Die dunklen Fälle des Harry Dresden - Sturmnacht - Jim Butcher - E-Book
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Die dunklen Fälle des Harry Dresden - Sturmnacht E-Book

Jim Butcher

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Beschreibung

Dieser bizarre Doppelmord wurde eindeutig mit Magie durchgeführt! Der Auftakt der erfolgreichsten Urban-Fantasy-Serie der Welt!

Mein Name ist Harry Blackstone Copperfield Dresden. Nutzen Sie meinen Namen auf eigenes Risiko für Beschwörungen. Wenn Sie es nachts mit der Angst zu tun bekommen, dann schalten Sie das Licht ein. Erst wenn Ihnen wirklich sonst niemand helfen kann, rufen Sie mich an. Das tat auch Lieutenant Karrin Murphy von der Chicagoer Polizei, als sie vor den Opfern eines bizarren Doppelmords stand. Die Tat war eindeutig durch etwas Übernatürliches verübt worden. Doch was den Fall noch viel gefährlicher machte: Das eine Opfer war der Leibwächter von »Gentleman« Johnny Marcone, dem Kopf des organisierten Verbrechens in der Stadt. Ich wollte auf keinen Fall zwischen die Fronten eines Mafiakrieges geraten. Leider blieb mir keine Wahl, und am Schluss war ich dankbar für jeden Funken Magie, der noch in mir steckte.

Die dunklen Fälle des Harry Dresden:
1. Sturmnacht
2. Wolfsjagd
3. Grabesruhe
4. Feenzorn
5. Silberlinge
6. Bluthunger
weitere Titel in Vorbereitung

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Seitenzahl: 423

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Buch

Mein Name ist Harry Blackstone Copperfield Dresden. Nutzen Sie meinen Namen auf eigenes Risiko für Beschwörungen. Wenn Sie es nachts mit der Angst zu tun bekommen, dann schalten Sie das Licht ein. Erst wenn Ihnen wirklich sonst niemand helfen kann, rufen Sie mich an. Das tat auch Lieutenant Karrin Murphy von der Chicagoer Polizei, als sie vor den Opfern eines bizarren Doppelmords stand. Die Tat war eindeutig durch etwas Übernatürliches verübt worden. Doch was den Fall noch viel gefährlicher machte: Das eine Opfer war der Leibwächter von »Gentleman« Johnny Marcone, dem Kopf des organisierten Verbrechens in der Stadt. Ich wollte auf keinen Fall zwischen die Fronten eines Mafiakrieges geraten. Leider blieb mir keine Wahl, und am Schluss war ich dankbar für jeden Funken Magie, der noch in mir steckte.

Autor

Jim Butcher ist der Autor der Dresden Files, des Codex Alera und der Cinder-Spires-Serie. Sein Lebenslauf enthält eine lange Liste von Fähigkeiten, die vor ein paar Jahrhunderten nützlich waren – wie zum Beispiel Kampfsport –, und er spielt ziemlich schlecht Gitarre. Als begeisterter Gamer beschäftigt er sich mit Tabletop-Spielen in verschiedenen Systemen, einer Vielzahl von Videospielen auf PC und Konsole und LARPs, wann immer er Zeit dafür findet. Zurzeit lebt Jim in den Bergen außerhalb von Denver, Colorado.

Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlag und www.facebook.com/blanvalet.

Jim Butcher

STURMNACHT

DIE DUNKLEN FÄLLE DES HARRY DRESDEN

Roman

Deutsch von Jürgen Langowski

Die Originalausgabe erschien 2000 unter dem Titel »Storm Front (The Dresden Files 1)« bei Penguin RoC, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2000 by Jim ButcherPublished by Arrangement with IMAGINARY EMPIRE LLC

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2022 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Peter Thannisch

Umschlaggestaltung und -motiv: www.buerosued.de

Illustrationen: © www.buerosued.de

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-29101-3V002

www.blanvalet.de

Für Debbie Chester, die mich alles lehrte, was man übers Schreiben wissen muss.

Und für meinen Vater, der mich alles lehrte, was man über das Leben wissen muss. Ich vermisse dich, Dad.

Danksagung

Mein besonderer Dank gilt Caroline, Fred, Debra, Tara und Corin, den ersten Harry-Dresden-Fans. Ohne den perversen Wunsch, euch so weit zu bringen, dass ihr kreischend verlangt, ich solle das nächste Kapitel schreiben, hätte Harry niemals so viel Ärger bekommen. Mein Dank gilt auch Ricia Mainhardt und A. J. Janschewitz, die großartige Agenten und wundervolle Menschen sind, und Chris Ely, einem rundherum einfach netten Mitmenschen.

Ganz besonders danke ich meinem Sohn J. J., der überzeugt war, sein Dad habe ein gutes Buch geschrieben, obwohl er es nicht einmal lesen konnte.

Dank sage ich auch Shannon für viel mehr Dinge, als ich hier je aufzählen könnte. Du bist mein Engel. Eines Tages werde ich vielleicht sogar lernen, meine Socken umzukrempeln, ehe ich sie im Schlafzimmer auf den Boden werfe.

1. Kapitel

Der Briefträger näherte sich meiner Bürotür. Er war eine halbe Stunde zu früh dran, und die Schritte waren schwerer und lebhafter als sonst, außerdem pfiff er. Ein neuer Mann. Er pfiff, bis er vor meiner Bürotür stand, dann verstummte er einen Moment. Schließlich lachte er.

Er klopfte an.

Ich zuckte zusammen. Meine Post wird einfach eingeworfen, falls es kein Einschreiben ist. Einschreiben bekomme ich wirklich nicht oft, und wenn, dann verheißen sie meist nichts Gutes. Ich stand auf und öffnete.

Der neue Briefträger, der an einen Basketball mit Armen und Beinen erinnerte und eine von der Sonne verbrannte Glatze hatte, kicherte über das Schild auf der Türscheibe. »Das ist ein Witz, oder?«

Ich las das Schild (das manchmal von irgendwelchen Leuten verändert wurde) und schüttelte den Kopf. »Nein, das ist mein Ernst. Würden Sie mir jetzt bitte meine Post geben?«

»Also … äh … treten Sie auf Partys und in Shows auf oder so?« Er linste an mir vorbei, als erwartete er, einen weißen Tiger oder vielleicht sogar ein paar spärlich bekleidete Assistentinnen in meinem Einraumbüro herumhüpfen zu sehen.

Ich seufzte. Ich war wirklich nicht in der Stimmung, mich noch einmal auslachen zu lassen, und griff nach dem Brief, den er in der Hand hatte. »Nein, nichts dergleichen. Ich trete nicht auf Partys auf.«

Er hielt meine Post fest und legte neugierig den Kopf schief. »Was machen Sie denn sonst? Sind Sie eine Art Wahrsager? Mit Karten und Kristallkugeln und so?«

»Nein«, erklärte ich ihm. »Ich bin auch kein Medium.« Ich zerrte an dem Brief.

Er hielt ihn weiterhin fest. »Was machen Sie denn dann?«

»Was steht auf dem Schild vor meiner Tür?«

»Da steht: ›Harry Dresden, Magier‹.«

»Der bin ich«, bestätigte ich.

»Ein echter Magier?«, fragte er. Er grinste, als müsste ich ihm jetzt die Pointe erklären. »Zaubersprüche und magische Tränke? Dämonen und Anrufungen? Scharfsinnig und leicht zu erzürnen?«

»Ich bin eigentlich nur scharf auf meine Post.« Ich riss ihm den Brief aus der Hand und starrte vielsagend auf sein Klemmbrett. »Kann ich jetzt bitte unterschreiben?«

Das Grinsen des neuen Briefträgers verschwand und wich einer finsteren Miene. Er reichte mir das Klemmbrett (schon wieder eine Mahnung vom Vermieter) und sagte: »Sie sind meschugge, das sind Sie.« Er nahm sein Brett wieder an sich. »Einen schönen Tag noch, Sir.«

Ich sah ihm nach.

»Typisch«, murmelte ich und schloss die Tür.

Mein Name ist Harry Blackstone Copperfield Dresden. Beschwören Sie ihn auf eigene Gefahr. Ich bin Magier. Ich arbeite in einem Büro im Zentrum von Chicago. Meines Wissens bin ich der einzige offen praktizierende professionelle Magier im Land. Sie finden mich im Branchenbuch unter »Magier«. Ob Sie’s glauben oder nicht, ich bin der Einzige, der unter der Rubrik steht. Meine Anzeige sieht so aus:

HARRYDRESDEN – MAGIERSuche verlorene Gegenstände.

Paranormale Ermittlungen.

Beratung und Ratschläge.

Erschwingliche Honorare.

Keine Liebestränke, keine unerschöpflichen Geldbörsen, keine Partys, keine sonstigen Unterhaltungsveranstaltungen.

Sie wären sicher überrascht, wenn Sie wüssten, wie viele Leute einfach nur anrufen, um mich zu fragen, ob ich das ernst meine.

Die neue Zeit hat in der breiten Öffentlichkeit eine Art Renaissance des Übersinnlichen eingeläutet. Medien, Gespenster, Vampire – was Sie nur wollen. Die Leute nehmen es immer noch nicht ernst, aber all die Dinge, die uns die Wissenschaft versprochen hat, sind ausgeblieben. Krankheiten sind immer noch ein Problem. Hunger ist immer noch ein Problem. Gewalt und Krieg sind immer noch Probleme. Trotz des technischen Fortschritts haben sich die Dinge nicht so verändert, wie alle gehofft und geglaubt hatten.

Die Wissenschaft, die große Religion des zwanzigsten Jahrhunderts, ist durch die Bilder von explodierenden Spaceshuttles und cracksüchtigen Kindern und angesichts einer Generation selbstgefälliger Amerikaner, die ihre Nachkommen vom Fernsehen erziehen lassen, ein wenig in Misskredit geraten. Die Menschen suchen etwas – ich glaube, sie wissen nur nicht, was. Obwohl sie wieder die Augen für die Welt der Magie und der geheimen Künste öffnen, die sie die ganze Zeit über begleitet haben, halten sie mich nach wie vor für einen Witzbold.

Wie auch immer, ich hatte einen miesen Monat hinter mir. Eigentlich sogar zwei miese Monate. Die Februarmiete hatte ich erst am zehnten März bezahlt, und es sah so aus, als sollte es noch länger dauern, bis ich für den laufenden Monat bezahlen konnte.

Meinen einzigen Auftrag hatte ich in der vergangenen Woche bekommen. Ich hatte in Branson, Missouri, das angeblich verhexte Haus eines Countrysängers untersucht. Es war allerdings nicht verhext. Mein Klient war nicht erfreut über die Antwort, und er war noch weniger erfreut, als ich ihm vorschlug, die Finger von Rauschmitteln zu lassen, sich etwas Bewegung zu verschaffen, mehr zu schlafen und abzuwarten, ob das nicht besser wirke als Exorzismus. Ich hatte meine Reisekosten plus Bezahlung für eine Stunde bekommen und mich mit dem Gefühl verabschiedet, ehrlich, rechtschaffen und ausgesprochen einfältig gehandelt zu haben. Später hörte ich, er habe ein windiges Medium angeheuert, das eine Zeremonie mit viel Weihrauch und Schwarzlichtlampen durchgeführt hatte. Leute gibt’s …

Ich hatte mein Taschenbuch durchgelesen und warf es in die ERLEDIGT-Kiste. Auf einer Seite meines Schreibtischs stand ein Pappkarton mit gelesenen und aussortierten Taschenbüchern, deren Rücken voller Knicke und deren Seiten zerfleddert waren. Ich beäugte gerade den Stapel der ungelesenen Bücher, um zu überlegen, welches das nächste sein sollte, weil ich sowieso nichts Besseres zu tun hatte, als das Telefon klingelte.

Beinahe mürrisch starrte ich es an. Wir Magier tun nichts lieber, als mürrisch zu brüten. Nach dem dritten Läuten, als ich dachte, es klänge jetzt nicht mehr allzu begierig, hob ich ab und meldete mich. »Dresden.«

»Oh, ist dort … äh … Harry Dresden? Der … äh … Magier?« Die Anruferin wirkte verlegen, als hätte sie schreckliche Angst, mich zu beleidigen.

Nein, dachte ich. Hier ist Harry Dresden, der … äh … Komiker. Harry, der Magier, wohnt eine Tür weiter.

Es ist das Vorrecht eines Magiers, grantig zu sein. Nur leider ist es nicht das Vorrecht von freiberuflichen Beratern, die mit der Miete im Rückstand sind. Statt etwas Vorlautes zu erwidern, sagte ich lediglich: »Ja, Madam. Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Ich … äh …«, erwiderte sie. »Ich bin nicht sicher. Ich habe etwas verloren, und ich dachte, Sie könnten mir vielleicht helfen.«

»Verlorene Gegenstände zu finden, ist meine Spezialität«, erklärte ich. »Was soll ich denn für Sie suchen?«

Sie schwieg verunsichert. »Meinen Mann«, sagte sie schließlich. Ihre Stimme klang ein wenig heiser, wie bei einem Cheerleader, der ein langes Turnier hinter sich hat, besaß aber genug Volumen, um sie als Erwachsene auszuweisen.

»Madam, ich bin kein Spezialist für vermisste Personen. Haben Sie sich schon an die Polizei oder an einen Privatdetektiv gewandt?«

»Nein«, sagte sie rasch. »Nein, die können mir nicht helfen. Ich meine, ich habe nicht … Meine Güte, es ist alles furchtbar kompliziert. Über so etwas kann man eigentlich nicht am Telefon sprechen. Es tut mir leid, dass ich Ihre Zeit in Anspruch genommen habe, Mister Dresden.«

»Warten Sie«, sagte ich rasch. »Entschuldigen Sie, Sie haben mir Ihren Namen nicht genannt.«

Wieder herrschte angespanntes Schweigen, als müsste sie ihre Worte genau abwägen, ehe sie zu antworten wagte. »Nennen Sie mich Monica.«

Leute, die nichts über Magier wissen, teilen uns nicht gern ihre Namen mit. Sie sind überzeugt, dass es gegen sie verwendet werden könnte. Um ehrlich zu sein, so ist es auch.

Ich musste höflich und harmlos tun. Sie war kurz davor, aus lauter Unsicherheit wieder aufzulegen, und ich brauchte den Job. Wahrscheinlich konnte ich ihre bessere Hälfte sogar auftreiben, wenn ich mir Mühe gab.

»Okay, Monica«, sagte ich so locker und freundlich, wie ich konnte. »Wenn Sie glauben, Ihre Situation sei heikel, dann kommen Sie doch einfach in mein Büro, und wir reden darüber. Wenn sich herausstellt, dass ich Ihnen helfen kann, werde ich es tun, und wenn nicht, werde ich Sie an jemanden verweisen, der es besser kann als ich.« Ich sprach so, als würde ich lächeln. »Bis zu diesem Punkt kostet es Sie auch nichts.«

Das gab wahrscheinlich den Ausschlag. Sie wollte sofort vorbeikommen und meinte, sie sei in einer Stunde da. Demnach musste sie schätzungsweise um halb drei eintreffen. Reichlich Zeit, um draußen etwas zu essen und noch vor ihr wieder im Büro zu sein.

Das Telefon klingelte fast sofort wieder, nachdem ich aufgelegt hatte. Ich erschrak und starrte es an. Ich traue der modernen Technik nicht. Alles, was nach den Vierzigerjahren hergestellt wurde, ist verdächtig und scheint mich nicht besonders zu mögen. Nehmen Sie, was Sie wollen: Autos, Radios, Telefone, Fernseher. Bei mir machen sie Mucken. Ich schreibe nicht einmal gern mit Kugelschreibern.

Ich meldete mich mit der gleichen aufgesetzten Fröhlichkeit wie vorher bei der unbemannten Monica. »Dresden hier, was kann ich für Sie tun?«

»Harry, ich brauche Sie in spätestens zehn Minuten hier im Madison. Können Sie kommen?« Auch dieses Mal war es eine Frauenstimme. Kühl, energisch, geschäftsmäßig.

»Hallo, Lieutenant Murphy«, antwortete ich zuckersüß. »Wie schön, mal wieder von Ihnen zu hören. Ist ja lange her. Oh, prima, ganz prima. Was machen Ihre Kinder?«

»Sparen Sie sich das, Harry. Ich habe hier zwei Leichen, und Sie sollen sich umsehen.«

Ich wurde schlagartig ernst. Karrin Murphy war die Leiterin der Sonderermittlungseinheit in Downtown Chicago. Der Police Commissioner hat sie ernannt, damit sie sich um Verbrechen kümmert, die als »ungewöhnlich« gelten. Berichte über Vampirangriffe, Plünderungen von Trollen und Kindesentführungen durch Elfen machen sich nicht sehr gut in den Ermittlungsakten, doch die Leute werden tatsächlich angegriffen, Kinder werden gestohlen, und Besitz wird beschädigt oder zerstört. Irgendjemand muss also diesen Dingen nachgehen.

In Chicago und im ganzen Umland ist Karrin Murphy dieser Irgendjemand. Ich bin ihre wandelnde Bibliothek des Übernatürlichen und bezahlter Berater der Polizeibehörde. Aber zwei Leichen? Zwei Todesfälle mit ungeklärter Ursache? So etwas war mir bisher noch nicht untergekommen.

»Wo sind Sie?«, fragte ich.

»Im Madison Hotel an der Zehnten, im siebten Stock.«

»Das ist zu Fuß nur fünfzehn Minuten von meinem Büro entfernt.«

»Dann können Sie ja in fünfzehn Minuten hier sein. Prima.«

»Äh …« Ich sah auf die Uhr. Monica Namenlos würde in etwas mehr als fünfundvierzig Minuten eintreffen. »Ich habe einen Termin.«

»Dresden, ich habe hier zwei Leichen, keinerlei Spuren und keine Verdächtigen, und irgendwo läuft ein Killer frei herum. Ihre Verabredung kann warten.«

Das brachte mich in Rage. So etwas kommt gelegentlich vor. »Nein, kann sie nicht«, gab ich zurück. »Aber ich sage Ihnen was. Ich komme gleich mal vorbei und sehe mich kurz um, und dann bin ich immer noch rechtzeitig wieder hier.«

»Haben Sie schon gegessen?«, fragte sie.

»Was?«

Sie wiederholte die Frage.

»Nein.«

»Dann lassen Sie’s.« Es gab eine Pause, und als sie weitersprach, hatten ihre Worte einen leichten Grünstich. »Es ist übel.«

»Wie übel genau, Murph?«

Sie sprach jetzt leiser, und das machte mir mehr Angst, als es jedes Bild von Bluttaten und gewaltsamen Todesfällen vermocht hätte. Murphy war wirklich hart im Nehmen und brüstete sich damit, niemals eine Schwäche zu zeigen. »Es ist übel, Harry. Bitte beeilen Sie sich. Die Abteilung für Bandenkriminalität will sich hier reinhängen, und ich weiß, dass Sie es nicht mögen, wenn jemand etwas anrührt, ehe Sie sich umgesehen haben.«

»Bin schon unterwegs«, sagte ich. Ich war bereits aufgestanden und zog mir die Jacke an.

»Siebter Stock«, erinnerte sie mich. »Bis gleich.«

»Okay.«

Ich schaltete das Licht im Büro aus, ging zur Tür und drehte mich stirnrunzelnd noch einmal um. Ich wusste nicht, wie lange ich mit Murphys Tatort beschäftigt sein würde, und ich wollte Monica die Zögerliche nicht verpassen. Deshalb öffnete ich noch einmal die Tür, holte einen Zettel und eine Heftzwecke und schrieb:

Musste kurz weg. Bin zum Termin um 14.30 Uhr wieder da. Dresden.

Hastig lief ich die Treppe hinunter. Ich benutze nur selten den Aufzug, obwohl mein Büro im fünften Stock ist. Wie ich schon sagte, traue ich der Technik nicht. Sie geht immer kaputt, wenn ich sie gerade am dringendsten brauche.

Davon mal abgesehen – wenn ich in dieser Stadt zwei Leute auf einen Schlag umbringen und nicht erwischt werden will, dann sorge ich dafür, dass der einzige praktizierende Magier, den die Polizei auf Honorarbasis beschäftigt, außer Gefecht gesetzt wird. Meine Überlebenschancen waren auf der Treppe erheblich höher als in der beengten Aufzugkabine.

Paranoid? Wahrscheinlich. Aber das ist noch lange kein Grund zu glauben, es gäbe keine unsichtbaren Dämonen, die einem im nächsten Moment das Gesicht wegfressen.

2. Kapitel

Karrin Murphy erwartete mich vor dem Madison. Karrin und ich könnten gegensätzlicher nicht sein. Ich bin schlank und groß, sie ist klein und stämmig. Ich habe dunkles Haar und dunkle Augen, sie hat blonde Locken wie Shirley Temple und babyblaue Augen. Meine Gesichtszüge sind gerade und kantig, ich habe eine Adlernase und ein spitzes Kinn, ihr Gesicht ist rund und weich, und sie hat die Sorte von süßer Nase, die man bei Cheerleadern erwarten würde.

Es war kühl und windig wie gewöhnlich im März, und sie hatte über dem Hosenanzug einen langen Mantel an. Murphy trug niemals Kleider, aber ich vermutete, dass sie muskulöse, wohl geformte Beine hatte wie eine Turnerin. Sie war sportlich, und in ihrem Büro standen zwei Pokale von Aikido-Wettkämpfen, die dies bewiesen. Ihr Haar war schulterlang geschnitten und flatterte heftig im Frühlingswind. Ohrringe trug sie nicht, und ihr Make-up war so dezent, dass man es kaum bemerkte. Sie wirkte eher wie eine Lieblingstante oder wie eine fröhliche Mutter denn wie eine hartgesottene Ermittlerin des Morddezernats.

»Haben Sie denn keine andere Jacke, Dresden?«, fragte sie, als ich in Hörweite war. Mehrere Polizeiwagen parkten verbotswidrig vor dem Gebäude. Sie sah mir eine halbe Sekunde in die Augen, bevor sie rasch den Blick abwandte. Immerhin, das war länger, als es die meisten Leute aushielten. Wirklich gefährlich ist es nicht, solange man es nicht mehrere Sekunden lang tut, aber ich bin daran gewöhnt, dass jeder, der weiß, dass ich ein Magier bin, darauf achtet, mir nicht ins Gesicht zu schauen.

Ich betrachtete meinen schwarzen Staubmantel mit der dicken Außenschicht, dem wasserdichten Futter und den Ärmeln, die lang genug waren für meine Arme. »Was stimmt denn damit nicht?«

»Der gehört in einen Film wie El Dorado.«

»Und?«

Sie schnaubte, was für eine so kleine Frau ein ausgesprochen unschönes Geräusch war, drehte sich auf dem Absatz um und marschierte zum Haupteingang des Hotels.

Ich holte sie ein und ging ein paar Schritte vor ihr.

Sie beschleunigte. Ich ebenfalls. Durch die Pfützen, die vom Regen der letzten Nacht übrig geblieben waren, lieferten wir uns mit zunehmender Geschwindigkeit ein Wettrennen bis zur Tür.

Meine Beine sind länger, ich kam zuerst an. Ich hielt ihr die Tür auf und bat sie mit einer formvollendeten Geste hinein. Das war ein altes Spiel zwischen uns. Vielleicht habe ich antiquierte Wertvorstellungen, aber ich bin ein Anhänger der alten Schule. Männer sollten Frauen meiner Meinung nach nicht als kleinere, schwächere Männer mit Brüsten betrachten. Sperren Sie mich doch ein, wenn Sie mich deshalb für einen schlechten Menschen halten. Ich jedenfalls behandle Frauen gern wie Damen, ich halte ihnen die Tür auf, bezahle das Essen, schenke ihnen Blumen und so weiter.

Murphy, die mit Klauen und Zähnen gekämpft hatte und die schmutzigen Tricks der fiesesten Kerle in Chicago kennenlernen musste, um so weit zu kommen, reizte meine Höflichkeit zur Weißglut. Sie schaute böse zu mir hoch, als ich ihr die Tür aufhielt, aber in dem harten Blick lag auch etwas Tröstliches, etwas Entspannendes. Es mag seltsam klingen, doch sie fand unser Ritual in diesem Moment anscheinend beruhigend, so gereizt sie auch gewöhnlich darauf reagierte.

Es sah wohl ziemlich schlimm aus im siebten Stock.

Stumm fuhren wir im Fahrstuhl hinauf. Wir kannten uns schon eine Weile, und es war kein unbehagliches Schweigen. Ich war inzwischen ganz gut auf Murphy eingestimmt, hatte ein instinktives Verständnis für ihre Launen und Gedanken entwickelt. So eine Vertrautheit entsteht immer, wenn ich eine Weile mit jemandem zu tun habe. Ich weiß allerdings nicht, ob es eine natürliche oder übernatürliche Begabung ist. Mein Instinkt sagte mir, dass Murphy unruhig war und unter hoher Spannung stand wie eine Klaviersaite. Äußerlich ließ sie sich nichts anmerken, doch die Art, wie sie ihre Schultern und den Hals hielt, und der steife Rücken verrieten es mir.

Vielleicht projizierte ich auch nur meine eigenen Gefühle auf sie. Der enge Aufzug machte mich nervös. Ich leckte mir über die Lippen und sah mich in der Kabine um. Unsere Schatten fielen auf den Boden, als lägen wir dort. Das beunruhigte mich. Ein bohrendes kleines Stimmchen, das ich jedoch als Nervosität abtat. Bleib ruhig, Harry, dachte ich.

Sie atmete scharf aus, als der Aufzug langsamer wurde, dann holte sie noch einmal tief Luft, bevor sich die Türen öffneten, als hätte sie die Absicht, auf dem Flur möglichst lange die Luft anzuhalten und erst auf dem Rückweg im Fahrstuhl wieder zu atmen.

Blut hat einen ganz eigenartigen Geruch, klebrig und beinahe metallisch. Die Luft war voll davon, als die Aufzugtüren aufglitten. Mein Magen jammerte ein wenig, aber ich schluckte es mannhaft herunter und folgte Murphy durch den Flur an einigen uniformierten Cops vorbei, die mich erkannten und mich durchwinkten, ohne die kleine laminierte Ausweiskarte zu kontrollieren, die ich von der Stadtverwaltung erhalten hatte. Nun ja, selbst in einer Großstadt wie Chicago beschäftigt die Polizei nicht eben viele freie Mitarbeiter (ich glaube, ich wurde in den Akten als medialer Berater geführt), aber trotzdem. Wie unprofessionell von den Jungs in Blau.

Murphy ging in die Suite voraus. Der Blutgeruch wurde noch stärker, hinter der ersten Tür war jedoch nichts sonderlich Widerliches zu entdecken. Der vordere Raum war in Rot und Gold gehalten und sah aus wie ein Wohnzimmer in einem alten Film der Dreißigerjahre. Er wirkte teuer, aber irgendwie auch unecht. Die Sessel waren mit dunklem, schwerem Leder bezogen, und meine Füße versanken in einem dicken rostfarbenen Teppich. Die Veloursvorhänge waren zugezogen, und obwohl alle Lampen eingeschaltet waren, wirkte das Zimmer immer noch düster, eine Spur zu lüstern mit seinen Texturen und Farben. Es war kein Raum, in dem man sitzen und ein Buch lesen wollte. Rechts von mir drangen Stimmen durch eine Tür.

»Warten Sie einen Augenblick«, wies Murphy mich an. Dann ging sie durch die Tür auf der rechten Seite nach nebenan, vermutlich das Schlafzimmer der Suite.

Ich wanderte unterdessen mit überwiegend geschlossenen Augen im Wohnraum umher und prägte mir alles ein. Ein Ledersofa. Zwei Ledersessel. Stereoanlage und Fernseher in einer glänzenden schwarzen Anlage. Ein Sektkühler mit einer Champagnerflasche, warm und bis zum Rand mit Wasser gefüllt, nachdem das Eis über Nacht geschmolzen war, daneben zwei leere Gläser. Auf dem Boden lag ein Blütenblatt von einer roten Rose, dessen Farbe nicht zum Teppich passte (aber das galt für fast alles im Raum).

Auf einer Seite, unter der Blende eines Ledersessels, lag ein kleines Seidentuch. Ich bückte mich und hob die Blende mit einer Hand hoch, wobei ich mich bemühte, sonst nichts zu berühren. Es war ein schwarzes Seidenhöschen, ein winziges Dreieck mit Spitzenborte, die sich an den Seiten gelöst hatte. Ein Riemen war entzwei, als sei der Tanga der Trägerin vom Leib gerissen worden. Abartig.

Die Stereoanlage war auf dem neuesten Stand, allerdings kein teures Markenprodukt. Ich zog einen Bleistift aus der Tasche und drückte mit dem Radiergummi auf PLAY. Sanfte, sinnliche Musik erfüllte den Raum, ein dumpfer Bass, ein treibendes Schlagzeug, wortloser Gesang, das schwere Atmen einer Frau im Hintergrund.

Die Musik lief nicht lange, dann übersprang sie einen etwa zwei Sekunden langen Abschnitt und begann wieder von vorn.

Ich schnitt eine Grimasse. Wie schon gesagt, so wirke ich eben auf technische Geräte. Es hat damit zu tun, dass ich Magier bin und mit magischen Kräften arbeite. Je komplizierter und moderner die Technik, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass sie versagt, wenn ich in der Nähe bin. Einen Kopierer kann ich aus fünfzig Schritt Entfernung erlegen.

»Die Liebessuite«, sagte jemand. Er bemühte sich, das Wort »Liebe« besonders schmalzig klingen zu lassen. »Was meinen Sie, großer Meister?«

»Hallo, Detective Carmichael«, antwortete ich, ohne mich umzudrehen. Carmichaels recht hohe, nasale Stimme war unverkennbar. Er war Murphys Partner und der ortsansässige Skeptiker. In seinen Augen war ich nichts weiter als ein Scharlatan, der die Stadt um ihr schwer verdientes Geld betrog. »Haben Sie sich den Tanga auf die Seite gelegt, weil Sie ihn mit nach Hause nehmen wollten, oder haben Sie ihn einfach nur übersehen?« Ich drehte mich um und musterte ihn.

Er war klein, hatte Übergewicht und eine Halbglatze, kleine, blutunterlaufene Augen und ein nicht sehr ausgeprägtes Kinn. Seine Jacke war zerknautscht, auf dem Schlips klebten Essensreste. All das war hervorragend geeignet, seinen messerscharfen Verstand zu verbergen. Er war ein erstklassiger Detective und kannte keine Gnade, wenn es darum ging, einen Mörder aufzuspüren.

Er ging zum Sessel und hob die Blende. »Nicht schlecht, Sherlock Holmes«, sagte er. »Aber das ist nur das Vorspiel. Warten Sie, bis Sie den Hauptakt sehen. Ich habe Ihnen schon mal einen Eimer hingestellt.« Er drehte sich um und schaltete den kaputten CD-Player mit einem Stoß seines eigenen Bleistiftradiergummis wieder aus.

Ich starrte ihn mit großen Augen an, um ihm zu zeigen, welch schreckliche Angst ich hatte, und ging an ihm vorbei ins zweite Zimmer. Und bereute es. Ich sah mich um, registrierte mechanisch die Details und schloss leise die Tür zu jenem Bereich in meinem Kopf, in dem es zu kreischen begonnen hatte, kaum dass ich eingetreten war.

Da die Totenstarre schon eingesetzt hatte, mussten sie irgendwann in der vergangenen Nacht gestorben sein. Die beiden waren im Bett, sie saß rittlings auf ihm, hatte sich zurückgelehnt und den Rücken durchgedrückt wie eine Tänzerin. Ihre Brüste waren zu reizenden Kurven geformt. Er lag ausgestreckt unter ihr, ein schlanker, kräftig gebauter Mann, der die Arme ausgestreckt, die Seidenlaken gepackt und in den Fäusten zusammengeknüllt hatte. Wäre es ein erotisches Foto gewesen, hätte man damit Preise gewinnen können. Allerdings waren die Brustkörbe der Liebenden links oben aufgeplatzt. Die Rippen standen wie zackige, gebrochene Messerklingen hervor. Blut war aus den Körpern bis auf den Deckenspiegel gespritzt und dazu eine breiige, zähflüssige Masse, bei der es sich vermutlich um die Reste ihrer Herzmuskeln handelte. Wenn ich mich über sie beugte, konnte ich ins Innere der oberen Körperhälfte sehen. Ich betrachtete das gräuliche Gewebe um die reglosen linken Lungenflügel und die zerfetzten Rippen, die anscheinend mit großer, von innen kommender Gewalt nach außen gedrückt und aufgebrochen worden waren.

Die erotische Ausstrahlung litt erheblich unter diesem Anblick.

Das Bett stand mitten im Zimmer, was seine Bedeutung auf subtile Weise unterstrich. Das Schlafzimmer war eingerichtet wie das Wohnzimmer – viel Rot, eine Menge Plüsch, ein wenig übertrieben dekoriert, wenn man es in anderem Licht als bei Kerzenschein sah. In mehreren Wandhaltern steckten tatsächlich Kerzen, die vollständig heruntergebrannt und erloschen waren.

Ich trat näher ans Bett heran und umrundete es. Der Teppich quietschte unter meinen Schritten. Der kleine kreischende Sektor in meinem Kopf, der hinter den Türen von Selbstbeherrschung und strenger Ausbildung sicher weggesperrt war, randalierte immer noch. Ich versuchte, ihn zu ignorieren. Ich versuchte es wirklich. Aber wenn ich nicht schnellstens aus dem Zimmer herauskam, würde ich losheulen wie ein kleines Mädchen.

Also machte ich mir möglichst rasch ein Bild. Die Frau war Mitte zwanzig und hervorragend in Form. Jedenfalls, soweit man es noch erkennen konnte. Eigentlich war es schwer zu sagen. Sie trug einen Pagenschnitt, allerdings kam mir ihr kastanienbraunes Haar vor, als sei es gefärbt. Die Augen waren halb geöffnet, und abgesehen davon, dass sie nicht dunkel waren, konnte ich ihre Farbe nur raten. Irgendwie grün?

Der Mann war vermutlich über vierzig und durchtrainiert, wie es nur jemand ist, der sein Leben lang Sport getrieben hat. Auf dem rechten Bizeps hatte er eine Tätowierung, einen Dolch mit Flügel, der unter dem Seidenlaken halb verborgen war. Auf den Fingerknöcheln bemerkte ich zahlreiche, einander überlagernde Narben, und quer über den Unterbauch entdeckte ich eine böse, schmale, gepunktete Narbe, die meiner Ansicht nach von einem Messerstich herrührte.

Im Zimmer waren abgelegte Kleidungsstücke verstreut – ein Smoking von ihm, ein winziger schwarzer Hauch von Kleid und Pumps von ihr. Außerdem zwei Reisetaschen, noch ungeöffnet und wahrscheinlich von einem Pagen ordentlich an der Wand bereitgestellt.

Ich schaute auf. Carmichael und Murphy beobachteten mich schweigend.

Ich zuckte mit den Schultern.

»Nun?«, drängte Murphy. »Haben wir es hier mit Magie zu tun oder nicht?«

»Entweder das, oder sie hatten wirklich phänomenalen Sex«, antwortete ich.

Carmichael prustete.

Ich lachte auch ein wenig.

Mehr brauchte der kreischende Teil in meinem Kopf nicht, um die Türen aufzuwerfen, die ich zugesperrt hatte. Mein Magen rebellierte und machte Bocksprünge, und ich torkelte hinaus. Carmichael hatte mir draußen tatsächlich einen Edelstahleimer hingestellt. Davor sank ich auf die Knie und übergab mich.

Ich brauchte nur ein paar Sekunden, bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte, aber diesen Raum wollte ich nicht noch einmal betreten. Ich musste kein zweites Mal betrachten, was es dort gab. Ich wollte die beiden Toten, denen regelrecht das Herz in der Brust explodiert war, nicht mehr sehen.

Irgendjemand hatte Magie eingesetzt, um dies zu bewerkstelligen. Sie hatten Magie benutzt, um Schaden zuzufügen, und damit das Erste Gesetz verletzt. Der Weiße Rat würde einen kollektiven Gehirnschlag bekommen. Dies war nicht die Tat eines bösen Geistes oder eines hinterhältigen Wesens, es war kein Angriff von einem der vielen Geschöpfe aus dem Niemalsland, etwa von Vampiren oder Trollen. Dies war die genau geplante, vorsätzliche Tat eines Zauberers, eines Magiers, eines menschlichen Wesens also, das fähig war, die fundamentalen Energien der Schöpfung und des Lebens anzuzapfen.

Das war schlimmer als Mord. Es war eine schändliche, elende Perversion, als hätte jemand sein Opfer mit einem Botticelli zu Tode geprügelt, als wäre etwas unerhört Schönes in etwas zutiefst Zerstörerisches verwandelt worden.

Wenn Sie nie Berührung damit hatten, ist es schwer zu erklären. Die Magie wird vom Leben erschaffen, vor allem durch die Bewusstheit, die Intelligenz und die Emotionen eines menschlichen Wesens. Ein solches Leben mit ebender Magie auszulöschen, die durch das Leben erst entstanden ist, das ist entsetzlich und schmeckt widerlich wie Inzest.

Schwer atmend richtete ich mich wieder auf. Ich zitterte und hatte immer noch den scharfen Gallegeschmack im Mund, als Murphy und Carmichael das Schlafzimmer verließen und zu mir kamen.

»Also gut, Harry«, sagte Murphy. »Sagen Sie’s uns. Was ist Ihrer Ansicht nach hier passiert?«

Ich brauchte einen Moment, um meine Gedanken zu ordnen, bevor ich antworten konnte. »Die beiden sind hereingekommen. Sie haben etwas Champagner getrunken. Sie haben eine Weile getanzt und gefummelt, da drüben bei der Anlage. Danach sind sie ins Schlafzimmer gegangen. Sie waren weniger als eine Stunde dort drin. Es traf sie, als sie kurz vor dem Höhepunkt waren.«

»Weniger als eine Stunde«, sagte Carmichael. »Wie kommen Sie darauf?«

»Die CD war nur eine Stunde und zehn Minuten lang. Rechnen Sie ein paar Minuten zum Tanzen und Trinken, anschließend sind sie hinübergegangen. Ist die CD noch gelaufen, als Sie die beiden gefunden haben?«

»Nein«, sagte Murphy.

»Dann war der Player nicht auf Endloswiederholung gestellt. Ich nehme an, sie wollten Musik hören, um es abzurunden, wenn man sich die Einrichtung hier ansieht.«

Carmichael grunzte missmutig. »Darauf sind wir auch selbst gekommen«, sagte er zu Murphy. »Er sollte schon ein bisschen mehr liefern.«

Murphy warf Carmichael einen Blick zu, der ihm bedeutete: Halt die Klappe! Dann sagte sie leise zu mir: »Ich brauche mehr als das, Harry.«

Mit einer Hand strich ich mir die Haare nach hinten. »Es gibt nur zwei Möglichkeiten, so etwas zu tun. Die erste ist eine Anrufung. Das ist die direkte, spektakulärste und lauteste Form der angewandten Magie oder Zauberei. Explosionen und Brände, solche Dinge. Ich glaube aber nicht, dass dies das Werk eines Beschwörers ist.«

»Warum nicht?«, wollte Murphy wissen. Ich hörte ihren Bleistift auf dem Notizblock kritzeln, den sie immer bei sich hatte.

»Weil man die Stelle, wo die Wirkung einsetzen soll, sehen oder sogar berühren muss«, erklärte ich ihr. »Es geht nur mit Blickkontakt. Der Mann oder die Frau hätte also hier im Zimmer sein müssen. Dabei hinterlässt man zwangsläufig Spuren, und jemand, der geschickt genug wäre, um so einen Spruch zu wirken, wäre auch klug genug, stattdessen eine Kanone zu benutzen, das ist einfacher.«

»Was ist die andere Möglichkeit?«, fragte Murphy.

»Thaumaturgie«, sagte ich. »Lassen Sie etwas in kleinem Maßstab geschehen, und geben Sie genug Energie hinein, dann wird es auch in großem Maßstab geschehen.«

Carmichael schnaubte. »Was für ein Quatsch.«

Auch Murphy wirkte skeptisch. »Wie soll das funktionieren, Harry? Könnte man das auch von einem anderen Ort aus geschehen lassen?«

Ich nickte. »Der Mörder müsste etwas haben, das eine Verbindung zu den Opfern herstellt. Haare, Fingernägel, Blutproben. Solche Dinge.«

»Wie eine Voodoopuppe?«

»Genau so, ja.«

»Die Haare der Frau sind frisch gefärbt«, sagte Murphy.

Ich nickte. »Wenn Sie herausfinden, wo sie sich die Haare machen lässt, kommen Sie damit vielleicht weiter. Sicher bin ich aber nicht.«

»Können Sie mir sonst etwas Nützliches sagen?«

»Ja. Der Killer kannte die Opfer, und ich denke, es war eine Frau.«

»Ich glaube, das können wir uns nun wirklich schenken«, meinte Carmichael. »In neun von zehn Fällen kennt der Mörder das Opfer.«

»Halt die Klappe, Carmichael«, sagte Murphy diesmal laut. »Wie kommen Sie darauf, Harry?«

Ich stand auf und fuhr mir mit den Händen übers Gesicht. »Es hat mit der Art und Weise zu tun, wie Magie funktioniert. Was Sie auch bewirken wollen, es kommt aus Ihrem Inneren. Magier müssen sich auf das konzentrieren, was sie tun wollen, sie müssen es visualisieren und daran glauben, damit es funktioniert. Sie können nichts geschehen lassen, was nicht schon irgendwie in ihnen steckt. Die Mörderin hätte die beiden ermorden und das Ganze wie einen Unfall aussehen lassen können, aber sie hat es nicht getan. Um die Opfer auf diese Weise umzubringen, um so in sie hineinzugreifen, muss die Mörderin sehr persönliche Gründe gehabt haben. Möglicherweise geht es um Rache. Vielleicht sollten Sie eine enttäuschte Geliebte oder eine Ehefrau suchen. Außerdem der Zeitpunkt des Todes – während sie gerade Sex hatten. Das war kein Zufall. Emotionen sind eine Art Kanal für Magie. Ein Weg, den man benutzen kann, um das Opfer zu treffen. Die Mörderin hat einen Zeitpunkt gewählt, zu dem die beiden zusammen und sehr erregt waren. Sie hat sich Gewebeproben besorgt, um die Energie zu bündeln, und sie hat es vorher geplant. So etwas tut man nicht mit Fremden.«

»Alles Mist«, sagte Carmichael.

Murphy starrte mich an. »Sie reden immer von ›ihr‹«, wandte sie ein. »Wie, zum Teufel, können Sie da so sicher sein?«

Ich deutete zum Zimmer. »Weil Sie so etwas Übles nicht tun können, wenn Sie nicht sehr viel Hass empfinden. Frauen hassen stärker als Männer. Sie können sich besser konzentrieren und es besser loslassen. Verdammt, Hexen sind einfach viel gemeiner als Magier. Das hier fühlt sich für mich wie eine weibliche Rache an.«

»Trotzdem könnte es ein Mann getan haben«, meinte Murphy.

»Na ja«, sagte ich zurückhaltend.

»Bei Gott, Sie sind ein Chauvischwein, Dresden. Ist das hier denn etwas, das nur eine Frau getan haben kann?«

»Nein, ich glaube nicht.«

»Sie glauben es nicht?«, höhnte Carmichael. »Ein schöner Experte sind Sie.«

Ich funkelte die beiden böse an. »Ich habe mir noch nicht detailliert überlegt, wie ich es anstellen müsste, um jemandem das Herz explodieren zu lassen, Murph. Sobald ich Zeit dazu habe, lasse ich es Sie sofort wissen.«

»Wann können Sie mir etwas sagen?«, fragte Murphy.

»Keine Ahnung.« Ich hob eine Hand, um ihrer nächsten Bemerkung zuvorzukommen. »Ich kann das nicht nach Fahrplan erledigen, Murph. Das geht nicht. Ich weiß nicht einmal, ob ich es überhaupt kann, ganz zu schweigen davon, wie lange es dauert.«

»Bei fünfzig Dollar in der Stunde sollte es besser nicht zu lange dauern«, knurrte Carmichael.

Murphy sah ihn an. Sie war nicht unbedingt seiner Meinung, aber sie machte ihn auch nicht gerade nieder.

Ich ergriff die Gelegenheit, einige Male tief durchzuatmen, um mich zu beruhigen. Danach wandte ich mich wieder an die beiden. »Okay«, sagte ich. »Wer sind sie? Die Opfer, meine ich.«

»Das brauchen Sie wohl kaum zu wissen!«, fauchte Carmichael mich an.

»Ron«, sagte Murphy, »ich könnte jetzt einen Kaffee gebrauchen.«

Carmichael wandte sich ihr zu. Er war nicht groß, doch er überragte Murphy deutlich. »Ach, hör doch auf, Murph. Der Kerl spielt dumme Spielchen mit dir. Du glaubst doch nicht wirklich, dass er dir etwas Lohnenswertes sagen kann?«

Murphy betrachtete das schwitzende Gesicht ihres Partners und starrte ihm mit einer Art unterkühltem Hochmut in die Knopfaugen. Das wirkte auch bei einem Mann, der fünfzehn Zentimeter größer war als sie. »Keine Sahne, zwei Stück Zucker.«

»Verdammt«, sagte Carmichael. Er warf mir einen bösen Blick zu, stopfte die Hände in die Hosentaschen und stakste hinaus.

Murphy folgte ihm bis zur Tür. Sie bewegte sich lautlos und schloss sie hinter ihm. Das Wohnzimmer wirkte sofort düster und beengt, und die geschmacklose Einrichtung, der Geruch des Blutes und die beiden Leichen nebenan schienen ein Eigenleben zu entwickeln.

»Die Frau heißt Jennifer Stanton. Sie hat für den Velvet Room gearbeitet.«

Ich pfiff durch die Zähne. Der Velvet Room war ein teurer Begleitservice, den eine gewisse Bianca führte. Bianca verfügte über eine ganze Herde schöner, charmanter und kluger Frauen, die sie für mehrere hundert Dollar pro Stunde an die reichsten Männer der Gegend verkuppelte. Bianca verkaufte die Sorte weiblicher Gesellschaft, die die meisten Männer nur im Fernsehen und im Kino zu sehen bekommen. Ich wusste auch, dass sie im Niemalsland eine Vampirin von beachtlichem Einfluss war. Eine mächtige Frau.

Ich hatte schon öfter versucht, Murphy das Niemalsland zu erklären. Sie begriff es nicht, verstand aber immerhin, dass Bianca eine bösartige Vampirin und darauf aus war, ihr Revier zu vergrößern. Uns war klar, dass auch Bianca auf irgendeine Weise im Spiel sein musste, wenn eines ihrer Mädchen ermordet wurde.

Murphy brachte es sofort auf den Punkt. »War das hier ein Teil von Biancas Revierkämpfen?«

»Nein«, sagte ich. »Es sei denn, sie hat Ärger mit einem menschlichen Zauberer. Ein Vampir, selbst ein Vampirmagier, hätte so etwas außerhalb des Niemalslandes nicht durchziehen können.«

»Ist es möglich, dass sie sich mit einem menschlichen Zauberer überworfen hat?«, fragte Murphy.

»Möglich ist es. Aber das sieht ihr nicht ähnlich. So dumm ist sie nicht.« Ich verschwieg Murphy, dass der Weiße Rat dafür sorgte, dass ein Vampir, der sich mit menschlichen Magiern anlegte, keinesfalls lange genug überlebte, um sich dessen zu brüsten. Mit Normalsterblichen rede ich nicht über den Weißen Rat. Das gehört sich einfach nicht. »Außerdem«, fuhr ich fort, »wenn ein Mensch Bianca eins auswischen will, indem er ihre Mädchen erledigt, wäre es besser, den Kunden unbehelligt zu lassen, damit er die Geschichte weitererzählt, weil das ihr Geschäft schädigt.«

»Hmpf«, machte Murphy. Sie war alles andere als überzeugt, notierte jedoch immerhin, was ich gesagt hatte.

»Wer war der Mann?«, fragte ich sie.

Murphy schaute einen Moment zu mir auf, dann sagte sie ruhig: »Tommy Tomm.«

»Wer?«

»Tommy Tomm«, wiederholte sie. »Johnny Marcones Leibwächter.«

Endlich begriff ich. »Gentleman« Johnny Marcone hatte die Führung der Unterwelt übernommen, nachdem sich der Vargassi-Clan mit internen Streitigkeiten selbst zerfleischt hatte. Die Polizei beobachtete Marcone mit gemischten Gefühlen, nachdem es über Jahre hinweg gnadenlose Kämpfe und blutige Scharmützel mit den Vargassis gegeben hatte. Gentleman Johnny duldete keine Exzesse in seiner Organisation, genauso wenig wie Übergriffe von Unabhängigen in seiner Stadt. Räuber, Bankräuber und Drogenhändler, die nicht zu seiner Organisation gehörten, wurden zielsicher ausgesondert und eingebuchtet, oder sie verschwanden einfach auf Nimmerwiedersehen.

Marcone übte einen zivilisierenden Einfluss auf das Verbrechen aus, und wo er operierte, blühten die Geschäfte förmlich auf. Er war ein außerordentlich gerissener Geschäftsmann und beschäftigte eine ganze Kompanie von Anwälten, die im Bedarfsfall mit einem Sperrfeuer aus eidesstattlichen Erklärungen, Eingaben und Bandaufzeichnungen für Deckung sorgten. Die Cops sprachen es nicht offen aus, doch manchmal schien es ihnen fast zu widerstreben, den Kerl zu schnappen. Marcone war ihnen lieber als die Alternative – Anarchie in der Unterwelt.

»Ich erinnere mich, dass er einen Vollstrecker hatte«, sagte ich. »Den hat er wohl gerade verloren.«

Murphy zuckte mit den Schultern. »So sieht’s aus.«

»Was wollen Sie jetzt tun?«

»Ich denke, ich werde mich um die Friseure kümmern. Ich werde auch mit Bianca und Marcone reden, aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen, was ich von ihnen hören werde.« Sie klappte ihren Notizblock zu und schüttelte gereizt den Kopf.

Ich betrachtete sie einen Moment. Sie wirkte müde. Ich sagte es ihr.

»Das bin ich auch«, erwiderte sie. »Ich bin es leid, angeglotzt zu werden, als wäre ich total verrückt. Sogar Carmichael, mein eigener Partner, denkt, ich wäre völlig neben der Spur.«

»Denken das auch die anderen auf dem Revier?«, fragte ich sie.

»Die meisten runzeln nur die Stirn und lassen den Zeigefinger vor der Schläfe kreisen, wenn sie glauben, ich sehe es nicht, außerdem legen sie meine Berichte ab, ohne sie jemals zu lesen. Die Übrigen, das sind diejenigen, die da draußen schon einmal etwas Unheimliches erlebt haben, machen sich vor Angst in die Hosen. Was sie nicht als Kind in Mister Science gesehen haben, darf es einfach nicht geben.«

»Und Sie selbst?«

»Ich?« Murphy lächelte, und der feine Schwung ihrer Lippen gab ihr eine sinnliche, feminine Ausstrahlung. Auf einmal war sie viel zu hübsch für die hartgesottene Polizistin, die sie hier spielen musste. »Die Welt geht in die Brüche, Harry. Ich glaube, die Leute sind viel zu arrogant und meinen, wir hätten im letzten Jahrhundert oder so alles herausgefunden, was man überhaupt entdecken kann. Zum Teufel damit. Ich sehe ja, dass wir gerade wieder beginnen, die Dinge wahrzunehmen, die um uns herum im Dunkeln liegen. Das gefällt der Zynikerin in mir.«

»Ich wünschte, alle dächten so wie Sie«, sagte ich. »Das würde die Zahl meiner spinnerten Anrufer erheblich drücken.«

Sie lächelte mich verschmitzt an. »Dann wären wir in einer Welt, in der alle Radiosender ABBA spielen.«

Wir mussten lachen. Bei Gott, lag das an der Umgebung?

»Hören Sie mal, Harry«, sagte Murphy grinsend, und ich konnte sehen, wie die Rädchen in ihrem Kopf klickten.

»Yeah?«

»Sie haben gesagt, Sie wollten sich überlegen, wie der Killer es getan hat, Sie seien aber nicht sicher, ob Sie es könnten.«

»Yeah?«

»Ich weiß, dass das Unsinn war. Warum haben Sie mich angelogen?«

Ich zuckte zusammen. Gott, sie war gut. Oder vielleicht bin ich einfach kein guter Lügner. »Hören Sie, Murph«, sagte ich. »Es gibt einige Dinge, die man ganz einfach nicht tut.«

»Manchmal will ich auch nicht so denken wie der Abschaum, den ich jage. Aber ich muss es tun, wenn ich seinen Job gut machen will. Ich weiß schon, was Sie meinen, Harry.«

»Nein«, sagte ich knapp. »Sie verstehen es nicht.«

Sie wusste es wirklich nicht. Sie wusste nichts über meine Vergangenheit, über den Weißen Rat und das Damoklesschwert, das über meinem Haupt schwebte. Meistens konnte ich sogar selbst so tun, als hätte ich keine Ahnung davon.

Der Rat brauchte nur noch einen kleinen Anlass, irgendeinen Vorwand, um mich für schuldig zu befinden, eines der sieben magischen Gesetze verletzt zu haben, und das Damoklesschwert würde fallen. Wenn ich versuchte, das Rezept für einen Mordspruch zusammenzubrauen, und sie fanden es heraus, war das möglicherweise genau der passende Vorwand.

»Murph«, sagte ich, »ich kann nicht versuchen, diesen Spruch zu ergründen. Ich kann nicht losziehen und die Dinge tun, die nötig sind, um ihn zu konstruieren. Sie verstehen das?«

Sie funkelte mich an, ohne mir in die Augen zu sehen. Mir war noch nie jemand begegnet, der so etwas konnte. »Oh, ich verstehe. Ich verstehe, dass hier irgendwo ein Mörder herumläuft, den ich nicht überführen kann. Ich verstehe auch, dass Sie etwas wissen, das mir helfen könnte, oder dass Sie wenigstens etwas herausfinden könnten. Und ich verstehe, dass ich Ihre Karte, wenn Sie mich jetzt hängen lassen, aus dem Rolodex nehmen und in den Mülleimer werfen werde.«

Dieses Miststück. Meine Beratungstätigkeit für die Polizei machte einen erheblichen Anteil meines Einkommens aus. Na gut, sogar den größten Teil meines Einkommens. Andererseits konnte ich ihre Reaktion irgendwie auch nachvollziehen. Hätte ich im Dunkeln getappt wie sie, wäre ich nicht weniger nervös geworden. Murphy hatte keinen blassen Schimmer von magischen Sprüchen, Ritualen oder Talismanen, aber menschlichen Hass und Gewalt kannte sie zur Genüge.

Ich wollte ja nicht wirklich Schwarze Magie betreiben, sagte ich mir. Ich wollte nur herausfinden, wie es funktioniert hatte. Das war ein Unterschied. Ich half der Polizei bei einer Ermittlung, nichts weiter. Vielleicht hatte der Weiße Rat Verständnis dafür.

»Ja, genau. Und vielleicht gehe ich demnächst mal in ein Kunstmuseum und komme mit einer Rubensfigur wieder raus.«

Eine Sekunde später hatte Murphy mich am Haken. Sie sah mir eine mutige Sekunde lang in die Augen, bevor sie den Blick abwandte. Ihre Miene wirkte müde, aufrichtig und stolz zugleich. »Ich muss alles wissen, was Sie mir sagen können, Harry. Bitte.«

Die klassische Jungfrau in Nöten. Dafür, dass sie eine emanzipierte, berufstätige Frau ist, weiß sie genau, auf welche altmodischen Knöpfe sie bei mir drücken muss.

Ich knirschte mit den Zähnen. »Na gut«, sagte ich. »Na gut. Ich beginne heute Abend damit.« Autsch! Der Weiße Rat wäre sicher begeistert. Ich musste dafür sorgen, dass er nie davon erfuhr.

Murphy nickte und seufzte, ohne mich anzusehen. Dann sagte sie: »Lassen Sie uns hier verschwinden«, und ging zur Tür.

Draußen im Flur lümmelten immer noch die uniformierten Cops herum. Carmichael war nirgends zu sehen. Die Kollegen von der Spurensicherung waren eingetroffen und warteten ungeduldig, dass wir herauskämen. Sie schnappten sich ihre Plastikbeutel, Pinzetten, Lampen und Geräte und marschierten an uns vorbei ins Zimmer.

Murphy glättete ihr zerzaustes Haar mit einer Hand, während wir warteten, bis der alte Aufzug gemächlich zum siebten Stock heraufkam. Sie trug eine goldene Armbanduhr, was mich an meine Verabredung erinnerte. »Oh«, sagte ich. »Wie spät ist es?«

Sie sah auf die Uhr. »Fünf vor halb drei. Warum?«

Verhalten fluchend wandte ich mich zur Treppe. »Ich komme zu spät zu meinem Termin.«

Ich flog förmlich die Treppe hinunter. Schließlich hatte ich eine Menge Übung. Im Laufschritt stürzte ich in die Lobby und musste einem Träger ausweichen, der mit beiden Armen voller Gepäck zum Haupteingang hereinkam, schon war ich auf dem Gehweg. Zum Glück habe ich lange Beine und komme daher schnell voran. Ich rannte gegen den Wind, mein schwarzer Staubmantel wallte hinter mir wie ein Segel.

Mein Büro war mehrere Blocks entfernt, und nachdem ich die Hälfte der Strecke im Laufschritt zurückgelegt hatte, wurde ich langsamer. Ich wollte nicht wie ein Blasebalg schnaufend, mit zerzaustem Haar und verschwitztem Gesicht auf Monica Unbemannt treffen.

Vielleicht lag es daran, dass ich nach einem faulen Winter nicht mehr in Form war, jedenfalls atmete ich schwer. Das Laufen nahm mich so in Anspruch, dass ich den dunkelblauen Cadillac erst bemerkte, als er neben mir hielt.

Ein ziemlich großer Mann stieg aus und baute sich vor mir auf dem Gehweg auf. Er hatte hellrote Haare und einen Stiernacken, und sein Gesicht sah aus, als hätte man es mit einem Brett mehrmals flach geklopft, als er noch ein Baby war. Nur die Augenbrauen standen ein wenig vor. Er hatte schmale, kleine blaue Augen, die noch schmaler wurden, als ich ihn musterte.

Ich blieb stehen und wich zurück, dann drehte ich mich um. Zwei weitere Männer, beide so groß wie ich, aber erheblich schwerer, verlangsamten ihre Schritte. Offenbar waren sie mir im Eiltempo gefolgt, und sie wirkten gereizt. Einer humpelte leicht, der Zweite trug die Haare mit einer Art Gel steil nach oben frisiert zu einer Stachelfrisur. Ich fühlte mich, als wäre ich wieder in der Highschool, eingekesselt von wütenden Mitgliedern der Footballmannschaft.

»Kann ich Ihnen helfen, meine Herren?«, fragte ich und sah mich nach einem Cop um, aber die waren vermutlich alle im Madison. Bei derart spektakulären Fällen gafft jeder gern mal.

»Steigen Sie ein«, sagte der Mann vor mir. Einer der anderen öffnete die hintere Wagentür.

»Danke. Ich gehe lieber zu Fuß. Das ist gut fürs Herz.«

»Wenn Sie nicht einsteigen, ist das nicht gut für Ihre Beine«, knurrte der Mann.

Aus dem Wageninnern ließ sich eine Stimme vernehmen. »Mister Hendricks, bitte seien Sie doch etwas höflicher. Mister Dresden, würden Sie mir einen Moment Gesellschaft leisten? Ich hatte gehofft, Sie zu Ihrem Büro bringen zu können, doch Ihr abrupter Aufbruch hat dies leider verhindert. Vielleicht erlauben Sie mir, Sie den Rest des Weges zu begleiten.«

Ich beugte mich hinunter und spähte in den Wagen. Ein gut aussehender, eher unauffälliger Mann, der eine lässige Sportjacke und Levi’s trug, betrachtete mich lächelnd.

»Und wer sind Sie?«, fragte ich.

Sein Lächeln wurde breiter, und ich schwöre, dass sogar seine Augen leuchteten. »Ich bin John Marcone. Ich würde gern geschäftlich mit Ihnen reden.«

Ich starrte ihn für einen Moment an. Dann wanderte mein Blick zu dem sehr großen Mr. Hendricks mit seinen überentwickelten Muskeln. Der Mann knurrte verhalten, und es klang genau wie Cujo, bevor er die Frau im Wagen anspringt. Mir war nicht danach, es mit Cujo und seinen beiden Kollegen aufzunehmen.

Also stieg ich zu Gentleman Johnny Marcone hinten in den Cadillac.

Alles sah nach einem hektischen Tag aus, und ich kam zu spät zu meinem Termin.

3. Kapitel

Gentleman Johnny Marcone kam mir nicht vor wie ein Mann, der mir die Beine brechen oder den Mund mit Draht zunähen lassen würde. Das grau durchsetzte Haar war kurz geschnitten, er hatte Lachfältchen und den Teint eines Menschen, der sich oft im Freien aufhält. Seine Augen hatten das Grün alter, abgenutzter Dollarscheine. Er wirkte auf mich eher wie ein Footballtrainer am College: gut aussehend, braun gebrannt, sportlich und voller Tatkraft. Dieser Eindruck verstärkte sich durch die Männer, die ihn begleiteten. Cujo Hendricks erinnerte mich an einen Profispieler, der wegen übergroßer Härte vom Platz gestellt worden war.

Cujo stieg vorne ein, starrte mich im Rückspiegel böse an und lenkte den Wagen auf die Straße. Er fuhr langsam in Richtung meines Büros. Das Lenkrad wirkte winzig und zierlich in seinen Pranken. Ich nahm mir vor, darauf zu achten, dass Cujo keine Gelegenheit bekam, seine Hände um meine Kehle zu legen. Oder auch nur eine davon. Es sah aus, als könnte er mich auch mit einer Hand erwürgen.

Das Radio lief, doch als ich einstieg, ging es kaputt und jagte eine quietschende Rückkopplung durch die Lautsprecher. Hendricks machte ein finsteres Gesicht und dachte einen Moment darüber nach. Vielleicht musste er die Sachlage noch einmal von seinem Zweithirn aufarbeiten lassen. Schließlich streckte er den Arm aus und fummelte an den Knöpfen herum, gab es aber bald wieder auf. Wenn das in diesem Tempo weiterging, konnte ich nur hoffen, dass der Wagen den Weg bis zu meinem Büro überstand.

»Mister Dresden«, sagte Marcone lächelnd, »wie ich höre, arbeiten Sie hin und wieder für das Police Department.«

»Die Polizei gibt mir gelegentlich den einen oder anderen kleinen Auftrag«, bestätigte ich. »He, Hendricks, Sie sollten wirklich den Sicherheitsgurt anlegen. Die Statistiken besagen, dass man damit um fünfzig oder sechzig Prozent sicherer fährt.«

Cujo knurrte und starrte mich wieder im Rückspiegel an, ich strahlte zurück. Lächeln nervt die Leute meist viel mehr, als sie zu beleidigen. Oder vielleicht habe ich auch nur ein besonders nerviges Lächeln.

Marcone wirkte leicht pikiert über meinen Auftritt. »Mister Dresden«, sagte er, »was würde es kosten, Ihre Dienste zu beanspruchen?«

Jetzt wurde ich vorsichtig. Was konnte ein Typ wie Marcone von mir wollen? »Normalerweise nehme ich fünfzig Dollar die Stunde plus Spesen«, erklärte ich ihm. »Das Honorar schwankt allerdings, je nachdem, was zu tun ist.«

Marcone nahm meine Erklärung nickend zur Kenntnis, als wollte er mich ermuntern, unbefangen zu sprechen. Er legte das Gesicht in Falten und dachte anscheinend gründlich über seine Antwort nach, wobei er mein Wohlbefinden mit großväterlicher Fürsorglichkeit zu berücksichtigen gedachte. »Und mit welchem Betrag müsste ich rechnen, wenn ich will, dass Sie irgendetwas nicht untersuchen?«

»Wollen Sie mich etwa fürs Nichtstun bezahlen?«

»Nehmen wir mal an, ich bezahle Ihren normalen Honorarsatz. Das wären vierzehnhundert am Tag, richtig?«

»Eigentlich nur zwölfhundert«, korrigierte ich ihn.