Die Freuden der Langeweile - Alain de Botton - E-Book

Die Freuden der Langeweile E-Book

Alain de Botton

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Beschreibung

Alain de Botton lesen heißt GLÜCK TANKEN. Alain de Botton ist dafür berühmt, unseren Blick für die vermeintlich belanglosen Dinge des Lebens neu und unerwartet zu öffnen, mit seinen Augen sehen wir, was uns zuvor nie aufgefallen ist. So begeistert er uns in seinen Essays für den Charme der Langeweile, führt uns auf überraschenden Wegen durch den Zoo, erzählt, was auf einer Fahrt zum Flughafen so alles passiert: Alain de Bottons große Kunst ist es, allem Unbedeutenden eine verzaubernde Bedeutung abzugewinnen. Und so gehen wir nach der Lektüre seiner Texte um eine Erfahrung reicher zurück in unseren Alltag.

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Seitenzahl: 84

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Alain de Botton

Die Freuden der Langeweile

Essays

Aus dem Englischen von Achim Stanislawski

FISCHER digiBook

Inhalt

Über die Freuden der TraurigkeitÜber FlughafenbesucheÜber Authentizität1.2.3.4.5.6.7.8.9.10.11.12.13.14.15.16.17.18.19.20.21.22.23.24.25.26.Über Arbeit und GlückÜber ZoobesucheÜber einsame MännerÜber den Charme der Langeweile1.2.3.4.5.6.Über das Schreiben (und Forellen)Über das Komische1.2.3.4.

Über die Freuden der Traurigkeit

Edward Hopper gehört zu der Kategorie von Künstlern, deren Werk traurig ist, uns aber nicht traurig macht – das malerische Gegenstück zu Bach oder Leonard Cohen. Einsamkeit ist das beherrschende Thema seiner Kunst. Seine Figuren wirken, als wären sie weit fort von zu Hause, sie stehen, einen Brief lesend, an der Kante eines Hotelbetts oder trinkend in einer Bar, sie sehen aus dem Fenster eines fahrenden Zugs oder lesen ein Buch in einer Hotellobby. Ihre Gesichter sind verletzlich und in sich gekehrt. Sie haben vielleicht gerade jemanden verlassen oder sind verlassen worden, sie sind auf der Suche nach Arbeit, Sex oder Gesellschaft, haltlos an flüchtigen Orten. Es ist häufig Nacht, und jenseits des Fensters liegen die Dunkelheit und Bedrohung der offenen Landschaft oder einer fremden Stadt. Doch trotz der Trostlosigkeit, die Hoppers Gemälde abbilden, ist es nicht trostlos, sie zu betrachten – vielleicht weil sie es den Betrachtern erlauben, einen Widerhall ihrer eigenen Leiden und Enttäuschungen zu erkennen und sich dadurch von ihnen weniger verfolgt und heimgesucht zu fühlen. Es sind vielleicht die traurigen Bücher, die uns am meisten trösten, wenn wir traurig sind, und Bilder von einsamen Tankstellen, die wir uns an die Wand hängen sollten, wenn es niemanden gibt, den wir in den Armen halten oder lieben könnten.

Auf dem Gemälde Automat (1927) sitzt eine Frau allein da und trinkt eine Tasse Kaffee. Es ist spät und, wie ihr Hut und Mantel vermuten lassen, kalt draußen. Der Raum wirkt groß, hell erleuchtet und leer. Die Ausstattung ist funktional, ein Tisch mit Steinplatte, unempfindliche schwarze Holzstühle und weiße Wände. Die Frau wirkt befangen und ein wenig ängstlich, als wäre sie es nicht gewohnt, allein an einem öffentlichen Ort zu sitzen. Irgendetwas scheint schiefgegangen zu sein. Unwissentlich lädt sie den Betrachter ein, sich Geschichten für sie auszumalen, Geschichten von Betrug oder Verlust. Sie versucht, ihre Hand nicht zittern zu lassen, während sie die Tasse an ihre Lippen führt. Es ist vielleicht elf Uhr an einem Februarabend in einer großen nordamerikanischen Stadt.

Automat ist ein Bild von Traurigkeit – und doch ist es kein trauriges Bild. Es hat die Kraft eines großen melancholischen Musikstücks. Trotz der Nüchternheit der Möblierung wirkt der Schauplatz nicht armselig. Andere im Raum mögen auch allein sein, Männer und Frauen, die allein Kaffee trinken, ähnlich gedankenverloren, ähnlich entfernt von der Gesellschaft: eine gemeinsame Isolation mit dem positiven Effekt, in jedem Einzelnen das bedrückende Gefühl zu lindern, dass man allein ist im Alleinsein. Hopper lädt uns dazu ein, Empathie mit der Frau in ihrer Isolation zu empfinden. Sie wirkt würdevoll und großzügig, vielleicht nur ein bisschen zu vertrauensvoll, ein bisschen naiv – als wäre sie gegen eine harte Ecke der Welt gestoßen. Hopper stellt uns auf ihre Seite, die Seite der Außenseiterin gegenüber den Insidern.

In Diners am Straßenrand und lang geöffneten Schnellrestaurants, Hotellobbys und Bahnhofscafés entschärfen vielleicht auch wir ein Gefühl der Isolation an einem einsamen öffentlichen Ort und entdecken infolgedessen ein unverwechselbares Gefühl von Gemeinschaft wieder. Das Fehlen von Häuslichkeit, die helle Beleuchtung und das anonyme Mobiliar können eine Befreiung von den möglicherweise falschen Annehmlichkeiten eines Zuhauses sein. Es ist vielleicht leichter, hier der Traurigkeit nachzugeben, als in einem Wohnzimmer mit Tapete und gerahmten Bildern, dem Dekor eines Refugiums, das uns enttäuscht hat. Die Figuren in Hoppers Kunst sind nicht per se Gegner eines Zuhauses, es ist nur so, dass das Zuhause sie auf vielfältige, nicht näher bestimmte Weise betrogen zu haben scheint, sie in die Nacht oder auf die Straße hinausgezwungen hat. Das 24-Stunden-Restaurant, der Bahnhofswartesaal oder das Motel sind Zufluchtsorte für jene, die – aus ehrenwerten Gründen - daran gescheitert sind, ein Zuhause in der gewöhnlichen Welt zu finden.

Ein Nebeneffekt davon, in Kontakt mit egal welchem großen Künstler zu kommen, ist, dass wir anfangen, Dinge in der Welt zu bemerken, die wir dank des Werks als solchen verstehen, für die der Künstler empfänglich gewesen wäre. Wir werden sensibilisiert für das, was man das Hoppereske nennen könnte, eine Eigenschaft, die sich jetzt nicht nur an den nordamerikanischen Schauplätzen finden lässt, die Hopper selbst besuchte, sondern überall in der entwickelten Welt, wo es Motels und Tankstellen, Straßendiners und Flughäfen, Bushaltestellen und 24-Stunden-Supermärkte gibt. Hopper ist der Vater einer ganzen Kunstschule, die als ihren Gegenstand Orte des »Dazwischen« wählt, Gebäude, die sich jenseits von Zuhause und Büro befinden, Orte des Transits, an denen wir uns einer besonderen Art entfremdeter Poesie bewusst sind. Wir spüren Hoppers Präsenz hinter Fotografien von Andreas Gursky und Hannah Starkey, in den Filmen von Wim Wenders und den Büchern von Thomas Bernhard.

Ich erinnere mich, wie ich das Hoppereske eines Abends in einer Raststätte an der Autobahn zwischen London und Manchester fand. Objektiv betrachtet war es kein schönes Gebäude. Das Licht war gnadenlos, ließ Blässe und Makel hervortreten. Die Stühle und Sitzgelegenheiten, in kindisch grellen Farben gestrichen, besaßen die angestrengte Fröhlichkeit eines falschen Lächelns. Niemand in der Raststätte redete, keiner ließ Neugier oder Mitgefühl zu. An der Essensausgabe blickten wir ausdruckslos aneinander vorbei oder hinaus in die Dunkelheit. Wir hätten auch zwischen Felsen sitzen können. Ich setzte mich in eine Ecke, aß Schokoladenkekse und nahm ab und zu einen Schluck Orangensaft. Ich fühlte mich einsam, aber ausnahmsweise war dies eine sanfte, sogar angenehme Art von Einsamkeit, da sie sich nicht vor einem Hintergrund aus Lachen und Kameradschaft entfaltete, wo ich unter dem Kontrast zwischen meiner Stimmung und der Umgebung gelitten hätte, sondern an einem Ort, wo alle fremd waren, wo die Schwierigkeiten der Kommunikation und die frustrierte Sehnsucht nach Liebe von der Architektur und der Beleuchtung anerkannt und auf brutale Weise gefeiert zu werden schienen.

Tankstellen rufen in mir immer Hoppers Gas wach, das dreizehn Jahre nach Automat entstand und wie das frühere Bild ebenfalls eine Studie der Isolation darstellt. Wir sehen eine Tankstelle, die isoliert in der einbrechenden Dunkelheit steht. Aber in Hoppers Händen wird die Isolation einmal mehr ergreifend und verlockend. Die Dunkelheit, die sich wie Nebel von der rechten Seite der Leinwand ausbreitet, ein Vorbote der Angst, kontrastiert mit der Sicherheit der Tankstelle. Vor dem Hintergrund aus Nacht und wildem Wald, an diesem letzten Außenposten der Menschheit, lässt sich ein Gefühl von Verwandtschaft vielleicht leichter entwickeln als bei Tageslicht in der Stadt.

Es ist ein eigentümliches Merkmal von Hoppers Werk, dass wir uns, obwohl es sich damit zu befassen scheint, uns unwirtliche Orte des Übergangs zu zeigen, in der Begegnung mit diesem Werk fühlen, als wären wir an einen bedeutenden Ort in uns selbst zurücktransportiert worden, einen Ort der Stille und Traurigkeit, des Ernstes und der Authentizität: Es kann uns helfen, uns an uns selbst zu erinnern. Wie ist es möglich, »sich selbst« zu vergessen? Es geht nicht um ein wörtliches Vergessen praktischer Informationen, vielmehr um ein Vergessen der Teile unseres Selbst, mit denen ein besonderes Gefühl von Integrität und Wohlbefinden verbunden ist. Wir mögen viele verschiedene Versionen eines Selbst haben, die sich nicht alle gleichermaßen wie »wir« anfühlen, eine Teilung, der wir am deutlichsten im Verhältnis zu unserem äußeren Erscheinungsbild begegnen, bei dem wir zu dem Urteil kommen mögen, dass die Person, die ein Fotograf eingefangen hat, zwar etwas mit dem Wesen zu tun haben mag, das unseren Namen trägt, aber tatsächlich nur eine geringe Verbindung zu der Wesensart und Haltung aufweist, mit der wir uns identifizieren. Diese visuelle Dynamik hat eine psychologische Entsprechung, denn innerhalb unseres Geistes werden wir auch aufmerksam auf Konstellationen von Ideen und Stimmungen, die eigen genug sind, um sich wie unterschiedliche Persönlichkeiten anzufühlen – ein inneres Im-Fluss-Sein, das uns gelegentlich veranlasst zu verkünden – ohne dabei auf etwas Übernatürliches anzuspielen –, dass wir nicht ganz wir selbst zu sein scheinen.

Beim Betrachten eines Bildes können wir es als zugleich bedeutend für uns und außerhalb unserer normalen Reichweite erkennen – und was wir unter anderem vielleicht versuchen, wenn wir uns eine Postkarte davon kaufen und sie gut sichtbar über den Schreibtisch hängen (so wie ich es mit mehreren von Hoppers Arbeiten gemacht habe), ist, das Bild als allgegenwärtiges, solides Zeichen der emotionalen Beschaffenheit der Person zu haben, die wir sein wollen und wie die wir uns tief in unserem Innern auch fühlen. Indem wir das Bild jeden Tag sehen, hoffen wir, dass ein paar seiner Eigenschaften auf uns abfärben. Was wir an dem Bild begrüßen, ist nicht so sehr der Gegenstand als vielmehr sein Ton, das Dokument einer emotionalen Haltung, die durch Farbe und Form vermittelt wird. Wir wissen, dass wir natürlich weit davon abkommen werden, dass es nicht möglich und nicht einmal praktisch sein wird, ewig an der Stimmung des Bildes festzuhalten, und dass wir viele verschiedene Menschen werden sein müssen (mit starken Meinungen und einem Gefühl von Gewissheit, mit lockerem Witz und elterlicher Autorität), aber wir begrüßen es als Erinnerung und Anker.

Hopper interessierte sich auch für Autos und Züge. Er fühlte sich zu der in sich gekehrten Stimmung hingezogen, in die uns das Reisen zu versetzen scheint. Es interessierte ihn, die Atmosphäre in halbleeren Waggons einzufangen, die sich ihren Weg durch die Landschaft bahnen: die Stille, die drinnen herrscht, während draußen die Räder rhythmisch gegen die Gleise rattern, die Verträumtheit, die durch den Lärm und den Blick aus den Fenstern genährt wird, eine Verträumtheit, bei der wir außerhalb unseres normalen Selbst zu stehen scheinen und Zugang zu Gedanken und Erinnerungen haben, die unter gesetzteren Umständen vielleicht nicht aufsteigen würden. Die Frau in Hoppers Compartment C, Car 293 (1938