Die Mumie von Rotterdam, Zweiter Theil - Döring, Georg - kostenlos E-Book

Die Mumie von Rotterdam, Zweiter Theil E-Book

Georg, Döring

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Project Gutenberg's Die Mumie von Rotterdam, Zweiter Theil, by Georg DöringThis eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and mostother parts of the world at no cost and with almost no restrictionswhatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms ofthe Project Gutenberg License included with this eBook or online atwww.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll haveto check the laws of the country where you are located before using this ebook.Title: Die Mumie von Rotterdam, Zweiter TheilAuthor: Georg DöringRelease Date: September 6, 2014 [EBook #46778]Language: German*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE MUMIE VON ROTTERDAM ***Produced by Martin Oswald and the Online DistributedProofreading Team at http://www.pgdp.net (This book wasproduced from scanned images of public domain materialfrom the Google Print project.)

Anmerkungen zur Transkription:

Die Rechtschreibung und Zeichensetzung des Originals wurde weitgehend übernommen. Lediglich offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert; Wörter, die in voneinander abweichenden Schreibweisen auftraten, wurden an die in überwiegender Mehrheit oder im ersten Teil verwendete Schreibweise angeglichen. Eine Liste vorgenommener Korrekturen befindet sich am Ende des Textes. Die Originalvorlage ist in Fraktur gedruckt; davon abweichende, in Antiqua gedruckte Textstellen sind hier kursiv wiedergegeben. Gesperrt gedruckte Textstellen sind auf Ebook-Betrachtern fett wiedergegeben. Das Titelbild für Ebook-Betrachter wurde vom Bearbeiter erzeugt und in die Public Domain eingestellt.

Die Mumie von Rotterdam.

Novelle

in zwei Theilen

von

Georg Döring.

Zweiter Theil.

Frankfurt am Main.

Gedruckt und verlegt von Johann David Sauerländer.

1829.

1.

Die zwei hoffnungsvollen Schüler des Leydener Professors Eobanus Hazenbrook hatten, als sie ihn am heutigen Morgen verließen, ihre Schritte zum Haven von Rotterdam gelenkt. Es dünkte ihnen wahrscheinlich, daß Clelia van Vlieten mit ihrem Herzallerliebsten zu Wasser entflohen sey, indem sie hier nicht so leicht eine Entdeckung und Verfolgung zu fürchten hatten, als auf einem Landwege.

»Sandis!« sagte Le Vaillant, als sie an der vorüberströmenden Maas standen und zahllose Schiffe ab- und zufahren sahen, »wir sind ein Paar irrende Ritter geworden aus den Zeiten der Tafelrunde und ziehen auf Abentheuer, wie die Helden Lancelot und Parcival. Aber wo ist unsere Dame vom See, wo ist das heilige Graal? — Da fahren Schiffe nach Ost- und Westindien, nach Constantinopel und Copenhagen, sie alle wissen das Ziel ihrer Reise, den Weg, den sie zu nehmen haben, aber wir stehen schon hier, wie vor einem bezauberten Schlosse, das uns hundert Pforten zeigt, aber keine vor uns aufthut, weil wir den Talisman nicht kennen, der sie eröffnet.«

»Es wird sich Alles finden!« erwiederte der ruhige La Paix. »Nur nichts übereilt, nur nicht Sturm gelaufen am unrechten Orte. Festina lente! sagen die Alten und der Professor, und ein Sprüchlein, das sich seit tausend Jahren bewährt hat, kann uns wohl auch zum Frommen gereichen. Haben wir doch jetzt Ferienzeit, Geld im Sacke und sind der Aufsicht des lästigen Professors entledigt. Mag er seine egyptische Gelehrsamkeit auskramen, wo er will, uns soll das freie Leben behagen und wenn wir in dieser Zeit den Musen opfern, so müssen es holländische seyn im Spitzenhäubchen und Silbermieder!«

»Cadédis!« rief sein Freund. »Das heißt weise gesprochen. Wir wollen deine Lebensphilosophie so lange in’s Praktische übersetzen, wie es unsere Gelder aushalten. Aber die Hauptsache ist, daß wir erst wissen, wo der Wind die Amasia hingeweht hat, die wir aufsuchen sollen. Ist es zu Lande, so führen wir in unsern Börsen Alles, was wir bedürfen; ist es aber zu Wasser, so müssen wir reichlich für die nothwendigsten Lebensmittel sorgen: als da sind geräucherte Würste, Wildpret, Austern, Mandeln, Rosinen und Zucker; dann jene Getränke, deren wir durchaus bedürfen, um Jugend und Leben zu conserviren: den belebenden Genever, den kräftigen Rhum, den beruhigenden Burgunder und das treffliche Bier aus Löwen, dem man mit Recht den königlichen Namen des Pharao gegeben hat.«

»Nimm dich in Acht!« ermahnte La Paix und zeigte mit der erhobenen Hand nach einem Manne in der Kleidung eines gemeinen Schiffers, der schlafend so hart am Rande des Havenbassins lag, daß er bei der geringsten Bewegung hinabfallen konnte. »Nimm dir ein Beispiel an dem Burschen! Der scheint auch dem hold belebenden Genever so lange zugesprochen zu haben, bis er den Gang am Havenbassin für seine Hangematte angesehen und sich unbekümmert hingelegt hat zum Schlafe, aus dem ihn ein unruhiger Traum in den ewigen befördern kann. Komm her, Le Vaillant! Wir wollen ein gutes Werk thun! Nimm du den Schläfer bei den Schultern, ich nehme ihn an den Füßen. Da legen wir ihn zur Seite, mit dem Kopfe auf die Wollsäcke dort, und wir können so uns einbilden, ein Menschenleben gerettet zu haben.«

Le Vaillant griff sogleich zu. Aber er that dieses so derb, daß der Seemann, während sie ihn nach dem von La Paix bezeichneten Platze trugen, halb erwachte und, ihr Benehmen mißverstehend, heftig mit den Fäusten um sich schlug.

»Seyd Ihr es, Myn Heer Cornelius van Daalen?« rief er, ohne die Augen zu öffnen, mit lallender Zunge und noch von der Macht des betäubenden Wachholderrausches befangen. »Soll ich Euch noch einmal an Bord der Syrene führen, wie ich in dieser Nacht gethan, mit der schönen Jungfer, die sich so gar innig an Euch schmiegte! Kommt nur her! Die Brücke liegt. Gleich sind wir drüben, wo Capitän Jansen Euch erwartet.«

»Bei allen Reichthümern der Gascogne!« rief Le Vaillant, indem er den verstummenden Trunkenbold ziemlich unsanft auf die Wollsäcke hinwarf. »Jetzt wirst du dich doch überzeugen, daß der Wachholder gar kein zu verachtendes Getränk ist, denn er lös’t die Zungen und öffnet die Herzen. Er ist uns der Compaß geworden, nach dem wir unsere Fahrt regeln können. Aber der Bursch muß noch mehr reden! Ich will ihn mit meiner Degenspitze kitzeln, bis er munter genug geworden ist, um die ganze Entführungsgeschichte ausführlich zu erzählen.«

»Bist du rasend?« sagte La Paix und hielt den Unbesonnenen zurück, der schon den Degen halb entblößt hatte. »Siehst du dort die stämmigen Bursche herumschlendern, seine Freunde und Cameraden, die jetzt gerade ein müßiges Stündchen hätten, um es bei der geringsten Gewaltthätigkeit gegen ihn, mit einer gymnastischen Uebung auszufüllen, die uns übel bekommen dürfte? Sieh, wie sie schon argwöhnisch ihre Blicke auf uns richten! Wir müssen die Sache anders anfangen. Wir wissen nun schon genug, um in wenigen Augenblicken ganz im Reinen seyn zu können. Laß mich nur machen! Jene selbst sollen uns das Uebrige sagen, aber dazu müssen wir ihr Vertrauen gewinnen.«

Er beugte sich nun zu dem Schlafenden herab. Er faßte ihn so sanft und zart an, wie er nur vermochte, legte ihn möglichst bequem auf die Wollsäcke und steckte ihm, so daß es die näher tretenden und neugierig gaffenden Seeleute deutlich bemerken konnten, ein Stück Geld in die halbgeöffnete Hand.

»Richtig!« sagte jetzt einer von diesen, der ganz nahe herangekommen war. »Es ist Peter Trip von der Barke Syrene, Capitän Jansen. Er kann das Trinken nicht lassen, bis ihn der Verstand verläßt und, ich wette zehn holländische Dreidecker gegen eine spanische Galliotte, daß er sich an derselben Stelle benebelt hat, wo Ihr ihn fandet. Aber woher mag er das Geld bekommen haben? Niemand borgt ihm mehr und sein Capitän hebt ihm schon seit lang den Sold auf, damit er in seinen alten Tagen etwas hat.«

Indem die Schiffleute sich über diesen wichtigen Gegenstand in die scharfsinnigsten Vermuthungen verloren, zeigte sich La Paix noch immer thätig, dem Schlafenden eine recht bequeme Lage zu verschaffen. Er zupfte bald an den Wollsäcken, auf welchen er hingestreckt lag, bald suchte er ihn mit den in Unordnung gerathenen Kleidern gegen die kühle Luft zu verwahren, bald rückte er ihm den schweren sinkenden Kopf zurecht.

»Bemühet Euch nicht so sehr um ihn!« hob jetzt wieder der Mann an, der vorher gesprochen hatte. »Er schläft jetzt sein Stück weg, bis der Wachholder all verdampft ist, der ihm den Kopf einnimmt. Er fühlt auch nicht, ob er weich oder hart liegt, denn seine Knochen sind die Steine mehr gewohnt, als ein Bett oder die Hangematte. Sein Herr ist heute Morgen in aller Frühe nach Antwerpen unter Segel gegangen. Der Peter thut nicht mehr gut auf dem Schiffe. Er ist zu steif und zu faul. Deshalb läßt ihn der Capitän immer daheim, damit er im Gewölbe die Kisten und Ballen verwahre, die für die nächste Fahrt eingebracht werden.«

»Nach Antwerpen? Morgué! dahin müssen wir auch,« fuhr Le Vaillant unbesonnen heraus, »und noch in dieser Stunde.«

Der französische Schwur, der übereilt seinen Lippen entflohen, machte sogleich die Matrosen stutzig. Sie sahen ihn finster an. Sie flüsterten einander ihre Vermuthungen zu und einige ballten schon drohend die kräftigen Fäuste, um sie im nächsten Augenblicke vielleicht den Feind des Vaterlandes empfinden zu lassen. Da trat der besonnene La Paix dem leichtsinnigen Freunde ebenso heftig, wie bedeutsam, auf den Fuß und sagte zu den Umstehenden mit seiner sanften, fast mädchenhaften Stimme:

»Wir sind Wallonen, liebe Leute. Wir kommen von Leyden und wollen in die Heimath, um unsere Eltern zu besuchen. Aber wir haben Eile. Wir wären heute Morgen schon gern mit der Syrene abgefahren, doch sind wir zu spät gekommen und wir sahen die Barke schon in weiter Ferne, als wir am Haven anlangten. Da, Freunde, trinkt einmal auf unsere Gesundheit! Sagt mir aber auch, ob wir nicht gleich Gelegenheit finden können, auf irgend einem schnellen Fahrzeuge der Syrene nachzusegeln und sie noch während ihrer Fahrt zu erreichen?«

»Nichts leichter, als das!« erwiederte sehr freundlich der Seemann, der sich selbst zum Sprecher aufgeworfen und das Geld genommen hatte. »Seht Ihr dort den Kutter, der eben anfängt sich zu bewegen und hin und her zu schaukeln auf den Wellen? Die Leute drauf sind im Begriff, die Anker zu lichten und in Zeit von fünf Minuten sind alle Segel aufgespannt und er tritt seine Fahrt durch den Biesbosch und das Hollands-Diep nach Middelburg an, um die Binnengewässer von den kreuzenden Dons rein zu fegen und zu kehren. Der holt die Syrene noch vor Abends ein. Kommt in meinen Nachen! In zwei Minuten bring’ ich Euch an Bord. Der Capitän ist ein Seehund, der ein Dutzend Spagnols zum Frühstück aufzehrt. Aber er liebt auch das Geld und wenn Ihr nicht karg seyd, so nimmt er Euch gern mit. Es giebt dann auch wohl Gelegenheit, Euere Bratspieße auf die Dons zu versuchen, denn, wie es heißt, so treiben sie die Frechheit so weit, ihre Flagge im Biesbosch und im Diep blicken zu lassen.«

»Das könnte mir gefallen!« sagte mit einem behaglichen Lächeln Le Vaillant zu La Paix in lateinischer Sprache, während beide dem Schiffer zu seinem Kahne folgten. »Wenn ich meinen Degen einmal an einem andern wetzen kann, so gilt mir’s gleichviel, ob’s an einem englischen oder an einem spanischen geschieht. Ich kann so die Hidalgo’s nicht leiden wegen ihres Hochmuths und das Bündniß, das sie mit unserm allergnädigsten Ludwig geschlossen, ist ganz und gar nicht nach meinem Sinne.«

Mit der Schnelligkeit eines Pfeiles durchschnitt das kleine Fahrzeug, in dem sie sich befanden, die Wellen. Es wurde von acht kräftigen und geübten Armen fortbewegt. Sie erreichten den Kutter gerade in dem Augenblicke, als der letzte Anker gehoben werden sollte. Ihrer Aufnahme stellte sich keine Schwierigkeit entgegen und, von günstigen Winden fortgetrieben, hatten sie bald die gute Stadt Rotterdam aus den Augen verloren.

La Paix grollte mit seinem Freunde, der unbesonnen und voreilig wie er einmal war, die unmäßige Forderung des Capitäns sogleich bewilligt hatte, ohne weiter zu handeln. Er ging auf der einen Seite des Verdeckes mit untergeschlagenen Armen auf und nieder, während jener, trotzig den Groll erwiedernd, auf der anderen Seite, nur mit schnelleren und unruhigeren Schritten dasselbe that. La Paix war im Grunde ebenso reizbar wie Le Vaillant, nur hatte er sich gewöhnt eine Sanftmuth und Ruhe zu affectiren, die viele für eine wirkliche Eigenthümlichkeit seines Characters hielten. Aber manche seiner Mitstudenten in Leyden mußten sich schon überzeugen, daß er ebenso leicht zu beleidigen und ebenso bereit sey, jede Beleidigung zu rächen, wie sein Landsmann aus der Gascogne. Dabei war sein Groll tiefer und dauernder. Was Le Vaillant in einer Viertelstunde längst wieder vergessen hatte, das nagte noch lange an der Seele seines Freundes und konnte durch den geringsten Anstoß zu einem Ausbruche des Unwillens angeregt werden, der sich nur schlecht unter der Maske eines kalten und ruhigen Spottes verbarg.

In den Anblick der vorübereilenden Ufer verloren, die der lebhaften Empfänglichkeit Le Vaillant’s manchen Anziehungspunkt boten, dachte dieser bald nicht mehr an den unbedeutenden Zwiespalt und dessen Gegenstand. Erst, als er dem Freunde am Vordertheile des Schiffes begegnete und die spöttische Miene bemerkte, mit der ihn dieser betrachtete, kam ihm die Sache wieder in’s Gedächtniß. Von jeher war ihm nichts so verhaßt gewesen, als der kalte Hohn, in den La Paix bei solchen Gelegenheiten sich wappnete. Auch in ihm wurde die Galle jetzt wieder rege und er sagte, indem er, die Hand an das Gefäß seines langen Raufdegens legend, vor dem Cameraden stehen blieb:

»Corbleu, Sire La Paix, Ihr macht ein Gesicht, als suchtet Ihr Händel! Uebrigens ist Euch bekannt, daß der Mann, der einem Waffengang nie aus dem Wege geht, nicht fern ist und ich muß Euch ersuchen, Euere spöttischen Blicke nicht auf ihn, sondern nach einer andern Seite zu richten, wohin es Euch sonst belieben mag.«

»Ich sehe hin, wohin ich will und ob ich spöttisch oder zärtlich blicken mag, das liegt ebensowohl ganz in meinem Willen;« erwiederte mit erkünstelter Kälte La Paix. »Im Uebrigen beruhige dich, guter Le Vaillant!« fuhr er in einem Tone des Hohns fort, der seinem Freunde über Alles verhaßt und unerträglich war. »Wir wollen uns nicht entzweien! Ich habe mir im Gegentheile vorgenommen, für dich die Wohlthätigkeit fremder Leute anzusprechen, wenn du unser sämmtliches Reisegeld großmüthig verschleudert haben wirst, damit es dir wenigstens nicht an einem Diner de Gascogne, an einer Zwiebel und einem Stück Brod fehlt!«

»Cadédis!« fuhr Le Vaillant auf: »ich glaube gar, du willst meines Vaterlandes spotten? Laß dir das vergehen oder es ist aus mit unserer Freundschaft! Freilich speist man gern Zwiebeln an den Ufern der Garonne, aber wenn das geschieht, so kommt es daher, weil eine gascognische Zwiebel delikater ist, als Alles, was das Raffinement Euerer Pariser Küche ersinnen kann. Sandis! du solltest Zwiebeln mit mir gefrühstückt haben im Garten meines Vaters, als ich manchmal, da ich noch ein Knabe war, gegen sein Verbot hinein schlich und naschte und nicht aufhören konnte zu naschen. Ich habe köstliche Dinge später kennen gelernt in Frankreich und im Auslande, aber aller Wohlgeschmack der Südfrüchte, der Seefische und der Austern ist nur ein Schatten gegen die Delicatesse einer Zwiebel in meiner Heimath.«

Le Vaillant war bei dem Lobe seines Vaterlandes wieder in seinen gutmüthigen Ton gerathen und es wäre Alles freundlich zwischen den beiden jungen Leuten abgethan worden, wenn der Andere ebenso schnell seinen Groll vergessen und seine Neckereien hätte lassen können. La Paix aber begann aufs Neue in jenem kalten spöttischen Tone:

»So lange du deine Gasconaden nur auf die Zwiebeln beschränkst, kann ich sie mir wohl gefallen lassen. Willst du sie aber auf meinen Beutel erstrecken, so muß ich sie mir verbitten. Schon zu oft haben deine Sottisen ihn in einen Zustand der Schwindsucht versetzt und mein Vater dürfte endlich müde werden, an einem unheilbaren Kranken immerfort zu curiren.«

»Sottisen?« entgegnete ernst und gesetzt Le Vaillant, indem er mit dem Anstande eines Mannes, der wohl weiß, daß bei einer Ehrensache kein Punkt ritterlicher Courtoisie aus den Augen gesetzt werden darf, einen Schritt zurückthat. »Das ist eine Beleidigung, wie Ihr wißt, die nur mit dem Degen in der Hand wieder gut gemacht werden kann, Sire La Paix. So es Euch beliebt, wollen wir gleich einen Gang mit einander machen und ich hoffe, da ich bis jetzt noch keinen Mangel an Muth bei Euch wahrgenommen, Euch dazu bereit zu finden.«

»Gewiß, Sire Le Vaillant!« versetzte der Aufgeforderte, dessen natürlichem Muthe jetzt die erkünstelte Ruhe wich. »Noch nie habe ich eine Einladung dieser Art ausgeschlagen, besonders wenn sie von den Ufern der Garonne kam, wo der Muth mehr auf der Zunge, als an der Degenspitze sitzt.«

»Zieh!« rief durch diesen neuen Spott zum Uebermaße gereizt, der Gegner mit ausbrechender Wuth. »Deinesgleichen habe ich schon ein Dutzend vor meiner Degenspitze hergetrieben. Sandis! Ich will deine Klinge zerbrechen und hinwegschleudern, daß du sie in den Fluthen der Nordsee wieder suchen sollst!«

Bei allem Ernste der Sache mußte La Paix laut auflachen über diese ungeheuere Gasconade. Le Vaillant wurde nun noch wüthender. In einem Augenblicke waren beide mit den gewaltigen, den ganzen Vorderarm bedeckenden Stulpenhandschuhen bekleidet, die sie im Gürtel bei sich führten.

»En garde!« schrie der junge Gascogner, mit dem Degen in der Hand zum Ausfalle gerüstet.

La Paix stand ihm ruhig gegenüber. Auch er hatte den Degen gezogen und schien den Angriff des Freundes, den er, wie er jetzt wohl einsah, muthwillig selbst zu seinem Gegner gemacht hatte, zu erwarten. Sein sanftes Angesicht, seine schlanke Gestalt, die sich in der zierlichen Fechterstellung auf das Vortheilhafteste zeigte, gaben ihm das Ansehen einer Amazone, deren Muth dem Vertrauen auf ihre Kunstfertigkeit gleich ist.

Aber es sollte kein Blut vergossen werden zwischen den beiden Freunden! Le Vaillant hatte zweimal den drohenden Appell, wie ihn die französische Fechtersitte vorschreibt, durch Stampfen mit dem Fuße gegeben, er war eben im Begriffe, beim drittenmale auf die Brust des Freundes auszufallen; als plötzlich hart an seiner Seite eine tiefe Baßstimme laut ward und zugleich ein schwirrender Ton über ihren Häuptern erklang.

»Halt da!« gebot die Baßstimme mit dem Ausdrucke einer Bestimmtheit, der die Arme der Kampflustigen lähmte. »Wer es wagt und den Degen zückt auf den andern, dem zerschmettere ich im Augenblick das Gehirn. Rauferei, Meuterei auf meinem Schiffe? Seh doch einer die Gelbschnäbel! Habe ich Euch den Platz auf dem Kutter vermiethet, daß Ihr hier Lärm anfangt und mir das Verdeck mit Euerem Blute besudelt? Hier bin ich Herr: Capitän Jonas! Hinein mit den Klingen in die Scheiden oder Ihr sollt lernen, was es heißt, gekielholt werden!«

Die beiden unbesonnenen jungen Leute sahen sich umringt. Mehrere Matrosen hatten einen Kreis um sie geschlossen. Der Capitän und seine Leute schwangen mit drohenden Gebehrden schwere Ruder über ihren Häuptern und ein Wort, ein Wink des Capitäns, so fielen diese nieder zu zermalmenden Schlägen. Die Blicke, mit denen Le Vaillant und La Paix diese rasch und in aller Stille getroffenen Anstalten musterten, sprachen deutlich ihre Betroffenheit und die Erkenntniß aus, daß eben hier kein anderes Heil, als in unbedingter Unterwerfung zu finden sey.

Unter dem hoch gehobenen rechten Arme des Capitäns blickte das lächelnde Antlitz eines schönen, etwa zwanzigjährigen Mädchens hervor. Sie schien sich an der Verlegenheit der zwei Jünglinge zu weiden. Das halb verbissene Lachen gab ihren Zügen etwas sehr Schalkhaftes und Reizendes. La Paix bemerkte sie zuerst und sein leicht entzündbares Herz fing sogleich Feuer an den lebhaften Augen des schönen Mädchens. Wie sein Freund übereilt und vorschnell in allen Dingen war, so war es La Paix allein in der Liebe, aber hier auch in einem solchen Uebermaße, daß er, wenn er verliebt war, leicht zu allen übrigen Fehlern verleitet werden konnte, von denen er sonst mit allem Aufwande von Beredsamkeit seinen Cameraden abzuhalten suchte. Glücklicherweise war seine Liebe ebenso flüchtig, wie stark. Der Anblick des reizenden Wesens gab ihm seine Fassung zurück. Mit einem lauten Gelächter und indem er den Degen rasch in die Scheide schob, ging er auf Le Vaillant zu, bot diesem freundlich die Hand und sagte in französischer Sprache, von der er voraussetzte, daß sie keiner der Anwesenden verstünde:

»Soyons amis, Cinna! Wir waren nahe daran, einen dummen Streich zu machen und ich war daran Schuld. Gieb mir die Hand, Le Vaillant! Ich habe dich gekränkt, mein Freund, aber du hast nun einige Grobheiten voraus, die du mir bei Gelegenheit mit Interessen wiedergeben darfst!«

Der leidenschaftliche, aber dabei gutmüthige Gascogner schlug ein.

»Sandis!« sagte er. »Du mußt es auch nicht gar zu grob machen. Wo soll ich sonst die Interessen herausbringen, ohne wieder den Degen zur Hand zu nehmen?«

Jetzt trat La Paix zu dem Capitän. Dieser blickte ihn aus dem einen Auge, das ihm bei einem mißlungenen Versuche, ein englisches Linienschiff durch einen Brander in die Luft zu sprengen, übrig geblieben war, finster und argwöhnisch an. Seine Leute hatten zwar die Ruder sinken lassen, aber in ihren Gebehrden lag noch so viel Drohendes, daß der Jüngling wohl einsah, er müsse alle seine Gewandtheit aufbieten, um das bisherige gute Vernehmen wieder herzustellen. Besonders fürchtete er, daß man sie als Franzosen erkennen möchte und dann war’s vorbei mit allen schönen Plänen, mit allen zu erwartenden Abentheuern.

Capitän Jonas, eine kurze stämmige Gestalt, war schon ein Fünfziger. Sein Kopf zeigte einen nackten Scheitel, von einem schwarzen Sammetkäppchen leicht bedeckt. Auf der Stelle, wo sein rechtes Auge gesessen, lag ein Pflaster, das linke schien die beiden Jünglinge zu durchbohren. Er stand da, wie ein Richter, der das Bekenntniß eines Schuldigen erwartet. Neben ihm war seine Tochter hervorgetreten, die reizende Juliane, in deren anmuthigen Gesichtszügen ein Ausdruck von Leichtsinn, der dem Menschenkenner unangenehm auffallen mußte, überwiegend hervortrat. Sie hatte seit früher Kindheit alle Kreuz- und Querzüge des Vaters auf Flüssen und Meeren mitgemacht, hatte immer unter Männern gelebt und war von dem Alten, der Alles, außer dem Dienste und der Schiffsordnung, gleichgültig ansah, ganz ihren Neigungen überlassen worden.

Indem der zierliche La Paix sich beiden näherte, wendete sich seine Verbeugung mehr nach der Tochter, wie nach dem Vater hin.

»Verzeiht, wohlmögender Heer,« sagte er in gutem Holländisch und mit einem feinen Lächeln auf den Lippen, zu diesem, »wenn ich Euch bemerken muß, daß Ihr von einem Irrthume befangen, mich und meinen Freund in einem ernstlichen Handgemenge wähntet. Wie kämen wir dazu: Stuben- und Schlafgenossen seit langer Zeit? Wir wollten uns die Zeit vertreiben mit einem leichten Fechterspiele, mit einer Uebung, wie wir sie Morgens gewöhnlich unternehmen. Freilich hatten wir Unrecht, Euch nicht zuvor davon in Kenntniß zu setzen und ich würde untröstlich seyn, wenn unsere Unbesonnenheit vielleicht diese zarte Jungfrau erschreckt hätte!«

»Nein, nein!« entgegnete lachend Juliane. »Ich bin nicht so schreckhaft, wie Ihr Euch einbildet, und habe schon ganz andere Dinge gesehen, als ein Paar junge Leute, die mit ihren Degen ein zweckloses Spiel trieben. Auch erkannte ich gleich,« setzte sie mit einem listigen Blicke hinzu, »daß das Ganze nur auf einen Scherz abgesehen war. Deshalb wird’s auch der Vater nicht so genau nehmen, denn ein Scherz ist kein unerlaubtes Ding an Bord des lustigen Freiers von Rotterdam.«

Der Capitän schien zwar mit dieser Erklärung nicht ganz zufrieden, aber sey es, daß er dem Rathe seiner Tochter zu folgen gewohnt war, oder daß er die reich scheinenden jungen Leute nicht weiter bedrängen mochte: genug! er gab den Matrosen einen Wink, sich wieder an ihre angewiesene Plätze zu begeben und zog sich selbst brummend in die Gegend des Steuerruders zurück.

Der lustige Freier von Rotterdam segelte so schnell, daß sie bald den Haven und die weißen, glänzenden Häuser von Dortrecht zur Seite hatten. La Paix stand neben Julianen und schien bereits in ein sehr vertrauliches Gespräch mit dem Mädchen verflochten, das ihm offenbar eine große Freundlichkeit und Gefälligkeit zeigte. Sein nicht so glücklicher Freund lag auf eine Bank hingestreckt und bemühete sich, seine Aufmerksamkeit dem vierten Buche der Aeneide zu widmen, die er zu seiner Unterhaltung auf die Reise mitgenommen hatte. Aber weder Aeneas noch Dido wollten ihn heute ansprechen. Statt mit beiden in die verhängnißvolle Höhle zu wandern und sie dort zu belauschen, flogen seine Blicke oft neidisch nach dem kosenden Paare hin und als sich dieses endlich gar von dem Verdecke in das Innere des Schiffes zurückzog, warf er das Buch unwillig zur Seite und trat an das Hinterdeck, um hier seine heiße Brust durch die anströmende scharfe Herbstluft kühlen zu lassen.

»Kommt mit in meine Cajüte!« sagte Juliane, indem sie den entzückten La Paix die dunkele Treppe hinabzog. »Die hat der Vater für mich besonders einrichten lassen und wir sind da ungestörter und traulicher, als in dem großen Zimmer, wo bald den Bootsmann, bald den Vater, bald einen anderen irgend ein Geschäft hinführt. Ihr sollt sehen, wie hübsch und glänzend Alles bei mir aufgeputzt ist. Das ist so recht ein Staatszimmerchen für einen jungen Mann von nobler Herkunft, wie Ihr zu seyn scheint, Myn Heer!«

In der That schimmerten und blinkten auch die Mahagoniwände des artigen Kabinets, wie venetianische Spiegel. Allenthalben sah dem Jünglinge, neben dem seinigen, das anmuthige, schalkhafte Gesicht seiner freundlichen Begleiterin entgegen. Er hatte noch nie ein weibliches Wesen gefunden, das, nach einer so kurzen Bekanntschaft, sich ihm so zuvorkommend genähert hätte, und gewiß war unter diesen Umständen der Gedanke, daß er, wie Cäsar gekommen sey, um zu sehen und zu siegen, bei einem jungen, leicht anregbaren Franzosen sehr verzeihlich.

Eine Laute lag auf dem Seidenpolster, das längs der einen Seitenwand hinlief. Juliane schob das Instrument bei Seite und, nachdem sie schäkernd den jungen Mann zum Sitzen genöthigt, öffnete sie ein Schränkchen und holte ein versiegeltes Fläschchen und einen Teller mit köstlich duftenden Zimmetschnitten hervor.

»Wir wollen frühstücken!« sagte sie, indem sie Beides auf das Tischchen vor dem Polster stellte und sich neben La Paix niederließ. »Hier ist köstlicher Rosoli, den mir mein Oheim aus Schidam verehrt, und diese Zimmetschnitten habe ich selbst gebacken. Laßt Euch Beides munden! Wir haben noch einige Stunden, bis wir die Syrene erreichen, und die müssen wir so gut, als möglich auszufüllen suchen.«

La Paix war überselig. Er ergriff ihre Hand und zog sie an seine Lippen. Sie aber entwand sie ihm lachend, um von einem nahe befindlichen Gestelle ein Paar zierliche silberne Becher herbeizureichen, die sie mit dem süßen geistigen Getränk bis zum Rande füllte.

»Auf gut Glück in unserm Vorhaben!« sagte sie und stieß mit einem Feuerblicke, der dem Leydener Studenten tief in die Seele drang, an den Becher, den dieser ergriffen hatte. Er wurde doch ein wenig betroffen, als er Julianen den nicht gar kleinen Pokal auf einen Zug leeren sah; folgte aber, um nicht zurück zu bleiben, ihrem Beispiele und verstieß so, von seiner Verliebtheit irre geführt, schon zum erstenmale gegen seine Gewohnheit, von gebrannten Wassern nur zu nippen. Das Getränk war sehr stark. Dem zarten La Paix drängte es Thränen in die Augen, während Juliane nicht anders that, als habe sie ein Glas Wasser getrunken. Sie lachte ihn aus und schenkte von Neuem ein.

»Ihr seyd ein Student und könnt nicht trinken?« spottete sie. »Ihr sollt es von mir lernen, daß Ihr Euch nicht wieder vor einem holländischen Mädchen zu schämen braucht! Freilich sind sie nicht alle, wie ich, auf den Schiffen groß gewachsen, wo die Seeluft eine kräftige Nahrung und ein starkes Getränk erheischt; aber eine Stadtjungfer aus Amsterdam oder dem Haag verschmäht doch auch ein Gläschen Rosoli nicht, denn es reinigt die Haut und belebt das Blut. Trinkt noch einmal! Ihr sollt eine gute Lehrmeisterin an mir finden. Stoßt an! Auf das Wohl derer, die Ihr liebt!«

La Paix sah voraus, daß der Uebergenuß des ungewohnten Getränks ihm einen Rausch zuziehen würde; aber er konnte diese Gesundheit nicht ausschlagen.

»Auf Euer Wohl!« entgegnete er und zwang sich noch einmal den Becher zu leeren.

Während Juliane rasch den Inhalt des ihrigen hinabstürzte, warf sie einen forschenden Blick auf ihren Gesellschafter. Sie sah ein, daß sie ihm, zu Erreichung ihrer Absicht, nicht weiter mit Trinken zusetzen dürfe. Sie schob lachend die Gläser bei Seite, drang ihm einige Schnitte des Zimmetgebäckes auf und sagte:

»Ich wette, Euer Freund Cadédis ist mehr vertraut mit der Rosoliflasche, als Ihr! An den Ufern der Garonne gebraucht man nicht blos den Zwiebelsaft zur Stärkung der Kräfte, man kennt auch recht gut die hülfreichen Geisterchen, die in einer solchen Phiole verstöpselt und verborgen stecken.«

Diese Anspielung auf sein früheres Gespräch mit Le Vaillant, verrieth dem Studenten, daß Juliane sie belauscht hatte, daß sie ihre Sprache verstehe und, was noch schlimmer war, ohne Zweifel sie auch als Franzosen erkenne. Dennoch besaß er noch Herrschaft genug über sich, um sich nicht weiter zu verrathen. Wie hätte er auch in einem solchen Augenblicke mehr an andere Dinge denken können, als an das reizende Wesen an seiner Seite? Sie hatte ihm jetzt ihre Hand überlassen, er durfte diese an seine Lippen drücken. Sein ganzes Innere war erregt, sein Herz klopfte ungestüm, er sah mit schmachtenden Blicken die holde Juliane an, ohne den spöttischen Zug, der bei aller Freundlichkeit in ihrer Miene lag, zu bemerken.

»Himmlische Juliane!« rief er im Tone der Begeisterung. »Ihr macht mich zum Glücklichsten aller Sterblichen, indem Ihr mir erlaubt, diese schönste Stunde meines Lebens an Euerer Seite hinzubringen. O, wer immer so fort schiffen könnte, immer fort — bis an der Welt Ende!«

»Das würde sehr langweilig seyn!« lachte das Mädchen hell auf. »Hört lieber zu! Ich will Euch ein französisches Liedchen singen. Ihr liebt ja die französische Sprache!« setzte sie scharf betonend hinzu, »und vielleicht behagt Euch mein Lied besser, als mein Rosoli, und meine Zimmetschnitten.«

Sie ergriff die Laute und stimmte ein leichtsinniges Lied an. Ihre liebliche Stimme steigerte das Entzücken des schwärmerischen Jünglings zu einem hohen Grade; seine Augen hafteten an den zierlichen Fingern, die leicht und gewandt über die Saiten flogen. Aus ihren Blicken sprüheten Blitze auf ihn, die Worte des Liedes sagten noch mehr: um keine Schätze der Welt hätte La Paix diese Augenblicke hingegeben!

Das Lied war erst zur Hälfte, als Juliane plötzlich die Laute auf’s Polster warf, ihr hübsches Gesichtchen in verdrießliche Falten legte und mit dem Ausdrucke der Ungeduld ausrief:

»Mein Himmel, auch der Gesang langweilt mich! Wir müssen etwas Anderes vornehmen. Wir sind noch nicht im Biesbosch,« fuhr sie fort, indem sie durch’s Fenster sah, »wir müssen Alles aufbieten, die langweilige Fahrt erträglich zu machen. Da habt Ihr ein Andenken an diese Stunde, lieber Junker! Es ist ein Riechfläschlein mit köstlichem Balsam, das mir wiederum der gute Oheim in Schidam verehrt. Denkt dabei manchmal an die fröhliche Juliane, die es so gar gut mit Euch gemeint!«

Bei diesen Worten zog sie ein Schublädchen aus dem Tischchen und nahm, während La Paix mit wonnetrunkener Miene das süße Aroma des Büchschens in sich sog, Würfel und Karten hervor. Der Student achtete nicht darauf. Er war, nachdem er das Geschenk in der Nähe des Herzens wohl verwahrt hatte, beschäftigt, ein goldenes Kettchen von seinem Halse loszumachen, an dem sich eine werthvolle Schaumünze von demselben Metall befand. Beides hatte er in der Abschiedsstunde von seiner Mutter erhalten, und er achtete es über Alles hoch. Aber der Sinnentaumel riß ihn fort. Was er in einem Zustande ruhiger Besonnenheit um keinen Preis hingegeben haben würde, fiel jetzt der listigen Juliane als eine willkommene Beute zu.

Sie hielt die glänzende Gabe ans Licht, betrachtete sie mit lüsternen Blicken und fragte endlich im Tone des Zweifels:

»Ist’s gut Gold, lieber Junker? Man muß doch wissen, was man trägt von so werther Hand.«

»Gewiß!« betheuerte La Paix. »Aecht Peruanisches! Mein Großvater hat es selbst aus Amerika mitgebracht. O, glaubt mir, himmlische Juliane, so lauter und stark, wie dieses Metall, ist die Liebe, die ich zu Euch im Herzen trage!«

»Charmant!« versetzte die himmlische Juliane, indem sie die schöne Kette mit dem Schaustück behaglich in ihr Mieder schob. »Aber laßt uns Eins würfeln, Herzensjunker! Blos zum Scherz, einen Gulden den Einsatz und wer zuletzt gewonnen hat, der lacht den andern aus! Ich würfle für mein Leben gern. Die Stunden verfliegen, wie Minuten, und das Spiel versetzt in eine so angenehme Spannung, die ich mit Nichts in der Welt vergleichen kann. Kommt her! Da ist mein Satz. Die Sache wird bald abgethan seyn, denn viel darf ich nicht wagen, weil mich der Vater sehr knapp hält im Gelde.«

Sie schüttete ihr kleines Börs’chen auf dem Tische aus. Was hätte La Paix in dem Zustande der Liebe und halber Trunkenheit, in dem er sich befand, dem verführerischen Mädchen abschlagen können? Er setzte und verlor rasch hintereinander. Sie neckte ihn mit seinem Verluste und meinte, er sey nicht stärker im Spielen, wie im Trinken. Diese Neckerei reizte den jungen Mann, der ganz aus seinem gewöhnlichen Geleis gekommen war, immer mehr. Die Sätze wurden verdoppelt, das Glück blieb Julianen getreu. Während des Spiels unterhielt sie ihn mit kurzweiligen Reden, nannte ihn bald ihren Herzensjunker, bald ihr liebstes Studentchen, und ihre freundlichen Blicke verwirrten ihn noch überdem so sehr, daß er gar nicht bemerkte, wie ihr kleiner Finger oft auf den Tisch huschte, einen ihr ungünstigen Wurf in einen günstigen verwandelnd, und wie sie zuletzt sogar ganz andere Würfel unter dem Tischchen hervorbrachte und mit diesen gegen ihn und die schon vorhandenen spielte. Es war noch keine halbe Stunde vergangen, als der letzte Gulden aus des Studenten Börse zu ihr hinüberflog und dieser den leeren Beutel verlegen vor sich hinhielt.

Aber das laute Gelächter, das Juliane, indem sie aufstand, erschallen ließ, brachte ihn einigermaßen zur Besinnung. Der dumme Streich, den er gemacht hatte, wurde ihm klar; allein noch ließ ihn die Liebe nicht aus ihren Schlingen.

»Herrliches Mädchen!« rief er aus und schritt ihr mit geöffneten Armen nach: »Alles was ich besitze gehört Euch, aber nehmt auch mein Herz an und laßt unsere Lippen diesen süßen Bund besiegeln!«

Da veränderte sich mit einemmale Julianens ganzes Wesen. Ihre Blicke wurden finster, ihre Züge streng und ernst, sie sah den Jüngling von oben bis unten mit einer geringschätzigen Miene an und sagte wegwerfend:

»Was fällt Euch ein, Junker? Ihr müßt wohl wenig mit ehrsamen Jungfrauen umgegangen seyn, daß Ihr eine Freundlichkeit, wie sie das gesellige Leben mit sich bringt, für eine Aufmunterung zu unanständiger Aufdringlichkeit nehmt. Ich habe Euch Höflichkeit erwiesen und dafür gebt Ihr mir Schimpf zurück. Ich dürfte das meinem Vater entdecken und er würde diese Beleidigung auf eine Weise bestrafen, die Euer unerlaubtes Liebesfeuer wohl abkühlen sollte! Doch ich will großmüthig seyn. Ich verzeihe Euch, Euere große Jugend mag Euch entschuldigen! Wenn Ihr einmal aus den Knabenjahren heraus seyd, dann wird ein tugendhaftes Mädchen wohl eher, ohne Gefahr für ihre Ehre, bei Euch verweilen können.«

Die himmlische Juliane warf noch einen durchbohrenden Blick auf den betretenen La Paix. Dann rauschte sie schnellen Schrittes aus dem Closett, die Treppe hinauf nach dem Verdeck hin. Der Student sah ihr dumm nach. Endlich erst begriff er — zu spät — die ganze Größe seiner Albernheit. Er sah ein, daß er in das Netz einer listigen Betrügerin gefallen sey, daß er, der sonst so weise und besonnene