Die Mumie von Rotterdam Erster Theil - Döring, Georg - kostenlos E-Book

Die Mumie von Rotterdam Erster Theil E-Book

Georg, Döring

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The Project Gutenberg EBook of Die Mumie von Rotterdam, by Georg DöringThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Die Mumie von Rotterdam       Erster TheilAuthor: Georg DöringRelease Date: August 22, 2014 [EBook #46657]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE MUMIE VON ROTTERDAM ***Produced by Martin Oswald and the Online DistributedProofreading Team at http://www.pgdp.net (This book wasproduced from scanned images of public domain materialfrom the Google Print project.)

Anmerkungen zur Transkription:

Die Rechtschreibung und Zeichensetzung des Originals wurde weitgehend übernommen. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert; Wörter, die in voneinander abweichenden Schreibweisen auftraten, wurden an die in überwiegender Mehrheit verwendete Schreibweise angeglichen. Eine Liste vorgenommener Korrekturen befindet sich am Ende des Textes. Die Originalvorlage ist in Fraktur gedruckt; davon abweichende, in Antiqua gedruckte Textstellen sind hier kursiv wiedergegeben. Gesperrt gedruckte Textstellen sind auf Ebook-Betrachtern fett wiedergegeben. Das Titelbild für Ebook-Betrachter wurde vom Bearbeiter erzeugt und in die Public Domain eingestellt.

Die Mumie von Rotterdam.

Novelle

in zwei Theilen

von

Georg Döring.

Erster Theil.

Frankfurt am Main.

Gedruckt und verlegt von Johann David Sauerländer.

1829.

Seinem verehrten Freunde

Friedrich Mosengeil

der Verfasser.

Ich habe Dich gefunden Im stillen Friedensthal: Wir waren längst verbunden, Wir wurden’s noch einmal. So fügt sich Ring dem Ringe Zur Blumenkette an, Daß sie uns sanft umschlinge Und unsern Lebenskahn. Er zieht den Strom danieder — Wann ruft der Schiffer: Land? Wir reichen uns dann wieder Am Ufer dort die Hand.

Die Mumie von Rotterdam.

Erster Theil.

1.

Am Haven von Rotterdam herrschte ein buntes Gewimmel von Geschäftigen und Müßiggängern. Einige von jenen, mit schweren Lasten beladen, schoben langsam aber nachdrücklich diese, die eitle Neugierde oder Langeweile hierher geführt hatte, zur Seite; andere, Papiere in der Hand tragend, Schiffsconsignationen oder Frachtbriefe, drängten sich rasch und lebendig durch die Menge, um die Zeit der Ankerlichtung irgend eines Fahrzeuges nicht zu versäumen.

Eben stimmten die Glockenspiele der Stadt ein Liedchen an, das die sechste Abendstunde bezeichnete, als zwei Männer, denen die Meisten der Anwesenden mit allen Beweisen von Hochachtung und Ehrfurcht auswichen, am Ufer der Maas erschienen. Es waren die zwei Handelsherrn Tobias van Vlieten und Jan van Daalen. Beide wurden für die reichsten Leute der Stadt gehalten, beide wußten das und fanden deshalb nicht für nöthig, die zahlreichen, an sie gerichteten Begrüßungen zu erwiedern. Am Starrsten und Unbeweglichsten schritt Herr Tobias van Vlieten durch die Raum gebende Menge hin. Seine hagere Gestalt ragte fast um Kopfeshöhe über die Nebenstehenden empor und sein braungelbes Angesicht, mit der scharf hervorstehenden Nase und den großen, todten grauen Augen, bot, unter der umfangreichen, weißgepuderten Perücke, einen abschreckenden Anblick. Er trug einen langen, zimmetfarbenen Tuchrock, der trotz des sehr warmen Abends vom Kopf bis auf die Füße zugeknöpft war. Die Knöpfe aber bestanden aus Doppelducaten und erregten, indem sie im Abendsonnenstrahle weithin glänzten, die Begehrlichkeit manches armen Taglöhners, der hier mit schwerer Arbeit wenige Stüber erwarb.

Herr Tobias hatte viele Jahre seines Lebens in Ostindien zugebracht. Aber diese Zeit war für ihn keine verlorene gewesen. In dem Handel mit feinen Spezereien hatte er Millionen gewonnen und während die ungesunde Luft Batavia’s seine besten Kräfte aufzehrte und ihn zu einer lebendigen Mumie ausdörrte, vermehrte sich die Zahl seiner Geldsäcke im wohlverwahrten Gewölbe auf das Ansehnlichste, stiegen von Posttag zu Posttag die Summen, die er nach dem Vaterlande übermachte, daß sie dort sicher und gute Zinsen tragend, angelegt würden. Er hatte auch in Batavia geliebt und in einem kurzen Ehestande gelebt. Die Liebe überschlich ihn, als er vernahm, daß die bleiche alternde Jungfrau Cypriana Hoogendöbel, welche ihm in einer Theegesellschaft gegenüber saß, seit gestern die Erbin von hunderttausend Stück Dukaten geworden sey und ganz allein und verlassen in der Welt stehe, ohne Brüder und Schwestern, ohne Vettern und Basen, die an dem reichen Erbe mitzehren könnten.

Es war ihm zu Muthe, als habe er von der berauschenden Wurzel Bang gegessen, da er dieses vernahm. »Cypriana Hoogendöbel muß die Meine werden!« gelobte er sich selbst mit heißem Schwure. Er näherte sich; er wurde freundlich angesehen und aufgenommen. Besaß denn Tobias nicht auch schon ein Vermögen von mehr als hunderttausend Dukaten? Und hatte denn Cypriana seit gestern nicht das Ansehen und die Bedeutung, welche ein solcher Besitz gab, gehörig schätzen und würdigen gelernt? Der Wunsch, sie nach dem Theeschmause in seinem Wagen nach ihrer Wohnung zu bringen, wurde dem glücklichen Tobias gewährt. Auf diesem Wege sprengte die neu erwachte Leidenschaft ihre Fesseln. Er erklärte sich und ward verstanden, er warb um Cypriana’s diamantenfunkelnde Hand und sie ward ihm gewährt. Wie nun Herr Tobias van Vlieten einen jahrelangen, glücklichen Ehestand mit seiner Hausfrau verlebt, indem er während dieser Zeit fast immer auf Handelsreisen von ihr fern gewesen, das sey hier nur flüchtig berührt. Am Ende dieses Jahres schenkte ihm Cypriana ein Töchterlein; sie selbst aber starb wenige Tage nach der Geburt des Kindes. Ganz Batavia bewunderte die Standhaftigkeit des jungen Wittwers bei diesem Trauerfalle. Niemand sah ihn eine Thräne vergießen. Er verbarg den Gram so tief in seiner Brust, daß seine Freunde ihn nicht einmal ahneten, er besaß Selbstbeherrschung genug, statt der Falten des Kummers, eine zufriedene Heiterkeit auf seiner Stirne zu zeigen. Nur sein schwarzer Anzug, die Trauerflöre, mit denen er reichlich umhangen war, verriethen sein Leid. Die Neugeborene ward nach dem Willen der verewigten Cypriana, die in den letzten Monaten ihres Lebens einige nach Ostindien verirrte französische Schäferromane mit großem Interesse gelesen hatte, Clelia genannt. Clelia hatte eben das achte Jahr zurückgelegt, als ihr Vater, den das Clima zu einer Leiche auszudörren drohete, sich entschloß, nach Europa zurückzukehren. Die liebe Geburtsstadt Rotterdam, mit dem buntbemalten Standbilde des Erasmus auf dem großen Markte, stieg plötzlich in einem Zauberglanze in der sonst öden Phantasie des Herrn van Vlieten empor. Er sah sich selbst, der als ein armer Jüngling die Heimath verlassen, nun als den reichsten ihrer Bürger in den breiten Straßen der Buitenstad auf- und niederwandeln, im vornehmen Dukaten-beknöpften Rocke, mit stattlichem spanischem Rohre, begrüßt und geehrt von jedermänniglich; er sah sich am Nieuwe- und Leuwen-Haven, am Blaak und am Boompjes, am Wynkracht und am Haringvliet, und an allen Orten flüsterte es um ihn: »Seht, das ist Myn Heer Tobias van Vlieten, der dickste Mann von Rotterdam!« Und wie er es prophetisch vorausgesehen im Geist, so geschah es auch. Er wandelte nun schon seit acht Jahren in den Straßen und in den Havenplätzen der Heimathstadt in derselben Weise, die ihm die Ahnung gezeigt, auf seinen Wegen blieben die Leute stehen und raunten denjenigen, die es noch nicht wußten, mit wichtiger Gebehrde ins Ohr, dieses sey der dickste — nämlich der reichste — Mann der Stadt. Wenn dann ein Fremder, dem es unbekannt war, wie bei den Holländern dick mit reich gleichbedeutend sey, die Mumiengestalt des Herrn Tobias van Vlieten mit erstaunten Blicken maß und ungläubig lächelnd den Kopf schüttelte, so konnte wohl sein von Natur phlegmatischer holländischer Freund in Feuer gerathen und Hab und Gut zur Wette anbieten: daß dieses die Wahrheit sey. So war es denn nach und nach gekommen, daß man Herrn Tobias nur schlechtweg und vorzugsweise den Dicksten nannte. Sein Töchterlein Clelia war indessen zu einer anmuthigen und begehrenswerthen Jungfrau herangewachsen.

Der Mann, in dessen Geleit uns Herr van Vlieten zum erstenmale am Ufer der Maas begegnet, war in seinem ganzen Aeußeren der lebendigste Gegensatz zu dem Wesen des erstern. Herr Jan van Daalen maß wenig über vier Fuß, hatte durch die sorglichste Pflege seines Leibes nach und nach einen körperlichen Umfang gewonnen, der ihm, nächst seinen Geldsäcken einen doppelten Anspruch auf die Ehrenbenennung eines Dicken gab, und sah aus dem immer lächelnden runden, weißen und rothen Antlitze jeden mit den nichtssagenden Blicken der gläsernen Augen so geringschätzig an, als seyen alle übrigen Menschen Nullen, er aber und sein Begleiter vielleicht nur allein Zähler in der Seelenliste der Einwohnerschaft von Rotterdam. Seine Kleidung war schlichter und geschmackvoller, als die des Herrn van Vlieten; aber das ächte spanische Rohr, mit dem großen porzellanenen Knopfe oben, prangte auch in seiner Rechten und die stattliche Perücke umgab, wie eine Wolke, die obere Hälfte seiner gedrängten Gestalt. Sein Fuß hatte nie das Weichbild von Rotterdam überschritten. Er hatte das ansehnliche Vermögen, das er von seinem Vater ererbt, durch kluge, wenn gleich geheimnißvolle Speculationen, so bedeutend vermehrt, daß er unter den dicken Leuten der Generalstaaten einen der ersten Plätze einnahm. Immer aber blieb die Art, wie er dazu gekommen, jedermann ein Räthsel. Er hielt keine Schreibstube und keine Gehülfen. Alle Schreibereien machte er selbst hinter verschlossenen Thüren ab. Niemand, sein einziger Sohn Cornelius nicht ausgenommen, durfte sein Schreibgemach betreten. Nur ein alter Buchhalter, den Herr van Daalen als ein Erbstück mit von seinem Vater übernommen hatte und der schon seit vierzig Jahren in die Geschäfte des Hauses eingeweiht war, schien das Vertrauen seines Prinzipals zu besitzen. Der alte Herr Hoontschoten war aber fast immer abwesend, niemand wußte, wo? Oft ließ er sich in Jahresfrist und manchmal auch in noch größeren Zwischenräumen in Rotterdam nicht sehen. Erschien er dann endlich, so strahlte Herrn Jan’s Antlitz in unverkennbarer Freude und immer wurden, wenige Tage nach seiner Ankunft, große und gewichtige Geldsäcke in das van Daalensche Haus geschafft. An seinem Sohne Cornelius hatte der alte Herr bisher wenig Freude erlebt. Statt frühe die Feder zu gebrauchen, um im Rechnen und Copieren sich zu dem höheren Wirken im Handelstreiben vorzubereiten, hatte Cornelius das Schwerdt ergriffen und war, allen Abmahnungen des Vaters zum Trotz, unter König Wilhelm gegen die Franzosen zu Felde gezogen. Herr Jan zürnte ihm lange und wollte nichts von ihm wissen. Als er aber einige Jahre nach dem geschlossenen Frieden in das väterliche Haus trat, zu einem kräftigen, blühenden Manne geworden, bekleidet mit der Würde eines Hauptmannes, da erfreuete sich doch des Vaters Auge an ihm; als er aber gar nach einiger Zeit erklärte, daß er dem Kriegshandwerk gänzlich entsagen, um als ein guter Ehemann und Hausvater daheim zu leben, und daß die holdselige Jungfrau Clelia van Vlieten es sey, die er zum Gattengespons erwählet, da schloß ihn Herr Jan gerührt in die Vaterarme und meinte in seinem Innern, der Apfel falle doch nicht weit vom Stamme und die Speculation auf das liebliche Töchterlein des Dicksten sey in der That eines van Daalen würdig. Cornelius konnte versichern, daß Clelia ihn mit Blicken betrachte, die keinesweges gleichgültig zu nennen waren. Er verschwieg, daß er bei günstiger Gelegenheit schon das Geständniß seiner Liebe gegen sie gewagt habe, daß dieses nicht allein gütig aufgenommen, sondern sogar mit jungfräulicher Schüchternheit erwiedert worden sey. Die Aussicht, das ungeheuere Vermögen des Herrn Tobias mit dem seinigen zu vereinen, den Vater Clelias vielleicht zu einer Compagniehandlung zu bewegen, war für den alten van Daalen schon höchst lockend; die Hoffnung aber, daß nun Cornelius auch Neigung zu kaufmännischen Geschäften fassen und dereinst auf dem geheimnißvollen Wege, den er mit Glück gewandelt, weiter schreiten werde, erfreuete ihn fast eben so sehr. Er äußerte das auch seinem Sohne. Dieser aber versicherte ihn ganz trocken: daran denke er nicht, es sey ihm im Gegentheile nichts in einem so hohen Grade zuwider, als Schreiberei und Handelschaft und er trage nichts anders im Sinne, als mit seiner künftigen Ehefrau Clelia dermaleinst in Fülle und Wohlleben von den Zinsen der Capitale zu leben, die ja die beiden Väter in Ueberfluß für ihre Kinder zusammengebracht und gespart. Herr Jan sah ihn auf diese Rede mit den gläsernen Augen starr und schweigend wohl eine Viertelstunde lang an; dann wandte er sich mit einem schweren Seufzer von ihm ab und begab sich zu Herrn van Vlieten, um mit diesem die Freierei-Unterhandlungen zu eröffnen, die nun mit aller Bedächtlichkeit und Vorsicht, welche zwei so kundigen Geschäftsmännern zugetraut werden konnten, betrieben wurden.

Dieses war der Stand der zwischen den beiden Handelsherrn obwaltenden Angelegenheiten, als wir sie zum erstenmale stolz und im Bewußtseyn ihres Metallwerthes durch die treibende Menge im Haven von Rotterdam hinschreiten sahen.

»Ihr wißt meinen Entschluß, Myn Heer van Daalen,« sagte Herr Tobias in einem herben und strengen Tone, indem er bedeutungsvolle Blicke auf einige ihm zugehörende, in der Maas ankernde Schiffe warf und dann ebenso bedeutungsvoll auf einige andere zurücksah, die im Canale, zunächst seiner Wohnung, lagen. »Fünfmalhunderttausend Stück Dukaten ist ein artiges Sümmchen, aber siebenmalhunderttausend ist noch artiger. Wir sind beide dick, aber Ihr seyd nicht der dickste! Nur gleich und gleich gesellt sich gut und erst, wenn Euer Cornelius so schwer geworden, wie meine Clelia, so können die Glockenspiele der Binnen- und Buytenstad ein lustiges Stückchen zu ihrer Hochzeit aufspielen. Schade, daß wir nicht in Batavia sind! Da hat mich’s bei solcherlei Festen am Meisten ergötzt, die schwarzen Sklaven und Sklavinnen, Abends, wenn sie des Tages Last und Arbeit hinter sich hatten, einen lustigen Tanz aufführen zu lassen. Sanken sie dann wohl vor Müdigkeit oder Trägheit zu Boden, so war gleich des Aufsehers Peitsche bei der Hand, die sie wieder in die Höhe zum Tanzen trieb und der Hauptspaß war es nun, sie mit verzerrten Gesichtern, heulend und schreiend, springen und hüpfen zu sehen. Dergleichen Vergnügungen giebt es nicht in Europa, Myn Heer van Daalen!«

In diesem Augenblicke hemmte Tobias plötzlich seinen Schritt. Seine Blicke waren starr auf einen Punkt gerichtet. Es schien, als mache irgend ein Gegenstand ihn stutzig, als sey er über irgend eine sonderbare Begegnung betroffen und unwillig.

Zwei junge Leute in Studententracht waren aus einer landenden Barke ans Ufer gesprungen. Ihre ersten Blicke fielen auf die hagere und ausgetrocknete Gestalt des Herrn Tobias van Vlieten, der in seinem canelfarbigen Rocke und mit dem zusammengedörrten bräunlichen Antlitz, laut und lachend von ihnen der ungeheuerste Zimmetstengel genannt wurde, der jemals aus Ostindien herübergekommen sey. Ganz im Gegensatze zu ihnen stand ein ältlicher Mann, der zwischen beide getreten war, dessen Blicke mit einem Ausdrucke der Verzückung auf Herrn van Vlieten ruheten und der nun mit hohem Ernst in seinen Mienen, mit schnarrender Stimme und in der die Worte abwägenden Weise eines Pedanten rief:

»Ruhig, meine Söhne! Ruhig, ihr Kindlein der Musen! Habt Ihr je ein so herrliches Exemplar einer egyptischen Mumie gesehen, wie das hier im zimmetfarbenem Rocke und mit spanischem Rohre umherwandelnde? Schweigt von Eurem schnöden Zimmetstengel! Ein Sproße aus pharaonischem Geschlechte, ein königlicher Bewohner der Pyramiden zeigt sich Euerm erstaunten Blicke. Er wandelt hier am Ufer der Maas, er schnupft Tabak und trägt Dukaten auf dem Rocke! O wie köstlich, wenn wir ihn hätten im theatro anatomico zu Leyden, schön eingepackt im egyptischen Sarge, den wunderdeutsamen Ibis zu seinen Füßen, ihn selbst eingehüllet in balsamische Stoffe, hieroglyphisch übermalet — o Isis und Osiris! die Begeisterung reißt mich fort und verleitet mich, würdige Handelsherrn der Gegenwart für Gestalten einer heiligen Vorzeit zu halten! Verzeihet, Myn Heer,« wandte er sich nun zu dem immer finsterer blickenden Tobias, »wenn Euch diese junge Leute durch unziemlichen Scherz beleidigt! Meine Bewunderung wird Euch hoffentlich zu einigem Ersatz dienen und solltet ihr jemals nach Leyden kommen, so seyd höflich eingeladen, in dem Hause des Professor Eobanus Hazenbrook einzusprechen.«

Mit diesen Worten nahm der Professor seine zwei jungen Leute, die nun etwas ernster geworden, unter den Arm und schlenderte ruhig weiter, indem er jedoch dann und wann einen gleichsam verliebten Blick nach Herrn van Vlieten zurücksandte.

Dieser murmelte einige unverständliche Laute für sich hin, welche eben nicht die freundlichste Begrüßung aussprechen mochten. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf Herrn Van Daalen, der von dem Professor und seinen Zöglingen nichts gewahr geworden war und schon ein Weilchen ohne Antwort zu erhalten, auf seinen Begleiter eingeredet hatte.

»Alles wird sich zu Euerer Zufriedenheit ausgleichen,« fuhr Herr Jan fort, »und ich kann Euch die feste Zusicherung geben, daß vielleicht schon morgen oder übermorgen mein Cornelius so schwer oder auch noch schwerer ist, wie Euere Clelia. Heute schreiben wir den achtundzwanzigsten Oktober 1702. Jeder Augenblick kann mir die frohe Nachricht bringen. Wo ich gehe und stehe ist es mir, als hätte ich glühende Kohlen unter den Füßen und denke ich einmal zu ruhen im gemächlichen Großvatersessel, so treibt mich’s in die Höhe, als prickelten mich tausend Stecknadeln. O Myn Heer, Ihr seyd glücklich mit Euern Speculationen auf Zucker und Caffee! Aber unser eins — die Sorgen — die ängstlichen Nachtwachen — die Zweifel — die Erwartungen.« —

»Was treibt Ihr denn eigentlich?« unterbrach ihn neugierig sein Begleiter, indem er stehen blieb und die todten grauen Augen forschend auf Herrn van Daalen heftete. »Ihr seyd reich geworden, man weiß nicht wie, Ihr vermehrt Euere Capitalien von Jahr zu Jahr, man weiß nicht woher! Myn Heer, es gehen allerlei seltsame Gerüchte von Euch, denen ich keinen Glauben beimessen mag. Viele sprechen, Ihr hättet einen Bund mit dem Bösen, der Euch das liebe Geld und Gut zutrüge in der Sylvesternacht, aber darüber lache ich, denn ich bin aufgeklärt. Andere meinen wieder, Ihr säßet Nachts im geheimen Kämmerlein und kochtet Gold, wie Ihr es aus einem zufälliger Weise aufgefundenen Recepte des berühmten Paracelsus erlernt, doch auch das scheint mir nicht glaubwürdig, denn hätte der berühmte Paracelsus die Goldmacherkunst verstanden, so wäre er nicht elend und jämmerlich durch vieler Herrn Länder gezogen, als ein Pillendoctor und Wurmsamenhändler. Was aber, Myn Heer van Daalen, möchte wohl von den Gedanken derjenigen zu halten seyn, bei denen Ihr in dem Verdachte steht, Ihr wäret ein allzu guter Freund der Feinde Eures Vaterlandes, Ihr wüßtet denjenigen, die es bekriegen, den Franzosen und Spaniern, auf geheimen Wegen Pulver und Blei, Waffen und Mundvorrath zuzuführen? He! Myn Heer, was sagt Ihr dazu?«

Herr Tobias hatte bei diesen Worten die dürren Knochenfinger seiner Rechten um den Arm des Herrn van Daalen gekrallt. Dieser konnte während der bedeutungsvollen Rede seines Nebenmannes seine Verlegenheit nur schlecht verbergen. Er hielt den Porzellanknopf des spanischen Rohres bald gedankenbrütend an die Nase, bald versuchte er, gleichsam um die innere Angst zu bewältigen, die Knöpfe seines Kleides zu zählen, bald lachte er dumm und nichtssagend den Herrn van Vlieten an.

»Schufte und Neider sind es,« brach er endlich mit mühsam errungener Fassung los, »die mir so niederträchtige Dinge nachsagen! Ich bin ein so guter Patriot, wie Hugo Grotius, und würde gegen die Feinde ebensowohl zu Felde ziehn, wie Oranien und Horn, wenn ich anders die Courage dazu hätte. Wenn Ihr dermaleinst meinen Handel kennen lernt, Myn Heer, und das sollt Ihr, sobald das Geschäft mit der Heirath zu Stande gebracht worden — dann werdet Ihr sagen, der Jan van Daalen ist ein schlauer Kauz und ein Vaterlandsfreund, wie es wenige gibt. Ihr werdet bekennen müssen, daß er vom Feinde, wenn auch keine Schlachten und Festungen, dennoch werthvolle Dinge genommen, daß er ihm Abbruch in seinem Besten gethan und die Grundfesten seines ganzen Staatsbaues erschüttert hat.«

»Große Worte, schöne Sentenzen!« erwiederte ungläubig Herr van Vlieten. »Ueber die Sache müssen wir im Reinen seyn, ehe wir weiter etwas abschließen. Gebt mir ein vernünftiges Journal, ein aufrichtiges Cassabuch in Händen: das ist mir lieber, als die wohlklingendste Redensart! Ich muß wissen, was Euer Cornelius in Handelsdingen von Euch zu erwarten hat, ehe ich nur ein Härchen von dem Haupte meiner Clelia in die Heirathslotterie mit ihm setze. Ich will Euch in meine Keller und Gewölbe führen. Ihr sollt die Menge von Zuckerhüten und Caffeeballen, die Hügel von feinen Gewürzen, die wundersamen Gebäude von Theekisten dort bewundern. Dann will ich Euch die Geheimnisse meines Comptoirs erschließen, Ihr sollt sehen, was in Cassa befindlich und was auf gute Zinsen ausgeliehen ist, Ihr sollt Euch aus den Büchern, die ich vertrauungsvoll vor Euch aufschlagen werde, überzeugen, daß ich meine Zeit in Europa und Asia wohl angewandt habe. Aber Alles unter der Bedingung, daß Ihr Tags darauf ein Gleiches thut, ohne allen Vorbehalt und Hinterlist!«

Herr Jan van Daalen hätte in diesem Augenblicke lieber an jedem andern Orte der Welt, als in Rotterdam, an der Seite des Dicksten und daher angesehensten Mannes daselbst, seyn mögen. Er bewegte unruhig die Füße, er warf das spanische Rohr bald unter den rechten, bald unter den linken Arm, er steckte beide Hände in die Taschen, er wußte nicht was er sagen sollte.

Da erschien zu seinem großen Troste ein Befreier aus dieser Bedrängniß in der Person des Leydenschen Professors, Eobanus Hazenbrook. Dieser trat, sich verlegen die Hände reibend, wiederum gerade auf Herrn Tobias zu. Die beiden Studenten folgten ihm in einiger Entfernung, kicherten und flüsterten unter einander.

»O Myn Heer,« schnarrte der Professor, »ich muß Euch anreden im Namen der Musen und als ein Vormund der Wissenschaften in den vereinigten Niederlanden. Freilich werde ich Euch von Dingen sprechen, die gewöhnlichen Menschen nicht angenehm sind, aber Ihr, Myn Heer, seyd kein gewöhnlicher Mensch, Ihr tragt das Gepräge des Außerordentlichen in Euerm Antlitze, wie in Euerer Figura, und deshalb darf ich schon wagen, zum Nutzen und Frommen der Wissenschaft eine Frage an Euch zu richten. Habt Ihr bereits Euer Testament gemacht, Myn Heer?«

Tobias blickte den seltsamen Frager mit einer Mischung von Zorn und Erstaunen an. Mechanisch hob sich das spanische Rohr in seiner Hand und es gewann für einige Augenblicke das Ansehn, als sey Herr van Vlieten gesonnen, die Antwort auf eine so unverschämte Frage, auf eine nachdrücklichere Weise, als die gebräuchliche, zu erwiedern. Da naheten sich aber mit drohender Miene die zwei Begleiter des Professors, Herrn Tobias Rohr neigte sich zur Erde und er begnügte sich, in einem heftigen Tone zu antworten:

»Ihr seyd ein Unverschämter oder ein Wahnsinniger! Für beide Fälle rathe ich Euch, diesen Platz schleunigen Schrittes zu verlassen. Es giebt hier der Leute genug, die auf einen Wink von mir, Euch packen und Euere Unverschämtheit im kalten Bade der Maas von Euch abwaschen oder, wie ich es ihnen gebiete, Euch, wohl gebunden und bewacht, in’s Narrenhaus abführen. Trollt Euch Euerer Wege und reizt mich nicht ferner! Ihr müßt wissen: ich bin Heer Tobias van Vlieten, der dickste Mann in Rotterdam!«

Die beiden Studenten, junge Franzosen, die auf der damals weitberühmten Universität Leyden den Wissenschaften oblagen, schlugen ein schallendes Gelächter auf.

»Que dites vous de cet embonpoint?« fragte der eine den andern, indem er mit einer spöttischen Gebehrde sein Schnupftuch zur Hand nahm und Miene machte, den Umfang des Herrn van Vlieten zu messen.

»Morgué!« erwiederte der andere; »il l’a volé à une squelette et il tâche à le vendre. C’est pour cela qu’il s’en vante.«

Der Professor aber trat dem zurückweichenden Tobias noch einige Schritte näher, und sagte mit großer Kaltblütigkeit:

»Ich könnte Euch injuriarum belangen, Myn Heer, darüber, daß Ihr Euch ermesset, einen professorem ordinarium der illustern Academie von Leyden als einen unverschämten Gesellen oder gar als einen sinnverwirrten Menschen zu erklären. Aber Ihr habt mir mein Herz gestohlen durch Euere absonderliche Liebenswürdigkeit und eine Sehnsucht in meiner Brust erweckt, die jahrelang darin geschlummert. Ja, Myn Heer, ich liebe Euch! Und wenn das ein junger Fant mit tausend Schwüren seiner Liebsten versichert, so will das bei Weitem nicht soviel heißen, als mein einfaches, unumwundenes Geständniß. Ich liebe Euch wissenschaftlich. Und deshalb wünschte ich: Ihr machtet Euer Testament!«

Den Herrn Tobias van Vlieten überflog es bald heiß, bald kalt. Es war menschenleer auf dem Platze geworden und er sah sich vergebens nach einigen Leuten in der Nähe um, die ihn aus den Händen des Wahnsinnigen, für den er jetzt im Ernst den Professor zu halten begann, hätten befreien können. Von Herrn Jan durfte er wenig Beistand erwarten, denn dieser sah sich auch bereits nach der Flucht um und hatte nicht den Muth, ein Wörtchen zu verlieren, das den zwei jungen Franzosen, die sich trotzig auf ihre langen Stoßdegen stützten, hätte unangenehm seyn können. Er wagte einen großen Schritt um sich aus der Nähe des Professors zu entfernen, aber dieser folgte ihm mit einem noch weit größern und die Studenten vertraten ihm den Weg.

»Hört mich doch nur an!« begann auf’s Neue Eobanus Hazenbrook. »Ich will Euch weder kränken, noch beleidigen; ich will Euch nur einen Vorschlag machen, den Ihr als ein Mann von Einsicht, als ein Verehrer der Musen, gewißlich eingehen werdet. Ich, der hier vor Euch stehende Eobanus Hazenbrook, bin von den edlen großmögenden Heern schon vor vielen Jahren als Professor historiae naturalis und Custos theatri anatomici der erlauchten Lugduner Academie ernannt und bestallt worden. Was könnt Ihr Uebles fürchten von einem Manne in solchem Amte? Von einem Manne, dem irgend ein anderer nur unter einem wissenschaftlichen Rapporte wichtig seyn kann? Doch tretet einige Augenblicke mit mir zur Seite! Das was ich Euch zu sagen habe, muß Euch erfreuen, da es Euch eine höhere Achtung von Euch selbst einflöst, aber nur vier Ohren dürfen es hören und nur unter der dichten Hülle des Geheimnisses kann dieses Werk zum Ruhme der Universität — was sage ich? zur Glorie gesammter Generalstaaten gelingen!«

Tobias gewann bei dieser milden und schmeichelhaften Rede des Professors einigen Muth. Er überließ ihm ruhig seine Rechte, nach der jener gegriffen, und folgte ihm einige Schritte zur Seite.

»Wenn ich Euch, Myn Heer, ersuchte, Euer Testament zu machen,« hob nun der Professor in einem leisen, sehr freundlichen Ton an, »so sollte das nur eine Einleitung zu dem eigentlichen Gegenstande meiner Bitte seyn. Diese besteht nämlich darin: Ihr möchtet der illustern Universität Leyden und namentlich dem theatro anatomico daselbst ein Legat vermachen, das einem längst schmerzlich empfundenen Mangel abhelfen dürfte. Dieses Legat ist aber kein anderes, als das Euerer eigenen, hochwerthen Person!«

Wüthend wollte sich Herr van Vlieten von dem Professor losreißen, dieser aber hielt ihn fest und sah mit mildem Lächeln in das verzerrte Antlitz.

»Wie,« zürnte Tobias, dem die heftige Aufwallung des Unwillens die Sprache zu ersticken drohete, so daß er, statt zu schreien, wie er gern gewollt hätte, nur mit gepreßter Stimme reden konnte, »Ihr wagt es, mir dergleichen vorzuschlagen? Mir, der dem Doctor jährlich hundert Dukaten zahlt, daß er ihn durch Purganzen, Mixturen und Elixire noch lange am Leben erhält, sprecht Ihr von Testament und Tod? Wißt Ihr, daß dergleichen Redensarten ein Gift sind, das sich auf die edelsten Theile wirft und so den wirklichen, leibhaftigen Tod herbeiführen kann? Und dann — Ihr Schinder und Leichendieb untersteht Euch, mich für Euere Sägen und Messer zu verlangen, um mich nach meinem, will’s Gott! noch weit entfernten Hintritte, zu zerschneiden und zu zerarbeiten, wie einen Selbstmörder oder armen Sünder, mich, einen Mann, der im Rathe von Indien gesessen hat und Euresgleichen durch ein einziges Wort an den Galgen bringen konnte. Euch soll ja —«

»Ihr ereifert Euch umsonst, Myn Heer!« unterbrach mit unerschütterlicher Kaltblütigkeit Eobanus Hazenbrook den Zürnenden. »Ihr befindet Euch in einem böslichen Irrthum und legt mir Absichten unter, die ich keinesweges hege. Man merkt Euch aber an, daß Ihr kein großer Philosophus seyd! Hättet Ihr dem Sprüchlein des alten Weisen: kenne dich selbst! Eingang in Euere Seele verstattet und danach Euere Gedanken geregelt, so müßte es Euch klar seyn, daß eine Figura, wie die Eurige, bei einer in usum juventutis unternommenen Section eine gar erbärmliche Rolle spielen würde. Nein, Myn Heer! Wir wollen höher mit Euch hinaus. Wir wollen Euch nicht zerstören, wir wollen Euch erhalten auf Jahrhunderte — was sage ich? — auf Jahrtausende hinaus!«

Tobias machte große Augen. Er schloß sich wieder enger an den Professor, eine schöne Hoffnung senkte sich in seine Brust, er lächelte freundlich und sagte im gefälligsten Tone:

»Wenn ich Euch jetzt recht verstehe, so habe ich Euch früher entsetzlich mißverstanden. Ihr hättet Gutes mit mir im Sinne, Ihr wolltet mich erhalten in saecula saeculorum, wie ihr Lateiner sagt? O, Myn Heer! Es kommt mir auf eine Metze voll Dukaten nicht an, wenn es ein so theueres Gut, wie das Leben gilt! Besäßet Ihr wirklich den Stein der Weisen, das Lebenselixir, das gegen den Tod stich-, hieb-, schuß- und krankheitsfest macht?«

»Allerdings,« versetzte sehr ernsthaft Eobanus, »besitze ich die Wissenschaft, Euern Körper vor den gewöhnlichen Zerstörungen, welche im Gange der Natur liegen, zu bewahren; doch erst nachdem der verehrungswürdige Geist die schlechte Hülle verlassen und sich in höhere Regionen aufgeschwungen hat. Sehet nicht finster drein, Myn Heer! Es ist auch etwas Seltenes, fortzuleben rein leiblich auf Erden, zur Bewunderung der Nachwelt. Diesen Vorzug will Euch Eobanus Hazenbrook bereiten. Höret mich noch einen Augenblick geduldig an und Alles soll Euch klar seyn. Unser museum rerum naturalium zu Leyden, dessen Custos ich zu seyn die Ehre habe, ist in allen Dingen wohl versehen und kann den ersten Sammlungen dieser Art in ganz Europa an die Seite gestellt werden. Es ist mein Alles, dieses Museum: meine Frau, mein Kind, mein Vater und Mutter, mein eigenes Ich! Nun denkt Euch meinen Schmerz, edler Herr, als vor einigen Jahren ein fremder Doctor darin erscheint, über Alles vornehm und wegwerfend hinblickt und zuletzt mit verächtlichem Tone erklärt: es sey doch Alles nur jämmerliche Rumpelwaare, da sich nicht einmal eine egyptische Mumie darunter befinde. Ich hätte dem Bösewichte einen vergifteten Pfeil von der Insel Java, den ich gerade in Händen hielt, ins Herz stoßen mögen. Aber ich bewältigte meinen Zorn, ich verschloß meinen Schmerz in diese Brust. Er hatte leider nur zu wahr gesprochen! Schon längst hatte ich den schmachvollen Mangel erkannt, aber ich gestand ihn nie und bemühete mich selbst, jeden Gedanken daran zu verbannen. Das war nun vorbei! Die Sehnsucht nach einer egyptischen Mumie nagte mir fort und fort am Herzen, ließ mir Tag und Nacht keine Ruhe und verzehrte mich, wie einen schwächlichen Jüngling die erste, unerwiederte Liebe. O, Myn Heer, was liegt nicht Alles in einer egyptischen Mumie: Poesie und Geschichte in der wunderbarsten Hieroglyphik, Naturkunde einer fernen Vorzeit in köstlichen Spezereien und Balsamen, Wissenschaftslehre in deren chimischer Vereinigung und künstlicher Anwendung, Industrie eines fernen Jahrtausends in den umwickelten Webestoffen und noch so vieles Andere, das hier anzuführen die Zeit nicht erlaubt! Doch dieses Wenige, was ich hier angeführt, wird hinreichen, Euch mit hoher Achtung vor einer solchen Mumie zu erfüllen und Euch den Schmerz zu erklären, den ich empfinden mußte, als der malitiose Doctor bemerkte, ohne ein Mumienexemplar sey mein Museum eine Rumpelkammer. Mein ganzes Tichten und Trachten ging nun dahin, die gerügte, schmähliche Lücke auszufüllen. Ich schrieb Briefe, ich gab Aufträge, ich verschwendete Geld über Geld, ich schickte sogar einen eigenen Reisenden nach Egypten, daß er mir eine Mumie aus den Pyramiden verschaffen, im schlimmsten Falle stehlen sollte. Alles vergebens! Die Aufträge blieben unerfüllt, der Reisende wurde von räuberischen Arabern aufgefangen, ausgeplündert, mit Gewalt zum Islam bekehrt und dann in die Wüste geschleppt. Ich war der Verzweiflung nahe. Trostlos ging ich an den ersten Merkwürdigkeiten meines Musei vorüber, deren Anblick mich sonst in Entzücken versetzt hatte, ohne sie einer Beachtung zu würdigen. Die herrliche boa constrictor, die ich einst als meine theuerste Freundin, im süßen Wonnetaumel ans Herz gedrückt, das liebenswürdige Nilkrokodill, das ich oft durch Freudenthränen angelächelt hatte, waren jetzt für mich nicht mehr vorhanden. Ich trug nur eine Liebe, eine Sehnsucht im Herzen: die zu einer egyptischen Mumie. Da kam mir eines Abends, als ich traurig und sinnend auf dem Fußgestelle eines mir ehedem auch sehr werthen Elephantenskelett’s saß, der Gedanke, daß es wohl möglich sey, eine solche egyptische Mumie in vollkommener Aehnlichkeit, den Kennern selbst zur Täuschung, nachzumachen. Mein Herz flammte empor in neuer hoffnungsvoller Liebesgluth! Von den Flügeln der Sehnsucht und Hoffnung getragen eilte ich ins theatrum anatomicum. Hier hatte ich gerade einige der reizendsten Cadaver