er einen Schritt zur Seite – und schon zischt dort, wo er gerade noch stand, eine schreckliche Ameisenzange nach vorn und bohrt sich in den Boden.

Verwundert nimmt er sein Auge vom Visier. Dann gefriert ihm das Blut in den Adern. Unzählige Ameisen-Gastrea haben ihn umzingelt. Es müssen mehrere Hundert sein. Bin ich etwa auf mich allein gestellt? Er schaut sich um, doch er kann nichts sehen, kann weder Schüsse noch Schreie hören. Anscheinend ist er der Einzige im Lager, der noch lebt.

Ganz anders als von Ameisen geht von diesen Gastrea ein schrecklicher Gestank aus. Sie öffnen ihre schleimigen Mäuler, klicken mit ihren unnatürlichen Zangen und schließen langsam den Kreis um ihn.

Yoshifusa macht die Augen zu. Innerlich hat er schon mehrfach durchgespielt, was er in so einer Situation machen würde. Zu behaupten, dass die Verlockung nicht da ist, wäre eine Lüge. Aber er gehört zur Vorhut, die Japan verteidigen soll, und darf auf keinen Fall zu dem werden, in das sich seine Frau und sein Sohn verwandelt haben.

Yoshifusa wirft sein Gewehr zur Seite. Dann zieht er den Stift aus einer Handgranate, die er fest an sich presst, bevor er eine letzte Bitte formuliert.

Irgendjemand. Irgendjemand muss etwas unternehmen. Sonst ist das gesamte Stadtgebiet von Tokyo dem Untergang geweiht.

Im ersten Bezirk Tokyos saß die Japanische Nationale Sicherheitskonferenz (kurz: JNSK) in einem unterirdischen Bunker. Plötzlich flog die Tür auf und Seitenshi eilte herein. Alle versammelten Mitglieder und der stellvertretende Leiter Kikunojo Tendo erhoben sich von ihren Plätzen.

Mit einem Wink gab das Regierungsoberhaupt ihnen zu verstehen, sich zu setzen. Seitenshi schaute Kikunojo finster an. »Wie ist die aktuelle Lage?«

»Heute um 21:30 Uhr sind bei Monolith Nr. 32 feindliche Gastrea aufgetaucht«, erklärte Kikunojo. »Die genaue Anzahl ist unbekannt. Die weiteren Umstände sind auch noch ungeklärt.«

»Setzen Sie sofort Aufklärungssatelliten und -drohnen ein«, befahl sie. »Alle Einheiten in der Nähe sollen sich bereit machen. Wir müssen die Lage so schnell wie möglich in den Griff bekommen.«

»Ich habe erwartet, dass Fräulein Seitenshi dies befehlen würde, und habe bereits entsprechende Vorkehrungen getroffen«, sagte Kikunojo. Seitenshi nickte ihm zum Dank einmal wortlos zu.

Das Telefon klingelte. Verteidigungsminister Daimon sprach einige Sätze in den Hörer und blickte dann auf.

»Die Verstärkung der Verteidigungskräfte hat gegen Gastrea vom Typus Ant im Stadium I gekämpft. Sie wurden komplett vernichtet, bevor es zu einer Pandemie kommen konnte.«

Im Raum wurde erleichtert aufgeatmet.

»Aber das war noch nicht alles«, sagte Minister Daimon und lauschte dem, was vom anderen Ende der Leitung berichtet wurde. Nach ein paar Worten erstarrte er und blickte kreidebleich in die Runde. »Der vorgeschickte Stoßtrupp wurde von einem gewaltigen Gastrea ausgelöscht, der den Rest angeführt zu haben scheint. Dieser Anführer war verschwunden, als die Haupteinheit eintraf.«

Kikunojo runzelte die Stirn. »Verschwunden? Doch etwa nicht ins Stadtgebiet hinein?«

»Ein Mitglied des Stoßtrupps konnte mit einer Kamera einige Bilder des Gastrea aufnehmen. Sie werden gerade auf diesen Bildschirm übertragen. Bitte sehr.« Daimon zeigte auf ein großes Display im Raum, auf dem plötzlich ein Foto erschien.

Seitenshi kniff die Augen zusammen. Das Bild war verwackelt und sehr dunkel. Der Fotograf hatte vor Aufregung wohl vergessen, den Blitz auszulösen. Doch selbst in der pechschwarzen Nacht konnte man den dunklen Monolithen schwach erkennen, vor dem sich die fürchterliche Silhouette eines gewaltigen Gastrea abzeichnete. Atemlos warteten alle Anwesenden im Raum auf mehr.

Schließlich wurde das zweite ebenfalls sehr dunkle Bild auf dem Display angezeigt.

Etwas regte sich in Seitenshis Erinnerungen. Hatte sie diesen Gastrea nicht schon mal irgendwo …

Als das dritte Bild gezeigt wurde, brach im Konferenzraum Panik aus. Auch Seitenshi riss die Augen weit auf und starrte gebannt auf das Display.

Auf diesem Bild war etwas völlig anderes zu sehen als auf den vorherigen beiden. Durch das Licht eines Suchscheinwerfers hob sich zwar nur ein Teil des Kopfes von der Dunkelheit ab – doch das allein reichte, um allen Kabinettsmitgliedern einen unfassbaren Schrecken einzujagen.

»Ein Gastrea mit der Fähigkeit, Ballanium zu zersetzen: Stadium IV. Codename Aldebaran.« Als Seitenshi den Namen aussprach, lief es ihr selbst kalt den Rücken runter. Leicht fröstelnd rieb sie sich die Arme. Sogar die Haupttruppe der Verteidigungskräfte würde nicht ungeschoren davonkommen, sollte sie diesem Gastrea unvorbereitet begegnen.

Aber wie und warum konnte er sich am Monolithen festklammern? Egal, wie sehr sie nachdachte, es fiel ihr darauf keine Antwort ein. Sie wusste nur eins: Dem Stadtgebiet von Tokyo würde etwas Unglaubliches zustoßen, weil der Gastrea mit seinem Maul irgendetwas mit dem Monolithen angestellt hatte.

Seitenshi erhob sich von ihrem Platz und sagte: »Monolith Nr. 32 wurde von Aldebaran angegriffen und muss auf der Stelle untersucht werden. Rufen Sie sofort Ballaniumexperten, die sich die Sache anschauen sollen. Setzen Sie auch unsere Supercomputer ein, um die gesammelten Daten zu analysieren. Dafür müssen die zuständigen Ministerien informiert werden. Meine Damen und Herren, richten Sie sich auf eine lange Nacht ein.«

Die nächsten Stunden schienen im Zeitlupentempo zu vergehen, bis endlich der Lagebericht der Untersuchungseinheit im Konferenzraum eintraf. Wie spät es wohl war? Bestimmt dämmerte es draußen schon.

Doch endlich hielten sie stichfeste Beweise in ihren Händen. Auf dem Display wurden Fotos einer unbemannten Drohne abgebildet, die vergrößerte Teile von besagtem Monolithen zeigten. Auf dem ersten Bild war ein weißlicher, schimmelartiger Belag auf einer etwa dreißig Zentimeter breiten Fläche zu sehen. Auf dem zweiten hatte sich dieser Schimmel schon auf über einem Meter ausgebreitet. Auf den folgenden drei Fotos dehnte sich der Fleck immer weiter über den Monolithen aus. Das war charakteristisch für das sogenannte »Ausbleichen« und stimmte mit den bisherigen Berichten über das Erscheinen von Aldebaran überein. Es gab keinen Grund mehr zu zweifeln.

»Fräulein Seitenshi.« Kikunojos Gesichtsausdruck war ernst. »Zweifelsohne besitzt er die Fähigkeit, Ballanium zu zersetzen.«

Plötzlich kam ein Forscher mit hochrotem Gesicht hereingestürmt. Unter dem Arm trug er einen Stapel Unterlagen. »Ich habe die Ergebnisse unseres Computers!«, rief er. »Es ist unmöglich, die zersetzende Flüssigkeit vom Monolithen zu entfernen. In diesem Zustand wird sich der Effekt des Ausbleichens innerhalb einer Woche über den ganzen Monolithen Nr. 32 ausbreiten, wodurch er jegliche magnetische Wirkung verlieren und schließlich einstürzen wird!«

»Was passiert, wenn er einstürzt?«, fragte Seitenshi.

»Durch das Loch im Verteidigungswall werden Gastrea in das Stadtgebiet eindringen und eine Pandemie auslösen. Diese wird innerhalb von zwei Tagen etwa siebzig Prozent und innerhalb von zwei weiteren Tagen den Rest der Bewohner dahinraffen. Das ist das Ende des Toyko-Bezirks.«

»D… Du lügst! Rechne das noch mal durch!«, schrie der Generalsekretär den Mann an.

»Hätten wir es nicht mehrfach durchgerechnet, würden wir es selbst nicht glauben.« Der aufgeregte Forscher vergaß sich und pfefferte dem Generalsekretär seine Unterlagen vor die Füße. Wie gewaltiges Konfetti flogen die Papiere durch die Luft.

In dem unterirdischen Konferenzraum war es plötzlich so still, dass niemand es wagte, auch nur zu atmen. Schließlich kam der Forscher wieder zu sich und schaute beschämt zu Boden.

Seitenshi nahm ihren Rosenkranz vom Hals und hielt ihn zitternd in den Händen. Die Lage schien aussichtslos. Dennoch warteten die aufgewühlten Kabinettsmitglieder angespannt auf ein Kommando von ihr. Sie atmete tief durch. Gerade in solchen Momenten musste sie sich zusammenreißen.

Seitenshi streckte die Brust raus und versuchte, würdevoll auszusehen. Sie sagte: »Meine Damen und Herren. Wir werden uns überlegen, wie wir dieser Situation Herr werden können. Zuallererst müssen wir eine Panik verhindern, um so gut wie möglich Recht und Ordnung in der Stadt aufrechterhalten zu können. Wenn wir nicht bei klarem Verstand bleiben, wird es ein hoffnungsloses Chaos geben, das Tokyo lähmt. Und damit wären die Bezirke erledigt. Wir werden uns aber auf keinen Fall einfach kampflos geschlagen geben.« Sie wandte sich an Kikunojo an ihrer Seite. »Kikunojo, für so einen Fall gibt es in Tokyo doch große unterirdische Bunker, oder? Für wie viele Bürger bieten diese Bunker Platz?«

»Ich schätze, für etwa dreißig Prozent der Bevölkerung«, sagte Kikunojo. »Doch selbst mit randvollen Vorratskammern müsste spätestens nach zwei Monaten Rettung kommen.«

»Es ist dennoch besser als nichts. Erstellen Sie bitte sofort ein System, mit dem dreißig Prozent der Bevölkerung ausgewählt werden«, befahl sie.

Aufgeregt fiel ihr der Generalsekretär ins Wort: »Hoheit, sollten wir nicht mit den Hubschraubern der Wachdienste sofort die Einwohner in andere Gebiete evakuieren?«

Kikunojo schüttelte den Kopf. »Das ist unmöglich. Man kann ein Feuer nicht mit einem Fingerhut voll Wasser löschen. Mit den Hubschraubern können wir nicht mal ein Tausendstel der Menschen retten.«

»Dann vielleicht über den Seeweg?«

»Dort gibt es Meeres-Gastrea«, erklärte Kikunojo. »Vielleicht könnten es Schiffe der Aegis-Klasse oder Flugzeugträger schaffen, aber normale Personenfähren würden nur von den Gastrea gefressen werden.«

»Aber was sollen wir denn sonst machen?« Mit zerzausten Haaren schaute der Generalsekretär verzweifelt zu Seitenshi.

»Kikunojo, wie lange würde es dauern, einen Ersatzmonolithen herzustellen?«, fragte sie.

»Mindestens zehn Tage«, schätzte Kikunojo. »Wir werden es zeitlich nicht schaffen, wir müssen uns einen anderen Weg überle…«

»Dann sorgen Sie dafür, dass sofort die Herstellung eines Ersatzmonolithen eingeleitet wird«, entschied Seitenshi.

Kikunojo seufzte kurz, verbeugte sich dann aber. »Zu Befehl! Was sollen wir den Medien sagen?«

Seitenshi überlegte. »Laden Sie sofort die Presse ein und erzählen Sie ihnen die komplette Wahrheit. Wir müssen die Journalisten aber bitten, mit diesen Informationen vertraulich umzugehen. Wir wollen nicht, dass in Tokyo eine Panik ausbricht, weil die Medien berichten, dass die Bezirke am Ende sind.«

»Aber selbst wenn wir mit der Presse sprechen, können wir nicht ausschließen, dass Informationen durchsickern«, meinte Kikunojo.

»Es würde uns aber zumindest etwas Zeit verschaffen«, antwortete Seitenshi. »Sobald sich das Ausbleichen weiter über den Monolithen ausgebreitet hat, wird man es eh bald schon aus der Ferne erkennen können. Hauptsache, es hält bis dahin.«

»In Ordnung …«, murmelte Kikunojo.

Seitenshi nickte. »Gut. Für den Zeitraum zwischen Einsturz des Monolithen und Aufstellen des Ersatzes müssen wir die Bezirke um jeden Preis beschützen. Kikunojo, ordnen Sie die Generalmobilmachung an und schicken Sie sofort die Verteidigungskräfte zu Monolith Nr. 32.«

»Wir müssen auch die Wachdienste um Hilfe bitten … Ich werde so viele wie möglich kontaktieren. In dieser Lage muss ich unabhängig von meinen Gefühlen handeln«, sagte Kikunojo, der die Kinder der Verdammnis verabscheute. »Fräulein Seitenshi, es tut mir schrecklich leid, aber könnten Sie vielleicht den Wachdienst Ihres Vertrauens persönlich ansprechen?« Kikunojo schwieg kurz, bevor er mit ernstem Blick fortfuhr: »Ich meine jenen Wachdienst, dem Sie so sehr vertrauen.«

»Der Wachdienst meines Vertrauens …« Seitenshi schloss kurz die Augen, nur um sie langsam wieder zu öffnen.

Sie hatte verstanden.

1

Hinter Rentaro Satomi stand eine Tafel. Über ihm strahlte die Sonne und zu seinen Füßen wuchs Gras. Direkt vor ihm saßen jede Menge Kinder. Er tat sich schwer mit Kindern.

Er blickte zur Seite. Dort stand ein aufgeregtes Mädchen in einer schwarzen Schuluniform. Kisara Tendo hatte ihren Mund fest geschlossen.

Rentaro schaute lustlos wieder nach vorn. Die Kinder starrten sichtlich neugierig zu ihm hoch. Sie saßen auf dem Boden und hielten ihre Beine umklammert. Anstelle von Tischen hatten sie nur Holzbrettchen, auf die sie Bleistifte, Radiergummi und Schreibhefte gelegt hatten.

Rentaro stieß Kisara leicht in die Seite und flüsterte ihr zu: »Wer von uns stellt sich zuerst vor?«

»F… Fang lieber du an, Satomi. M… Mir schlägt das Herz gerade bis zum Hals.« Kisaras Stimme zitterte ein wenig.

Das kann ja was werden. Rentaro machte einen Schritt nach vorn und blickte die Kinder der Reihe nach an, während er sich am Kopf kratzte. »Ähm … Ich heiße Rentaro Satomi und bin ab heute euer Lehrer. Freut mich.« Er hob kurz die Hand, um die Kinder zu grüßen, aber die zeigten keine Reaktion und starrten ihn nur weiter unvermittelt an. Vielleicht musste er mehr erzählen. »Meine Hobbys sind Insekten anschauen und Pflanzen sammeln. Ach, und Mikroben mag ich auch.«

Stille.

»Und ich bin in der Kampfkunst nach Tendo-Art ausgebildet.«

Stille.

»Ähm … Noch Fragen?«

»Ja! Ja! Ja! Ja! Ja!« Die Mädchen rissen sofort alle wild ihre Hände nach oben.

Rentaro seufzte. Wie hatte es so weit kommen können? Er starrte hoch in den strahlend blauen Himmel. Kein einziges Wölkchen war zu sehen. Nur ein Flugzeug zog hoch über ihm einen Kondensstreifen. Rentaro hielt seine Hand schützend vor die Augen. Die Sonne brannte. Heute sollte es heiß werden.

Und im 39. Bezirk der Außenbezirke von Tokyo veranstaltete Rentaro Unterricht im Freien.

»Viel Erfolg, Herr Lehrer!«, rief ihm eine Stimme aus den hinteren Reihen zu. Dort saß ein kleiner Mann auf einem Klappstuhl, der vergnügt seinen Krückstock durch die Luft schwang. Er war nicht einmal einen Meter sechzig groß und seine leicht gebräunte Haut war voller Falten. Auf der Nase trug er eine Brille mit dicken runden Gläsern.

Dieser ältere Mann kümmerte sich um die sogenannten Gullikinder in den Außenbezirken von Tokyo und wurde Matsuzaki genannt. Er hatte sich während des Vorfalls mit Kagetane Hiruko unter anderem auch Enjus angenommen.

Rentaro wunderte sich immer noch, warum er das hier machen musste. Er schaute sich um und entdeckte zwischen den Kindern Enju Aihara, die ihm grinsend zuwinkte. Neben ihr saß Tina Sprout, die gleich zu Beginn ihren Kopf aufs Brettchen gelegt hatte und eingeschlafen war.

»Satomi und Tendo. Ich möchte, dass ihr beide die Kinder im Außenbezirk unterrichtet.« Ein paar Tage nachdem Enju in einer Grundschule im Außenbezirk eingeschult worden war, hatte Matsuzaki plötzlich diese Bitte geäußert.

Damals im Kampf gegen die Maske war an Enjus Schule herausgekommen, dass sie ein Kind der Verdammnis mit Gastrea-Genen in sich war. Deswegen blieb ihr nichts anderes übrig, als die Schule zu verlassen. Die Suche nach einer neuen Schule gestaltete sich schwierig, und Rentaro und Kisara wollten die Sache lieber behutsam angehen: Da es für die beiden oberste Priorität hatte, dass Enju sich in der Schule wohlfühlte, hatten sie sich schließlich für diese Einrichtung im Freien entschieden (mit offiziellem Namen hieß sie: 3. provisorische Grundschule des 39. Bezirks von Tokyo).

Als Matsuzaki Rentaro und Kisara fragte, ob sie nicht unterrichten könnten, machten sie zunächst verblüffte Gesichter. »Warum sollen gerade wir hier Lehrer werden?«, fragte Rentaro.

Matsuzaki hörte nicht auf zu grinsen. »Ist doch klar: Meine Knochen sind alt und mein Unterrichtsstil ist nun wirklich nicht mehr zeitgemäß. Deswegen brauchen wir hier etwas frischen Wind. Und wie ihr sehen könnt, würde sich doch eh kein anderer Lehr hierher verlaufen. Auch ich habe den Posten als Schulleiter eher unfreiwillig übernommen. Die Schule hat kein Geld, um Lehrer zu bezahlen. Aber die Schüler würden sich bestimmt sehr freuen, wenn ihr beiden die Lehrerrolle übernehmen könntet.«

Kisara runzelte die Stirn und verschränkte die Arme. »Aber wir gehen doch selbst noch zur Schule.«

»Ja, deswegen sollt ihr ja auch nur samstags kommen, wenn ihr freihabt«, erklärte Matsuzaki. »Könnt ihr es euch nicht vielleicht noch überlegen?«

Rentaro und Kisara schauten sich ratlos an.

»Ja! Ja! Ja! Ja! Ja!« Durch das laute Schreien kehrten Rentaros Gedanken wieder ins Jetzt zurück. Die Schülerinnen streckten weiter ihre Arme in die Luft – die Klasse sah aus wie ein Nadelkissen.

Die Kleidung der über zwanzig Mädchen war zerrissen und einige von ihnen waren so schmutzig, dass man sich fragen musste, wann sie das letzte Mal gebadet hatten. Das war nicht weiter verwunderlich. Schließlich waren sie alle Waisenkinder, alleingelassen in den Außenbezirken, weil sie Kinder der Verdammnis waren.

Rentaro fühlte sich plötzlich machtlos, dann schüttelte er den Kopf. Er durfte sich nicht seinem Mitleid für die Mädchen hingeben. Er schloss kurz die Augen, atmete tief die heiße Luft ein. Jetzt konnte er laut antworten: »In Ordnung! Euer Lehrer wird euch alle Fragen beantworten. Zuerst bist du da dran.«

»Ja, Herr Lehrer. Stimmt es, dass Sie mit Enju verlobt sind und schon vor der Ehe zusammenwohnen?« Gleich die erste Frage saß wie die Faust eines Schwergewichtboxers.

Enju sprang sofort auf und rief: »Ja, das stimmt!«

Rentaro fasste sich an den Kopf. Was erzählst du denn da? »Natürlich nicht. Ich habe sie nur bei mir aufgenommen. Die Nächste.«

»Sollen wir Sie Herr Satomi nennen? Oder lieber Herr Rentaro?«, fragte das nächste Kind.

Rentaro atmete auf und winkte kurz ab. »Ihr dürft mich gerne so nennen, wie ihr möchtet.«

Nun ließen die Mädchen ihrer Fantasie freien Lauf. »Perverser!«

»Pädoschwein!«

»Pechvogel!«

Rentaro schrie wütend zurück: »Ich mach euch fertig!«

Die Schülerinnen fingen an zu lachen. Danach musste er weitere Fragen beantworten. Dabei kicherten die Mädchen jedes Mal fröhlich, wenn er die Fassung verlor.

Schon bald war er fix und fertig von diesem Kreuzverhör. »Gut. Dann ist jetzt mal die Frau Lehrerin dran.« Als er an Kisara vorbeiging, flüsterte er ihr zu: »Die sind echt hart.«

Wie ein Roboter machte Kisara langsam ein paar Schritte nach vorne und sagte: »I… Ich heiße Kisara Tendo. Ähm … ja …«

»Frau Lehrerin! Enju hat gesagt, dass Ihr Busen gewaltig groß ist, obwohl Sie nicht mal einen Push-up tragen. Stimmt das?«, fragte ein Mädchen.

»Wie bitte?«

Das Kind wiederholte die Frage: »Frau Lehrerin! Enju hat erzählt, dass Ihr Busen total groß ist, obwohl sie keinen Push-up tragen. Stimmt das?«

»Waaaas?« Kisara lief knallrot an und versuchte erschrocken, ihre Brust zu verbergen. Dann starrte sie plötzlich Rentaro auffordernd an. »J… Jetzt mach was, Satomi!«

Unmöglich. Als Mann durfte er sich bei diesem Thema auf keinen Fall einmischen!

Enju hielt die Hand vor den Mund und musste kichern, dass ihr dieser Streich geglückt war. Sie war schon ein paar Tage früher in die Klasse gekommen und hatte die Mädchen komplett in Besitz genommen. Ihre Anpassungsfähigkeit war echt erstaunlich.

»Frau Lehrerin? Sind Sie mit Herrn Rentaro zusammen? Wollen Sie ihn vielleicht heiraten?«, kam die nächste Frage.

Kisara brüllte mit rotem Gesicht zurück: »Wir sind nicht zusammen und ich heirate ihn bestimmt nicht!«

Enju warf sich in Siegerpose, während dieser Satz Rentaro tief ins Herz getroffen hatte.

»Ähm, Frau Lehrerin …« Diesmal winkte der alte Matsuzaki Kisara bescheiden zu sich heran und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie schaute ihn verwundert an. »Kyoko!«, rief er dann ein Mädchen zu sich. Das Mädchen stand auf und kam, sich mehrfach verbeugend, zu Kisara und Matsuzaki.

Rentaro fühlte sich ausgeschlossen und verschränkte die Arme. Was genau hatten die drei vor?

Nun flüsterte das Mädchen namens Kyoko Kisara etwas ins Ohr.

»Was? So früh? Schon mit zehn? Selbst ich war zwei Jahre später …«, sagte Kisara überrascht, bevor sie leise etwas zurückflüsterte.

Obwohl das Mädchen vorher so aufgeregt gewesen war, löste sich seine Spannung nun langsam. Kisara legte Kyoko schließlich die Hände auf die Schultern. »Du musst dir keine Sorgen machen. Dieser Zeitpunkt kommt bei allen Mädchen irgendwann. Lass uns demnächst zusammen einkaufen gehen. Dann erzähle ich dir noch mehr darüber.«

Kyoko strahlte übers ganze Gesicht und nickte kurz. Bevor sie sich zurück auf ihren Platz setzte, sagte sie noch: »Ich hab dich lieb, Kisara! Lass uns Freunde werden!«

»Satomi …« Kisara zitterte am ganzen Körper.

»Was ist?«

»Komm mal mit, Satomi!«, raunte Kisara verschämt und zerrte Rentaro schnell am Ärmel weg zu einer Ruine, wo die Kinder sie nicht hören konnten.

Hatte das Mädchen seine arrogante Chefin etwa beleidigt? Im schlimmsten Fall würde sie ihn für diese Unverschämtheit sofort erwürgen. Rentaro bekreuzigte sich schnell.

Doch im nächsten Moment hüpfte Kisara plötzlich fröhlich auf und ab. »Na, hast du das gehört, Satomi? Sie hat mich lieb! Sie hat mich lieb! Juchhe!« Sie presste sich die Hand an den Mund. Ihre Wangen liefen rot an. Ihr Busen bebte. »Was mache ich jetzt? Ich wollte ihnen doch eine freundlich-distanzierte, coole Lehrerin sein. Wie soll ich ihnen mit diesem Gesicht unter die Augen treten?«

»Ach, magst du etwa Kinder?«, fragte Rentaro. »Ich habe keine Ahnung, was so toll an ihnen sein soll. Die sind doch nur laut.«

Kisara stemmte beleidigt die Arme in die Hüften. »Du hast gut reden, Satomi. Dich finden immer alle Kinder super! Du hast keine Ahnung, wie ich mich fühle, weil mich die Kinder sonst nie leiden können!«

»Hä, die finden mich gar nicht super«, wehrte sich Rentaro.

»Etwa nicht?«

»Nein. Du musst sie dir wie einen Clan Tüpfelhyänen vorstellen, die in der Savanne wohnen«, erklärte Rentaro.

»Tü… Tüpfelhyänen?« Kisara guckte verwirrt.

»Genau«, meinte Rentaro. »Was passiert, wenn ein Hyänenclan auf eine Gruppe von Gnus trifft? Sie picken sich das schwächste Tier heraus und stürzen sich mit dreißig bis vierzig Angreifern auf das Opfer. Die können riechen, dass ich das schwächste Tier bin, und stürzen sich gemeinsam auf mich. Die finden mich gar nicht super.«

»Da bin ich mir nicht so sicher.« Kisara schaute ihn ungläubig an. Dann schlug sie sich mehrfach auf die Wange, um sich zu beruhigen. »Dann lass uns mal«, sagte sie, drehte sich um und lief zurück zu den Schülerinnen.

Sie stieg auf das einfache Lehrerpodest und strich sich die langen schwarzen Haare aus dem Gesicht. »Gibt es sonst noch Fragen?«

»Ja, Frau Lehrerin! Tragen Sie etwa die Uniform der Miwa Highschool?«, fragte ein Mädchen.

»Oh, du kennst dich aber gut aus. Na, die Schule ist ziemlich bekannt. Sagt sie euch allen etwas?«

Außer dem fragenden Mädchen kannte anscheinend niemand Kisaras Schule: Alle anderen schüttelten den Kopf.

»Kennt ihr denn alle Fräulein Seitenshi?«, suchte Kisara sich eine neue Frage aus.

Dieses Mal nickte ein Großteil der Klasse. Ein Mädchen meinte: »Das ist doch diese hübsche Prinzessin.« Ein anderes sagte: »Unsere Staatsoberheit, oder?«

»Unser Staatsoberhaupt. Genau«, korrigierte Kisara. »Fräulein Seitenshi ist auch an der Miwa High eingeschrieben – obwohl sie so beschäftigt mit dem Regieren ist, dass sie noch kein einziges Mal zur Schule gekommen ist.«

Während einige Kinder erstaunt spitze Schreie ausstießen, ließ ein Mädchen die Schultern hängen und meldete sich. »Ich habe Fräulein Seitenshi noch nie gesehen.«

»Oje …«, seufzte Kisara.

»Dahinten ist sie doch!« Enju war aufgesprungen und zeigte in eine Richtung.

Rentaro hielt das für einen dummen Scherz, doch als er sich umdrehte, war er wie vom Donner gerührt.

Zwanzig Meter von der Wiese entfernt hielt auf der anderen Straßenseite eine Limousine, aus der Seitenshi höchstpersönlich ausstieg. In der Hand einen Sonnenschirm mit Rüschen kam sie nun in Richtung der Klasse. Sie hatte wie immer ein weißes Kleid an, das an ein Hochzeitskleid erinnerte und ihre Schönheit unterstrich. Sie war es tatsächlich! Aber was wollte sie in den Außenbezirken?

Seitenshi sah Rentaro, dem es die Sprache verschlagen hatte, schief von der Seite an, als sie an ihm vorbeiging und sich vor die Schülerinnen stellte. Sie lächelte und winkte den Mädchen zu. »Ich wünsche euch einen schönen Tag. Habt ihr auch Spaß beim Lernen?«

Die Kinder saßen wie versteinert mit offenen Mündern da. Nur ein Mädchen stieß ein kurzes »Waa…« aus. Es war Tina, die gerade erst aufgewacht war.

Seitenshi drehte sich um und schaute Rentaro und Kisara direkt in die Augen. »Herr Satomi. Frau Tendo. Wir befinden uns in einem Ausnahmezustand, der über das Fortbestehen unseres Landes entscheiden wird. Ich habe eine Bitte an Sie.«

2

Im Büro der Tendo Security GmbH im zweiten Stock war es still geworden.

Im Empfangszimmer stand eine Sofagarnitur mit einem Glastisch. Auf der einen Seite saß Seitenshi, auf der anderen Seite saßen Rentaro und Kisara einträchtig nebeneinander. In der Tasse vor Seitenshi schaukelte ein senkrechter Teestiel1 langsam hin und her. Ab und an klingelte leise ein Windglöckchen2. Das Geräusch schien irgendwie fehl am Platze.

Rentaro und Kisara hatten Seitenshis Erklärungen gelauscht. Sie konnten kaum glauben, was sie gehört hatten.

Rentaro rieb sich kopfschüttelnd den Schweiß von der Stirn. Seine Schläfen pochten stark. »Habe ich Sie richtig verstanden, Fräulein Seitenshi?«, fragte er. »In sechs Tagen wird ein Monolith einstürzen. Dadurch können Gastrea die Stadt stürmen und in den Bezirken von Tokyo eine Pandemie auslösen. Richtig?«