Die Akzessorietät des Wirtschaftsstrafrechts - Markus Wagner - E-Book

Die Akzessorietät des Wirtschaftsstrafrechts E-Book

Markus Wagner

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Beschreibung

Nach wie vor ist ungeklärt, was das Wirtschaftsstrafrecht eigentlich ausmacht. Konsentiert ist lediglich, dass das Wirtschaftsstrafrecht sich in vielen Aspekten vom restlichen Strafrecht unterscheidet. Häufig findet sich die Behauptung, es sei eine der Besonderheiten des Wirtschaftsstrafrechts, dass es akzessorisch gegenüber dem sonstigen Recht ist, die Strafbarkeit eines Verhaltens also auch von Fragen des Zivilrechts und des öffentlichen Rechts abhängig ist. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass hierin keine Besonderheit des Wirtschaftsstrafrechts liegt, sondern die Akzessorietät vielmehr einen allgemeinen Grundsatz des Strafrechts darstellt. Insbesondere ist die Frage, ob ein Straftatbestand akzessorisch ist oder nicht, unabhängig von der redaktionellen Formulierung des konkreten Deliktstatbestandes. Des Weiteren legt der Autor dar, dass die Besonderheit des Wirtschaftsstrafrechts in der Berücksichtigung von Selbstregulationsmechanismen der Wirtschaft liegt und sich hieraus eine eigenständige Dogmatik des Wirtschaftsstrafrechts rechtfertigt. Vor diesem Hintergrund untersucht der Autor, welche verfassungsrechtlichen, gesetzlichen und dogmatischen Grenzen dem Akzessorietätsphänomen gesetzt sind und welche Besonderheiten insoweit für das Wirtschaftsstrafrecht gelten. Auf Basis dieser Ergebnisse unterbreitet er schließlich verschiedene Reformvorschläge für das Strafverfahrensrecht.

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Die Akzessorietät des Wirtschaftsstrafrechts

Zugleich ein Beitrag zu Begriff und Wesen des Wirtschaftsstrafrechts

 

von

Markus Wagner

 

 

www.cfmueller.de

Die Akzessorietät des Wirtschaftsstrafrechts › Herausgeber

Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht

 

Herausgegeben von

Prof. Dr. Mark Deiters, Münster

Prof. Dr. Thomas Rotsch, Gießen

Prof. Dr. Mark Zöller, Trier

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

 

ISBN 978-3-8114-4302-0

 

E-Mail: [email protected]

Telefon: +49 89 2183 7923Telefax: +49 89 2183 7620

 

www.cfmueller.de

 

© 2016 C.F. Müller GmbH, Waldhofer Straße 100, 69123 Heidelberg

Zugl.: Gießen Univ., Fachbereich Rechtswissenschaft, Diss. 2015

 

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2015 dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen als Dissertation vorgelegt. Für die Drucklegung wurde die Arbeit aktualisiert und leicht überarbeitet. Literatur, Rechtsprechung und Gesetzgebung wurden bis einschließlich August 2015 berücksichtigt. Ein Teil der Ergebnisse der Untersuchung wurde bereits am 8.11.2014 im Rahmen des 4. Symposiums junger Strafrechtswissenschaftlerinnen und Strafrechtswissenschaftler, das am 7. und 8.11.2014 an der Georg-August-Universität Göttingen unter dem Thema „Strafrecht als interdisziplinäre Wissenschaft“ stattfand, vorgestellt und in dem zugehörigen Tagungsband veröffentlicht.

Herzlich gedankt sei an dieser Stelle meinem Doktorvater und akademischen Lehrer Herrn Prof. Dr. Thomas Rotsch, der mich in jeder erdenklichen Hinsicht unterstützt und gefördert hat. Vor allem hat er mich stets in meinem Bestreben ermutigt, Lösungen auch insbesondere außerhalb verfestigter Strukturen und ausgetretener Pfade zu suchen und zu finden.

Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Dr. h.c. Walter Gropp danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens.

Für die Aufnahme in diese Schriftenreihe danke ich ihren Herausgebern Herrn Prof. Dr. Mark Deiters, Herrn Prof. Dr. Thomas Rotsch sowie Herrn Prof. Dr. Mark A. Zöller.

Herzlicher Dank sei an dieser Stelle auch all den Menschen ausgesprochen, die mich während der Erstellung dieser Arbeit begleitet und mir zur Seite gestanden haben. Zuallererst danke ich meiner Familie und dabei insbesondere meinen Eltern, die mich seit jeher in allen Lebenslagen bedingungslos unterstützt und gefördert haben; Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Weiterhin danke ich meiner Freundin sowie meinen Freunden und darunter insbesondere meinen Lehrstuhlkollegen für ihr offenes Ohr, ihre Diskussionsbereitschaft und auch sonst jegliche erdenkliche Unterstützung, die man sich nur wünschen kann.

Ebenfalls gedankt sei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, die mich durch die Gewährung eines Promotionsstipendiums während der Anfertigung der Arbeit finanziell unterstützt hat.

 

Gießen, Januar 2016

Markus Wagner

Vorwort › Widmung

 

 

 

Meinen Eltern

Inhaltsverzeichnis

 Vorwort

Teil 1Rechtstheoretische Grundlagen

 A.Der Begriff der Akzessorietät

 B.Zielsetzung und Gang der Untersuchung

 C.Die Basis der Untersuchung: Das Akzessorietätsphänomen

  I.Die Akzessorietät des Rechts im Allgemeinen

   1.Die in Frage kommenden Bezugsgegenstände des Akzessorietätsverhältnisses

    a)Annäherung an die Begriffe „Recht“ und „Wirklichkeit“

     aa)Zum Rechtsbegriff

     bb)Zum Wirklichkeitsbegriff

     cc)Zur Notwendigkeit der Differenzierung zwischen Recht und Wirklichkeit

    b)Die begriffliche Basis der weiteren Untersuchung

   2.Die Akzessorietät des Rechts zur Wirklichkeit

    a)Auseinandersetzung mit möglichen Einwänden

     aa)Systemtheoretische Einwände gegen eine Akzessorietät des Rechts zur Wirklichkeit

      (1)Recht als soziales System

      (2)Recht als selbstreferentielles autopoietisches System

      (3)Relativierungen der Autonomie des Rechtssystems

       (a)Operative und strukturelle Koppelungen (Luhmann)

       (b)Interferenzmodell (Teubner)

      (4)Konsequenzen für die These einer Akzessorietät des Rechts zur Wirklichkeit

     bb)Verfassungsrechtliche Einwände gegen eine Akzessorietät des Rechts zur Wirklichkeit

     cc)Einwand der Kontrafaktizität des Rechts

     dd)Zwischenergebnis

    b)Akzessorische Wirklichkeitsbereiche

     aa)Politik

     bb)Wirtschaft

     cc)Technische Entwicklung

     dd)Kultur und Zeitgeist

     ee)Moral

     ff)Zeit

     gg)Sprache

    c)Zwischenergebnis

   3.Die Akzessorietät des Rechts zum Recht

    a)Gesetzliche Verweisungen (i.w.S.)

    b)Weitergehende Rechtsakzessorietät kraft eines übergeordneten Prinzips der „Einheit“ bzw. „Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung“

     aa)Die Figur der „Einheit der Rechtsordnung“ in Wissenschaft und Rechtsprechung

      (1)Einordnung

       (a)Einordnung (ausschließlich) als bestehender Zustand

       (b)Einordnung (ausschließlich) als Postulat

       (c)Kombinationsansätze

       (d)Ablehnende Positionen

      (2)Herleitung

       (a)Herleitung aus der Rechtsidee bzw. dem Rechtsbegriff

       (b)Herleitung aus dem Wissenschaftscharakter der Jurisprudenz

       (c)Herleitung aus dem Geltungswillen der Normsetzer

       (d)Herleitung aus Verfassungsprinzipien

      (3)Adressierung

       (a)Adressierung (nur) des Rechtssetzers

       (b)Adressierung (nur) des Rechtsanwenders

       (c)Adressierung sowohl des Rechtssetzers wie auch des Rechtsanwenders

      (4)Zusammenfassung

     bb)Kritik und eigener Ansatz

      (1)Die Einheit der Rechtsordnung innerhalb einer Ebene

      (2)Die Einheit der Rechtsordnungen im Mehrebenensystem

      (3)Auseinandersetzung mit naheliegender Kritik

       (a)Idealisierung des Gesetzgebers

       (b)Verzerrung der Rolle des Bundesverfassungsgerichts

       (c)Verstoß gegen Art. 97 GG

       (d)Reduktion der Funktion des Richters auf einen „Subsumtionsautomaten“

      (4)Folgerungen aus der Einheit der Rechtsordnung

       (a)Einheitliches Rechtswidrigkeitsurteil

       (b)Begriffseinheit

       (c)Wertungseinheit

    c)Zwischenergebnis zur Akzessorietät des Rechts zum Recht

  II.Die Akzessorietät insbesondere des Strafrechts

   1.Der Begriff des Strafrechts

   2.Die Akzessorietät des Strafrechts zum außerstrafrechtlichen Recht

    a)Vollständige Autonomie des Strafrechts

    b)Vollständige Akzessorietät des Strafrechts

    c)Teilweise Akzessorietät des Strafrechts

    d)Wechselseitige Akzessorietät

    e)Stellungnahme

     aa)Akzessorietät und Einheit der Rechtsordnung

     bb)Subsidiaritätsgrundsatz

      (1)Allgemeines

      (2)Reichweite des Subsidiaritätsgrundsatzes

       (a)Grundsätzliche Möglichkeit der Erstreckung des Subsidiaritätsgrundsatzes auf die Rechtsanwendungsebene

       (b)Notwendigkeit der Erstreckung des Subsidiaritätsgrundsatzes auf die Rechtsanwendungsebene

      (3)Der eingeschränkt auslegungsbezogen-subsidiäre Charakter des Strafrechts

     cc)Auslegungsbezogene Subsidiarität, sekundärer Charakter und Akzessorietät des Strafrechts

     dd)Umfang der Akzessorietät

   3.Die Akzessorietät des Strafrechts zur Wirklichkeit

   4.Akzessorietät des Strafrechts zum Strafrecht?

   5.Akzessorietät strafrechtlicher Begriffe?

    a)Begriffsakzessorietät kraft gesetzlicher Anordnung

    b)Strafrechtliche Begriffsbildung außerhalb gesetzlicher Anordnung

     aa)Das semiotische Dreieck und seine Anwendung auf Normtexte

     bb)Die Kontextabhängigkeit der Begriffsbildung

     cc)Die Leistungsfähigkeit des Wortlauts als Auslegungsgrenze

      (1)Kritische Stimmen

      (2)Literarische „Rettungs“-Versuche

       (a)Priester

       (b)Schünemann

       (c)Alexy

       (d)Klatt

      (3)Notwendigkeit einer Reformulierung des „Analogie“-Verbots

     dd)Konsequenzen für die Möglichkeit strafrechtlicher Begriffsakzessorietät außerhalb gesetzlicher Anordnungen

   6.Die Akzessorietät des (deutschen) Strafrechts zum ausländischen Recht

  III.Die Akzessorietät des Wirtschaftsstrafrechts

   1.Der Begriff des Wirtschaftsstrafrechts

    a)Der historische Hintergrund der Frage nach dem Begriff des Wirtschaftsstrafrechts

    b)Gesetzgeberische Definitionsansätze

    c)Literarische Definitionsansätze

     aa)Kriminologische Definitionsversuche

      (1)Täterbezogene Begriffsbestimmung

      (2)Opfer- bzw. schadensbezogene Begriffsbestimmung

      (3)Tatbezogene Begriffsbestimmung

     bb)Strafrechtsdogmatische Definitionsversuche

      (1)Akzessorietätsbezogene Ansätze

      (2)Rechtsgutsbezogene Ansätze

      (3)Angriffsbezogene Ansätze

      (4)Der differenzierende Ansatz Lampes

     cc)Der wirtschaftswissenschaftliche Ansatz Mansdörfers

    d)Entwicklung eines eigenen Wirtschaftsstrafrechtbegriffs

     aa)Strafrecht unter dem Einfluss der wirtschaftsbezogenen Öffnungsklauseln

     bb)Vergleich dieses Ansatzes mit den übrigen Auffassungen in der Literatur

     cc)Nähere Konkretisierung des Wirtschaftsstrafrechtsbegriffs

      (1)Unternehmensinterne Straftaten/Straftaten gegen das Unternehmen

      (2)Einbeziehung des Verbraucherschutzstrafrechts?

   2.Die Akzessorietät des Wirtschaftsstrafrechts zur Wirklichkeit

   3.Die Akzessorietät des Wirtschaftsstrafrechts zum übrigen Recht

 D.Zusammenfassung der Ergebnisse des ersten Teils

Teil 2Die Begründung des Akzessorietätsverhältnisses

 A.Der Gegenstand des Akzessorietätsverhältnisses

  I.Tatbestand

  II.Rechtswidrigkeit

  III.Schuldhaftigkeit

  IV.Schwierige Abgrenzungsfälle und die Relevanz der Differenzierung

   1.Auswirkungen der Einordnung für das Akzessorietätsverhältnis

   2.Grenzfälle zwischen Tatbestand und Rechtswidrigkeit

    a)Behördliche Genehmigungen

     aa)Die vertretenen Auffassungen bzgl. der deliktskategorischen Einordnung

      (1)Generelle Einordnung als Tatbestandsausschließungsgrund

      (2)Generelle Einordnung als objektive Bedingung der Strafbarkeit

      (3)Generelle Einordnung als Rechtfertigungsgrund

      (4)Differenzierung nach dem geschützten Rechtsgut

      (5)Differenzierung nach dem verwaltungsrechtlichen Charakter der Genehmigung

      (6)Differenzierung nach der Art der Formulierung im Normtext

     bb)Kritik und Entwicklung einer eigenen Auffassung

    b)Rechtliche Relevanz und Missbilligung der Gefahr im Rahmen der objektiven Zurechnung

    c)Sozialadäquanz

     aa)Annäherung an den Begriff der Sozialadäquanz und Verhältnis zum erlaubten Risiko

     bb)Die zur deliktssystematischen Verortung vertretenen Ansichten

      (1)Verortung in der Schuldhaftigkeit

      (2)Verortung in der Rechtswidrigkeit

      (3)Verortung im subjektiven Tatbestand

      (4)Verortung im objektiven Tatbestand

      (5)Beschränkung auf den Bereich beruflicher Verhaltensweisen

     cc)Entwicklung einer eigenen Auffassung

      (1)Grundvoraussetzungen der Berücksichtigung der Sozialadäquanz tatbestandlichen Verhaltens

      (2)Verortung im Deliktsaufbau

      (3)Konsequenzen speziell für das Wirtschaftsstrafrecht

 B.Das Objekt des Akzessorietätsverhältnisses

  I.Außerrechtliche Sätze

  II.Rechtliche Sätze

   1.Differenzierung nach der Rechtsebene

    a)Bundesrecht

    b)Landesrecht

    c)Kommunales Recht

    d)Recht der Europäischen Union

    e)Völkerrecht

   2.Differenzierung nach der Rechtsform

    a)Förmliches Gesetz

    b)Rechtsverordnung

    c)Satzungen

    d)Unionsrechtliche Rechtsformen

     aa)Verordnungen

     bb)Richtlinien

     cc)Rahmenbeschlüsse

    e)Völkerrecht

    f)Verwaltungshandeln

    g)Rechtsprechung

    h)Private Rechtssetzung

 C.Die Art und Weise der Begründung des Akzessorietätsverhältnisses

  I.Überblick über die gemeinhin unterschiedenen Formen der Akzessorietätsverhältnisse

   1.Blanketttatbestände

   2.Normative Tatbestandsmerkmale

   3.Gesamttatbewertende Merkmale und Komplexbegriffe

   4.Generalklauseln

  II.Revision der Differenzierungen im Lichte der bisherigen Untersuchungsergebnisse

   1.Die Differenzierung zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen

    a)Streitstand

     aa)These der absoluten Trennbarkeit

      (1)Differenzierung nach der Bestimmtheit des Merkmals

      (2)Differenzierung nach dem Subsumtionsstoff

      (3)Differenzierung nach der sinnlichen Wahrnehmbarkeit

      (4)Differenzierung nach dem Verhältnis zur Rechtswidrigkeit

      (5)Differenzierung nach der Wertungskomponente

      (6)Differenzierung nach der logischen Voraussetzung einer anderen Norm

      (7)Differenzierung nach dem Vorhandensein einer emotiven Komponente

      (8)Differenzierung nach den in Bezug genommenen Eigenschaften

     bb)These der normativen Elemente deskriptiver Tatbestandsmerkmale

     cc)These der Ausschließlichkeit deskriptiver Tatbestandsmerkmale

     dd)These der Ausschließlichkeit normativer Tatbestandsmerkmale

     ee)These der wechselseitigen Überschneidung bzw. Ununterscheidbarkeit

     ff)Differenzierung nach verschiedenen Bedeutungen des Begriffs „normativ“

    b)Stellungnahme

   2.Die Differenzierung zwischen normativen Tatbestandsmerkmalen und Blanketttatbeständen

    a)Streitstand

     aa)Formale Abgrenzungskriterien

      (1)Ausfüllungsbedürftige Normen

      (2)Kompetenzsprung durch die Verweisung

     bb)Materielle Abgrenzungskriterien

      (1)Rechtsprechung

      (2)Lange

      (3)Warda, Netzler, P. Backes

      (4)von der Heide, J. Bachmann, Fissenewert

      (5)Weidenbach

      (6)Jakobs

      (7)Puppe, Lauer

      (8)Tiedemann, Enderle

      (9)Schuster

     cc)Keine Abgrenzbarkeit

    b)Stellungnahme

   3.Gesamttatbewertende Merkmale und Komplexbegriffe

 D.Zusammenfassung der Ergebnisse des zweiten Teils

Teil 3Die Begrenzung der Akzessorietät und ihre Folgen

 A.Anknüpfungspunkte einer Akzessorietätsbegrenzung

  I.Kompetenzbezogene Akzessorietätsbegrenzungen bei Verweis auf formelle Gesetze und EU-Rechtsakte

   1.Fehlende Rechtssetzungskompetenz in Bezug auf die Primärnorm

    a)Bundesrechtliche Sanktionsnorm

     aa)Ungeschriebene Primärnorm

     bb)Landesrechtliche Verhaltensnorm

     cc)Unionsrechtliche Verhaltensnorm

     dd)Völkerrechtliche Primärnorm

    b)Landesrechtliche Sanktionsnorm

   2.Fehlende Rechtssetzungskompetenz in Bezug auf das Strafrecht

    a)Strafnormen des Bundes

     aa)Inbezugnahme von Regelungen in Landesgesetzen

     bb)Verweisungen auf Recht der Europäischen Union

      (1)Strafgesetzgebungskompetenz der Union?

      (2)Konsequenzen für die Legitimation von Verweisungen auf EU-Verordnungen

     cc)Verweisungen auf Völkerrecht

    b)Strafnormen der Länder

  II.Kompetenzbezogene Akzessorietätsbegrenzungen bei Verweis auf Rechtsakte der Exekutive und der Judikative

   1.Verweisung auf Rechtsverordnungen

    a)Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip

    b)Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG

     aa)Reichweite des Anwendungsbereichs des Art. 103 Abs. 2 GG – die Bedeutung des Begriffs „Strafbarkeit“

     bb)Reichweite der Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG – die Bedeutung des Begriffs „gesetzlich“

     cc)Konsequenzen für die Relevanz von Rechtsverordnungen

    c)Verstoß gegen Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG

    d)Insbesondere: Rückverweisungsklauseln

   2.Kommunale Satzungen

   3.Verwaltungsakte

    a)Nichtige Verwaltungsakte

    b)Sonst rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte

     aa)Meinungsstand vor dem 2. UKG

     bb)Meinungsstand nach dem 2. UKG

     cc)Stellungnahme

    c)Sonst rechtswidrige belastende Verwaltungsakte

     aa)Strenge Verwaltungsaktsakzessorietät

     bb)Materielle Verwaltungsrechtsakzessorietät

     cc)Deliktsspezifische Auslegung

     dd)Stellungnahme

   4.Verwaltungsvorschriften

    a)Meinungsspektrum

    b)Stellungnahme

   5.Gerichtliche Entscheidungen

   6.Verwaltungsverträge

  III.Sanktionsnormbezogene Verweisungen auf Unionsrecht unter dem Gesichtspunkt des Parlamentsvorbehalts gem. Art. 103 Abs. 2 GG

  IV.Kompetenzbezogene Akzessorietätsbegrenzungen bei Verweis auf Regelungen Privater

   1.Bundesstaatsprinzip

   2.Gewaltenteilung

   3.Demokratieprinzip

   4.Art. 92 GG

   5.Stellungnahme

  V.Bestimmtheitsgebot

   1.Kettenverweisung

   2.Verweis auf prinzipienorientierte Regelungen

   3.Bestimmtheit bei EU-Rechtsakten

    a)Quelle und Maßstab der Bestimmtheitsanforderungen

    b)Konsequenzen für die einzelnen Problembereiche

     aa)Auffindbarkeit des Verweisungsobjekts

     bb)Berücksichtigung aller Sprachfassungen

     cc)Übernahme des Gemeinschaftsrechts durch den Vertrag von Lissabon

     dd)Kettenverweisungen auf EU-Recht und innerhalb des EU-Rechts

   4.Auffindbarkeit bei Verweisung auf private Regelungen

    a)Verträge und Satzungen

    b)Tarifverträge

    c)Technische Normen

     aa)Verfassungsrechtlicher Maßstab

     bb)Anwendung dieser Anforderungen auf technische Normen

      (1)Deutsche Sprache

      (2)Publikationsorgan

      (3)Fundstellenangabe

      (4)Kostenpflicht und Urheberrecht der Normerstellers

     cc)Relativierung im Bereich des Wirtschafts(straf)rechts

   5.Verschleifungsverbot

  VI.Das sog. „Analogieverbot“

   1.Direkte Normverweisungen

   2.Offene Generalverweisungen

    a)„Rechtsvorschriften“

    b)„Recht der Europäischen Gemeinschaften“

   3.Einzelbegriffe

    a)Legaldefinitionen

    b)Richtlinienkonforme Auslegung

  VII.Rückwirkungsverbot und lex mitior-Grundsatz

   1.Überblick über die allgemeinen Grundstrukturen der zeitlichen Geltung im Strafrecht

   2.Bedeutung im Akzessorietätskontext

    a)Das Rückwirkungsverbot im engeren Sinne

     aa)Sanktionsnorm

     bb)Verhaltensnorm

      (1)Formelle Gesetze und Rechtsverordnungen

      (2)Rückwirkende Aufhebung behördlicher Genehmigungen

      (3)Anfechtung privat- und öffentlich-rechtlicher Verträge

    b)Der lex mitior-Grundsatz

     aa)Die Stellung des lex mitior-Grundsatzes in der Rechtsordnung

     bb)Die Anwendung des lex mitior-Grundsatzes bei Änderungen der außerstrafrechtlichen Bezugsnorm

      (1)Beschränkung des lex mitior-Grundsatzes auf die Strafnorm (RGSt)

      (2)Generelle Geltung des späteren Rechts (Tiedemann)

      (3)Differenzierung nach Absicherung von Gehorsam oder Regelungseffekt (Jakobs u.a.)

      (4)Differenzierung zwischen normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettmerkmalen I (Hassemer, Kargl)

      (5)Differenzierung zwischen normativen Tatbestandsmerkmalen und Blankettmerkmalen II (Schuster)

      (6)Vorhandensein einer Ermächtigungsnorm (Dannecker)

      (7)Stellungnahme

     cc)Anwendung des lex mitior-Grundsatzes bei Änderung von untergesetzlichen Normen

      (1)Spätere Aufhebung eines belastenden (rechtswidrigen) Verwaltungsakts

      (2)Nachträgliche behördliche Genehmigung

      (3)Privatrechtliche Rechtsänderungen

     dd)Zwischengesetze

     ee)Zeitgesetze

     ff)Sonstige Ausnahmeregelungen zum lex mitior-Grundsatz

     gg)Besonderheiten im Zusammenhang mit Unionsrecht

  VIII.Verbot strafschärfenden und strafbegründenden Gewohnheitsrechts

   1.Konsequenzen für den zugrunde gelegten Begriff des Wirtschaftsstrafrechts – Zur Berücksichtigungsfähigkeit von Handelsbräuchen im Strafrecht

   2.Der Unterscheid zwischen faktischer Übung und privater Normierung – ein Widerspruch zu Lasten des Betroffenen?

  IX.Unschuldsvermutung

  X.Einfachgesetzliche Akzessorietätsbegrenzungen

   1.Akzessorietätsbegrenzung durch unterlassene Akzessorietätsbegründung im Gesetzestext? – § 330a StGB

   2.Einfachgesetzliche Beschränkung des Akzessorietätsumfangs

   3.Rechtsmissbrauchsklauseln

    a)Grundsätzliche Problematik

    b)Die einzelnen Rechtsmissbrauchsklauseln

    c)Zulässigkeit der Rechtsmissbrauchsklauseln

    d)Abschließende Sonderregelungen oder deklaratorische Ausprägung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes?

    e)Exkurs: Reichweite des § 330d Abs. 1 Nr. 5 StGB

  XI.Strafrechtsdogmatische Akzessorietätsbegrenzungen

   1.Schutzzweck der Norm

    a)Rechtsgutsverschiebung beim Abrechnungsbetrug

    b)Rechtsgüterschutz im Umweltstrafrecht

     aa)Materielle Genehmigungsfähigkeit

     bb)Nichtige Genehmigung

     cc)Rechtswidriger, aber nicht nichtiger Verwaltungsakt

    c)Kreis der tauglichen Anknüpfungspflichten bei § 258 StGB

   2.Deliktstypus – Verletzungs- und Gefährdungsdelikte

    a)Konkrete Gefährdungsdelikte

    b)Abstrakte Gefährdungsdelikte

    c)Zwischenergebnis

   3.Unterlassungsdelikte – § 13 StGB

   4.Verhältnismäßigkeitsprinzip/Ultima ratio-Grundsatz

 B.Anwendungsbereich und Folgen einer Akzessorietätsbegrenzung

 C.Zusammenfassung der Ergebnisse des dritten Teils

Teil 4Prozessuale Aspekte der Akzessorietät

 A.Präliminarien zum Verhältnis von materiellem Strafrecht und Strafprozessrecht

  I.Akzessorietät des materiellen Strafrechts zum Strafprozessrecht?

  II.Akzessorietät des Strafprozessrechts zum materiellen Strafrecht?

 B.Die Befugnis des Strafrichters zur Klärung außerstrafrechtlicher Vorfragen

  I.Grundsatz: Eigene Entscheidungsbefugnis des Strafrichters

  II.Verwerfungskompetenz des Strafrichters bei Verwaltungsakten

  III.Besonderheiten bei verfassungs- und unionsrechtswidrigen Gesetzen

  IV.Revisibilität der Auslegung außerstrafrechtlichen Rechts

 C.Die Feststellung außerrechtlicher Normen

  I.Handhabung im Zivil- und Verwaltungsprozess

  II.Übertragung dieser Grundsätze auf den Strafprozess

 D.Die Wirtschaftsstrafkammern

  I.Erster Reformvorschlag: Beiziehung von Fachschöffen

  II.Zweiter Reformvorschlag: Anpassung des Zuständigkeitsbereichs der Wirtschaftsstrafkammer

  III.Dritter Reformvorschlag: Verpflichtende Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften und entsprechende personelle Ausstattung der Polizei

  IV.Exkurs: Keine Notwendigkeit der Einrichtung eines speziellen Wirtschaftsstrafsenats beim BGH

 E.Zusammenfassung der Ergebnisse des vierten Teils

Teil 5Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

 A.Das Wesen und die Akzessorietät des Wirtschaftsstrafrechts

 B.Beispielhafte Anwendung der entwickelten Grundsätze

  I.Der Einfluss von DIN-Normen auf das Strafrecht

   1.Allgemeines zu DIN-Normen

   2.Die Berücksichtigungsfähigkeit von DIN-Normen im Strafrecht

    a)Dynamische Verweisungen auf DIN-Normen

    b)Statische Verweisungen auf DIN-Normen

    c)Einbeziehung über Technik-Klauseln

     aa)Die allgemein anerkannten Regeln der Technik

     bb)Der Stand der Technik

     cc)Der Stand von Wissenschaft und Technik

   3.Zusammenfassung

  II.Der Einfluss der Deutschen Corporate Governance Kodex auf das Strafrecht

   1.Allgemeines zum Deutschen Corporate Governance Kodex

   2.Die Relevanz des Deutschen Corporate Governance Kodex im Rahmen des Untreuetatbestandes

    a)Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex als taugliche Verhaltensnormen des § 266 StGB?

     aa)Rechtliche Qualität des Deutschen Corporate Governance Kodex

     bb)Verfassungsrechtliche Aspekte

      (1)Verfassungsrecht als Prüfungsmaßstab

      (2)Vereinbarkeit mit dem Demokratieprinzip

      (3)Vereinbarkeit mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatz – Publizitätserfordernis

      (4)Zwischenergebnis

     cc)Strafrechtsdogmatisches Erfordernis der Schutzzweckidentität

    b)Begrenzungen durch die Sanktionsnorm

   3.Zusammenfassung

 Literaturverzeichnis

 Stichwortverzeichnis

Teil 1Rechtstheoretische Grundlagen

Inhaltsverzeichnis

A.Der Begriff der Akzessorietät

B.Zielsetzung und Gang der Untersuchung

C.Die Basis der Untersuchung: Das Akzessorietätsphänomen

D.Zusammenfassung der Ergebnisse des ersten Teils

1

In einer Vielzahl der wirtschaftsstrafrechtlichen Veröffentlichungen findet sich der Begriff der „Akzessorietät“. In der Regel wird der Terminus dabei zu einem konkreten Delikt oder einer Deliktsgruppe in Bezug gesetzt; so ist etwa die Rede von der sog. „Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts“[1], von der „Gesellschaftsrechtsakzessorietät“ des Untreuetatbestandes[2], von der „Sozialversicherungsrechtsakzessorietät des § 266a StGB“[3], der „Insolvenzrechtsakzessorietät“ der Bankrottdelikte,[4] der „Bilanzrechtsakzessorietät“ der §§ 331 ff. HGB[5] und der „Kartellrechtsakzessorietät“ des § 298 StGB[6]. Gemeint ist damit die Abhängigkeit des Verdikts der Strafbarkeit von Bestimmungen, die außerhalb des Strafrechts selbst liegen.

2

Dieser Befund erweckt den Eindruck, dass eine solchermaßen verstandene Akzessorietät lediglich ein Phänomen einzelner Straftatbestände sei. Ob das der Fall ist, wird im Zuge von Teil 1 der Untersuchung zu erörtern sein.

Den Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung bildet daher die These, dass das Akzessorietätsphänomen einen allgemeinen Grundsatz darstellt.[7] Dabei soll außerdem nachgewiesen werden, dass dieser Grundsatz nicht auf das Wirtschaftsstrafrecht beschränkt ist, sondern generell dem Recht und insbesondere dem Strafrecht inne wohnt.

3

Angesichts dieser Ausgangsthese muss man sich die Frage gefallen lassen, warum die Untersuchung auf die Akzessorietät des Wirtschaftsstrafrechts beschränkt wird. Maßgeblich hierfür sprechen folgende Erwägungen: Seit langem ist eine Divisionalisierung der Lebensbereiche zu beobachten,[8] die sich im Rechtssystem widerspiegelt.[9] Die Wirtschaftsordnung, die den Gegenstand des Wirtschaftsstrafrechts darstellt, bildet eines dieser in sich geschlossenen Systeme, das eigenen Regeln folgt.[10] Folglich ermöglicht eine Begrenzung auf das Wirtschaftsstrafrecht eine in sich geschlossene Darstellung, deren Ergebnisse aber doch größtenteils verallgemeinerungsfähig sind. Das Wirtschaftsstrafrecht als „modernes“ Strafrecht[11] erweist sich als Seismograph der gesamten Strafrechtsordnung.[12] Dies gilt umso mehr, als die Entwicklungen des Wirtschaftsstrafrechts teilweise auf die Dogmatik des allgemeinen Strafrechts zurückwirken.[13]

Anmerkungen

[1]

Die Literatur zu diesem Thema ist mittlerweile unüberschaubar. Vgl. nur exemplarisch Winkelbauer Verwaltungsakzessorietät, passim; Schmitz Verwaltungshandeln und Strafrecht, passim; Frisch Verwaltungsakzessorietät, passim; Sparwasser/R. Engel/Voßkuhle Umweltrecht, Rn. 26; Schünemann in: GS Meurer, S. 37 (61 f.); Rogall GA 1995, S. 299; Schwarz GA 1993, S. 318; vgl. auch die zahlreichen Beispiele bei Heghmanns Grundzüge einer Dogmatik, S. 35 f. in Fn. 39, sowie die Literaturnachweise der gängigen Kommentierungen vor §§ 324 ff. StGB.

[2]

Hoffmann Untreue, S. 19, 22, 28, 31 ff. 152 ff., 234 ff. und passim; Michalke in: Brauchen wir ein neues Strafrecht?, S. 91 (103); Radtke/Hoffmann GA 2008, S. 535.

[3]

Exemplarisch Tag Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen, S. 94 ff.; Ischebeck Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen, S. 143 ff.

[4]

Etwa Rönnau ZGR 2005, S. 832 (852); Dannecker/Knierim/Hagemeier-Dannecker/Hagemeier Rn. 87 ff. (einschränkend); Hinderer Insolvenzstrafrecht, S. 51 ff.; Stockburger Unternehmenskrise und Organstrafbarkeit, S. 53 ff.; SK/StGB-Hoyer § 283 Rn. 8 ff. (138. Lfg., Stand: Mai 2013).

[5]

Etwa Waßmer ZWH 2012, S. 306 (307).

[6]

Etwa Heuking BB 2013, S. 1155; vgl. auch Wunderlich Akzessorietät, passim; Rotsch ZIS 2014, S. 579.

[7]

Dass die Akzessorietäts-Thematik nur von einem rechtstheoretischen Ausgangspunkt her erforscht werden kann, deutet auch Tiedemann in seiner Rezension der Habilitationsschrift Schusters an, die sich ebenfalls mit der Akzessorietät des Wirtschaftsstrafrechts beschäftigt, ohne allerdings diesen Begriff im Titel zu verwenden (JZ 2013, S. 733).

[8]

Vgl. etwa Teubner/Willke ZfRSoz 6 (1984), S. 4 (9).

[9]

Exemplarisch Kölbel GA 2002, S. 403 (415 in Fn. 54 m.w.N.). Zur Divisionalisierung speziell des Strafrechts Rotsch ZIS 2007, S. 260 (265); ders. ZIS 2008, S. 1 (3); ders. in: FS Samson, S. 141 (147, 148 ff.); Momsen/Grützner-ders. Kap. 1 B. Rn. 74; Prittwitz ZIS 2012, S. 217 (219 f.); dagegen mit systemtheoretischen (dazu unten Rn. 21 ff.) Argumenten Fateh-Moghadam in: Wirtschaftsstrafrecht des StGB, S. 25 (31: „naiv“).

[10]

Vgl. Hassemer in: Handlungsfreiheit des Unternehmers, S. 29 (32 ff.).

[11]

Begriff etwa bei Rotsch ZIS 2007, S. 260.

[12]

In diesem Sinne auch Lüderssen in: FS Eser, S. 163 (180).

[13]

Vgl. etwa Momsen/Grützner-Rotsch Kap. 1 B. Rn. 33 m.w.N.

Teil 1 Rechtstheoretische Grundlagen › A. Der Begriff der Akzessorietät

A.Der Begriff der Akzessorietät

4

Der Begriff der Akzessorietät leitet sich von dem lateinischen Verb „accedere“ ab, welches mit „hinzutreten“ oder „dazukommen“ zu übersetzen ist.[1] Er ist so zu verstehen, dass der akzessorische Gegenstand immer nur neben einen anderen treten kann, von dessen Bestehen abhängig ist und ihn folglich als notwendig voraussetzt.[2] Die Bezugsrichtung ist damit regelmäßig einseitig.

Vor diesem Hintergrund ist die Ableitung des Begriffs aus dem passivischen Partizip Perfekt des lateinischen Begriffs zumindest missverständlich, weil das ebenso nahe legen könnte, dass der akzessorische Gegenstand derjenige ist, der vorausgesetzt wird und die Bezugsrichtung folglich umgekehrt gerichtet ist.[3] Insofern wäre der Begriff der „Akzedanz“ treffender, der das abhängige Objekt als „hinzutretendes“ kennzeichnet. Nichtsdestotrotz ist es üblich, aus dem Lateinischen abgeleitete Fremdwörter aus dem Partizip Perfekt Passiv eines Verbs zu entwickeln, weshalb im Laufe der Untersuchung an dem eingebürgerten Begriff der Akzessorietät festgehalten wird.

5

Auf dem Gebiet des Allgemeinen Teils des Strafrechts findet der Begriff sich insbesondere auch in der Beteiligungslehre: Man spricht von der (limitierten) „Akzessorietät der Teilnahme“, weil die Teilnahmeformen Anstiftung (§ 26 StGB) und Beihilfe (§ 27 StGB) jeweils eine (nur) vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat voraussetzen, also niemals unabhängig von einer solchen existieren können.

Um dieses Akzessorietätsphänomen soll es jedoch in der vorliegenden Untersuchung nicht gehen. Behandelt werden sollen Konstellationen, in denen das Wirtschaftsstrafrecht von außerstrafrechtlichen Maßstäben abhängig ist.

Anmerkungen

[1]

Vgl. etwa Menge in: Langenscheidts Großwörterbuch Latein, Stichwort: accedo.

[2]

Nur in Bezug auf Akzessorietät zu einem (Haupt-)Recht siehe Bräutigam-Ernst Verwaltungsvorschriften, S. 325; Heghmanns Grundzüge einer Dogmatik, S. 36; Rogall GA 1995, S. 299 (300); Köbler Juristisches Wörterbuch, Stichwort: Akzessorietät (S. 11 f.).

[3]

In diese Richtung gehen auch die Bedenken von Murr in Bezug auf den Begriff der „Verwaltungsakzessorietät“; vgl. dies. Akzessorietät, S. 19 in dortiger Fn. 84.

Teil 1 Rechtstheoretische Grundlagen › B. Zielsetzung und Gang der Untersuchung

B.Zielsetzung und Gang der Untersuchung

6

Eine Anbindung des Wirtschaftsstrafrechts an außerstrafrechtliche Sätze – nicht-strafrechtliche Rechtssätze oder vollständig außerrechtliche Sätze – im Sinne des dargelegten Akzessorietätsbegriffs ist grundsätzlich auf viele verschiedene Arten und Weisen denkbar. Der erste Gedanke gilt hier den gesetzgebungstechnischen Phänomenen, die gemeinhin unter Schlagworten wie „normative Tatbestandsmerkmale“, „Blanketttatbestände“ und „Generalklauseln“ verstanden werden.

Ziel der Untersuchung ist es, diese und weitere Arten der Bezugnahme darzustellen und kritisch zu hinterfragen (Teil 2, Rn. 279 ) und auf Grundlage dieser Darstellung die Grenzen der Akzessorietät des Wirtschaftsstrafrechts aufzuzeigen (Teil 3, Rn. 449 ). Anschließend werden die Folgen für das Prozessrecht herausgearbeitet (Teil 4, Rn. 802 ).

Hierfür ist es unerlässlich, zunächst die rechtstheoretischen Grundlagen des Akzessorietätsphänomens zu ermitteln, auf die sich der weitere Fortgang der Untersuchung stützt. Dabei wird unter anderem auf das Verhältnis des Rechts zu den verschiedenen Bereichen der Lebenswirklichkeit sowie das Phänomen der „Einheit der Rechtsordnung“ einzugehen sein, um daraus Schlüsse für das Strafrecht im Allgemeinen und das Wirtschaftsstrafrecht im Besonderen ziehen zu können.

Teil 1 Rechtstheoretische Grundlagen › C. Die Basis der Untersuchung: Das Akzessorietätsphänomen

C.Die Basis der Untersuchung: Das Akzessorietätsphänomen

7

Häufig wird behauptet oder zumindest suggeriert, es sei eine spezielle Eigenart des Wirtschaftsstrafrechts, dass dieses einen akzessorischen Charakter aufweise.[1] Allerdings handelt es sich dabei keineswegs um ein spezifisches Phänomen des Wirtschaftsstrafrechts, ja nicht einmal nur des Strafrechts, sondern um ein solches des Rechts im Allgemeinen. Dies wird sogleich näher auszuführen sein.

Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, in methodischer Hinsicht allgemeine Ausführungen voranzustellen, um schrittweise zum Spezielleren vorzudringen: Im Folgenden wird zunächst die Akzessorietät des Rechts im Allgemeinen mit ihren unterschiedlichen Bezugspunkten erörtert (I., Rn. 8 ff.). Anschließend erfolgt eine erste Konkretisierung im Hinblick auf das Strafrecht (II., Rn. 157 ff.), woraufhin in einem dritten Schritt eine Fokussierung auf das Wirtschaftsstrafrecht erfolgen kann (III., Rn. 234 ff.).

Anmerkungen

[1]

So etwa Kudlich/Oǧlakcioǧlu WiStrR, Rn. 1. Dieser Eindruck entsteht etwa auch, wenn Tiedemann bereits ganz zu Beginn seines Lehrbuchs schreibt: „Die meisten Teile des Wirtschaftsstrafrechts sind akzessorisch“ (Tiedemann WiStrR EAT, Rn. 2 [Hervorhebung entfernt]).

Teil 1 Rechtstheoretische Grundlagen › C. Die Basis der Untersuchung: Das Akzessorietätsphänomen › I. Die Akzessorietät des Rechts im Allgemeinen

I.Die Akzessorietät des Rechts im Allgemeinen

8

Nur an sehr wenigen Stellen findet sich – jedenfalls im hier interessierenden Zusammenhang – das Stichwort der „Akzessorietät des Rechts“ bezogen auf das Recht im Allgemeinen. Eines der seltenen Beispiele hierfür stellt die Äußerung von Rotsch dar, die zur „Kluft zwischen Praxis und Wissenschaft“ führende „Überfeinerung der Dogmatik“ folge „nur zum Teil aus der bereits genannten Akzessorietät des Rechts“, wobei er an seine vorherige – diesmal allerdings speziell auf das Wirtschaftsstrafrecht bezogene – Aussage anknüpft, dessen Dogmatik sei „in besonderer Weise akzessorisch zur immer rasanteren Veränderung gesellschaftlicher, moralischer, politischer und technologischer Zustände.“[1] Und auch etwa bei Krüper findet sich – allerdings ohne den Begriff der „Akzessorietät“ – die Formulierung der „Abhängigkeit des Rechts, seine Bedingtheit durch Kultur, Tradition und Politik“[2].

1.Die in Frage kommenden Bezugsgegenstände des Akzessorietätsverhältnisses

9

Stellt man diese Zitate den eingangs genannten Beispielen für die Verwendung des Akzessorietätsbegriffs gegenüber, so fällt auf, dass dort von der Abhängigkeit (wirtschafts-)strafrechtlicher Tatbestände von nicht-strafrechtlichem Recht die Rede war, während Rotsch und Krüper hingegen außerrechtliche Bezugsobjekte benennen. Dies legt den Gedanken nahe, dass das Recht im Allgemeinen in doppelter Art und Weise akzessorisch ist; nämlich zur Lebenswirklichkeit einerseits und zum übrigen Recht andererseits.

a)Annäherung an die Begriffe „Recht“ und „Wirklichkeit“

10

Die Untersuchung dieser These gestaltet sich schwierig, weil weder der Begriff des „Rechts“ noch derjenige der „Wirklichkeit“ eindeutig definiert ist, ja beide Begriffe möglicherweise nicht einmal konsensfähig definierbar sind.

aa)Zum Rechtsbegriff

11

Bereits Kant konstatierte: „Noch suchen die Juristen eine Definition zu ihrem Begriffe vom Recht.“[3] Ein Blick in die einschlägige Literatur offenbart, dass sich an diesem Zustand seither kaum etwas geändert hat: Nur vereinzelt werden tatsächlich Definitionsversuche unternommen.[4] Die Antwort auf die Frage, was „Recht“ ist, sei „schwierig“[5], die genannte Aussage Kants könnte „auch in unserer Zeit gemacht worden sein“[6]. Arthur Kaufmann trägt vor, dass eine streng logische Definition des Rechtsbegriffs nicht möglich sei, sondern dass je nach untersuchtem Gesichtspunkt mehrere funktional gesehen richtige Rechtsbegriffe denkbar seien, die nebeneinander bestehen, aber niemals das Recht als Ganzes begreifen könnten.[7]

bb)Zum Wirklichkeitsbegriff

12

Gleiches gilt für den Begriff „Wirklichkeit“: Eine Vielzahl philosophischer Strömungen bietet jeweils einen eigenen Definitionsansatz an.[8] Und der Physiker Werner Heisenberg behauptete aus einer naturwissenschaftlichen Perspektive, „die Wirklichkeit, von der wir sprechen können, [sei] nie die Wirklichkeit „an sich“, sondern eine gewußte Wirklichkeit oder sogar in vielen Fällen eine von uns gestaltete Wirklichkeit.“[9]

cc)Zur Notwendigkeit der Differenzierung zwischen Recht und Wirklichkeit

13

Die Schwierigkeit im Umgang mit den Begriffen „Recht“ und „Wirklichkeit“ schafft auch Probleme bei ihrer Abschichtung und stellt damit zugleich die Notwendigkeit ihrer Differenzierung in Frage.

Eine solche ist jedenfalls nicht in dem Sinne misszuverstehen, dass es sich um die vielbeklagte Kluft zwischen Theorie und Praxis im Rechtsalltag[10] handle. Vielmehr geht es um die Frage, ob das Recht selbst „wirklich“ ist oder Mittler zur Veränderung einer ihm gegenüberzustellenden Realität sein will.

b)Die begriffliche Basis der weiteren Untersuchung

14

Nach dem Gesagten ist es nicht möglich, die These von der Akzessorietät des Rechts zur Wirklichkeit auf Basis bereits gefestigter Begrifflichkeiten zu untersuchen.

Es soll an dieser Stelle nicht der – von vornherein zum Scheitern verurteilte – Versuch unternommen werden, die Begriffe „Recht“ und „Wirklichkeit“ abschließend zu definieren und zu einander ins Verhältnis zu setzen. Vielmehr kann es für die vorliegende Untersuchung nur darum gehen, den Begriffen axiomatisch eine Bedeutung beizumessen, auf die sich der weitere Fortgang gründen kann.

15

„Recht“ soll dabei als Inbegriff der Gesamtheit der Aussagen aller Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens begriffen werden, deren Befolgung zwar faktisch vom Willen ihrer jeweiligen Adressaten abhängig ist, für die aber anerkannte Mittel zur zwangsweisen Durchsetzung oder jedenfalls Sanktionierung zur Verfügung stehen, die wiederum eines gewillkürten Aktes bedürfen.

16

Zur Verdeutlichung: Ausgeschieden werden sollen damit zu allererst Naturgesetze (wie z.B. die Gravitation), die keiner Umsetzung durch den Menschen bedürfen. Dasselbe gilt für von Menschen geschaffene Strukturen (wie etwa die Preisbildung am Markt), die zwar grundsätzlich durch Interaktionen einzelner gestaltet werden, allerdings in ihrer Gesamtsumme ohne vollstreckbaren Eingriff von außen für den Einzelnen nicht beherrschbar sind.

Erfasst werden geschriebene und ungeschriebene Normen des Bundes, der Länder und der Kommunen sowie der Staatengemeinschaften unabhängig von ihrer Form (Gesetz, Verordnung, Verwaltungsakt etc.). Ebenfalls unter den zugrunde gelegten Rechtsbegriff fallen Verträge. Satzungen und Leitlinien, wie sie z.B. in Unternehmen, Vereinen und organisierten Berufsgruppen bestehen, sind insoweit Bestandteile des hier verwendeten Rechtsbegriffs, wie Möglichkeiten zu ihrer Durchsetzung bestehen. Akte der Rechtsprechung stellen nur insoweit eigenständiges Recht dar, wie ihnen über den Charakter der bloßen Umsetzung bereits vorhandenen Rechts eigenständige Wirkungen zugeschrieben werden (wie z.B. zivilgerichtliche Gestaltungsurteile).

17

Der Begriff der „Wirklichkeit“ soll in einem objektiven Sinne verstanden werden: So werden darunter alle naturwissenschaftlichen Zusammenhänge unabhängig davon verstanden, ob diese Zusammenhänge nach dem Stand der Wissenschaft bereits entdeckt wurden. Dasselbe gilt z.B. für Mechanismen der Volkswirtschaft und vergleichbare Strukturen. Ebenfalls erfasst werden sollen solche Gegebenheiten, die nicht gewillkürt festgesetzt wurden, sondern sich ohne bewusste Steuerung über die Zeit entwickelt haben, wie z.B. weltanschauliche Auffassungen und kulturelles Brauchtum.

Aufgrund der großen Streubreite der in Frage kommenden Phänomene mögen diese Beispiele genügen. Sie sollen in erster Linie verdeutlichen, dass es der Sache nach letztlich nur um eine negative Definition gehen kann: nicht erfasst ist lediglich all dasjenige, was bereits unter den Rechtsbegriff zu fassen ist.[11]

2.Die Akzessorietät des Rechts zur Wirklichkeit

18

Als erstes wird der Frage nach einer Akzessorietät des Rechts zur Wirklichkeit im eben genannten Sinne nachgegangen. Die Idee eines solchen Akzessorietätsverhältnisses drängt sich geradezu auf, ruft man sich Schlagwörter wie dasjenige der „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ ins Gedächtnis.[12] Auch wenn etwa über „sozialadäquates Verhalten“ und seine Auswirkungen auf die Strafbarkeit der betreffenden Person diskutiert wird, geht es in der Sache um nichts anderes als um die Frage, inwiefern das Recht abhängig ist von den jeweiligen gesellschaftlichen Ansichten.[13]

19

Ob ein solches Akzessorietätsverhältnis besteht, kann nicht allgemein und abstrakt untersucht werden. Vielmehr ist nach den einzelnen Lebensbereichen[14] zu differenzieren, hinsichtlich derer ein Akzessorietätsverhältnis in Betracht kommt. Zudem wird – zumindest teilweise – danach zu unterscheiden sein, in welcher Phase des Rechts nach einem Akzessorietätsverhältnis gefragt wird: in der Phase der Rechtssetzung oder in der Phase der Rechtsanwendung. Dies findet seine Rechtfertigung unter anderem in der Tatsache, dass die „Wirklichkeit“ sich „für den Normsetzer in einem ganz anderen Aggregatszustand als für den Normanwender“ befindet, weil der dem Rechtsanwender gegenüberstehende Sachverhalt wesentlich konkreter gefasst ist als derjenige Lebensausschnitt, auf dessen Grundlage der Rechtssetzer sein Normgebilde baut.[15]

a)Auseinandersetzung mit möglichen Einwänden

20

Bevor diese Untersuchung im Einzelnen stattfinden kann, ist es notwendig, sich mit denkbaren Einwänden auseinanderzusetzen, die nicht nur einzelne Bereiche, sondern die These von der Akzessorietät des Rechts zur Wirklichkeit insgesamt in Frage stellen. Solche scheinen sich einerseits aus dem Blickwinkel der Systemtheorie (aa), Rn. 21 ff.), andererseits aus dem Verfassungsrecht (bb), Rn. 30 ff.) und der Rechtstheorie (cc), Rn. 34) zu ergeben.

aa)Systemtheoretische Einwände gegen eine Akzessorietät des Rechts zur Wirklichkeit

21

In der juristischen Literatur wurde in den vergangenen Jahren zunehmend die sog. „Systemtheorie“ rezipiert.[16] Dieser Strukturgedanke wurde im angloamerikanischen Bereich ursprünglich von Talcott Parsons vorangetrieben;[17] in Deutschland ist der Begriff untrennbar mit dem Namen Niklas Luhmanns verknüpft. Spätestens dessen grundlegendes Werk „Soziale Systeme“ aus dem Jahre 1984 hat die Diskussion um die Systemtheorie in Deutschland in ihrer ganzen Breite eröffnet.[18]

Die Aussagen der Systemtheorie könnten geeignet sein, der hier zugrunde gelegten These von der Akzessorietät des Rechts zur Wirklichkeit das Fundament zu entziehen. Dieser Frage ist im Folgenden nachzugehen. Hierzu müssen jedoch zunächst – wenn auch in der gebotenen Kürze – die Grundstrukturen der Systemtheorie nachgezeichnet werden:

(1)Recht als soziales System

22

Die Systemtheorie geht von der Existenz verschiedener sozialer Systeme aus.[19] Neben anderen Systemen wie etwa „Politik“ und „Wirtschaft“ steht das Rechtsystem.[20] Relativ zu jedem System besteht eine Umwelt, welche die übrigen Systeme einschließt;[21] das System „definiert“[22] sich gerade aus der Differenz zwischen System und Umwelt.[23]

23

Gegenstand der Systemtheorie sind nicht etwa Menschen als Subjekte[24] (diese werden als Bestandteil der Systemumwelt betrachtet) oder deren Handlungen, sondern ausschließlich Kommunikationen.[25] Jedes System kommuniziert dabei mittels eines spezifischen und binären Codes, der es von den anderen Systemen unterscheidet.[26] Während etwa im System der Wirtschaft dieser Code im Dualismus von „Zahlung“ und „Nicht-Zahlung“ besteht,[27] verläuft die Kommunikation im Rechtssystem über die Aussage, ob etwas „Recht“ oder „Unrecht“ ist.[28]

(2)Recht als selbstreferentielles autopoietisches System

24

Die Systemtheorie versteht das Recht als selbstreferentielles System.[29] Gemeint ist damit, dass das Recht ein (operativ) in sich geschlossenes Ganzes bildet, das mit seiner „Umwelt“ (und damit auch anderen sozialen Systemen wie Wirtschaft und Politik) nicht kommunizieren kann.[30] Nur innerhalb des Rechtssystems kann die kommunikative Entscheidung über „Recht“ oder „Unrecht“ getroffen werden. Lediglich eine kognitive Offenheit des Rechtssystems ist gegeben, die es dem Recht zwar ermöglicht, seine Umwelt zu beobachten; es kann sich aber gerade nur in seinen eigenen Kategorien ausdrücken.[31]

Aufbauend[32] auf den selbstreferentiellen Charakter des Rechtssystems ergibt sich dessen Autopoiese:[33] Aufgrund seiner Selbstreferenz ist das System in der Lage, seine eigenen Komponenten selbst zu reproduzieren.[34]

(3)Relativierungen der Autonomie des Rechtssystems

25

Eine solche Betrachtungsweise würde den Akzessorietätsgedanken auf den ersten Blick – jedenfalls in Bezug auf die Akzessorietät des Rechts zur Wirklichkeit – im Keim ersticken. Allerdings werden die soeben geschilderten Ausgangsgedanken des systemtheoretischen Ansatzes auch durch die Systemtheoretiker selbst relativiert. Die diesbezüglichen Modelle der beiden wichtigsten Vertreter der Systemtheorie in Deutschland seien im Folgenden vorgestellt:

(a)Operative und strukturelle Koppelungen (Luhmann)

26

Nach Luhmann sind – jedenfalls aus dem System des Rechts heraus – sowohl strukturelle wie auch operative Koppelungen zwischen dem (Rechts-)System und dessen Umwelt möglich:[35] Während operative Koppelungen nur in Bezug auf Einzelereignisse möglich sind (Beispiel: eine Zahlung stellt einerseits eine Kommunikation im Wirtschaftssystem dar und zugleich eine Rechtssystem-Operation, weil durch sie eine Verbindlichkeit beglichen wird, woraufhin das Rechtsgefüge sich ändert),[36] wird unter strukturellen Koppelungen das Vertrauen eines Systems in den Bestand eines Umweltcharakteristikums (z.B. die Existenz von Geld) verstanden.[37] Mehrere Systeme beruhen auf gleicher Basis, die sie in ihrer jeweiligen Codierung eigenständig umsetzen. Trotzdem fungieren Umweltereignisse auch im Bereich struktureller Koppelungen nicht als „Input“ in ein System, sondern führen lediglich zur Irritation des Systems,[38] das diese als ein Problem im Umgang mit den eigenen Fragestellungen mittels seiner eigenen Strukturen wahrnimmt und somit in der Lage ist, nach einer – systeminternen – Reaktionsmöglichkeit zu suchen,[39] ohne die Komplexität der Umweltbedingen nachvollziehen zu müssen.[40]

27

Bei der näheren Betrachtung dieses Konzepts drängt sich der Gedanke der Differenzierung nach Rechtssetzungs- und Rechtsanwendungsphase auf: Während sich operative Koppelungen vor allem im Bereich der Rechtsanwendung (nicht zwangsläufig im Sinne einer gerichtlichen oder Verwaltungsentscheidung, sondern im Sinne einer – auch abstrakten – einzelfallbezogenen Subsumtion) abspielen – es geht um Einzelereignisse, die in mehreren Systemen Operationen auslösen –, spielen die strukturellen Koppelungen vor allem im Bereich der Rechtssetzung eine Rolle, wo auf gesellschaftliche (im Sinne der Systemtheorie: Umwelt-)Veränderungen durch eine Anpassung der Rechtslage reagiert werden kann (z.B. durch die Regelung des Umgangs mit einer neuentdeckten Technologie).

Im Einzelfall mittels operativer Koppelung reaktionsfähig zu sein, setzt daher das Vorhandensein einer strukturellen Koppelung voraus. Die im Einzelereignis gekoppelte Operation stellt lediglich eine Konkretisierung bzw. Umsetzung der strukturellen Koppelung der Systeme dar.

(b)Interferenzmodell (Teubner)

28

Nach Teubner existiert ein Zusammenhang zwischen den Operationen verschiedener Systeme aufgrund von Interferenzen.[41] Gemeint ist damit Folgendes: Das Rechtssystem stellt ein Subsystem des gesamtgesellschaftlichen Systems dar. Jeder Kommunikationsvorgang im Rechtssystem stellt gleichzeitig einen allgemeingesellschaftlichen Akt dar (auch wenn der Code der Kommunikation sich nach dem jeweiligen System richtet).[42] Die Kommunikation auf der Ebene des allgemeingesellschaftlichen Systems interferiert aber wiederum mit den anderen Subsystemen der Gesellschaft, sodass dort ebenfalls – systeminterne – Operationen erfolgen können.

Ein Zugang außerrechtlicher Vorgänge in das Rechtssystem hinein erfolgt also über den „Umweg“ des Gesamtsystems Gesellschaft. Vorkommnisse in einem Subsystem der Gesellschaft haben zwangsläufig Auswirkungen auf das gesamtgesellschaftliche System, was wiederum auf die anderen Subsysteme – und folglich auch auf das Rechtssystem – durchschlägt bzw. zumindest durchschlagen kann.

(4)Konsequenzen für die These einer Akzessorietät des Rechts zur Wirklichkeit

29

Nach alledem steht auch ein systemtheoretischer Ansatz einer Akzessorietät des Rechts zur Wirklichkeit nicht im Wege. „Soziale, ökonomische, politische Determinierung des Rechts wird – allen gegenteiligen Unterstellungen zum Trotz – in einem selbstreproduzierenden Rechtssystem nicht ausgeschlossen, sondern [ist] vorausgesetzt.“[43] „[W]eder die Realität noch die kausale Relevanz der Umwelt werden geleugnet […].“[44] „Die Trennung von Sein und Sollen rechtfertigt keinen selbstgenügsamen Methodenkanon.“[45]

Die dargestellten Modelle zur Relativierung der Autonomie der einzelnen gesellschaftlichen (Sub-)Systeme eröffnen verschiedene Möglichkeiten des Zugangs gesellschaftlicher Vorgänge in das Rechtssystem. Zudem bietet im Übrigen das systemtheoretische Modell bereits in seinem Ausgangspunkt die Möglichkeit zur Herstellung von Akzessorietätsbeziehungen: Durch die kognitive Offenheit der sozialen Systeme ist eine Beobachtung der Umwelt durchaus möglich. Zwar kann diese nicht direkt auf das Recht einwirken; allerdings kann das Recht, wenn es sich selbstreferentiell wiederherstellt, auf seine Beobachtungen der Umwelt Bezug nehmen. Ein Kommunikationsakt des Rechtssystems selbst kann für dieses nämlich trotzdem bindende Wirkung entfalten. Zwar kann kein außerrechtlicher Vorgang eine Entscheidung über Recht oder Unrecht treffen, aber das Rechtsystem kann sich bei dieser Entscheidung auf seine Umweltbeobachtungen stützen. Erforderlich ist hierfür lediglich, dass das Recht selbst systeminterne Instrumente vorhält, um eine entsprechende Operation zu ermöglichen.[46]

bb)Verfassungsrechtliche Einwände gegen eine Akzessorietät des Rechts zur Wirklichkeit

30

Ein zweiter Einwand ergibt sich seitens der Verfassung: Gemäß Art. 20 Abs. 3 GG sind „die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung […] an Gesetz und Recht gebunden“; die Richter sind „dem Gesetze unterworfen“ (Art. 97 Abs. 1 GG). Diese Formulierungen legen den Schluss nahe, dass jedenfalls in der Phase der Rechtsanwendung eine Heranziehung außerrechtlicher Umstände zur Rechtsfindung unzulässig sein könnte.

31

Bei genauerem Hinsehen offenbart sich jedoch, dass sich aus den genannten Vorschriften kein Gebot der alleinigen Ableitung des Rechtsanwendungsergebnisses aus dem Recht ergibt, sondern lediglich ein Vorrang der Heranziehung von Rechtsnormen, denn diese allein werden für verbindlich erklärt. Das bedeutet für die Einbeziehung lebenswirklicher Fakten, dass sie zum einen zulässig ist, wenn Rechtsnormen auf sie verweisen.[47] Zum anderen ist eine Herleitung aus außerrechtlichen Gegebenheiten möglich, wenn insoweit keine rechtliche Regelung existiert, weil dann der Vorrang der Begründung aus rechtlichen Elementen nicht unterlaufen wird.[48] Die Rezeption außerrechtlicher Umstände kann nur aus dem Recht selbst heraus erfolgen.[49]

32

Die These von der Akzessorietät des Rechts wird somit durch die Art. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG nicht widerlegt, sondern lediglich eingeschränkt: Soweit ein bestimmter Lebensbereich rechtlich überhaupt geregelt ist, bedarf es zur Einbeziehung außerrechtlicher Umstände einer entsprechendenden (hier sog.) „Öffnungsklausel“[50]. Dieses Ergebnis entspricht im Wesentlichen der obigen Darstellung zur Systemtheorie, wonach (nur) durch eine rechtssystemimmanente Operation Umweltbeobachtungen bei der Rechtsanwendung fruchtbar gemacht werden können.

33

Gusy stellt in diesem Zusammenhang die These auf, dass dem Rechtsanwender die Bewertung einer aus außerrechtlichen Quellen geschöpften Erkenntnis entzogen ist, vielmehr lediglich rechtliche Anforderungen an die Art und Weise ihrer Gewinnung zulässig sind.[51] Dies scheint auf den ersten Blick verwunderlich, ist der Richter doch auch etwa nicht an die Ergebnisse eines Sachverständigengutachtens gebunden.[52] Allerdings ist es vorrangig die Aufgabe des Richters, Rechtsfragen zu beantworten. Jedoch wird ein außerrechtlicher Maßstab, auf den eine Rechtsnorm Bezug nimmt, damit nicht selbst in den Rang einer Rechtsnorm erhoben.[53] Zudem fehlt es dem Richter in Bezug auf vom Recht rezipierte außerrechtliche Sätze regelmäßig an Sachkunde. Freilich bestehen vereinzelte Ausnahmen: So können etwa bei den Landgerichten zivile Kammern für Handelssachen eingerichtet werden, die neben dem Vorsitzenden aus zwei stimmgleichberechtigten ehrenamtlichen Richtern bestehen (§ 105 GVG), die dem Handelsstand angehören (vgl. § 109 GVG). Auf den Aspekt der gerichtlichen Überprüfbarkeit wird an späterer Stelle noch einzugehen sein.[54]

cc)Einwand der Kontrafaktizität des Rechts

34

Es verbleibt der Einwand, die Rezeption bestehender Lebenswirklichkeiten würde, da das Recht seiner Natur nach auf die Veränderung der Außenwelt abzielt, eben diesem Zweck zuwiderlaufen.[55] Diese Kritik wird weiterhin gestützt durch die Luhmannsche Systemtheorie, welche die Funktion des Rechts als „Stabilisierung normativer Erwartungen“ und Rechtsnormen als „kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartung[en]“ begreift.[56]

Wenn auch diesem Einwand dem Grunde nach zuzustimmen ist,[57] so verkennt er doch, dass Recht nicht zwangsläufig zur Änderung der bestehenden Verhältnisse führen muss, sondern auch zu deren Stabilisierung dienen kann. Alles andere würde bedeuten, dass ein präventives Verbot bzw. eine dazugehörige Sanktionsnorm nur geschaffen werden dürfte, sobald es zumindest einen „Verstoß“ gegen diese noch nicht geltende Vorschrift gegeben hat.

Auch im Übrigen kann eine „Wissenschaft vom Sollen“ nicht vollständig vom „Sein“ gelöst sein;[58] die beiden Kategorien stehen nicht „von vornherein beziehungslos nebeneinander“.[59] Dies findet seinen Hintergrund nicht zuletzt in der Tatsache, dass ein stabiles Rechtssystem – jedenfalls im Großen und Ganzen – auf die Akzeptanz seiner Rechtsunterworfenen angewiesen ist,[60] was nur bei einer Anlehnung an die bestehenden Verhältnisse möglich ist.

dd)Zwischenergebnis

35

Eine Akzessorietät des Rechts zu einzelnen Bereichen der Lebenswirklichkeit ist weder bei Zugrundelegung eines systemtheoretischen Ansatzes noch aus verfassungsrechtlichen Gründen oder gar aufgrund der Natur des Rechts selbst dem Grunde nach ausgeschlossen. Für die Phase der Rechtssetzung ergeben sich insoweit überhaupt keine Einschränkungen. Hinsichtlich der Rechtsanwendung ist aber erforderlich, dass eine rechtsimmanente Öffnung für außerrechtliche Aspekte besteht.

b)Akzessorische Wirklichkeitsbereiche

36

Im Folgenden werden die wichtigsten Bereiche der Wirklichkeit, zu denen Akzessorietätsbeziehungen bestehen könnten, im Einzelnen untersucht.

aa)Politik

37

Dass „enge[] und offensichtliche[] Zusammenhänge zwischen Politik und Recht“ bestehen, wird nicht einmal seitens der Systemtheoretiker ernsthaft bestritten.[61] „Rechtsnormen sind ein Stück normativ verfestigter, dauerhaft gemachter“[62] Politik; Recht ist „geronnene“[63] Politik. „Ideologiefreies Recht kann es nicht geben.“[64]

Wie eng die Verbindung zwischen den beiden Disziplinen im Einzelfall ist, muss aus der Perspektive des Rechts nach seiner Phase bestimmt werden:[65]

38

In der Phase der Rechtssetzung ist der Konnex am stärksten. Ob, in welcher Form und mit welchem Inhalt eine bestimmte Regel zu Recht erwächst, ist ausschließlich dem Willen der rechtssetzenden Instanz unterworfen, die mit der Neuregelung, Änderung oder Aufhebung einen bestimmten politischen Zweck verfolgt. Das Recht ist eines der wichtigsten politischen Handlungsinstrumente.

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Geht es jedoch um Rechtsanwendung, ist das Maß des politischen Einflusses nicht mehr so eindeutig zu bestimmen, sondern gehört vielmehr zu den umstrittenen grundlegenden Fragen der rechtswissenschaftlichen Methodenlehre, die sich in der Gegenüberstellung der Begriffe „objektive Auslegung“ und „subjektive Auslegung“ manifestiert.[66] Während die Vertreter der subjektiven Auslegung fordern, dass die niedergelegten Absichten des historischen Gesetzgebers Einfluss auf das Auslegungsergebnis nehmen müssten,[67] wird unter Zugrundelegung einer objektiven Auslegungstechnik überwiegend davon ausgegangen, dass die Teleologie einer Rechtsvorschrift lediglich aus ihr selbst heraus zu ermitteln sei und sie auf diese Weise auch losgelöst vom historischen Kontext ihrer Schaffung, sondern angepasst an die gegenwärtigen Verhältnisse angewandt werden könne.[68] Nur dem Gesetz allein komme die Kraft der legislatorischen Bindung zu.[69] Das Gesetz könne – so der 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts – „klüger sein als die Väter des Gesetzes.“[70] Und der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs führt dazu aus: „Kein Gesetz verträgt eine starre Begrenzung seiner Anwendbarkeit auf solche Fälle, die der vom Gesetzgeber ins Auge gefaßten Ausgangslage entsprechen; denn es ist nicht toter Buchstabe, sondern lebendig sich entwickelnder Geist, der mit den Lebensverhältnissen fortschreiten und ihnen sinnvoll angepaßt weitergelten will, solange dies nicht die Form sprengt, in die er gegossen ist […].“[71]

Dieser Streit kann nicht mit einfachen Argumenten und möglicherweise gar nicht entschieden werden;[72] dieser Versuch soll im Folgenden auch gar nicht unternommen werden. Hingewiesen sei an dieser Stelle nur auf Folgendes: Auch unter Zugrundelegung einer im oben genannten Sinne objektiven Auslegungsmethodik kann die Anpassung vorhandener Rechtsnormen nicht vollständig synchron mit der Änderung der politischen Verhältnisse ablaufen. Denn dann wäre bereits – im demokratischen Rechtsstaat – die Wahl eines Gesetzgebers neuer politischer Ausrichtung selbst ein Rechtssetzungsvorgang. Gusy führt insoweit treffend aus, dass „die rechtssetzende Instanz selbst […] die Norm zwar aufheben oder ändern [darf]. So lange sie dies aber nicht getan hat, muss sie von deren Geltung ausgehen und darf sie nicht einfach ignorieren. Insoweit bewirkt Recht für die rechtssetzenden Instanzen auch eine gewisse Selbstbindung.“[73] Vor diesem Hintergrund kann es auf Rechtsanwendungsebene jedenfalls keine strenge Politikakzessorietät dergestalt geben, dass Gesetze automatisch im Licht der aktuellen politischen Verhältnisse ausgelegt werden können. Ausgehend von den – niedergelegten[74] – Absichten des historischen Rechtssetzers ist zu fragen, ob sich die im Rechtssetzungsverfahren zugrunde gelegten Prämissen verändert haben. Nur wenn sich die Umstände objektiv anders darstellen als im Zeitpunkt der Rechtssetzung, ist eine Modifikation im Rahmen der allgemeinen Regeln der Methodenlehre zulässig. Ist lediglich die Bewertung gleich gebliebener Umstände eine andere, muss der „neue“ Rechtssetzer selbst tätig werden, um die Rechtslage zu verändern.

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Konsequent zum oben Gesagten muss die Frage nach einer Öffnungsklausel sich eigentlich auch im Verhältnis von Recht und Politik stellen. Dies gilt umso mehr, als solche Klauseln anderen Rechtsordnungen nicht fremd sind bzw. waren: So sind etwa Verordnungen der Europäischen Union „in allen ihren Teilen verbindlich“ (Art. 288 UAbs. 2 Satz 2 AEUV), was die Erwägungsgründe der Verordnung mit einschließt. Insofern kann man von einer Öffnungsklausel im oben genannten Sinne für die Einbeziehung des subjektiven Willens des Verordnungsgebers in das Recht sprechen. Ähnliches fand sich im Allgemeinen Preußischen Landrecht: Gem. § 47 der Einleitung des ALR war der Richter bei Zweifeln über den telos einer Vorschrift angehalten, die Gesetzeskommission zu deren Beantwortung anzurufen und gem. Einleitung § 48 Hs. 1 ALR an den entsprechenden Beschluss der Kommission gebunden. Noch deutlicher ging der nationalsozialistische Gesetzgeber vor: So waren etwa gem. § 1 Abs. 1 des Steueranpassungsgesetzes[75] „[d]ie Steuergesetze […] nach nationalsozialistischer Weltanschauung auszulegen.“

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Allerdings lässt sich vom Fehlen einer solchen Öffnungsklausel nicht auf die gerenelle Unzulässigkeit der subjektiven Auslegung schließen. Vielmehr ergibt sich aus dem Demokratieprinzip, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG), dass der im Rechtssetzungsverfahren manifestierte (!) Wille des Volkes – im Rahmen des eben Gesagten – auch auf die Phase der Rechtsanwendung fortwirken muss.

bb)Wirtschaft

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Die Wechselwirkungen[76] zwischen Recht und Wirtschaft waren bereits Gegenstand vielfältiger Untersuchungen. Allerdings werden dort regelmäßig andere Blickwinkel eingenommen, als dies vorliegend der Fall ist.[77] So wurde vielfach erörtert, inwieweit das Recht gegenüber der Wirtschaft Steuerungsfunktion ausüben kann.[78] Anderenorts ist Gegenstand der Betrachtung, ob im Recht ökonomische Methoden angewandt werden dürfen,[79] während die sog. „ökonomische Analyse des Rechts“ ökonomische Methoden auf das Recht anwendet.[80] Für die vorliegende Untersuchung kann allerdings nur die Fragestellung relevant sein, welche Auswirkungen die faktische Wirtschaftssituation (und nicht die wirtschaftswissenschaftlichen Methoden) auf das Recht haben kann.

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Eine derartige Einflussnahme ist wiederum in erster Linie im Rechtssetzungsverfahren möglich; wirtschaftliche Entwicklungen geben häufig Anlass zu gesetzgeberischer Tätigkeit.[81] Beispielhaft sei an dieser Stelle nur die Reform des Überschuldungsbegriffs gem. § 19 Abs. 2 InsO als Reaktion des deutschen Gesetzgebers auf die weltweite Finanzkrise genannt.[82] Dass eine Orientierung der rechtssetzenden Instanz an den aktuellen wirtschaftlichen Gegebenheiten notwendig ist, proklamiert auch Lindemann, wenn er im Zuge seiner Bewertung der Wirtschaftsgesetzgebung während und nach dem ersten Weltkrieg den Schluss zieht, „daß nämlich die Wirtschaftsgesetzgebung nur dann wirklich erfolgreich sein kann, wenn sie sich den bestehenden Wirtschaftstendenzen anzupassen vermag“[83].

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Für die Ebene der Rechtsanwendung existieren vielfältige Öffnungsklauseln zur Einbeziehung wirtschaftlicher Umstände:[84] So ist etwa „[u]nter Kaufleuten […] in Ansehung der Bedeutung und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen auf die im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche Rücksicht zu nehmen“ (§ 346 HGB), und der Kaufmann hat im Rahmen eines Handelsgeschäfts „für die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns einzustehen“ (§ 347 Abs. 1 HGB). § 359 Abs. 1 HGB nimmt auf den „Handelsgebrauch des Ortes der Leistung“ Bezug. Die in § 74c Abs. 1 S. 1 Nr. 6 lit. a und lit. c GVG aufgeführten Straftaten unterfallen nur dann dem Zuständigkeitsbereich der Wirtschaftsstrafkammer, „soweit zur Beurteilung des Falles besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind“;[85] diese Formulierung setzt die Zulässigkeit einer Einbeziehung wirtschaftlicher Erwägungen gerade voraus.

Diese Beispiele mögen genügen, um zu verdeutlichen, dass wirtschaftliche Umstände und Betrachtungsweisen vielfach Eingang in die Auslegung von Rechtsnormen finden dürfen; dies gilt vor allem im Anwendungsbereich des Rechts der Handelsgeschäfte.

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Hervorzuheben ist noch, dass vor einer eventuellen Rezeption zu untersuchen ist, ob z.B. Handelsbräuche überhaupt dem Wirklichkeitsbegriff zuzuordnen sind. Häufig ist hier nämlich denkbar, dass bestimmte Anschauungen und Verhaltensweisen bereits zu Gewohnheitsrecht erstarkt und als eigenständige Rechtsquelle auch ohne jede Öffnungsklausel im Rahmen der Rechtsanwendung beachtlich sind.

cc)Technische Entwicklung

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Nicht nur auf die wirtschaftliche, sondern auch auf die technische Entwicklung hat der Gesetzgeber – egal, wie er zu den Neuerungen steht[86] – zu reagieren,[87] wobei er regelmäßig[88] „hinterherhinkt“.[89]

Um diesem Problem entgegenzuwirken, ohne in einer hohen Frequenz die rechtlichen Regelungen novellieren zu müssen (was der Rechtssicherheit abträglich wäre), wird häufig auf private Regelwerke entsprechender Fachverbände zurückgegriffen.[90] Hierfür hält das Recht an vielen Stellen entsprechende Öffnungsklauseln vor: so sind etwa bei Maßnahmen des Arbeitsschutzes „der Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen“ (§ 4 ArbSchG) und gem. § 57 Nr. 1 WHG darf „eine Erlaubnis für das Einleiten von Abwasser in Gewässer […] nur erteilt werden, wenn die Menge und Schädlichkeit des Abwassers so gering gehalten wird, wie dies bei Einhaltung der jeweils in Betracht kommenden Verfahren nach dem Stand der Technik möglich ist […]“. Der Begriff des „Stands der Technik“ ist dabei im WHG in § 3 Nr. 11 sowie im BImSchG in § 3 Abs. 6 mittels Legaldefinition näher umschrieben und ausdifferenziert, weshalb er insoweit bereits normativiert ist.

dd)Kultur und Zeitgeist

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Bewusst wird als nächster denkbarer Gegenstand einer Abhängigkeit des Rechts von lebensweltlichen Umständen ein zum Teil von Gegensätzen geprägtes Begriffspaar gewählt: Zwar verbindet die Begriffe „Kultur“ und „Zeitgeist“ die Tatsache, dass sie eine Form von gesellschaftlichem Konsens beschreiben; während aber Kultur ein Phänomen zeitlicher Konstanz beschreibt,[91] ist das zentrale Wesensmerkmal des Zeitgeistes sein steter Wandel.[92] Ob eine bestimmte gesellschaftliche Anschauung aber dem einen oder dem anderen Phänomen unterfällt, kann nur bei einer Beobachtung über längere Zeit beurteilt werden. Eine rechtserhebliche Entscheidung – sei sie rechtssetzender oder rechtsanwendender Natur – kann jedoch immer nur auf eine Momentaufnahme ihrer gesellschaftlichen Umwelt zurückgreifen. Aus diesem Grund rechtfertigt sich eine gemeinsame Darstellung.

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Die Gegenüberstellung zumindest des Kulturbegriffs mit dem Recht mag insoweit verwundern, als das Recht häufig als Teil der Kultur einer Gruppe[93] bzw. als „Kulturerscheinung“[94] angesehen wird. Insoweit fungiert das Recht allerdings in erster Linie als Spiegel der gesellschaftlichen Anschauungen; denn kulturelle Vorstellungen wirken als Motivation für die Rechtssetzung. Dies gilt gleichermaßen für die grundlegenden Fragen der Staatsgestaltung[95] (weshalb die Verfassungslehre teilweise als Kulturwissenschaft bezeichnet wird)[96] wie auch im Bereich des einfachen Rechts: So ist beispielsweise das Eherecht in Europa stark vom Christentum geprägt.[97] Aber auch auf nur vorübergehende Veränderungen im Werte- und Rechtsbewusstsein der Bevölkerung hat die rechtssetzende Instanz – in der repräsentativen Demokratie nicht zuletzt aus einem Selbsterhaltungsinteresse heraus – regelmäßig zu reagieren.[98]

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Aber auch im Bereich der Rechtsanwendung sind kulturelle und zeitgeistliche[99]