Ein Winter wie dampfender Kakao - Kristina Kreuzer - E-Book

Ein Winter wie dampfender Kakao E-Book

Kristina Kreuzer

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Beschreibung

Wie lustig das Leben doch sein kann, wenn man zwei beste Freunde hat und dazu noch einen Opa, bei dem zu Hause nicht nur ein Esel, sondern auch noch fünf Hühner im Garten leben! Luzy liebt es, die Nachmittage zusammen mit Jannis und Jakob in »Opa-Hausen« zu verbringen. Aber plötzlich will der Esel Tzaziki nichts mehr fressen, und niemand weiß, was ihm fehlt. Als Jannis und Jakob dann auch noch Geheimnisse vor Luzy haben, steht ihre Welt endgültig kopf. Sie fragt sich, was hier vor sich geht – und warum Waffelherzen eigentlich doppelt so gut schmecken, wenn man sie mit Jannis teilt.

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Seitenzahl: 169

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Kristina Kreuzer

Ein Winter wie dampfender Kakao

Mit Illustrationen von Friederike Ablang

Außerdem bei WooW Books erschienen:

Ein Sommer wie sprudelnde Limonade (Band 1)

 

© Atrium Verlag AG, Imprint WooW Books, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

© Text: Kristina Kreuzer

© Cover und Illustrationen: Friederike Ablang

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

ISBN978-3-96177-597-2

 

www.WooW-Books.de

www.instagram.com/woowbooks_verlag

Für D. Tielen

Fliegende Nachrichten

»Luzy, du bist doch da unter dem Tisch mit etwas anderem beschäftigt!«, sagt mein Deutschlehrer Herr Vogelei. Er reckt den Hals, um zu sehen, was ich mache. Dabei erinnert er tatsächlich ein bisschen an einen Vogel. Herr Vogelei hat nicht nur einen super Namen, sondern dazu noch Nerven wie Drahtseile, das würde mein Opa Peter sagen. Gerade stellt er seine Frage nämlich ungefähr zum hundertsten Mal, ohne dabei genervt auszusehen: »Wer hat denn nun noch ein Kontra-Argument für mich?«

Ich ziehe ein bisschen den Kopf ein, weil ich mir nichts Schlimmeres vorstellen könnte, als gerade jetzt drangenommen zu werden. Klar, dass ich rot werde.

Als Herr Vogelei wieder etwas an die Tafel schreibt, werfe ich meinem Freund Jannis in der Sitzreihe hinter mir trotzdem schnell den Papierknödel mit meiner Nachricht zu.

Ich höre es rascheln, als Jannis das Papier entfaltet. Dann raunt er mir zu: »Genau, wie immer.«

Ich drehe mich um und strecke schnell einen Daumen hoch.

Jannis kommt gleich mit zu meinem Opa. Er ist mein bester Freund, hier, auf der neuen Schule. Ich bin erst seit einigen Wochen in der fünften Klasse, aber ich hatte das riesige Glück, dass ich Jannis schon in den Sommerferien kennengelernt habe. Das Ganze war ein richtig großer Zufall. Wäre ich nämlich nicht am ersten Ferientag in der Hauptstraße über Jannis’ Eselleine gestolpert, hätte es das sprudeligste Sommerabenteuer aller Zeiten gar nicht gegeben!

Ja, richtig gehört, ich habe Eselleine gesagt. Jannis war mit seinem superniedlichen Esel Tzatziki, fünf Hühnern und zwei großen Brüdern gerade erst aus Griechenland hierhergezogen. Und ich habe es tatsächlich geschafft, für die Tiere ein Zuhause im Garten meines Opas zu finden. Das war das erste Abenteuer der neuen Super-Luzy, die nicht mehr geärgert wird und sich von nichts und niemandem unterbuttern lässt.

Herr Vogelei versucht weiter geduldig, seine Kontra-Argumente zu sammeln, und ich höre Jannis hinter mir stöhnen. Deutsch ist nicht unbedingt sein Lieblingsfach.

Als es klingelt, stopfe ich schnell meine Sachen in den Rucksack. Meine Sitznachbarin Ella packt ebenfalls zusammen.

»Was machst du am Wochenende, Luzy?«, fragt sie mich.

Ich gucke überrascht auf. »Oh, ähm, weiß ich noch nicht, und du?«

»Wir fahren ans Meer. Zu meiner Tante. Tolle Idee, bei dem Wetter«, antwortet Ella mit einem Blick in den Regen draußen.

»Ja, echt, schöner Mist«, sage ich, in Gedanken bereits bei Opa und dem Esel. Ich sehe mich suchend nach Jannis um.

Und da tippt er mir auch schon auf die Schulter. »Fertig?«, fragt er.

Ich nicke und sehe, wie Lulu uns quer durch den Klassenraum beobachtet. Schon seit dem ersten Schultag ist sie in Jannis verknallt, das erkennt jeder. Mit etwas Abstand folgt Lulu uns zu den Fahrradständern.

Jannis und ich schnappen uns unsere Räder und düsen los ins Paradies Opa-Hausen. Zum Glück ist gerade eine Regenpause, und tatsächlich lugt die Sonne kurz hervor. Vielleicht können wir bei Opa Peter ja noch einmal draußen sitzen, bevor der Herbst uns endgültig nach drinnen scheucht. Jannis sitzt auf dem viel zu großen ausrangierten Rennrad meines älteren Bruders Hannes. Wir haben Jannis und seinen Brüdern Adonis und Nikos einiges geliehen, weil in dem alten blauen Transporter, mit dem die drei hergekommen sind, neben den sechs Tieren nicht viel Platz war.

»Hast du eben Lulu gesehen?«, frage ich Jannis.

Wir fahren nebeneinander am Kanal entlang, auf dem ein paar tapfere Ruderer gegen den Wind ankämpfen.

»Warum?«, fragt Jannis.

Ich muss lachen. »Weil sie in dich verknallt ist! Wetten?«

»Quatsch.« Jannis guckt mich ernst an. »Woher willst du eigentlich wissen, in wen ich verknallt bin?«

Ich zucke mit den Schultern. »Ich sage ja nicht, dass du in sie verknallt bist, sondern sie in dich.« Dann frage ich scheinheilig: »Soll ich für dich und Lulu vielleicht eine Pro-und-Kontra-Liste aufstellen?«

»Pro und Kontra«, murmelt Jannis unglücklich. »Das habe ich sowieso nicht verstanden …« Er rauft sich beim Fahren mit einer Hand die Haare, diese typischen Haare, die immer verstrubbelt sind, zu jeder Tageszeit. Zwar hat Jannis mit seiner deutschen Oma nur Deutsch gesprochen, aber er hat eben bis zum Sommer in Griechenland gelebt, deshalb fällt ihm Deutsch in der Schule nicht leicht.

»Okay, ich erkläre es dir. Pro: Lulu starrt dich die ganze Zeit an. Pro: Lulu folgt dir wie ein braver Golden Retriever, wenn du aus dem Klassenraum gehst. Pro: Lulu mag mich nicht besonders, weil ich mit dir zu viel Zeit …«

»Stopp!«, ruft Jannis. »Schon kapiert. Aber ich habe auch was. Kontra: Warum sollte sie?«

»Das ist kein Argument«, sage ich kopfschüttelnd.

Wir biegen in eine ruhige Wohnstraße. Das dichte Blätterdach über uns ist schon ein bisschen herbstlich verfärbt. Und da sind wir auch schon, in Opa-Hausen. Wo ich immer willkommen bin. Wo es egal ist, ob ich laut oder leise rede. Wo im Sommer sprudelnde Limonade und Butterkuchen auf mich warten und jetzt im Herbst dampfender Kakao und Kekse.

Karotten lockern die Zähne

Als Jannis und ich unsere Räder in den Garten schieben, geht direkt Opa Peters Alarmanlage los: Sein Gartentor quietscht so laut, dass jeder Einbrecher auf dem Absatz kehrtmachen würde.

Ich rufe »Hallo?« und recke den Kopf. Die Terrassentür mit dem Fliegengitter steht trotz des kühlen Wetters offen, aber von meinem Opa keine Spur.

»Vielleicht ist er bei Tzatziki?«, überlegt Jannis.

Ich nicke. Wir lehnen die Räder an die Hauswand, laufen über den Rasen und schlüpfen zwischen den dichten Rhododendronbüschen hindurch in den hinteren Teil des Gartens. Bis auf ein paar Herbstrosen ist hier jetzt alles verblüht.

In dem Moment ertönt Opa Peters fröhliche Stimme vom Gartenhaus: »Da scheid ihr schwei ja, wir haben schon auf eusch gewartet. Schtimmt’sch, Schaschiki?« Opa Peter sitzt auf einer alten Orangenkiste im eingezäunten Esel-Auslauf und hat eine Karotte quer im Mund, weshalb er etwas nuschelt. Neben ihm liegt seine zusammengefaltete Zeitung im feuchten Gras.

»Was machst du da?«, frage ich ihn überrascht.

Jannis öffnet die Pforte zum Esel-Auslauf, und wir beide gehen zu Opa Peter und Tzatziki. Ich beuge mich runter und nehme meinen Opa in den Arm. Jannis krault seinem Esel die weiche Schnauze. Tzatziki trippelt aufgeregt auf und ab und lässt die Ohren kreisen. Neben ihm picken die fünf Hühner fröhlich im Gras herum und hüpfen, eins nach dem anderen, näher an Jannis heran.

»Hallo, Eins, Zwei, Drei, Vier, Fünf«, begrüßt Jannis seine Hühner und streichelt Zwei flüchtig das Gefieder.

Hinter dem Gartenhaus glitzert das Wasser des Kanals, ein paar Enten baden darin unter lautem Platschen und Gequake.

Tzatziki reibt die Stirn an Jannis’ Schulter, und für einen Moment bleiben die zwei in einer Art Umarmung stehen – Tzatzikis Kopf unter Jannis’ Arm in der Regenjacke. Weil Tzatziki ein Zwergesel ist, passt sein Kopf genau darunter.

Jannis murmelt: »Du bist ein Glücksesel, dass du hier wohnen darfst.«

Opa Peter räuspert sich. »Da bin ich mir nicht so sicher. Irgendwas stimmt nämlich nicht mit dem Kerl. Tzatziki frisst im Augenblick total schlecht, deshalb habe ich auch schon mein Mittagessen hier in den Garten verlegt.« Er zeigt auf die Karotte, die er nun in der Hand hält. Erst jetzt sehe ich, dass sich ein kleiner Berg Gemüse hinter der Kiste türmt. »Nachdem ich dem Freundchen schon Fenchel und Kohlrabi vorgegessen habe, wollte ich es als Letztes noch mal mit dieser Karotte versuchen.« Opa Peters Gesicht legt sich in tausend Lachfältchen, als er hinzufügt: »Am schrecklichsten war aber eindeutig der Löwenzahn, den ich eben in meiner Verzweiflung hinten am Kanal gepflückt habe. Puh, war der bitter! Als hätte es nicht gereicht, dass ich mir vorher an diesem steinharten Gemüse fast die Zähne ausgebissen hätte.« Er klopft dem Esel gegen die Seite. »Aber was tut man nicht alles für seine Freunde, was, Tzatziki?«

Und Tzatziki nickt unter Jannis’ Arm.

Jannis und sein Esel erinnern ein bisschen an ein Bild von einer griechischen Urlaubspostkarte – obwohl man auf der wohl nicht in Regenjacke und dickem Pulli stehen würde.

»Wie lange frisst er denn schon so wenig?«, fragt Jannis besorgt.

»Seit ein paar Tagen«, antwortet mein Opa und klopft sich den Matsch von den Stiefeln.

»Hm«, Jannis runzelt die Stirn. »Normalerweise ist Tzatziki mindestens so verfressen wie mein großer Bruder Nikos. Und wenn der mal keinen Hunger mehr hätte, dann wäre echt was los …«

»Wahrscheinlich macht dem Esel einfach der Wetterumschwung zu schaffen. Ich spüre das ja selbst in den Gliedern«, beruhigt ihn mein Opa. »Wenn der Herbst kommt und es draußen kälter wird, muss sich der Biorhythmus erst mal in aller Ruhe umstellen.«

Jannis runzelt noch mehr die Stirn, sagt aber nichts weiter.

»Na los, ihr beiden«, sagt Opa Peter. »Wir gehen rein und machen uns ein richtiges Mittagessen. Ich habe Avocados und Ziegenkäse gekauft. Mein alter Freund Hein sagt, das ist heutzutage der letzte Schrei.«

Ich muss lachen. »Echt jetzt? Willst du damit ein Sauerteigsandwich oder vielleicht doch lieber eine Quinoa-Bowl machen?«, frage ich.

Mein Opa schmunzelt. »Lach du nur, Luzy, dein Opa geht eben mit der Zeit. Man kann sich ja nicht nur von Eierpfannkuchen und Armen Rittern ernähren. French Toast nennt ihr jungen Leute das, stimmt’s? Ich sage dir, deine Mutter wird staunen, wenn du ihr heute Abend erzählst, wie nährstoffreich es bei mir zugeht!« Er zwinkert Jannis und mir zu und humpelt los in Richtung Terrasse. Im Gehen dreht er sich noch mal um. »Aber nachher zum Kaffee gibt’s Kekse, darauf könnt ihr Gift nehmen.«

Opa Peters Avocados sind noch viel zu fest und schmecken leider gar nicht.

 

»Und dein Ziegenkäse mieft! Hast du den schon länger im Kühlschrank liegen?«, frage ich. Ich halte mir die Nase zu. »Bitte, Opa Peter. Können wir nicht einfach was Leckeres machen, so wie immer?«

»Oh ja, bitte«, sagt auch Jannis.

»Ach, ihr jungen Hühner! Ihr seid aber auch festgefahren in euren Gewohnheiten«, stöhnt Opa Peter. Kopfschüttelnd holt er eine Schale mit Eiern aus dem Kühlschrank. »Aber wo ihr recht habt, habt ihr recht. Ich meine, wer kann, der kann: tagesfrische Eier von den eigenen Hühnern …« Dann fragt er verschmitzt: »Arme Ritter oder doch lieber Eierpfannkuchen mit Kompott?«

»Pfannkuchen!«, rufen Jannis und ich wie aus einem Mund und fangen gleichzeitig richtig breit an zu grinsen.

 

»Jannis und ich werden jetzt bald arbeiten«, erzähle ich Opa Peter beim Essen. Ich lade mir noch einen großen Schlag von dem Pflaumenkompott auf den Teller, das wir letzte Woche zusammen eingekocht haben. Bei Opa Peter darf man mit vollem Mund reden und sogar ein kleines bisschen schmatzen.

Opa Peter guckt mich fragend an. »Das ist ja ein dolles Ding. Wo das denn?«

»Meine Tante Elena braucht bei sich im Lager Hilfe«, erklärt Jannis. »Regale einräumen, Dosen etikettieren und so.«

»Junge, Junge, das ist ja toll«, sagt Opa Peter. Doch dann sieht er nachdenklich aus. »Nur ihr zwei? Hätte euer Freund Jakob nicht auch Lust?«

»Hm, wahrscheinlich schon …« Ich gucke fragend zu Jannis, und der nickt. »Ich dachte irgendwie, Jakob hätte sowieso keine Zeit, mitten in der Saison.« Tatsächlich hatte ich diesmal gar nicht an Jakob gedacht.

»Ich, als ehemals großer Sportler, kenne das nur zu gut. Am liebsten würde man rund um die Uhr Sport machen. Aber … dein Körper dankt es dir später, wenn du Pausen einlegst.« Opa Peter tippt auf sein Knie und fährt fort: »Du weißt ja, Luzy, nach sechzig Jahren Fußball und gefühlt zwanzig Marathon-Läufen würde ich das blöde Ding am liebsten gegen ein Neues eintauschen.«

Ich nicke und springe vom Tisch auf. »Ich rufe Jakob gleich mal an und frage, ob er uns im Lager helfen will!«

Jannis stimmt mir zu.

Seit mein alter Grundschulfreund Jakob uns im Sommer bei der Mission Tzatziki geholfen hat, bei der wir den Esel heimlich in Opa Peters Garten geschmuggelt haben, sind wir zu dritt richtig gute Freunde. Aber Jakob ist auf eine andere Schule gekommen als Jannis und ich.

Ich hüpfe rüber zu Opa Peters Telefon mit Wählscheibe und Ringelschnur. Das alte Ding steht auf einem Höckerchen und gehört eigentlich ins Museum.

Jakob geht schon nach einmal Klingeln ran, und er sagt auf der Stelle begeistert zu.

»Wollen wir nächste Woche anfangen?«, frage ich Jannis quer durch den Raum, den Hörer noch in der Hand. »Wie wäre es Donnerstag, gleich nach der Schule?«

Jannis nickt.

Ich spüre die Abenteuerlust in mir hochgluckern und rufe in den altmodischen Hörer: »Hast du gehört, Jakob! Nächste Woche Donnerstag geht es los! Jippie!«

Piet und die Mini-Pippi-Langstrumpf

»Ich komme meinen kleinen Bruder Piet abholen«, sage ich zu dem Mädchen mit den Rastalocken, das mir die Tür aufmacht. Das Mädchen ist nur ein paar Jahre älter als ich. Es nickt mir freundlich zu und verschwindet im Kindergartenflur. Ich sehe mich um und betrachte den Geburtstagskalender an der Wand und die Garderobenfächer. Ich schnuppere in der Luft, denn das hier ist genau der Kindergartengeruch, den ich von früher erinnere. Irgendwie muffig, eine Mischung aus Essen, Hausschuhen, Windeln – und dabei total vertraut und gemütlich. Ich mochte es im Kindergarten, als Jakob und ich uns Höhlen in der Puppenecke gebaut haben. Damals, als ich noch Jakob heiraten wollte und er mich. Ich mochte es hier viel lieber als in der Grundschule, wo Mia und ihre Zicken-Clique dämliche Kommentare gemacht haben, nur weil ich leise rede.

»Hi, Luzy!«, höre ich da eine Stimme.

»Oh, hallo!« Na, so was, neben mir steht Florentine aus meiner neuen Klasse. Ich habe noch nie eins der Mädchen außerhalb der Schule getroffen.

Flo mustert mich interessiert. »Du hast auch ein Geschwisterkind hier? Das ist ja ein Zufall!« Sie strahlt mich ehrlich begeistert an.

Ich nicke und spähe in den Flur. Wann wohl das Rasta-Mädchen mit Piet zurückkommt? Weil ich immer nur mit Jannis zusammen bin, kenne ich die anderen aus meiner Klasse gar nicht so richtig. Flo sagt noch etwas, aber da geht auch schon die Tür zum Gruppenraum auf, und Piet kommt mit einem kleinen, rothaarigen Mädchen an der Hand heraus. Das Mädchen ist einen Kopf kleiner als er und zieht meinen Bruder energisch hinter sich her.

Flo grinst. »Kimmi! Hast du schon wieder einen neuen Freund?« Zu mir sagt sie kichernd: »Du musst wissen, meine kleine Schwester hat einen ziemlichen Jungsverschleiß. Jede Woche schleppt sie einen anderen ab.« Sie fängt schallend an zu lachen, und die Rasta-Kindergärtnerin lacht mit.

Dann lässt Piet die Hand von dem Mädchen los und rennt auf mich zu. »Luzy!« Er kuschelt den Kopf an meine Beine. »Meine Luzy, nur meine.«

Flo beugt sich neben mir zu ihrer kleinen Schwester runter und macht ihr die Zöpfe neu. Dabei unterhält sie sich mit der Kindergärtnerin. Diese Kimmi ist wirklich ziemlich niedlich: eine Mini-Pippi-Langstrumpf mit einem coolen Lächeln aus einem noch recht zahnlosen Mund.

Piet hat inzwischen seine Schuhe und seine Jacke an, und ich will gerade mit ihm los, da fragt Flo plötzlich: »Was macht ihr zwei denn jetzt, Luzy? Kommt ihr mit Kimmi und mir Eis essen?«

Ups! So einfach geht das also mit dem Verabreden. Ich freue mich total, bin aber auch etwas überrumpelt. Ein wenig Hilfe suchend sehe ich zum Rasta-Mädchen, aber das guckt mich nur freundlich an und sagt: »Ihr Glückspilze, das würde ich jetzt auch gern machen. Esst eine Kugel Schoko für mich mit!«

Weil mir nichts anderes einfällt, sage ich mit meiner mutig klingenden Super-Luzy-Stimme: »Ja klar, ich …«

Da zieht Piet mich am Hosenbein und flüstert: »Luzy, Pipi!« Und genau in dem Moment bildet sich auch schon ein beachtlicher See unter ihm.

Manchmal lösen die Dinge sich schneller auf, als man denkt. Ich zucke entschuldigend die Schultern und sage zu Flo: »Oh, Miste, ein anderes Mal, ja?«

»Unbedingt!« Flo wirft schwungvoll ihre krausen rotblonden Haare zurück. »Ich hole Kimmi immer dienstags ab!«

Ich nicke, schnappe mir meinen kleinen, durchnässten Bruder und marschiere mit ihm an der Hand im Laufschritt nach Hause. Piet scheint seine feuchte Hose nicht weiter zu stören. Atemlos plappert er auf mich ein und erzählt Geschichten aus dem Kindergarten. Ich höre nur mit einem Ohr zu und freue mich darüber, wie selbstverständlich und normal Flo das Eisessen vorgeschlagen hat.

 

Zu Hause stecke ich Piet in die Badewanne, wo er voller Begeisterung auf den blauen Badeschaum einschlägt. Ich sitze auf dem Boden und gucke zu. Dabei versuche ich, meine Englischvokabeln zu lernen. Meine vierzehnjährige Schwester Sophia ist beim Sport, wie meistens. Und weil meine Eltern beide Reporter beim Radio sind und eigentlich immer zu viel zu tun haben, sind sie natürlich noch im Büro. Nicht selten arbeiten sie auch am Wochenende. Darum bin ich so gerne in Opa-Hausen, denn dort herrscht ein anderes Tempo als hier. Wenn bei mir zu Hause alles superschnelles Highspeed ist, bewegt Opa Peter sich ganz langsam in Slow Motion, und das mag ich total. »In der Ruhe liegt die Kraft« ist so ein typischer Spruch von Opa Peter, wenn er sich mal wieder ein Kaffeepäuschen gönnt.

 

»Luzy, ich liebe Kimmi«, ertönt Piets hohe Stimme dumpf aus der vollen Badewanne. »Ich heirate Kimmi! Und dann essen wir riiichtig viele Würstchen!« Pause. »Und weißt du was?« Jetzt taucht Piets Kopf über dem Badewannenrand auf. Er hat blauen Schaum auf der Nase.

»Was denn?«, frage ich.

»Kimmis Papa fährt BMW.« Mein kleiner Bruder wirft mir einen stolzen Blick über den Rand zu.

Obwohl Piet manchmal in die Hose macht und er jede Art von Gemüse einfach nur »Grün« nennt, kann ihm bei Automarken niemand etwas vormachen. Er könnte aus hundert Metern Entfernung das Modell erkennen.

Ich muss lachen. »Na, dann ist Kimmi wohl perfekt für dich, was?«

Piet nickt richtig doll mit dem Kopf. »Gehen wir jetzt mit Kimmi Eis essen?«

»Nein, heute nicht mehr. Ein andermal«, sage ich und spüre dabei ein kleines Flattern in meinem Bauch, weil ich mich über die Eis-Idee freue.

»Ja!«, ruft Piet begeistert. Er klettert mit Schwung aus der Wanne und hüpft mir pitschnass auf den Schoß, woraufhin ich einen großen Hechtsprung aus dem Badezimmer hinlege, um meine Englischsachen in Sicherheit zu bringen.

Arbeiten im Wunderland mit Nada Muschuri

»Das ist ja wie bei Alice im Wunderland«, sagt Jakob, die blauen Augen weit aufgerissen. Jakob hat hellblonde Haare, im Sommer sehr, sehr viele Sommersprossen und im Winter immer noch sehr viele.

Hinter uns fällt die schwere Lagerraumtür ins Schloss. Es ist Donnerstag, und wir haben uns gerade vor dem Gemüseladen von Jannis’ Onkel Dimitri getroffen. Jannis hat Jakob und mir den Weg über den Hinterhof zum Lager gezeigt. Ich kenne diesen Hof schon aus dem Sommer, als ich hier mit den Brüdern gesessen und über ein neues Zuhause für Tzatziki gesprochen habe. Aber ich hätte nie gedacht, dass sich hinten so ein großes Lager befindet. Auf demselben Hof ist noch eine Autowerkstatt, vor der eben ein Typ in Nikos’ Alter saß und geraucht hat.

»Woow«, sage ich eingeschüchtert. Wir sind umringt von riesigen Regalen mit Olivenölflaschen, eingelegten Tomaten und kunterbunten Dosen, die an die alten Werbefotos an unserer Küchenwand erinnern.

»Was man hier so alles anstellen könnte«, murmelt Jakob. »Über die Regale klettern, Verstecken spielen, Naschen …« Jakob erinnert jetzt wirklich an die geschrumpfte Alice im Wunderland, wie er da staunend zwischen den meterhohen Regaltürmen steht. Es hängt ein besonderer Geruch im Raum – fremd, köstlich, exotisch und auch ein bisschen staubig.

Da geht plötzlich die Tür auf, und eine etwas schrille Stimme ruft: »Luzy! Jakob! Jannis! Ihr seid da! Meine fleißige Helferlein!« Und schon rauscht Jannis’ Tante Elena mit einem klirrenden Lachen schnurstracks auf mich zu und zwickt mir herzlich in die Wange. »Luzy, genau dich brauche ich hier. Frauenpower zwischen die Jungs. Das ist wundebar!«

Ich mag Tante Elena, und sie hat diesen unglaublich tollen griechischen Akzent, obwohl sie schon richtig lange in Deutschland lebt. Und ich bin immer noch froh, dass sie sich mit Herrn Kowalski, Opa Peters grummeligem Vermieter, angefreundet hat. Seitdem hat mein Opa nämlich nie wieder Ärger mit ihm gehabt.

»Klar«, sage ich und werfe einen Blick zu dem breit grinsenden Jakob neben mir.

»Ich erzähle euch jetzt, was ist zu tun!«, erklärt Elena, und dann führt sie uns in Windeseile durch die Gänge. Sie zeigt