Dein Platz in meinem Herzen - Paige Toon - E-Book
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Dein Platz in meinem Herzen E-Book

Paige Toon

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Beschreibung

Herzerwärmend und romantisch: der elfte Roman von Bestseller-Autorin Paige Toon »Das Problem dabei, jemanden sein Herz zu schenken: man bekommt es nie wieder ganz zurück.« Dennoch wächst das Herz jedes Mal, wenn man es für jemanden öffnet. Davon ist die Journalistin Bridget überzeugt. Sie reist durch die Welt und schreibt dabei einen Blog über die Männer, die ihr einmal das Herz gebrochen haben. Da bekommt sie ein unerwartetes Angebot: Sie soll das Buch einer kürzlich verstorbenen Erfolgsautorin weiterschreiben. Kurzerhand ergreift Bridget die Chance und versucht, dem Leben von Nicole nachzuspüren. Sie reist nach Cornwall und trifft dort auf Nicoles kleine Tochter und den trauernden Ehemann. Bridget taucht in das Leben der Familie ein. Jetzt muss sie sich fragen, ob sie ihr Herz erneut verschenken will. Weitere Titel von Paige Toon: »Lucy in the Sky«, »Du bist mein Stern«, »Einmal rund ums Glück«, »Immer wieder du«, »Diesmal für immer«, »Ohne dich fehlt mir was«, »Sommer für immer«, »Endlich dein«, »Wer, wenn nicht du?« sowie »Nur in dich verliebt«

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Seitenzahl: 474

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Paige Toon

Dein Platz in meinem Herzen

Roman

Aus dem Englischen von Heidi Lichtblau

FISCHER E-Books

Für I und I.

 

Dieses Buch musste euch einfach gewidmet werden.

Prolog

Das Problem daran, jemandem sein Herz zu schenken, ist, dass man es nie ganz zurückbekommt. Selbst wenn die Liebe längst erloschen ist, besitzt derjenige immer noch ein kleines Stück davon. Insofern ist die erste Liebe auch die innigste, denn nur dieses eine Mal liebt man von ganzem Herzen. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Zu dieser Erkenntnis gelangte ich, als ich vor ein paar Jahren darüber nachdachte, warum in aller Welt ich damals eigentlich David abserviert hatte, meinen Freund zu Unizeiten. Eigentlich fand ich ihn toll, doch irgendetwas fehlte, also machte ich Schluss und begab mich wieder auf die Suche nach dem Komplettpaket. Doch über ein Jahrzehnt später bin ich noch immer nicht fündig geworden.

Dabei habe ich keineswegs allein zu Hause herumgehockt. Nein, ich bin um die Häuser gezogen und außerdem um Wohnwagen, Wohnblöcke und Wolkenkratzer. Letztlich läuft es darauf hinaus, dass Elliot Green an allem schuld ist. Er war meine erste Liebe, raubte ein Stück meines Herzens und meine Jungfräulichkeit obendrein. Mit sechzehn wanderte er leider zusammen mit seinen Eltern nach Australien aus, und sobald sich seine anfängliche Schreibwut gelegt hatte, ward er nie mehr gesehen oder gehört. Vermutlich hatte er sich inzwischen eine Aussie-Trulla geangelt und mich darüber völlig vergessen, weshalb ich versuchte, ihn mir ebenfalls aus dem Kopf zu schlagen. Ehrlich gesagt tue ich das bis heute.

Die Tatsache, dass ich mich gerade in Sydney aufhalte, wohin er seinerzeit gezogen ist, macht es nicht besser. In meiner Phantasie habe ich mir vorgestellt, wie ich ihm hier zufällig über den Weg laufe und melodramatisch erkläre: »Du hast noch etwas, das mir gehört«, ehe ich ihn auffordere, mir sein Stück meines Herzens zurückzugeben. Selbst in meinen kühnsten Träumen hätte ich nicht erwartet, dass ich ihn tatsächlich wiedersehe.

Doch genau das ist eingetreten. Er merkt überhaupt nicht, dass ich ihn angaffe, während er mit ein paar Kumpeln in einer Bar am Hafen ein Bierchen kippt. Trotz seines veränderten Aussehens habe ich ihn sofort erkannt. Sein großer schlanker Körper ist inzwischen kräftiger geworden, die Arme sind gebräunt und muskulös. Das widerspenstige braune Haar trägt er immer noch in derselben Länge wie damals, allerdings hat er mittlerweile einen sexy Dreitagebart. Soweit ich das von meinem Platz aus beurteilen kann, sieht Elliot Green besser aus denn je. Und nun endlich schaut er mich an.

Er schaut mich an!

Und jetzt schaut er mich nicht mehr an.

Bevor sich in mir Enttäuschung breitmacht, reißt er den Kopf slapstickartig wieder herum, und seine blauen Augen weiten sich. Dann kommt er mit breitem Grinsen auf mich zu, und mein Herz schlägt so laut, dass mein Trommelfell zu platzen droht.

»Bridget?«, fragt er ungläubig und breitet die Arme aus.

»Hallo, Elliot«, erwidere ich, und da drückt er mich auch schon an seinen festen Brustkorb. Sein Duft ist umwerfend! Was hatte ich ihm doch gleich wieder sagen wollen?

»Du hast dich kaum verändert!« Er hält mich auf Armeslänge von sich und mustert mich von Kopf bis Fuß.

Auch ich bin noch so groß und schlank wie damals, und meine Augen sind natürlich nach wie vor blau – allerdings etwas dunkler im Vergleich zu seinem helleren Swimmingpool-Ton.

Er spielt mit einer Locke meines Haars. »Selbst deine Frisur ist noch dieselbe.«

Mein Haar reicht mir genau bis zwischen Kinn und Schulter, so ähnlich habe ich sie auch als Teenager schon getragen.

»Eigentlich lasse ich sie gerade wachsen«, erkläre ich. Stumpf geschnittene Bobs finde ich inzwischen einfach zu pflegeaufwendig. »Aber sag mal, höre ich da einen Aussie-Akzent heraus?«

»Mag sein.« Er grinst.

»Ja, wirklich. Ist ja abgefahren!«

Lachend schüttelt er den Kopf. »Was machst du überhaupt hier?«

»Ich bin auf dem Heimweg.« Ich deute zu den Fähren, die am Circular Quay rein- und raustuckern.

»Du wohnst in Sydney?«, fragt er verblüfft.

»Kann man so sagen. Zumindest für ein Jahr.«

»Ernsthaft?« Sein Blick huscht forschend zwischen meinen Augen hin und her. »Und du musst gleich wieder weiter? Oder darf ich dich auf einen Drink einladen?«

»Nein, ich muss nicht sofort los. Ein Drink wäre nett!«

Er lächelt mich an, und auf einmal fallen mir die Worte Du hast noch etwas, das mir gehört wieder ein.

Mir ist natürlich klar, wie megabescheuert es rüberkäme, wenn ich sie laut ausspräche, und so folge ich ihm schweigend an seinen Tisch.

Die nächsten Stunden verbringe ich in lustiger Runde bei Elliot und seinen Kumpeln und stelle hocherfreut fest, dass er Single ist. Seine Freunde verkrümeln sich schließlich, doch wir bleiben noch, und als draußen die weißen Segel des nahe gelegenen Sydney Opera House golden in der untergehenden Sonne schimmern und aus dem Botanischen Garten die Fledermäuse ausschwärmen, gebe ich mir einen Ruck.

»Ich habe da nämlich eine Theorie«, sage ich und lasse die Eiswürfel in meinem Wodka-Tonic-Glas kreisen.

Mit hochgezogener Augenbraue lauscht Elliot amüsiert meinen Ausführungen.

»Und das ist der Grund, warum ich den Einen noch nicht gefunden habe«, ende ich.

Er schaut verwirrt. »Aber du hast dich doch sicher wieder verliebt, seitdem wir zusammen waren, oder?«

»Ja klar«, entgegne ich spöttisch. »Zig Male.«

»Na, wenn das so ist, dann müsstest du doch eigentlich auch den anderen Typen hinterherjagen und deren Herzstücke zurückfordern.« Er trinkt einen Schluck und knallt sein Glas mit einem etwas zu selbstzufriedenen Gesichtsausdruck auf den Tisch.

Hat er recht? Besteht mein Herz etwa nur noch aus einem so kleinen Stück, dass ich mich nie mehr rettungslos in jemanden verlieben kann? Verflixt.

»Deine Theorie hinkt allerdings«, legt er nach.

Entschieden schüttele ich den Kopf. »Nein, du warst meine erste Liebe. Du besitzt das größte Stück. Das bedeutendste. Und jetzt her damit!«

»Was, wenn ich es dir nicht zurückgeben möchte?«

Insgeheim finde ich es ja süß, dass er sich auf das Spielchen einlässt, zwinge mich aber, die Stirn zu runzeln. »Was willst du denn noch damit?«

»Keine Ahnung.« Er zuckt die Achseln. »Vielleicht habe ich’s ja gern in meiner Nähe. Und überhaupt, wenn du dein Stück zurückhaben willst, dann ist es nur fair, dass du mir meins auch wiedergibst.«

»Ich habe ein Stück deines Herzens?«, frage ich verdutzt und hoffe, dass niemand unsere bekloppte Unterhaltung belauscht.

»Was denkst du denn? Natürlich!«

Mit alkoholvernebeltem Hirn denke ich darüber nach. »Dann tauschen wir die beiden einfach aus, oder?«, nuschele ich schließlich.

Über den Tisch hinweg sieht er mich mit seinen ungemein blauen Augen an und verzieht die Mundwinkel leicht nach oben. Einen Moment lang befinde ich mich wieder in der Vergangenheit, und in meinem Bauch spielen die Schmetterlinge verrückt.

»Sollen wir die Diskussion bei einem Dinner fortsetzen …?« Er schiebt seine Hand zu mir herüber und berührt meine Fingerspitzen. Mir läuft ein Schauer über den Rücken, und ich kann förmlich spüren, wie frische Perforierungen in mein wichtigstes Organ gestanzt werden.

Ich lächele. »Na gut, wenn du darauf bestehst?«

Falls er sich ein weiteres Stückchen abbrechen möchte, werde ich ihn wohl nicht davon abhalten.

Kapitel 1

»Da bist du ja!«, ruft meine Literaturagentin Sara zur Begrüßung, und ihr Lächeln strahlt um hundert Watt stärker als bei unserer letzten Begegnung im Februar. »Danke, dass du gekommen bist.« Sie dirigiert mich zu einem Platz. »Wie läuft’s so? Wie ich sehe, hast du bei Twitter jetzt die Zehntausend-Follower-Marke geknackt!«

»Ja, seit letzter Woche. Und die Kommentare zum letzten Posting toppen alles.«

»Ging’s um das Wiedersehen mit Gabriel?«

»Ganz genau.«

»Oh, davon war ich auch hin und weg!«

»Gut so.« Ich grinse. »Der Trip nach Brasilien hat mich schließlich eine ganze Stange Geld gekostet.«

Sie lacht. »Es klang ja so, als hättest du bei ihm gerade noch mal die Kurve gekriegt. Was für ein chauvinistisches Schwein! Wie viele Kinder hat er gleich wieder?«

»Neun. Seine arme Frau tut mir echt leid.«

»Die hat jedenfalls alle Hände voll zu tun. Haben sich die Kinder wirklich so unmöglich benommen, wie es klang?«

»Bestimmt haben sie auch ihre guten Tage«, erkläre ich huldvoll und frage mich, wieso ich eigentlich hier bin.

Drei Monate sind seit unserem letzten Treffen vergangen, bei dem ich Sara eine Buchidee vorstellte, die allerdings längst nicht so gut ankam, wie ich gehofft hatte.

Ich weiß noch genau, wie sie mich aufmerksam ansah und dann sagte: »Sorry, Bridget, aber als du mich um ein Treffen gebeten hast, dachte ich, du würdest mir ein Buchkonzept über deine Reisen um die Welt präsentieren und nicht eine Geschichte über deine Erfahrungen mit der Männerwelt.«

Das war durchaus nachvollziehbar. Schließlich bin ich eine renommierte Reiseschriftstellerin.

»Ich hab ja auch vor, die Leser auf eine Reise mitzunehmen«, sagte ich mit einem, wie ich hoffte, gewinnenden Lächeln. »Wir werden gemeinsam um den ganzen Erdball reisen. Allerdings wird uns diese Reise, nun ja, zu all den Männern führen, in die ich jemals verliebt war, wobei die Reiseschriftstellerei natürlich im Vordergrund stehen wird. Letzten Endes wird dieses Buch allerdings von der Liebe handeln.«

»Reden wir hier wirklich von Liebe?« Sie grinste süffisant. »Du bist vierunddreißig und behauptest, bis über beide Ohren in zwölf Männer verliebt gewesen zu sein? Waren manche davon nicht einfach nur Urlaubsromanzen oder One-Night-Stands?«

Ich winkte ab. »Klar, die gab’s natürlich auch. Sollte mir der Stoff ausgehen, könnte ich mich über ein paar davon genauer auslassen«, setzte ich grinsend hinzu.

Es war Elliot, der mich auf diese Buchidee gebracht hatte, als wir uns im Dezember vor einem Jahr zufällig in Sydney wiederbegegnet waren. An jenem Abend hatte zwischen uns etwas Neues und Schönes begonnen, und ich kann zu meiner Freude verkünden, dass wir immer noch zusammen sind. Allerdings leben wir nicht am selben Ort, denn ich bin ohne Visum ins Vereinigte Königreich zurückgekehrt, während er sich auf der anderen Seite der Erde in Australien befindet. Wenn ich ihn heiraten würde, könnte ich mir vorstellen, dort hinzuziehen. Doch dafür müsste einer von uns erst mal die Frage aller Fragen stellen.

Ich habe leichten Bammel davor, dass er es tut.

Ich liebe Elliot wirklich sehr, aber als wir sechzehn waren, da liebte ich ihn bedingungslos. Er war mein Ein und Alles.

So intensiv sind meine Gefühle diesmal nicht, und ich fürchte, es könnte daran liegen, dass ich im Laufe der Jahre abgestumpft bin. Hatte ich zu viele Beziehungen, um noch an ein glückliches Happy End zu glauben?

Vielleicht bin ich auch einfach erwachsen geworden. Möglicherweise lässt sich die Liebe eines Teenagers nicht mit der eines Erwachsenen vergleichen.

Oder vielleicht fehlt tatsächlich etwas. Und es könnte ja sein, dass ich dieses Etwas zurückbekomme …

Am Abend unseres überraschenden Wiedersehens hatte Elliot jedenfalls augenzwinkernd vorgeschlagen, ich solle doch sämtliche Männer, die ich je geliebt habe, aufsuchen und bitten, mir ihre Stücke meines Herzens zurückzugeben. Vor meiner Abreise aus Australien brachte er diese Idee erneut auf, wobei es ihm diesmal ernst damit war. Er weiß, dass ich Probleme habe, mich voll und ganz auf ihn einzulassen, und denkt, es könnte mir leichter fallen, wenn ich die Zeit ohne ihn dazu nutzen würde, noch einmal in die Vergangenheit zu reisen. Also schlug er mir vor, doch über all meine bisherigen Begegnungen mit Männern zu schreiben, und präsentierte mir dann eine weitere geniale Idee: Wenn ich vorher einen Verlagsvertrag an Land zöge, würden sich der Zeitaufwand und die Reisekosten durch den Vorschuss finanzieren lassen.

An dieser Stelle sollte ich darauf hinweisen, dass mein Freund nicht zur Eifersucht neigt. Das war auch eine der ersten Fragen, die Sara mir stellte, als ich ihr die Idee im Februar unterbreitete.

Sie erklärte mir, ehe sie sich mit dem Projekt an irgendwelche Verlage wenden könne, müsse ich erst mal über meine Wiedersehenstreffen bloggen und mein Social-Media-Profil auf Vordermann bringen. Und genau das habe ich in den letzten drei Monaten getan.

Meine Leser haben mich auf Reisen nach Südafrika (David), Island (Olli), Spanien (Jorge) und Brasilien (Gabriel) begleitet, und natürlich habe ich auch geschildert, wie Elliot und ich unsere Beziehung in Australien wiederaufleben ließen. Nun stehen noch die Treffen mit Dillon in Irland, Freddie in Norwegen, Seth in Kanada und Beau, Felix, Liam und Vince hier in Großbritannien aus.

Meine Journalistenkontakte haben mir dabei geholfen, meinen Blog bekannter zu machen, und ich würde sagen, sofern man die Trolle einfach ignoriert, läuft alles wie geschmiert.

Unterdessen hängt Elliot weiter an seinem Stück meines Herzens. Noch immer ist es das größte Stück, und sobald ich die anderen Teile wiederhabe, führt mich mein Weg zu ihm zurück. Es gäbe kein glücklicheres Happy End, als dann mit ihm vor den Traualtar zu treten.

Gestern Nachmittag rief mich Saras Assistentin an und bat um ein schnellstmögliches Treffen. Es gebe Neuigkeiten, die mir meine Agentin persönlich überbringen wolle.

Klar, dass mein Herz gleich ein bisschen höher schlug!

Ich weiß, dass Sara den Verlagen inzwischen meinen Blog anpreist, das Feedback ist auch durchaus positiv – mein Stil gefällt ihnen, sie mögen meinen Humor –, doch bislang wollte sich bei der gegenwärtigen Marktlage keiner auf einen Beziehungsblog in Buchform einlassen. Sara behauptet, wenn meine Leserschaft weiter wächst, werden die Verlage an den beeindruckenden Zahlen einfach nicht mehr vorbeikommen, weshalb ich vorhabe, am Ball zu bleiben.

»Du willst bestimmt wissen, warum du hier bist«, sagt Sara zu mir, als würde sie meine Gedanken lesen.

»Ein bisschen neugierig bin ich schon, ja«, räume ich ein.

»Gestern war ich mit Fay Sanderson beim Mittagessen.«

Der Name sagt mir nichts, aber Sara erklärt, dass es sich dabei um die Cheflektorin eines Topverlags handele.

»Sie hat deinen Blog regelrecht verschlungen und mir vorgeschwärmt, wie gut du den Mittelweg zwischen herzlich, liebenswert, quirlig, lustig und frisch findest. Sie findet deinen Stil großartig!«, betont Sara, und etwas an ihrem Ton bringt mich dazu, mich aufrechter hinzusetzen. Bietet sie mir etwa gleich einen Verlagsvertrag an?

»Sie hat einen Vorschlag«, fährt sie fort. »Ist dir Nicole Dupré ein Begriff?«

»Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor.«

Sara schwingt auf ihrem Stuhl herum und zieht ein Buch aus dem Regal hinter sich. »Nicole hat mit dem Buch Unser geheimes Leben, das letzten Herbst herauskam, einen Riesenbestseller gelandet. Was uns, ehrlich gesagt, alle ein bisschen überrascht hat.«

»Ich glaube, ich habe davon gehört.« Ich greife nach dem Roman, den sie vor mir auf den Tisch gelegt hat. Auf dem Cover ist eine junge Frau zu sehen, die ganz allein an einem Strand in Thailand steht. Ich drehe das Buch um und überfliege den Text auf der Umschlagrückseite. Das Buch handelt von einer Reiseschriftstellerin, die sich auf zwei verschiedenen Kontinenten in zwei verschiedene Männer verliebt.

Alles gut und schön, aber worauf will Sara eigentlich hinaus?

»Nicole ist kurz nach der Veröffentlichung gestorben«, erklärt Sara mit trauriger Stimme.

»Stimmt ja, das kam in den Nachrichten. War sie eine deiner Autorinnen?«

Sie nickt.

»Oh, das tut mir leid. Ich wusste gar nicht, dass du sie vertreten hast.«

»Schon okay. Es kam sehr unerwartet. Sie hatte ein Gehirnaneurysma. Mit gerade mal einunddreißig.«

Entsetzt schüttele ich den Kopf. Sie war drei Jahre jünger als ich. »Das ist wirklich tragisch«, murmele ich teilnahmsvoll.

»Nicole hat an einer Fortsetzung geschrieben«, lenkt Sara meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. »Unser geheimes Leben endet mit einem Cliffhanger. Die Leser schreien förmlich nach mehr. Und, Bridget …?«

Bis zu diesem Augenblick bin ich mir unsicher, was das alles mit mir zu tun haben soll, doch ihrem aufgekratzten Ton nach zu urteilen werde ich es gleich herausfinden.

»Fay findet deinen Stil perfekt!«, endet sie triumphierend.

Einen langen Moment schweigen wir beide.

»Perfekt, um eine Fortsetzung zu schreiben.«

Sie glaubt, damit Klarheit zu schaffen, aber ich bin bloß noch verwirrter.

»Ich versteh nur Bahnhof.« Ich schüttele den Kopf. »Fay mag meinen Blog?«

»Ja, sie findet ihn großartig!«, wiederholt Sara. »Und sie findet, deine Stimme ist goldrichtig!«

»Ich dachte, sie würde mir vielleicht einen Verlagsvertrag anbieten.«

Sara räuspert sich. »Tut sie ja auch. Für die Fortsetzung von Unser geheimes Leben.« Sie deutet auf das Buch in meiner Hand.

Was?

»Nicole hat ungefähr ein Viertel davon schon geschrieben«, erklärt sie. »Und einen Haufen Notizen hinterlassen. Fay ist auf der Suche nach jemandem, der die Story fertigschreibt.«

»Sie möchte mich als Ghostwriterin?«, stottere ich. »Aber was ist mit meinem Buch?«

»Das kommt schon noch«, meint Sara leichthin. »Sieh das Ganze doch als Übergangslösung. Das ist deine Chance, den Fuß in die Tür eines bedeutenden Verlags reinzukriegen. Dein eigenes Buch kannst du parallel dazu schreiben und dabei dein Social-Media-Profil weiter optimieren. Na, und mit der Vorauszahlung finanzierst du dir deine Reisen. Es ist die perfekte Lösung.«

»Aber …« Ich blicke noch immer nicht ganz durch. »Wie kommt ihr darauf, dass ich für diesen Job die Richtige bin? Es gibt doch bestimmt eine Million Autorinnen, die geeigneter wären?«

»Oh, davon bin ich auch überzeugt«, entgegnet sie trocken. »Aber Fay will dich. Sie hat sogar das Romanmanuskript gelesen, das du vor ein paar Jahren geschrieben hast. Der Plot war nicht ganz stimmig«, fügt sie hastig hinzu und nimmt mir damit jegliche Hoffnung, dass der Liebesroman jemals publiziert werden könnte, »aber Fay weiß dadurch, dass du das Zeug zum Romanschreiben hast, das ist der Punkt. Und deinen Stil findet sie umwerfend.«

»Tatsächlich?« Ich fühle mich ein wenig geschmeichelt und zugleich unglaublich entmutigt.

»Hast du Unser geheimes Leben denn gelesen?«, fragt Sara.

»Nein.« Ich mustere das Buch in meinen Händen.

»Dann nimm dir das Exemplar gleich mit«, sagt sie. »Du wirst es nicht mehr aus der Hand legen können. Die Protagonistin ist Reiseschriftstellerin genau wie du, insofern solltest du dich super in sie reindenken können. Das ist doch ein Riesenkompliment, wenn Fay der Meinung ist, du könntest den von Nicole weitergereichten Stab über die Ziellinie tragen.«

»Es ist nur … Ich bin mir nicht sicher …« Mir schwirrt immer noch der Kopf. Eine junge Frau, die so abrupt stirbt … Eine Bestsellerautorin, die eine unvollendete Fortsetzung hinterlässt … Und ausgerechnet ich soll diejenige sein, die ihr Werk vollendet …

»Lies das Buch«, drängt mich Sara, und ich spüre, dass sie unser Meeting zum Abschluss bringen möchte. »Und vergiss nicht, Bridget, das ist eine Riesenchance! Ruf mich an, sobald du mit dem Buch durch bist, damit wir die Einzelheiten besprechen können. Ich bin morgen den ganzen Tag hier.«

Sie scheint äußerst zuversichtlich zu sein, dass ich mich auf dieses behämmerte Projekt einlasse.

Und tatsächlich rufe ich sie zurück, kaum dass ich das Buch ausgelesen habe.

Kapitel 2

An einem sonnigen Tag Anfang Juni steige ich in Padstow, einer kleinen Hafenstadt in Cornwall, aus dem Bus. Ich gehe den Hügel hinauf und genieße dabei die Aussicht auf das Mündungsgebiet des Flusses Camel, in dessen klarem, blaugrünem Wasser bei Ebbe eine Reihe von langen, glatten Sandbänken erscheint. Der Geruch von Fish and Chips liegt in der Luft, und mein Magen knurrt. Doch dagegen lässt sich erst mal nichts machen, denn es ist schon halb vier, und Charlie Laurence erwartet mich.

Als Sara erklärte, dass der Ehemann der verstorbenen Nicole die Fertigstellung des Buchs beaufsichtigen wolle, wurde mir mulmig. Der Job an sich war schon Herausforderung genug – würde durch ihn nicht alles noch schwieriger werden?

Vor einem bescheidenen Backsteinreihenhaus bleibe ich stehen. An der Vorderseite befindet sich eine schmale Veranda mit schiefergedecktem Dach. Abgesehen von einer Lavendelhecke an der Mauer zur Straße hin gibt es hier keinerlei Pflanzen.

Am Fenster nehme ich eine Bewegung wahr, also gehe ich rasch den Gartenweg entlang und klopfe an die Tür. Mir bleibt nicht einmal die Zeit, im Glas mein Spiegelbild zu überprüfen, da öffnet sie sich schon, und ein großer, schlanker Mann steht vor mir, Charlie Laurence vermutlich.

Er sieht aus wie Anfang dreißig und dürfte etwas über einen Meter achtzig sein. Seine Augen sind grün, und die wirren dunkelblonden Haare werden durch ein senfgelbes Bandana aus der Stirn gehalten. Er trägt ein verblichenes orangefarbenes T-Shirt und graue Shorts. Das Gesicht, die Arme und Beine sind sonnengebräunt, und zwar ganz runter bis zu seinen nackten Füßen.

Wow!

»Charlie Laurence?«, erkundige ich mich hoffnungsvoll.

»Hallo«, erwidert er mit einem kleinen, reservierten Lächeln und hält die Tür auf. »Kommen Sie rein. Ach, duzen wir uns doch. Also, komm rein!«

Weiß der Himmel, was ich erwartet habe, einen Typen wie ihn jedenfalls nicht.

»Tee?«, erkundigt er sich.

»Danke, das wäre toll.« Als die Tür geräuschvoll ins Schloss fällt, fahre ich zusammen. Ich bin nervös.

Charlie deutet in den Flur und lässt mich vorausgehen. Wir kommen an einem Raum vorbei, wo der Fernseher läuft, vermutlich das Wohnzimmer. Die Küche ist im Kombüsenstil eingerichtet und geht in einen Anbau über, wo sich ein Zweiersofa und ein Tisch mit Stühlen befinden.

Er füllt den Wasserkocher und holt zwei Becher aus dem Schrank. »Wie war deine Reise? Bist du mit dem Auto da?«

»Nein. Mit der U-Bahn von Wembley nach Paddington, dann per Zug nach Bodmin und das letzte Stück mit dem Bus.«

»Klingt stressig.«

Er ist höflich, hat jedoch noch kein einziges Mal Blickkontakt zu mir aufgenommen, seitdem ich über seine Schwelle getreten bin.

Aus dem Wohnzimmer dringt ein Geräusch.

»Moment bitte«, sagt er und verlässt die Küche.

Ich hole tief Luft, zwinge mich, langsam wieder auszuatmen, und sehe mich dabei um.

Die Ziegelwände sind mit weißer Mauerfarbe angestrichen, die Arbeitsflächen bestehen aus alten Eisenbahnschwellen, die abgeschliffen und matt lasiert wurden. Durch zwei Terrassentüren gelangt man in den rückwärtigen Garten. Hier drinnen ist es sauber und ordentlich, aber da draußen herrscht ein unglaublicher Verhau. Mein Blick fällt auf den Küchentisch und die Holzstühle darum herum.

Zwei Stühle.

Und ein Hochstuhl.

Noch so eine Sache, die Sara bei unserem Treffen letzte Woche mit keinem Wort erwähnt hat.

Als Nicole starb, ließ sie nicht nur ein unvollendetes Manuskript und einen untröstlichen Ehemann zurück, sondern auch ein zu dem Zeitpunkt fünf Wochen altes Töchterchen.

Das Leben ist so ungerecht.

Ich höre Charlie, der im Wohnzimmer mit gesenkter Stimme redet. Wieder bekomme ich Nervenflattern.

Babys machen mir Angst. Irgendwie mögen sie mich nicht, und ich mag sie auch nicht sonderlich. Was, wenn ich die Kleine zum Weinen bringe? Wenn ich es mir mit dem Kind verscherze, bläst Charlie die ganze Sache vermutlich ab.

Bevor ich hergefahren bin, habe ich mich mit Nicoles Lektorin Fay Sanderson getroffen, einer bezaubernden, warmherzigen Frau Ende vierzig. Sie verriet mir, dass Charlie grünes Licht für die Fortsetzung gegeben hatte. Sicher war er sich zwar nicht, wenn ich das richtig verstanden habe, doch fühlte er sich gegenüber Nicoles Lesern verpflichtet und stimmte der Idee schließlich zu, vorausgesetzt, es würde sich eine geeignete Person für den Job finden. Ich frage mich zwar noch immer, ob ich die Richtige bin, doch nach der Lektüre von Nicoles Buch bin ich genauso scharf darauf herauszufinden, wie die Story ausgeht, wie alle anderen Leser auch. Selbst wenn ich mir das Ende selbst aus den Fingern saugen muss.

Davor graut mir ja, ehrlich gesagt, doch ich habe beschlossen, mir keine Sorgen über ungelegte Eier zu machen. Wenn diese Begegnung mit Charlie nicht gut läuft, wird ja ohnehin nichts aus der Sache.

Das Wasser kocht, und ich vertreibe mir die Zeit damit, den Tee aufzugießen. Wenig später kehrt Charlie zurück.

»Kindersender wie CBeebies interessieren meine Tochter auch nur begrenzte Zeit.« Er weiß, dass er auf seine Lebenssituation nicht genauer eingehen muss, da man sie mir schon ausführlich geschildert hat. »Milch?«

»Ja, bitte.« Ich mache ihm an der Arbeitsfläche Platz. »Wie alt ist deine Tochter denn jetzt?«

»Achteinhalb Monate. Zucker?« Ganz kurz treffen sich unsere Blicke.

»Nein, danke.«

»Eigentlich wollte meine Mum herkommen, aber an ihrem Arbeitsplatz hat es einen Notfall gegeben.« Er rührt sich zwei Teelöffel Zucker in die eigene Tasse.

»Was macht sie denn?«

»Sie und Dad führen einen Campingplatz. Dort hat es einen Wasserrohrbruch gegeben oder so was in der Art.«

»Ist es der Campingplatz auf dem Hügel?«

»Nein, der von meinen Eltern liegt ungefähr eine Stunde von hier entfernt. Den auf dem Hügel betreiben Kumpels von mir. Kennst du ihn?« Charlie nimmt seine Tasse und sieht mich nun endlich richtig an. Ich dachte, seine Augen wären grün, aber in Wirklichkeit geht die Farbe mehr in Richtung Haselnussbraun.

»Mein Dad hat ihn erwähnt. Er ist mit seinem Wohnmobil ein paarmal dort gewesen.«

Charlies Tochter plärrt wieder los.

»Gehen wir zu ihr«, sagt Charlie leise und deutet Richtung Tür. Ich lasse ihm den Vortritt und folge ihm.

Als Erstes sehe ich ihre Beine, nackt und pummelig, die wild herumstrampeln. Dann kommt der Rest von ihr in mein Blickfeld – ihr pastellfarbener und mit Häschen bedruckter Strampelanzug und das leicht gewellte hellblonde Haar. Sie sitzt vor dem Fernseher in einer Babywippe, die Charlie nun über den Dielenboden zu sich heranzieht. Dann nimmt er auf dem Sofa Platz. Er bringt die Wippe leicht zum Schwingen, und die Kleine gluckst.

»Das ist April.« Er streckt seiner Tochter die Zunge heraus und deutet auf mich. »Und das ist Bridget.«

»Hallo, April!« Sofort merke ich, dass meine Stimme viel zu laut und übereifrig klingt.

Mit ausdrucksloser Miene sieht April über die Schulter zu mir. Dann verzieht sie den Mund zu einem breiten Grinsen und brabbelt etwas Unverständliches. Wieder bringt Charlie ihre Wippe zum Schaukeln, und sie schaut ihn glücklich an.

Nervös setze ich mich auf das zweite Sofa und hoffe, dass April mich ab jetzt gar nicht mehr beachtet.

»Wo hast du dich denn einquartiert?«, nimmt Charlie den höflichen Smalltalk wieder auf. Er greift nach der Fernbedienung und stellt den Fernseher gerade so viel leiser, dass der haarsträubend übermotivierte und exzentrisch gekleidete Mann, der irgendetwas Durchgeknalltes mit einer Eierschachtel anstellt, nicht völlig verstummt.

»In einem Bed & Breakfast in Padstow. Günstig und freundlich. Morgen früh geht’s dann mit dem Bus zurück.«

»Du bist nur für einen Tag hier?« Er wirkt erstaunt.

»Schon, aber … Ich kann natürlich wiederkommen, wenn ich …«

Mit erwartungsvollem Blick wartet er darauf, dass ich den Satz vervollständige.

»Wenn ich den Job bekomme«, erkläre ich.

»Oh.« Er nippt an seinem Tee. »Fay sagte, du seist Reiseschriftstellerin.«

»Stimmt auch.« Ich lächele erleichtert. Darüber kann ich mich stundenlang auslassen. »Meine Mum arbeitet auf einem Kreuzfahrtschiff, deshalb habe ich in den Schulferien die Welt kennengelernt.«

»Ich wette, das war eine interessante Kindheit.«

»Schon, ja. Die restliche Zeit habe ich bei meinem Dad verbracht, allerdings haben wir meine Mum relativ regelmäßig besucht.« Er lauscht, nickt. Fragen stellt er keine mehr, und so fahre ich fort, die Werbetrommel für mich zu rühren. »Ich habe über die Orte geschrieben, die ich kennengelernt habe, und irgendwann habe ich mir eine Website eingerichtet und schließlich bei Zeitschriften- und Zeitungsredakteuren nach Aufträgen gefragt. Inzwischen läuft es richtig gut.«

»Das wäre Nickis Traumjob gewesen«, meint Charlie mit einem liebevollen Lächeln. Nicki, nicht Nicole, fällt mir auf. »Bevor ihr ein Verlagsvertrag angeboten wurde«, fügt er hinzu.

Und bevor ihr das Leben so grausam gestohlen wurde.

Er unterbricht die lange, unbehagliche Stille. »Ihr Roman hat dir also gefallen?«

»Ich liebe ihn!«

Nun lächelt er richtig, ein Lächeln voller Stolz, doch seine Augen erreicht es nur kurz.

Wie ungeschickt von mir. Natürlich hätte ich schon beim Betreten des Hauses vom Buch seiner großartigen Frau schwärmen müssen, ohne dass er mich darauf stößt.

»Ich finde das Buch wirklich toll«, bemühe ich mich, die Scharte auszuwetzen, und in den nächsten Minuten rede ich über nichts anderes als über den Roman.

Die Heldin Kit ist Reiseschriftstellerin und verliebt sich in zwei Männer auf einmal. Der eine heißt Morris und stammt aus Cornwall, war früher ein cooler Surfer und ist inzwischen Unternehmer. Der andere lebt in Thailand und ist ein attraktiver finnischer Kletterer. Am Ende des Romans reist Kit nach Thailand, um sich von Timo zu trennen, da Morris – ihre erste Liebe – ihr einen Heiratsantrag gemacht hat. Doch bevor sie ihm reinen Wein einschenken kann, hält Timo ebenfalls um ihre Hand an. Und sie sagt Ja.

Krass, ich weiß.

»Ich mag es ja gar nicht, wenn Leute fremdgehen, weshalb mir dieses Buch eigentlich gar nicht hätte gefallen dürfen«, erkläre ich Charlie, vielleicht ein wenig zu ehrlich. »Aber irgendwie hat Nicole es so geschrieben, dass … Na ja, es ist total glaubwürdig. Sie schreibt so herzzerreißend, dass mich das Buch echt mitgerissen hat. Mir kam es so vor, als würde ich in Kit drinstecken und könnte ihre Gefühle nachempfinden und ihre Entscheidungen irgendwie verstehen. Es war …« Nun bin ich doch um Worte verlegen, doch seiner Miene nach zu urteilen habe ich das Richtige gesagt.

»Weißt du denn, was in der Fortsetzung passieren soll?«, frage ich. »Und mit wem Kit am Ende zusammenkommt?«

Er schüttelt den Kopf. »Ehrlich gesagt bin ich mir nicht mal sicher, ob Nicki das wusste.«

Enttäuschung steigt in mir auf. Charlie lehnt sich zurück und stellt seinen leeren Becher auf dem Fensterbrett hinter sich ab. »Aber falls doch, dann findest du die Antwort in ihren Aufzeichnungen. Sie hat sich eine Menge Notizen gemacht. Komm, ich zeig dir ihr Arbeitszimmer.«

April macht in ihrer Babywippe gerade einen ganz zufriedenen Eindruck, also stellt Charlie den Fernseher wieder lauter und führt mich die Treppe hinauf und einen Flur entlang. Er öffnet eine Tür, hinter der sich ein kleiner Raum mit Blick auf den chaotischen Garten befindet. Vor dem Fenster steht ein großer Schreibtisch, die Wände sind von Bücherregalen und Aktenschränken bedeckt. Ein schicker Apple-Computer nimmt den Ehrenplatz auf der Schreibtischmitte ein. Das Zimmer ist aufgeräumt, doch kann ich selbst von hier aus sehen, dass der Bildschirm inzwischen ganz verstaubt ist.

Charlie zieht die Schublade links oben auf, die mit Notizbüchern vollgestopft ist.

»Nicki hat ständig darin geschrieben«, erklärt er.

Dann schiebt er die Schublade wieder zu und öffnet die nächste, in der sich weitere Notizbücher befinden.

»Ich habe sie mir nicht durchgelesen.« Seine angespannte Stimme sagt mir, dass er das einfach nicht über sich gebracht hat. »Aber die Ergebnisse ihrer ganzen Recherchen stehen darin.« Er zieht eine weitere Schublade auf. »Früher hat sie auch Tagebuch geschrieben. Ihr Dad ist wegen eines Jobs nach Thailand gezogen, und sie hat ihn besucht, wann immer sie konnte. Viele ihrer Ergüsse von damals haben Eingang in Unser geheimes Leben gefunden. Insofern müssten sich eigentlich Hinweise finden lassen, wie es im nächsten Buch weitergehen sollte.«

Ich betrachte die vollgestopften Regale und bemerke, dass einige Bücher mit Post-it-Notizen versehen sind. Welche Seiten sie wohl markiert hat? Und warum?

Als Unser geheimes Leben im vergangenen Oktober herauskam, gab Nicole ein paar Interviews, daher weiß ich schon, dass ihr Vater ein französischer Chefkoch namens Alain Dupré ist und sie unter ihrem Mädchennamen geschrieben hat. Doch da sie zwei Wochen nach der Veröffentlichung starb, also noch bevor das Buch zum Kassenschlager wurde, wissen die Leser und ich nicht sehr viel mehr über sie – und es ist ein ziemlich surreales Gefühl, nun in ihrem Arbeitszimmer zu stehen.

»Hat sie sich auch in ihrem Computer Notizen gemacht?« In meinem Kopf rattert es. Wo soll ich nur anfangen?

Nach kurzem Zögern langt Charlie um den Bildschirm herum und tastet nach dem Anschaltknopf. Mit dem charakteristischen lauten Startton fährt der Computer hoch.

»Davon gehe ich aus«, sagt er.

In angespannter Haltung steht er mit dem Rücken zu mir. Bei seinem Anblick muss ich aus heiterem Himmel an Elliot denken. Es ist fast ein halbes Jahr her, seit wir uns zuletzt gesehen haben, und im Großen und Ganzen komme ich damit klar. Doch plötzlich vermisse ich ihn ganz furchtbar.

Unten stößt April einen Schrei aus, und Charlie fährt zusammen. »Setz dich doch und sieh dir’s mal an«, murmelt er und lässt mich allein.

Und das macht ihm auch bestimmt nichts aus? Unsicher ziehe ich den Stuhl heraus und nehme Platz. Der Bildschirm leuchtet auf, ein kleines Foto von Nicole erscheint und darunter das Feld, wo das Passwort eingegeben werden muss.

Sie lacht, und ihr schmales Gesicht mit den himmelblauen Augen wird von warmem Sonnenlicht beschienen. Sie hat schulterlanges dunkles Haar und trägt das mir schon vertraute senfgelbe Bandana als Stirnband, unter dem ein paar Ponysträhnen hervorblitzen. Ein paar Sommersprossen bestäuben ihre Nase. Sie sieht glücklich aus. Ich ertappe mich bei dem Wunsch, sie gekannt zu haben. Die gestellte Schwarz-Weiß-Aufnahme in der Innenklappe des Buches wird ihr nämlich nicht gerecht.

»Thailand.«

Beim Klang von Charlies Stimme hinter mir erschrecke ich mich beinahe zu Tode.

»Das Passwort lautet Thailand«, fährt er fort. »Mit großem T.«

»Oh!« Ich tippe es ein, drücke auf Enter, und Nicoles Desktop erscheint.

Ich höre, wie Charlie scharf einatmet, und hüte mich, meinen Kopf zu ihm zu drehen.

Ein Bild von ihm mit einem Neugeborenen in den Armen füllt den Bildschirm aus. Seine Haare sind darauf kürzer, und er blickt mit Liebe auf das kleine Bündel.

»Ich bin kaum hier drinnen gewesen, seitdem wir sie verloren haben«, sagt er leise.

»Wir müssen das gar nicht jetzt tun«, murmele ich. Vor gerade mal sieben Monaten ist seine Frau gestorben, und ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob er schon bereit ist. Ich weiß ja nicht mal, ob ich es bin.

»Schon in Ordnung.« Er beugt sich vor und übernimmt die Maus. Ich rutsche mit meinem Stuhl nach links und beobachte den Cursor, der über einem Ordner namens Geheimnisse schwebt. Dann bewegt Charlie die Maus nach rechts und klickt einen anderen Ordner an, der den Namen Bekenntnisse trägt.

»Sollte die Fortsetzung so heißen?«, erkundige ich mich.

»Unsere Bekenntnisse lautete Nickis Arbeitstitel«, erwidert Charlie. »Sara war offenbar nicht ganz davon überzeugt.«

Richtig, Sara war ja auch Nicoles Agentin.

»Mir gefällt er!« Ich schaue mir die einzelnen Dateien des Ordners genauer an: Charaktere, Bekenntnisse, Recherchen, Exposé, Zeitstrahl …

»Du müsstest auch noch mal in ihren Geheimnisse-Ordner schauen. Ich weiß nicht, ob sie wirklich alles rüberkopiert hat.«

Ich nicke. »Okay.«

»Das heißt, wenn du den Job überhaupt willst.« Er lässt die Maus los und richtet sich auf.

»Triffst du denn nicht diese Entscheidung?«, frage ich vorsichtig.

Er sieht mich an. »Ich habe ein paar deiner Blogeinträge gelesen«, sagt er, anstatt mir zu antworten. »Fay hatte recht. Dein Stil ist dem von Nicki ziemlich ähnlich.« Charlie lehnt sich gegen einen der Aktenschränke und verschränkt die Arme vor der Brust. »Bist du dir denn sicher, dass du auch die Zeit hast, den Job zu übernehmen?«

»Definitiv! Meine andere Arbeit muss eben zurückstehen. Bloggen kann ich auch in meiner Freizeit – eine Deadline habe ich da nicht, und ansonsten gibt’s nichts Dringliches.« Ich hole tief Luft und verkünde: »Ich glaube, ich würde meinen Job gut machen.«

Er beäugt mich nachdenklich, während die Sekunden weiterticken, und nickt schließlich, wie ich hoffe, zustimmend. »Gut. Dann spreche ich mit Fay.«

Kapitel 3

»Danke, Dad, aber ich werde ganz sicher nicht campen!«

»Bridget, in einem Wohnmobil zu schlafen ist doch kein Camping. Es gibt ein ausziehbares Bett, Herrgott noch mal! Weißt du noch, wie wahnsinnig gern du als Kind in deinem Spielhäuschen warst? So viel anders ist das doch auch gar nicht.«

»Na ja, aber damals habe ich auch noch Matschekuchen gebacken.«

»Ich würde dir nicht raten, in Hermie Matschekuchen zu backen.« Nach einer kurzen Pause setzt er mit Nachdruck hinzu: »Auf gar keinen Fall!«

Hermie, so nennt er sein Wohnmobil, einen siebzehn Jahre alten Mercedes Vito. Das ist eine liebevolle Abkürzung des ursprünglichen Namens Herman the German – so hatte ihn seine jetzige Exfreundin getauft, als mein Dad ihn vor ein paar Jahren aus Deutschland mitbrachte. Und Hermie ist wirklich ein tolles Gefährt. Ich will nur nicht zwei Monate darin wohnen.

»Charlie fand dich wirklich sympathisch«, berichtete Sara nach meinem Cornwall-Trip. »Er möchte dich definitiv mit ins Boot holen.«

»Ernsthaft?«

»Jepp! Das Ganze hat nur einen kleinen Haken …«

Anscheinend war Charlie in Panik geraten, als Sara ihn bat, Nickis Sachen in einen Karton zu packen, damit ein Kurier sie abholen könne. Sie ging davon aus, alles würde zu mir nach London gebracht, doch Charlie wollte Nickis Tage- und Notizbücher nicht außer Haus geben. Die Lösung? Ich fahre nach Padstow und arbeite in Nickis Arbeitszimmer.

Nur gut, dass in meinem Leben derzeit nicht viel los ist. Ich wohne bei Dad in Wembley, da meine Wohnung in Chalk Farm noch immer an die Leute vermietet ist, die sie für die Zeit meines Australienaufenthalts übernommen hatten. Ich sage »meine« Wohnung, dabei gehört sie Dad – er hat sie als Kapitalanlage gekauft, akzeptiert von mir aber nur so viel Miete, dass seine monatliche Belastung gedeckt ist. Die gegenwärtigen Mieter dagegen zahlen wesentlich mehr, und als sie anfragten, ob sie noch bis Oktober bleiben könnten, schlug Dad vor, ich solle doch solange bei ihm einziehen, um Geld zu sparen. Er weiß, dass ich in Australien ziemlich knapsen musste, aber im Grunde freut er sich einfach über meine Gesellschaft. Wir stehen uns sehr, sehr nahe. Seit meinem sechsten Lebensjahr hat er mich praktisch allein aufgezogen.

Ich bin ja auch wirklich gern bei ihm, andererseits ist es schon etwas grenzwertig, in meinem Alter noch zu Hause zu wohnen. Deshalb habe ich mich auch ziemlich schnell mit dem Gedanken an Cornwall angefreundet. Denn wer würde seinen Sommer nicht gern am Meer verbringen? In Stress geriet ich erst heute Morgen, nachdem ich herumtelefoniert und festgestellt hatte, dass sämtliche B&Bs und Hotels in Padstow zwar nicht für den gesamten, aber doch für den Großteil des Sommers ausgebucht sind.

Ich gab mich geschlagen und machte mich auf den Weg zum Pub. Allerdings nicht, um meine Sorgen zu ertränken. Nein, das Lokal gehört nämlich meinem Dad. Es ist nicht besonders groß und liegt auf der Strecke zwischen dem Wembley-Stadion und seinem Haus. An Tagen, wo Spiele oder Konzerte stattfinden, geht es wirklich rund im Pub, doch aktuell sind nur ein paar Stammgäste da, und es herrscht Ruhe.

»Ganz ehrlich, Bridget, der Campingplatz auf dem Hügel ist wirklich hübsch«, schwärmt Dad, als er wieder zu mir kommt, nachdem er eine Bestellung – zwei Portionen Scampi und Chips und eine Lasagne – aufgenommen hat.

»Ich sehe förmlich vor mir, wie du den Hang raufstapfst und bei einem Drink den Sonnenuntergang genießt.« Er legt den Kopf schräg. Noch immer hat er dichtes, buschiges Haar, doch da er es inzwischen mit Just-For-Men-Haarfarbe koloriert, ist es dunkler als früher. »Du könntest ein paar solarbetriebene Lichterketten anbringen und den Kühlschrank mit Prosecco-Piccolos füllen.«

Das klingt doch schon viel besser!

»Und du könntest sogar das Vorzelt und das mobile Klo mitnehmen«, fügt er hinzu.

»Das mobile Klo?«

»Na, damit du nachts nicht zu den Campingplatz-Toiletten gehen musst.«

»Soll das ein Witz sein? Für mich ist es ja schon unvorstellbar, zwei Monate in einem Wohnmobil zu schlafen, und dann soll ich auch noch mein eigenes Klo ausleeren?«

Lachend schüttelt er den Kopf über mich.

Ich bin nicht die Sorte Reiseschriftstellerin, die auf einfaches Leben steht. Als ich Anfang zwanzig war, kam ich damit noch irgendwie klar, doch inzwischen schreibe ich lieber über erstklassige Flitterwochen-Reiseziele und Fünf-Sterne-Hotels. Es ist ein harter Job, aber irgendjemand muss ihn ja tun.

»Bridget, ich beneide dich, wenn ich ehrlich bin.« Er stützt sich an der Bar ab. »Ich würde alles geben, um den Job hier den Sommer über hinschmeißen und mit dir ans Meer fahren zu können.«

»Jetzt mal langsam, Dad. Ich liebe dich, das weißt du, aber selbst dein Haus ist gerade groß genug für uns beide. Komm ja nicht auf die Idee, dich mit mir zusammen in Hermie reinquetschen zu wollen.«

Er zerzaust mir gutmütig das Haar, doch ich schiebe seine Hand weg und stütze die Ellbogen auf den Tresen, nehme sie aber hastig wieder herunter, weil er klebrig ist. Was ich in meinem Alter eigentlich wissen sollte.

»Das wird ein Abenteuer«, sagt er. »Und wenn irgendjemand ein Abenteuer liebt, dann ja wohl du!«

Ich hoffe, er behält recht.

Kapitel 4

Bis mein Vertrag unter Dach und Fach ist und ich mich wieder nach Cornwall aufmachen kann, ist es Anfang August. In den nächsten acht Wochen möchte ich alles Nötige für die Szenen rund um Padstow recherchieren und außerdem jedes Buch in Nickis Bücherregalen, jede Notiz und jedes Tagebuch in ihren Schubladen und jedes einzelne Dokument auf ihrem Rechner durchgehen. Dann dürfte ich genügend Material beisammenhaben, um den Großteil des Buchs im Oktober zu schreiben, wenn ich wieder in meiner Wohnung sein kann.

Um schneller voranzukommen, bin ich an einem Sonntag in aller Herrgottsfrühe in London aufgebrochen, doch mit Pausen brauche ich trotzdem sechs Stunden. Mit Hermie zu fahren macht wirklich keinen Spaß – die Kupplung ist schwerfällig, er lässt sich schwer steuern, und noch dazu befindet sich das Steuer auf der linken Seite – entsprechend abgekämpft komme ich auf dem Campingplatz in Padstow an.

Charlies Freunde, zwei herzliche und unheimlich engagierte Hippies namens Julia und Justin, heißen mich mit offenen Armen willkommen.

Ich versuche, mir ihre ganzen Informationen über die Anlage zu merken, setze meine grauen Zellen dann aber hauptsächlich dafür ein, mir die Wegbeschreibung zu meinem Stellplatz einzuprägen.

Der Campingplatz verteilt sich über drei Geländestufen. Zwei terrassenartig angelegte Grünflächen bilden die unteren beiden Ebenen, die durch eine Hecke voneinander getrennt sind, und oberhalb davon liegt eine riesige abschüssige Wiese. Mein Stellplatz befindet sich auf der untersten Ebene. Zwar hat man von dort aus keinen bombastischen Ausblick, dafür liegt sie ganz in der Nähe der Sanitäranlagen. Trotz Dads Warnung, dass ich es noch bereuen werde, habe ich die mobile Toilette nicht mitgenommen. Wie auch, wo ich selbst mein Gepäck nur mit Müh und Not habe unterbringen können?

Ich fahre auf den Stellplatz 9, schalte den Motor ab, greife nach meinem Handy und schreibe Dad eine kurze Nachricht. Er macht sich sonst Sorgen um mich.

Endlich angekommen, und zwar heil – sowohl Hermie als auch ich. Ruf dich später an. Hab dich lieb! XXX

Ich drücke auf Senden und merke erst jetzt, dass es hier keinen Handyempfang gibt.

Was bedeutet, dass es hier auch kein Internet gibt …

Eine Katastrophe!

Ich steige aus dem Wohnmobil und schaue zu dem oberen Campingplatzgelände, setze meine ganze Hoffnung auf die höhere Lage. Gleich auf der anderen Seite der Campingplatzstraße entdecke ich eine Treppe, die nach oben führt. Also sperre ich Hermie ab und mache mich auf die verzweifelte Suche nach einer Verbindung zur Außenwelt.

Etliche Zelte stehen auf der großen Wiese, und mir tun die armen Schweine leid, die auf dem abschüssigen Boden schlafen müssen. Nachdem ich die Hälfte des Wegs durch das hohe Gras gestapft bin, bleibe ich atemlos stehen. Zeit für die große Offenbarung – denn bislang habe ich dem Wunsch widerstanden, über meine Schulter zurückzublicken.

Jetzt wirble ich herum.

Was für eine Aussicht!

Von hier aus blickt man direkt aufs offene Meer hinaus. Nicht allzu weit entfernt befindet sich die Camel-Mündung. Auf der einen Seite davon liegt Padstow und auf der anderen der Ort Rock. Momentan herrscht Flut, und das Wasser glitzert im morgendlichen Sonnenschein. Boote, die bei meinem letzten Besuch im Juni auf dem Sand festsaßen, dümpeln nun auf dem grünblauen Wasser, und am klaren Sommerhimmel kreist ein riesiger Schwarm weißer Vögel. Ich schaue auf mein Handydisplay und seufze erleichtert auf.

4G. Gott sei Dank!

Es gelingt mir, die Nachricht an Dad zu verschicken. Dann lasse ich mich ins Gras plumpsen. Durch den Zeitunterschied zu Australien sind Telefonate mit Elliot so eine Sache, aber gerade passt es. Ich rufe ihn über FaceTime an.

»Zieh dir mal meine Aussicht rein«, sage ich, als er sich meldet, und drehe das Handydisplay zur Camel-Mündung.

»Nett!«

Ich drehe ihn wieder zu mir. »Nicht schlecht, hm?«

»Die jetzige Aussicht gefällt mir noch besser.«

»Du Schmeichler!«, necke ich ihn.

Er lümmelt zu Hause auf seinem braunen Ledersofa herum und hat einen Arm hinter den Kopf gelegt.

»Siehst du gerade fern?«

»Nö, da gibt’s nur Schrott.« Er wirft einen Blick nach rechts zum Fernseher, dann wendet er sich wieder mir zu.

Seine Wohnungseinrichtung kenne ich in- und auswendig. Schließlich habe ich die halbe Zeit meines Aufenthalts in Sydney quasi bei ihm verbracht. Insgesamt war ich ein Jahr dort.

»Trägst du den Pulli, den ich dir gekauft habe?« Unterhalb des Halses ist ein Stückchen dunkelgraue Wolle zu sehen.

Er hält sein Handy höher, damit ich mir sein Outfit besser anschauen kann. »Ja, inzwischen ist es richtig kalt hier.«

Große Neuigkeiten gibt es selten zu berichten, dafür reden wir einfach zu oft miteinander, doch seltsamerweise macht gerade der langweilige Alltagskram die Trennung erträglicher.

»Ich wünschte, ich wäre bei dir und könnte dich aufwärmen.« In der südlichen Hemisphäre ist gerade Winter.

»Das würde ich mir auch wünschen«, sagt er mit schläfriger, tiefer Stimme. »Hab dich heute vermisst!«

»Echt?«

»Ja! Ich war bei Bron und Lachie zum Essen eingeladen. Der alte Angeber hat Krustenbraten vom Grill aufgetischt. Aber ohne dich ist es einfach nicht dasselbe.«

Bei der Erwähnung unserer Freunde verspüre ich einen Anflug von Sehnsucht. Auch sie vermisse ich.

»Was hast du gerade an?«

Ich halte mir das Handy über den Kopf, damit er es sehen kann.

»O Mann, diese Shorts …« Seine Stimme verklingt sehnsuchtsvoll.

Er findet meine Beine sexy, deshalb bin ich in Sydney auch hauptsächlich in abgeschnittenen Jeansshorts herumgelaufen. Dieses Jahr habe ich sie allerdings zum ersten Mal an. Bei meinem Aufbruch heute Morgen war es kalt und dunkel, aber ich bin Optimistin – dem Wetterbericht zufolge sollte in Padstow sonniges Wetter bei zweiundzwanzig Grad herrschen. In Anbetracht der sabbernden Blicke, die mir manche Lkw-Fahrer in den Tankstellen auf dem Weg hierher zugeworfen haben, hätte ich mich besser gleich nach meiner Ankunft hier umziehen sollen.

»Du bist noch genauso braun gebrannt wie vor deiner Abreise aus Australien«, bemerkt er.

»Och, und du bist total blass und käsig!«

»Das stimmt nicht, oder?« Er späht in seinen Pulli.

»Zeig mir deine Bauchmuskeln!«, fordere ich ihn auf.

»Darauf kannst du lange warten!«

Wir grinsen einander an, bis sein Lächeln erlischt. »Wie lange dauert es noch, bis du wiederkommst?«

Ich seufze und wünschte mir, er würde mir richtig in die Augen sehen. Es nervt mich, dass wir keinen echten Augenkontakt herstellen können, weil wir einander auf dem Display ansehen und nicht in die kleinen Kameralinsen starren.

»Weiß nicht, Elliot. Es könnte mitsamt der Überarbeitung März oder April werden, bis der Roman fertig ist.« Der Abgabetermin für mein Manuskript ist Ende Januar, aber danach steht garantiert auch noch ein Haufen Arbeit an. »Wolltest du nicht diesen Sommer herkommen?«

Nun gibt er ein tiefes Seufzen von sich. »Bei mir stehen gerade so viele Projekte an.« Könnte ich doch nur durch das Display greifen und ihm über die Wange mit den dunklen Bartstoppeln streicheln. »Sosehr ich es mir auch wünsche, ich glaub einfach nicht, dass ich mir die Zeit freischaufeln kann. Du weißt, was für ein Sklaventreiber Darren ist.«

Darren ist sein Boss und ein kleines Arschloch obendrein. Elliot ist leitender Hochbauingenieur in einer großen Firma, die ihn sehr hart rannimmt, doch der Job ist einfach zu gut, um das Handtuch zu werfen.

»Und überhaupt, du klingst viel zu beschäftigt, als dass du mich in absehbarer Zeit bespaßen könntest«, meint er. »Inzwischen musst du ja schon zwei Bücher schreiben.«

»Stimmt. Aber so beschäftigt könnte ich gar nicht sein, dass ich dich nicht noch bespaßen würde.« Ich lächele verheißungsvoll. Im Gegenzug grinst er breiter.

»Vielleicht möchtest du das ja gleich mal unter Beweis stellen?«, meint er vielsagend.

Ich werfe einen Blick über meine Schulter. »Na ja, ich stehe auf einer Wiese und in Sichtweite von mehreren Zelten, insofern käme das vielleicht nicht so gut.«

»Dann geh doch zu deinem Wohnmobil zurück!«

Ich ziehe ein langes Gesicht. »Da unten habe ich leider keinen Empfang.«

»Soll das etwa heißen, wir können kein sexy Zeug miteinander anstellen, während du in Cornwall bist?«, fragt er enttäuscht.

»Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!«, versichere ich ihm großspurig, doch ich bin genauso geknickt wie er.

Nachdem Elliot und ich uns voneinander verabschiedet haben, gehe ich zu meinem Stellplatz zurück, um mich dort einzurichten. Schiebt man die breite Seitentür des Wohnmobils auf, fällt der Blick auf eine graugelbe Inneneinrichtung von Westfalia – Dads ganzer Stolz. Vor mir befindet sich ein kleiner freier Bereich von ungefähr einem Quadratmeter. Nennen wir es mal das Wohnzimmer. Links von mir steht eine graue Sitzbank, die in heruntergeklapptem Zustand einen Teil des Betts ausmacht – quasi das Schlafzimmer. Richte ich den Blick geradeaus, sieht man das, was ich locker-flockig als die Küche bezeichnen würde: zwei mit Leckereien vollgestopfte Schränke, ein kleiner von oben befüllbarer Kühlschrank, ein zweiflammiger Gaskocher und eine kleine Spüle. Der Grundriss hebt die Bedeutung des Begriffs Wohnküche auf eine völlig neue Ebene.

Fahrer- und Beifahrersitz lassen sich um hundertachtzig Grad zur Sitzbank drehen, und genau das nehme ich als Erstes in Angriff. Nach einigem Herumgefrickel schaffe ich es, richte mich wieder auf und stoße mir den Kopf an der Decke. Autsch! Das Dach fährt hoch, doch nach einer weiteren Kraftanstrengung kann ich in einem gewissen Bereich immerhin aufrecht stehen. Nun muss ich nur noch den Tisch hochklappen, und alles ist in Butter. Er ist in der Seitentür untergebracht, und ich brauche ein Weilchen, bevor ich kapiere, wie er einrastet – dabei hat Dad das eigentlich alles mit mir durchgesprochen.

Jetzt bin ich noch fertiger als ohnehin schon. Ist halb elf am Vormittag zu früh für ein Glas Prosecco?

Bedauerlicherweise komme ich zu dem Schluss, dass es wirklich noch zu früh ist, also mache ich mich stattdessen an die Zubereitung einer Tasse Tee, fülle den Kessel mit Wasser aus der Flasche unter der Sitzbank, zünde den Gaskocher mit Streichhölzern an, die ich in einem der Schränke entdeckt habe, und begebe mich dann auf die Suche, um Teebeutel und einen Becher zu finden.

Bestimmt gewöhne ich mich früher oder später an das Ganze.

Um auch keine einzige Minute wertvollen Sonnenscheins zu vergeuden, beschließe ich, mich ins Freie zu setzen. Allerdings muss ich den halben Kofferraum ausräumen, um einen der beiden Campingstühle herauszubefördern, die unter meinen Reisetaschen vergraben sind. Bis es so weit ist, pfeift der Kessel wie eine demente Amsel, und ich verbrenne mir beim Versuch, das Gas abzustellen, beinahe die Hand.

Herrje, wie kriegen andere Leute das nur hin?

Oder, anders formuliert: Warum machen Leute überhaupt so etwas?

Endlich kann ich mich mit dem hart erkämpften Becher Tee in den Händen hinsetzen und die Beine ausstrecken.

Ich höre, wie Kinder auf der oberen Grünfläche hinter der hohen Hecke Federball spielen. Ein Paar mittleren Alters in dem Wohnmobil ein paar Stellplätze weiter unterhält sich freundlich mit dem jungen Pärchen von gegenüber. Eine vierköpfige Familie radelt schnaufend, japsend und zankend die Campingplatzstraße neben mir hinauf. Auf der Wiese ganz oben versuchen ein Mann und ein kleiner Junge, einen Drachen steigen zu lassen. In der Hecke neben Hermie zwitschern und tschilpen Vögel, und ich sitze einfach nur da und entspanne mich.

Während ich meinen Tee schlürfe, scheint mir die Sonne auf den Kopf, und ich muss sagen, es ist die beste Tasse Tee, die ich je hatte.

Kapitel 5

Wisst ihr was? So übel ist das alles gar nicht. Tatsächlich war es in Hermie mit zugezogenen Vorhängen sogar irgendwie gemütlich. Ich habe die Kerzen in der Laterne angezündet und im Bett gelesen, und als ich mich zu meinem letzten Klogang aufmachte, entdeckte ich bei meiner Rückkehr, dass die solarbetriebene Lichterkette, die ich draußen am Wohnmobil aufgehängt hatte, funkelnd zum Leben erwacht war.

Geschlafen habe ich den Umständen entsprechend gut, und heute Morgen habe ich mich in der angenehm sauberen Sanitäranlage frischgemacht und an meinem kleinen gelben Tisch eine Schüssel Müsli gegessen. Die Sitzbank in ein Bett zu verwandeln war schon knifflig gewesen, der Rückbau erst recht, aber im Großen und Ganzen liegt mir diese Campingsache mehr, als ich gedacht hätte.

Natürlich gibt es immer ein Morgen.

Und den darauffolgenden Tag.

Und die sechzig danach.

Hmm.

Da Charlie ja wohl über eine Internetverbindung verfügen wird, schenke ich es mir, zum Checken der E-Mails auf die Wiese hochzusteigen. Auf dem Camel-Trail, der auf einer ehemaligen Bahntrasse entlang der Camel-Mündung verläuft, gelangt man zu Fuß im Nu nach Padstow. Lächelnd und mit geschultertem Rucksack wandere ich auf dem malerischen Weg und gehe ab und an zur Seite, um Radfahrer vorbeizulassen. Die Sonne scheint, und es ist ein weiterer schöner Tag. Ich kann es kaum erwarten loszulegen.

Leider geht von nun an alles schief.

Hinter Charlies Haustür schreit sich April die Lunge aus dem Leib. Ich schwanke, ob ich mich aus dem Staub machen soll, doch leider hat mich Charlie vom Wohnzimmerfenster aus gesehen, wo er mit einem Telefon am Ohr hin und her tigert.

Im nächsten Moment wird die Tür aufgerissen, und das Geschrei wird noch ein bisschen lauter.

»Hallo, ich brauch noch eine Minute«, erklärt er und hält dabei die Hand über die Sprechmuschel. »Komm doch rein.«

Er tritt zur Seite, um mich einzulassen. Was ich nur widerstrebend tue.

»Ich weiß nicht, Mum.« Er hebt die Stimme, um gegen den Lärm anzukommen. Mit dem Kopf deutet er in Richtung Küche, und mit Entsetzen wird mir bewusst, dass wir uns auf das Geplärre zubewegen. »Ja. Paracetamol und Nurofen«, höre ich ihn sagen.

April sitzt in einem viereckigen Laufstall, der bei meinem letzten Besuch noch nicht da war, und schreit nach wie vor wie am Spieß. Das Gesicht ist rot und verquollen, ihr läuft die Nase. Sie blickt auf und entdeckt mich.

Ich weiche von dem Laufstall zurück.

»Ich hab keine zu Hause. Ich habe wirklich keine da!«, erklärt Charlie am Telefon, während er nach dem Wasserkocher greift und ihn auffüllt. Er wirkt unglaublich gestresst. »Tee?«, fragt er mit stummen Lippenbewegungen.

»Ich mach das schon«, antworte ich ebenso lautlos, und er reicht mir den Wasserkocher.

Ich versuche, mir mein Unbehagen nicht anmerken zu lassen. In der Küche herrscht Chaos. In der Spüle und drumherum türmt sich schmutziges Geschirr, überall auf den Arbeitsflächen und sogar auf dem Boden sind Essensreste und Getränkepfützen. Das Sofa gegenüber vom Laufstall ist mit Spielsachen, Klamotten, Feuchttüchern und anderem Babyzubehör zugemüllt. Überhaupt kein Vergleich zum Zustand bei meinem letzten Besuch.

»Das bringt doch nichts«, schnaubt Charlie und hört dann angespannt seiner Mutter zu. »Na gut. Ich werde es versuchen.« Pause. »Ich hab gesagt, na gut, ich werde es versuchen!« Er lauscht erneut. »Vielen Dank«, erwidert er genervt. Dann beendet er das Gespräch und murmelt etwas in sich hinein, würdigt mich dabei aber kaum eines Blickes.

Ich hole zwei Becher aus dem Küchenschrank. »Auch einen Tee?«

»Ich glaube, ich brauche einen Tequila-Shot.«

»Kann böse enden, so was …«, witzel ich, doch das findet er gar nicht lustig.

Er geht zum Laufstall, und aus dem Augenwinkel sehe ich, dass April ihm schreiend die Arme entgegenstreckt. Er hebt sie heraus und verlässt mit ihr den Raum.

Mag sein, dass ich den Tee etwas länger ziehen lasse als nötig, jedenfalls hat sich das Geschrei in schluckaufartiges Atmen verwandelt, als ich zögerlich das Wohnzimmer betrete. Charlie trägt April herum und schaukelt sie sanft. Als sie mich bemerkt, dreht sie das Gesicht weg und vergräbt es am Hals ihres Dads. Ich stelle den Tee auf den Couchtisch.

»Alles okay mit ihr?«, flüstere ich.

Resigniert schließt Charlie kurz die Augen und nickt.

»Soll ich hochgehen und anfangen?«

Wieder nickt er.

Seit meinem letzten Besuch hat jemand den Bildschirm von Nickis Computer abgestaubt und den Schreibtisch abgewischt. Falls Charlie tatsächlich eine Zugehfrau haben sollte, hat sie sich heute jedenfalls noch nicht blicken lassen.

Ich schalte den Computer an und hole, während er hochfährt, einen Notizblock und einen Stift aus meinem Rucksack. Zunächst mal möchte ich den Anfang der Fortsetzung lesen, da ich mir dadurch Hinweise auf den geplanten Fortgang der Story erhoffe.

Zehn Minuten später klopft es an der Tür.

»Ja, bitte?« Ich schwenke meinen Stuhl herum. Charlie kommt herein.

»Hast du alles, was du brauchst?« Er sieht völlig fertig aus.

»Alles gut. Ich lese gerade die Bekenntnisse. Die ersten Seiten sind großartig.«

Er nickt, aber es ist ihm anzumerken, dass er nicht in der Stimmung ist, sich über Nickis Buch auszulassen.

»Wie geht’s April?«

Seufzend lehnt er sich an den Türrahmen. »Ich hab’s geschafft, sie in ihrem Kinderwagen zum Schlafen zu bringen. Sie war die halbe Nacht wach.« Seine Augen sind blutunterlaufen.

»Du musst fix und fertig sein.«

»Mmm. April wohl auch. Normalerweise würde sie nie bis zehn Uhr schlafen.«

Er reibt sich mit den Handrücken die Augen. Zum Rasieren ist er offenbar noch nicht gekommen.

»Normalerweise kann man nach ihren Einschlafzeiten die Uhr stellen. Mum schätzt, dass sie mal wieder zahnt.«

»Ein Baby, das sich an Uhrzeiten hält? Ich wusste gar nicht, dass es so was gibt«, bemerke ich grinsend.

»Ich auch nicht«, erwidert er trocken. »Nickis Schwester Kate hat ihr das vor ein paar Monaten antrainiert. Sie hat mir einen Zeitplan aufgeschrieben und mir eingeschärft, mich unbedingt daran zu halten. Mum hält das für Unsinn, aber es funktioniert tatsächlich.« Er verdreht die Augen und wendet den Blick ab. »Na ja, normalerweise jedenfalls.«

»Wo wohnt Nickis Schwester denn?«

»In Essex. Genau wie ihre Mutter.«

»Ganz schön weit weg also«, bemerke ich unnötigerweise.

»Witzigerweise fand Nicki es nicht weit genug, als wir herzogen.« Kummer überschattet sein Gesicht. »Hast du alles, was du brauchst?«, erkundigt er sich brüsk, und ich passe meine Miene entsprechend an. Er möchte mein Mitleid nicht.

»Ja, danke.«

»Na, solange April schläft, mache ich mich mal besser wieder an die Arbeit. Falls was sein sollte: Ich bin im Garten.«

»Okay, danke.«

Wenig später ertönt von draußen ein schabendes Geräusch. Neugierig schaue ich hinaus und entdecke Charlie, der in Unterhemd und ausgefransten khakifarbenen Shorts im Garten steht und einen großen Ast abschleift. Was er wohl damit vorhat? Ich beobachte ihn einen Augenblick, und mir fallen die strammen Muskeln an seinen gebräunten Armen auf.

Und ich hatte mich über die Aussicht von dieser Seite des Hauses beklagt!