Die Brautprinzessin - William Goldman - E-Book
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Die Brautprinzessin E-Book

William Goldman

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Beschreibung

»Die Brautprinzessin« ist ein raffiniertes Abenteuer und eine atemlose, clevere Romanze. Traurig und hinterlistig, verspielt, blutig und zeitlos. Wahnsinnig. Und wunderschön. »Ich bin dein Prinz und du musst mich heiraten«, sagte Humperdinck. »Ich bin Eure Dienerin und lehne ab«, flüsterte Butterblume. »Ich bin der Prinz, und du kannst nicht ablehnen.« »Ich bin Eure sehr ergebene Dienerin, und ich habe eben abgelehnt.« »Weigerung bedeutet Tod.« »Dann tötet mich.« Bis Herbst 2008 wurde das Buch seit dem ersten Erscheinen bereits 100.000 mal verkauft.

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Seitenzahl: 596

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Dies ist der Umschlag des Buches »Die Brautprinzessin« von William Goldman, Wolfgang Krege

William Goldman

Die Brautprinzessin

S. Morgensterns klassische Erzählungvon wahrer Liebe und edlen Abenteuern.Die Ausgabe der »spannenden Teile«.Gekürzt und bearbeitet von William Goldman

Und das erste Kapitelder lange verschollenen FortsetzungButterblumes Baby

Aus dem Englischen übersetztvon Wolfgang Krege

Klett-Cotta

Impressum

Dieses Ebook basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Hobbit Presse

www.hobbitpresse.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Princess Bride«

im Verlag Ballantine Books, London

© 1973 by William Goldman

Erweiterte Ausgabe © 1998 by William Goldman

Für die deutsche Ausgabe

© 1977, 2024 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: sans serif, Berlin

Illustration: Kai Schwarzkopf (sans serif)

Gesetzt aus der Quadraat in den Tropen Studios, Leipzig

Gedruckt und gebunden von CPI – Clausen & Bosse, Leck

ISBN 978-3-608-96636-7

E-Book 978-3-608-10233-8

Inhalt

Erstes Kapitel:

Die Braut

Zweites Kapitel:

Der Bräutigam

Drittes Kapitel:

Die Brautschau

Viertes Kapitel:

Die Vorbereitungen

Fünftes Kapitel:

Die Verlobung

Sechstes Kapitel:

Die Festlichkeiten

Siebentes Kapitel:

Die Hochzeit

Achtes Kapitel:

Hochzeitsreise

Einleitung zur neuen Ausgabe:

Fünfundzwanzig Jahre »Brautprinzessin«

Butterblumes Baby – Eine Erkärung

Butterblumes Baby

Erstes Kapitel:

Fezzik stirbt

Dieses Buch hier ist mir das liebste auf der Welt, aber gelesen hab ich es noch nie.

Wie ist so was möglich? Ich versuche es zu erklären. Als Kind hatte ich für Bücher einfach nichts übrig. Ich mochte nicht lesen, ich war in der Schule sehr schlecht darin, und wie sollte man auch Zeit haben zu lesen, wenn einen die Spiele lockten? Murmeln, Basketball, Baseball – davon konnte ich nie genug kriegen. Ich war nicht mal gut darin, aber geben Sie mir einen Fußball und einen leeren Platz, und ich kann Siege in letzter Sekunde erfinden, dass Ihnen die Tränen kommen. Die Schule war eine Qual. Miss Roginski, meine Lehrerin von der dritten bis zur fünften Klasse, hatte eine Unterredung nach der anderen mit meiner Mutter. »Ich habe das Gefühl, dass Billy sich vielleicht nicht ganz so viel Mühe gibt, wie er könnte.« Oder: »Bei den Tests schneidet Billy eigentlich noch sehr gut ab, im Vergleich zu seinen Leistungen im Unterricht.« Oder, meistens: »Ich weiß nicht, Mrs. Goldman, was sollen wir denn bloß machen mit Billy?«

Was sollen wir denn bloß machen mit Billy? Der Satz verfolgte mich in diesen ersten zehn Jahren. Ich tat so, als ob es mich nicht kümmerte, doch insgeheim war ich wie versteinert. Alles und jedes lief an mir vorbei. Ich hatte keine richtigen Freunde, kein einziger war so verrückt auf all die Spiele wie ich. Ich sauste herum, aber ich glaube, wenn es mir jemand auf den Kopf zugesagt hätte, ich hätte gestanden, dass ich bei all der Hektik sehr allein war.

»Was sollen wir denn bloß mit dir machen, Billy?«

»Ich weiß nicht, Miss Roginski.«

»Wie ist es nur möglich, dass du bei diesem Lesetest durchfällst? Ich hab doch jedes Wort mit meinen eigenen Ohren schon von dir gehört.«

»Es tut mir leid, Miss Roginski. Ich muss wohl nichts dabei gedacht haben.«

»Du denkst immer etwas, Billy. Bloß an den Lesetest hast du nicht gedacht.«

Ich konnte nur nicken.

»Was war es denn diesmal?«

»Ich weiß nicht. Ich kann mich nicht erinnern.«

»Wieder Stanley Hack?« (Stan Hack war in jenen Jahren der dritte Malmann der Cubs. Ich hatte ihm einmal von einem Rangplatz aus zugesehen, und sogar auf die Entfernung hatte er das freundlichste Lächeln, das ich je sah, und bis auf den heutigen Tag schwöre ich, dass er mir mehrere Male zugelächelt hat. Ich vergötterte ihn, und er hatte auch einen gewaltigen Schlag.)

»Bronko Nagurski. Er ist ein Football-Spieler, ein ganz großer, und gestern Abend stand in der Zeitung, er werde vielleicht wieder für die Bears spielen. Er hat aufgehört, als ich noch klein war, aber wenn er wieder spielt, und wenn ich jemand finde, der mich zu einem Spiel mitnimmt, dann könnte ich ihn sehen, und vielleicht würde der, der mich mitgenommen hat, ihn kennen, und dann könnte ich nach dem Spiel zu ihm gehen, und vielleicht hätte er Hunger, und ich könnte ihm ein Sandwich geben, wenn ich eines dabeihätte. Ich hab mir gerade überlegt, was für ein Sandwich Bronko Nagurski am liebsten essen würde.«

Sie sank an ihrem Tisch in sich zusammen. »Du hast eine wunderbare Phantasie, Billy.«

Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe; wahrscheinlich »danke« oder so etwas.

»Aber ich kann nichts daraus machen«, fuhr sie fort. »Warum bloß?«

»Ich denke, das ist vielleicht, weil ich eine Brille brauche, und lesen kann ich nicht, weil die Wörter so verschwommen sind. Das würde auch erklären, warum ich immerzu zwinkern muss. Vielleicht, wenn ich mal zu einem Augenarzt ginge, und der verschriebe mir eine Brille, dann wär ich der Beste in der Klasse im Lesen, und Sie müssten mich nicht so oft nach der Schule dabehalten.«

Sie zeigte hinter sich. »Nun mach mal die Tafeln sauber, Billy.«

»Ja, Madam.« Im Tafelwischen war ich der Beste.

»Und die Wörter sehen verschwommen aus?«, sagte sie nach einer Weile.

»Ach wo, ich hab das bloß so gesagt.« Ich zwinkerte auch gar nicht. Aber sie schien ganz aufgeregt deswegen.

»Irgendwie komm ich nicht zu dir durch.«

»An Ihnen liegt es nicht, Miss Roginski.« (Es lag nicht an ihr, ich vergötterte sie auch. Sie war klein und dick, aber ich wünschte mir immer, sie wäre meine Mutter. Ich brachte das freilich nie richtig zusammen: Sie könnte zuerst mit meinem Vater verheiratet gewesen sein, dann hatten sie sich scheiden lassen, und mein Vater hatte meine Mutter geheiratet, klar, denn Miss Roginski musste arbeiten, also bekam Vater mich in Obhut – so weit ging alles auf. Nur schienen die beiden sich gar nicht zu kennen, mein Vater und Miss Roginski. Jedes Mal wenn sie sich begegneten, jedes Jahr bei der Weihnachtsfeier, zu der alle Eltern kamen, beobachtete ich die beiden wie verrückt, in der Hoffnung, irgendeinen heimlichen Blick oder einen Schimmer in ihren Augen zu entdecken, der nur bedeuten konnte: »Nun, wie geht’s, was hast du gemacht seit unserer Scheidung?« – aber nichts. Sie war nicht meine Mutter, sie war bloß meine Lehrerin, und ich war ihr ganz persönliches und ausuferndes Katastrophengebiet.)

»Du wirst schon noch richtig, Billy.«

»Klar, Miss Roginski.«

»Du bist ein Spätblüher, das ist alles. Winston Churchill war ein Spätblüher, und du bist auch einer.«

Ich wollte schon fragen, für wen der spielte, aber etwas in ihrem Ton hielt mich davon ab.

»Und Einstein.«

Den kannte ich auch nicht. Ich wusste überhaupt nicht, was ein Spätblüher war. Aber, Mann, war ich damals scharf darauf, einer zu werden!

Als ich sechsundzwanzig war, erschien mein erster Roman, The Temple of Gold, bei Alfred A. Knopf. (Der gehört heute zu Random House, und das gehört zu R.C.A., und diese gehört zu den Übeln der heutigen Verlegerei in Amerika, und die gehören nicht in diese Geschichte.) Bevor das Buch herauskam, sprachen die Werbemenschen bei Knopf mit mir, um herauszufinden, was sie tun könnten, um ihre Gehälter zu rechtfertigen, und sie fragten, an wen ich Vorausexemplare schicken wollte, Leute, die meinungsbildend wirken könnten, und ich sagte, solche Leute kenne ich keine, und sie sagten, »denken Sie mal nach, jeder kennt doch irgendwen«, und da wurde ich ganz aufgeregt, weil mir die Idee kam, und ich sagte, »ja, schicken Sie ein Exemplar an Miss Roginski«, was mir gewaltig logisch vorkam, denn wenn irgendwer bei mir Meinungen gebildet hatte, dann sie. (Sie kommt übrigens im Temple of Gold vor, nur nannte ich sie da »Miss Patulski« – auch da war ich schon kreativ.)

»An wen?«, sagte die Werbefrau.

»Meine alte Lehrerin, schicken Sie ihr ein Exemplar, ich werde signieren und vielleicht schreib ich ein bisschen …« Ich war ganz aufgeregt, bis mich der Werbemann unterbrach und sagte, »wir dachten an jemand, der mehr im öffentlichen Leben steht.«

Sehr leise sagte ich, »Miss Roginski. Sie schicken ihr ein Exemplar, bitte, ja?«

»Ja doch«, sagte er, »unbedingt.«

Sie erinnern sich, dass ich ihres Tons wegen nicht gefragt hatte, für wen Churchill spielte. Denselben Ton muss ich da auch getroffen haben. Jedenfalls, etwas muss passiert sein, denn er schrieb sich sofort ihren Namen auf und fragte, ob mit ski oder sky. »Mit i«, sagte ich ihm und schweifte schon durch die Jahre, um eine herrliche Widmung für sie zu finden, klug und bescheiden und brillant und vollendet, Sie wissen schon.

»Vorname?«

Das holte mich schnell wieder zurück. Ihren Vornamen wusste ich nicht. Ich hatte sie immer nur »Miss« genannt. Ihre Adresse wusste ich auch nicht, nicht einmal, ob sie überhaupt noch lebte. Ich war seit zehn Jahren nicht mehr in Chicago gewesen; ich war ein Einzelkind, meine Eltern gab es beide nicht mehr; wen kümmerte schon Chicago?

»Schicken Sie es an die Grammar School in Highland Park«, sagte ich, und zuerst dachte ich, ich sollte schreiben »Für Miss Roginski, eine Rose von Ihrem Spätblüher«, aber dann fand ich das zu eingebildet, und entschied, »Für Miss Roginski, ein Halm von Ihrem Spätblüher« wäre schlichter, aber das war wieder zu schlicht, fand ich als Nächstes, und damit war es zu Ende mit meinen guten Ideen für diesen Tag. Nichts fiel mir mehr ein. Dann dachte ich: Wie, wenn sie sich gar nicht mehr an mich erinnert? Hunderte von Schülern im Lauf der Jahre, wie sollte sie? So schrieb ich schließlich aus Verzweiflung hin: »Für Miss Roginski von William Goldman – Billy nannten Sie mich und Sie sagten, ich sei ein Spätblüher. Dieses Buch ist für Sie, und ich hoffe, Sie mögen es. Ich war im dritten, vierten und fünften Jahr in Ihrer Klasse, herzlichen Dank. William Goldman.«

Das Buch erschien und wurde verrissen; ich blieb zu Hause und verriss es auch, um mich dran zu gewöhnen. Es machte mir nicht nur keinen Namen als die frischeste Sache seit Kit Marlowe, es wurde auch von keinem Menschen gelesen. Nicht doch, jede Menge Leute haben es gelesen, Leute, die ich alle kannte. Ich glaube, ich darf aber sagen, keinem Fremden hat es je gefallen. Es war eine belämmernde Erfahrung, und ich reagierte, wie oben angezeigt. Als schließlich Miss Roginskis Karte kam – sie kam spät, denn sie ging an Knopf, und die ließen sich Zeit –, hatte ich eine Aufmunterung nötig.

»Lieber Mr. Goldman, danke für das Buch. Ich hatte noch keine Zeit, es zu lesen, aber ich bin sicher, es ist eine schöne Leistung. Natürlich erinnere ich mich noch an Sie. Ich erinnere mich an alle meine Schüler. Mit herzlichem Gruß, Ihre Antonia Roginski.«

War das ein Tritt! Sie erinnerte sich überhaupt nicht mehr. Ich saß da mit der Karte, ganz erschlagen. An mich erinnern die Leute sich nicht. Wirklich nicht, das hat gar nichts mit Paranoia zu tun; ich hab einfach diese Angewohnheit, durch die Gedächtnisse durchzurutschen. Es macht mir nicht viel aus. Wenn es nur nicht gelogen wäre, es macht mir schon etwas aus. Aus irgendeinem Grund kriege ich immer sehr hohe Punktwerte auf der Skala der Vergessbarkeit.

Als Miss Roginski mir also jene Karte schickte, womit sie sich zu einem Irgendjemand machte, war ich froh, dass sie nie geheiratet hatte, ich hatte sie sowieso nie gemocht, sie war immer eine miserable Lehrerin gewesen, und es geschah ihr recht, dass sie mit Vornamen Antonia hieß.

»Ich hab es nicht so gemeint«, sagte ich gleich darauf laut vor mich hin. Ich war allein in meinem möblierten Zimmer in der glamourösen Weststadt von Manhattan und sprach zu mir selbst. »Es tut mir leid«, fuhr ich fort, »es tut mir leid, Miss Roginski, Sie müssen es mir glauben.«

Natürlich hatte ich zuletzt doch das Postscriptum gesehen. Es stand auf der Rückseite und lautete: »Idiot. Nicht einmal der unsterbliche S.Morgenstern könnte mehr elterliche Gefühle hegen als ich.«

S.Morgenstern! The Princess Bride. Die Brautprinzessin. Sie erinnerte sich.

Rückblende.

1941, Herbst. Ich bin ein bisschen kribbelig, weil ich im Radio das Football-Match nicht hereinbekomme, Northwestern gegen Notre Dame; es fängt um eins an, und eine halbe Stunde nach eins habe ich das Spiel immer noch nicht. Musik, Nachrichten, Seifenopern, alles, nur nicht das Spiel. Ich rufe meine Mutter. Sie kommt; ich sage ihr, das Radio ist hin, ich finde Northwestern – Notre Dame nicht. Sie sagt, du meinst Football? Ja, ja, ja, sage ich. Es ist doch Freitag, sagt sie, ich dachte, die spielen Samstag.

Ich Idiot!

Ich lehne mich zurück, höre dem Gequassel zu, und nach einer Weile versuche ich es noch einmal und kriege alle Sender von Chicago in das blöde Ding, bloß nicht das Spiel. Ich tobe jetzt richtig, und meine Mutter schaut wieder herein. Ich schmeiß dieses Radio aus dem Fenster, sag ich; es tut’s nicht, es tut’s nicht, ich krieg es doch nicht rein. Was denn rein?, sagt sie. Das Spiel, sag ich, bist du denn doof, das Spiiiiel. Samstag, und hüte deine Zunge, junger Mann, sagt sie, ich hab dir schon mal gesagt, heute ist Freitag. Sie geht wieder.

Hast du schon so einen Trottel gesehen?

Gedemütigt drehe ich an dem guten alten Ding herum und versuche, das Football-Spiel zu finden. Es war zum Erbarmen, ich lag da und schwitzte, im Bauch war mir komisch, und ich schlug von oben auf das Gerät ein, damit es richtig gehen sollte, und so entdeckten sie die Lungenentzündung und dass ich delirierte.

Lungenentzündung ist heute nicht mehr das, was sie früher war, besonders damals, als ich sie hatte. So etwa zehn Tage im Krankenhaus und dann zu Hause, während der langen Genesungszeit. Ich glaube, ich lag noch drei Wochen im Bett, vielleicht auch einen Monat. Keine Energie, nicht einmal zum Spielen, bloß noch ein Häufchen Elend, das wieder zu Kräften kommen sollte, Punkt.

Sie müssen sich vorstellen, so stand es um mich, als ich an die Brautprinzessin geriet.

Ich war den ersten Abend zu Hause, noch ganz schlaff, ein krankes Huhn. Mein Vater kam herein, ich dachte, um gute Nacht zu sagen. Er setzte sich ans Fußende meines Bettes. »Erstes Kapitel. Die Braut«, sagte er.

Erst jetzt blickte ich auf und sah, er hatte ein Buch in der Hand. Das allein war schon überraschend. Mein Vater war beinah Analphabet, im Englischen. Er kam aus Florin, wo die Brautprinzessin spielt, und dort hatte er nicht zu den Dummen gehört. Er sagte einmal, dort wäre er irgendwann Rechtsanwalt geworden, und kann sein, dass es stimmte. Tatsache war aber, dass ihm mit sechzehn die Idee kam, nach Amerika zu gehen. Er setzte auf das Land der Möglichkeiten und verlor. Er war unansehnlich, sehr klein und schon früh kahlköpfig, und er lernte mühsam. Wenn er etwas einmal begriffen hatte, saß es fest, aber bis es in seinen Kopf hineinging, das dauerte unglaublich lange. Er behielt immer sein komisches Einwanderer-Englisch, und das machte es auch nicht eben leichter für ihn. Meine Mutter lernte er auf der Überfahrt kennen, später heirateten sie, und als sie dachten, sie könnten es sich leisten, kam ich. Er arbeitete ewig als die Nummer Zwei im schlechtestgehenden Friseurladen von Highland Park, Illinois. Gegen Ende pflegte er den ganzen Tag auf seinem Stuhl vor sich hin zu dösen, und so trat er auch ab. Er war schon eine Stunde hinüber, ehe die Nummer Eins es merkte; bis dahin hatte der andere gedacht, mein Vater mache ein Nickerchen. Vielleicht war das auch so. Vielleicht ist das überhaupt alles, was an alldem dran ist. Als ich davon hörte, traf es mich mächtig, aber zugleich dachte ich, für ihn sei dieser Abgang beinahe ein Existenzbeweis.

Jedenfalls, als er mit dem Buch kam, sagte ich: »Äh, was? Hab nicht verstanden.« Ich war ganz schlapp und müde.

»Erstes Kapitel. Die Braut.« Er hielt das Buch hoch. »Ich lese es dir vor. Zur Aufheiterung.« Er rieb mir das Buch fast unter die Nase. »Von S.Morgenstern. Großer florinesischer Schriftsteller. Die Brautprinzessin. Er ist auch nach Amerika gekommen. S.Morgenstern. Ist jetzt gestorben, in New York. Das Englische ist von ihm. Er konnte acht Sprachen.« Hier legte er das Buch hin und streckte alle Finger aus. »Acht. Einmal, in Florin, war ich in seinem Café.« Nun schüttelte er den Kopf; so machte er es immer, mein Vater, wenn er etwas falsch gesagt hatte, er schüttelte dann den Kopf. »Nicht in seinem Café. Er war drin, ich auch, zur gleichen Zeit. Ich sah ihn. S.Morgenstern. So einen Kopf, so groß«, und er zeigte mit seinen Händen, was für ein dicker Ballon es war. »Großer Mann in Florin, nicht so sehr in Amerika.«

»Kommt auch Sport drin vor?«

»Fechten. Ringkämpfe. Folter. Gift. Wahre Liebe. Hass. Rache. Riesen. Jäger. Böse Menschen. Gute Menschen. Bildschöne Damen. Schlangen. Spinnen. Wilde Tiere jeder Art und in mannigfaltigster Beschreibung. Schmerzen. Tod. Tapfere Männer. Feige Männer. Bärenstarke Männer. Verfolgungsjagden. Entkommen. Lügen. Wahrheiten. Leidenschaften. Wunder.«

»Klingt gut«, sagte ich und machte ein bisschen die Augen zu. »Ich will sehen, dass ich wach bleibe … aber ich bin furchtbar schläfrig, Papa …«

Wer kann es wissen, wenn seine Welt sich ändern soll? Wer kann es sagen, bevor es geschehen ist, dass alles, was er zuvor erlebt hat, all die Jahre, nur eine Vorbereitung war auf … nichts. Stellen Sie sich nun dies vor: Ein alter Mann, fast ein Analphabet, im Kampf mit einer feindlichen Sprache, ein kleiner Junge, fast ganz erschöpft, im Kampf mit dem Schlaf. Und zwischen ihnen nichts als die Worte eines anderen Ausländers, mühsam aus heimischen in fremde Laute übersetzt. Wer hätte ahnen können, dass am nächsten Morgen ein anderes Kind aufwachte? Was mich angeht, so erinnere ich mich nur noch, wie ich gegen die Müdigkeit ankämpfte. Eine Woche später war mir immer noch nicht klar, was an jenem Abend begonnen hatte, welche Türen hinter mir zugefallen und welche aufgegangen waren. Vielleicht müsste ich es wenigstens schon ein bisschen gewusst haben, vielleicht auch nicht; wer kann schon die Offenbarung aus dem Wind lesen?

Es geschah einfach dies: Ich wurde süchtig nach der Geschichte.

Zum ersten Mal in meinem Leben interessierte ich mich wirklich für ein Buch. Ich, der Sportfan, der einzige Zehnjährige in ganz Illinois, der einen Hass auf das Alphabet hatte, ich wollte wissen, wie es weiterging.

Was wurde aus der schönen Butterblume und aus dem armen Westley und aus Inigo, dem größten Fechter der Weltgeschichte? Und wie stark war Fezzik wirklich, und wie weit ging die Grausamkeit Vizzinis, des teuflischen Sizilianers?

Jeden Abend las mein Vater mir vor, Kapitel für Kapitel, immer heftig bemüht, die Wörter richtig auszusprechen, den Sinn festzunageln. Und ich lag da, die Augen halb geschlossen, und mein Körper begann langsam wieder Kräfte zu sammeln. Es dauerte, wie schon gesagt, wohl einen Monat, und in dieser Zeit las er mir die Brautprinzessin zweimal vor. Auch als ich schon selber lesen konnte, blieb dieses Buch immer das seine. Ich hätte nie daran gedacht, es aufzuschlagen. Ich wollte es mit seiner Stimme und seiner Aussprache. Später, Jahre später noch sagte ich manchmal, »Wie wär’s mit dem Duell auf den Klippen, Inigo und der Schwarze«, und mein Vater brummte und brubbelte etwas und holte das Buch, leckte sich den Daumen und blätterte, bis der große Kampf begann. Ich liebte das. Auch heute noch, wenn ich an meinen Vater denke, stelle ich ihn mir so vor. Vorgebeugt und blinzelnd und über einzelne Wörter stolpernd, gab er mir Morgensterns Meisterwerk, so gut er konnte. Die Brautprinzessin gehörte meinem Vater.

Alles andere gehörte mir.

Keine Abenteuergeschichte war vor mir sicher. »Ach, Stevenson«, sagte ich einmal zu Miss Roginski, als ich wieder gesund war, »immer sagen Sie Stevenson, den bin ich durch, wer kommt jetzt?«, und sie sagte, »na dann versuch’s mal mit Scott, ob der dir gefällt«, und also nahm ich den alten Sir Walter vor, und er gefiel immerhin so gut, dass ich im Dezember ein halbes Dutzend Bücher von ihm durchschmökerte (größtenteils in den Weihnachtsferien, als es nichts gab, weshalb ich die Lektüre hätte unterbrechen müssen, nur ab und zu ein bisschen zu essen). »Und wer jetzt?« »Vielleicht Cooper«, sagte sie dann, und ich machte mich über den Wildtöter her und über die ganzen Lederstrumpf-Sachen, und dann, eines Tages, stieß ich, der eignen Nase folgend, auf Dumas und d’Artagnan, und diese Burschen brachten mich über den größten Teil des Februars. »Du bist ja unter meinen Augen eine Leseratte geworden«, sagte Miss Roginski. »Ist dir klar, dass du jetzt mehr Zeit mit Lesen verbringst als früher mit Spielen? Weißt du, dass deine Noten im Rechnen immer schlechter werden?« Ich machte mir nichts daraus, wenn sie mir zusetzte. Wir waren allein im Schulzimmer, und ich wollte von ihr, dass sie mir wieder jemand Gutes zum Verschlingen nannte. Sie schüttelte den Kopf. »Jetzt blühst du aber wirklich auf, Billy, unter meinen Augen. Ich weiß bloß nicht, was daraus wird.«

Ich blieb einfach stehen und wartete, dass sie mir sagte, wen ich lesen sollte.

»Du bist unmöglich, wie du dastehst und wartest.« Sie überlegte eine Sekunde. »Also, versuch’s mal mit Hugo. Der Glöckner von Notre Dame.«

»Hugo, Glöckner«, sagte ich, »danke«, und wandte mich ab und startete zu meinem Spurt in die Bücherei. Als ich mich in Bewegung setzte, hörte ich noch, wie sie hinter mir herseufzte:

»Das geht doch nicht so weiter. Das kann doch nicht so weitergehn!«

Aber es ging so weiter.

Und es geht noch immer so weiter. Heute wie damals bin ich dem Abenteuer ergeben, und das wird nie aufhören. Mein erstes Buch, ich erwähnte es schon, The Temple of Gold – wissen Sie, wo der Titel her ist? Aus dem Film Gunga Din, ich habe ihn sechzehnmal gesehen und glaube immer noch, es ist der größte Abenteuerfilm, der je gedreht wurde. (Wahre Geschichte betreffend Gunga Din: Als ich aus der Armee entlassen wurde, schwor ich einen Eid, nie wieder eine Kaserne zu betreten. Keine große Sache, bloß so ein Eid auf Lebzeiten. Also, ich bin zu Hause, am Tag nach der Entlassung, und in der Nähe, in Fort Sheridan, wohnt ein Kumpel, und ich besuche ihn, um mich wieder zu melden, und er sagt, »He, rate mal, was es heute Abend im Garnisonskino gibt? Gunga Din.« »Da gehn wir hin«, sag ich. »Ist kitzlig«, sagt er, »du bist Zivilist.« Ergebnis: Am ersten Abend nach der Entlassung zog ich die Uniform wieder an und schmuggelte mich in die Garnison, um diesen Film zu sehen. Wieder eingeschlichen. Dieb in der Nacht. Herzklopfen, Schweiß und alles weitere.) Ich bin süchtig nach Action/Kolportage/Abenteuer/Egal-wie-man’s-nennt, auf jeden Fall Form usw. Ich habe keinen Film mit Alan Ladd versäumt, keinen mit Errol Flynn, und ich versäume heute noch keinen mit John Wayne.

Mein wirkliches Leben fing an, als mein Vater mir den Morgenstern vorlas, als ich zehn war. Eine Tatsache: Butch Cassidy and the Sundance Kid ist ohne Zweifel das Bekannteste, womit ich je zu tun hatte. Wenn mir die Times bei meinem Tod einen Nachruf widmet, dann wegen Butch. Klar, und welches ist nun die Szene, von der alles spricht, der kurze Augenblick, der für Sie und mich und für die Massen lebendig bleibt? Antwort: der Sprung von der Klippe. Ich weiß noch, als ich das schrieb, da dachte ich, diese Klippen seien die Klippen des Wahnsinns, die in der Brautprinzessin alle hinaufklettern wollen. Im Geiste versetzte ich mich, als ich Butch schrieb, tiefer und tiefer in meine Erinnerung zurück; ich erinnerte mich, wie mir mein Vater die Klettertour mit dem Seil vorlas, die Klippen des Wahnsinns hinauf, mit dem Tod, der dicht dahinter lauerte.

Dieses Buch war das Beste, was mir je passiert ist (tut mir leid, Helen! Helen ist meine Frau, die berühmte Kinderpsychiaterin), und lange bevor ich überhaupt verheiratet war, wusste ich, dass ich es an meinen Sohn weitergeben würde. Ich wusste auch, dass ich einen Sohn haben würde. Als daher Jason geboren wurde (wenn er ein Mädchen geworden wäre, hieße er Pamby – ist es denn zu glauben, dass eine Kinderpsychiaterin ihren eigenen Kindern solche Namen gibt?), jedenfalls, als Jason geboren wurde, machte ich mir im Geiste eine Notiz, dass ich ihm zu seinem zehnten Geburtstag ein Exemplar der Brautprinzessin kaufen wollte.

Worauf ich die Sache prompt vergaß.

Vorblende: Das Beverly Hills Hotel im letzten Dezember. Ich bin am Durchdrehen wegen der Konferenzen über Ira Levins The Stepford Wives, die ich für den Silver Screen bearbeite. Ich rufe um die Mittagszeit meine Frau in New York an, das mache ich immer – es gibt ihr das Gefühl, wichtig zu sein –, und wir sprechen, und gegen Ende sagt sie, »Weißt du, wir schenken Jason ein Rad mit zehn Gängen. Ich hab es heute gekauft. Ich finde, das passt doch, nicht?«

»Warum passt es?«

»Also versteh schon, Willy, zehn Jahre, zehn Gänge.«

»Er wird zehn morgen? Das ist mir ganz entfallen.«

»Ruf uns morgen Abend an, da kannst du ihm gratulieren.«

»Helen«, sagte ich dann, »hör mal, du kannst was für mich tun. Ruf den Neun-Neun-Neun-Buchladen an und lass dir Die Brautprinzessin schicken.«

»Wart mal, ich hol mir einen Stift«, und sie ist eine Weile weg. »Also, noch mal, die was?«

»Brautprinzessin. Von S.Morgenstern. Es ist ein Kinderbuch-Klassiker. Sag ihm, ich frag ihn darüber aus, wenn ich nächste Woche zurück bin, und es muss ihm nicht gefallen oder so, aber wenn es ihm nicht gefällt, sag ihm, dann bring ich mich um. Mach ihm das bitte ganz klar, ich möchte ihn nicht gern besonders unter Druck setzen oder so.«

»Küss mich, du Affe!«

»Mmmm-ppah.«

»Und keine Starlets jetzt.« Das war immer ihr Schlusszeichen, wenn ich mich allein im sonnigen Kalifornien herumtrieb.

»Die sind ausgestorben, Dummchen.« Das war mein Schluss. Wir legten auf.

Am folgenden Nachmittag nun, so begab es sich, tauchte von irgendwoher tatsächlich ein lebendes, sonnengebräuntes und tiefatmendes Starlet auf. Ich räkele mich am Swimming Pool, und sie kommt vorbei, in einem Bikini, und sie ist prachtvoll. Ich habe für den Nachmittag nichts vor, ich kenne keine Seele, und so mache ich mir einen Sport daraus, herauszufinden, wie ich dieses Mädchen ansprechen kann, ohne dass sie mich auslacht. Ich tu niemand was, aber auch Äugen ist ein Sport, und da bin ich spitze. Mir fällt nichts Brauchbares ein, wie ich an sie herankommen kann, und so fange ich an, meine Runden zu schwimmen. Ich schwimme eine Viertelmeile pro Tag, weil ich unten an der Wirbelsäule einen Bandscheibenschaden habe.

Hin und zurück, hin und zurück, achtzehnmal, und wie ich fertig bin, hänge ich noch im Tiefen am Beckenrand und schnappe nach Luft, und vorbei schwimmt dieses Starlet. Sie hängt sich auch an den Rand, vielleicht zwei Handbreit neben mir, die Haare ganz nass, glitzernd, ihr Körper ist unter Wasser, aber man weiß, dass er da ist, und sie sagte (so geschah es nun), »Verzeihung, aber sind Sie nicht der William Goldman, der Boys and Girls Together geschrieben hat? Das ist sozusagen mein Lieblingsbuch.«

Ich umklammere die Randleiste und nicke; ich weiß nicht mehr genau, was ich gesagt habe. (Gelogen, ich weiß es genau, nur ist es zu blöd, um es hinzuschreiben; mein Gott, und ich bin vierzig Jahre alt. »Goldman, ja Goldman, ich bin Goldman« – das kam alles wie in einem einzigen Wort heraus, so dass sie womöglich raten musste, in welcher Sprache ich antwortete.)

»Ich bin Sandy Sterling«, sagte sie. »Tag.«

»Tag, Sandy Sterling«, brachte ich heraus – ganz schön schlagfertig, jedenfalls für meine Verhältnisse; ich würde es in derselben Situation wieder sagen.

Dann wurde mein Name ausgerufen. »Die Zanucks lassen mir doch keine Ruhe«, sage ich, und sie bricht in Gelächter aus; ich eile ans Telefon und denke, ob das wirklich so schlau war, und wie ich dort ankomme, entscheide ich, ja, es war schlau, und das sage ich in den Hörer, »schlau«, nicht »Hallo« und nicht »Bill Goldman«, sondern ich sage »schlau«.

»Hast du gesagt ›schlau‹, Willy?« Es ist Helen.

»Ich bin in einer Drehbuchkonferenz, Helen, und wir sprechen doch heute Abend. Warum rufst du denn jetzt an?«

»Aggressiv, aggressiv.«

Streiten Sie nie mit Ihrer Frau über Aggressivität, wenn sie eine diplomierte Freudianerin ist. »Bloß weil sie mich verrückt machen mit ihren blöden Ideen in dieser Konferenz. Was ist denn los?«

»Nichts weiter, bloß der Morgenstern ist vergriffen. Bei Doubleday hab ich auch schon gefragt. Du hast dich gestern so angehört, als ob es wichtig sein könnte, darum wollte ich dir nur sagen, Jason wird mit seinem Zehngangrad, was ja sehr gut passt, zufrieden sein müssen.«

»Nicht so wichtig«, sagte ich. Sandy Sterling lächelte, vom tiefen Ende des Bassins her, direkt zu mir. »Trotzdem danke.« Ich wollte schon auflegen, dann sagte ich, »aber wenn du schon mal dabei bist, ruf doch Argosy in der Neunundfünfzigsten Straße an, die sind auf vergriffene Sachen spezialisiert.«

»Argosy. Neunundfünfzigste. Hab’s. Wir sprechen heut Abend.« Sie legte auf.

Ohne zu sagen, »keine Starlets jetzt.« Bei jedem Anruf sagt sie das zum Schluss, und jetzt nicht. Kann ich mich durch irgendetwas in meinem Ton verraten haben? Helen ist darin sehr wetterfühlig, weil sie doch eine Psych ist und so. Meine Schuld begann Blasen zu schlagen wie ein Pudding auf dem Herd.

Ich ging zurück zu meinem Liegestuhl. Allein.

Sandy Sterling schwamm ein paar Runden. Ich nahm meine New York Times auf. Ein gewisses Maß an sexueller Spannung in der Nachbarschaft. »Fertig mit Schwimmen?«, fragt sie. Ich lege die Zeitung weg. Sie war nun am Beckenrand, nächst meinem Stuhl.

Ich nicke und starre sie an.

»Welcher Zanuck, Dick oder Darryl?«

»Es war meine Frau«, sagte ich, mit dem Ton auf dem letzten Wort.

Schüchterte sie nicht ein. Sie kam heraus und legte sich in den Stuhl nebenan. Etwas oberlastig, aber goldbraun. Wenn einem so etwas gefällt, musste einem Sandy Sterling gefallen. Mir gefällt so etwas.

»Sie sind hier wegen der Levin, nicht? Stepford Wives?«

»Ich mache das Drehbuch.«

»Das Buch hat mir wirklich gefallen. Das ist sozusagen mein Lieblingsbuch. Ich wär wirklich gern in so einem Film. Und von Ihnen geschrieben. Ich tät alles, wenn ich da rankäme.«

Da war es also. Sie sagte es einfach so heraus, gleich zur Sache.

Natürlich rückte ich ihr gleich den Kopf zurecht. »Nun hören Sie mal zu«, sagte ich, »solche Sachen tu ich nicht. Wenn ich so etwas täte, dann würde ich’s tun, denn Sie sind ein Prachtweib, das brauch ich Ihnen nicht erst zu sagen, und ich wünsche Ihnen Glück, aber das Leben ist auch ohne solche Sachen schon kompliziert genug.«

Das war, wovon ich dachte, dass ich es sagen würde. Aber dann sagte ich mir, Moment mal, wo steht denn geschrieben, dass ich der Puritaner vom Dienst in der Filmbranche sein muss? Ich habe schon mit Leuten zu tun gehabt, die über solche Sachen Karteien führen. (Ist wahr, fragen Sie Joyce Haber.) »Haben Sie schon viel in Filmen gespielt?«, hörte ich mich fragen. Sie können sich nun vorstellen, mit welcher Spannung ich der Antwort entgegensah.

»Nichts, was echt meine Grenzen erweitert hat, verstehen Sie?«

»Mr. Goldman?«

Es war der zweite Bademeister.

»Noch einmal für Sie.« Er gab mir das Telefon.

»Willy?« Schon der Klang ihrer Stimme erfüllte mich durch und durch mit schlimmen Ahnungen.

»Ja, Helen?«

»Du hörst dich so komisch an.«

»Was ist denn, Helen?«

»Nichts, aber – «

»Es muss doch was sein, du rufst mich doch nicht wegen nichts an.«

»Was ist los, Willy?«

»Nichts ist los. Ich hab versucht, logisch zu sein. Schließlich hast du angerufen. Ich hab nur versucht herauszufinden, warum.« Ich kann ganz schön kühl sein, wenn ich will.

»Du verbirgst etwas.«

Nichts macht mich verrückter, als wenn mir Helen so kommt. Denn mit dieser scheußlichen Psychiatrie, die sie gelernt hat, beschuldigt sie mich immer nur dann, dass ich ihr etwas verberge, wenn ich ihr tatsächlich etwas verberge. »Helen, ich bin mitten in einer Drehbuchkonferenz jetzt; nun sag schon, was du willst.«

Da war es also noch einmal. Ich belog meine Frau über eine andere Frau, und die andere Frau wusste es.

Sandy Sterling in dem Stuhl neben mir lächelte mir unbeirrt in die Augen.

»Argosy hat das Buch nicht, niemand hat es, mach’s gut, Willy.« Sie legte auf.

»Wieder Ihre Frau?«

Ich nickte und legte den Hörer auf den Tisch neben meinem Liegestuhl.

»Sie sprechen aber viel miteinander.«

»Ich weiß«, sagte ich ihr. »Es ist Mord, wenn man mal etwas schreiben will.«

Ich glaube, sie lächelte.

Ich wusste nicht, was ich machen sollte, damit mein Herz nicht so klopfte.

»Erstes Kapitel. Die Braut«, sagte mein Vater.

Ich muss herumgefuchtelt haben oder irgendetwas, denn sie sagte »hmm?«

»Mein Va– «, fing ich an. »Ich dach– «, fing ich wieder an. »Nichts«, sagte ich schließlich.

»Wird schon«, sagte sie und schenkte mir ein wahrhaft liebes Lächeln. Sie senkte ihre Hand auf meine Hand, nur für einen Augenblick, sehr sanft und begütigend. Ich fragte mich, war es denn möglich, dass sie auch noch verständnisvoll war? War das denn erlaubt? Ein Prachtweib und verständnisvoll? Helen war niemals verständnisvoll. Sie sagte immer, sie sei es – »ich verstehe, warum du das sagst, Willy« –, aber insgeheim stöberte sie meinen Neurosen nach. Nicht doch, ich glaube, Verständnis hatte sie schon, aber teilnahmsvoll, das war sie nicht. Und natürlich war sie auch nicht so ein Prachtweib. Dünn war sie und gescheit.

»Ich hab meine Frau auf der Universität kennengelernt«, sagte ich zu Sandy Sterling. »Sie machte gerade ihren Doktor.«

Sandy Sterling hatte etwas Mühe, meinen Gedankengängen zu folgen.

»Wir waren noch Kinder. Wie alt sind Sie?«

»Wollen Sie mein richtiges Alter wissen oder mein Baseball-Alter?«

Ich musste wirklich lachen. Ein Prachtweib und verständnisvoll und auch noch witzig?

»Fechten. Ringkämpfe. Folter«, sagte mein Vater. »Wahre Liebe. Hass. Rache. Riesen. Schlangen. Spinnen. Wahrheiten. Leidenschaften. Wunder.«

Es war 12 Uhr 35, und ich sagte, »ein Telefongespräch bitte«.

»Ja.«

»New York City, die Auskunft«, sagte ich in die Muschel, und als sich jemand meldete, sagte ich: »Können Sie mir bitte die Namen von ein paar Buchläden in der Fourth Avenue geben? Es müssen etwa zwanzig dort sein.« Die Fourth Avenue ist das Zentrum des Antiquariats-Buchhandels für den englisch sprechenden Teil der zivilisierten Welt. Während die Telefonistin nachsah, wandte ich mich dem Geschöpf in dem Stuhl neben mir zu und sagte: »Mein Junge wird heute zehn, ich will sehen, dass er dieses Buch von mir bekommt, als Geschenk, dauert nur eine Sekunde.«

»Klar«, sagte Sandy Sterling.

»Ich finde eine Buchhandlung, die heißt Fourth Avenue Bookshop«, sagte die Telefonistin und gab mir die Nummer durch.

»Können Sie mir nicht auch noch ein paar von den andern nennen? Sie stehen alle da auf einem Haufen.«

»Wenn Sie mir die Namen sagen, kann ich Ihnen helfen«, sagte sie mit Ansagerstimme.

»Die eine reicht auch«, sagte ich und ließ die Telefonistin des Hotels für mich anrufen. »Hören Sie, ich rufe aus Los Angeles an«, sagte ich, »und ich brauche die Brautprinzessin von S.Morgenstern.«

»Nee, tut mir leid«, sagte der Bursche, und bevor ich noch sagen konnte: »Könnten Sie mir dann wohl die Namen der anderen Buchläden in der Gegend sagen?«, hatte er aufgelegt. »Bitte noch einmal dieselbe Nummer«, sagte ich zu der Hotelzentrale, und als der Mann wieder an den Apparat kam, sagte ich: »Ich bin Ihr Kunde aus Los Angeles; legen Sie diesmal nicht so rasch auf.«

»Ich hab’s doch nicht, Mister.«

»Ich weiß. Was ich möchte, ist, weil ich in Kalifornien bin, ob Sie mir die Namen und Nummern von ein paar anderen Läden bei Ihnen dort durchgeben könnten. Vielleicht haben die es; das New Yorker Branchenverzeichnis liegt hier unten natürlich nicht überall herum.«

»Die helfen mir nicht, ich helf denen nicht.« Er legte wieder auf.

Ich saß da, den Hörer in der Hand.

»Was ist das für ein Buch, was Besonderes?«, fragte Sandy Sterling.

»Nicht so wichtig«, sagte ich und legte auf. Dann sagte ich, »doch, ist wichtig«, und nahm den Hörer wieder ab, kam schließlich durch zu meinem Verlag in New York, Harcourt Brace Jovanovich, und nach einigem weiteren Hin und Her las mir die Sekretärin meines Lektors die Namen und Nummern aller Buchläden in der Gegend der Fourth Avenue vor.

»Jäger«, sagte mein Vater nun. »Böse Menschen. Gute Menschen. Bildschöne Damen.« Er hatte sich in meinem Schädel festgesetzt, vorgebeugt, kahlköpfig und blinzelnd, wie er sich bemühte zu lesen, zu gefallen, seinen Sohn am Leben und die Wölfe fernzuhalten.

Als ich die Liste komplett hatte und auflegte, war es 1 Uhr 10.

Dann fing ich an mit den Buchläden. »Hören Sie, ich rufe aus Los Angeles an, wegen des Buchs von Morgenstern, Die Brautprinzessin, und …«

»… tut mir leid …«

»… tut mir leid …«

Besetztzeichen.

»… seit Jahren niemand mehr …«

Wieder besetzt.

1 Uhr 35.

Sandy schwimmt. Sie wird auch ein bisschen ärgerlich. Sie muss gedacht haben, ich veralbere sie. Das war es nicht, aber sicherlich sah es so aus.

»… tut mir leid, das letzte Exemplar im Dezember …«

»… kein Stück, tut mir leid …«

»Dies ist eine automatische Ansage. Die Nummer, die Sie gewählt haben, ist zurzeit nicht erreichbar. Bitte legen Sie auf und …«

»… nee …«

Sandy ist jetzt richtig böse. Sie schaut wütend drein, sammelt die Trümmer auf.

»… wer liest das heut noch? …«

Sandy geht.

Wiedersehn, Sandy. Tut mir leid, Sandy.

»… tut mir leid, wir machen zu …«

1 Uhr 55 jetzt. 4 Uhr 55 in New York.

Panik in Los Angeles.

Besetzt.

Niemand nimmt ab.

Niemand.

»Florinesisch, ich glaube, das hab ich. Irgendwo da hinten.«

Ich setze mich auf in meinem Liegestuhl. Er sprach mit starkem Akzent. »Ich brauche die englische Übersetzung«, sagte ich.

»Wird nicht viel verlangt, der Morgenstern, heutzutage. Weiß nicht mehr so genau, was ich noch alles da hinten habe. Kommen Sie morgen vorbei, schauen Sie sich um.«

»Ich bin in Kalifornien«, sagte ich. »Es wäre mir sehr wichtig, wenn Sie jetzt mal nachschauen könnten.«

»Bleiben Sie so lange dran? Ich bezahl ja den Anruf nicht.«

»Lassen Sie sich Zeit«, sagte ich.

Er brauchte siebzehn Minuten. Ich blieb am Apparat und horchte. Ab und zu hörte ich einen Fußtritt, das Fallen von Büchern oder ein Knurren: »hnch – hnch«.

Endlich: »Also ich hab die florinesische, wie ich gedacht hab.«

So nahe dran. »Aber nicht die englische«, sagte ich.

Und plötzlich brüllte er mich an: »Was denn, sind Sie verrückt? Ich zerreiß mich, und er sagt, ich hab sie nicht. Klar hab ich sie, hier vor mir, und das kostet einen Groschen, können Sie mir glauben.«

»Großartig – wirklich, kein Witz, also hören Sie, was Sie jetzt tun, Sie nehmen sich ein Taxi und sagen dem Fahrer, er soll die Bücher nach – «

»Sie da, Mister Kalifornien, jetzt hören Sie mal, es gibt einen Schneesturm, und ich geh nirgends hin, und diese Bücher auch nicht ohne das Geld, sechsfünfzig auf den Tisch für jedes, und wenn Sie die englische wollen, müssen Sie auch die florinesische nehmen, und ich mache um 6 Uhr zu. Die Bücher kommen mir nicht aus dem Haus ohne dreizehn Dollar auf dem Tisch.«

»Bleiben Sie bitte noch da«, sagte ich und legte auf. Wen ruft man an, nach der Geschäftszeit und Weihnachten vor der Tür? Nur den Anwalt. »Charley«, sagte ich, als ich ihn hatte, »bitte tu Folgendes für mich. Geh in die Fourth Avenue, zu Abromowitz, gib ihm dreizehn Dollar für zwei Bücher, dann nimm ein Taxi zu meinem Haus und sag dem Pförtner, er soll die Bücher zu meiner Wohnung bringen und, ja, ich weiß, es schneit, was hast du gesagt?«

»Das ist so ein bizarrer Wunsch, dass ich es wohl machen muss.«

Ich rief noch einmal Abromowitz an. »Mein Anwalt ist auf Ihrer Spur.«

»Keine Schecks«, sagte Abromowitz.

»Sie sind ein Herzchen!« Ich legte auf und fing an zu rechnen. Rund 120 Minuten Ferngespräche, je 1 Dollar 35 für die ersten drei Minuten, plus dreizehn Dollar für die Bücher, plus ungefähr zehn für Charleys Taxi, plus ungefähr sechzig für seine Zeit, zusammen …? Vielleicht zweihundertfünfzig. Alles, damit mein Jason den Morgenstern bekam. Ich lehnte mich zurück und machte die Augen zu. Zweihundertfünfzig, nicht zu reden von zwei guten Stunden Pein und Folter, und nicht zu vergessen Sandy Sterling.

Schon ein Geschäft.

Um halb acht riefen sie mich an. Ich war in meinen Zimmern. »Das Rad gefällt ihm«, sagte Helen. »Er ist außer Rand und Band.«

»Prima«, sagte ich.

»Und deine Bücher sind auch gekommen.«

»Was für Bücher?«, sagte ich. Chevalier konnte nicht beiläufiger sein.

»Die Brautprinzessin. In mehreren Sprachen, zum Glück auch Englisch.«

»Na, das ist ja schön«, sagte ich, immer noch nicht bei der Sache. »Ich hatte ganz vergessen, dass ich sie habe schicken lassen.«

»Wo hast du die denn aufgetrieben?«

»Ich hab die Sekretärin von meinem Lektor angerufen und mir von ihr ein paar besorgen lassen. Vielleicht hatten sie welche bei Harcourt, wer weiß?« (Tatsächlich hatten sie welche bei Harcourt, ist das zu glauben? Warum, darauf komme ich noch auf den nächsten Seiten, wahrscheinlich.) »Gib mir mal den Jungen.«

»Tag«, sagte er eine Sekunde später.

»Hör mal, Jason«, sagte ich zu ihm, »wir haben dir zum Geburtstag erst ein Fahrrad schenken wollen, aber dann haben wir es uns anders überlegt.«

»Mann, da irrst du dich, ich hab schon eins gekriegt.«

Jason hat von seiner Mutter die totale Humorlosigkeit geerbt. Ich weiß nicht, vielleicht versteht er Spaß und ich nicht. Mit Sicherheit sagen kann ich bloß: zusammen lachen wir nicht viel. Mein Sohn Jason sieht unglaublich aus, ein Fettwanst. Wenn man ihn gelb anmalte, könnte er bei den Sumo-Ringern auftreten. Andauernd stopft er Sachen in sich hinein. Ich achte auf meine Linie, und die gute Helen ist nur in Großaufnahme sichtbar, und obendrein ist sie noch die führende Kinderpsych in Manhattan, aber der Bengel kann schneller rollen als gehen. Helen sagt immer, »er drückt sich durch Essen aus. Seine Ängste. Wenn er das Gefühl hat, er kann das bewältigen, wird er schon dünner werden.«

»He, Jason, Mama sagt, dieses Buch ist heute angekommen, die Sache mit der Prinzessin? Ich fänd es bestimmt gut, wenn du das mal lesen könntest, solange ich weg bin. Mir hat es gefallen, als ich ein Junge war, und irgendwie interessiert mich, was du dazu sagst.«

»Muss es mir auch gefallen?« Ganz die Mutter.

»Jason, nicht doch. Bloß die Wahrheit, genau was du denkst. Ich will wissen, was du meinst, du Genie. Wir sprechen darüber an deinem Geburtstag.«

»Mann, da irrst du dich, heute hab ich Geburtstag.«

Wir alberten noch ein bisschen weiter, als es schon längst nicht mehr viel zu sagen gab. Dann dasselbe mit meiner Frau Gemahlin; ich versprach, binnen einer Woche zurückzukommen, und legte auf.

Es dauerte noch zwei Wochen.

Die Konferenzen schleppten sich hin, Produzenten hatten Inspirationen, die man sorgfältig abwürgen musste, Regisseure brauchten Balsam für ihr Ich. Jedenfalls war ich länger als vermutet im sonnigen Kalifornien. Endlich aber wurde mir gestattet, in die Obhut der Familie zurückzukehren, und bevor es sich jemand wieder anders überlegen konnte, schwirrte ich ab zum Flughafen. Ich kam frühzeitig dort an, wie immer, bevor ich nach Hause fliege, denn ich musste noch meine Taschen mit Kram und Spielzeug für Jason auffüllen. Immer wenn ich von einer Reise heimkomme, rennt (watschelt) er auf mich los und brüllt, »lassmasehn, lassmasehn, was du hast«, und dann wühlt er mir alle Taschen durch und nimmt sich sein Teil. Wenn er die Beute gezählt hat, umarmt er mich freundlich. Ist es nicht schauderhaft, was wir so tun auf dieser Welt, damit wir uns nicht überflüssig vorkommen?

»Lassmasehn, was du in den Taschen hast«, schrie Jason und kam durch den Vorraum auf mich zu. Es war Donnerstagabend, und während er sein Ritual abwickelte, tauchte Helen aus der Bibliothek auf, gab mir einen Kuss auf die Wange und brachte ihren Spruch von wegen »Was für einen toll aussehenden Burschen hab ich da wieder«, was auch ein Ritual ist, und Jason, bepackt mit seinen Geschenken, drückte mich ein bisschen und zog (watschelte) ab in sein Zimmer. »Angelica macht gerade das Essen«, sagte Helen, »du könntest es nicht besser abgepasst haben.«

»Angelica?«

Helen legte den Finger an die Lippen und flüsterte: »Sie ist erst den dritten Tag hier, aber ich glaube, sie kann eine Perle sein.«

Ich flüsterte zurück: »Was war denn nicht richtig mit der Perle, die wir hatten, als ich abgefahren bin? Die hatten wir doch damals auch erst eine Woche?«

»Sie hat sich als eine Enttäuschung erwiesen«, sagte Helen. Das war alles. (Helen ist eine gescheite Frau, mit allen erdenklichen Auszeichnungen vom College und von der Universität, wahrhaftig ein Intellekt von erstaunlicher Weite und Vollendung – nur ein Hausmädchen halten, das kann sie nicht. Erstens, glaube ich, hat sie Schuldgefühle, dass sie überhaupt ein Mädchen hat, weil die meisten, die heutzutage zu haben sind, entweder schwarz oder spanisch sind, und Helen ist ultrasuperliberal. Zweitens ist sie so tüchtig, dass sie die Mädchen einschüchtert. Sie kann alles besser und sie weiß das und sie weiß auch, dass die Mädchen es wissen. Drittens, wenn sie sie erst einmal in Schrecken versetzt hat, versucht sie ihnen zu erklären, weil sie doch eine Analytikerin ist, warum sie keine Angst zu haben brauchen, und nach einer guten halben Stunde Selbsterforschung mit Helen haben sie dann wirklich Angst. Jedenfalls haben wir in den letzten Jahren im Durchschnitt vier »Perlen« gehabt.)

»Da haben wir wieder Pech gehabt, aber das wird sich ändern«, sagte ich, so beschwichtigend wie möglich. Früher zog ich sie mit dem Hausmädchenproblem gern auf, aber ich habe gelernt, dass das nicht unbedingt klug war.

Das Essen war etwas später fertig, und ich betrat das Esszimmer, einen Arm um meine Frau, einen um meinen Sohn. In diesem Augenblick fühlte ich Sicherheit, Geborgenheit, all die schönen Dinge. Das Abendessen stand auf dem Tisch: Rahmspinat, Kartoffelbrei, Schmorbraten mit Soße; herrlich, nur dass ich keinen Schmorbraten mag, denn ich bin ein Steak-Mann, aber für Rahmspinat hab ich was übrig, und so stand alles in allem eine mehr als nur essbare Mahlzeit auf dem Tisch. Wir setzten uns. Helen legte das Fleisch auf, das übrige reichten wir herum. Mein Stück Braten war nicht eben saftig, aber die Soße machte das gut. Helen klingelte. Angelica tauchte auf. Vielleicht zwanzig oder achtzehn, dunkelhäutig, langsam in den Bewegungen. »Angelica«, begann Helen, »das hier ist Mr. Goldman«.

Ich lächelte, sagte »Tag« und winkte mit der Gabel. Sie nickte zurück.

»Angelica, dies ist nicht als Kritik zu verstehen, denn was passiert ist, ist alles meine Schuld, aber in Zukunft müssen wir beide uns sehr viel Mühe geben, daran zu denken, dass Mr. Goldman sein Roastbeef gern blutig isst – «

»Das war Roastbeef?«, sagte ich.

Helen schoss einen Blick auf mich ab. »Also, Angelica, es ist gar kein Problem, und ich hätte Ihnen eben öfter als nur einmal sagen müssen, wie es Mr. Goldman gerne hat, aber nächstes Mal, wenn wir das Rippenstück braten, wollen wir doch alle unser Bestes tun, damit es innen rosa ist, nicht?«

Angelica trat zurück in die Küche. Wieder ging eine »Perle« den Bach runter.

Man erinnere sich, zu Beginn dieser Mahlzeit waren wir alle drei guter Laune. Zwei von uns sind immer noch in diesem Zustand, Helen ist deutlich verstimmt.

Jason türmte mit geübten, stetigen Bewegungen Kartoffelbrei auf seinen Teller.

Ich lächelte zu dem Jungen hinüber. »He«, versuchte ich es, »Junge, übertreib’s nicht.«

Er klatschte sich noch einen großen Löffel voll auf den Teller.

»Jason, das ist doch so schwer«, sagte ich dann.

»Ich hab aber wirklich Hunger, Papa«, sagte er, ohne mich anzusehen.

»Dann nimm doch noch von dem Fleisch, warum isst du das denn nicht«, sagte ich. »Iss so viel Fleisch, wie du willst, da sag ich kein Wort.«

»Ich ess überhaupt nichts!«, sagte Jason und schob seinen Teller weg und kreuzte die Arme und starrte ins Leere.

»Wenn ich eine Möbelverkäuferin wäre«, sagte Helen zu mir, »oder vielleicht ein Schalterfräulein in einer Bank, dann könnte ich das verstehen; aber wie kannst du bloß all die Jahre mit einer Psychiaterin verheiratet gewesen sein und so reden. Du bist aus dem Mittelalter, Willy.«

»Helen, der Junge hat Übergewicht. Ich hab doch nur vorgeschlagen, er könnte ein paar Kartoffeln für die hungernde Menschheit übriglassen und sich dafür mit diesem schönen, erstklassigen Schmorbraten vollstopfen, den deine Perle für meine triumphale Heimkehr hingehauen hat.«

»Willy, ich möchte dich nicht schockieren, aber Jason hat zufällig nicht nur einen ausgezeichneten Verstand, sondern auch außergewöhnlich gute Augen. Wenn er sich im Spiegel betrachtet, ich versichere dir, dann sieht er selber, dass er nicht schlank ist. Und zwar deshalb, weil er sich in dieser Phase nicht dafür entscheidet, schlank zu sein.«

»Es ist nicht mehr lange, dann geht es mit den Mädchen los, Helen, und was dann?«

»Jason ist zehn, mein Lieber, und in dieser Phase interessiert er sich nicht für Mädchen. In dieser Phase interessiert er sich für Raketen. Was macht einem Raketenfan schon ein bisschen Übergewicht aus? Wenn er sich dafür entscheidet, schlank zu sein, ich versichere dir, dann hat er sowohl die Intelligenz als auch die Willenskraft, schlank zu werden. Bis dahin frustriere du bitte in meiner Gegenwart das Kind nicht!«

Sandy Sterling in ihrem Bikini tanzte vor meinen Augen.

»Ich ess gar nichts, und damit hat sich’s«, sagte Jason nun.

»Mein liebes Kind«, sagte Helen zu dem Jungen, in jenem Ton, den sie auf dieser Erde allein solchen Augenblicken vorbehält, »sei doch logisch. Wenn du deine Kartoffeln nicht isst, dann bist du ärgerlich und ich bin ärgerlich; dein Vater ist es offensichtlich jetzt schon. Wenn du deine Kartoffeln isst, dann bin ich zufrieden, du bist zufrieden und dein Bäuchlein ist zufrieden. Deinem Vater können wir nicht helfen. Du hast es in der Hand, ob du uns alle ärgern willst oder nur den einen, dem wir, wie ich schon sagte, nicht helfen können. Die Folgerung sollte daher klar sein, aber ich vertraue auf deine Fähigkeit, selber dahin zu gelangen. Entscheide du, was du willst, Jason.«

Er begann, den Brei in sich hineinzustopfen.

»Du versaust den Jungen«, sagte ich, nur nicht laut genug, als dass es außer Sandy und mir jemand hätte hören können. Dann nahm ich einen tiefen, tiefen Atemzug, denn wann immer ich nach Hause komme, gibt es Ärger, und das kommt davon, sagt Helen, weil ich Spannung mitbringe, ich brauchte immer über-menschliche Beweise, dass ich vermisst worden sei, dass ich noch gebraucht, geliebt würde usw. Ich weiß nur, ich hasse es, fort zu sein, aber nach Hause zu kommen ist am schlimmsten. Es gibt eigentlich nie viel Aussicht auf ein bisschen Geplauder, was sich so getan hat, während ich weg war, denn mit Helen spreche ich ja sowieso jeden Abend.

»Ich wette, du bist ein Ass auf deinem Rad«, sagte ich dann. »Vielleicht machen wir mal eine Tour dieses Wochenende.«

Jason blickte auf von seinen Kartoffeln. »Das Buch hat mir wirklich gefallen, Papa. Es war prima.«

Ich war überrascht, dass er das sagte, denn natürlich fing ich gerade erst an, mich zu diesem Thema vorzutasten. Aber nun, wie Helen immer sagt, Jason ist nicht so dumm. »Na, das freut mich«, sagte ich. Und ob es mich freute.

Jason nickte. »Vielleicht ist es sogar das beste, das ich je in meinem Leben gelesen hab.«

Ich stocherte in meinem Spinat herum. »Welche Stelle hat dir am besten gefallen?«

»Kapitel eins. Die Braut«, sagte Jason.

Das überraschte mich nun wirklich. Nicht dass Kapitel eins nichts taugte, aber so viel passiert darin nicht, im Vergleich zu den unglaublichen Sachen später. Butterblume wächst auf, das ist so gut wie alles. »Wie fandest du, wie sie die Klippen des Wahnsinns raufklettern?«, fragte ich nun. Das ist im fünften Kapitel.

»Oh, prima«, sagte Jason.

»Und die Beschreibung von Prinz Humperdincks Todeszoo?« Das ist im zweiten Kapitel.

»Noch besser«, sagte Jason.

»Was mich dabei umgeschmissen hat«, sagte ich, »war, dass es nur so eine ganz kurze Passage über den Todeszoo ist, und doch weiß man irgendwie schon, dass er später noch eine Rolle spielen wird. Hattest du auch den Eindruck?«

»Hmm–hmm.« Jason nickte. »Prima.«

Inzwischen wusste ich, er hatte es nicht gelesen.

»Er hat versucht, es zu lesen«, schaltete Helen sich ein. »Das erste Kapitel hat er gelesen. Das zweite war unmöglich für ihn, und als er einen anständigen Versuch gemacht hatte, hab ich ihm gesagt, er solle aufhören. Die Geschmäcker sind verschieden. Ich hab ihm gesagt, du würdest das verstehen, Willy.«

Natürlich, ich verstand. Ich fühlte mich bloß so im Stich gelassen.

»Es gefiel mir nicht, Papa. Ich wollte.«

Ich lächelte ihm zu. Wie konnte es ihm nicht gefallen? Leidenschaft. Duelle. Wunder. Riesen. Wahre Liebe.

»Isst du den Spinat auch nicht mehr?«, sagte Helen.

Ich stand auf. »Zeiten ändern sich; keinen Hunger.« Sie sagte nichts, bis sie hörte, dass ich die Haustür aufmachte. »Wo gehst du hin?«, rief sie dann. Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich geantwortet.

Ich lief durch den Dezember, ohne Mantel. Ich merkte nicht, dass ich fror. Ich wusste nur, ich war vierzig Jahre alt, und ich hatte nicht vorgehabt, mit vierzig hier zu sein, angebunden an diese geniale Psychofrau und diesen Wanst von einem Sohn. Es muss 9 Uhr gewesen sein, als ich mitten im Central Park saß, allein, niemand war in der Nähe, keine andere Bank war besetzt.

Da hörte ich das Rascheln im Gebüsch. Es hörte auf. Dann wieder, ganz leicht, näher. Ich fuhr herum: »Kommen Sie mir nicht zu nah!« Was es auch war, Freund, Feind oder Einbildung, ich flüchtete. Ich hörte mich rennen, und mir wurde eines klar: Jetzt, in diesem Augenblick, war ich gefährlich.

Dann wurde es kalt. Ich ging nach Hause. Helen ging im Bett noch ein paar Notizen durch. Sonst sagte sie meistens noch etwas, dass ich doch schon ein bisschen alt sei für juveniles Verhalten. Aber die Gefahr muss mir noch anzusehen gewesen sein; ich konnte es sehen in ihren schlauen Augen. »Er hat es wirklich versucht«, sagte sie schließlich.

»Ich hab es nie bezweifelt«, antwortete ich. »Wo ist das Buch?«

»In der Bibliothek, glaube ich.«

Ich drehte mich um, im Begriff zu gehen.

»Kann ich dir etwas bringen?«

Ich sagte nein. Dann ging ich in die Bibliothek, schloss mich ein und suchte die Brautprinzessin hervor. Das Buch war recht gut erhalten, stellte ich fest, als ich mir den Einband ansah, und dabei sah ich auch, dass es in meinem Verlag, Harcourt Brace Jovanovich, erschienen war. Jedoch früher, damals hießen sie noch nicht einmal Harcourt, Brace & World, einfach nur Harcourt, Brace, Punkt. Ich schlug die Titelseite auf, was komisch war, denn ich hatte es noch nie getan; es war immer mein Vater gewesen, der das Buch in der Hand hatte. Ich musste lachen, als ich den vollen Titel sah, denn da stand:

DIE BRAUTPRINZESSIN

S. Morgensternsklassische Erzählung vonwahrer Liebeund edlen Abenteuern

Einen, der sein eigenes Buch klassisch nannte, noch bevor es erschienen war und irgendwer es hatte lesen können, musste man schon bewundern. Vielleicht dachte er sich, wenn er das nicht selber täte, so täte es niemand, oder vielleicht wollte er auch einfach den Rezensenten ein bisschen auf die Sprünge helfen, ich weiß es nicht. Ich überflog das erste Kapitel, und es war ziemlich genau so, wie ich es im Gedächtnis hatte. Dann fing ich das zweite Kapitel an, das über Prinz Humperdinck, mit der kleinen, einen irgendwie auf die Folter spannenden Beschreibung des Todeszoos.

Und hier begann mir das Problem klar zu werden.

Nicht dass die Beschreibung nicht dagewesen wäre. Sie war da und war auch ziemlich genau so, wie ich mich erinnerte. Aber bevor man so weit war, musste man durch rund sechzig Seiten Text hindurch, die davon handelten, wer Prinz Humperdincks Vorfahren waren und wie sie die Herrschaft über Florin erlangt hatten, wer wen heiratete und welche Kinder zeugte, die dann wieder jemand anders heirateten, und dann blätterte ich zum dritten Kapitel weiter, der Brautwerbung, und da kam alles über die Geschichte von Guldern und wie dieses Land seinen Platz in der Welt gefunden hatte. Je mehr ich weiterblätterte, desto mehr wurde mir klar: Morgenstern schrieb gar kein Kinderbuch, er schrieb eine Art satirische Geschichte seines Landes und des Verfalls der Monarchie in der westlichen Zivilisation.

Aber mein Vater hatte mir nur die Kolportage vorgelesen, die spannenden Teile. Um die ernsthaften Teile hatte er sich überhaupt nie gekümmert.

Gegen zwei Uhr morgens rief ich Hiram in Martha’s Vineyard an. Hiram Haydn ist seit einem Dutzend Jahren mein Lektor, seit Soldier in the Rain, und wir haben schon viel zusammen durchgemacht, aber Telefonanrufe um zwei Uhr morgens gab es noch nie. Ich weiß, er versteht bis auf den heutigen Tag noch nicht, warum ich nicht wenigstens bis zur Frühstückszeit warten konnte. »Bist du sicher, dass dir nichts fehlt, Bill?«, sagte er immer wieder.

»He, Hiram«, fing ich an, nachdem es etwa sechsmal geläutet hatte. »Hör mal, ihr Brüder habt kurz nach dem Ersten Weltkrieg ein Buch herausgebracht. Meinst du, es wäre eine gute Idee, dass ich es kürze, und wir bringen es dann neu heraus?«

»Bist du sicher, dass dir nichts fehlt, Bill?«

»Überhaupt nichts, mir geht’s gut, und pass auf, ich würde bloß die spannenden Teile benutzen. Ich würde eine Art Überleitung schreiben, wo in der Erzählung etwas ausgelassen wird, und nur die spannenden Teile übriglassen. Was meinst du?«

»Bill, hier ist es jetzt zwei Uhr morgens. Bist du noch in Kalifornien?«

Ich tat so, als wäre ich ganz überrascht und erschrocken. Er sollte nicht denken, ich spinne. »Das tut mir leid, Hiram. Mein Gott, bin ich ein Idiot; in Beverly Hills ist es erst elf. Aber meinst du, du könntest Mr. Jovanovich mal danach fragen?«

»Du meinst, jetzt?«

»Morgen oder übermorgen, nicht so wichtig.«

»Ich frag ihn schon, ich bin nur nicht recht sicher, ob ich richtig begriffen habe, was du willst. Bist du sicher, dass dir nichts fehlt, Bill?«

»Morgen bin ich wieder in New York. Ich ruf dich dann wegen der Einzelheiten an, ja?«

»Kannst du das ein bisschen früher, während der Geschäftszeit machen, Bill?«

Ich lachte, und wir legten auf, und ich rief Zig in Kalifornien an. Evarts Ziegler ist seit etwa acht Jahren mein Filmagent, er hat das Geschäft mit Butch Cassidy für mich gemacht. Auch ihn klingelte ich wach. »He, Zig, könntest du für mich einen Aufschub für die Stepford Wives herausholen? Da ist eine andere Sache, die mir dazwischenkommt.«

»Du hast einen Vertrag, dass du jetzt anfangen musst. Wie lang soll der Aufschub sein?«

»Kann ich nicht sicher sagen, es ist eine Neubearbeitung, etwas, was ich noch nie gemacht habe. Sag mir einfach, was du denkst, was sie machen werden.«

»Ich denke, wenn es ein langer Aufschub ist, würden sie mit einer Klage drohen, und du verlierst am Ende den Job.«

Es ging beinahe so aus, wie er sagte; sie drohten mit einer Klage, ich verlor ein bisschen Geld und fast auch den Job und machte mir keine Freunde in der »Branche«.

Aber die Kurzfassung kam zustande, und Sie halten sie in der Hand. Die Ausgabe der »spannenden Teile«.

Warum habe ich das alles gemacht?

Helen setzte mir mächtig zu, ich sollte mir eine Antwort überlegen. Sie hatte das Gefühl, es sei wichtig, nicht unbedingt, dass sie es wisse, aber dass ich es wisse. »Denn du hast dich irre aufgeführt, Willy«, sagte sie. »Du hast mir richtig Angst gemacht.«

Also warum?

In Selbstergründung war ich noch nie stark. Alles, was ich schreibe, ist Impuls. Das kommt mir richtig vor, das hört sich falsch an – so ähnlich. Ich kann nicht analysieren, schon gar nicht, was ich selber tue.

Ich weiß, ich erwarte nicht, dass dies jemandes Leben so ändert, wie es mein Leben geändert hat.

Aber die Worte im Titel, »wahre Liebe und edle Abenteuer« – daran habe ich einmal geglaubt. Ich dachte, mein Leben würde in jenen Bahnen verlaufen, ich betete darum. Natürlich kam es nicht so, aber ich glaube auch nicht, dass es irgendwo noch das edle Abenteuer gibt. Niemand holt heutzutage ein Schwert hervor und schreit: »Tag, mein Name ist Inigo Montoya. Du hast meinen Vater getötet, mach dich gefasst zu sterben!«

Und die wahre Liebe können wir auch vergessen. Ich weiß nicht, ob ich noch irgendetwas richtig liebe außer dem Porterhouse-Steak bei Peter Lueger und der Käse-Enchilada im El Parador. (Entschuldigung, Helen.)

Hier jedenfalls ist die Ausgabe der »spannenden Teile«. S.Morgenstern hat sie geschrieben, und mein Vater hat sie mir vorgelesen. Und nun überreiche ich sie Ihnen. Was Sie damit anfangen, wird für uns alle von mehr als flüchtigem Interesse sein.

New York City

Dezember 1972

Erstes Kapitel:

Die Braut