Das Leben ist kein Himbeereis - Kristina Kreuzer - E-Book

Das Leben ist kein Himbeereis E-Book

Kristina Kreuzer

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Beschreibung

Freibad, Eis und erste Liebe – fünf Freunde und ein unvergesslicher Sommer Mila, Max, Luh, Arthur und Liz sind 15 und kennen sich aus dem Sandkasten – sogar schon länger, denn ihre Väter sind damals schon zusammen zur Schule gegangen. Doch in diesem Sommer ist plötzlich alles anders: Max und Mila sind verliebt, und irgendwie scheint auf einmal nichts mehr zu sein, wie es war. Die Freundschaft, die immer selbstverständlich war, droht zu zerbrechen. Zum ersten Mal stellen die fünf sich die Frage, ob jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, an dem sie ihre eigenen Wege gehen müssen. Ein Buch über dieses aufregende und gleichzeitig unsichere Gefühl, 15 zu sein. Geschrieben von Kristina Kreuzer zusammen mit ihrer Tochter Lina.

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Seitenzahl: 278

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It’s just another story caught up in another photograph I found.And it seems like another person lived that life a great many years ago from now.

When I look back on my ordinary, ordinary life,I see so much magic, though I missed it at the time.

(Jamie Cullum)

Prolog

Das Foto hier ist ziemlich genau zwölf Jahre alt. Wenn ich es so ansehe, kann ich mir gut vorstellen, wie es an diesem Nachmittag war – denn das Schräge ist, irgendwie ist es heute noch genauso. Zu sehen sind wir: Art, Luh, Liz, Max und ich, wir alle fünf im Sandkasten. Liz, die Kleinste, sieht natürlich am niedlichsten aus. Sie hat hellblonde Zöpfe und trägt ein total ordentliches, sauberes Kleid. Liz müsste hier gerade mal 2 Jahre alt sein, Art dagegen schon 4. Auch damals war Art bereits der Größte von allen, der große Dünne. Art trägt ein bunt kariertes Hemd und eine viel zu weite Hose, dreimal umgekrempelt. Auf dem Foto ist Art der, der redet. Er erklärt uns hier wahrscheinlich gerade etwas über die tiefere Bedeutung vom Kindertheater. Wie auf den meisten Fotos sehe ich irgendwie wild aus, meine Locken stehen in alle Himmelsrichtungen ab, und ich trage auf dem Foto schon die kunterbunten Klamotten, die ich heute immer noch so gerne mag. Ich mache auf dem Bild eine witzige Grimasse. Wahrscheinlich unterbreche ich Art gerade beim Reden und zwicke und ärgere ihn von der Seite. Luh dagegen macht ein eher strenges Gesicht. Bestimmt schimpft sie gerade mit mir, weil ich Art piesacke. Auch hier schon sehen Luhs schwarze, lange Haare top aus, wie gerade frisch frisiert. Luh wirkt schon damals erwachsener, reifer als wir anderen. Ach ja, und natürlich weint Liz auf dem Bild, weil ihr alles zu viel und zu laut ist. Für Liz kann es nie friedlich genug sein.

Und was macht Max? Max guckt in die komplett andere Richtung, wahrscheinlich zum Fußballplatz. Gut möglich, dass er darüber nachdenkt, wo er einen Ball herkriegt und wann dieses langweilige Sandkuchenbacken ein Ende hat.

Ja, so waren wir fünf Freunde damals, und irgendwie sind wir so auch heute noch. Auf eine Weise sind wir noch dieselben, und trotzdem ist alles ganz ganz anders.

»Vorsicht Arthur, watch your step!« Klar, dass ich genau in dem Moment über die Türschwelle des dunklen Probenraums stolpere, weil mir die viel zu helle Sonne viel zu plötzlich ins Gesicht scheint. Ich höre hinter mir das typische tiefe Lachen meiner Theaterlehrerin Mrs Book und murmle mit einem halben Grinsen: »Thanks, Frau Buch, everything’s fine.«

Ich ziehe mir meine schwarze Kappe ein Stück tiefer ins Gesicht, werfe mir den Rucksack über die Schulter und schlurfe über den Schulhof. Allein. Das ist jetzt echt mal nötig nach zwei Stunden Theaterprobe ohne eine richtige Pause. Logisch, dass ich sofort wieder ans Casting für das Harry-Potter-Stück denke, bei dem ich mitgemacht habe und – unglaublich, aber wahr – in die letzte Runde gekommen bin. Was würde ich darum geben, diese Rolle zu kriegen! Dann würde ich zum ersten Mal auf einer echten großen Bühne stehen, im Theaterhaus. Nix da abgerocktes Schultheater! Und ja, Dad, natürlich würde ich trotzdem meine Schule zu Ende machen.

Hinter mir höre ich die anderen aus meinem Kurs lachen, alle quatschen durcheinander. Ich stelle mich zu den Jungs aus meiner Klasse und gebe ein paar halbherzige Kommentare zur gestrigen Klassensprecherwahl ab.

Dabei scanne ich den Schulhof und entdecke meine vier besten Freunde aus Kindergartenzeiten. Sie sind alle eine Stufe unter mir. Was ich gerade sehe, ist ein absolut typisches Bild: Liz steht da, mit hochrotem Kopf und aufgelöstem blonden Zopf. Sie weint mal wieder wegen irgendwas, und die anderen beiden Mädels kümmern sich um sie. Anscheinend hat Mila sich die Haare abgeschnitten, die sind jetzt nur noch kinnlang und viel lockiger, sieht cool aus. Neben Mila steht Luh, megaschlank und fast so groß wie ich, mit langen schwarzen Haaren. Max lehnt neben den dreien an der Wand und tippt auf seinem Handy herum. Ha! Typisch Max! Sein Gefühlsreichtum passt auf einen Teelöffel, wie Hermine sagen würde. Anders als ich kann er mit Emotionen echt nicht umgehen. Obwohl ich nur mit meinem verrückten Vater und ohne meine englische Mum aufgewachsen bin, kann man mir auf diesem Gebiet nichts vormachen. Ich murmle ein »Bye« zu meinen Kumpels aus der Klasse, steure auf Liz zu und übernehme meine Rolle: Hier kommt Arthur Trautmann, Retter der kleinen Elizabeth! Ich tippe Liz von hinten auf die Schulter: »Was ist los, Lizzy? Wer hat dich diesmal geärgert?«

Liz hebt den Kopf und lächelt mich mit verheulten Augen an. »Ach, Art, die blöde Hubkraft, ich verstehe das einfach niiii…«, weiter kommt sie nicht, sie schluchzt schon wieder. Ich nehme sie in den Arm, so wie ich meine kleine Schwester in den Arm nehmen würde, die ich leider nicht habe. Liz schnoddert mir wahrscheinlich aufs Hemd, aber da stehe ich drüber. Ich gucke Mila und Luh mit einem großen Fragezeichen überm Kopf an. »Hä? Hubkraft? Was soll das denn bitte sein?« Dabei schiele ich professorlike über meine Brillengläser zu den Mädels.

Mila zuckt betont desinteressiert die Schultern, Luh hebt eine Augenbraue und sagt: »Nicht dein Ernst, Art, oder? Das hattet ihr letztes Jahr in Physik!«

Ich gucke zu Mila und zwinkere ihr zu. »Ach so, ich dachte schon, das wäre was Wichtiges …«

Mila prustet los, und Liz schenkt mir ein kleines Lächeln, aber Luh stöhnt: »Max, hilf mir doch mal, ich bin hier umringt von mittelmäßig begabten Schimpansen, die noch nie was von Hubkraft gehört haben!«

Max, der noch immer lässig an seiner Wand lehnt, zuckt zusammen. Wahrscheinlich haben wir ihn gerade von seiner Kicker-App weggeholt. Er steckt das Handy in die Hosentasche. »Hä? Sorry, hast du was gesagt, Luh?«

»Hubkraft! Physik! Halloo!«, wiederholt Luh, während sie Max ungeduldig anblitzt.

»Ach so«, murmelt dieser. Er fährt sich durch seine braunen welligen Haare (genau bei diesem Move schmelzen die meisten Mädchen von unserer Schule dahin). Er wirft Luh ein gequältes Lächeln zu (ebenfalls zum Verlieben): »Sorry, war gerade woanders.« In meinen Augen ist Max mit ziemlicher Sicherheit hochbegabt oder so. Dafür ist er sozial nicht immer ganz auf der Spur.

»Ähem, Liz, also was ist? Soll ich dir was erklären?«, murmelt Max, aber Luh fällt ihm direkt ins Wort: »Lizzy, wir zwei machen das nachher zusammen, es ist echt nicht schwer. Dann kann ich es gleich auch noch mal wiederholen vor der Klassenarbeit!«

Mila und ich werfen uns einen Blick zu. Mila verkneift sich das Grinsen, denn mit Luh willst du echt keinen Ärger kriegen. Dann sagt sie scheinheilig: »Coole Chance, Liz. Solltest du unbedingt machen.«

Gerade wundere ich mich, dass Mila sich so harmoniebedürftig gibt, aber da fängt sie auch schon über beide Ohren an zu grinsen, ihre grünen Augen blitzen. »Aber natürlich könnten Art und ich dir auch gerne helfen mit der Pupkraft!«, dabei fängt sie schallend an zu lachen. Klar, dass ich auch mitlachen muss. Luh zieht eine Augenbraue hoch: »Willkommen im Kindergarten, Mila«, aber dabei guckt sie Mila nicht unfreundlich an. »Das Verblüffende ist … ich bin mir sicher, dass du auch ohne jedes Physikwissen durch die Schullaufbahn kommst, genau wie dein Vater …«

Ups! Das saß. Dass Milas Vater, der notorische Schulversager, es zum Erfolgsanwalt gebracht und dabei seine Freunde rechts überholt hat, ist allgemein bekannt.

»Ähem, Mila, cooler Haarschnitt, sieht gut aus«, sage ich in die Stille.

»Voll! Habe ich ihr auch schon gesagt!«, meint Liz.

»Ist halt praktischer im Sommer«, sagt Mila nur. Aus dem Augenwinkel guckt sie zu Max.

»Ich muss los zum Fußball«, murmelt Max, setzt seinen Rucksack auf und dreht sich zum Gehen.

»Ich muss auch los«, sagt Mila schnell. Und wieder dieser kurze Blick zu Max. »Wollen wir morgen alle ins Freibad gehen? Die sind seit letzter Woche wieder geöffnet.«

Ich stöhne. »Och nö, muss das sein? Wollen wir nicht lieber Eis essen gehen? Oder Burger?«

Mila knufft mich in die Seite. »Oh, sorry, Art, ganz vergessen … kannst du denn inzwischen überhaupt schwimmen?«

»Sehr witzig«, knurre ich, weil es so ein irre toller Running Gag ist, dass ich dreimal durchs Seepferdchen gefallen bin. Sogar Liz hat früher als ich die Schwimmprüfung bestanden, obwohl ich fast zwei Jahre älter bin als sie. Ich war schon immer zu lang und zu schlaksig. Wahrscheinlich fand ich es auch damals schon schwierig, meine langen Glieder zu koordinieren.

»Okay, vier Uhr vorm Schwimmbad?«, fragt Luh mit geschäftiger Stimme. Alle nicken brav. Als Luh sich zum Gehen dreht, wirft sie mit Schwung ihre langen dunklen Haare zurück und sagt: »Und vergiss nicht deine Badehose, Art!« Sie schickt ein kurzes Lächeln in meine Richtung. »Und Max, zieh dich warm an, morgen gewinne ich … ähem, weg ist er«, denn Max ist bereits auf seinem Rennrad verschwunden. Manchmal frage ich mich ernsthaft, auf welchem Planeten Max lebt. Oder ob er einen leichten Hang zum Autismus hat, aber wahrscheinlich errechnet er einfach gerade den Energieverbrauch beim Schwimmen.

Als ich von Weitem Mila, Max und Luh vor dem Schwimmbad stehen sehe, habe ich dieses total herrliche Glücksgefühl im Bauch, weil ich einfach die tollsten, liebsten Freunde der Welt habe! Wir fünf kennen uns schon, seit wir auf der Welt sind. Eigentlich sogar schon viel länger, nicht nur aus der Zeit im Bauch unserer Mütter, sondern sogar schon davor! Unsere fünf Väter sind nämlich zusammen zur Schule gegangen. Das klingt ein bisschen wie im Märchen, oder? Ist es auch! Max, Mila, Luh, Art und ich waren dann erst Babyfreunde und später Kindergartenfreunde. Auch wenn ich mich kaum an diese Zeit erinnere, muss das das Wunderbarste überhaupt gewesen sein – wir alle zusammen, auch mit Art, der dann schon ein Jahr früher eingeschult wurde. Jeden von meinen Freunden mag ich auf diese spezielle Weise. Ganz besonders Max. Wenn man Max nicht kennt, denkt man vielleicht, dass er ein bisschen zu cool für die Welt oder arrogant ist und sich für nichts anderes als seinen Sport interessiert. Aber für mich ist er wie ein superlieber, großer Bruder. Max würde mich vor jedem und allem auf der Welt beschützen.

»Hi, Physik-Genius, wie läuft’s?«, begrüßt mich Luh. »Ging doch gut gestern, oder? Du brauchst einfach ein bisschen Übung, Liz.«

Seit ich mit Luh Physik gelernt habe, ist der dicke Kloß in meinem Bauch etwas kleiner geworden. Ich nicke. »Ja, echt, danke noch mal«, sage ich leise. Manchmal fühle ich mich Luh gegenüber etwas schüchtern.

»Können wir jetzt bitte das Thema wechseln?«, stöhnt Mila. Sie rollt die Augen. »Hey, es ist Sommer, die Sonne scheint, wir stehen vorm Schwimmbad und – reden über Physik! Sorry, aber erstaunlicherweise würde ich jetzt ganz gerne mal nicht an den miefenden Physiktrakt denken …«

Art nickt. »Mila, du hast mal wieder absolut recht. Physik sucks …« Er sieht sich um. »Wo ist eigentlich Max?«

»Der rennt bestimmt noch irgendwo auf der Aschebahn rum«, murmelt Luh. »Lass uns doch schon mal reingehen!« Und ohne eine Antwort abzuwarten, stolziert sie dann auch entschlossen zur Freibadkasse. Ich bewundere Luh echt. Dafür, wie sie ist, so selbstbewusst und dazu noch so schlau! Und was das Coolste dabei ist: Ihr scheint völlig egal zu sein, was die anderen von ihr denken, und sie sagt immer ihre Meinung. Das würde ich mich nie trauen.

Wir bauen unser Lager auf der Schwimmbadwiese auf. Luh hat sich die Sonnenbrille ins Haar gesteckt und sitzt kerzengerade in einem orangen Sportbadeanzug da. Mila liegt neben ihr im Gras, die Arme hinter dem Kopf verschränkt. Sie trägt einen altmodischen Badeanzug, so einen mit Blümchen, wie aus den Zwanzigerjahren oder so. Eine typische Mila-Klamotte. Mila zieht sich oft total schräg an, aber irgendwie sieht bei ihr alles gut aus. Und was trage ich? Ich habe zur Abwechslung einen superunauffälligen Badeanzug mit Adidas-Streifen an. So einer, bei dem keiner zweimal hingucken würde.

Weil Art sich gar nicht umgezogen hat, frage ich ihn: »Gehst du nicht ins Wasser?«

Er rückt seine Brille zurecht und räuspert sich: »Na ja, sagen wir mal so: Ich akklimatisiere mich erst mal, alles ganz entspannt. Danach besteht eine minikleine Chance, dass ich noch reingehe.« Er trägt doch tatsächlich lange Jeans und T-Shirt, ich würde umkommen bei dem Wetter! Auf seinem hellblau verwaschenen Shirt ist natürlich ein Aufdruck von irgendeinem Theaterfestival.

»Hast du überhaupt eine Badehose mit?«, fragt Luh.

Art grinst. »Ich hoffe doch …«

»Wo steckt denn eigentlich Max?«, fragt Mila, und genau in dem Moment sagt jemand: »Ach, ihr auch schon da?« Vor uns steht Max, wie aus dem Boden gewachsen, rote Badehose, breites Grinsen. Er hat sogar schon seine Schwimmbrille auf der Nase. Max tippt Luh auf die Schulter. »So, Luh, Wettschwimmen? Kleine Revanche, nach letztem Mal?«

»Aber so was von«, antwortet Luh.

Anscheinend entdeckt Max mich erst jetzt, dabei sitze ich ihm sozusagen zu Füßen, aber ich bin eben tatsächlich ein wenig unsichtbar. Max sieht zu mir herunter: »Alles wieder okay bei dir, Schwesterchen?«

Ich nicke. Dann hockt er sich neben mich ins Gras. »Mann, Lizzy, du musst dir das echt nicht so zu Herzen nehmen, das ist doch nur Schule. Und es gibt so viele Dinge, die du tausendmal besser kannst als wir alle zusammen«, er klopft mir auf die Schulter und sieht mich ernst an. »Okay?«

Ich nicke, obwohl ich nicht weiß, was genau ich besser können sollte. Aber so war es schon immer: Wenn Max da ist, ist irgendwie alles gut. »Danke«, sage ich leise und lächle ihn an. Erstaunlich, dass er das gestern in der Schule überhaupt mitbekommen hat.

»Hallo!! Können wir dann mal? Wie war das mit der Revanche, Max?«, fragt Luh und springt auf. Sie sieht echt irre gut aus, wie sie dann kurz darauf mit ihren langen, schlanken Beinen neben Max zum Sportpool läuft, die Haare zu einem lässigen Dutt hochgebunden. Mila neben mir guckt den beiden ebenfalls hinterher, aber sie sagt nichts und stöhnt nur leise. Als sie außer Hörweite sind, murmelt sie: »Boah, bei Luh ist das Leben echt ein einziger Wettkampf, oder? Die sollte sich mal entspannen. Also, gehen wir auch ins Wasser? Komm, Liz!« Ich stehe auf, und Mila und ich folgen den beiden mit etwas Abstand zum Pool. Art bleibt sitzen. Als ich mich noch mal umdrehe, sehe ich, dass er bereits Harry Potter 5 vor der Nase hat. Es scheint ihn nicht zu kümmern, dass er alleine zurückbleibt.

Mila und ich planschen im Wasser herum und rutschen gefühlte hundert Mal die große Rutsche herunter. Wir angeln uns ein paar von den bunten Reifen und drehen uns, bis uns so richtig übel ist. Nebenan im 50-Meter-Sportbecken sehen wir Luh und Max, wie sie sich einen Wettkampf nach dem anderen liefern. »Jetzt noch mal kraulen hin und freestyle zurück«, höre ich Luhs Stimme. Kurz darauf dann Max’ Fluchen, ein sicheres Zeichen dafür, dass er verloren hat. Max hasst verlieren. Wenn ich Luh wäre, würde ich jetzt Brustschwimmen vorschlagen, denn darin ist Max unschlagbar. Ich mag es nicht, wenn Max schlechte Laune hat. Und genau so ist es auch: Max fragt: »Brustschwimmen?«, aber Luh erwidert: »Nope, noch mal freestyle«. Oh Mann, Luh … echt jetzt.

»Hey, ich glaube, wir müssen mal in den Schatten gehen, du bist schon total rot«, sagt Mila zu mir. Ich nicke und beneide sie, weil sie einfach direkt schön braun wird. Ich hasse meine empfindliche, viel zu blasse Haut. Auch wenn alle anderen sagen, dass meine Sommersprossen ja sooo niiedlich sind. Da bin ich absolut anderer Meinung.

Wir lassen uns neben Art auf unsere Handtücher fallen. Mila lehnt sich an ihn und verstrickt ihn in ein Gespräch über Harry Potter. Mila und Art sind die größten Harry-Potter-Fans auf der Welt, sie wissen alles darüber. Sie haben jedes Buch und jeden Film Millionen Mal verschlungen. Ich hatte schon nach Band 1 keine Lust mehr.

Gerade sagt Mila: »Ich kann einfach nicht fassen, dass du diese Cho magst. Sie ist einfach schrecklich! Affektiert und für Harry absolut nicht gut genug!«

»Aber ehrlich gesagt wäre Hermine doch auch nicht die Richtige … außerdem sind die zwei beste Freunde, sorry, das ist echt ein No-Go …«, sagt Art.

»Ach komm«, erwidert Mila. »Das kann doch nicht ernsthaft ein Grund sein. Ich meine, würden sie sich echt verlieben, dann …«

Ich weiß nicht, wie viele tausend Mal die zwei genau diese Diskussion schon geführt haben. Ich dämmere weg. Als ich die Augen wieder öffne, sehe ich Max und Luh auf uns zukommen. »Pssst!«, zische ich Art und Mila zu und setze mich mit einem Ruck auf.

»Hä?«, setzt Mila an, aber dann murmelt sie: »Ah, verstehe.« Luh kann Harry Potter nicht ausstehen. Ihre Eltern sind noch viel größere Potter-Fans als Art und Mila, und deshalb ist Luhs erster Name – zu ihrem großen Entsetzen – »Hermine«. Weil dieser auch auf der Telefonliste steht, nennen neue Lehrer sie immer wieder so, wofür sie von Luh richtig Ärger kriegen. Glück für sie, dass sie wenigstens noch ihren zweiten balinesischen Namen»Luh« hat. Luh meint, dass ihre Eltern sich eines Tages noch scheiden lassen wegen ihrer ständigen Diskussionen, ob Snape nun ein Held oder ein Verräter ist.

An Luhs Gesicht sehe ich sofort, wer gewonnen hat. Als die beiden bei uns angekommen sind, fragt Art herausfordernd: »Und, wer war schneller?«

Luh knufft Max mit einem triumphierenden Grinsen in die Seite. »Es steht 10 zu 8!«

Max ächzt nur und murmelt: »Das waren superunfaire Wettbewerbsbedingungen. Schließlich hatte ich eben noch Fußballtraining.«

»Selbst schuld!«, sagt Luh und verzieht den Mund zu einem kleinen Grinsen.

»Sport ist Mord«, wirft Art ein.

»Ihr wart beide megaschnell! Wahnsinn, ich schaffe ja noch nicht mal eine Bahn Kraulen am Stück«, sage ich. Auf einmal fällt mir auf, dass Mila neben mir ungewöhnlich still ist. »Alles gut?«, frage ich sie leise.

Mila hat den Kopf abgewandt und sonnt sich mit geschlossenen Augen. Keine Ahnung, was mit ihr los ist, sonst ist Mila eigentlich immer die Quatschtante. Aber es bleibt mir auch nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn wie immer hat Art Hunger. Er wedelt begeistert mit den Armen in der Luft herum und ruft: »Und jetzt holen wir uns endlich Pommes!« Art hat immer Hunger. Wahrscheinlich liegt das daran, dass er so schnell wächst. Oma Düsseldorf würde sagen: »An dem ist ja nichts dran, gebt dem mal was Ordentliches zu futtern.« Art wirft sein Buch neben sich aufs Handtuch und springt auf. Wir alle folgen ihm. Während Mila sich noch schnell ihr Kleid über ihren Badeanzug zieht, sind Max und Luh schon verschwunden. Wettrennen bis zur Pommesbude. Typisch …

Alle bestellen sich Pommes, außer mir. Ich sage, dass ich keinen Hunger habe, doch das ist nicht wahr. Nach dem ganzen Schwimmen knurrt mein Bauch richtig laut, aber das hört man hoffentlich nicht. Keiner hat es weiter kommentiert, nur Mila hat von der Seite einen prüfenden Blick auf meinen Bauch geworfen und gefragt: »Auf Diät?«

Die Frage war mir zu blöd, um darauf zu antworten. Manchmal komme ich bei Mila zurzeit nicht so richtig mit, früher war sie nie zickig.

»Ich muss gleich los«, sage ich betont laut über das Pommesgemampfe hinweg.

»Du willst wohl noch was für die Schule machen?«, fragt Max mit einem vielsagenden Grinsen. Ich kann nicht anders, als jeden Kommentar von Max als Herausforderung zu einem Wettkampf anzusehen. Ich ziehe nur eine Augenbraue hoch, weil ich keine Lust habe zu sagen, dass ich mir das Geld lieber spare und ich außerdem gleich noch einkaufen und kochen muss, weil meine Eltern das leider nicht auf die Reihe kriegen. Am Wochenende kocht meine Mutter richtig lecker, das muss man ihr lassen, indonesische Saté-Spieße und vegetarisches Gado Gado – mein balinesisches Lieblingsgericht –, aber unter der Woche ist bei uns für nichts Zeit. So ist das halt mit einer berufstätigen Mutter und einem Vater, der jeden zweiten Tag eine neue Jobidee hat, aus der aber leider grundsätzlich nichts wird. Letztes Jahr hatte er noch die ultimative Harry-Potter-App entwickelt (ausgerechnet Harry Potter!), die, wer hätte es gedacht, keiner haben wollte, und beim Import von iPhones ist einiges schiefgegangen, was fast im Knast geendet hätte. Na ja, wenn gar nichts mehr geht, verkauft er eben mal wieder Secondhand-Mopeds.

»Hey, der schöne Max!«, quatscht uns ein Mädchen von der Seite an. Und im nächsten Moment gackern ungefähr zehn andere an ihrem Tisch hysterisch los. Ich drehe mich um und stöhne genervt auf. Da sitzen Bine, Lucia und ein paar andere Mädels aus der Parallelklasse. Mila stößt mich unter dem Tisch an: »Die Reichen und Schönen sind da!« So heißen sie bei uns, weil sie nämlich genau das sind. Dafür haben sie aber leider keinerlei Grips im Kopf. Aus den Augenwinkeln sehe ich silbern blitzende Badeanzüge, knappe grellbunte Bikinis und viel zu große Sonnenbrillen. Eine von ihnen steht auf und läuft demonstrativ hüftwackelnd an unserem Tisch vorbei. »Hi, Max, oh, du auch da … ah, und der große Schauspieler«, sagt sie dann zu Art gewandt. Die Tatsache, dass er ein Typ ist, und dazu noch eine Klasse höher, macht Art wohl interessant genug. Uns drei Mädels scheint sie gar nicht wahrzunehmen.

»Hast du im Dunkeln den Bikini von deiner kleinen Schwester erwischt?«, fragt Art und deutet mit seiner Pommes auf ihren auffällig knappen Bikini. Als das Mädchen einen spitzen Entsetzensschrei loslässt, lacht Art sie freundlich an und murmelt: »Kleiner Scherz, du kannst das natürlich super tragen!« Er zwinkert hinter seinen Sonnenbrillengläsern Mila neben sich zu. Mila gluckst, und das Mädchen spaziert sichtlich verunsichert weiter.

»Entschuldigung, aber ich finde die leider echt so superdämlich! Habt ihr mal gesehen, was die posten? Geht gar nicht! Das müsste wegen Oberflächlichkeit verboten werden!«, sage ich.

»Warum folgst du denen auch?«, fragt Mila.

»Ach weißt du, manchmal zieht mich Dämlichkeit einfach magisch an, ich kann gar nichts dagegen machen«, erkläre ich.

Liz flüstert: »Also ich bin mit Lucia bei Latein, eigentlich ist sie ganz nett, wenn man sie ein bisschen näher kennt.«

»Ich kenne sie aber nicht und will sie auch nicht näher kennenlernen«, schnaube ich.

»Geht mir genauso«, murmelt Mila. Max guckt stumm zum Sportbecken, bis Art ihn in die Seite knufft. »Tja, Max, wir Jungs sind da nicht so wählerisch, was? Wenn die Frauen gut aussehen, ist doch egal, ob sie was in der Birne haben.«

Das ist das Signal für Mila und mich. Wir beide springen gleichzeitig auf, stürzen uns auf Art und attackieren ihn mit unseren Fäusten. Dann zieht Mila Art blitzschnell vom Stuhl, und wir werfen ihn lachend und mit vereinten Kräften auf den Rasen. »Max, hilf mir! Du bist doch mein Freund«, stöhnt Art.

Aber Max bleibt grinsend am Tisch sitzen: »Das schaffst du schon, du Mädchenversteher!«

»Hey, Max! Lass mich nicht im Stich, das hier ist Mädchen gegen Jungs, wir müssen zusammenhalten!«

Max steckt sich betont langsam seine letzte Pommes in den Mund und blinzelt in die Sonne. »Ich bin platt. Sorry, Art.«

»Euch schaffe ich allein«, grunzt Art irgendwo unter uns.

Als Mila und ich am Boden kaum mehr Luft kriegen vor Lachen, nutzt Art diesen kurzen Moment und nimmt uns blitzschnell – Mila rechts und mich links – in den Schwitzkasten. Bevor wir uns rauswinden können, ruft er laut: »Gewonnen!«

Wenig später verlassen wir das Schwimmbad. Ich verschwende noch einen kurzen Gedanken an die Reichen und Schönen vom Nebentisch, aber bis auf eine leere Pommestüte und Ketchupreste ist von ihnen nichts mehr zu sehen. Na, da werden sie ja was zum Posten haben …

Bei den Fahrrädern angekommen zupfe ich Mila lachend ein paar Blätter aus den Locken. Milas grüne Augen blitzen wild und fröhlich. In der letzten Zeit habe ich sie schon lange nicht mehr so happy gesehen, Mila-like eben. Auch heute im Schwimmbad war sie anfangs wieder so seltsam still. Auch wenn wir beide uns schon echt lange kennen, würde ich sie nicht fragen, ob mit ihr was nicht stimmt. Schon immer sind wir alle fünf beste Freunde, aber Mila, Liz und ich haben eben keine BFF-Mädchen-Freundschaft oder so, wie andere Mädels aus der Stufe. Manchmal vermisse ich das. Mila hat ihre Schwester Carla, die nur wenig jünger und somit so etwas wie ihre beste Freundin ist. Liz hat zwei ganz kleine Schwestern, aber wenn es Probleme gibt, redet sie tatsächlich mit ihrer Mutter. Unvorstellbar, dass ich mit irgendwelchen Sorgen zu meiner Mutter gehen würde! Als Balinesin ist ihr hier auch nach so vielen Jahren immer noch vieles fremd. Ein Glück hat sie wenigstens ihre Arbeit in der Bank, in der sie voll aufgeht.

Wenn wir bei unseren Verwandten auf Bali sind, denke ich immer, wie komplett anders meine Cousins und Cousinen dort aufwachsen. Sie wohnen auf dem Land, und ihre Familien bauen Reis an. Alles dreht sich viel mehr um Kultur und Rituale als hier.

Meine Mutter und ich verstehen uns okay, aber so richtig kennen tun wir uns nicht. Das denke ich in letzter Zeit immer öfter.

Ich frage mich, wer überhaupt weiß, wie ich wirklich bin und was bei mir so los ist. Vielleicht am ehesten noch Max? Max und mich verbindet der Wettkampf – ja, vielleicht sind wir echt so etwas wie Soulmates, weil wir beide eher introvertiert sind und nicht viel mit anderen teilen. Und genau das ist wohl auch der Grund, warum Art und ich so grundverschieden sind. Art ist für uns alle ein offenes Buch, jeder weiß, was Art denkt … oder etwa nicht?

»Bis morgen!«, rufe ich den anderen zu. Ich bin die Erste, die abbiegen muss. Ich grinse immer noch in mich rein und knuffe Art im Vorbeifahren in den Arm. »Tja, lieber Arthur, vielleicht hast du heute gegen uns gewonnen, aber freu dich nicht zu früh. Das gibt Rache! Stimmt’s, Luh?«

Luh streckt einen Daumen hoch und ruft quer über die Straße: »Wir waren einfach nicht richtig in Form, Mila! Aber zum Glück sind wir ja nicht nur schlau, sondern dazu auch noch ungewöhnlich stark, damit schaffen wir jede Barbie. Die Reichen und Schönen sind nix dagegen!«

Mit Wucht trete ich in die Pedale gegen den aufkommenden Wind an. Mein Sommerkleid weht mir um die Beine. Ich gucke in den Himmel. Es sieht ziemlich nach Gewitter aus. Dann muss ich unbedingt mit Carla einen Regenspaziergang machen! Carla und ich lieben das, in Flipflops und kurzen Sachen durch den Regen laufen, bis man so richtig schön vollgeregnet und durchgeweicht ist. Dann ab unter die warme Dusche, heißen Kakao trinken und irgendeine Mädchenserie gucken. Das machen wir schon seit Jahren – nur die Serien haben sich mit der Zeit etwas gewandelt, von Barbapapa und Conni zu irgendeinem anderen Zeugs. Ein bisschen weiterentwickelt haben wir uns also schon. Obwohl ich mir da manchmal gar nicht so sicher bin, wenn ich mich mit Luh vergleiche. Seit einigen Monaten sieht Luh echt supererwachsen und dazu noch irgendwie total gut aus, wie eine richtige Frau. Dagegen komme ich mir vor wie die kleine dicke Schwester. Klar, Liz ist auch noch da, aber Lizzy ist irgendwie außer Konkurrenz, Liz ist eben einfach Liz, die Kleine, und das wird sie immer bleiben.

Luh … dieses ewige Wettkampf-Getue mit Max. Heute hat es mal wieder so richtig genervt. Ich meine, sie kann ja mit Max machen, was sie will, aber irgendwie ist das etwas penetrant.

»Mila! Gewitter im Anmarsch. Wir müssen raus!«, ruft Carla schon vom Gartentor aus. Sie strahlt übers ganze Gesicht. Durch ihre kleine Zahnlücke zwischen den Schneidezähnen sieht sie immer irgendwie frech aus. »Guck mal in den Himmel, das wird cool!«

Ich nicke abwesend, in Gedanken noch bei Luh, Max und diesem seltsamen Gefühl, 15 zu sein. Was ist das überhaupt für eine Zahl? Bisher kam jedes neue Alter mit riesengroßer Happiness und Smartiekuchen um die Ecke, aber dieses Lebensjahr ist irgendwie anders. Ein bisschen neidisch gucke ich Carla neben mir an, wie sie da in ihren Latzhosen steht. Für Carla ist nie irgendetwas ein Problem. Genauso war es bei mir auch immer. Als hätte sie meine Gedanken erraten, springt sie neben mir in die Luft und ruft: »Es fängt an! Yippie! Ich lasse das Leben auf mich regnen!« Lachend wirft sie die Arme hoch. Genau so will ich mich auch fühlen, wie früher. Deshalb mache ich mit: »Ich lasse das Leben auf mich regnen!«, und dabei springe ich von einem Bein aufs andere, als würde ich einen Regentanz vollführen. Wir patschen auf dem Rasen herum, und unsere nackten Füße machen dabei so witzige Platschgeräusche, als würden unzählige Frösche unter unseren Zehen sitzen. Auf einmal gibt es einen noch größeren Platsch, und Carla liegt der Länge nach neben mir im Dreck. Sie quietscht überrascht auf, dann rollt sie gackernd über den Rasen und verwandelt sich in eine lebendige Matschbombe. Blätter und Zweige verfangen sich in ihren langen lockigen Haaren. Ich laufe lachend hinter ihr her und versuche, sie einzufangen, aber Carla rollt über den abschüssigen Rasen schneller weg, als ich laufen kann.

»Mila! Was macht ihr denn da? Carla! Hey, ihr Spielkinder! Jetzt aber rein mit euch, gerade hat es richtig geblitzt, dalli, dalli!«, ruft Mama von der Terrassentür aus.

Als Carla irgendwann reagiert, rappelt sie sich auf und humpelt in Richtung Haus. »Warte, Mila, ich glaube, ich habe mir den Fuß gebrochen!«, ruft sie mir lachend hinterher.

Ich drehe mich um. »Dramaqueen«, stöhne ich grinsend. »Ich glaube auch, deshalb hüpfst du auch rum wie ein kranker Laubfrosch! Komm, ich stütze dich armes Würmchen«, sage ich und reiche ihr großzügig meinen Arm. Unter den anderen Arm klemme ich mir meine Schwimmtasche, und so stolpern wir zur Terrassentür.

»Ihr seht ja aus …«, murmelt Mama. »Am besten ich stecke euch so, wie ihr seid, in die Waschmaschine.«

»Aber erst mal fest in den Arm nehmen!«, lache ich und versuche, mich mit meinen klitschnassen Klamotten an Mama zu drücken. Die macht einen großen Satz zur Seite: »Bah! Weg mit dir!« Dann runzelt sie die Stirn: »Mila, wie sieht es denn mit deinen Hausaufgaben aus? Du warst ja heute Mittag schon so früh weg. Du weißt, dass du dich an deinen Plan vom letzten Schulgespräch halten musst …«

Ich rolle die Augen. »Weiß ich, alles im Griff!«, sage ich, obwohl wir beide wissen, dass ich das nicht wirklich habe. Aber leider kann ich heute unmöglich noch all meine Hausaufgaben machen. Nun ja, morgen ist auch noch ein Tag …

Und so endet die zweite Schlacht von heute. Erschöpft und zufrieden und dazu noch frisch geduscht und mit gewaschenen Haaren sitze ich neben Carla vor dem iPad auf dem großen Sitzsack im Wintergarten. Draußen schüttet es immer mehr, es donnert und blitzt, und auf einmal merke ich, dass ich glücklich bin wie schon lange nicht mehr. Schnurrend kuschle ich mich an Carla, aber dann ist da wieder dieses komische Ziehen in mir, das ich zurzeit immer wieder habe. Ich versuche, den Gedanken zu verscheuchen, aber da sehe ich es wieder vor mir: Max’ lachendes Gesicht mit den kleinen Grübchen. Max, wie er irgendeinen supercoolen Spruch bringt. Max’ wellige Haare … Nein, das darf nicht sein, denke ich. Alles soll so bleiben, wie es ist.

Während der dritten Runde auf der Aschebahn bin ich echt k. o. Verdammt, ich hätte langsamer starten sollen, aber ich wollte es wohl den Mädels aus meiner Gruppe zeigen. Sorry, aber das geht ja mal gar nicht, dass die beiden direkt nach dem Start an mir vorbeiziehen! Also habe ich Gas gegeben, und nun … na super. Ich hoffe nur, ich muss Lotte und Rine nicht im Ziel vor die Füße kotzen, das würde dann weniger nice rüberkommen. Zumindest hat mein Anfangssprint zur Folge, dass ich die letzten aus der Gruppe jetzt um fast eine ganze Bahn überholt habe.

Ich muss mich ablenken, an was anderes denken als an meine viel zu schweren Beine und diese grässliche Übelkeit. Aber woran bloß? Physik? Schwierig gerade. Primzahlen aufsagen? Auch mies. Mir fällt der Tag im Freibad ein und das Wettschwimmen gegen Luh. Wahnsinn, dass das zähe Ding mich am Ende echt abgehängt hat. Zähes Ding … honestly, das ist nicht der richtige Ausdruck. Man müsste wohl eher so was sagen wie junges Reh, Gazelle … Panther. Luh hat irgendwie was krass Geschmeidiges, wie sie sich bewegt: wie sie läuft, und erst recht, wie sie delfinähnlich durchs Wasser schnellt. Delfin? Passt das? Na ja, besser als Pinguin, die liegen megatief im Wasser mit ihren runden Bäuchen. Seepferdchen? Viel zu langsam. Und zu relaxed – relaxed ist Luh nie, aber dafür hammerattraktiv, das ist mir gestern zum ersten Mal so richtig aufgefallen. Aber … hallo! Luh ist meine Kindergartenfreundin! Genau wie Lizzy und Mila. Als Kindergartenfreund ist es wahrscheinlich echt nicht okay, so was zu sagen, aber ich bin auch nur ein Mann. Ich muss grinsen (was wahrscheinlich leicht debil aussieht, ich allein, grinsend auf der Aschebahn). Von wegen! Mein großer Bruder Albert ist vielleicht ein Mann, ich dagegen … forget it.

Ich habe immer noch zwei Runden vor mir. Also denke ich an Lizzy, mein Schwesterchen, das ich am liebsten vor der Welt beschützen würde. Nie im Leben könnte ich Liz etwas antun, und würde jemand anderes das tun, müsste ich ihn leider umbringen. Nun ja, und dann ist da natürlich noch Mila. Die megaselbstbewusste, coole Mila mit dem brasilianischen Papa, Mila, die …

»Au! Damn!«, höre ich mich selbst. Ein spitzer, schmerzerfüllter Schrei. Keine Ahnung, was hier abgeht, aber um mich herum ist plötzlich alles dunkel. Ich taste wie ein Blinder umher und fühle Sand von der Aschebahn unter meinen Fingern. Ich spüre, dass mein Knie wehtut, und dann legt sich eine Hand auf meine Stirn. »Oh my god, alles okay, Max?«

Ich öffne vorsichtig ein Auge und blinzle in die helle Sonne. Über mir sehe ich mehrere Gesichter, ich erkenne Lukas und Tom. »Hey, was machst du, Alter? Oh no, dein Knie … bist du jetzt echt über deine eigenen Füße gestolpert?«