Corpus Delicti von Juli Zeh - Textanalyse und Interpretation - Juli Zeh - E-Book

Corpus Delicti von Juli Zeh - Textanalyse und Interpretation E-Book

Juli Zeh

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Beschreibung

Spare Zeit und verzichte auf lästige Recherche! In diesem Band findest du alles, was du zur Vorbereitung auf Referat, Klausur, Abitur oder Matura benötigst – ohne das Buch komplett gelesen zu haben. Alle wichtigen Infos zur Interpretation sowohl kurz (Kapitelzusammenfassungen) als auch ausführlich und klar strukturiert. Inhalt: - Schnellübersicht - Autor: Leben und Werk - ausführliche Inhaltsangabe - Aufbau - Personenkonstellationen - Sachliche und sprachliche Erläuterungen - Stil und Sprache - Interpretationsansätze - 6 Abituraufgaben mit Musterlösungen NEU: exemplarische Schlüsselszenenanalysen NEU: Lernskizzen zur schnellen Wiederholung Layout: - Randspalten mit Schlüsselbegriffen - übersichtliche Schaubilder NEU: vierfarbiges Layout Der Roman „Corpus Delicti“ von Juli Zeh übt Gesellschaftskritik und weist auf die Gefahr hin, wie schnell ein Überwachungsstaat entstehen kann.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 187

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KÖNIGS ERLÄUTERUNGEN

Band 317

Textanalyse und Interpretation zu

Juli Zeh

Corpus Delicti

EIN PROZESS

Thomas Möbius

Alle erforderlichen Infos zur Analyse und Interpretation plus Musteraufgaben mit Lösungsansätzen

Zitierte Ausgabe: Zeh, Juli: Corpus Delicti. Ein Prozess. 12. Aufl. München: btb, 2010.

Über den Autor dieser Erläuterung:Prof. Dr. phil. habil. Thomas Möbius, Studium der Germanistik/ev. Theologie/Philosophie, Studienrat an einem Gymnasium in Mannheim und an der German European School in Singapur, Akademischer Oberrat an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, nach Professuren in Freiburg, Osnabrück, Greifswald und Aachen Professor für Germanistische Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Für Philipp

1. Auflage 2022

978-3-8044-7081-1

© 2022 by Bange Verlag GmbH, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Titelabbildung: Symbol der Justitia am Eingang des Kriminalgerichts Moabit. © picture alliance/dpa | Philipp Znidar

Hinweise zur Bedienung

Inhaltsverzeichnis Das Inhaltsverzeichnis ist vollständig mit dem Inhalt dieses Buches verknüpft. Tippen Sie auf einen Eintrag und Sie gelangen zum entsprechenden Inhalt.

 

Fußnoten Fußnoten sind im Text in eckigen Klammern mit fortlaufender Nummerierung angegeben. Tippen Sie auf eine Fußnote und Sie gelangen zum entsprechenden Fußnotentext. Tippen Sie im aufgerufenen Fußnotentext auf die Ziffer zu Beginn der Zeile, und Sie gelangen wieder zum Ursprung. Sie können auch die Rücksprungfunktion Ihres ePub-Readers verwenden (sofern verfügbar).

 

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Inhaltsverzeichnis

1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht

2. Juli Zeh: Leben und Werk

2.1 Biografie

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken

3. Textanalyse und -Interpretation

3.1 Entstehung und Quellen

3.2 Inhaltsangabe

3.3 Aufbau

Gattung

Die Grundstruktur der Handlung

3.4 Personenkonstellation und Charakteristiken

Mia Holl

Moritz Holl

Die ideale Geliebte

Heinrich Kramer

Richterin Sophie

Lutz Rosentreter

Die Hausbewohnerinnen: Driss, Lizzie und die Pollsche

Würmer

3.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen

3.6 Stil und Sprache

Erzählperspektive

Narrative Struktur

Wortwahl

3.7 Interpretationsansätze

Corpus Delicti als politischer Roman

Das Recht des Staates

Das Recht des Individuums

Vergleich der beiden Positionen

Diskussion um Bürgerrechte

Diskussion um Selbstbestimmung und Selbstbewusstsein

Corpus Delicti als Science-Fiction-Roman

Der utopische Grundgedanke im Roman

Verweis in die Vergangenheit: Mittelalter und Antike im Roman

3.8 Schlüsselstellenanalysen

4. Rezeptionsgeschichte

5. Materialien

Rezension zu Corpus Delicti

Interviews mit Juli Zeh

Juli Zeh: Vom Sozialstaat zum Kontrollsystem

Zeh/Trojanow: Angriff auf die Freiheit

Holger Steltzner: Bargeld ist Freiheit

Immanuel Kant: Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?

Definition „Science-Fiction“

Definition „Utopie“/„Utopischer Roman“

6. Prüfungsaufgaben mit Musterlösungen

Aufgabe 1 *

Aufgabe 2 *

Aufgabe 3 ***

Aufgabe 4 ***

Aufgabe 5 **

Aufgabe 6 ***

Lernskizzen und Schaubilder

Literatur

Zitierte Ausgabe

Weitere Quellen

Rezensionen und Abhandlungen zu Corpus Delicti

Interviews mit Juli Zeh

Sekundärliteratur

Theaterstück

Hörspiel

Internet-Adressen

1. Das Wichtigste auf einen Blick – Schnellübersicht

Damit sich alle Leserinnen und Leser in unserem Band rasch zurechtfinden und das für sie Interessante gleich entdecken, hier eine Übersicht:

 

Im zweiten Kapitel werden das Leben Juli Zehs und der zeitgeschichtliche Hintergrund beschrieben:

Juli Zeh wurde 1974 in Bonn geboren. Sie studierte Rechtswissenschaft und Literaturwissenschaft in Passau und Leipzig, absolvierte 2003 das Zweite Juristische Staatsexamen und wurde 2010 zum Dr. jur. promoviert. Ihr erster Roman Adler und Engel erschien 2001. Seither ist sie literarisch äußerst produktiv.

Die Zeit war politisch geprägt durch den Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 und dem darauf folgenden „Kampf gegen den Terror“, der sich innenpolitisch vor allem durch zunehmende staatliche Überwachung bemerkbar machte. Daneben führte die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche zu einer immer stärkeren Verwischung der Grenze zwischen privatem und öffentlichem Bereich.

Der Roman Corpus Delicti wurde 2009 veröffentlicht. Er zählt zum Genre der Science-Fiction-Literatur und weist motivgeschichtliche Parallelen zu anderen Werken desselben Genres auf.

Im dritten Kapitel bieten wir eine Textanalyse und Interpretation.

Entstehung und Quellen:

In einem Interview schildert Zeh, wie die politischen Reaktionen auf den Terroranschlag vom 11. September 2001 und vor allem die verschärften Sicherheitsgesetze sie erschreckten und dazu brachten, das Buch 1984 von George Orwell zu lesen. Die dort entwickelte negative Utopie („Dystopie“) am Beispiel eines Staatswesens, das das Leben seiner Bürger ohne Einschränkung überwacht und bestimmt, wurde zum Gattungstyp ihres Romans, in dem ein Staat vorgeblich zum (gesundheitlichen) Schutz der Menschen jede autonome menschliche Selbstbestimmung sanktioniert.

Corpus Delicti wurde zunächst als Theaterstück für die Ruhrtriennale in Essen geschrieben (2007) und erschien später als Roman (2009). Auch eine Vertonung als Schallnovelle (2009) liegt vor. 2020 veröffentlichte Zeh Fragen zu „Corpus Delicti“.

Inhalt:

Der Roman spielt in der Zukunft in einem Überwachungsstaat, der das Ziel verfolgt, seinen Bürgern ein gesundes und langes Leben zu ermöglichen. Zur Erreichung des Ziels kontrolliert der Staat die Lebensführung jedes Einzelnen, eine ungesunde Lebensweise wird bestraft. Die Protagonistin des Romans ist die 34-jährige Biologin Mia Holl, die den Tod ihres Bruders aufklären will und sich dabei von einer Befürworterin zu einer Gegnerin des staatlichen Systems entwickelt. Ihr Bruder Moritz Holl soll eine Frau vergewaltigt und getötet haben, da man seine DNA-Spuren im Körper der Leiche entdeckt; er nimmt sich im Gefängnis das Leben, als er begreift, dass man seinen Unschuldsbeteuerungen keinen Glauben schenken will. Schließlich beweist der Anwalt Mia Holls, dass der Spender des Knochenmarks, das ihrem Bruder als Kind das Leben rettete, der Täter sein muss. Damit wird die Fehlbarkeit des staatlichen Systems aufgedeckt. Um sie nicht zur Märtyrerin zu machen, verzichtet der Staat auf eine Bestrafung Mias und ordnet stattdessen eine Psychotherapie an.

Chronologie und Schauplätze:

Der Roman spielt in der Zukunft, in der Mitte des 21. Jahrhunderts, ungefähr einen Sommer lang (aus den Angaben auf S. 85 lässt sich das Jahr 2043 errechnen, dem widerspricht aber die Angabe auf S. 138, da der 14. Juli 2043 nicht auf einen Montag fällt, wohl aber 2042; auch im Jahr 2053 fällt der 14. Juli auf einen Montag).

Handlungsort ist wohl Deutschland, darauf weisen vor allem die fiktiven juristischen Texte hin, allerdings wird kein konkreter Ort in Deutschland genannt. Der Roman beginnt mit einem Zitat aus einem fiktiven Standardwerk und dem Urteil gegen Mia Holl, das am Ende über sie verhängt wird; die nachfolgende Erzählung ist somit als Rückblende aufzufassen, in der die Begründung für das Urteil ausführlich dargelegt wird. Der durch das zu Beginn zitierte Urteil eröffnete erzählerische Rahmen wird am Schluss des Buches geschlossen, als das Urteil erneut zitiert und die Rückblende beendet wird (vgl. S. 259). Im letzten Abschnitt Zu Ende wird die Geschichte über die Rahmenhandlung hinaus weitererzählt.

Personen:

Die Hauptpersonen sind:

Mia Holl:

34 Jahre alt, erfolgreiche Biologin

ohne Partner, aber innige Verbundenheit mit ihrem Bruder

anfänglich Anhängerin der „METHODE“ aus naturwissenschaftlicher Überzeugung, im Laufe des Romans immer mehr Verfechterin eines Individualitäts- und Freiheitsideals

Moritz Holl:

27 Jahre alt, wird als „Träumer“ charakterisiert (vgl. S. 33), hatte als Kind Leukämie, die durch eine Knochenmarktransplantation geheilt werden konnte

überzeugter Idealist, der sein Leben unabhängig und frei gestalten möchte und der sich gegen die staatliche Kontrolle wehrt

gerät in einen Mordfall und wird fälschlicherweise als Täter verurteilt; begeht Suizid im Gefängnis

Moritz’ Position wird in der idealen Geliebten personifiziert, die nach seinem Tod als Gesprächspartnerin von Mia fungiert und damit den inneren Konflikt Mias dramaturgisch nachvollziehbar werden lässt

Heinrich Kramer:

verheiratet, zwei Kinder, führt aus Überzeugung ein systemkonformes Leben

wird als gesunde und selbstbewusste Erscheinung beschrieben, die die Macht der Presse zum Kampf gegen Feinde der „METHODE“ nutzt

wichtigster ideeller Gegner Mias, der über großen Einfluss verfügt

Neben diesen Hauptfiguren existiert eine Reihe von Nebenfiguren wie z. B. die Bewohnerinnen des „Wächterhauses“, der Verteidiger Lutz Rosentreter, Richterin Sophie und Staatsanwalt Bell, die sich als Befürworter oder Gegner der „METHODE“ positionieren.

Stil und Sprache:

Der Roman ist in Alltagssprache verfasst. Zuweilen werden Texte aus fiktiven Quellen bzw. pragmatischen Kontexten (juristische Texte) zitiert (Montagetechnik). Fiktive Ideologeme („METHODE“) sind in die Erzähltexte eingebaut. Die Erzählweise lässt sich als extradiegetisch-heterodiegetisch beschreiben, dabei überwiegen im Hinblick auf das Wissen des Erzählers und dem einer Figur die interne und externe Fokalisierung (zuweilen tritt auch Null-Fokalisierung auf), mit den Begriffen von Franz Karl Stanzel ausgedrückt: Es dominieren die personale und die neutrale Erzählperspektive, zuweilen finden sich auch auktoriale Passagen.

Interpretationsansätze:

Zwei Interpretationsansätze bieten sich an:

 

Corpus Delicti ist

ein politisches Buch, das sich thematisch-inhaltlich vor allem mit der durch die immer perfekter werdenden technischen Instrumente der staatlichen Überwachung des Individuums auseinandersetzt.

ein Werk, das formal-gattungsmäßig als Science-Fiction-Roman zu begreifen ist, da die Erzählgegenwart in der Zukunft angesiedelt ist; genremäßig handelt es sich um einen dystopischen Roman.

2. Juli Zeh: Leben und Werk

2.1 Biografie

Juli Zeh

(*1974)© picture-alliance / ZB | Karlheinz Schindler

Jahr

Ort

Ereignis

Alter

1974

Bonn

Geburt von Julia Barbara Zeh am 30. Juni; Vater Jurist, Mutter Übersetzerin

 

1993–1998

Passau, Leipzig

Studium der Rechtswissenschaft (Stipendiatin der Studentenstiftung des Deutschen Volkes) Erstes Juristisches Staatsexamen

19–24

1996–2000

Leipzig

Studium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig; erste Veröffentlichungen von Kurzgeschichten und Essays, später folgen Romane, Bühnenstücke, Kinderbücher und Sachbücher

22–26

1999–2001

Leipzig

Magisterstudium für Europarecht

25–27

2001

Frankfurt a. M.

Debütroman Adler und Engel

27

2001–2003

Leipzig

Juristisches Referendariat beim Landgericht Leipzig Zweites Juristisches Staatsexamen

27–29

2007

Barnewitz

Umzug mit Familie nach Barnewitz/Havelland; Tätigkeit als Volljuristin und Schriftstellerin

33

Essen

Corpus Delicti wird während der RuhrTriennale uraufgeführt (Regie: Anja Gronau)

 

2008

 

Verfassungsbeschwerde gegen die Einführung des biometrischen Reisepasses

34

2009

Frankfurt a. Main

Corpus Delicti. Ein Prozess erscheint im Verlag Schöffling & Co

35

2010

Saarbrücken

Promotion zum Dr. jur. mit einer Arbeit zum europäischen Recht über die Rechtsetzungstätigkeiten von Übergangsverwaltungen im Kosovo und Bosnien-Herzegowina

36

2013

Berlin

Petition an die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit über 67.000 Unterschriften und einen „Marsch aufs Kanzleramt“ für eine angemessene politische Reaktion auf die Spionageaktivitäten der amerikanischen NSA in Deutschland

39

München 

Zeh wird mit dem „Thomas Mann-Preis“ ausgezeichnet

 

2014

Berlin

Erneuter offener Brief gegen das „Schweigen der Kanzlerin“ zur NSA-Affäre

40

 

Offener Brief gegen die Geschäftspraktiken des Online-Händlers Amazon

40

2016

München

Veröffentlichung des Romans Unterleuten, der 2018 für das ZDF verfilmt wurde (Regie: Matti Geschonneck)

42

2017

Berlin

Eintritt in die SPD

43

2018

Potsdam

Berufung als ehrenamtliche Richterin ans Landesverfassungsgericht Brandenburg

44

2020

 

Juli Zeh kritisiert wiederholt die Corona-Politik in der BRD aus verfassungsrechtlichen Gründen.Fragen zu Corpus Delicti erscheint.

46

2021

München

Zeh veröffentlicht den Roman Über Menschen, der wieder in Brandenburg spielt

47

2022

Köln

29. April : Zeh unterzeichnet den offenen Brief in der Zeitschrift Emma gegen schwere Waffenlieferungen an die Ukraine im Russland-Konflikt. Juli Zeh lebt mit ihrer Familie in Brandenburg

48

 

Seit 1996 veröffentlicht Juli Zeh Erzählungen, Romane und Dramen, aber auch Kinderbücher und Sachbücher. Zeitaktuelle und gesellschaftspolitische Fragen stehen in ihren Texten häufig im Vordergrund. In dem zusammen mit Ilja Trojanow verfassten Sachbuch Angriff auf die Freiheit: Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte (2009) beispielsweise warnt sie vor dem Verschwinden der Privatsphäre durch die zunehmende Überwachung von Seiten des Staates, aber auch von Seiten der Wirtschaft – das ist ein Thema, das auch im Zentrum des Romans Corpus Delicti steht. (Einen Auszug aus dem Buch kann man ab S. 132 im Materialienteil dieser Erläuterung nachlesen.)

Darüber hinaus macht Juli Zeh in Talkshows, Zeitungen und Protestbriefen auf ihre politische Position aufmerksam, beispielsweise initiierte sie im Jahre 2013 gemeinsam mit zahlreichen anderen Schriftstellern einen in mehreren internationalen Tageszeitungen erschienenen Aufruf gegen die staatliche Massenüberwachung, 2014 protestierte sie mit eine großen Zahl von Mitunterzeichnern gegen die Geschäftspraktiken des Online-Händlers Amazon und 2022 gegen Waffenlieferungen an die Ukraine im Russland-Konflikt.

2.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund

Zusammenfassung

In diesem Kapitel wird der zeitgeschichtliche Hintergrund von Juli Zeh beleuchtet, der zum Teil auch als politischer Hintergrund der Handlung in Corpus Delicti genommen werden kann.

Wichtig für den Zeitraum von den 1960er-Jahren bis heute:

nach dem wirtschaftlichen Wiederaufbau in den 1950er-Jahren Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit in den 1960er Jahren

Politisierung aller Lebensbereiche in den 1970er- und 1980er-Jahren

Wiedervereinigung in den 1990er-Jahren

Auseinandersetzung mit den ökonomischen, gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Folgen der Wiedervereinigung seit den 1990er-Jahren

Ereignisse im Ausland, vor allem die Bürgerkriege im ehemaligen Jugoslawien und die islamistischen Terroranschläge, beeinflussen die deutsche Innenpolitik

In der Bundesrepublik waren die 1950er-Jahre bestimmt durch den Wiederaufbau, der sich, auch unterstützt durch massive amerikanische Finanzhilfen („Marshallplan“), bald zum sogenannten „Wirtschaftswunder“ entwickelte. Am Ende der 1950er-Jahre waren der Wiederaufbau und die politische Westintegration der Bundesrepublik (Nato-Beitritt 1955, EWG-Vertrag 1957) abgeschlossen. Die einseitige Ausrichtung auf wirtschaftlichen Erfolg und das nach den Kriegsjahren durchaus verständliche Nachholen von Konsumbedürfnissen zeigten in der sogenannten „Adenauer-Ära“ ihre Schattenseiten beispielsweise in der einseitigen Orientierung an materiellen Wünschen und in der Verdrängung der NS-Vergangenheit: Schon kurz nach Kriegsende forderten erste Stimmen, „endlich“ einen „Schlussstrich“ unter die deutsche Vergangenheit zu ziehen; viele ehemalige Nazis und Parteimitglieder konnten in der Bundesrepublik in Wirtschaft, Justiz und Politik Karriere machen. Nicht zuletzt an diesem Desinteresse an einer Aufarbeitung während der Adenauer-Ära entzündeten sich die Studentenproteste Ende der 1960er-Jahre.

Juli Zehs Geburtsjahr 1974 fällt mitten in eine Ära, in der die Auswirkungen der Studentenproteste durch eine Politisierung aller Lebensbereiche spürbar wurden: Von 1966 an regierte die SPD die Bundesrepublik, zunächst in einer großen Koalition, ab 1969 dann in einer Koalition mit den Liberalen unter Bundeskanzler Willi Brandt bzw. Helmut Schmidt. Die SPD setzte mit ihrer innenpolitisch umstrittenen Ostpolitik auf Entspannung und Vertrauensbildung zwischen den Machtblöcken („Ostverträge“ 1972). Gesellschaftlich waren die 1960er- und 1970er-Jahre von heftigen Auseinandersetzungen, kulturellen Umbrüchen und Generationenkonfliktengeprägt: Eine marxistisch-maoistisch orientierte „Außerparlamentarische Opposition“ (APO) richtete sich gegen die Politik der Großen Koalition (z. B. 1968 gegen die „Notstandsverfassung“), gegen den Krieg der USA in Vietnam sowie grundsätzlich gegen die Werte einer bürgerlichen Gesellschaft („Studentenrevolte“, Auseinandersetzung mit der verdrängten NS-Vergangenheit der Eltern-Generation). In den 1970er-Jahren mündeten militante Ausläufer der Protestbewegung in den Terrorismus der RAF („Rote Armee Fraktion“), in deren Verlauf zahlreiche Straftaten (darunter über 30 Morde) begangen wurden.

Die DDR, die sich seit 1961 durch den „Mauerbau“ vor dem Westen abgeschottet hatte, reagierte in den 1970er-Jahren auf die lauter werdende Kritik ihrer Intellektuellen an der herrschenden Bevormundung und den Entwicklungen im real existierenden Sozialismus mit der Bespitzelung durch die Staatssicherheit und einem Heer „inoffizieller Mitarbeiter“, der Verhängung von Berufsverboten, mit Inhaftierung sowie mit Ausbürgerungen und Abschiebungen. Prominente DDR-„Dissidenten“ waren Jürgen Fuchs, Wolf Biermann, Rudolf Bahro, Erich Loest, Hans Mayer und Bettina Wegener.

Die 1980er-Jahre waren in der Bundesrepublik gekennzeichnet durch den Regierungswechsel von der sozial-liberalen zur christlich-liberalen Koalition von CDU und FDP unter Führung von Bundeskanzler Helmut Kohl. Die Opposition gegen den sogenannten „Nato-Doppelbeschluss“ 1979 (Erweiterung der nuklearen Mittelstreckenwaffen in Westeuropa) und ein zunehmendes ökologisches Bewusstsein führten zur Gründung zahlreicher Bürgerinitiativen, Friedens- und Umweltschutzbewegungen sowie alternativer politischer Gruppierungen. Bei der Bundestagswahl 1983 zog erstmals die 1980 gegründete Partei „Die Grünen“ in den Bundestag ein. Die Neuausrichtung der sowjetischen Politik, die der neue Parteichef Michail Gorbatschow mit den Schlagworten „Perestroika“ (Umgestaltung, Umbau) und „Glasnost“ (Transparenz, Offenheit) betrieb, führte zusammen mit dem gewaltlosen Widerstand der DDR-Bürger 1989 zur Öffnung der Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten (9. 11. 1989) und im Jahr darauf zur offiziellen Wiedervereinigung (3. 10. 1990).

Die 1990er-Jahre wurden außenpolitisch bestimmt durch die Neudefinition der Rolle, die das wiedervereinigte Deutschland in Europa und der Welt spielen sollte (Beteiligung an Kampfeinsätzen der NATO, Diskussion über einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat). Insbesondere die rot-grüne Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder trug durch die Entscheidung für den ersten Kampfeinsatz deutscher Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg (Kosovo-Einsatz 1999) zu der Neubestimmung der Rolle Deutschlands bei. Diese Politik wurde von der seit 2005 regierenden Großen Koalition unter der Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel fortgesetzt. Innenpolitisch waren die Anstrengungen darauf gerichtet, die kulturelle und materielle Überwindung der Teilung und den Aufbau der neuen Bundesländer voranzutreiben.

Ein bedeutsames Thema zwischen 2000 und 2016 ergab sich sowohl außen- als auch innenpolitisch durch den zunehmenden islamistischen Terror, der durch den Anschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 einen weltweit beachteten Höhepunkt fand und sich durch den Aufstieg der Terrorgruppen „Al-Qaida“ und „Islamischer Staat“, der wiederum durch den Zerfall der politischen Strukturen in zahlreichen Ländern des Nahen Ostens begünstigt wurde, bis in die heutige Zeit fortsetzt. Die Attentate in Frankreich im Jahre 2015 und in Belgien 2016 zeigten, dass der Terror auch in der Mitte Europas angekommen war. Zur Abwehr solcher Angriffe verschärften vor allem die USA seit 2001 ihre Sicherheitsgesetze, auch in Deutschland wurde im Zuge von strengeren Sicherheitsüberlegungen entsprechende Maßnahmen wie die Einführung eines biometrischen Reisepasses im Jahre 2005 getroffen. Durch die Enthüllungen Edward Snowdens, eines ehemaligen Mitarbeiters eines amerikanischen Geheimdienstes, wurde im Jahr 2013 offenbar, dass zahlreiche Staaten, allen voran die USA und Großbritannien, die weltweite Internet- oder Telefon-Kommunikation überwachten. Die Digitalisierung sämtlicher Lebensbereiche wie beispielsweise die zunehmende Nutzung von Online-Shops und sozialen Netzwerken seit Mitte der 1990er-Jahre führte schließlich dazu, dass die Kontrolle privater Daten schwieriger wurde. Durch Maßnahmen wie den Ausbau der Video-Überwachung öffentlicher Bereiche sollte auf der einen Seite mehr Sicherheit gewährleistet werden, auf der anderen Seite erhöhten solche Maßnahmen das staatliche Kontrollpotential. Juli Zeh hat sich mit dieser Problematik in ihren Texten intensiv auseinandergesetzt.

Als sich 2020 die Corona-Pandemie in Europa und auch in Deutschland verbreitete, rückte Juli Zehs Roman Corpus Delicti – Ein Prozess wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Das Erscheinen von Fragen zu ,Corpus Delicti‘ befeuerte die Diskussion um Impfzwang und verfassungsrechtlich bedenklicher Corona-Maßnahmen. In Talkshows und Interviews legte Zeh mehrfach ihre Meinung zu Freiheit, Verfassung und Gesundheitsdiktatur dar.

2.3 Angaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken

Zusammenfassung

Juli Zeh veröffentlicht seit 1996 Erzählungen, Romane und Dramen, aber auch Kinderbücher, Sachbücher und Essays. Häufig beschäftigen sich ihre Texte mit zeitaktuellen und gesellschaftspolitischen Fragen. Darüber hinaus macht sie in Talkshows, Zeitungen und Protestbriefen auf ihre politische Position aufmerksam.

Werkübersicht

2001

Adler und Engel (Roman)Do ut des (Kurzgeschichte)

2002

Die Stille ist ein Geräusch. Eine Fahrt durch Bosnien (Reiseerzählung)Der Hof (Kurzgeschichte)Die geschenkte Stunde (Kurzgeschichte)Recht auf Beitritt? Ansprüche von Kandidatenstaaten gegen die Europäische Union (Sachbuch)

2003

Feindliches Grün (Kurzgeschichte)Unter Freunden (Kurzgeschichte)

2004

Ein Hund läuft durch die Republik (Anthologie, hrsg. v. Zeh u. a.)Spieltrieb (Roman)

2005

Kleines Konversationslexikon für Haushunde

2006

Alles auf dem Rasen. Kein Roman (Essays)

2007

Schilf (Roman)Corpus Delicti (Theaterstück)

2008

Das Land der Menschen (Kinderbuch)

2009

Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte (mit Ilija Trojanow)Corpus Delicti. Ein Prozess (Roman)Der Kaktus (Komödie)

2010

Good Morning, Boys and Girls (Theaterstück)Das Mögliche und die Möglichkeiten. Rede an die Abiturienten des Jahrgangs 2010 (Essay)

2011

Das Übergangsrecht. Zur Rechtsetzungstätigkeit von Übergangsverwaltungen am Beispiel von UNMIK im Kosovo und dem OHR in Bosnien-Herzegowina (Dissertation)Aufgedrängte Bereicherung. Tübinger Poetik-Dozentur 2010 (mit Georg M. Oswald)203 (Theaterstück/Uraufführung)

2012

Yellow Line (Theaterstück, mit Charlotte Roos)Nullzeit (Roman)Die Diktatur der Demokraten – Warum ohne Recht kein Staat zu machen ist (Sachbuch)

2013

Feldmann und Lammer (Kinderbuch)Treideln (Frankfurter Poetikvorlesungen)Was steht da zur Wahl? Über die Zukunft der Politik (mit Hamed Abdel-Samad und Herfried Münkler) (Sachbuch)

2014

Mutti (Theaterstück, mit Charlotte Roos)Nachts sind das Tiere (Essays)

2015

Jetzt bestimme ich, ich, ich! (Kinderbuch)Dein Erfolg (unter Pseudonym Manfred Gortz; Sachbuch)

2016

Unterleuten (Roman)

2017

Leere Herzen (Roman)

2018

Neujahr (Roman)

2019

Gebrauchsanweisung für Pferde (Sachbuch)

2020

Alle Jahre wieder (Kinderbuch)Fragen zu „Corpus Delicti“: Wann wird der Begriff der „Gesundheitsdiktatur“ von der Polemik zur Zustandsbeschreibung? (Sachbuch)

2021

Über Menschen (Roman)Socke und Sophie – Pferdesprache leicht gemacht (Kinderbuch)

 

Daneben schreibt Juli Zeh zahlreiche Essays und Artikel für Zeitungen und Zeitschriften. Auf ihrer Verlags-Webseite www.julizeh.de finden sich Links zu vielen ihrer Essays.

Mit dem Roman

Unterleuten

gelang Juli Zeh 2016 ein Bestseller, der inzwischen auch als Mehrteiler verfilmt wurde.© picture alliance / dpa/dpa-Zentralbild | Soeren Stache

 

Preise und Auszeichnungen

1999

Preis für Essayistik der Humboldt Universität im Beitragswettbewerb „Recht und Wandel“

2000

Caroline-Schlegel-Preis für Essayistik

2002

Förderpreis zum Bremer Literaturpreis für Adler und Engel

Deutscher Bücherpreis für das erfolgreichste Debüt mit Adler und Engel

Rauriser Literaturpreis für Adler und Engel

2003

Ernst-Toller-Preis für Adler und Engel

Förderpreis zum Friedrich-Hölderlin-Preis

2005

Per-Olov-Enquist-Preis

Literaturpreis der Bonner LESE

2008

„Jürgen Bansemer & Ute Nyssen“-Dramatikerpreis für das Theaterstück Corpus Delicti

Prix Cévennes du roman européen für Spieltrieb

2009

Carl-Amery-Literaturpreis

Solothurner Literaturpreis

Gerty-Spies-Literaturpreis

2013

Thomas-Mann-Preis

2014

Hoffmann-von-Fallersleben-Preis für zeitkritische Literatur

2015

Kulturgroschen des Deutschen Kulturrates

Hildegard-von-Bingen-Preis für Publizistik

2017

Literaturpreis der Stahlstiftung Eisenhüttenstadt Samuel-Bogumil-Linde-Literaturpreis Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch

2018

Bundesverdienstkreuz am Bande

2019

Heinrich-Böll-Preis

und andere

 

Erläuterungen zu einzelnen Werken

Adler und Engel (2001)

In ihrem Erstlingsroman, der von der Kritik überwiegend positiv aufgenommen wurde, geht es um die Spannung zwischen Recht und Gerechtigkeit. Juli Zeh erzählt die Geschichte des kokainabhängigen Juristen Max, der sich mit dem Verlust seiner Freundin Jessie auseinandersetzt, die sich während eines Telefonats das Leben nimmt. Gemeinsam mit der Radiomoderatorin und Psychologiestudentin Clara unternimmt er einen Versuch, das Geschehen zu rekonstruieren, und reist mit ihr nach Wien, wo Max als erfolgreicher Jurist gearbeitet hat, bis er Jessie wieder traf. Nach und nach wird deutlich, dass er und Jessie als Drogenkuriere tätig waren und wegen eines vermeintlichen Mordes aus Wien fliehen mussten. Die „Adler“, die die beiden verfolgen, haben es auf einen Code abgesehen, der es ihnen ermöglicht, wichtige Informationen von einem PC abzurufen; Max händigt den Code aus.

Die Stille ist ein Geräusch. Eine Fahrt durch Bosnien (2002)

Sieben Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges bereist Juli Zeh gemeinsam mit ihrem Hund Bosnien. Dort sind die Spuren des kriegerischen Konflikts nach wie vor deutlich sichtbar. In diesem romanhaften Reisebericht erzählt sie von ihren Besuchen in Städten wie Jajce, Sarajewo, Mostar, Trebinje, Sanski Most, Tuzla, Srebrenica, Banja Luka und Bihac und von den Begegnungen mit Menschen und deren Geschichten.

Spieltrieb (2004)

Um Macht und Verführung dreht sich der Plot dieser Geschichte. Auch in diesem Adoleszenz- bzw. Schulroman spielen die Themen Recht, Gerechtigkeit und Moral wie in Corpus Delicti