Der bearbeitete Planet - Harald Strauß - E-Book

Der bearbeitete Planet E-Book

Harald Strauß

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Beschreibung

Dieses Buch ist eine Form der intellektuellen Selbstbewaffnung, die dazu dient, einige grundlegende Zusammenhänge von Ökologie, Ökonomie und Ethik nüchtern in der Sache zu begründen, statt sich einem Alarmismus à la mode hinzugeben, der bald vom nächsten Aufreger abgelöst wird. Wer den Mut hat, sich seines Verstandes ohne Hilfe anderer zu bedienen, wird das zu würdigen wissen, und wer die Waffe seines Verstandes aktiv zum Einsatz bringen will, wird hier Munition finden. Die reichen Nationen manövrieren nicht nur den sogenannten »Rest« der Welt, sondern auch sich selbst, getrieben vom vermeintlich alternativlosen Zwang der Kapitalverwertung, in eine Situation allmählich schwindender Auswege. Unter dem Vorzeichen einer vielgestaltigen ökologischen Rekalibrierung des Weltsystems baut sich Handlungsdruck für die menschliche Zivilisation auf. Die künftige Ausweglosigkeit kündigt sich in einer doppelten Bewegung an: Die fortgesetzte Konzentration von Reichtum ordnet zum einen unablässig die Chancenverteilung auf dem Globus neu. Sie erzeugt zwangsweise die Bewegung der Betroffenen auf die verbleibenden vermeintlich sicheren Weltregionen zu. Auf der anderen Seite sehen sich die reichen Volkswirtschaften, gebannt vom Klang des eigenen Wachstumsmantras, nicht in der Lage, ihren Vorsprung zu einer qualitativen Veränderung ihres spezifischen Metabolismus von Arbeit und Erde zu nutzen. Harald Strauß analysiert in einem Parforceritt die Kernelemente des Nachhaltigkeitsdiskurses neu, um das Bild der gegenwärtigen Herausforderungen schärfer zu konturieren. Dabei geht es um nicht weniger als die vollständige Neustrukturierung der Curricula und um die Einführung wissenschaftstheoretischer Maßstäbe, an denen sich der ökonomietheoretische Pluralismus zukünftig wird messen müssen.

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Harald Strauß, Dr. phil. arbeitet zur Kritik der politischen Ökonomie in differenzphilosophisch-semiotischer Perspektive und lehrt Systematik und Ethik der Nachhaltigkeit an der Hochschule für Technik Stuttgart. Bei Parodos bereits erschienen: Signifikationen der Arbeit. Die Geltung des Differenzianten ›Wert‹.

Harald Strauß

Der bearbeitete Planet

Systematik, Ethik und Ökonomik der Nachhaltigen Entwicklung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar.

© Parodos Verlag, Berlin 2016

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-938880-81-4

E-Book-Version: © Berlin 2024

ISBN: 978-3-96024-034-1

https://parodos.de

Vorwort

»Der bearbeitete Planet« ist ein Hybrid: Einerseits wird er Lehrenden und Nachhaltigkeitsbeauftragten als hilfreiches Kompendium zur Planung ihrer Veranstaltungen dienen. Hier geht es um ein »teach the teacher«, weil die bisherige Erfahrung lehrt, dass die Vorstellungen zum Umgang mit dem Thema der Nachhaltigkeit unter Lehrenden verschiedene Tiefenschärfen aufweisen. Ein Angebot, das scheinbar weit voneinander entfernte Themenfelder basal darlegt, scheint als gemeinsame Diskussionsgrundlage nicht nur sinnvoll, sondern dringend geboten zu sein. Es geht demnach um die großen Fragen; von den Wonnen der Elektroautos, Photovoltaik-Anlagen und Niedrig-Energie-Häuser wird hier nicht die Rede sein. Auf der anderen Seite ist dieses Buch für Leserinnen und Leser geschrieben, die in Bezug auf Nachhaltige Entwicklung ein systematisches Schema zur Einordnung der täglichen Meldungen zu Klima, Umwelt und Wirtschaft suchen. Verweise auf weitere Theorien sollen dazu ermutigen, auf eigene Faust und den eigenen Neigungen entsprechend über den Text hinauszugehen und neue theoretische Brücken zu schlagen.

Dass »Nachhaltige Entwicklung« und »Nachhaltigkeit« über die Strecke des Textes synonym gebraucht werden, hat mit der nüchternen Einsicht zu tun, dass Zukunft im Begriff der Nachhaltigkeit logisch enthalten ist und alle Entwicklung ihrerseits Zukunft beansprucht. Die existierende Differenzierung verläuft sich ins Leere. Eher macht es Sinn, »Nachhaltige Entwicklung« als Übersetzung von »sustainable development« mit dem ökologischen Oberton zu bestimmen, während die wirtschaftlich günstige Entwicklung, das »sustained development«, mit »anhaltender Entwicklung« zu übersetzen wäre. Die Verwechselung oder Vermischung beider Vorstellungen begegnet einem in der Diskussion häufiger und hat sicherlich dazu beigetragen, sie für versöhnbar zu halten. Das wird zu diskutieren sein.

Es wird nicht durchgängig gender-neutral formuliert, sondern dann und wann wird die weibliche und die männliche Form verwendet, um den Lesefluss nicht zu sehr zu hemmen. Die Findung passender Begriffe in einer Sprache ist ein Glücksfall (siehe das nunmehr akzeptierte »they« als geschlechtsneutrale Bezeichnung im Englischen), die Etablierung gänzlich neuer Formen krankt derzeit noch an Uneinheitlichkeit.

Der argumentative Aufbau der Kapitel reflektiert die Erfahrung aus einigen Jahren Lehre zur »Nachhaltigen Entwicklung« an baden-württembergischen Hochschulen. Die Reaktionen der Studierenden, die Fortschritte wie Begrenzungen in der Lehr-Lern-Situation haben dem Text ein bestimmtes Gepräge von wechselnden Tempi, Tiefgängen und Untiefen beschert. Die gegebene Reihenfolge hat den Vorzug, den Praxistest in verschiedenen Studiengängen bestanden zu haben. Zusätzliches Material in Form von kurzen Videos zu den naturwissenschaftlichen Grundlagen, die in einer E-Learning-Umgebung zum Einsatz kommen, findet sich unter http://www.textbureaustrauss.de/Basics zum Download für den Einsatz in der eigenen Lehre.

Die Realisierung des vorliegenden Buches ist mit Mitteln der Geschäftsstelle für Hochschuldidaktik Karlsruhe unterstützt worden. In diesem Zusammenhang gebührt Markus Binder vom Studiengang KlimaEngineering an der Hochschule für Technik Stuttgart Dank für die vorbehaltlose Unterstützung der Beantragung. Nicht unerwähnt bleiben soll die Arbeit von Fabian Meier und Marco Findling, die die Typografie und die Umzeichnungen der ursprünglich sehr verschiedenen Abbildungen realisiert haben. Insbesondere Winand Herzog in der nicht einfachen Rolle des Lektors verdanken die Leserinnen und Leser die gründliche Verbesserung der Lesbarkeit und manche ausdrückliche Klärung im Argumentationsgang, dessen Selbstverständlichkeit an manchen Übergängen unzulässigerweise stumm vorausgesetzt wurde.

Harald Strauß, Februar 2016

Einleitung

Das vorliegende Angebot einer Grundlegung zum Thema der »Nachhaltigen Entwicklung« soll eine systematische Orientierungshilfe im Dickicht des Nachhaltigkeitsdiskurses bieten. Im Zuge dieses Unterfangens werden sehr unterschiedliche Dimensionen aufeinander bezogen, die alle in einer bestimmten Beziehung zu einem zeitgenössischen Begriff von Nachhaltigkeit stehen. Es geht darum, über den Tellerrand der je eigenen Profession zu schauen, und der Gewinn liegt damit auch für informierte Leserinnen und Leser in einer Durchdringung der wechselseitigen Verflechtung und des Widerstreits, in dem Ökologie, Ethik, physikalische und soziologische Systemtheorien, Wachstumsparadigma und alternative Wirtschaftsmodelle verfangen sind.

Die methodische Vorgehensweise der immanenten Kritik und Fortbestimmung der Begriffe des jeweiligen Feldes – mit Ausnahme der naturwissenschaftlichen Skizzen und Befunde – beruht auf der Annahme, dass der erste Schritt in einer Analyse der Teildiskurse bestehen müsse. Dementsprechend entwickelt sich der Aufbau des Gesamttextes zumeist aus den inneren Widersprüchen und blinden Flecken des jeweiligen Bereiches. Die Wahl fiel daher in den Dimensionen der Nachhaltigkeitsdefinition, der Ökonomietheorie und der Gesellschaftswissenschaften zwangsläufig auf die jeweils vorherrschenden Fassungen, die nicht deshalb schon die besten aller möglichen Operationalisierungen ihres Teilbereichs sind, bloß weil sie die gängigsten sind. Gewiss existieren längst stringenter und sachkundiger argumentierende und darum stärkere Theorien als die harmonische Vorstellung von Nachhaltigkeit, die im 1. Kapitel analysiert wird. Allein die Tatsache, dass sich der unscharfe Begriff bislang allgemeiner Beliebtheit erfreut, verlangt dann – so die Überzeugung – zunächst eine andere Strategie, als für den Begriff die bekannten Alternativen anzubieten. Solche existieren seit Jahrzehnten und haben es dennoch nicht vermocht, sich durchzusetzen. Der Weg zu einem differenzierten Nachhaltigkeitsbegriff führt dann über die Kritik des etablierten Begriffs. Kritik entfaltet ihren konstruktiven Beitrag, wo sie in der Destruktion des Alten die Konturen eines Neuen wie die Maßstäbe zur Beurteilung dieses Neuen aufscheinen lässt. Dementsprechend widmet sich ein Großteil der hier vorgelegten Argumentationen der gründlichen Zerstörung populärer Auffassungen zu Nachhaltigkeit, Ökologie und Ökononomie. Der wohl begründete Anspruch, nicht hinter einmal überwundene Fehler zurückzufallen, mag stichhaltigeren Auffassungen dann vielleicht eines Tages zum Durchbruch verhelfen. Allein das mit Gründen Bessere setzt sich nicht allein kraft des Argumentes durch, es ist also den Versuch wert, das Etablierte seinen eigenen Annahmen auszusetzen, um zu sehen, ob es standzuhalten vermag.

An die Einsicht in die Herkunft und innere Logik des Nachhaltigkeitsbegriffes und der populären Definition von »Nachhaltiger Entwicklung« schließt sich im 2. Kapitel die übersichtartige Entwicklung einer ethischen Begründungslinie an. Bekanntermaßen wünschen alle Definitionen von Nachhaltigkeit die Berücksichtigung der Lebenschancen und Selbstbestimmungsmöglichkeiten zukünftiger Generationen. Die Wahl in der Frage, welche Ethiktradition dem am ehesten entsprechen könnte, fiel deshalb auf ein prinzipienbasiertes (also »deontologisches« und nicht erfahrungsbasiertes) Begründungsmuster. Insbesondere das Problem, wie das Recht der noch nicht Anwesenden unter den zukünftigen Generationen gewahrt werden könnte, spielte bei der Auswahl eine vorrangige Rolle. Andere Ethiken dürften sich weniger eignen, das Problem der Berücksichtigung zukünftiger Generationen in den Griff zu bekommen. So nahe also der Eindruck der Antiquiertheit der hier mit Bedacht gewählten Positionen von Immanuel Kant und Hans Jonas liegen mag, so komplettieren sie dennoch die ethische Dimension des Nachhaltigkeitsdiskurses (und lassen ihrerseits den rohen Pragmatismus des Nachhaltigkeitsdiskurses als antiquiertes Machtdenken hinter sich). Das deontologische Moment ruht auf dem Charakter logischer Prinzipien, deren Verfall gleichbedeutend wäre mit dem Abbruch vernünftiger Kommunikation, selbst wenn Vernunft sich nicht in Logik erschöpft – ohne Rückbindung an argumentative Logik geht es eben nicht. Auch wenn es zunächst nicht danach aussieht, rächt sich Ignoranz gegenüber ethischen Begründungen vermutlich auf lange Sicht. Wenn den daraus resultierenden Verhältnissen ihre eigene Melodie vorgespielt wird, bleibt nur die Hoffnung, dass die Vernunft den Dirigentenstab führt.

Nachdem also der Versuch unternommen worden ist, ethisch überhaupt zu begründen, warum es geboten sei, einen nachhaltigen gesellschaftlichen Entwicklungspfad einzuschlagen, führt der Weg im 3. Kapitel in die basale naturwissenschaftliche Orientierung. Einige ausgewählte Zusammenhänge und deren Zusammenspiel bilden den materialistischen Bezugsrahmen für die weitere Auseinandersetzung. Es ist unabdingbar, wenigstens in groben Zügen Kenntnis von den Wirkmechanismen stofflicher Kreisläufe zu erlangen, um die alltäglichen Meldungen und Phänomene einigermaßen einordnen zu können. Die abstrakte Einsicht von der Begrenztheit des Planeten bedarf der näheren Auslegung, was dies im Konkreten heißen soll. Es ist vorwegzuschicken, dass naturwissenschaftliche Wahrheitsaussagen sich im Bereich statistischer Wahrscheinlichkeiten bewegen – sie sind keine Prognosen nach dem alten Schema mechanistischer Ursache-Wirkungszusammenhänge. Allein diese grundsätzliche Einsicht könnte dem neuerlich grassierenden Hang zu Verschwörungstheorien die Grundlage entziehen. Das alltägliche Verständnis von Ursachen und Wirkungen, zumal in der Bearbeitung des Nachhaltigkeitsthemas in den Massenmedien, hängt diesem Missverständnis freilich noch nach; das hat Jahrzehnte gekostet, und es ist noch nicht so lange her, dass irrationale Positionen öffentlich als gleichrangige Beiträge zur Debatte gewürdigt worden sind. Die Frage ist vielmehr, was im Lichte gegenwärtiger Forschung unter Angabe von Wahrscheinlichkeitsgraden gemutmaßt werden kann – das ist die (gar nicht so neue) Gestalt naturwissenschaftlichen Wissens. Um ein Beispiel dafür zu geben, was damit ausgesagt werden kann: Die naturwissenschaftliche Erforschung menschengemachter Umweltveränderungen kommt nicht zu dem Ergebnis, dass die Küstenstädte mittelfristig ein Flutproblem bekommen werden, sondern dass der Eintritt derartiger Ereignisse von großer Wahrscheinlichkeit ist. Die Abwehr der naturwissenschaftlichen Etappenergebnisse – es gibt weiterhin Überraschungen, wie Naturwissenschaftlerinnen und –wissenschaftler bereitwillig zugeben – fordert im Umkehrschluss, eben eine alternative naturwissenschaftliche Erklärung anbieten zu können oder den Boden rationaler Argumentation zu verlassen. Es ist ein guter Tipp in Debatten, deren Fruchtlosigkeit sich abzuzeichnen beginnt, einmal nach der alternativen Erklärung zu fragen, um wenigstens die Einsicht in die Notwendigkeit einer naturwissenschaftlichen Basis zu bewahren. Menschen, die sich nicht überzeugen lassen, müssen mit den Prämissen ihrer Überzeugungen konfrontiert werden.

An die naturwissenschaftliche Systematik schließt die Diskussion der soziologischen Systemtheorie Niklas Luhmanns im 4. Kapitel an, nicht zuletzt, weil dieser seinerzeit ein sehr spezielles Urteil über die Chancen eines ökologischen Bewusstseinswandels in der Gesellschaft gegeben hatte. Allerdings geht es auch um die Leistungsfähigkeit dieses Stücks soziologischer Theorie, das über den Fachdiskurs hinaus hohe Akzeptanz genießt und (nicht nur) in die Formeln der Bürokratien eingewandert ist. Die Frage ist, ob diese Art der Gesellschaftsbeschreibung hilfreich ist in Hinsicht auf das o. g. Gebot einer »Nachhaltigen Entwicklung«.

Aus der Diskussion der soziologischen Systemtheorie ergibt sich die dringende Frage nach der ökonomischen Basis moderner Gesellschaften, da die Systemtheorie nicht umhin kommt, von bestimmten ökonomischen Prämissen auszugehen. Auch hier fällt die strategische Wahl auf die Darstellung und immanente Kritik der vorherrschenden Auffassungen zur Ökonomie im 5. Kapitel, der Neoklassik. Die Neoklassik stellt eine Theorie bzw. ein Verständnisraster »der Wirtschaft« dar, dem auch die aktuelle Politik parteiübergreifend folgt. Sie erzwingt auf eigentümliche Weise die Verbindung des Wachstumsimperativs mit der mittlerweile etablierten Einsicht, nachhaltig wirtschaften zu müssen. Um also die Triftigkeit dieser Verbindung beurteilen zu können, bedarf es der Analyse der neoklassischen Grundannahmen und der logischen Implikationen ihrer Modellierungen. Wie sich zeigen wird, ist der Kaiser nackt. Allerdings haben sich anders als im Märchen zahlreiche Ökonomen im Verlauf der Geschichte dieses Wissensfeldes durchaus getraut, dies auch auszusprechen. Warum die Einwände dennoch nicht zu fruchten schienen, wird ebenfalls Thema sein, um zu verdeutlichen, welcher Art die Widerstände sind, mit denen es diejenigen zu tun bekommen, die in Sachen Nachhaltigkeit ernst machen wollen.

Das daran anschließende Kapitel 6 diskutiert drei Theorieangebote zur Einrichtung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise. Zunächst wird die an den Wachstumsimperativ anschließende Idee einer »grünen« Wachstumswirtschaft (»Green Growth«) dargelegt; sie ist die Theorie, die am ehesten an die vorherrschende Strömung des Nachhaltigkeitsdiskurses anschließt. Wie zu erwarten, gilt die im vorangegangenen Kapitel ausgeführte Kritik der Neoklassik auch für die Auffassungen des »grünen« Wachstums. Als Zweites wird es um eine Theorie der Wirtschaft gehen, die den Wachstums­imperativ letztlich zu negieren trachtet und stattdessen die Möglichkeit eines stationären Zustandes des »Nullwachstums« auslotet. Doch auch hier stellen sich argumentationslogische Schwierigkeiten ein. Im Lichte der neu gewonnenen Erkenntnisse wird die These der Notwendigkeit einer abnehmenden wirtschaftlichen Aktivität (»De-Growth«) ausgebreitet. Diese Position, wie im Grundsatze die Steady-State-Theorie auch schon, erweist sich als anschlussfähig an die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, die in Kapitel 3 übersichtartig dargelegt worden sind. Allerdings ist die nüchterne naturwissenschaftliche Gewichtung um den Preis eines Mangels an Begriffsbildung in ökonomischen Fragen erkauft, denn die Konsequenzen für die Art der Reichtumserzeugung wie –verteilung wären sehr weitreichend und erforderten eine andere Gestaltung gesellschaftlicher Macht.

Das 7. Kapitel nimmt diese Problematik auf und versucht, die mögliche Schließung dieser politisch brisanten Lücke zu skizzieren. Die Aufgabe besteht darin, den Zusammenhang der schöpferischen Beiträge der menschlichen Arbeit und des Planeten zu erfassen und unter Berücksichtigung gewisser Naturgesetze, die die Neoklassik (und nicht nur sie) zu leugnen scheint, auf ihr Zusammenspiel zu befragen. Diese Diskussion verlässt notwendigerweise den seit je her schwankenden Boden der Mainstream-Ökonomie, was freilich erst verständlich wird, wenn sowohl die naturwissenschaftliche Seite der Nachhaltigkeitsforderung wie die Kritik der Neoklassik durchdrungen sind. Da sich in den Diskussionen, die die Entstehung dieses Buches begleitet haben, zur nicht geringen Überraschung des Autors Gesprächspartner mit recht fantasievollen Auffassungen zu Wort gemeldet haben, widmet sich ein Unterkapitel einem besonderen Fall naturwissenschaftlich grundierter Irrationalität. Wie sich zeigt, sind auch Vertreter der »hard sciences« nicht vor Obskurantismus gefeit, und die populäre Version solcher Verwirrung findet sich auch in Spurenelementen im Alltagsbewusstsein. Die proto-religiöse Hoffnung, dass die Erde als System zu Gunsten der Menschheit in ein neues »Gleichgewicht« komme, ist verbreiteter als angenommen.

Im 8. Kapitel soll zunächst die im Nachhaltigkeitsdiskurs als Fait accompli geltende Auffassung befragt werden, die das Bevölkerungswachstum auf dem Globus pauschal als eines der vorrangigen Probleme insinuiert, dabei aber zahlreiche damit in Zusammenhang stehende Variablen unterschlägt. Politisch ist diese ebenfalls populäre Haltung im bestehenden Machtgefüge brisant, denn unter der Hand gelten die Armen als »überschüssig«. Die Großmächte dieser Welt indes bereiten sich auf ihre Weise bereits auf die Folgen der menschengemachten Umweltveränderungen vor. Ein Optimist, wer darin zumindest das Eingeständnis erblickt, dass Ressourcenverknappung, Wasserstress, Klimawandel usw. menschengemacht sind und sich mitnichten »von selbst« wieder ohne Nachteil für die Menschheit beilegen werden. Die Zeichen stehen auf Zurüstung mit dem Ziel der Erlangung kriegerischer Widerstandsfähigkeit angesichts der ökonomischen Folgen des aktuellen Wandels. Das Verständnis der Zusammenhänge hat nicht allein die Einsicht befördert, dass eine weltgesellschaftliche Lösung anzustreben ist, sondern ebenfalls eine Emsigkeit befeuert, geeignet erscheinende Maßnahmen zur Eigensicherung zu ergreifen – nicht notfalls, sondern gezielt auf Kosten Schwächerer. Auf der anderen Seite sind die historischen Verursacher des Klimawandels und des Raubbaus tatsächlich namhaft zu machen. Es gibt keinen Grund, weiter in anonymen Formulierungen über die Schuldfrage zu sprechen. Wer heute mit dem Finger auf China oder Indien zeigt, auf den zeigen drei Finger zurück. Die Saat für die gegenwärtige Ernte wurde in der Vergangenheit nicht von den aufholenden Volkswirtschaften gesät.

Aus all dem folgt die berechtigte Frage, was zu tun wäre, um das absehbare Unheil abzuwenden. Das ist eine Frage, die einer kollektiven Antwort bedarf, sachlich und mutig genug, Bestehendes nicht nur infrage zu stellen, sondern ein für alle Mal zu beenden, um Raum für das drängend Andere zu schaffen.

1. Das Ideal des Gleichgewichts

Für gewöhnlich fällt in der historischen Rückschau zum Thema der Nachhaltigkeit bzw. der Nachhaltigen Entwicklung1 der Name Hans Carl von Carlowitz (1645-1714). Von Carlowitz, seines Zeichens Oberberghauptmann von Sachsen und daher mit der Aufsicht über den Holznachschub für den sächsischen Bergbau betraut, schrieb seinen Zeitgenossen ins Stammbuch, dass man nicht mehr Holz schlagen dürfe, als durch Wuchs wieder zur Verfügung stünde, sobald man es benötige. In seiner »Sylvicul­tura oeconomica, oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht« heißt es:

»[…] wenn die Holtz und Waldung erst einmal ruinirt / so bleiben auch die Einkünffte auff unendliche Jahre hinaus zurücke / und das Cammer=Wesen wird dadurch gäntzlich erschöpffet / daß also unter gleichen scheinbaren Profit ein unersetzlicher Schade liegt […]« (Carlowitz 1713, 87)

»Wird derhalben die größte Kunst/Wissenschaft/Fleiß und Einrichtung hiesiger Lande darinnen beruhen / wie eine sothane Conservation und Anbau des Holtzes anzustellen / daß es eine continuierliche beständige und nachhaltende Nutzung gebe / weiln es eine unentberliche Sache ist / ohne welche das Land in seinem Esse nicht bleiben mag.« (Carlowitz 1713, 150)

Der sächsische Bergbauinspektor verwendete den Begriff der Nachhaltigkeit, doch freilich erfand er ihn nicht. Die Etymologie des Wortes zeigt, dass damit die Register eines Rückhalts, eines Ersatzes, einer Ökonomisierung der Ressourcen, gleich welcher Art, erklingen. Im Grimm'schen Wörterbuch findet sich Folgendes:

»NACHHALT, m. ein halt, den man in reserve hat, rückhalt: kein almosen .. aber freundschaft musz ihr vertrauen auf kapital legen; wie leicht geht barschaft ohne nachhalt zu grunde. Benzel-Sternau bei Campe; truppen, die den rücken decken, und lagerplatz derselben: doch du weiche zurück — o säume nicht, weiche zum nachhalt, dasz du gefahrenumdroht, nicht angst erweckest dem volke. Pyrker Tunisias 12, 336.«

»NACHHALTEN, verb. …anhalten, nachhaltig sein oder wirken: in jenen tagen des festes hab' ich mich, wie ich nicht läugnen will, männlicher benommen als die kräfte nachhielten. Göthe an Zelter 4, 85. …mit dativ, nachfolgen, nachtrachten, nachstellen: eines fuosztritt nachhalten oder nachgôn, vestigia alicujus tenere; eim ding fleiszig nachhalten, assectare. Maaler 298b; zur zeit des hungers halt er den fischen streng nach. Forer fischb. 61a. … nachträglich halten: eine versäumte lehrstunde u. s. w. nachhalten. …nach einem vorbilde etwas halten, nachthun: in diesen worten hat Christus im ein begengnis oder jartag gemacht, teglich im nach zu halten in aller christenheit. Luther sermon von guten werken 1, 236b. …nachträglich vorhalten, nachtragen: erlasz mir meine grosze schuld .. auf dasz sie mir nicht im letzten, auch am jüngsten tage aufgerückt und .. nachgehalten werde. Schuppius 436; sie ist nicht bös, du muszts ihr nicht nachhalten. v. Hoorn Schmiedjacob 2, 81. … zurückhalten, reservieren: einem das burgerrecht etc. nachhalten. Haltaus 1389.« (Deutsches Wörterbuch d. Gebr. Grimm, Bd. 13, Sp. 68-69)

Noch die Brockhaus-Enzyklopädie von 1971 bestimmt »Nachhaltige Nutzung« allein forstwirtschaftlich:

»Sicherung dauernder, möglichst gleichbleibender, hoher und hochwertiger Holznutzungen ist der oberste Grundsatz bei der Produktions- und Nutzungsplanung und bei der Ermittlung des Hiebsatzes. Die nachhaltige Nutzung ist gebunden an die Erhaltung und Steigerung der Produktivität des Standortes, andauernde Zuwachshöchstleistung nach Masse und Güte der Holzproduktion.« (zit. n. Bächtold 1998)

Was von Carlowitz zum Ahnherrn des Nachhaltigkeitsdiskurses macht, ist die Überschneidung verschiedener Dimensionen mit hohem Symbolwert für die Gegenwart: Wirtschaft und Ökologie, d. h. Naturbeherrschung und –ausbeutung gegenüber Naturbewahrung, mit dem Ziel einer längerfristigen Ausbeute. Die gegenwärtig bevorzugten Ideale eines »Grünen Wachstums«, »Green Growth« bzw. der »Green Economy« (Kapitel 5) stehen durchaus in der Tradition des sächsischen Bergbauinspektors, der schließlich kein Naturschutzinspektor war. Was sich bereits in Carlowitz' Argumentation vollzieht, ist die Übertragung von Nachhaltigkeit auf weitere Bereiche, d. h. aus einem stofflichen Register (die Eigenschaft der Bäume, in einer gewissen Zeit zu wachsen, den materiellen Bestand zu regenerieren) in monetär-ökonomische, sogar politische Sphären – die Ertragsfähigkeit des Standortes, die Bedeutung für die gesellschaftliche Wohlfahrt. Diese Verknüpfung unterschiedlicher Bereiche wird über die verschiedenen Stationen des Diskurses der Nachhaltigkeit beibehalten. So liest sich die Bestimmung der »Nachhaltigen Bewirtschaftung« der Ministerial Conference on the Protection of Forests in Europe, auch bekannt als Helsinki-Konferenz von 1993, wie folgt:

»Agreeing that, for the purposes of this resolution, ›sustainable management‹ means the stewardship and use of forests and forest lands in a way, and at a rate, that maintains their biodiversity, productivity, regeneration capacity, vitality and their potential to fulfil, now and in the future, relevant, ecological, economic and social functions, at local, national, and global levels, and that does not cause damage to other ecosystems […].« (MCPFE 1993, 1)

Dementsprechend ist der Diskurs der Nachhaltigkeit von der Vorstellung eines gleichgewichtigen Zustandes und eines geschlossenen Kreislaufs im Austausch von Mensch und Umwelt begleitet, die in entsprechenden schematischen Darstellungen zum Ausdruck kommt.2 Das Kernproblem des Mainstreams innerhalb des Diskurses lautet: Welche logischen Prämissen liegen der Übertragung des Nachhaltigkeitsprinzips auf die monetäre Sphäre zugrunde?

Als Erstes sollte auffallen, dass bei Carlowitz zunächst die stoffliche Eigenschaft der weitgehend selbstständigen Reproduktionsfähigkeit des Waldes in ein Ursache-Wirkungs-Schema eingebunden wird, das den langfristigen ökonomischen Erfolg des Bergbaus mit einer umsichtigen Holznutzung in Zusammenhang bringt. In letzter Instanz hatte die Ausweitung ökonomischer Aktivitäten ihre objektive Grenze an der Reproduktionsrate der gegebenen Waldfläche. Alles, was Carlowitz hervorhebt, ist die Gefährdung der ökonomischen Aktivität überhaupt, wenn ihr der wichtigste Rohstoff ausgeht. Damit hatte der Bergbauinspektor einen für seine Epoche komplexen Zusammenhang erkannt, eine Erkenntnis, die sich offensichtlich nicht ohne Weiteres aufdrängt, wird die Vielzahl historischer Fälle betrachtet, in denen Kulturen Raubbau betrieben und sich selbst der Grundlagen ihres Daseins beraubten.

»Bereits Platon berichtet in seinem Dialog Kritias (~350 v. Chr.) über die Entwaldung der attischen Hänge für Siedlungszwecke und Schiffbau, wodurch die Bodenschicht der Wassererosion schutzlos preisgegeben wurde und von einer einst blühenden und ›fetten‹ Landschaft nur noch das ›kahle Gerippe‹ übrig blieb.« (Cassel-Gintz/Harenberg 2002, 22)

Allerdings sagt das Ursache-Wirkungsschema nur das eine aus: Die Pflege des Waldes ist logische Bedingung für die Existenz des sächsischen Bergbaus. Das ist jedoch keine Garantie für den ökonomischen Erfolg des Unternehmens – weil sich ökonomischer Erfolg nach anderen Gesetzen einstellt als die Waldpflege, deren Erfolg sich an der stofflichen Reproduktion bemisst. Allgemein lässt sich vorwegschicken, dass ökonomischer Erfolg zumindest in der Aufrechterhaltung der gegebenen Lebensbedingungen der Akteure besteht (einfache Reproduktion); für die Gegenwart ist das natürlich nicht zutreffend, die Verteilungssystematik und Wohlfahrt der Gegenwart unterliegt überall dem Wachstumsparadigma (erweiterte Reproduktion). Selbst im Rahmen einer einfachen Reproduktion wächst der Umfang der ökonomischen Aktivitäten, wenn die Zahl der Akteure steigt; bei erweiterter Reproduktion mit wachsenden Märkten, zunehmender Produktion und Konsumtion vollzieht sich dies ohnehin. Damit ist zunächst deutlich geworden, dass es von der spezifischen Struktur der Dimensionen abhängt, ob und wie sie über den Begriff der Nachhaltigkeit in Beziehung zueinander gesetzt werden können. Während die Anwendung des Nachhaltigkeitsprinzips bei nachwachsenden Rohstoffen in materieller Hinsicht stimmig ist, ergibt sich in Bezug auf die Frage einer erfolgreichen Ökonomie, in der die Akteure in der Lage sind, sich zumindest auf einem gegebenen Stand zu halten, das Problem der Wachstumsgrenzen, die nicht allein, aber vordringlich materielle Grenzen sind (Kapitel 3). Dies gilt insbesondere für einen Zivilisationstypus, dessen Qualitäten vor allem auf (an menschlichen Zeitmaßstäben gemessen) nicht regenerierbaren Ressourcen beruht (Kapitel 7). Auf der anderen Seite wird die funktionelle Kapazität der Senken (Atmosphäre, Ozeane, Boden) knapp. Furore machte in diesem Zusammenhang 1973 der Bericht des Club of Rome unter dem Titel »The Limits of Growth«, der diese Problematik erstmals systematisch darstellte und insbesondere das Problem des exponentiellen Wachstums ins Auge fasste.

Die geläufigen Definitionen von Nachhaltigkeit und Nachhaltiger Entwicklung gleichen sich in der umstandslosen Vermischung der materiellen (und energetischen) mit der monetären Sphäre, wobei damit zunächst einmal nur Ansprüche aus verschiedenen Perspektiven formuliert werden. Deren Vereinbarkeit soll den Maßstab für eine Nachhaltige Entwicklung abgeben. So lautet die Formel im Brundtland-Bericht von 1987:

»Humanity has the ability to make development sustainable to ensure that it meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.« (Brundtland et al. 1987, 27)

Immerhin vermochte der Brundtland-Report der Harmonie-Vorstellung ausdrücklich zu widersprechen:

»Yet in the end, sustainable development is not a fixed state of harmony, but rather a process of change in which the exploitation of resources, the direction of investments, the orientation of technological development, and institutional change are made consistent with future as well as present needs.« (Brundtland et al. 1987, 30)

Was die Arbeit der Brundtland-Kommission zu diesem historischen Zeitpunkt des Diskurses auszeichnete, war die integrierte, intergenerationelle Betrachtung, ihre Priorisierung der Entwicklungsrechte der ökonomisch Verarmten und ihre Forderung nach Beschränkung an die Adresse der Industrieländer. Ein weiterer Meilenstein im Diskurs der Nachhaltigkeit war die Rio-Konferenz 1992, die neben der Wiederholung und Reformulierung bereits bekannter Positionen rechtliche Forderungen an die Staaten in Bezug auf nachhaltige Entwicklung stellte und auch die Individuen als aktive Handlungsträger adressierte. So wurde einerseits die Souveränität der Staaten über die jeweiligen Ressourcen mit der Pflicht zum Umweltschutz und andererseits das Recht der Individuen auf ein produktives und gesundes Leben im Einklang mit der Natur mit der Pflicht zur Generationengerechtigkeit verbunden. In Rio wurde 1992 die Agenda 21 (UN 1992) mit durchaus detaillierten Handlungsaufträgen, nationalen Umweltplänen unter Einbezug der lokalen Ebene formuliert, freilich hinreichend verwässert, dass viel Spielraum zur Auslegung übrig blieb. Über die Jahrzehnte etablierte sich ein Reigen von Konferenzen und Beschlüssen, die insgesamt zumindest das Bewusstsein für die Problematik schärften. Freilich mit durchwachsenem Ergebnis: Die in Teilen errungene Akzeptanz dieser neuen normativen Gebote und die Umsetzung in einschlägige Umweltgesetzgebung hatte z. B. eine Steigerung der technologischen Effizienz der modernen Wirtschaften zur Folge, dennoch steigen bis heute Ressourcenverbräuche und Umweltbelastungen insgesamt ungehindert an – ein globaler Rebound-Effekt in der Gesamtrechnung. Inwieweit die wachsende Weltbevölkerung das Problem verschärft, ist nicht an sich, sondern im Zusammenhang mit den etablierten Entwicklungspfaden zu betrachten (Kapitel 8).

Abschied vom Gleichgewichtsideal

Abgesehen vom durchwachsenen Ergebnis einer internationalen Praxis, die der bestehenden Wachstumsökonomie bzw. ihren Propagandisten das gleiche Gewicht einräumt wie den zwingenden Zusammenhängen, die sich hinter dem Begriff der Ökologie verbergen, sind die unausgesprochenen Implikationen dieser Modellierungen zu analysieren.

Nachhaltige Entwicklung wird in solchen Darstellungen als Gleichgewichtsmodell zwischen Ökologie, Ökonomie, Sozialem und Ethik postuliert, wie dies im o. g. vergleichsweise differenzierten Schaubild die Benennung von Kriterien andeutet (criterion heißt u. a. Richtmaß). Das setzt seinerseits voraus, dass entweder Gleichgewicht zwischen den Elementen möglich ist, weil sich die Elemente nicht im Widerspruch zueinander befinden (Variante a). Oder die Elemente befinden sich im Widerspruch zueinander und müssen verändert werden, damit sie ins Gleichgewicht kommen (Variante b). In jedem Fall bliebe aber noch zu klären, was Gleichgewicht in diesem de facto systemtheoretischen Gefüge überhaupt bei all jenen Elementen eines Teilsystems heißt, die sich dem Regenerationszyklus entziehen bzw. in Zeiträumen verlaufen, die über das menschliche Maß hinausgehen, wie die Entstehung fossiler Brennstoffe (vgl. dazu Binswangers Vorschlag, s. Kapitel 6). Zunächst könnte unter Beibehaltung der Gleichgewichtsthese argumentiert werden: Ökologie, Ökonomie, Soziales und Ethik zerfallen ihrerseits in Teilsysteme, was in der Luhmann'schen Version von Systemtheorie als funktionale Ausdifferenzierung jeglichen Systems bezeichnet wird (s. dazu Kapitel 4). Daher besteht eine gewisse logische Notwendigkeit, dass jeder Bereich ein Binnengleichgewicht seiner Teilsysteme erlangt. Es ist zwar denkbar und in der Welt gewiss der Fall, dass ein System einzelne dysfunktionale Teilsysteme aushält, ohne daran zugrunde zu gehen – aber unbestreitbar kostet das Ressourcen und hat Einfluss auf die Dynamik des Gesamtsystems.3 Übergeordnet bleibt die Frage aber erhalten, was für jeden Teilbereich Gleichgewicht bedeuten soll. Wie sollte etwa ein »Gleichgewicht« zwischen einander widersprechenden Ethiken (z. B. erfahrungsgeleiteten und deontologischen Ethiken) aussehen? Wie sollten die in der sog. westlichen Welt vorherrschende »orthodoxe« neo­klassische Ökonomietheorie und die anders lautenden, darum »heterodox« titulierten Theorien miteinander in Ausgleich zu bringen sein, wenn der Zweifel der einen an der anderen schon in den Grundannahmen fußt? Wie kann der soziale Mindeststandard der reichen Volks­wirtschaften mit dem des armen Rests der Welt in ein Gleichgewicht sozialer Ansprüche verwandelt werden? Oder was könnte Gleichgewicht zwischen Finanzmarkt und Arbeitsmarkt bedeuten? Damit vertiefen sich die Problematiken dieser auf der Gleichgewichtsprämisse beruhenden Sicht eher, als einen Lösungsansatz zu bieten.

Eine kleine Verschiebung der analytischen Betrachtung der Gleichgewichtsprämisse fördert freilich noch ein anderes Bild zutage: Das Ideal eines Gleichgewichts oder einer Schnittmenge impliziert logisch die Quantifizierbarkeit der jeweils genannten Bereiche. Das zwingt zur Prüfung, wie das funktionieren könnte. Der erste Augenschein zeigt sofort: Der Modus der Quantifizierbarkeit funktioniert in der Ökonomie (Preise) und in der Ökologie (Stoffdurchsatz, thermodynamische Flussgrößen), im Bereich der Ethik und des Sozialen hingegen nicht. Ein Vergleich der beiden quantifizierbaren Bereiche wiederum zeigt, dass die Maßstäbe, an denen die Bemessung der Quantität stattfindet, verschiedene sind (stoffliche und monetäre), die ihrerseits kein Gemeinsames haben. Die Gleichgewichtsmodelle der Nachhaltigkeit werden im Diskurs freilich auf einen Nenner gebracht, explizit oder zwischen den Zeilen: die Kosten. Gemeinhin herrscht der Konsens, dass Nachhaltige Entwicklung bezahlbar bleiben muss. De facto ist damit aber die Gleichgewichtsprämisse logisch verletzt, da der ökonomischen Dimension Vorrang vor allen anderen Dimensionen eingeräumt wird.

Die Einsicht, dass hier also unter der unhaltbaren Voraussetzung einer ausgleichbaren Quantifizierbarkeit argumentiert wird, zieht unweigerlich die Frage nach sich, wie es um die qualitative Dimension jedes Bereiches bestellt ist. Die weitere Prüfung zeigt wiederum, dass jederzeit sinnvolle qualitative Aussagen über Ökonomie, Ökologie, Ethik und Soziales möglich sind. Jeder Widerstreit über die Gestaltung der Wirtschaft, jede Bestimmung des ökologischen Feldes, jeder Streit über die normativen Grundausrichtungen einer Gesellschaft und jeder Gestaltungsvorschlag zur sozialen Sicherung der allgemeinen Wohlfahrt beweist das ohne Unterlass. Wäre nun die ideale Gestalt der Nachhaltigen Entwicklung zu retten, indem diese primär als Überschneidung der Qualitäten von Ökonomie, Ökologie, Ethik und Sozialem gedacht werden?

Zwei Einwände verschiedener Natur stehen dem entgegen. Erstens kann die Analyse hier kaum haltmachen vor der Einsicht, dass der ganze Ausgangspunkt, die Probleme, die eine bestimmte Art zu wirtschaften mit sich bringt, von der Unversöhntheit dieser verschiedenen Qualitäten zeugt. Das spräche für die o. g. Variante b – die Bereiche sollen sich vordringlich qualitativ ändern. Alle? Gegenüber dem, was die Ökologie des Planeten bedeutet, kann das unmöglich als Forderung formuliert werden. Der Erde ist nicht mit einem Sollen zu begegnen, sie ist vielmehr die Totalität, angesichts derer die Menschen das Erhabene erfahren, das sie zuweilen in Mark und Bein erschüttert und auf Umwegen dazu drängt, ein-ander Kants zweite Frage anzusinnen: »Was soll ich tun?« Nach allem, was man mittlerweile weiß, scheint es darauf im Kontext der Ökologie keine straflose Antwort zu geben. Ökologie bedeutet wörtlich logos (im Sinne der Darlegung bzw. gedanklichen Durchdringung) eines oikos (Haus) und das Haus ist unser Planet. Das heißt, in der Ökologie geht es um den zu denkenden Planeten bzw. darum, Wissen zu erlangen über die Möglichkeiten und Notwendigkeiten, den Planeten schonend zu bearbeiten. Und die Möglichkeiten sind begrenzt. Der Mensch kann sich letztlich die Erde nicht untertan machen, er kann sich bestenfalls mit ihr abfinden.

Für die Ökonomie, das nomos eines oikos, das Gesetz über die Art, das Haus zu führen, sind die Positionen des Disputs mehr oder weniger klar: (»Grünes«) Wachstum oder Steady State oder De-Growth; die Partei des Wachstums führt. Nicht anders in den Bereichen Ethik und Soziales: Auf welchen Werten soll die Gesellschaft gründen, welche Art der Reichtumsverteilung trägt zum Gedeih einer Vereins freier Menschen bei? Solidarität erreicht hier schnell ihre Grenzen, sobald das je als Eigenes empfundene, historisch geerbte Vorrecht in Frage gestellt erscheint. Was aber sollte die eigene Qualität einer Schnittmenge all dieser Bereiche sein? Wieder lässt das etablierte Gleichgewichtsmodell Nachhaltiger Entwicklung ratlos zurück.

Zweitens ist unübersehbar, dass mit der qualitativen Bestimmung solch idealer Bereiche und der Forderung, dass sie sich auf den Entwicklungspfad der Nachhaltigkeit begeben sollen, doch abermals eine ethische Forderung allen anderen Forderungen vorausgesetzt wird. Denn jede Formulierung eines Sollens ruft die ethische Dimension auf. Damit ist wiederum die Prämisse des Gleichgewichts außer Kraft gesetzt, weil tatsächlich am Vorrang einer unausgesprochenen Ethik bemessen wird. Bereits das Pos­tulat des Ausgleichs, der Ausgewogenheit lässt sich als Ableitung einer gewissen Gerechtigkeitsidee lesen – die ethische Dimension sistiert, soweit es menschliche Angelegenheiten angeht.

Die erste, grundlegende Erkenntnis zur Nachhaltigen Entwicklung ist, dass die Ökologie in ihrer Produktion von Wissen über den Planeten als ein System konkrete Grenzen menschlichen Handelns in Erfahrung bringt. Die zweite Erkenntnis lautet: Soweit es menschliche Angelegenheiten bzw. das im weitesten Sinne willkürliche Gesetz der gemeinschaftlichen, kommunen Angelegenheiten betrifft, ist eine prinzipienbasierte Ethik erforderlich, mit der die konkreten politischen Gestaltungsvorschläge menschlichen Zusammenlebens überprüft werden können. Mit dieser Erkenntnis ist u. a. der soziologisch-systemtheoretische Beitrag Luhmanns in Kapitel 4 zu konfrontieren, weil der behauptete Vorrang des Systems als Sachzwang jede ethische Frage als tendenziell irrelevant zurückweist. Weil soziologische Systemtheorie keine Handlungstheorie sein will und das Sollen einem Subsystem zuordnet, ist sie zur Beantwortung der zweiten kantischen Frage »Was soll ich tun?« ungeeignet, dennoch ist sie damit keineswegs frei von Sollen. Mit der Deklaration solcher Freiheit erklärte sich die soziologische Systemtheorie nämlich für sinnfrei, weil nicht auf menschliche Zwecke bezogen. Als Theorie der Gesamtheit sinnhafter Kommunikationen liegt ihr allerdings nichts ferner – das relativiert den Beitrag Luhmanns erheblich.

Diese unendliche Unauflösbarkeit widerstreitender Qualitäten und verborgener Prämissen im Nachhaltigkeitsdiskurs ist freilich nur vordergründig. Übergeordnet ist das Ringen um eine Bestimmung von Nachhaltigkeit anthropozentrisch, d. h. der Diskurs der Nachhaltigen Entwicklung erstreckt sich nicht auf Bereiche, die außerhalb menschlicher Eingriffsmöglichkeiten liegen – das ist die dritte Erkenntnis. Allerdings ist diese Setzung nicht selbstverständlich, und gerade die kontrafaktische gesellschaftliche Praxis gibt eher das Bild einer Gattung ab, die an ihrer eigenen Auslöschung arbeitet. Was sich hinter der Anthropozentrik der Nachhaltigkeitsdiskussion verbirgt, verweist umso dringlicher auf die ethische Forderung, dass eine Menschheit sei, was der längst vergessene Hans Jonas vor Jahrzehnten zu begründen unternommen hatte. Diese Forderung bedarf der Auslegung (Kapitel 2). Der Prüfstein der Begründung wird sein, ob diese Forderung verallgemeinerungsfähig ist, möglicherweise in welchem Sinne Verallgemeinerbarkeit die Grundstruktur dieser Forderung ist. Das ist der Punkt, an dem es in der philosophischen Tradition um Sein und Nichtsein geht. Die vierte Erkenntnis ist, dass die etablierten Formeln und Modelle, die vom Gleichgewichtsparadigma getragen sind, getrost vergessen werden können, weil sie analyseschwach und unscharf sind.

1 Zur Etablierung des Terminus wird hier die Großschreibung eingeführt.

2 Die Vielzahl – und Beliebigkeit – der grafischen Darstellungen würde hier jeden Rahmen sprengen, zumal die Verkürzungen bei der Übersetzung in die grafische Symbolik der Sache nicht eben geholfen haben. Ob Drei-Säulen-Schema in der bekannten Tempel-Form oder Mengendiagramme, in deren Schnittpunkt Nachhaltigkeit steht: All dies ist zu unpräzise und deutungsoffen, weshalb hier eine begriffliche Analyse anstelle einer Bilddeutung erfolgt.

3 Denkbare aktuelle Beispiele aus dem politischen Bereich: Die Funktionalität gewisser Teile des deutschen Verfassungsschutzes in Bezug auf das rechtsradikale Milieu im Fall des »NSU«; oder die Rolle des EU-­Regionenausschusses in Brüssel usw.

Abb. 1: Ein Abbild der Nachhaltigkeitskriterien (Nachzeichnung nach Bächtold 1998, 5).

2. Ethischer Impetus des Nachhaltigkeitsbegriffes

Wie bereits in der Kritik der landläufigen Gleichgewichtsvorstellungen von Nachhaltiger Entwicklung gezeigt werden konnte, beruht der Diskurs bei den politischen Akteuren auf einer mehr oder weniger unausgesprochenen ethischen Forderung: dass die Gattung auch zukünftig in zivilisatorisch akzeptabler Weise existieren kann, wobei der Bereich des Akzeptablen gewiss einer Prüfung zu unterziehen sein wird. Alle Bestimmungen sind schon deshalb implizit ethisch, weil Nachhaltigkeit eine anthropozentrische Thematik ist und um den etablierten wie zu etablierenden Umgang der Menschen untereinander wie um die Beziehung zu ihrem gesellschaftlichen Stoffwechsel (Metabolismus) mit den planetarischen Ressourcen kreist.. Denn alle denkbaren Forderungen laufen auf die Verhältnisse der Menschen zueinander hinaus, wenn auch vermittelt über den Umgang mit der »Umwelt«, dem Planeten. Selbst eine denkbare, wenn auch absurde Position extremer Misanthropie, die das »Überleben« der Erde an das Verschwinden der Gattung knüpft, ist eben Negation von etwas, nämlich der Menschheit, bezieht sich also selbst in ihrer Ablehnung noch auf menschliches Dasein. Kurzum: Die anthropozentrische Selbstbezüglichkeit ist durch den Menschen nicht kündbar.

Im Folgenden wird zunächst die Virulenz der ethischen Dimension aus verschiedenen Perspektiven hergeleitet, bevor es näher um die Frage gehen soll, wie Ethik in Bezug auf Nachhaltigkeit gedacht werden könnte.

»The end is (not so) near!«

Alle Erwägungen sind in letzter Instanz am Maßstab des Menschen gemessen. Das ist nicht trivial, weil unsere naturwissenschaftliche Erkenntnis heute selbst bereits das Ende der Gattung in Folge kosmologischer Vorgänge antizipiert. Wie die moderne Kosmologie lehrt, wird der Sonne, wie jedem anderen Stern, der Stoff zur Kernfusion ausgehen; infolgedessen wird sie sich zunächst zu einem »Roten Riesen« ausdehnen, bevor sie in das Stadium eines »Weißen Zwergs« übergeht. Astronomen diskutieren unter anderem, ob die primäre Ausdehnung die Erdumlaufbahn überschreiten wird – vom anthropozentrischen Standpunkt eine etwas akademische Frage, denn auf dem Planeten wird es schon vorher ungemütlich:

»What will happen on the Earth itself? Ignoring for the moment the short-time-scale (decades to centuries) problems currently being introduced by climate change, we may expect to have about one billion years before the solar flux has increased by the critical 10 per cent mentioned earlier. At that point, neglecting the effects of solar irradiance changes on the cloud cover, the water vapour content of the atmosphere will increase substantially and the oceans will start to evaporate (Kasting 1988). An initially moist greenhouse effect (Laughlin 2007) will cause runaway evaporation until the oceans have boiled dry. With so much water vapour in the atmosphere, some of it will make its way into the stratosphere. There, solar UV will dissociate the water molecules into OH and free atomic hydrogen, which will gradually escape, until most of the atmospheric water vapour has been lost. The subsequent dry greenhouse phase will raise the surface temperature significantly faster than would be expected from our very simple blackbody assumption, and the ultimate fate of the Earth, if it survived at all as a separate body (cf. Section 4), would be to become a molten remnant.« (Schröder/Smith 2008, 159)

Der »Doomsday« ist nach Dafürhalten der einschlägigen Forschung bestätigt: In 7,59 Mrd. Jahren (+/- 0,05 Mrd.) erreiche die Ausdehnung des Roten Riesen die Umlaufbahn der Erde. Aber Forscher wären keine Forscher, wenn sie nicht auch über Möglichkeiten der Rettung nachdächten. Energetisch unaufwendiger als die übliche Science Fiction eines Exodus im Raumschiff erscheint die Verwandlung des Planeten in ein Gefährt, indem die Umlaufbahn eines massemäßig geeigneten Asteroiden manipuliert wird, um mithilfe seiner Gravitation eine sukzessive Vergrößerung des Abstands zur Sonne zu erreichen …

Um diese Größen in Relation zu setzen: Das Alter der Erde wird zwischen 4,44 bis 4,51 Mrd. Jahre errechnet (Rudge/Kleine/Bourdon 2010), die ältesten Zirkon-Kristalle der Erde aus den Jack Hills in Westaustralien bringen es auf 4,3 Mrd. Jahre (Röhrlich 2010). Die Urahnen des Menschen tauchen dagegen »erst« vor etwa 4,5 Mio. Jahren auf.

Der Weltuntergang ist also zeitlich weiter entfernt als die Menschheit (im weitesten Sinne), ja gar die Erde existiert. Die Zurückweisung einer Relevanz des »Doomsday« auf die Dimension der Ethik bezieht ihre Kraft aus dem unausgesprochenen Urteil, 7 Mrd. Jahre seien ein zu großer Zeitraum, um dem künftigen Ereignis in der Gegenwart Bedeutung zuzumessen. Ohne Zweifel liegen 7 Mrd. Jahre unvorstellbar weit entfernt in der Zukunft, aber das eigentliche Problem besteht in der Unmöglichkeit, zu begründen, ab welchem zeitlichen Abstand zur Gegenwart das Denken an zukünftige Generationen aufhören dürfte – wenn überhaupt. Zugespitzt ließe sich dann nämlich mit der gleichen Berechtigung formulieren: Warum sollen die gegenwärtig Lebenden überhaupt an das Wohlergehen bereits der nächsten Generation denken? Es ließen sich gewiss Beispiele für die Behauptung anführen, dass auch die Altvorderen sich wenig Gedanken um spätere Generationen gemacht hätten. Schon in der Gegenwart lebt der relativ reichere Teil der Weltbevölkerung, als ob die Erde gleich mehrere Male zur Verfügung stünde. Böden, Ozeane und Atmosphäre verwandeln sich unter der Hand einer emsigen Minderheit in Sphären mit zukünftigem Gefährdungspotenzial für die Menschheit. Prominent als der Teil der Umwelt, der die Gattung vom lebensfeindlichen Weltraum trennt und alles unter sich mit ungeheuren Kräften wandelt, ist die Atmosphäre und ihr Zustand: das Klima.

Die Geltungsbedingungen ethischer Argumentationen

Verglichen mit diesen Spekulationen wirken die Einlassungen zum »Climate-Engineering« (CE), mit denen die menschengemachte Klimaerwärmung kompensiert werden soll, wie ein höchst realistisches Szenario: Im Kern geht es dabei um zwei Ansatzpunkte, das symptomatische Management der Sonneneinstrahlung (Radiation Management, RM) und die ursächliche Rückführung von »überschüssigem« Kohlendioxid aus der Atmosphäre (Carbon Dioxide Removal, CRM). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gab eine Bestandsaufnahme der Debatte zu Climate Engineering in Auftrag, der sich 2011 sechs Projektteams unter Federführung des Kiel Earth Institute widmeten. Wie sich zeigt, erweisen sich auch technologiegetriebene Ansätze in vielfältiger Weise als schwierig:

»Selbst wenn ein Teil dieser Unsicherheiten über die Wirksamkeit und Nebenwirkungen durch weitere Erforschung des Erdsystems reduziert oder gar beseitigt werden kann, macht die Komplexität des Erdsystems Aussagen über die Wirkung und Nebenwirkungen von CE-Maßnahmen, gerade auf regionaler Ebene, schwierig. Auch zukünftige Forschungsanstrengungen im Rahmen von Modellrechnungen und Feldversuchen werden daher kein risikofreies Climate Engineering ermöglichen. Diese allgemeinen Überlegungen treffen natürlich, ganz unabhängig von CE, ebenso auf den anthropogenen (menschengemachten) Klimawandel zu: Auch dessen globale und insbesondere regionale Auswirkungen sind im Detail schwierig vorherzusagen. Damit werden klimapolitische Entscheidungen auch in Zukunft die Abwägung von Risiken und Unsicherheiten erforderlich machen.« (Rickels/Klever/Dovern 2011, 10)

Betz/Cacean stellen in ihrer Teilforschung zur Frage der ethischen Implikationen fest:

»Die CE-Kontroverse wird vor dem Hintergrund massiver Unsicherheiten geführt. Diese Wissensgrenzen betreffen nicht nur die Nebenfolgen der Erforschung und des Einsatzes, sondern bereits die Effektivität der verschiedenen Methoden. Dementsprechend ziehen sich risikoethische Überlegungen quer durch mehr oder weniger alle Argumente der Debatte. Eine zentrale Frage besteht dabei darin, wie überhaupt rationale Entscheidungen trotz massiven Unwissens getroffen werden können. Die Argumente, in denen dieses Problem virulent wird, werden dabei so rekonstruiert, dass sie von Varianten des Vorsorgeprinzips Gebrauch machen.« (Betz/Cacean 2011, 55)

Die Virulenz der ethischen Dimension ist also unabweisbar; die Frage ist daher, wie eine Annäherung an diese Ebene möglich ist. Die ethische Teilstudie der o. g. Bestandsaufnahme beispielsweise bietet eine 127 Seiten starke Analyse auf der Ebene der Argumente in ihrer verwirrenden Vielzahl auf, doch unterlässt sie am Ende die ethische Synthese selbst, sprich: die Antwort auf die Frage, ob die Industrienationen Climate Engineering praktizieren sollen