Der Rosenpavillon - Lulu Taylor - E-Book
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Der Rosenpavillon E-Book

Lulu Taylor

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Beschreibung

Nichts wirft so lange Schatten wie eine Liebe, die nicht sein darf: der große romantische Frauenroman Als Cressida dem Maler Ralph Few begegnet, verliebt sie sich sofort in ihn. Aber er ist verheiratet – mit der schönen Catherine. Cressie gerät in eine gefährliche Dreiecksbeziehung, aus der sie mit Ralph auf ihren Familiensitz flüchtet. Aber Catherine lässt sie nicht los… In der Gegenwart ist es das perfekte Leben von Emily Conway, das durch einen schrecklichen Unfall auseinanderbricht. Nichts bleibt ihr außer einem Vermächtnis, einem Haus im Lake District. Doch dort warten beunruhigende Geheimnisse auf sie. Was muss sie tun, damit ihr ein Neuanfang gelingt?

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Seitenzahl: 618

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LULUTAYLOR

DER ROSENPAVILLON

Roman

Aus dem Englischen von Christiane Winkler

FISCHER E-Books

Inhalt

WidmungERSTER TEILErstes KapitelZweites KapitelDrittes KapitelViertes KapitelFünftes KapitelSechstes KapitelSiebtes KapitelAchtes KapitelNeuntes KapitelZehntes KapitelElftes KapitelZwölftes KapitelZWEITER TEILDreizehntes KapitelVierzehntes KapitelFünfzehntes KapitelSechzehntes KapitelSiebzehntes KapitelAchtzehntes KapitelNeunzehntes KapitelZwanzigstes KapitelEinundzwanzigstes KapitelZweiundzwanzigstes KapitelDreiundzwanzigstes KapitelVierundzwanzigstes KapitelDRITTER TEILFünfundzwanzigstes KapitelSechsundzwanzigstes KapitelSiebenundzwanzigstes KapitelAchtundzwanzigstes KapitelNeunundzwanzigstes KapitelDreißigstes KapitelEinunddreißigstes KapitelZweiunddreißigstes KapitelDreiunddreißigstes KapitelVIERTER TEILVierunddreißigstes KapitelEpilogDanksagung

Für James Crawford

ERSTER TEIL

Erstes Kapitel

 

GEGENWART

»Emily, hörst du mir zu?«

»Ja, ja … natürlich.« In Wirklichkeit hatte sie kein bisschen zugehört. Will saß am Steuer und redete, sie saß neben ihm und dachte an Carrie.

Es wird ihr schon gutgehen, dachte sie und versuchte ein Unbehagen zu unterdrücken. Die Babysitterin schien nett zu sein, sie hatte ihr versprochen, Carrie noch etwas Paracetamol zu geben, falls sie nicht schlafen könnte. Trotzdem wäre es schön gewesen, wenn Paula Zeit gehabt hätte. Paula konnte gut mit Carrie umgehen.

Emily fröstelte ein wenig, sie sah an ihrem Abendkleid herunter: ein kurzes ärmelloses, tief ausgeschnittenes Seidenteil, das ihr Dekolleté umschmeichelte. Sie hatte es schon mindestens ein halbes Dutzend Mal zu Wills Geschäftsessen getragen und bei einer Wohltätigkeitsgala und ihrem Geburtstagsdinner im Savoy.

Doch für heute Abend war es zu leicht. Ich hätte mir eine Jacke drüberziehen sollen. Mir wird kalt werden. Oje. Arme Carrie, sie hatte blass ausgesehen.Vielleicht hätte ich doch lieber zu Hause bleiben sollen.

Aber das hätte Will nicht akzeptiert, und jetzt war es sowieso zu spät. Der Wagen schob sich im dichten Verkehr langsam Richtung Autobahn, und im Meer der vielen Lichter spielten die Ampeln ihr eigenes rot-grün-gelbes Farbenspiel. London funkelte, an den Laternenmasten glitzerten Glocken, Sterne und Engelsflügel über dem langsam dahinkriechenden Verkehr, der sich zäh seinen Weg durch die Adern der Stadt bahnte, über die matschigen Reste zwei Tage alten Schnees.

Sie stellte sich die bevorstehende Party bei Sophie und Alex vor. Die beiden veranstalteten immer üppige Feste: von Kellnern wurden Cocktails und Appetithäppchen herumgereicht, ein Catering für etwa dreißig Gäste, dazu reichlich Wein, danach ein wenig Tanz, bevor die Taxis kamen und alle wieder nach Hause brachten. Sie freute sich darauf, endlich mal wieder tanzen zu können und Spaß zu haben.

Ich war schon ewig auf keiner schönen Party mehr. Aber zuerst muss ich die Babysitterin anrufen und fragen, wie es Carrie geht. Sonst kann ich mich nicht entspannen.

Das Leben war in letzter Zeit ein wenig langweilig geworden. Jeden Abend verbrachte sie damit, die Kinder ins Bett zu bringen und darauf zu warten, dass Will von der Arbeit kam. Dann aßen sie vor dem Fernseher, weil Will zu müde war, um viel zu reden. Er wirkte in letzter Zeit ständig besorgt, zwischen beherrschter Erregung und mürrischer Unzufriedenheit schwankend.

Alle mussten mehr als sonst auf Zehenspitzen gehen, um ihn nicht zu provozieren. Selbst die Kinder schienen zu wissen, dass ein verschüttetes Glas ihn zu einer fürchterlichen Schimpftirade treiben konnte, also waren sie still und sahen ihn nur mit großen Augen an. Emily wusste aus Erfahrung, dass er oft während des Endspurts am Ende des Jahres so war, doch diesmal schien er gereizter als sonst. Sie musste all ihre Kraft aufbringen, um zuerst ihn und dann die Kinder zu besänftigen und so viel seiner Anspannung wie möglich abzufangen. Manchmal wachte sie mitten in der Nacht auf und spürte, dass Will hellwach neben ihr lag, und sie konnte das Surren der Rädchen in seinem Gehirn förmlich hören. Dann rollte sie zu ihm hinüber, umarmte ihn und hoffte, ihn mit ihrer Nähe zu beruhigen. Manchmal funktionierte das, doch meistens drehte er sich mit einem genervten Seufzer weg, dann musste sie ihn sich selbst überlassen, und er starrte weiter in die Dunkelheit, während sie wieder einschlief.

Ein wenig Unterhaltung und ein paar Drinks werden uns guttun. Sie sah zu ihrem Mann hinüber, er schwieg nun und konzentrierte sich auf eine Straßenkreuzung. Warum hat Will beschlossen, heute Abend zu fahren? Er wird nicht viel trinken können. Vielleicht hat er Angst, dass wir uns auf der Rückfahrt mit den Watsons ein Taxi teilen müssen.

Sobald sie die Kreuzung hinter sich hatten, sagte Will: »Emily, bitte, es ist wichtig.«

»Ich höre zu«, beteuerte sie.

Ein Autofahrer auf der Spur neben ihnen signalisierte seine Absicht, sich vor ihnen reinzudrängeln. Will murmelte etwas Sarkastisches und machte ein wütendes Gesicht. Im orangefarbenen Licht der Straßenlaternen wirkten seine Wangen unerwartet hohl. Einen Augenblick lang sah er aus wie ein Fremder und nicht wie ihr Will. Wenn sie so darüber nachdachte, fielt ihr auf, dass sein Gesicht in letzter Zeit schmaler geworden war. Aber natürlich sah er nicht mehr wie vor sechs Jahren aus, als sie geheiratet, oder vor zehn Jahren, als sie sich kennengelernt hatten.

Zehn Jahre, überlegte sie verblüfft. Wie war es nur möglich, dass so viel Zeit vergangen war? Dabei war es ja klar: Sie hatten zwei Kinder bekommen, waren zweimal umgezogen und lebten ihren Alltag, der sie jeden Tag ein kleines bisschen veränderte, ohne dass ihr das immer bewusst war. Als sie Will kennenlernte, hatte er rotblondglänzendes Haar gehabt, doch seitdem war es zunehmend matter geworden und hatte sich nun zu einem graugesprenkelten Braun gewandelt, ohne dass ihr die Veränderung aufgefallen wäre. Zudem trug er es sehr kurz, um den dürftigen Haarwuchs zu kaschieren. Die Falten in seinem Gesicht hatten sich vertieft, zwischen seinen Augenbrauen hatte sich eine dauerhafte Furche eingegraben. Aber das steht ihm gut. Er wirkt immer noch jung – jedenfalls auf mich.

Sie sah sich einen Augenblick das Profil ihres Mannes an, seine gerade lange Nase und das markante runde Kinn. Sein Gesichtsausdruck wirkte stark und entschlossen. Von Anfang an schien Will stets zu wissen, in welche Richtung er gehen und was er tun musste. Er hatte stets einen Plan, eine Vorstellung davon, wo er in ein paar Jahren stehen würde. Sie ließ ihn vorangehen, ihn entscheiden, was das Beste war, ließ ihn, ohne zu zögern, den Kurs angeben, wo auch immer er sie hinführte. Schließlich bezahlte Will mit seinem Job als Finanzchef eines Hedgefonds die Rechnungen, den Hauskauf und alle Annehmlichkeiten, die sie brauchten. Es war also nur recht und billig, dass seine Arbeit Vorrang hatte. Ihr Teil der Abmachung war, dass sie sich um die Familie und das Haus kümmerte und so gut wie möglich den Alltag meisterte, mit der Aussicht, wieder zu arbeiten, sobald die Kinder älter wären.

»Emily, hast du gehört, was ich gesagt habe?«, fragte Will gereizt. Ihr wurde klar, dass er wieder etwas gesagt und sie ihm schon wieder nicht richtig zugehört hatte. Immerhin bewegten sie sich jetzt vorwärts, die zweispurige Straße brachte sie langsam zur dreispurigen Autobahn. Die Lichter der Stadt entfernten sich, während der Wagen in die vor ihnen liegende Dunkelheit fuhr. Große Straßenlaternen beugten sich in Abständen wie seltsame Riesen über die Schnellstraße, vor ihnen flackerten rote Rücklichter von Autos auf, weiße Scheinwerfer zogen blitzend an ihnen vorbei. Emily war froh, dass Will am Steuer saß. Die sich bewegenden Lichter, die sich erbarmungslos von hinten näherten und sie im Rückspiegel blendeten, verwirrten und ängstigten sie – all die Strahlen, Lichter und Scheinwerfer, die durch die Dunkelheit schnitten.

»Emily?« Wills Stimme klang tief und eindringlich.

»Tut mir leid …« Warum bin ich nur so abgelenkt? Ich muss mich konzentrieren. Was hat er gesagt? Irgendwas über die Arbeit … Ein paar Worte, die er gerade gesagt hatte, klangen in ihr noch nach. »Macht Vlady dich wieder fertig?«, sagte sie und tat, als hätte sie ihm zugehört. »Was sagt Helen eigentlich dazu?«

Dem folgte eine Pause, Anspannung lag in der Luft. Will starrte durch die Windschutzscheibe in die Dunkelheit, sein Blick wurde immer strenger. »Hörst du mir überhaupt mal zu, Emily?«, fragte er knirschend.

»Natürlich!«, sagte sie reumütig. »Tut mir leid, in letzter Zeit habe ich so viel um die Ohren. Bald ist Weihnachten, ich habe noch unzählige Dinge zu erledigen. Das Weihnachtslied in der Schule steht an, und aus irgendeinem wahnwitzigen Grund habe ich auch noch versprochen, mich um den Mince-Pie- und Glühweinstand zu kümmern.«

»Weihnachten«, sagte Will, seine Stimme klang seltsam hohl. »Das hätte ich beinahe vergessen.«

»Vergessen?« Emily lachte ungläubig. »Wie kannst du das vergessen? Es ist allgegenwärtig.«

Aber hier nicht, wurde ihr klar. Plötzlich war Weihnachten verschwunden. Auf der Autobahn gab es keine Dekoration, keine Lichterketten oder baumelnden Weihnachtskugeln. Keine Weihnachtslieder. Keinen Duft von Zimt und Gewürzen. Nur den Ernst der hohen Geschwindigkeit.

»Also«, wagte sie noch einmal zaghaft. »Geht es um Vlady?«

Vlady war der russische Geschäftsmann, dem der Hedgefond gehörte, für den Will arbeitete. Er war berüchtigt für sein Temperament und neigte zu cholerischen Anfällen. Sie waren ihm dankbar, dass er Will einen Job gegeben und ihm die wichtige Position des Finanzchefs übertragen hatte, doch sein launenhaftes Wesen und dass er es ablehnte, sich selbst auch an Regeln halten zu müssen, führte immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen und Streit im Team.

»Gewissermaßen.« Wills Fingerknöchel verfärbten sich weiß, als er seine Hände um das Lenkrad krallte. Der Verkehr war nun flüssiger, sie rasten links an den langsam fahrenden Autos der mittleren Spur vorbei.

»Was ist los mit ihm? Wieder Streit mit Natalia?«, sagte Emily und versuchte, die Atmosphäre etwas aufzulockern; sie hatte mit Will oft über das Verhältnis seines Chefs zu seiner Frau gelacht, das von Dramen, Abgründen, Drohungen und theatralischen Versöhnungsszenen geprägt war.

»Wenn du mir zugehört hättest, wüsstest du es«, antwortete Will kurz angebunden. Seine Stimme wurde zunehmend flacher und ausdrucksloser. »Ich habe gesagt, dass Vlady in letzter Zeit nicht mehr er selbst ist. Ehrlich gesagt haben wir ihn seit Tagen nicht mehr gesehen.«

»Vielleicht ist er über die Feiertage weggefahren? Zum Skifahren oder so?«

»Ich weiß es nicht. Wir wissen nicht, wo er hingefahren ist. Das ist es ja. Ich habe dir gerade erzählt, dass ich Vlady zum letzten Mal gesehen habe, als er mich wegen der Zahlen bei dem Kommer-Investment angeschnauzt hat. Er hat behauptet, ich hätte einen Fehler gemacht. Was nicht stimmt. Ich konnte ihn aber nicht vom Gegenteil überzeugen.«

»Ist ja merkwürdig«, sagte Emily, sie sah zu Will hinüber und machte sich plötzlich Sorgen um ihn. Er hatte sich stets etwas darauf eingebildet, dass er gut mit Vladys Launen umgehen konnte und immer als Erster über alles informiert wurde. »Normalerweise kann man ihn doch umstimmen. Ihm beweisen, wo er sich irrt.«

»Ich weiß. Aber diesmal nicht.«

»Und nun?« Angst kroch in ihr hoch. Versucht er, mich auf etwas vorzubereiten?

»Um Himmels willen, Emily.« Er schloss einen Moment die Augen, und ihr wurde klar, dass sie mit über hundertdreißig Stundenkilometern über die Autobahn jagten.

O mein Gott, dachte sie, und ihre Angst stieg weiter. Er fährt zu schnell. »Fahr etwas langsamer, Liebling«, sagte sie und versuchte, ruhig zu klingen. Darum war er in letzter Zeit also so genervt gewesen. Was war bloß los? War er gefeuert worden? Ihre ganze Zukunft schoss ihr mit einem Schlag durch den Kopf: Will arbeitslos, kein Einkommen, Schwierigkeiten bei der Suche nach einer neuen Arbeit. Rechnungen, die bezahlt werden müssten, Streit wegen Geld, Einkäufe auf Kreditkarte. Vielleicht musste sie wieder als Grundschullehrerin arbeiten, während Will hoffnungslos und ohne Arbeit auf die Kinder aufpasste und stundenlang im Internet nach Jobs suchte. Aber wir würden es schaffen, dachte sie, wir würden schon zurechtkommen. Es würde schwer werden, aber wir würden es schaffen. Zumindest fiele dann ein wenig von dem schrecklichen Druck weg, dem wir momentan ausgesetzt sind.

In dem Augenblick, als ihre Zukunft vor ihren Augen vorbeizog, öffnete Will wieder die Augen und fuhr langsamer. Der Tachometer hatte die Hundertfünfzigmarke berührt. Jetzt stellte sie mit Erleichterung fest, dass er sich wieder bei hundertdreißig einpendelte.

»Also«, sagte er, seine Stimme klang jetzt ruhiger, »wir haben seit vier Tagen nichts mehr von Vlady gehört. Rein gar nichts. Keinen Kontakt. Sein Telefon ist stumm. Seine Mails bleiben unbeantwortet. In seinem Haus geht auch niemand dran, auch nicht sein Fahrer oder sein Pilot oder sonst wer.«

»Oh«, sagte Emily und sah sich wieder das Profil ihres Mannes an, als könnte sie ihm die Antwort an der Nasenspitze ansehen. »Hast du versucht, Natalia zu kontaktieren?«

»Ja. Natürlich. Aber sie ist auch spurlos verschwunden.«

»Oh.« Emily wandte wieder ihren Blick ab und sah auf die weißen Seitenstreifen der Fahrbahn, die in der Ferne zusammenliefen und in der Dunkelheit verschwanden. »Und … was hast du jetzt vor?«

»Helen hat heute beschlossen, dass wir Nachforschungen anstellen, um wieder die Kontrolle über die Lage zu gewinnen, nachdem wir so lange keinen Kontakt mehr mit dem Chef hatten. Sie sprach von einem eventuellen Worst-Case-Szenario und der Tatsache, dass wir nicht den Untergang des Schiffes abwarten dürften, nur weil der Kapitän von Bord gegangen sei. Aber sie gehört erst seit sechs Monaten zum Team und kennt Vlady noch nicht so gut wie wir. Wir beiden anderen wissen, dass er aus allem gleich ein Drama macht. Vielleicht hat er sich mit Natalia gestritten, ist zur Wiedergutmachung in irgendein Feriendorf auf Bali geflogen und hat die Handys ausgemacht.« Wills Kieferknochen spannten sich. »So hab ich’s mir jedenfalls eingeredet.«

Eingeredet?

»Und was hat Helen gemacht?«, wagte Emily zu fragen. Sie bemerkte, dass sie ihre Hände auf dem Schoß zusammenpresste und sie sich auf der schwarzen Seide heiß anfühlten.

»Sie ist einfach in Vladys Büro spaziert, hat die Jungs von der Technik gerufen und sie angewiesen, mal in seinen Rechner zu schauen, damit wir uns ein Bild von der Lage machen können. Sie hat das ganze System geknackt.«

»Und wisst ihr jetzt, was mit Vlady los ist?« Angst stieg wieder in ihr auf und machte sich in ihrem Magen breit. Sie konzentrierte sich ganz auf Will.

»Das müssen wir jetzt nicht wissen. Genau genommen ist es ziemlich egal. Vermutlich werden wir ihn nie wieder sehen.«

Eine unangenehme Kälte breitete sich auf Emilys Haut aus. Als sie wieder redete, klang es wie ein Flüstern. »Warum?«

Zum ersten Mal blickte Will kurz zur Seite und sah sie an. Diese Augen – ein warmes Haselnussbraun, wenn er glücklich war, kühles Grün, wenn er wütend wurde oder ihm elend zumute war. Doch hier in der Dunkelheit konnte sie seine Augenfarbe nicht erkennen. Wie oft schon war sie von der Schönheit seiner Augen, den mandelfarbenen Schattierungen und den dunklen Wimpern, fasziniert gewesen, wenn er sie ansah? Jetzt wurde ihr klar, dass seine Augen in letzter Zeit immer grün gewesen waren.

Will blickte wieder auf die Straße und sagte mit bleierner Stimme. »Seit ein oder zwei Monaten räumt Vlady systematisch das Kapital ab. Er hat es uns allen verschwiegen, selbst mir.« Er lachte dumpf. »Du kannst dir vorstellen, was das für meine Referenzen als Finanzchef bedeutet. Welcher Idiot bitte bekommt nicht mit, dass kein Kapital mehr vorhanden ist?« Dem folgte eine Pause, er atmete kurz durch, während sich für Emily die Welt auf einen Abgrund zubewegte – hier die Normalität, und dort lauerte der Schrecken. Sie wollte ihn davon abhalten weiterzusprechen, als könnte somit alles wieder in Ordnung kommen, aber noch bevor sie Luft holen oder ihren Mund aufmachen konnte, fuhr er unerbittlich fort. »Es ist vorbei. Alles ist futsch. Alles, verdammt nochmal. Er hat offensichtlich irgendeinen furchtbaren Mist gebaut – ich meine, irgendeinen Anfängerquatsch, so wie junge Händler, die Milliarden verschleudern, um einen Millionenverlust zu vertuschen. Ich weiß nicht mal, wie er das angestellt hat, was ihn dazu getrieben hat, nach jahrelangem Aufbau des Fonds, der Kundenwerbung, der Investoren alles zu verschleudern. Ausgerechnet jetzt, wo wir kurz davorstanden, den richtig großen Fisch an Bord zu ziehen …«

»Warte. Ich verstehe nicht ganz. Also …« Emily versuchte, sich ein Bild zu machen. Es fiel ihr schwer zu kapieren, was los war. Ihr Leben, wie es noch bis vor fünf Minuten gewesen war, schien nun unendlich weit entfernt zu sein von dem, was sie erwartete. »Du meinst … Vlady hat ein Verbrechen begangen?«

Will dachte darüber nach und sagte dann mit einem bitteren Lachen: »Weißt du was, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ja. Ich nehme an, dass es genügend Gründe gäbe, ihn anzuzeigen, das wird aber alles keinen Sinn haben. Er wird im Gefängnis enden – falls man ihn findet –, aber das Geld wird man nie finden. Niemand.«

Die dunkle Straße schoss verschwommen an ihnen vorbei, die roten Rücklichter vor ihnen leuchteten wie gefährliche Signalfeuer in der Ferne auf. Emily wusste, dass sie irgendwas fühlen sollte, doch sie war wie betäubt. Ihre Angst hatte sich in Stille verwandelt, als dürfte sie nicht reagieren, bevor sie nicht alle Fakten und deren Auswirkung kannte. Nur ein Gefühl dumpfen Entsetzens schien über sie hereinzubrechen und Besitz von ihr zu ergreifen.

Furcht kroch ihr unter die Haut. »Und du? Kann man dich auch für irgendwas verantwortlich machen?«

»Ich habe keine Ahnung, was Vlad getan hat, um seine Spuren zu verwischen. Aber eines weiß ich, ich bin auch verantwortlich. Und zwar mehr, als du denkst.«

»Natürlich fühlst du dich verantwortlich, aber es ist nicht deine Schuld! Das kann gar nicht sein. Du hattest doch keine Ahnung, was Vlady im Schilde führte.«

»Ich hätte es wissen müssen.«

»Er hat dich hinters Licht geführt. Er hat dich hintergangen. Du hast ihm vertraut. Das ist doch kein Verbrechen.« Sie redete schnell und eindringlich auf ihn ein und versuchte verzweifelt, ihn davon zu überzeugen. Sie wusste, wie Will war, wenn ein Gedanke sich bei ihm erst einmal festgesetzt hatte. Ihr Onkel erzählte immer, was für eine Qual es war, die Mangoldwurzeln auf seinen Feldern herauszureißen. Genauso schwierig war es, Wills Gedanken aus seinem Kopf zu kriegen. »Will, dafür kann man dich nicht beschuldigen. Auch Helen weiß das. Jeder wird das wissen. Vlady ist schuld. Man wird ihn finden, dann wird er die Konsequenzen dafür tragen müssen. Er war schon immer eine tickende Zeitbombe, aber ich hatte ja keine Ahnung, dass er zu so etwas imstande gewesen wäre.« Sie streckte ihre Hand aus und legte sie auf seinen Oberschenkel. Er fühlte sich fest und muskulös an, von den vielen Stunden, die er im Fitnessstudio verbrachte. »Wir werden damit leben können. Wir haben Ersparnisse. Wir haben das Haus. Du wirst einen neuen Job finden, ich kann wieder arbeiten gehen, falls das Sinn macht und die Kinderbetreuung nicht zu teuer wird.«

»Ach, Emily.«

Seine Stimme klang so unglaublich traurig, dass ihr angst und bange wurde. »Was ist los? Ich weiß, es ist schrecklich, aber wir haben immer noch uns, wir haben die Kinder …«

»Du verstehst es nicht. Er hat mich betrogen. Er hat mir erzählt, es sei alles in bester Ordnung. Mehr noch. Er sagte, ich könne meinen Gewinn verdoppeln, wenn ich jetzt investiere. Er hat mich zum Abendessen eingeladen, hat mir die Unterlagen gezeigt, hat mir ein herrliches Bild von dem gemalt, was uns beide erwarten würde. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, erscheint es mir so dumm – dass wir in so einem irrsinnig teuren Restaurant in der Stadt bei Pol- Roger-Champagner und Kaviar saßen und darauf angestoßen haben, wie reich wir werden würden.« Wills Stimme wurde leiser und immer monotoner. »Ich habe ihm geglaubt. Ich habe ihm vollständig vertraut.«

»Was hast du gemacht?«, fragte sie, und die Angst bahnte sich langsam den Weg durch ihre Benommenheit. Ihr Herz begann wie wild zu hämmern. Sie spürte, dass sie sich dem Kern der Sache näherte.

»Ich habe alles genommen – einfach alles. Ich habe unsere Sparkonten abgeräumt. Ich habe unsere Rentenvorsorge verpfändet, die Aktien verkauft, alles, was ich in die Finger bekommen konnte. Ich habe das Haus, so weit es ging, refinanziert. Alle sorgfältig errichteten finanziellen Schutzwälle gegen Unbekanntes, die Mittel zur Vorsorge für die Kinder, die Absicherung für ihre Zukunft. Ich habe alles zusammengerafft … und es Vlad anvertraut.«

Die Welt um sie herum surrte und dröhnte. Bilder stiegen vor ihrem geistigen Auge auf, während sie durchging, was sie besessen hatten. Alle Sicherheitsnetze – das Haus (ohne Hypothek), die Ersparnisse … Dann kam ihr etwas in den Sinn; sie schaffte es, etwas zu sagen. »Mein … mein Erbe … das Geld, das Mom und Dad mir hinterlassen haben …«

»Weg«, sagte er jäh. »Auch das habe ich ihm gegeben. Ich dachte, ich könnte uns reich machen. Aber ich habe arme Leute aus uns gemacht. Wir haben nichts mehr, Emily. Es ist alles weg, restlos alles.«

Sie fühlte sich benommen, klammerte sich an ihren Sitz und hatte das Gefühl, dass ihr Kopf plötzlich zu schwer für ihren Nacken war. »Was … weg? Alles? Du meinst …« Sie hielt inne und versuchte, es zu begreifen. Vor einer Stunde hatte sie noch an ihrer Frisierkommode gesessen, ihren Schmuck herausgeholt und sich geschminkt, während sie der Babysitterin dabei zuhörte, wie sie den Kindern die letzte Gutenachtgeschichte vorlas, bevor das Licht ausgemacht wurde. Und obwohl sie sich um Carrie sorgte, war sie glücklich gewesen, auch wenn sie nicht genau gewusst hatte, warum.

Will fuhr unerbittlich fort, machte keinerlei Versuch, irgendetwas schönzureden, und schien wie von einem Panzer umgeben. »Ja, es ist alles weg. Ich bin arbeitslos. Und auf dem Konto ist gerade mal so viel Geld, um ein paar Monate die Hypothek zu bezahlen, ohne auch nur an die täglichen Einkäufe oder die Bezahlung irgendwelcher Rechnungen zu denken.«

»Wir verkaufen das Haus«, sagte sie verzweifelt. »Wir ziehen um.«

»Die Bank bekommt das Haus, dann bleiben uns aber immer noch genug Schulden.«

»Nein, nein, das kann nicht sein. Wir werden es verkaufen. Der Markt ist gesund genug. Wir werden …« Sie kniff die Augen zusammen und versuchte das Chaos auszublenden, das in ihrem Kopf zu explodieren drohte. Nichts? Mein Geld von Mom und Dad ist weg? Empörung dröhnte irgendwo in ihrem Kopf, ein furchtbarer Ärger schrie nach ihrer Aufmerksamkeit, doch dafür hatte sie jetzt keine Zeit, jetzt nicht. Zuerst musste sie ein Problem lösen. Aber was war überhaupt das Problem? Wir haben kein Geld, Will hat keinen Job, und vielleicht konnte man ihn sogar für Vladys Verhalten verantwortlich machen. Er hat alles vernichtet, alles, alles. Ein Teil ihres Verstandes dachte darüber nach, ihren Schmuck, den gesamten Krimskrams auf eBay zu verkaufen. Ein anderer Teil beklagte hingegen bereits den Verlust ihres ganzen Besitzes. Dabei … war das gar nicht das Problem, das es jetzt zu lösen galt. Im Grunde ging es um etwas ganz anderes.

Sie öffnete die Augen und sah Will an. Sie rasten wieder die Straße entlang, die Anzeige auf dem Tacho bewegte sich unaufhaltsam von hundertdreißig auf hundertfünfzig zu. Sie waren alleine auf der Straße, ihr Wagen raste auf der Überholspur durch die Nacht, dicht am Mittelstreifen der Fahrbahn entlang. Weit entfernt in der Dunkelheit vor ihnen flackerten die roten Rücklichter des Verkehrs auf, denen sie sich unaufhaltsam näherten. Will wandte langsam seinen Kopf und sah Emily an. In dem blauschwarzen Licht lag ein seltsamer Ausdruck in seinen Augen.

Er war in letzter Zeit so anders. Gar nicht wie der Will, den ich kenne. Wie lange schon? Wochen. Monate. Sogar länger … Sie wollte sich nicht eingestehen, wie lange das schon so ging. O Will, was ist mit dir passiert? Wann hast du dich so verändert? Warum habe ich nicht hinsehen wollen? Sie hatte plötzlich das intensive Bedürfnis, ihm zu versichern, dass er geliebt und gebraucht wurde; sie musste ihn von irgendeinem schrecklichen Abgrund wegzerren … aber wie lauteten die richtigen Worte?

»Es gibt kein Zurück mehr«, sagte er in trostlosem Ton, so dass ihr das Blut in den Adern gefror. »Wir sind ruiniert. Es ist vorbei.«

»Nein.« Panische Angst ergriff sie. »Vorbei? Es ist nicht vorbei.«

»Doch. Ich habe dich enttäuscht. Und die Kinder. Ich habe alle enttäuscht. Ich kann dem nicht ins Auge sehen, was uns bevorsteht, und dir kann ich das auch nicht zumuten.«

Sie spürte, wie der Wagen weiter dahinschoss. Der Tacho stieg auf hundertfünfzig und dann darüber hinaus. »Will«, sagte sie, voller Angst. »Bitte fahr langsamer. Was tust du da?«

Ihr wurde klar, dass er sie noch immer ansah. Seit wann hatte er nicht mehr auf die Straße gesehen? Der Tacho stieg auf über hundertfünfundfünfzig.

»Fahr langsamer! Schau, wo du hinfährst!«, schrie sie, ihre Stimme klang blechern vor Angst. Carrie!, dachte sie nur. Sie sah ihre Tochter schlafend unter der warmen Decke vor sich, die Stirn feucht vom Fieber. Joe! Der kleine Junge lag, mit dem Daumen im Mund, geschlossenen Augen und den langen Wimpern auf den weichen Wangen, in seinem Kinderbettchen. »Will, nicht!«

Er wandte seinen seltsam trüben Blick nicht von ihr ab. »Emily, es tut mir leid«, sagte er tonlos. Mit einer schnellen Bewegung der linken Hand riss er das Steuer herum. Sie spürte, wie der Wagen nach links ausschlug und sie nach rechts gerissen wurde, als sie über die mittlere Spur in die pechschwarze Dunkelheit rasten.

Sie öffnete den Mund und wollte schreien, doch da waren sie bereits von der Autobahn abgekommen. Überall um sie herum explodierten Geräusche in der Dunkelheit, sie rasten so unerbittlich dahin, dass sie nichts tun konnte, nur aufgeben.

Zweites Kapitel

 

1962

Bitte nicht wegfahren!

Als Cressie aus der Seitenstraße um die Ecke bog und gerade noch die dicke, rot gewölbte Rückseite des Busses sah, fing sie an zu rennen und hoffte inständig, die vielen Wartenden an der Haltestelle würden schon dafür sorgen, dass er so lange hielt, bis sie es geschafft hatte. Doch der Bus schien die Menge förmlich in sich hineinzusaugen, und immer wieder waren ihr Leute auf dem Gehsteig im Weg oder schienen mutwillig zu verhindern, dass sie den Bus noch erreichte.

Verdammt! Ich muss ihn kriegen. Ich darf Papa nicht warten lassen. Und wenn ich mein Leben riskiere.

Sie rannte um die Fußgänger herum, die ihr den Weg versperrten, und hielt sich mit einer Hand den Hut auf dem Kopf, doch dann hörte sie das brummende Geräusch des Busmotors und sah sein dickes Hinterteil, das sich wie ein großes, schwerfälliges Tier auf einen Sprung vorbereitete.

»Anhalten, bitte!«, schrie sie und hoffte, ein barmherziger Fahrer möge sie sehen und noch einen Moment länger warten, doch ihre Stimme verlor sich im Straßenlärm, niemand hörte sie. Der Bus löste sich vom Bordstein.

Ach, Mist! Sie verlangsamte ihren Schritt und keuchte, doch dann packte sie wilde Entschlossenheit. Nein, ich gebe nicht auf. Ich erwische den Bus noch! Als der Bus davonrumpelte, aber zu schwerfällig war, um zügig zu beschleunigen, rannte sie wieder los. Sie hatte ihn fast eingeholt, die Rampe war verlockend nah, sie wollte gerade die Hand ausstrecken und die Stahlstange packen, um an Bord zu springen, als er plötzlich Gas gab.

Bleib stehen, du hast ihn verpasst, dachte sie, ihre Brust brannte und ihr Herz pochte wild. Dann entdeckte sie plötzlich eine hochgewachsene Gestalt auf der Rampe und eine Hand, die sich nach ihr ausstreckte.

»Kommen Sie!«, drängte eine Stimme. »Sie schaffen das!«

Als müsste sie gehorchen, fing sie wieder zu rennen an, machte ihren Arm lang und packte die Hand, die sich ihr entgegenstreckte. Sie schloss sich um ihre, lange Finger ergriffen ihr Handgelenk, und während sie zur Rampe hochsprang, zog der Fremde an, und sie flog fast schwerelos nach oben, als hätte sie plötzlich vom Boden abgehoben. Im nächsten Augenblick landete sie atemlos und erleichtert auf der Rampe des Busses, der sich seinen Weg nach Picadilly bahnte.

»Danke«, keuchte sie und blickte zu ihrem Helfer auf. Er ließ ihr Handgelenk wieder los, sie zog ihre Hand weg.

Zwei tiefliegende graue Augen sahen mit einem bläulichen Funkeln belustigt auf sie herab. Sie blinzelte ihn an und fragte sich, ob sie diesen Mann irgendwie kannte, denn er kam ihr seltsam vertraut vor: die helle Gesichtsfarbe, die feinen Gesichtszüge und die hohe Stirn, über die ein Schwung braunes Haar fiel. Ich kenne ihn nicht. Ich bin mir sicher.

»Gern geschehen«, sagte er mit tiefer, melodischer Stimme. »Offensichtlich haben Sie es eilig.«

»Ja … ja.« Sie hatte das Bedürfnis, ihm genau zu erklären, weshalb sie den Bus erwischen musste, aber dann sah sie doch ein wenig verlegen weg. Es war nicht nötig. Und warum sollte er sich dafür interessieren? Sie bahnte sich ihren Weg durch den Bus, doch unten waren alle Sitze besetzt, und ein korpulenter Mann im Regenmantel stand ihr im Weg, er hielt sich mit einer Hand an einem Ledergriff fest, der von der Decke baumelte.

»Oben ist auch kein Platz mehr frei«, sagte da ihr Retter. »Ich war gerade auf dem Weg nach unten, als ich gesehen habe, dass Sie Ärmste dem Bus hinterherliefen. Haben Sie es weit?«

»Nein«, sagte sie, immer noch ein wenig außer Atem. Ihre Wangen fühlten sich warm an. »Ich fahre nur bis Pall Mall.«

Verwundert sagte er: »Zu Fuß wären Sie vermutlich früher dort, so wie Sie unterwegs waren.« Durch den offenen Spalt an der Rampe, auf der sie standen, blickte er auf die Straße hinaus. »Sehen Sie, wir stehen schon wieder an einer Ampel.«

Sie wollte ihm erklären, dass der Bus trotzdem schneller war, hatte aber das dumpfe Gefühl, dass er sich über sie lustig machte, also sagte sie nichts. Während er auf die Straße hinaussah, betrachtete sie ihn verstohlen. Auf den ersten Blick war nichts Ungewöhnliches an ihm: Er war vielleicht ein wenig zu blass, aber sein Gesicht war ansonsten unscheinbar, bis man es sich ein wenig näher ansah. Die Wangen wirkten leicht eingefallen, was die hohen Wangenknochen, seine gerade Stirn und die gerade Nase hervorhob. Es wirkte irgendwie elegant, und das Leuchten in seinen Augen verlieh ihm ein intelligentes und sensibles Aussehen. Erst jetzt, während sie so nah bei ihm stand, sah sie die Form seiner Augen, die grün- und goldfarbenen Tupfer im Grau der Iris, umrandet von dunklen Wimpern.

Er sieht gut aus, überlegte sie, war aber sogleich überrascht, dass sie überhaupt so etwas dachte, und wandte ihren Blick ab für den Fall, dass er bemerkt hatte, wie sie ihn anstarrte.

Der Schaffner stieg die Treppe herunter und verlangte das Fahrgeld. Als er zu ihnen auf die Plattform kam, mussten sie noch näher zusammenrücken. Cressie bezahlte ihr Ticket, und er ließ die Fahrkarte aus der Büchse, die um seinen Hals hing, genau in dem Moment, als der Bus an der nächsten Haltestelle hielt. Im Gedränge der zusteigenden Fahrgäste wurde sie an dem Mann mit dem Regenmantel vorbei- und in die Tiefen des Busses geschoben. Jemand stand auf und bot ihr seinen Sitz an, doch sie lehnte leicht atemlos ab: »Nein … nein danke, ich steige gleich wieder aus.« Ihr Helfer war jetzt nicht mehr zu sehen, sie sah nur noch ein Stück seines beigefarbenen Regenmantels aus Gabardine und seine Hand mit den langen schlanken Fingern, die sich um die Stange schlangen. Die Finger, die sich noch vor ein paar Minuten um ihr Handgelenk geschlungen hatten. Ihre Haut schien zu brennen, wo er sie berührt hatte.

Du bist albern, sage sie sich selbst. Außerdem ist da noch Adam.

Adam machte ihr schon seit ein paar Wochen den Hof, seit sie bei der Dinnerparty der Robertsons neben ihm gesessen hatte. Als Jurastudent im Inner Temple stand ihm eine vielversprechende Zukunft bevor, und Cressie war sich sicher, dass ihr Vater hocherfreut wäre über diesen Verehrer. Er war nett, und sie versuchte, großzügig zu sein, doch über sein Aussehen konnte sie einfach nicht hinwegsehen. Er war unattraktiv, basta. Sie fand ihn kein bisschen anziehend, auch wenn sie sich Oberflächlichkeit vorwarf, weil sie nicht auf seine inneren Werte reagierte, sondern hauptsächlich auf sein äußeres Erscheinungsbild.

Wenn sie Schuldgefühle hatte, weil sie so oberflächlich war, dachte sie manchmal an die arme Alicia Bond, der auf Bällen oder Partys kein junger Mann Aufmerksamkeit schenkte, weil sie das Aussehen ihres Vaters geerbt hatte. Die Tatsache, dass sie auch das freundliche Wesen ihrer Mutter hatte, interessierte keinen. Es herrschte offensichtlich eine Doppelmoral, wonach Mädchen nach ihrem Gesicht und Jungs nach ihrer Intelligenz und ihren Zukunftsaussichten beurteilt wurden.

Du bist schon genauso schlimm. Sieh dich an, du lässt dich von dem guten Aussehen eines Mannes beeindrucken, über den du nichts weißt.

Während sie sich an einem Griff festhielt, versuchte sie erneut, einen Blick auf ihn zu werfen. Der Bus rumpelte zum Picadilly Circus und brachte sie aus dem Gleichgewicht, so dass sie an ihre Mitfahrer stieß, dann hielt er an einer Ampel und fuhr kurz darauf, als die Ampel auf Grün sprang, weiter. Es ging scharf um eine Kurve, so dass sie sich kräftig gegen die Fahrtrichtung stemmen musste. Sie fragte sich, ob er noch da war, doch sie sah nicht einmal mehr seinen Arm an der Stange. Als sie sich ihren Weg durch das überfüllte Unterdeck des Busses bahnte, um am Haymarket auszusteigen, war er verschwunden. Er war irgendwo ausgestiegen, und sie hatte es nicht bemerkt.

Oh. Sie war enttäuscht, auch wenn sie nicht genau wusste, was sie sich eigentlich erhofft hatte. Er war bereits irgendwo unterwegs und vergrößerte mit jedem Schritt die Entfernung zwischen ihnen. Dann warf sie einen Blick auf die Uhr über dem Theatre Royal. Nur noch fünf Minuten bis zum Treffen mit Papa. Sie rannte über die Straße, wich Autos, Kleinlastern und knarrenden Motorrädern aus und eilte die Pall Mall hinunter.

Die Mitarbeiter des Clubs kannten sie schon. Der Mann in Uniform mit Goldknöpfen nahm ihr Mantel und Hut ab und sah sie mitfühlend an, während sie sich die Haare glattstrich und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Sobald sie sich gefangen hatte, ging sie zum grünen Speisezimmer. Weibliche Gäste waren nur hier geduldet: auf dem Stück Flur mit Marmorboden vom Eingang zum Speiseraum und in diesem grüngoldenen Raum mit leuchtenden Kristallkronleuchtern und großen Ölgemälden an den Wänden. Der restliche Teil des Clubs war den männlichen Clubmitgliedern vorbehalten, aus einem Raum stieg ihr ein Hauch von Zigarrenrauch und Whisky in die Nase, aus einem anderen der muffige Geruch von Büchern und Zeitungen, der erahnen ließ, was dem Blick verborgen blieb. Es interessierte sie auch nicht sonderlich: dösende Pfarrer und beleibte Herren in Anzügen, die die Neuigkeiten des Tages studierten, während sie husteten, tranken und einander zunickten. Was sie betraf, konnten sie ihre verschlafenen alten Clubs ruhig für sich alleine behalten, während sich die Welt draußen veränderte und immer spannender wurde. Wenn sie nur sehen könnten, was sie sah, wenn sie die U-Bahn Richtung Osten nahm.

Sie stand am Eingang zum grünen Speiseraum und entdeckte auch sogleich ihren Vater, der an seinem Lieblingstisch am Fenster saß, von wo aus er die Leute beobachten konnte, die die Stufen zum Eingang herauf- und wieder hinuntergingen. Er hatte sie bestimmt kommen sehen, trotzdem blickte er auf seine Uhr und dann mit strengem Gesicht zur Tür, als er Cressie dort stehen sah. Doch als sie an seinen Tisch kam, wurde sein Gesichtsausdruck sanfter, und er lächelte fast.

Er ist gut auf mich zu sprechen.

»Nur ganz wenig zu spät«, sagte er und stand auf. Ein Kellner eilte herbei und zog einen Stuhl für Cressie heraus.

»Zwei Minuten?«, fragte sie und setzte sich.

»Richtig, zwei«, sagte ihr Vater ernst und setzte sich wieder. Sein Pünktlichkeitsfimmel und sein Ordnungswahn beherrschte das Leben der ganzen Familie. »Fast drei.«

»Tut mir leid, Papa.« Der Kellner trat heran, nahm die Serviette von ihrem Teller, klappte sie auf und legte sie ihr freundlich auf den Schoß. Die Essensrituale begannen: Die Speisekarte wurde ihnen in einer großen roten Ledermappe überreicht – für sie natürlich ohne Preise –, sie wählten die Gerichte aus, dann wurde ein kleiner Zettel samt Silberstift gebracht, auf dem ihr Vater notierte, was sie essen wollten. Ihre Wassergläser wurden gefüllt, ein Sommelier mit weißen Handschuhen brachte eine Karaffe mit Rotwein und füllte das Glas ihres Vaters, während ihres leer blieb.

»Was hast du getrieben?«, fragte er, während die Zeremonien um sie herum ihren Lauf nahmen. »Erst Suppe. Dann Rind oder Lamm?«

»Lamm bitte«, sagte Cressie, obwohl ihr angst und bange wurde bei dem Gedanken an die üppigen Mahlzeiten im Club, die ihr noch Stunden später schwer im Magen lagen, sie würde sich fühlen wie der Wolf aus dem Märchen, dem der Bauch im Schlaf mit Wackersteinen gefüllt wurde. »Ich war in der Bibliothek und habe etwas über Erziehungsmethoden gelesen.«

Ihr Vater machte ein finsteres Gesicht. »Du willst das also durchziehen?«

»Natürlich.« Sie schluckte. »Das weißt du doch.«

»Offensichtlich kann ich dich nicht davon abhalten«, seufzte er.

»Warum solltest du das auch?«, antwortete Cressie ein wenig schroffer als sonst. Warum sperrt er sich so? Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt. Ich ziehe nicht von zu Hause aus oder mache sonst etwas, ich breite nur ein wenig meine Flügel aus … und versuche, mich nützlich zu machen.

Er zögerte und gab dem Kellner die Speisekarte zurück. »Ich glaube nicht … ich weiß nicht. Wenn du unbedingt etwas lernen willst, dann gibt es genügend Dinge, die du unternehmen könntest – du könntest einen Kurs besuchen oder so … Französisch, Nähen …«

Cressie lachte. »Ich will keinen Unterricht! Ich möchte anderen Unterricht erteilen, das weißt du doch. Ich möchte alles in meiner Macht Stehende tun, um anderen zu helfen. Wenn du rausgehen und sehen könntest, was ich gesehen habe, wüsstest du, was es alles zu tun gibt …« Begeisterung ergriff sie, und sie sehnte sich danach, mit ihm darüber zu reden, ihm alles zu erzählen und ihn zu überzeugen. Wenn er nur wüsste, wie es eine Meile weg von diesem Ort der grotesken Selbstgefälligkeit mit all dem Plüsch zum Schutz vor der Wirklichkeit aussah. Nicht weit entfernt von den Kellnern in weißen Handschuhen, den Lüstern und Servierwägen hungerten Kinder, wuchsen ohne Bildung auf und waren zu einem Leben ohne all die Annehmlichkeiten oder Privilegien verdammt, die ihr Vater dringend brauchte, um das Leben einigermaßen ertragen zu können.

»Mal ehrlich, Cressida, was könntest du schon ausrichten?«, antwortete er. »Das soll nicht heißen, du kannst nichts, aber seien wir ehrlich … Wenn du dich langweilst, dann widme dich doch ein wenig der Wohltätigkeitsarbeit – veranstalte Bazare oder so. Sobald du verheiratet bist, was sehr bald der Fall sein könnte, wirst du sowieso nicht mehr arbeiten. Ich verstehe nicht, warum du dir solche Unannehmlichkeiten aufbürden willst, wo du allerhöchstens ein Jahr unterrichten könntest. Wie soll das der Allgemeinheit dienen, hm?«

Sie starrte ihn an und sah plötzlich, wie sehr er in letzter Zeit gealtert war. Sie hatte aus Kindertagen ein Bild von ihm im Kopf: Da sah sie ihn als dunkelhaarigen, dynamischen Mann mit eisblauen Augen und einer gewissen Entschlossenheit. Manchmal war es ein Schock zu erkennen, dass es diesen Mann nicht mehr gab und er zu einem dicklichen Herrn mit silbergrauem Haar, trübem Blick und roten Äderchen auf den Wangen vom Wein im Club geworden war. Er sah die Zukunft nicht so wie sie – als etwas herrlich Unbekanntes voller Abenteuer –, sondern wie den Nachtrag zu einer längst vergangenen Zeit, in der alles besser gewesen war. Am liebsten wäre ihm, sie sähe die Welt wie er, voller Gefahren und Ärgernisse, denen sie lieber aus dem Weg gehen sollte, und versteckte sich wie ein Kind, das man abends ins Bett brachte, wo es für den Rest seines Lebens vor sich hin schlummerte. Er lehnte die Veränderungen in der Welt und die Rufe der jungen Leute nach Veränderung ab.

Aber ich bin jung. Ich möchte daran teilhaben. Das Leben ändert sich, für jeden. Für die Frauen. Die Armen. Sie sah auf ihre Finger herab, die verknotet auf ihrem Schoß lagen, erstickte fast an ihren Worten, ihr Hals fühlte sich eng an, als steckte alles, was sie sagen wollte, darin fest und könnte nicht heraus.

Ein Kellner kam mit einem Korb voller Brötchen vorbei, ihr Vater nahm eines heraus und brach es entzwei. Dann sah er sie mit verändertem Gesichtsausdruck an. »Da fällt mir ein … Ich habe gestern Abend mit dem alten Few gesprochen. Sein einziger Neffe ist Maler geworden.«

»Ach?«, sagte Cressie höflich, doch sie hatte keine Ahnung, von wem ihr Vater da sprach.

»Für die Familie war das natürlich ein Schlag ins Gesicht. Few ist seit dem Tod der Eltern der Vormund des Jungen, weißt du, ansonsten gibt es noch eine Schwester. Alle haben versucht, ihn davon abzuhalten, aber er scheint fest entschlossen, also versucht Few das Beste daraus zu machen.«

Ihr Vater sah auf und lächelte. »Manchmal tun wir alten Männer das, weißt du.«

Sie lächelte zurück und überlegte, ob er damit sagen wollte, dass er ihre Pläne akzeptierte. Es war schon schwer genug gewesen, ihn dazu zu überreden, ihr zu gestatten, am College das Diplom in Literatur zu machen. Zwei Jahre hatte sie darum gebettelt, bis er endlich eingewilligt hatte, doch das hieß auch, dass sie älter als die meisten Teilnehmer ihres Kurses war. Am Ende hatte er es ihr erlaubt, aber vermutlich nur, weil ihre Mutter hinter den Kulissen die Fäden gezogen hatte. Vielleicht war sie einen Tauschhandel mit ihm eingegangen, obwohl ihr Vater normalerweise gegen Handel war. Doch schließlich hatte er zähneknirschend eingewilligt und ihr die Erlaubnis erteilt.

Ihr Vater fuhr fort: »Der Junge hat natürlich gerade erst angefangen, Few hat mir aber erzählt, dass er ganz offensichtlich Talent hat.«

»Was malt er denn?«

»Porträts. Und zwar keine mit seltsamer Nase und zwei Augen auf derselben Seite, sondern anscheinend ziemlich seriöse Sachen. Few glaubt, dass er im Laufe der Zeit wohl Erfolg damit haben könnte. Außerdem ist nichts auszusetzen an einem anständigen Mann, der erstklassige Porträts malt. Nimm Birley zum Beispiel.«

Cressie musste lachen. »Ehrlich, Papa, wie das klingt! Sehr altmodisch. Du hast Glück, dass Henry und Gus nie Interesse für Kunst, Design oder ein Gewerbe hatten.«

Ihr Vater sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Ihre Brüder hatten gute Posten bei Banken in der Stadt und waren gut versorgt, darüber war er hocherfreut. »Allerdings. Die beiden waren nicht so dumm. Trotzdem habe ich mir überlegt, dass man alles daransetzen sollte, um dem Jungen zu helfen, damit er vorankommt. Ich habe Few also gesagt, dass er ihn mit einem Porträt von dir beauftragen soll.«

Cressie blinzelte erstaunt. »Ein Porträt von mir?«

»Ja. Ich bin auf die Idee gekommen, als ich mit Few gesprochen habe. Ich wollte jemanden suchen, der ein Bild von dir malt, und dachte mir, dass sei die Gelegenheit. Sein Neffe hat ein Atelier in Blackheath, du müsstest also ein paarmal hinfahren und bei ihm Modell sitzen.«

Plötzlich war sie wütend, sprach aber ruhig weiter. »Blackheath? Papa, das geht nicht. Die Schule fängt bald an.«

»Du gehst doch nicht jeden Tag dorthin, oder?«

»Zunächst noch nicht …«

»Gut, dann machen wir aus, dass er sofort mit dem Porträt beginnen soll. Er wird nur ein paar Stunden benötigen.«

Sie öffnete den Mund und wollte protestieren, wusste aber plötzlich nicht, was sie sagen sollte. Es gab keinen wirklichen Grund, weshalb sie kein Porträt von sich machen lassen sollte, doch sie nahm ihrem Vater übel, wie tyrannisch er sich verhielt und wie er ihr Fakten und Verpflichtungen einfach aufzwang, ohne sie vorher zu fragen. Es war immer dasselbe: Er fragte nie und änderte nur selten seine Meinung. Er bestand darauf, dass unter seinem Dach alle sich nach seinem Willen zu richten hatten. Und wenn man unter seinem Dach leben musste, war das ein Problem.

»Cressida, ich will nichts hören«, sagte ihr Vater, als er sah, was für ein Gesicht sie zog. »Die meisten jungen Frauen wären froh, ein Gemälde von sich zu haben. Ein oder zwei Stunden, dann hast du es hinter dir. Du wirst in Zukunft noch froh sein. Du bist genau im richtigen Alter, um auf Leinwand verewigt zu werden.«

»Kann ich mich nicht fotografieren lassen?«, fragte Cressie. »Das ist genauer und geht viel schneller.«

Ihr Vater ignorierte sie. »Das hätten wir also geklärt. Ich werde Few sagen, dass du seinem Neffen zur Verfügung stehst und dass wir sofort anfangen möchten.«

»Wie heißt er?«, fragte Cressie und versuchte ihre Verbitterung zu verbergen.

»Oh … äh … Few hat es mir gesagt, aber ich habe es vergessen. Richard? Robert? So ähnlich jedenfalls.« Ihr Vater hob die Hand, um dem Sommelier ein Zeichen zu geben, ihm noch etwas Wein nachzuschenken. »Ich werde ihm heute Nachmittag schreiben, dann könnt ihr jungen Leute das unter euch ausmachen. Also … wo bleibt unsere Suppe?«

 

Cressie trat durch die große, schwarze Eingangstür ihres Hauses in der ruhigen Kensington Street. Innen war alles still. Nur die große Standuhr neben der Treppe war zu hören und gab ein schwerfälliges Ticken von sich. Solange sie sich erinnern konnte, hatte es hier schon so ausgesehen, überall mächtige dunkle Möbel, Topfpalmen und längst aus der Mode gekommene Samtvorhänge mit Fransen. Die Räume lagen im Halbdunkel, einer Anweisung aus längst vergangenen Zeiten entsprechend, wonach Sonnenlicht von Möbeln fernzuhalten war. Und obwohl Cressie sich an das muffige Dämmerlicht im Erdgeschoss gewöhnt hatte, erdrückte es sie. In ihrem eigenen Zimmer hatte sie getan, was sie konnte, um etwas mehr Licht und Luft hineinzulassen, und ihre Mutter überredet, die schwere Blümchentapete und die Brokatvorhänge zu entfernen. Sie hatte die Wände in frischem Grün streichen lassen und cremefarbene Leinenvorhänge aufgehängt. So oft es ging, flüchtete sie sich dorthin, um zu lesen, Briefe zu schreiben oder mit Wasserfarbe kleine Bilder zu malen. Nichts entspannte sie mehr.

Sie zog ihren Mantel aus. Die ersten Anzeichen des Frühlings machten sich bemerkbar, doch noch war es kühl. Ellen, das Dienstmädchen, kam in die Eingangshalle und sah sich neugierig um, wer da war, ein wenig nervös für den Fall, dass es Mr Fellbridge wäre.

»Hallo, Ellen, ich bin zu Hause«, sagte Cressie und lächelte, als sie sah, wie erleichtert das Dienstmädchen wirkte. »Wie geht es Mama?«

»Es geht ihr gut, Miss. Ruth ist vor einer halben Stunde runtergekommen und hat gesagt, dass sie sich wohl fühlt und schläft.«

»Sehr gut.« Sie hatte nichts anderes erwartet. Ihre Mutter war krank und vegetierte nun schon seit vielen Jahren in diesem Zustand dahin, so dass Cressie sie sich nur noch bettlägerig und von schneeweißen Kissen gestützt vorstellen konnte, die ihre Haut noch schrecklicher aussehen ließen. Irgendwo tief in Cressies Erinnerungen war noch eine andere Mutter vergraben, die gesund war, lachte und die Treppen auf- und ablief. Jedes Jahr im Sommer war sie mit der jungen Familie in ihr Haus in Cumbria gefahren, das sie stets wegen seiner üppig rankenden Rosenpracht den »Rosenpavillon« nannte, und hatte den Vater der Kinder in der Stadt bei der Arbeit gelassen. Cressie erinnerte sich an lange Zugfahrten Richtung Norden, Gepäckträger voller Kisten und Koffer und daran, wie sie alle klein waren und in ihren Abteilen auf den Sitzen herumhüpften, während Mama trotz des großen Picknickkorbs auf dem Schoß zu lesen versuchte. Irgendwann an einem heißersehnten, herrlichen Moment auf der Reise öffnete sie den Korb, und sie verzehrten die leckeren Sandwiches mit Aufschnitt und den Kuchen, während der Zug sie an jenen Ort wilder Schönheit brachte, wo die vollerblühten Rosen ihren Duft verbreiteten, unendlich weit vom schmutzigen, verrauchten London entfernt. Den Sommer verbrachten sie überwiegend im Freien, außer wenn das Wetter zu schlecht war. Mama war stets anwesend, saß auf einer Wolldecke und las etwas, organisierte Bootsfahrten auf dem See oder spielte Cricket mit ihnen. Sie ritt nicht mit ihnen auf den zähen kleinen Ponys, die sie so sehr liebten, doch Cressie erinnerte sich noch, wie sie den Zaum hielt und lachte, wenn der Wind durch ihr dunkles Haar wirbelte, und wie sie vor Gesundheit nur so strotzte. Meistens kam Papa eine Woche im August, verbrachte dann aber die meiste Zeit auf der Jagd. Dann pfiffen in der Ferne Schüsse durch die Luft, ab und zu flog ein Vogelschwarm auf, und kleine dunkle Schatten fielen zu Boden. Sobald es wieder an der Zeit war, sich auf die Schule vorzubereiten, kehrten sie alle zurück, doch dann hatte die Zugfahrt nach Hause etwas Wehmütiges, im Picknickkorb lagen die letzten Sandwiches des Sommers, und der Himmel war stets grau, wenn sie im Bahnhof Euston einfuhren.

»Egal, meine Küken«, sagte Mama dann, »es ist bald wieder Sommer. Es kann nicht nur Ferien geben. Und den Rosenpavillon werden wir immer behalten. Nächstes Jahr kehren wir dorthin zurück.«

Doch diese Tage waren lange vorbei, und die Gegenwart war von Krankheit überschattet. Ein undefinierbarer Zustand, über den kaum gesprochen wurde, so dass nur schwer zu begreifen war, was nicht stimmte, nur, dass Mama trotz unzähliger Therapieversuche immer dünner und schwächer wurde – dazu endlose Arztbesuche, große braune Flaschen auf dem Kaminsims in ihrem Zimmer, Reisen, nicht in den Norden, sondern an die See und zu Kurorten auf dem Kontinent. Nichts hatte Besserung gebracht. Sie fuhren nie wieder in den Rosenpavillon, Mama schrumpfte immer weiter, wurde spindeldürr, eine blasse Gestalt oben in ihrem Bett, und nur unter großen Mühen konnte sie noch hin und wieder nach unten kommen. Sie hatten sich an die Anwesenheit der Krankenschwester gewöhnt, und die Stille im Haus rührte nun nicht mehr nur daher, dass die Kinder inzwischen herangewachsen und ausgezogen waren, es war Rücksicht auf die Kranke. Ein bitterer Geruch von Desinfektionsmitteln wie im Krankenhaus hing in der Luft.

»Miss, möchten Sie einen Tee?«

»Gerne, Ellen. Ich trinke ihn im Salon und lese dort weiter.«

Das Dienstmädchen verließ den Raum, Cressie trat vor den Spiegel im Flur und begutachtete ihr Spiegelbild für den Fall, dass sie sich auf dem Heimweg irgendwo einen Flecken eingefangen hatte. Sie strich sich das Haar glatt. Im Licht der Lampe glänzte es in demselben Braun wie der Tisch im Esszimmer. Während sie ihr Gesicht begutachtete, wurde ihre Aufmerksamkeit plötzlich von einem anderen Gesicht angezogen, das sich direkt hinter ihr befand, und sie zuckte ein wenig zusammen. Dann wurde ihr klar, dass sie es schon oft hier gesehen hatte: Es war das Porträt ihrer Mutter, das gegenüber an der Wand hing. Sie drehte sich um und betrachtete es. Seitdem sie denken konnte, hing es dort, doch sie hatte es noch nie richtig angesehen und es sogar lange gar nicht bemerkt. Mama hatte sich mit fünfundzwanzig porträtieren lassen, sie war nur vier Jahre älter gewesen als Cressie jetzt. Es war ein Bild im lässigen Stil der frühen dreißiger Jahre, das ihren langen Hals, die schlanken Hände und das zierliche Gesicht betonte. Und Cressie fiel auf, dass das Gesicht dem ihren sehr ähnlich war. Die dunklen Augen lagen tief in den Höhlen unter den Augenbrauen, die sich darüber wölbten, dazu die vollere Unterlippe und das mahagonifarben glänzende Haar.

Mir war nie klar, dass ich ihr so ähnlich sehe. Sie legte eine Hand auf ihre Wange und fuhr sich über das Gesicht, sie tastete die Konturen ab, als wollte sie erfühlen, was sie vor sich sah, als ihr einfiel, dass ihr Vater auch ihr Porträt malen lassen wollte. Hier war ihre Mutter, immer noch jung, immer noch schön, für immer in einem Moment ihres Lebens festgehalten, der unwiederbringlich vergangen war, mit einer Seidenbluse, die längst ihre Farbe verloren hatte, und einer Perlenkette um den Hals, die nun ungetragen in der Schmuckschatulle lag. Cressie begriff plötzlich, dass auch ihre scheinbar ewige Jugend eines Tages verblassen würde.

Aber das ist noch ewig hin. Davor liegen unzählige Jahre.

Sie verschwand im Badezimmer, bevor der Tee serviert wurde.

Drittes Kapitel

 

Das Gebläse bewegte sich leise und entschlossen auf und ab, leise zischend, während es seine Arbeit verrichtete, Wills Leben zu erhalten. Der ganze Ort schien nur aus Maschinen und Schläuchen zu bestehen – einem dicken weißen Plastikschlauch, der in seinem Mund steckte und ihn mit Sauerstoff versorgte, Schläuche in der Nase, Kabel an seinem Arm, auf seiner Brust und an seinem Bauch, die Salzlösung, Schmerzmittel und Essen abgaben, Überflüssiges abtransportierten und alles taten, was notwendig war, um seinen Körper am Leben zu erhalten, während er völlig zerschmettert im Bett lag.

Emily wusste, dass es Will war, auch wenn seine rotbraunen Stoppeln unter den Verbänden um seinen Schädel kaum sichtbar und sein Gesicht von Klebeband und Schläuchen verdeckt war. Es waren seine Augenlider – ihre blassgrüne Transparenz hatte etwas, das sie daran erinnerte, wie er aussah, wenn er mit Grippe zu Hause im Bett lag. Wenn es ihm nicht gutging, wirkte seine Haut dünn wie Papier und nahm schnell eine grünlich blaue Farbe an, wie angelaufenes Kupfer. An seinen Handgelenken waren Verbände, unter denen Schläuche in seine Venen führten, während seine Hände, locker zur Faust geballt, auf der Decke lagen, seine Haut war mit winzigen Sommersprossen übersäht, seine Fingerknöchel waren rot; die breiten starken Finger, an denen der rotgoldene Ehering steckte, den sie so gut kannte, gehörten unverkennbar zu ihm. An seinen Händen und seinen Augenlidern konnte sie den auf dem Bett liegenden Mann als Will erkennen.

Aber wer ist Will eigentlich? Habe ich ihn jemals gekannt?

Das Zimmer sah weniger wie ein Krankenzimmer aus, eher wie ein wissenschaftliches Labor mit Dutzenden von Steckdosen, Haken und Gerätestativen, dazu die komplizierten Computerbildschirme, die neben seinem Bett standen und auf denen sich farbige Linien über den dunklen Bildschirm auf- und abwärts bewegten, Zahlen auftauchten und wieder verschwanden, Lichter aufblinkten und mechanische Töne wiederholt piepsten. Nicht einmal das Bett war ein richtiges Bett, es war eher eine Art Plastikrollwagen mit verstellbarem Seitenschutz, der sich sogar vollständig abnehmen ließ. Die Matratze war mit Luft gefüllt, damit Will sich nicht wundlag.

Intensivmedizinische Behandlung war offenbar mehr eine Frage der Technik. Sobald man den Strom abstellte, ging es einem entweder besser, oder man war tot.

Die Frage war, wie lange der elektrische Strom noch Wills Atemtätigkeit übernehmen, ihn füttern und ernähren würde, während er weiterschlief und sein Gehirn offenbar eingefroren und sein Geist irgendwo in den Tiefen eingeschlossen war. Oder vielleicht war er bereits ganz woanders.

Emily kam plötzlich der verrückte Gedanke, dass Will vielleicht körperlos durch den Raum schwebte, wie bei den alten Ägyptern, die daran glaubten, dass die Seele nach dem Tod in Form eines menschlichen Kopfes auf einem Vogelkörper ins Jenseits flog. Sie stellte sich Wills Kopf auf einem dicken Taubenkörper vor, wie er zur Decke flatterte und sich dann zum Schlafen auf den Metallständer setzte, der Will die Schläuche aus dem Gesicht hielt. Vielleicht saß er ja gerade dort, mit angewinkeltem Kopf, sah sie mit seinen strahlenden Augen an und beobachtete sie, während sie auf ihre Krücken gestützt an der Tür stand und sich fragte, was sie hier tat.

Vielleicht fragt er sich, warum ich noch am Leben bin. Und warum nicht alles nach Plan verlaufen ist. Sie schloss ihre Hände fester um die Griffe der Krücken. Bitterkeit stieg in ihr auf. Sie verspürte plötzlich das Bedürfnis, alle Schläuche und Kabel herauszuziehen und zu schreien: »Dann stirb doch, du Mistkerl, wenn du das unbedingt willst!« Und dabei fing ihr Herz wie wild zu hämmern an. Sie spürte, wie sie ein Schwindelgefühl überkam. O Gott, werde ich gleich ohnmächtig?

Die Tür hinter ihr ging auf, jemand kam herein und sagte fröhlich: »Hallöchen.«

Emily atmete tief durch, drehte sich um und sah eine schwarze Krankenschwester in Arbeitskleidung mit weitem blauem Kittel und Hose, die lächelte. Sie trug Gummihandschuhe, und an ihrer Brusttasche steckte ein Namensschild, auf dem Rita stand.

»Ha … hallo.«

»Na, wie geht es uns?«, fragte Rita, ging zu den Maschinen und warf einen Blick auf die Bildschirme. Die Lichter, Linien und Zahlen schienen für sie einen Sinn zu ergeben. Sie prüfte die Plastikbeutel, die an den Haken hingen – in einem befand sich weinrote Flüssigkeit, der andere enthielt ein ekelhaft strohfarbenes Mittel, wieder ein anderer eine klare Flüssigkeit –, und alle anderen Zugänge und Ausgänge, die an Will angeschlossen waren.

»Es geht mir gut«, sagte Emily. Ihr Herz hatte zu hämmern aufgehört, sie atmete tief durch und beruhigte sich wieder.

Rita drehte sich um und sah sie an. »Wie geht es Ihrem Bein?«

Emily sah an dem dicken Gips herunter, in dem ihr linkes Bein vom Knöchel an bis unterhalb des Knies steckte. Sie fing langsam an, sich an das Gewicht, ihre Hilflosigkeit und das Gehen mit den Krücken zu gewöhnen. »Alle sagen, dass es komplett verheilen wird. Aber eine Zeit lang werde ich wohl so herumlaufen müssen. Danach muss ich zur Physiotherapie, um wieder vollständig zu Kräften zu kommen. Das wird wohl Monate dauern.«

Ritas Blick glitt über Emilys Gesicht zu dem unförmigen Verband, der ihre linke Kopfseite bedeckte. »Und das da?«

»Das … das weiß man noch nicht. Es wurde natürlich genäht.«

Die Krankenschwester starrte einen Moment vor sich hin und runzelte die Stirn, ihr Mund verzog sich ein wenig, so dass Emily schlecht wurde, doch dann schien Rita sich wieder daran zu erinnern, dass es Teil ihres Jobs war, stets optimistisch zu sein. Ihr Lächeln kehrte zurück. »Es wird alles gut, Mr Watkins ist der Beste im Land, wissen Sie.«

Emily brachte ein Lächeln zustande. »Das ist gut.« Alle hier schienen die Besten oder Herausragenden auf ihrem Gebiet zu sein. Vielleicht stimmte das ja, und sie hatten einfach Glück gehabt, dass sie in diesem Krankenhaus gelandet waren. Oder vielleicht gehörte es auch nur zu den Lügen, die dazu dienten, das Verhältnis zwischen Ärzten und Patienten zu stabilisieren. Man wurde in Watte gepackt, damit einem die Unannehmlichkeiten des Schicksals nicht zu viel Schmerz verursachten. Die Watte wurde erst wieder weggenommen, wenn die traurige Wahrheit sich nicht länger verheimlichen ließ. Sie hatte das Gefühl, dass es nicht so sehr um Täuschung ging, sondern eher um unangebrachte Freundlichkeit und falschen Optimismus. So viele Ärzte hatten sich ihre Verletzungen angesehen und dabei gefaucht oder die Stirn gerunzelt, um dann strahlend zu verkünden, wie wunderbar alles sei. Etwas sagte ihr jedoch, dass ihr Urteil am Ende ganz anders ausfallen würde. »Er wird mich in ein paar Tagen untersuchen, wenn die Wunden sich geschlossen haben.«

Rita wandte sich wieder ihrer Arbeit zu, und Emily beobachtete sie eine Weile dabei, dann traute sie sich zu fragen: »Wie geht es ihm?«

»Ja, es geht ihm gut.« Die Antwort kam etwas zerstreut, während Rita Wills Blutdruckwerte in einer Tabelle eintrug. »Es geht ihm tatsächlich ziemlich gut.«

Emily starrte auf ihren Mann herab und fragte sich, wie man sagen konnte, dass es ihm gutgehe. Er war kaum am Leben. Im Vergleich mit einer Leiche mochte es ihm vielleicht gutgehen, aber verglichen mit allen anderen ging es ihm sehr schlecht.

»Glauben die Ärzte, dass sein Zustand sich bessern wird? Wird er wieder aufwachen?«

Rita schwieg einen Augenblick und sagte dann: »Das ist abzuwarten. Er liegt noch im künstlichen Koma. Alles hängt davon ab, wie er reagiert, wenn die Medikamente abgesetzt werden, die er zurzeit bekommt. Ich fürchte, wir müssen einfach abwarten. Aber den Umständen entsprechend, schlägt er sich gut. Bisher hatte er keine Infektionen. Wir behalten seine Lunge und die Blase im Auge. Ich massiere ihn jetzt.«

Emily sah Rita zu, wie sie seine Gliedmaßen massierte, sie anhob und durchknetete, so dass das Blut zirkulierte und dem Muskelschwund vorbeugte. Er wirkte bereits dünner, seine sonst so starken Arme erschienen schmaler als sonst. Es war seltsam, ihn hier so schwach und kraftlos daliegen zu sehen, war er doch vorher immer so lebendig gewesen. Wie oft hatte er seine Arme fest um sie geschlungen? Nun waren sie nutzlos.

Kehrt er jemals wieder zurück?

Niemand hatte ihr bis jetzt eine klare Antwort darauf gegeben, obwohl sie und Will nun seit über einer Woche im Krankenhaus waren. Es erschien ihr wie eine Ewigkeit. Sie fragte sich sogar, ob es jemals eine Zeit gegeben hatte, in der sie nicht auf einer lauten Krankenstation gelegen hatte, während Wills Mutter die Kinder auf Besuch vorbeibrachte.

Ihr Leben war auf ein Krankenhausbett reduziert, das durch Vorhänge von den anderen abgetrennt war.

Wie hatte es passieren können, dass sich ihr Leben so radikal verändert hatte? Wie war sie hierhergekommen? Sie erinnerte sich daran, wie man sie eingeliefert hatte, wie sie nach langer Dunkelheit plötzlich von grellem Licht geblendet worden war, das auf sie herableuchtete, während sie einen Gang entlangschwebte, lauter aufgeregte Leute rings um sie herum. Sie war so durch und durch von Schmerz überwältigt, dass es eher eine mentale als eine körperliche Herausforderung war. Sie wurde in seltsame Räume gebracht, die noch greller beleuchtet waren, in denen sie bearbeitet und untersucht wurde und wo man ihr das Kleid aufschnitt (mein Kleid, dachte sie, sooft sie sich daran erinnerte. Wo ist es jetzt? Vielleicht irgendwo in Fetzen geschnitten in einem Mülleimer. Ihr Kleid schien ihr vorheriges Leben zu repräsentieren – teuer, voller Schnickschnack und für immer verloren) und Nadeln in die Haut stach, was kaum Schmerzen verursachte im Vergleich zu den Qualen, die sie woanders in ihrem Körper empfand. Danach war sie selig in Ohnmacht gefallen.

Als sie Stunden später wieder aufgewacht war, hatte der Schmerz sich verändert: Er war schärfer, intensiver und lokalisierbarer geworden und ergriff nicht mehr ihren ganzen Körper. Aber das war ein gutes Zeichen, nicht wahr? Das hieß, dass sie noch am Leben war.

Was zum Teufel ist passiert?, hatte sie benommen gedacht, bis es ihr wieder eingefallen war: Will wollte uns umbringen. Er wollte uns beide umbringen.