Der Schlüssel zu Rebecca - Ken Follett - E-Book + Hörbuch

Der Schlüssel zu Rebecca Hörbuch

Ken Follett

4,5

Beschreibung

Sommer 1942. Rommels Armee rückt auf Kairo vor. Die Strategie des Wüstenfuchses scheint unschlagbar. Seine Geheimwaffe: der Meisterspion Wolff in Kairo. Wolffs Auftrag: Die Pläne der Engländer auszukundschaften und sie Rommel verschlüsselt zu übermitteln. Als Schlüssel dient ihm Daphne du Mauriers weltberühmter Roman "Rebecca".

Doch die andere Seite ist nicht untätig. Während die deutschen Truppen unaufhaltsam vorstoßen, beginnt in den nächtlichen Straßen Kairos eine tödliche Verfolgungsjagd.

Erst in der gnadenlosen Glut der Sahara entscheiden sich das Schicksal der beiden Gegenspieler und Sieg und Untergang der Armeen, für die sie kämpfen.

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Zeit:4 Std. 19 min

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Inhalt

Cover

Titel

Impressum

40 Jahre »Der Schlüssel zu Rebecca«

TEIL EINS Tobruk

  1

  2

  3

  4

  5

  6

  7

  8

  9

10

TEIL ZWEI Marsa Matruch

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TEIL DREI Alam Halfa

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Ken Follett

DER SCHLÜSSELZU REBECCA

Roman

Aus dem Englischen vonBernd Rullkötter

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Copyright © 1980 by Fineblend N.V.Titel der englischen Originalausgabe: »The Key to Rebecca«

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 1981 by Bastei Lübbe AG, KölnUmschlaggestaltung: Johannes Wiebel, punchdesign, Münchenunter Verwendung von Motiven von © shutterstock.com:Steven Wright | Anton Hlushchenko |George Nazmi Bebawi | 2630ben

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-8387-0346-6

www.luebbe.de

www.lesejury.de

40 Jahre »Der Schlüssel zu Rebecca«

Als ich in den Siebziger- und Achtzigerjahren meine schriftstellerische Laufbahn begann, hielt ich stets die Augen nach guten Spionagegeschichten offen, die tatsächlich geschehen waren. Ich liebte Thriller, aber ich fand, dass sie wesentlich spannender waren, wenn die Arbeit der Spione sich auf echte Geschehnisse auswirkte – einen Krieg oder eine Revolution. Der Schlüssel zu Rebecca ist ein gutes Beispiel.

Mein Roman spielt vor dem Hintergrund der Schlacht von Alam Halfa, die im August und September 1942 in der Libyschen Wüste gut hundert Meilen westlich von Kairo geführt wurde. Mehrere Sachbücher berichten von einem Spionagering, der zu dieser Zeit von einem Hausboot in Kairo aus operierte. Der wichtigste Agent war Johannes Eppler, ein deutscher Abwehroffizier, Sohn deutscher Eltern, aber in Ägypten aufgewachsen. Nach dem Krieg schrieb er unter dem Namen John W. Eppler seine Autobiografie Rommel ruft Kairo.

Der Schlüssel zu Rebecca ist nicht das einzige fiktionale Werk, das von Epplers Abenteuern inspiriert wurde. Ein deutscher Film gleichen Namens basiert lose auf seinem Buch, und Michael Caine spielte in dem britischen Streifen Foxhole in Cairo.

Seine Geschichte war sogar Inspiration für einen Roman der anspruchsvollen Literatur. 1992 begegnete ich dem Schriftsteller Michael Ondaatje auf einer Party, die gegeben wurde, weil er für seinen Roman Der englische Patient mit dem Booker Price ausgezeichnet wurde, und er sagte zu mir: »Ist Ihnen klar, dass mein Buch auf der gleichen wahren Geschichte beruht wie Der Schlüssel zu Rebecca?«

Ich bin mir nicht sicher, wie viel dieser Legende wirklich wahr ist. In den vierzig Jahren seit der Veröffentlichung meines Romans hat mich der Verdacht ereilt, dass Eppler und andere in ihren Geschichten übertrieben haben könnten. Einer dieser Autoren verklagte mich sogar wegen eines Plagiats. (Er verlor.)

Allerdings besteht kaum Zweifel, dass Eppler mutig die Wüste durchquert hat, um von Süden ungesehen nach Ägypten einzudringen, und dass er einen Buchcode auf Grundlage einer Ausgabe von Daphne du Mauriers Bestseller Rebecca benutzte. Und meine Beschreibung der großen, kosmopolitischen Stadt Kairo in den Vierzigerjahren ist so genau, wie es mir möglich war, und wurde von Leuten geprüft, die dort gewesen sind. Wie viele nützliche Informationen Eppler allerdings letzten Endes an Rommel übersenden konnte, bleibt nach wie vor offen.

Lesen Sie diesen Roman also nicht als Geschichtsbuch. Einiges darin ist wirklich geschehen, aber nicht alles. Genießen Sie ihn einfach.

Ken Follett, 2020

TEIL EINS 

1

Das letzte Kamel brach am Mittag zusammen. Es war der fünfjährige weiße Bulle, den er in Gialo gekauft hatte, das jüngste, kräftigste und am wenigsten widerspenstige der drei Tiere. Er mochte es so gern, wie ein Mensch ein Kamel mögen kann. Das heißt, er hasste es nicht allzu sehr.

Sie kletterten die Leeseite eines kleinen Hügels empor. Der Mann und das Kamel bohrten ihre schweren, müden Füße in den rieselnden Sand und blieben oben stehen. Dann blickten sie nach vorn, sahen nichts als einen anderen Hügel, den sie bezwingen mussten, und hinter ihm tausend weitere. Es war, als ob das Kamel bei dem Gedanken verzweifelte. Seine Vorderläufe gaben nach, dann senkte es den Rumpf und kauerte schließlich auf der Kuppe des Hügels wie ein Denkmal. Mit dem Gleichmut eines Sterbenden starrte es über die leere Wüste.

Der Mann zog an dem Nasenseil des Kamels. Aber es schob nur den Kopf etwas vor, der Hals streckte sich, doch es stand nicht auf. Der Mann ging um das Tier herum und trat mit aller Kraft drei- oder viermal gegen dessen Hinterteil. Schließlich holte er einen rasiermesserscharfen, geschwungenen Beduinendolch mit feiner Spitze hervor und stach ihn in den Rumpf des Kamels. Blut floss aus der Wunde, aber das Tier schaute sich nicht einmal um.

Der Mann begriff, was geschehen war. Das Körpergewebe des Tieres, das so lange jede Nahrung entbehrt hatte, erfüllte seine Funktionen nicht mehr – wie ein Motor, der kein Benzin mehr hat. Er hatte gesehen, wie Kamele am Rande einer Oase zusammenbrachen, umgeben von lebensspendendem Laubwerk, das sie nicht beachteten, weil ihnen die Energie zum Fressen fehlte.

Es gab noch zwei Tricks, die er hätte anwenden können. Der eine bestand darin, Wasser in die Nüstern des Kamels zu gießen, bis es zu ersticken begann; die andere Methode war, ein Feuer unter seiner Hinterhand anzuzünden. Doch er konnte weder das Wasser für die eine noch das Feuerholz für die andere Methode entbehren, und außerdem versprach keine von beiden großen Erfolg.

Ohnehin wurde es Zeit anzuhalten. Die Sonne brannte hoch am Himmel. Der lange Sommer der Sahara hatte begonnen, und die Mittagstemperatur würde 45 Grad im Schatten erreichen.

Ohne dem Kamel die Last abzunehmen, öffnete der Mann einen der Säcke und zog sein Zelt hervor. Er blickte sich prüfend um: Nirgends gab es Schatten oder Deckung, eine Stelle war so schlecht wie die andere. Er schlug sein Zelt auf der Hügelkuppe auf, neben dem sterbenden Kamel.

Mit gekreuzten Beinen setzte er sich an die offene Seite des Zeltes, um Tee zu kochen. Er kratzte ein kleines Sandquadrat glatt, ordnete ein paar wertvolle trockene Zweige zu einer Pyramide und entzündete das Feuer. Als das Wasser kochte, machte er Tee nach Nomadenart: Er goss die Flüssigkeit aus der Kanne in die Tasse, fügte Zucker hinzu und goss sie in die Kanne zurück, um sie von neuem ziehen zu lassen. Der Vorgang wiederholte sich mehrere Male, und das dabei entstehende Gebräu, sehr stark und sirupähnlich, war das belebendste Getränk der Welt.

Er kaute ein paar Datteln und sah zu, wie das Kamel starb, während er darauf wartete, dass sich die Sonne über ihm weiterschob. Diese Gelassenheit hatte er sich angewöhnt. Er hatte eine große Entfernung in dieser Wüste zurückgelegt, mehr als tausend Meilen. Zwei Monate vorher hatte er El Agheila an der Küste Libyens verlassen und war fünfhundert Meilen weit genau nach Süden, über Gialo und Kufra, in das leere Herz der Sahara gezogen. Dort war er nach Osten abgeschwenkt und hatte die Grenze nach Ägypten völlig unbeobachtet überschritten. Er hatte die felsige Einöde der westlichen Wüste überwunden und sich bei Kharga nach Norden gewandt. Nun war er nicht mehr weit von seinem Ziel entfernt. Er kannte die Wüste, aber er fürchtete sie – alle intelligenten Menschen fürchteten sie, sogar die Nomaden, die hier ihr ganzes Leben verbrachten. Doch er ließ sich nie von dieser Furcht übermannen. Katastrophen kamen immer vor. Navigationsfehler, die einen den nächsten Brunnen um zwei Meilen verpassen ließen; Wasserflaschen, die leckten oder zersprangen; scheinbar gesunde Kamele, die ein paar Tage nach dem Aufbruch krank wurden. Die einzig mögliche Reaktion war ein gemurmeltes Inschallah: Es ist der Wille Gottes.

Schließlich begann die Sonne sich nach Westen zu senken. Er betrachtete die Last des Kamels und fragte sich, wie viel davon er tragen könne. Er hatte drei kleine europäische Koffer, zwei schwere und einen leichten, die alle wichtig waren. Dazu kamen ein kleiner Beutel mit Kleidung, ein Sextant, die Karten, die Lebensmittel und die Wasserflasche. Das war schon zu viel: Er würde das Zelt, das Teegeschirr, den Kochtopf und den Sattel zurücklassen müssen.

Er schob die drei Koffer zusammen, band die Kleidung, die Lebensmittel und den Sextanten darauf fest und verschnürte alles mit einem Tuchstreifen. Dann steckte er die Arme durch die Tuchschlaufen, sodass er das Gepäck wie einen Rucksack auf dem Rücken tragen konnte. Er hängte sich den Wassersack aus Ziegenleder um den Hals und ließ ihn vor seiner Brust baumeln.

Es war eine schwere Last.

Drei Monate früher wäre er fähig gewesen, sie einen ganzen Tag lang zu tragen und am Abend noch Tennis zu spielen, denn er war ein kräftiger Mann. Aber die Wüste hatte ihn geschwächt. Seine Eingeweide schienen zu Wasser geworden zu sein, seine Haut war von wunden Stellen übersät, und er hatte zwanzig oder dreißig Pfund verloren. Ohne das Kamel würde er nicht weit kommen.

Mit dem Kompass in der Hand setzte er sich in Bewegung.

Er folgte der Kompassanzeige peinlich genau und widerstand der Versuchung, den Hügeln auszuweichen, denn schon ein winziger Fehler konnte ihn um ein paar hundert tödliche Meter in die Irre leiten. Er machte langsame, ausgreifende Schritte. Der Mann verdrängte alle Hoffnungen und Ängste und konzentrierte sich auf den Kompass und den Sand. Es gelang ihm, die Schmerzen in seinem erschöpften Körper zu vergessen und fast automatisch einen Fuß vor den anderen zu setzen.

Der Tag neigte sich dem kühleren Abend zu. Die Wasserflasche an seinem Hals wurde leichter, während er ihren Inhalt verbrauchte. Er weigerte sich, darüber nachzudenken, wie viel Wasser noch übrig war: Da er ungefähr drei Liter pro Tag trank, wusste er, dass es für einen weiteren Tag nicht mehr reichen würde. Ein Schwarm laut pfeifender Vögel flog über seinen Kopf hinweg. Er blickte auf, beschattete die Augen mit der Hand und erkannte sie als Lichtensteins Flughühner, braune, taubenähnliche Wüstenvögel, die jeden Morgen und Abend zum Wasser schwärmten. Sie hatten dieselbe Richtung wie er eingeschlagen, was bedeutete, dass er nicht vom Weg abgekommen war; doch er wusste, dass sie fünfzig Meilen bis zum Wasser fliegen konnten. Deshalb ermutigte ihn der Anblick nicht sehr.

Wolken sammelten sich am Horizont, während sich die Wüste abkühlte. Hinter ihm senkte sich die Sonne und verwandelte sich in einen großen gelben Ballon. Ein wenig später erschien ein weißer Mond am purpurnen Himmel.

Er überlegte, ob er anhalten sollte. Niemand konnte die ganze Nacht hindurchmarschieren. Aber er hatte kein Zelt, keine Decke, keinen Reis und keinen Tee. Und er war davon überzeugt, in der Nähe des Brunnens zu sein. Seiner Schätzung nach hätte er ihn schon erreicht haben müssen.

Der Mann ging weiter. Seine Ruhe begann nun doch, ihn im Stich zu lassen. Er hatte seine Kraft und Erfahrung gegen die brutale Wüste eingesetzt, und es schien, dass die Wüste siegen würde. Wieder dachte er an das Kamel, das er zurückgelassen hatte, und daran, wie es mit erschöpfter Gelassenheit auf dem Hügel saß und auf den Tod wartete. Er würde nicht auf den Tod warten. Wenn der Tod unvermeidlich war, würde er ihm entgegeneilen. Er würde sich nicht mit den Stunden der Qual und des fortschreitenden Wahnsinns abfinden. Schließlich hatte er sein Messer.

Der Gedanke weckte Verzweiflung, und nun konnte er die Furcht nicht mehr unterdrücken. Der Mond verschwand, aber die Landschaft war vom Sternenlicht erhellt. Er sah seine Mutter in der Ferne, wie sie erklärte: »Behaupte nicht, dass ich dich nie gewarnt hätte!« Er hörte einen Zug, der langsam im Takt seines Herzschlages dahinstampfte. Kleine Steine bewegten sich vor ihm wie hüpfende Ratten.

Er roch geröstetes Lammfleisch. Nachdem er eine Anhöhe überwunden hatte, entdeckte er – direkt vor sich – die rote Glut des Feuers, über dem das Fleisch geröstet worden war; daneben saß ein kleiner Junge, der an den Knochen nagte. Das Feuer war von Zelten umgeben, an den Vorderbeinen gefesselte Kamele weideten die zerstreuten Dornensträucher ab, und im Hintergrund lag der Brunnen. Er schleppte sich weiter. Die Menschen in dem Traum schauten verblüfft zu ihm auf. Ein hochgewachsener Mann stand auf und sprach ihn an. Der Wanderer zog an seiner Houli und löste das Tuch, um sein Gesicht zu enthüllen.

Da trat der hochgewachsene Mann erschrocken vor und sagte: »Mein Cousin!«

Der Wanderer begriff, dass dies doch keine Illusion war. Er lächelte schwach und brach zusammen.

Als er erwachte, glaubte er, ein Junge zu sein, als ob sein Erwachsenenleben nur ein Traum gewesen wäre.

Jemand berührte seine Schulter und sagte in der Sprache der Wüste: »Wach auf, Achmed.« Seit Jahren hatte ihn niemand Achmed genannt. Er merkte, dass er in eine grobe Decke gewickelt war und auf dem kalten Sand lag; sein Kopf war in eine Houli gehüllt. Er öffnete die Augen und sah den herrlichen Sonnenaufgang wie einen Regenbogen vor dem flachen schwarzen Horizont. Der eisige Morgenwind blies ihm ins Gesicht. In dieser Sekunde machte er wieder all die Verwirrung und Besorgnis seines fünfzehnten Lebensjahres durch. Bei seinem ersten Aufwachen in der Wüste hatte er sich ganz verloren gefühlt. Er hatte gedacht: Mein Vater ist tot, und danach: Ich habe einen neuen Vater. Bruchstücke aus den Suren des Korans waren ihm durch den Kopf gegangen, gemischt mit Teilen des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, das seine Mutter ihn immer noch insgeheim – auf deutsch – lehrte. Er erinnerte sich an den nicht lange zurückliegenden scharfen Schmerz seiner Beschneidung und an die Jubelrufe und Gewehrschüsse der Männer, die ihm dazu gratulierten, dass er endlich einer von ihnen, ein echter Mann geworden war. Dann war die lange Zugreise gefolgt, auf der er überlegt hatte, was für Menschen seine Verwandten in der Wüste sein mochten und ob sie seinen blassen Körper und seine städtischen Manieren verachten würden. Er war schnell aus dem Bahnhof nach draußen gegangen und hatte die beiden Araber gesehen, die im Staub des Vorplatzes neben ihren Kamelen saßen; sie waren in traditionelle Gewänder gehüllt, die sie von Kopf bis Fuß bedeckten. Sie hatten ihn zu dem Brunnen gebracht. Es war schrecklich gewesen: Niemand sprach mit ihm, sondern alle machten sich nur mit Zeichen verständlich. Am Abend wurde ihm klar, dass diese Menschen keine Toiletten besaßen, und das machte ihn ziemlich verlegen. Schließlich konnte er nicht mehr umhin zu fragen. Nach einem Moment des Schweigens brachen alle in Gelächter aus. Wie sich herausstellte, hatten sie geglaubt, er beherrsche ihre Sprache nicht, deshalb hatten sie die Zeichensprache benutzt; außerdem hatte er bei seiner Frage nach den sanitären Einrichtungen einen Kinderausdruck verwendet, was alles noch amüsanter machte. Jemand erklärte ihm, dass er sich etwas von dem Kreis der Zelte entfernen und in den Sand hocken solle. Danach war er nicht mehr so verängstigt gewesen, denn diese Menschen erschienen ihm trotz ihrer Härte nicht unfreundlich.

All diese Gedanken waren ihm durch den Kopf gegangen, während er seinen ersten Sonnenaufgang in der Wüste betrachtete; und jetzt, zwanzig Jahre später, kehrten sie bei den Worten »Wach auf, Achmed« so frisch und schmerzlich zurück wie die schlimmen Erinnerungen an den gestrigen Tag.

Er setzte sich jäh auf, und die Gedanken verzogen sich so schnell wie die Morgenwolken. Eine lebenswichtige Mission hatte ihn gezwungen, die Wüste zu durchqueren. Er hatte den Brunnen gefunden, und es war keine Halluzination gewesen: Seine Verwandten waren hier, wie immer zu dieser Jahreszeit. Er war vor Erschöpfung zusammengebrochen, sie hatten ihn in Decken gehüllt und neben dem Feuer schlafen lassen. Panik überkam ihn, als er an sein wertvolles Gepäck dachte; hatte er es bei seiner Ankunft noch getragen? Dann sah er es, säuberlich zu seinen Füßen aufgestapelt.

Ischmael kauerte neben ihm. So war es immer gewesen: Während des ganzen Jahres, das die beiden Jungen zusammen in der Wüste verbracht hatten, war Ischmael am Morgen stets als Erster aufgewacht. Er sagte: »Große Sorgen, Cousin?«

Achmed nickte. »Es ist Krieg.«

Ischmael reichte ihm eine winzige juwelenbesetzte Wasserschüssel. Achmed tauchte die Finger in das Wasser und wusch sich die Augen. Nachdem Ischmael sich entfernt hatte, stand Achmed auf.

Eine der Frauen, schweigend und untertänig, gab ihm Tee. Er nahm die Tasse ohne Dank entgegen und trank sie schnell aus. Dann aß er etwas kalten, gekochten Reis und sah zu, wie die geruhsame Arbeit des Lagers ihren Lauf nahm. Es schien, dass dieser Zweig der Familie noch immer wohlhabend war: Die Zahl der Diener, der vielen Kinder und der über zwanzig Kamele deuteten das an. Die Schafe in der Nähe waren nur ein Teil der Herde, der Rest graste wohl ein paar Meilen entfernt. Wahrscheinlich gab es auch noch mehr Kamele. Sie suchten nachts nach Laubwerk, und obwohl ihre Vorderläufe gefesselt waren, verschwanden sie manchmal aus dem Blickfeld. Die kleineren Jungen würden sie zurücktreiben, wie er und Ischmael es getan hatten. Die Tiere hatten keine Namen, doch Ischmael kannte jedes einzelne von ihnen und war mit seiner Geschichte vertraut.

Er erklärte zuweilen: »Dies ist der Bulle, den mein Vater seinem Bruder Abdel in dem Jahr gab, als vier Frauen starben. Der Bulle wurde lahm, deshalb gab mein Vater Abdel einen anderen und nahm diesen zurück. Er hinkt immer noch, siehst du?«

Achmed hatte viel über Kamele gelernt, aber er verhielt sich ihnen gegenüber nicht ganz so wie ein Nomade. Ihm fiel ein, dass er gestern kein Feuer unter seinem sterbenden weißen Kamel angezündet hatte. Ischmael hätte es getan.

Achmed beendete sein Frühstück und trat an sein Gepäck. Die Koffer waren nicht verschlossen. Er öffnete den oberen. Als er die Schalter und Instrumente des kompakten Funkgeräts betrachtete, das genau in den ledernen, rechteckigen Koffer eingepasst war, überkam ihn plötzlich eine lebhafte Erinnerung, wie ein Filmausschnitt: das geschäftige, hastige Berlin, das von Bäumen gesäumte Tirpitzufer; ein vierstöckiges Sandsteingebäude; ein Labyrinth von Korridoren und Treppen; ein Vorzimmer mit zwei Sekretärinnen; ein Büro, das karg mit einem Schreibtisch, einem Sofa, einem Aktenschrank und einem kleinen Bett möbliert war, an der Wand ein japanisches Gemälde eines grinsenden Dämons und ein signiertes Foto von Franco; und jenseits des Büros – auf einem Balkon in Richtung Landwehrkanal – zwei Dackel und ein Admiral mit vorzeitig ergrauten Haaren, der sagte: »Rommel will, dass ich einen Agenten nach Kairo schleuse.« Der Koffer enthielt auch ein Buch, einen Roman in englischer Sprache. Achmed las die erste Zeile: »Gestern Nacht träumte mir, ich sei wieder in Manderley.« Ein gefaltetes Blatt Papier fiel aus den Buchseiten. Achmed hob es sorgfältig auf und legte es zurück. Er klappte das Buch zu, verstaute es wieder im Koffer und schloss ihn. Ischmael stand neben ihm. Er fragte: »War es eine lange Reise?«

Achmed nickte. »Ich bin von El Agheila, in Libyen, gekommen.« Die Namen bedeuteten seinem Cousin nichts. »Vom Meer.«

»Vom Meer!«

»Ja.«

»Allein?«

»Ich hatte ein paar Kamele, als ich aufbrach.«

Ischmael war überwältigt. Sogar die Nomaden legten keine so großen Entfernungen zurück, und er hatte das Meer nie gesehen. »Aber warum?«

»Es hat mit dem Krieg zu tun.«

»Eine Bande von Europäern kämpft mit einer anderen darum, wer in Kairo die Macht besitzt; was geht das die Söhne der Wüste an?«

»Das Volk meiner Mutter nimmt an dem Krieg teil.«

»Ein Mann sollte seinem Vater folgen.«

»Und wenn er zwei Väter hat?«

Ischmael zuckte die Achseln. Er begriff das Dilemma.

Achmed hob den geschlossenen Koffer an. »Kannst du dies für mich aufbewahren?«

»Ja.« Ischmael nahm den Koffer. »Wer gewinnt den Krieg?«

»Das Volk meiner Mutter. Es ist wie die Nomaden, stolz, grausam und stark. Es wird die Welt beherrschen.«

Ischmael lächelte. »Achmed, du hast immer an den Wüstenlöwen geglaubt.«

Achmed erinnerte sich: Er hatte in der Schule gelernt, dass es in der Wüste einst Löwen gegeben habe; es sei möglich, dass sich einige von ihnen immer noch in den Bergen versteckten und sich von Rotwild, Großohrfüchsen und wilden Hammeln ernährten. Ischmael wollte ihm das nicht glauben. Damals war ihnen die Frage enorm wichtig vorgekommen, und sie hätten sich fast darüber zerstritten.

»Ich glaube immer noch an den Wüstenlöwen«, sagte Achmed und grinste.

Die beiden Cousins blickten einander an. Fünf Jahre waren vergangen, seit sie sich zum letzten Mal begegnet waren. Die Welt hatte sich verändert. Achmed dachte an all die Dinge, von denen er erzählen könnte: das entscheidende Treffen in Beirut im Jahre 1938, seine Reise nach Berlin, seinen großen Coup in Istanbul … Nichts davon würde seinem Cousin irgendetwas bedeuten, und Ischmael dachte wahrscheinlich das Gleiche über seine eigenen Erlebnisse während der letzten fünf Jahre. Seit sie als Jungen zusammen nach Mekka gepilgert waren, empfanden sie Zuneigung füreinander, hatten sich aber nie etwas zu sagen.

Eine Sekunde später wandte Ischmael sich ab und trug den Koffer zu seinem Zelt. Achmed holte sich in einer Schüssel etwas Wasser. Er öffnete einen weiteren Koffer und nahm ein kleines Stück Seife, einen Pinsel, einen Spiegel und ein Rasiermesser heraus. Er steckte den Spiegel in den Sand, rückte ihn zurecht und begann, die Houli aufzuwickeln.

Der Anblick seines eigenen Gesichts im Spiegel entsetzte ihn. Seine kräftige, sonst reine Stirn war von Geschwüren bedeckt. Die Augen, vor Schmerz wie verschleiert, wirkten faltig an den Winkeln. Der dunkle Bart wuchs verfilzt und struppig an seinen feingeschnittenen Wangen, und die Haut seiner großen, gekrümmten Nase war rot und rissig. Er öffnete die verbrannten Lippen und sah, dass seine geraden, gleichmäßigen Zähne schmutzig und fleckig waren.

Er seifte den Bart ein und begann sich zu rasieren.

Allmählich kam sein eigentliches Gesicht zum Vorschein. Es war eher kräftig als attraktiv und zeigte gewöhnlich jenen Ausdruck, der, wie ihm früher einmal klar geworden war, auf ein ausschweifendes Leben hindeutete; doch nun war es einfach entstellt. Er hatte ein kleines Fläschchen Rasierwasser über Hunderte von Meilen durch die Wüste mitgenommen – nur für diesen Moment –, aber nun benutzte er es nicht, da er wusste, dass es unerträglich brennen würde. Er gab es einem kleinen Mädchen, das ihn beobachtet hatte und das erfreut mit seiner Beute davonlief.

Achmed trug seinen Koffer zu Ischmaels Zelt und scheuchte die Frauen hinaus. Er zog sein Wüstengewand aus und legte ein weißes, englisches Hemd an, dazu eine gestreifte Krawatte, graue Socken und einen braunkarierten Anzug. Als er versuchte, sich die Schuhe anzuziehen, spürte er zum ersten Mal seine geschwollenen Füße. Es war eine Qual, sie in das harte Leder zu zwängen. Aber er konnte seinen europäischen Anzug nicht zu den behelfsmäßigen Gummisandalen der Wüste tragen. Am Ende schlitzte er die Schuhe mit seinem geschwungenen Messer auf und trug sie lose.

Er wollte mehr: ein heißes Bad, einen Haarschnitt, kühle, lindernde Creme für seine Wunden, ein Seidenhemd, ein Goldarmband, eine Flasche Champagner in einem Eiskübel und eine warme, weiche Frau. Doch darauf würde er noch warten müssen.

Als er aus dem Zelt auftauchte, schauten die Nomaden ihn an, als sei er ein Fremder. Er setzte seinen Hut auf und griff nach den beiden letzten Koffern – der eine war schwer, der andere leicht. Ischmael brachte eine Wasserflasche aus Ziegenhaut. Die beiden Cousins umarmten sich.

Achmed zog eine Brieftasche aus seinem Jackett, um seine Papiere zu überprüfen. Sein Ausweis verriet ihm, dass er wieder Alexander Wolff, 34 Jahre, Geschäftsmann und Europäer war; Adresse: Villa Les Oliviers, Garden City, Kairo.

Mit seinen Koffern machte er sich in der Kühle der Abenddämmerung auf, um die letzten Meilen der Wüste bis zur Stadt zurückzulegen.

*

Die uralte, große Karawanenstraße, der Wolff von Oase zu Oase über die weite, leere Wüste gefolgt war, führte durch einen Pass in der Gebirgskette und ging schließlich in eine befestigte Straße über. Die Straße war wie ein Strich, den Gott auf die Karte gezeichnet hatte, denn an der einen Seite lagen die gelben, staubigen, unfruchtbaren Hügel und an der anderen üppige Baumwollfelder, von Bewässerungsgräben in Quadrate eingeteilt. Die Bauern, über ihre Felder gebeugt, trugen Galabiyas, einfache Gewänder aus gestreifter Baumwolle, und nicht die schwerfälligen, schützenden Roben der Nomaden. Während er auf der Straße nach Norden wanderte, die kühle, feuchte Brise des nahen Nils roch und die häufiger werdenden Zeichen städtischer Zivilisation beobachtete, begann Wolff, sich wieder menschlich zu fühlen. Die über die Felder verstreuten Bauern beruhigten ihn. Endlich hörte er den Motor eines Autos und wusste, dass er in Sicherheit war. Das Fahrzeug näherte sich aus Richtung Assiut, der Stadt. Es kam hinter einer Kurve hervor, und er sah, dass es ein Militärjeep war. Kurz darauf bemerkte er, dass die Insassen britische Armeeuniformen trugen, und begriff, dass er eine Gefahr hinter sich gelassen hatte, nur um mit einer neuen konfrontiert zu werden.

Er zwang sich zur Ruhe. Ich habe jedes Recht, hier zu sein, dachte er. Ich wurde in Alexandria geboren, bin von ägyptischer Nationalität und besitze ein Haus in Kairo. Meine Papiere sind alle echt. Ich bin ein reicher Mann, ein Europäer und ein deutscher Spion hinter den feindlichen Linien.

Der Jeep kam in einer Staubwolke kreischend zum Stehen. Einer der Männer sprang heraus. Er hatte zwei Stoffsterne auf jeder Schulter seines Uniformhemdes: ein Captain. Er wirkte erstaunlich jung und hinkte.

»Woher, zum Teufel, kommen Sie denn?«, fragte er.

Wolff stellte seine Koffer ab und deutete, ruckartig mit dem Daumen über die Schulter. »Mein Auto ist auf der Wüstenstraße stehen geblieben.«

Der Captain nickte und gab sich mit der Erklärung sofort zufrieden: Ihm – und jedem anderen – wäre nie eingefallen, dass ein Europäer aus Libyen zu Fuß hier hergekommen sein könnte. »Ich möchte mir Ihre Papiere ansehen, bitte.«

Wolff reichte sie ihm. Der Captain prüfte die Papiere und schaute auf. Wolff dachte: In Berlin gibt es eine undichte Stelle, und jeder Offizier in Ägypten ist auf der Suche nach mir; oder man hat die Papiere geändert, seit ich zum letzten Mal hier war, und meine sind veraltet; oder …

»Sie scheinen müde zu sein, Mr. Wolff«, sagte der Captain. »Wie lange sind Sie schon unterwegs?«

Wolff wurde klar, dass sein Äußeres bei einem anderen Europäer recht nützliche Sympathie erwecken konnte. »Seit gestern Nachmittag«, antwortete er mit einer Erschöpfung, die nicht völlig gekünstelt war. »Ich habe mich ein bisschen verlaufen.«

»Sie sind die ganze Nacht hier draußen gewesen?« Der Captain musterte Wolffs Gesicht genauer. »Lieber Himmel, ich glaube, es stimmt. Wir nehmen Sie am besten mit.« Er drehte sich zu dem Jeep um. »Corporal, die Koffer.«

Wolff öffnete den Mund, um zu protestieren, machte ihn jedoch sofort wieder zu. Ein Mann, der die ganze Nacht zu Fuß unterwegs gewesen war, würde froh sein, wenn ihm jemand das Gepäck abnahm. Ein Einwand würde seine Geschichte nicht nur unglaubwürdig erscheinen lassen, sondern auch die Aufmerksamkeit auf die Koffer lenken. Während der Corporal sie hinten auf den Jeep wuchtete, fiel Wolff ein, dass er sich nicht einmal die Mühe gemacht hatte, sie abzuschließen. Wie hatte er so dumm sein können? Die Antwort lag auf der Hand: Er war immer noch auf die Wüste eingestimmt, wo man Glück hat, wenn man einmal in der Woche andere Menschen sieht; dort wäre niemandem in den Sinn gekommen, ein Funkgerät zu stehlen, das an eine Steckdose angeschlossen werden muss. Wolff achtete immer noch auf die falschen Dinge: Er beobachtete die Bewegung der Sonne, schnupperte nach Wasser in der Luft, schätzte die Entfernungen, die er zurücklegte, und musterte den Horizont, als suche er einen einsamen Baum, in dessen Schatten er während der Tageshitze rasten konnte. All das musste er jetzt vergessen und sich auf Polizisten, Papiere, Schlösser und Lügen konzentrieren.

Er nahm sich vor, wachsamer zu sein, und kletterte in den Jeep.

Der Captain setzte sich neben ihn und befahl dem Fahrer: »Zurück in die Stadt.«

Wolff entschied sich, seine Geschichte auszubauen. Während der Jeep auf der staubigen Straße wendete, fragte er: »Haben Sie etwas Wasser?«

»Natürlich.« Der Captain griff unter seinen Sitz und zog eine filzbedeckte Blechflasche hervor, die einem großen Whiskybehälter glich. Er schraubte den Verschluss ab und reichte sie Wolff.

Wolff trank mit tiefen Zügen und schluckte mehr als einen halben Liter. »Vielen Dank«, sagte er und gab die Flasche zurück.

»Sie sind ganz schön durstig. Kein Wunder. Oh, übrigens, ich bin Captain Newman.« Er streckte die Hand aus.

Wolff schüttelte sie und betrachtete den Mann genauer. Er war tatsächlich jung – vielleicht Anfang Zwanzig –, mit einem frischen Gesicht, einer jungenhaften Tolle und einem raschen Lächeln. Sein Benehmen verriet jene fatale Reife, die im Kampf früh erworben wird. »Sie sind im Einsatz gewesen?«

»Eine Zeit lang.« Captain Newman berührte sein Knie. »Hab mir das Bein in der Cyrenaika zerschunden. Deshalb bin ich in dieses Nest geschickt worden.« Er grinste. »Ich kann nicht behaupten, dass ich mich danach sehnte, in die Wüste zurückzukehren, aber ich würde gern etwas Wichtigeres tun, als hier, Hunderte von Meilen vom Krieg entfernt, den Aufpasser abzugeben. Die einzigen Gefechte spielen sich in der Stadt zwischen Christen und Moslems ab. Woher stammt Ihr Akzent?«

Die plötzliche Frage, die mit den vorherigen Bemerkungen nichts zu tun hatte, überraschte Wolff. Das war ihr Zweck gewesen, wie ihm schien. Captain Newman war ein scharfsinniger junger Mann. Zum Glück hatte Wolff eine Antwort vorbereitet. »Meine Eltern waren Buren, die aus Südafrika nach Ägypten kamen. Ich wuchs mit Afrikaans und Arabisch auf.« Er zögerte, auf keinen Fall durfte er seine Karte überreizen, indem er allzu bereitwillig Erklärungen abgab. »Mein Name – Wolff – ist niederländisch, und ich wurde nach meiner Geburtsstadt Alex getauft.«

Newman bewies höfliches Interesse. »Was führt Sie hierher?« Auch darauf war Wolff vorbereitet. »Ich habe geschäftliche Verbindungen in mehreren Städten Oberägyptens.« Er lächelte. »Ich möchte sie überraschend besuchen.«

Sie erreichten Assiut. Nach ägyptischen Maßstäben war es eine große Stadt, mit Fabriken, Krankenhäusern, einer islamischen Universität, einem berühmten Kloster und rund 60 000 Einwohnern. Wolff wollte gerade darum bitten, am Bahnhof abgesetzt zu werden, als Newman ihn vor diesem Irrtum bewahrte. »Sie brauchen eine Werkstatt«, sagte der Captain. »Wir bringen Sie zu Nasif. Er hat einen Abschleppwagen.« Wolff zwang sich zu einem: »Vielen Dank.« Er schluckte trocken. Immer noch reagierte er nicht rasch genug. Wenn ich mich nur zusammenreißen könnte, sagte er sich, die verdammte Wüste hat meine Reflexe verdorben. Er blickte auf seine Armbanduhr. Die Zeit reichte, um die Komödie bei der Werkstatt mitzuspielen und den täglichen Zug nach Kairo trotzdem zu erreichen. Was sollte er tun? Er musste die Werkstatt aufsuchen, da Newman ihn sicher beobachten ließ. Dann würden die Soldaten weiterfahren. Wolff würde sich nach Ersatzteilen oder etwas Ähnlichem erkundigen, um danach zum Bahnhof zu gehen.

Wenn er Glück hatte, würden Nasif und Newman sich nie über das Thema Alex Wolff unterhalten.

Der Jeep fuhr durch die geschäftigen, engen Straßen. Die vertrauten Bilder einer ägyptischen Stadt gefielen Wolff: die bunte Baumwollkleidung, die Frauen mit Bündeln auf dem Kopf, die diensteifrigen Polizisten, die gerissenen Burschen mit Sonnenbrillen, die winzigen Läden, deren Inhalt in die ausgefahrenen Straßen quoll, die zerbeulten Autos und die überladenen Esel. Sie hielten vor einer Reihe niedriger Gebäude aus Lehmziegeln an. Die Straße war von einem uralten Lastwagen und den Resten eines ausgeschlachteten Fiats halb blockiert. Ein kleiner Junge saß auf dem Boden vor dem Eingang und arbeitete mit dem Schraubenschlüssel an einem Zylinderblock.

»Ich muss Sie leider hier absetzen«, sagte Newman. »Die Pflicht ruft.«

Wolff schüttelte ihm die Hand. »Sie waren sehr freundlich.«

»Es ist mir wirklich peinlich, Sie im Stich zu lassen«, fuhr Newman fort. »Sie haben viel durchgemacht.« Er runzelte die Stirn, dann hellte seine Miene sich auf. »Hören Sie, ich lasse Corporal Cox zurück. Er kann sich um Sie kümmern.«

»Das ist sehr nett, aber nicht …«

Newman hörte nicht zu. »Nehmen Sie die Koffer des Mannes, Cox, und passen Sie gut auf. Ich möchte, dass Sie ihm helfen, aber überlassen Sie nichts diesen Arabern. Verstanden?«

»Ja, Sir!«, entgegnete Cox.

Wolff stöhnte innerlich. Nun würde es weitere Verzögerungen geben; und er musste den Corporal abschütteln. Captain Newmans Freundlichkeit wurde zu einer Plage – konnte das beabsichtigt sein?

Cox und Wolff stiegen aus, und der Jeep setzte sich in Bewegung. Wolff betrat Nasifs Werkstatt, während Cox ihm mit den Koffern folgte.

Nasif war ein lächelnder junger Mann in einer schmutzigen Galabiya. Er arbeitete beim Licht einer Öllampe an einer Autobatterie und sprach sie auf Englisch an. »Möchten Sie wunderbares Auto mieten? Mein Bruder hat Bentley.«

Wolff unterbrach ihn in einem raschen, ägyptischen Arabisch. »Mein Auto ist stehen geblieben. Sie sollen einen Abschleppwagen haben.«

»Ja. Wir können sofort abfahren. Wo ist das Auto?«

»Auf der Wüstenstraße, vierzig oder fünfzig Meilen entfernt. Aber wir kommen nicht mit.« Er zog seine Brieftasche hervor und gab Nasif eine englische Pfundnote. »Sie finden mich im Grand Hotel neben dem Bahnhof, wenn Sie zurück sind.«

Nasif nahm das Geld bereitwillig an. »Sehr gut! Ich fahre gleich los!«

Wolff nickte kurz und drehte sich um. Während er mit Cox im Gefolge die Werkstatt verließ, dachte er über die Konsequenzen seines kurzen Gesprächs mit Nasif nach. Der Mechaniker würde mit seinem Abschleppwagen in die Wüste fahren und die Straße nach dem Auto absuchen. Schließlich würde er ins Grand Hotel zurückkehren, um seinen Misserfolg zu melden. Dort würde er erfahren, dass Wolff abgereist war. Wenn er sich dann für den verschwendeten Tag auch nicht zu schlecht bezahlt fühlte, dürfte ihn das wahrscheinlich nicht daran hindern, allen möglichen Leuten die Geschichte des verschwundenen Fords und des verschwundenen Fahrers zu erzählen. So würde Captain Newman früher oder später davon hören. Newman, obwohl unschlüssig, was von der Sache zu halten sei, würde sich doch mit Sicherheit veranlasst sehen, das Rätsel zu untersuchen.

Wolffs Stimmung trübte sich, als ihm klar wurde, dass damit sein Plan, sich unbeobachtet in Ägypten einzuschleichen, gescheitert sein konnte.

Er würde das Beste daraus machen müssen. Noch hatte er Zeit, den Zug zu erreichen. Er würde Cox im Foyer des Hotels abschütteln und – wenn er sich beeilte – noch etwas essen und trinken können, bevor der Zug abfuhr.

Cox war ein kleiner dunkelhaariger Mann mit einem britischen Provinzakzent, den Wolff nicht einordnen konnte. Er schien ungefähr in Wolffs Alter zu sein, und da er es nur zum Corporal gebracht hatte, hielt Wolff ihn für nicht allzu intelligent. Er folgte Wolff über die Midan el-Mahatta und fragte: »Sie kennen diese Stadt, Sir?«

»Ich bin schon einmal hier gewesen«, antwortete Wolff.

Sie betraten das Grand Hotel. Mit 26 Zimmern war es das größere der beiden Hotels der Stadt. Wolff wandte sich zu Cox. »Vielen Dank, Corporal. Ich glaube, Sie können sich jetzt wieder an Ihre Arbeit machen.«

»Keine Eile, Sir«, sagte Cox munter. »Ich trage Ihre Koffer nach oben.«

»Ich bin sicher, dass es hier Träger gibt.«

»Denen würde ich an Ihrer Stelle nicht trauen, Sir.«

Die Situation entwickelte sich mehr und mehr zu einem Albtraum oder einer Farce. Er fragte sich wieder, ob dies vollkommen zufällig sei, und hatte die erschreckende Ahnung, dass sie vielleicht alles wussten und nun einfach mit ihm spielten.

Wolff schob den Gedanken beiseite und antwortete Cox mit so viel Höflichkeit, wie er aufbringen konnte: »Also gut, danke.«

Er wandte sich zur Rezeption und bat um ein Zimmer. Ein Blick auf die Uhr: noch eine Viertelstunde. Er füllte rasch das Formular aus und gab eine fingierte Adresse in Kairo an; es bestand die Möglichkeit, dass Captain Newman die echte Adresse im Ausweis vergaß, und Wolff wollte keinen Hinweis zurücklassen.

Ein nubischer Page führte sie nach oben zu dem Zimmer. Wolff gab ihm an der Tür ein Trinkgeld. Cox legte die Koffer auf das Bett.

Wolff griff zu seiner Brieftasche. Vielleicht erwartete auch Cox ein Trinkgeld. »Corporal«, begann er, »Sie haben mir sehr geholfen …«

»Gestatten Sie mir, Ihre Sachen auszupacken«, sagte Cox. »Der Captain hat befohlen, nichts den Arabern zu überlassen.«

»Nein, danke«, lehnte Wolff mit fester Stimme ab. »Ich möchte mich sofort hinlegen.«

»Legen Sie sich nur hin«, beharrte Cox großzügig. »Es wird nicht lange …«

»Nicht öffnen!«

Cox hob den Kofferdeckel. Wolff schob die Hand in die Jacke und dachte: verdammter Kerl. Jetzt bin ich aufgeflogen. Ich hätte den Koffer abschließen sollen. Ob ich es leise tun kann? Der kleine Corporal starrte auf die säuberlichen Stapel neuer englischer Pfundnoten, die den kleinen Koffer füllten. Er sagte: »Jesus, haben Sie ’ne Menge Kohle!« Während er vortrat, fiel Wolff ein, dass Cox wohl noch nie in seinem Leben so viel Geld gesehen hatte. Cox begann sich umzudrehen. »Was wollen Sie mit all dem …«

Wolff zog das gefährlich geschwungene Beduinenmesser hervor, es glänzte in seiner Hand, als seine Augen die von Cox trafen. Der zuckte zusammen und öffnete den Mund, um zu schreien, doch da schnitt schon die rasiermesserscharfe Klinge tief in das weiche Fleisch seiner Kehle, sein Angstschrei wurde zu einem blutigen Gurgeln, und er starb. Wolff spürte nichts als ein Gefühl der Unzufriedenheit.

2

Es war Mai, und der Chamsin blies, ein heißer, staubiger Südwind. William Vandam stand unter der Dusche und litt unter dem deprimierenden Gedanken, dass dies der einzige Zeitpunkt des Tages sein würde, an dem er sich frisch fühlte. Er drehte das Wasser ab und rieb sich rasch trocken. Sein Körper schmerzte an vielen Stellen. Er hatte am Tag zuvor Cricket gespielt, zum ersten Mal seit Jahren. Der Nachrichtendienst des Generalstabs hatte mit Mühe eine Mannschaft zusammenbekommen, um gegen die Ärzte des Feldlazaretts zu spielen – Spione gegen Quacksalber, wie sie es genannt hatten. Vandam, als Fänger an der Spielfeldgrenze, hatte sich die Lunge aus dem Hals gerannt, da die Mediziner die von den Nachrichtendienstlern geworfenen Bälle über den ganzen Platz schlugen. Nun musste er zugeben, dass er nicht bei guter Kondition war. All der Gin oder auch die Zigaretten hatten seiner Stärke und Ausdauer geschadet; außerdem plagten ihn zu viele Sorgen, sodass er dem Spiel nicht die Konzentration widmen konnte, die es verdiente.

Er steckte sich eine Zigarette an, hustete und begann sich zu rasieren. Er rauchte immer beim Rasieren, nur so konnte er die Langeweile dieser täglichen Routine ertragen. Vor fünfzehn Jahren hatte er geschworen, sich einen Bart wachsen zu lassen, sobald er die Armee hinter sich hatte, aber er war immer noch Soldat.

Vandam zog seine gewohnte Uniform an: Socken, schwere Sandalen, Buschhemd und die Khakishorts mit den Laschen, die zum Schutz gegen Moskitos hinuntergeklappt und unterhalb der Knie zugeknöpft werden konnten. Niemand benutzte die Laschen je, und die jüngeren Offiziere schnitten sie meist ab, weil sie so lächerlich aussahen.

Auf dem Fußboden neben dem Bett stand eine leere Ginflasche. Vandam betrachtete sie, angewidert von sich selbst. Es war das erste Mal, dass er die verdammte Flasche mit ins Bett genommen hatte. Er hob sie auf, schraubte den Verschluss fest und warf sie in den Abfalleimer. Dann ging er nach unten.

Gaafar kochte gerade in der Küche Tee. Vandams Diener war ein alter Kopte mit kahlem Kopf und schlurfendem Gang; er hatte den Ehrgeiz, sich wie ein englischer Butler zu benehmen. Das würde er wohl nie schaffen, aber er besaß etwas Würde und war ehrlich, Eigenschaften, die für ägyptische Hausangestellte nicht gerade typisch waren, wie Vandam herausgefunden hatte.

»Ist Billy aufgestanden?«, fragte Vandam.

»Ja, Sir, er kommt sofort herunter.«

Vandam nickte. Wasser sprudelte in einem kleinen Topf auf dem Herd. Er legte ein Ei hinein und stellte die Eieruhr. Danach schnitt er zwei Scheiben von einem nach englischer Art gebackenen Brotlaib ab und machte Toast. Er bestrich den Toast mit Butter, schnitt ihn in Streifen, nahm das Ei aus dem Wasser und köpfte es.

Billy kam in die Küche und sagte: »Guten Morgen, Dad.«

Vandam lächelte seinem zehnjährigen Sohn zu. »Morgen. Das Frühstück ist fertig.«

Der Junge begann zu essen. Vandam saß ihm bei einer Tasse Tee gegenüber und schaute zu. Billy sah in letzter Zeit morgens oft müde aus. Früher war er beim Frühstück immer frisch und munter gewesen. Schlief er schlecht? Oder ähnelte sein Stoffwechsel einfach immer mehr dem eines Erwachsenen? Vielleicht lag es daran, dass er nachts zu lange wach blieb, weil er unter dem Laken beim Licht einer Taschenlampe Detektivgeschichten las.

Man behauptete, dass Billy seinem Vater glich, aber Vandam konnte keine Ähnlichkeit entdecken. Er fand nur Spuren von Billys Mutter: die grauen Augen, die zarte Haut und die etwas arrogante Miene, wenn jemand ihn verärgert hatte.

Vandam bereitete immer das Frühstück für seinen Sohn zu. Der Diener wäre durchaus dazu fähig gewesen, aber Vandam wollte sich dieses kleine Ritual erhalten. Oft waren es die einzigen Minuten des Tages, die er mit Billy verbrachte. Sie redeten nicht viel – Billy aß, und Vandam rauchte –, doch das spielte keine Rolle: Wichtig war nur, dass sie zu Beginn jeden Tages eine Weile zusammen waren.

Nach dem Frühstück putzte Billy sich die Zähne, während Gaafar Vandams Motorrad holte. Billy kam mit seiner Schulmütze auf dem Kopf zurück, und Vandam setzte seine Uniformmütze auf. Wie jeden Tag salutierten sie voreinander. Billy sagte: »Gut, Sir, dann wollen wir mal den Krieg gewinnen.« Damit gingen sie hinaus.

*

Major Vandams Büro lag in Grey Pillars, einer mit Stacheldraht umzäunten Gebäudegruppe, die das »Große Hauptquartier Naher Osten« beherbergte. Bei seiner Ankunft fand er einen Bericht auf dem Schreibtisch vor. Er setzte sich, zündete eine Zigarette an und begann zu lesen.

Der Bericht kam aus Assiut, 300 Meilen südlich, und zuerst verstand Vandam nicht, wieso er an den Nachrichtendienst geleitet worden war. Eine Patrouille hatte auf der Landstraße einen Europäer mitgenommen, der später einen Corporal mit dem Messer ermordete. Die Leiche war am Abend zuvor entdeckt worden, fast unmittelbar nachdem man die Abwesenheit des Corporals bemerkt hatte, aber mehrere Stunden nach dessen Tod. Ein Mann, welcher der Beschreibung des Europäers entsprach, hatte am Bahnhof eine Fahrkarte nach Kairo gekauft, aber zu dem Zeitpunkt, als die Leiche gefunden wurde, war der Zug schon in Kairo angekommen, und der Mörder war in der Stadt untergetaucht.

Es gab keinen Hinweis auf ein Motiv.

Die ägyptische Polizei und die britische Militärpolizei würden schon in Assiut Nachforschungen anstellen, und ihre Kollegen in Kairo würden die Einzelheiten – wie Vandam – heute Morgen erfahren. Welchen Grund gab es, den Nachrichtendienst einzuschalten?

Vandam runzelte die Stirn und dachte nach. Ein Europäer wird in der Wüste aufgelesen. Er behauptet, sein Auto habe eine Panne, nimmt sich ein Zimmer in einem Hotel, verlässt es ein paar Minuten später und fährt mit dem Zug ab. Sein Auto wird nicht gefunden. Die Leiche eines Soldaten wird am selben Abend in dem Hotelzimmer entdeckt.

Was hatte das zu bedeuten?

Vandam rief Assiut an. Die Vermittlung des Armeelagers brauchte eine Weile, um Captain Newman aufzustöbern, aber schließlich wurde er im Magazin angetroffen und ans Telefon geholt.

»Dieser Messermord sieht fast nach einer aufgeflogenen Tarnung aus«, sagte Vandam.

»So schien es mir auch, Sir«, antwortete Newman. Seine Stimme klang jung. »Deshalb habe ich den Bericht an den Nachrichtendienst geschickt.«

»Sehr umsichtig. Sagen Sie, welchen Eindruck hatten Sie von dem Mann?«

»Er war ein großer Kerl …«

»Ich habe Ihre Beschreibung vor mir – einen Meter achtzig, rund 76 Kilo, dunkles Haar, dunkle Augen –, aber das verrät mir nicht, was für ein Mensch er war.«

»Ich verstehe«, entgegnete Newman. »Nun, um ehrlich zu sein, zuerst hegte ich nicht den geringsten Verdacht gegen ihn. Er sah völlig erschöpft aus, was mit seiner Geschichte zusammenzuhängen schien, dass er auf der Wüstenstraße eine Panne hatte, und er wirkte wie ein rechtschaffener Bürger: ein Weißer, anständig gekleidet, ziemlich redegewandt, mit einem holländischen oder – besser gesagt – Afrikaans-Akzent. Seine Papiere waren perfekt, ich bin immer noch ganz sicher, dass sie echt sind.«

»Aber …?«

»Er erzählte, dass er sich um seine Geschäfte in Oberägypten kümmern wolle.«

»Recht plausibel.«

»Ja, aber er schien mir nicht der Typ, der sein Leben für ein paar Geschäfte, kleine Fabriken oder Baumwollfarmen einsetzt. Er war eher ein selbstbewusster Großstädter: Geld, wenn er etwas besaß, hätte er wahrscheinlich bei einem Londoner Makler oder einer Schweizer Bank investiert. Er war einfach kein Krämer … Es ist sehr vage, Sir, aber verstehen Sie, was ich meine?«

»Durchaus.« Newman machte einen intelligenten Eindruck. Wieso saß er da draußen in Assiut fest?

Newman fuhr fort: »Und dann fiel mir ein, dass er sozusagen ganz plötzlich in der Wüste aufgetaucht war und ich eigentlich nicht wusste, woher er gekommen sein konnte … Deshalb befahl ich dem armen alten Cox, bei ihm zu bleiben, unter dem Vorwand, ihm zu helfen. Ich wollte sichergehen, dass er sich nicht davonmachte, bevor wir seine Geschichte überprüft hatten. Ich hätte den Mann natürlich festnehmen sollen, aber aufrichtig gesagt, Sir, bis dahin hatte ich nichts als einen ganz leichten Verdacht.«

»Niemand macht Ihnen Vorwürfe, Captain«, sagte Vandam. »Ausgezeichnet, dass Sie sich den Namen und die Adresse aus den Papieren eingeprägt haben. Alex Wolff, Villa les Oliviers, Garden City, stimmt’s?«

»Jawohl, Sir.«

»In Ordnung. Bleiben Sie den Dingen an Ihrem Ort auf der Spur.«

»Jawohl, Sir.«

Vandam hängte ein. Newmans Verdacht entsprach seinen eigenen Instinkten, was den Mord betraf. Er beschloss, mit seinem direkten Vorgesetzten zu reden. Mit dem Bericht in der Hand verließ er das Büro.

Der Nachrichtendienst des Generalstabes wurde von einem Brigadegeneral mit dem Titel Director of Military Intelligence geleitet. Der DMI hatte zwei Stellvertreter: den Chef der Operations- und den der Nachrichtendienstabteilung. Die Stellvertreter waren Obersten. Vandams Vorgesetzter, Oberstleutnant Bogge, unterstand der Operationsabteilung. Bogge war für Personalsicherheit verantwortlich und verbrachte den größten Teil seiner Zeit damit, den Zensurapparat zu verwalten. Vandam hatte mit undichten Stellen im Sicherheitssystem zu tun. Er und seine Leute verfügten über mehrere hundert Agenten in Kairo und Alexandria. In den meisten Klubs und Bars gab es einen Kellner, der von ihm bezahlt wurde, er hatte einen Informanten unter dem Hauspersonal der wichtigeren arabischen Politiker, König Faruks Kammerdiener arbeitete für Vandam ebenso wie der wohlhabendste Dieb von Kairo. Er war an denen interessiert, die zu viel redeten, und an denen, die zuhörten. Unter den Zuhörern fasste er vor allem arabische Nationalisten ins Auge. Es schien jedoch möglich, dass der geheimnisvolle Mann aus Assiut eine andere Bedrohung darstellte.

Vandams Kriegskarriere war bis jetzt von einem aufsehenerregenden Erfolg und einem großen Fehlschlag gekennzeichnet. Der Fehlschlag ereignete sich in der Türkei. Raschid Ali war aus dem Irak dorthin geflüchtet. Die Deutschen wollten ihn herausholen und zu Propagandazwecken einsetzen; die Briten wollten ihn von der Öffentlichkeit fernhalten, und die Türken, bestrebt, ihre Neutralität zu wahren, wollten niemanden vor den Kopf stoßen. Vandam hatte dafür sorgen sollen, dass Ali in Istanbul blieb, doch der hatte seine Kleidung mit einem deutschen Agenten getauscht und war direkt vor Vandams Nase aus dem Land entkommen. Ein paar Tage später hatte er über die Deutsche Welle Propagandareden an den Nahen Osten gehalten. Vandam konnte seinen Fehler in Kairo zum Teil wiedergutmachen. London hatte damals Grund zu der Annahme, dass dort entscheidende Nachrichten durchsickerten, und nach drei Monaten mühsamer Nachforschungen entdeckte Vandam, dass ein höherer amerikanischer Diplomat über einen unsicheren Code nach Washington berichtete. Man hatte den Code geändert, die undichte Stelle gestopft und Vandam zum Major befördert.

Wenn er Zivilist oder Soldat in Friedenszeiten gewesen wäre, hätte er auf seinen Triumph stolz sein und sich mit seiner Niederlage abfinden können. Er hätte sich gesagt: »Mal gewinnt man, mal verliert man.« Aber im Krieg kommen Menschen durch den Fehler eines Offiziers um. Bei der Raschid-Ali-Affäre war eine Agentin ermordet worden, was Vandam sich nicht verzeihen konnte.

Er klopfte an Oberstleutnant Bogges Tür und trat ein. Reggie Bogge war ein kleiner, vierschrötiger Mann in den Fünfzigern mit makelloser Uniform und pomadisiertem schwarzen Haar. Er räusperte sich nervös, wenn er nicht genau wusste, was er sagen sollte – und das geschah oft. Bogge saß an einem riesigen geschwungenen Schreibtisch, größer als der des DMI, und ging seinen Ablagekasten durch. Er war immer gern bereit zu plaudern und bedeutete Vandam, auf einem Stuhl Platz zu nehmen. Dann nahm er einen hellroten Cricketball und warf ihn von einer Hand zur anderen. »Sie haben gestern gut gespielt.«

»Sie waren auch nicht schlecht«, antwortete Vandam. Es stimmte: Bogge war der einzige anständige Bowler seiner Mannschaft gewesen, und er hatte mit seinen langsamen Bällen vier Schläger in zweiundvierzig Läufen ausgeschaltet. »Aber gewinnen wir den Krieg?«

»Leider gibt es noch mehr miese Nachrichten.« Die Lagebesprechung hatte noch nicht stattgefunden, aber Bogge schnappte immer schon vorher das Neueste auf. »Wir erwarteten, dass Rommel direkt von vorn angreifen würde. Hätten uns denken können, dass der Bursche nie offen und ehrlich kämpft. Er hat unsere Südflanke umgangen, das Hauptquartier der Siebten Panzerdivision erobert und General Messervy gefangen genommen.«

Es war eine deprimierend vertraute Geschichte, und Vandam fühlte sich plötzlich müde. »Was für ein Durcheinander.«

»Zum Glück konnte er nicht bis zur Küste vordringen, sodass die Divisionen an der Ghasala-Front nicht isoliert sind. Trotzdem …«

»Aber wann werden wir ihn bloß aufhalten?«

»Er wird nicht viel weiterkommen.« Es war eine idiotische Bemerkung. Bogge wollte sich nicht auf Kritik an Generälen einlassen. »Was haben Sie da?«

Vandam gab ihm den Bericht. »Ich möchte der Sache nachgehen.«

Bogge las und blickte auf. Seine Miene war verständnislos. »Was soll das Ganze?«

»Es sieht nach einer aufgeflogenen Tarnung aus.«

»Mh?«

»Es gibt kein Motiv für den Mord, deshalb müssen wir spekulieren«, erklärte Vandam. »Eine Möglichkeit: Der Reisende war jemand anders, als er behauptete. Der Corporal kam dahinter und wurde deshalb umgebracht.«

»Jemand anders, als er behauptete, Sie meinen, dass er ein Spion war?« Bogge lachte. »Wie soll er wohl nach Assiut gekommen sein, mit dem Fallschirm? Oder ist er zu Fuß gegangen?«

Das war das Problem, wenn man versuchte, Bogge etwas zu erklären: Er musste die Idee lächerlich machen, als Entschuldigung dafür, dass er sie nicht selbst gehabt hatte. »Es ist nicht unmöglich, dass ein kleines Flugzeug durchschlüpft, und es ist auch nicht unmöglich, die Wüste zu durchqueren.«

Bogge ließ den Bericht über die weite Fläche seines Schreibtischs segeln. »Nicht sehr wahrscheinlich. Verschwenden Sie damit keine Zeit.«

»Jawohl, Sir.« Vandam hob den Bericht vom Boden auf und unterdrückte seine Wut. Gespräche mit Bogge verwandelten sich immer in einen Wettbewerb, und es war am klügsten, nicht mitzuspielen. »Ich werde die Polizei bitten, uns über ihren Fortschritt auf dem Laufenden zu halten – Kopien von Vermerken und so weiter, nur für die Akten.«

»In Ordnung.« Bogge hatte nie etwas dagegen, dass ihm Kopien für die Akten geschickt wurden. Dadurch konnte er überall mitmischen, ohne Verantwortung zu übernehmen.

»Hören Sie, was halten Sie davon, etwas Crickettraining zu organisieren? Ich möchte unsere Mannschaft in Form bringen und noch ein paar Wettkämpfe veranstalten.«

»Gute Idee.«

»Sehen Sie zu, dass Sie etwas auf die Beine stellen.«

»Jawohl, Sir.« Vandam ging hinaus. Auf dem Rückweg zu seinem Büro überlegte er, woran es der Verwaltung der britischen Armee fehlen mochte, wenn sie einen so hohlköpfigen Mann wie Reggie Bogge zum Oberstleutnant beförderte. Vandams Vater, ein Corporal im Ersten Weltkrieg, hatte immer gesagt, britische Soldaten seien »von Eseln geführte Löwen«. Manchmal schien Vandam der Ausspruch noch immer zuzutreffen. Aber Bogge war nicht nur einfältig. Zuweilen traf er schlechte Entscheidungen, weil er nicht klug genug war, um gute zu treffen; aber meistens traf er nach Vandams Ansicht schlechte Entscheidungen, weil es ihm darauf ankam, Eindruck zu schinden und überlegen zu wirken.

Eine Frau in einem weißen Krankenhauskittel salutierte, und Vandam erwiderte den Gruß geistesabwesend. Die Frau sagte: »Major Vandam, nicht wahr?«

Er blieb stehen und sah sie an. Sie hatte bei dem Cricketmatch zugeschaut, und nun entsann er sich ihres Namens. »Dr. Abuthnot. Guten Morgen.« Sie war eine hochgewachsene, beherrschte Frau in seinem Alter. Er erinnerte sich, dass sie Chirurgin war, im Rang eines Captains. Ein ungewöhnlicher Beruf für eine Frau, sogar in Kriegszeiten.

»Sie haben sich gestern sehr angestrengt«, bemerkte Dr. Abuthnot.

Vandam lächelte. »Und heute muss ich dafür büßen. Aber es hat mir Spaß gemacht.«

»Mir auch.« Sie hatte eine tiefe, präzise Stimme und wirkte sehr selbstbewusst. »Werden wir Sie am Freitag begrüßen können?«

»Wo?«

»Beim Empfang in der Union.«

»Ah.« Die Anglo-Ägyptische Union, ein Klub für gelangweilte Europäer, machte gelegentliche Versuche, ihren Namen zu rechtfertigen, indem sie Empfänge für ägyptische Gäste arrangierte. »Gern. Um welche Zeit?«

»17.00 Uhr, zum Tee.«

Vandam hatte professionelles Interesse: Es war ein Ereignis, bei dem Ägypter Armeeklatsch aufschnappen konnten, der manchmal für den Feind nützliche Informationen enthielt. »Ich komme.«

»Sehr schön. Ich werde Sie dort sehen.« Sie wandte sich ab.

»Ich freue mich«, sagte Vandam. Er sah ihr nach und fragte sich, was sie wohl unter dem Krankenhauskittel trug. Sie war schlank, elegant und selbstsicher wie seine Frau.

Vandam betrat sein Büro. Er beabsichtigte nicht, das Crickettraining zu organisieren, und er hatte nicht vor, den Mord in Assiut zu vergessen. Bogge mochte zum Teufel gehen. Er würde sich an die Arbeit machen.

Zunächst sprach er wieder mit Captain Newman und wies ihn an, dafür zu sorgen, dass Alex Wolffs Beschreibung so weit wie möglich verbreitet wurde.

Er rief die ägyptische Polizei an und ließ sich bestätigen, dass sie heute die Hotels und Absteigen von Kairo überprüfen werde.

Dann nahm er Kontakt mit dem Abschirmdienst auf und bat, die Kontrolle von Ausweispapieren für ein paar Tage zu verschärfen.

Er riet dem britischen Generalzahlmeister, besondere Ausschau nach gefälschten Banknoten halten zu lassen.

Darauf informierte er den Funkabhördienst und forderte, auf einen neuen örtlichen Sender zu achten.

Schließlich befahl er einem Sergeanten seines Stabes, alle Radiogeschäfte in Unterägypten – von denen es nicht viele gab – zur Meldung jedes Verkaufs von Einzelteilen anzuweisen, mit denen sich Funkgeräte herstellen oder reparieren ließen.

Dann fuhr er zur Villa les Oliviers.

*

Das Haus hatte seinen Namen von einem kleinen, öffentlichen Garten auf der anderen Straßenseite erhalten, in dem nun ein Hain von Olivenbäumen blühte und weiße Blütenblätter auf das trockene braune Gras fallen ließ.

Die hohe Mauer des Gebäudes wurde von einem schweren geschnitzten Holztor unterbrochen. Vandam setzte die Füße auf die Verzierungen, kletterte über das Tor und sprang auf der anderen Seite in einen großen Hof. Die getünchten Wände waren verschmiert und schmuddelig, die Fenster mit den abblätternden Läden geschlossen. Er ging zur Mitte des Hofes und betrachtete den Steinbrunnen. Eine hellgrüne Eidechse jagte über den trockenen Boden.

Seit mindestens einem Jahr hatte hier niemand gewohnt. Vandam öffnete einen Laden, zerbrach eine Scheibe, um das Fenster zu entriegeln, und kletterte über das Brett ins Haus. Es sieht nicht aus wie das Heim eines Europäers, dachte er, während er durch die dunklen, kühlen Räume ging. An den Wänden hingen keine Jagdbilder, und es gab keine säuberlichen Reihen bunt eingeschlagener Romane von Agatha Christie oder Dennis Wheatley. Auch die üblichen von Maples oder Harrods importierten Möbel fehlten. Stattdessen war das Haus mit großen Kisten und niedrigen Tischen, handgewebten Vorlegern und hängenden Gobelins ausgestattet.

Oben fand er eine verschlossene Tür. Er brauchte drei oder vier Minuten, um sie aufzutreten. Dahinter lag ein Arbeitszimmer.

Der Raum war sauber und ordentlich. Er enthielt ein paar recht luxuriöse Möbelstücke: einen breiten, niedrigen Diwan, der mit Samt überzogen war, einen handgeschnitzten Kaffeetisch, drei aufeinander abgestimmte antike Lampen, ein Bärenfell, einen wunderbar ziselierten Schreibtisch und einen Ledersessel.

Auf dem Schreibtisch befanden sich ein Telefon, eine saubere weiße Löschunterlage, ein Füllfederhalter mit Elfenbeingriff und ein trockenes Tintenfass. In der Schublade fand Vandam Firmenberichte aus der Schweiz, Deutschland und den Vereinigten Staaten. Ein feines Kaffeeservice aus gehämmertem Kupfer sammelte auf dem kleinen Tisch Staub. Auf einem Regal hinter dem Schreibtisch standen Bücher in mehreren Sprachen: französische Romane des 19. Jahrhunderts, das Shorter Oxford Dictionary, ein Band arabischer Dichtung mit erotischen Illustrationen – wie es Vandam schien – und eine deutsche Bibel.

Es gab keine persönlichen Dokumente.

Er sah keine Briefe.

Im ganzen Haus war kein einziges Foto.

Vandam setzte sich auf den weichen Ledersessel hinter dem Schreibtisch und musterte das Zimmer. Es war das Zimmer eines Mannes, das Heim eines weltoffenen Intellektuellen, der ebenso vorsichtig, präzise und reinlich zu sein schien wie sensibel und sinnlich.

Vandam war fasziniert.

Ein europäischer Name, ein vollkommen arabisches Haus. Eine Aufstellung über Investitionen in Büromaschinen, ein Band erotischer arabischer Verse. Eine antike Kaffeekanne und ein modernes Telefon. Zahlreiche Informationen über den Charakter des Mannes, aber kein einziger Hinweis, wo man ihn finden konnte.

Das Zimmer war sorgfältig aufgeräumt worden.

Es hätte Bankauszüge, Rechnungen von Handwerkern, eine Geburtsurkunde und ein Testament, Briefe einer Geliebten und Fotografien von Eltern oder Kindern enthalten müssen. Der Mann hatte all diese Dinge gesammelt und entfernt, sodass keine Spur seiner Identität zurückblieb, als habe er gewusst, dass eines Tages jemand nach ihm suchen werde.

»Alex Wolff, wer bist du?«, fragte Vandam laut.

Er stand auf und verließ das Arbeitszimmer. Dann ging er durch das Haus und über den heißen, staubigen Hof. Er kletterte wieder über das Tor und ließ sich auf die Straße gleiten. Auf der anderen Seite des Fahrdamms, im Schatten der Olivenbäume, saß ein Araber mit gekreuzten Beinen. Er trug eine grüngestreifte Galabiya und beobachtete Vandam gleichmütig. Der Engländer spürte keine Veranlassung, ihm seine Gründe für den Einbruch zu erklären. Die Uniform eines britischen Offiziers war in dieser Stadt Autorität genug, um fast alles zu rechtfertigen. Er dachte über andere Quellen nach, aus denen er Informationen über den Eigentümer des Hauses beziehen könnte: städtische Verzeichnisse, so dürftig sie waren; örtliche Händler, die das Haus beliefert haben mochten, als es bewohnt war; sogar die Nachbarn. Er würde zwei seiner Männer darauf ansetzen und Bogge irgendeine Geschichte erzählen, um sich zu tarnen. Vandam bestieg sein Motorrad und trat auf den Anlasser. Der Motor röhrte heftig, und er fuhr davon.

3

Wütend und verzweifelt saß Wolff vor seinem Haus und sah zu, wie der britische Offizier auf seinem Motorrad davonfuhr.

Er erinnerte sich daran, wie das Haus in seiner Jugend gewesen war: von lauten Gesprächen, Lachen und Leben erfüllt. Dort, neben dem großen geschnitzten Tor, hatte immer ein Wächter auf dem Boden gesessen, ein schwarzer Hüne aus dem Süden, dem die Hitze nichts ausmachte. Jeden Morgen rezitierte ein heiliger Mann, alt und fast blind, im Hof aus dem Koran. In der Kühle des Bogenganges saßen die Männer der Familie auf niedrigen Diwanen und rauchten ihre Wasserpfeifen, während ihnen junge Sklaven Kaffee in langhalsigen Gefäßen servierten. Ein weiterer schwarzer Wächter stand an der Tür zum Harem, hinter der die Frauen sich langweilten und dick wurden. Die Tage waren lang und warm, die Familie war reich, und die Kinder wurden verwöhnt.

Der britische Offizier – mit seinen Shorts und seinem Motorrad, dem anmaßenden Gesicht und den neugierigen Augen, die vom Schatten der spitzen Uniformmütze verdeckt wurden – war hier eingebrochen und hatte Wolffs Kindheit entweiht. Wolff hätte gern das Gesicht des Mannes gesehen, denn er wollte ihn am liebsten eines Tages umbringen.

Während seiner ganzen Reise hatte er an dieses Haus gedacht: in Berlin und Tripolis und El Agheila, während des Schmerzes und der Erschöpfung in der Wüste. Bei seiner ängstlichen, hastigen Flucht aus Assiut war ihm die Villa als sicherer Hafen erschienen, ein Ort, an dem er sich nach der Reise erholen, säubern und ausheilen konnte. Er hatte sich darauf gefreut, im Bad zu liegen, im Hof Kaffee zu schlürfen und Frauen mit nach Hause in das große Bett zu bringen.

Jetzt würde er verschwinden und Distanz halten müssen.

Er hatte den ganzen Morgen draußen gewartet, bald auf und ab gehend, bald unter den Olivenbäumen sitzend, für den Fall, dass Captain Newman sich an die Adresse erinnerte und jemanden schickte, das Haus zu durchsuchen. Und vorher im Zug hatte er eine Galabiya gekauft, da er wusste, dass man nach einem Europäer, nicht nach einem Araber fahnden würde.

Es war ein Fehler gewesen, echte Papiere vorzuzeigen. Das wurde ihm im Rückblick klar. Er war daran gescheitert, dass er den Fälschungen der Abwehr misstraute. Von anderen Spionen hatte er Schauergeschichten über grobe Irrtümer gehört, welche dem deutschen Geheimdienst auf Dokumenten unterliefen: verpfuschter Druck, Papier minderer Qualität, sogar orthographische Fehler in ganz normalen englischen Wörtern. In der Spionageschule, auf der er seinen Chiffrierlehrgang absolviert hatte, war das Gerücht umgegangen, dass jeder Polizist in England den Besitzer einer Lebensmittelkarte mit einer bestimmten Serie von Zahlen als deutschen Spion identifizieren könne.

Wolff hatte die Alternativen abgewogen und die scheinbar weniger riskante gewählt. Er hatte sich geirrt und seine Unterkunft verloren.

Seine Familie? Seine Mutter und sein Stiefvater waren tot, aber er hatte in Kairo drei Stiefbrüder und eine Stiefschwester. Es wäre schwer für sie, ihn zu verstecken. Man würde sie verhören, sobald die Briten die Identität des Villenbesitzers entdeckten, was schon heute der Fall sein konnte. Und wenn seine Verwandten auch um seinetwillen lügen mochten, die Diener würden mit Sicherheit reden. Außerdem konnte er ihnen eigentlich nicht trauen, denn als sein Stiefvater gestorben war, hatte Alex als ältester Sohn das Haus und einen weiteren Teil des Erbes erhalten, obwohl er Europäer und nur ein adoptierter Sohn war. Es hatte bittere Auftritte und Besprechungen mit Rechtsanwälten gegeben; Alex war unnachgiebig geblieben, und die anderen hatten ihm nie verziehen.