Die Totenbändiger - Band 20: Geisterjagd - Nadine Erdmann - E-Book

Die Totenbändiger - Band 20: Geisterjagd E-Book

Nadine Erdmann

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Beschreibung

Nach der kurzen Auszeit in Cornwall hat der Alltag die Hunts viel zu schnell wieder. Während Cam den Ghost Reapers bei ihren Aufträgen hilft und dabei weiter mit seinem Zwilling trainiert, steht für die Spuk Squads der Metropolitan Police die erste der geplanten Säuberungsaktionen an, mit denen man nach und nach alle Verlorenen Orte Londons zurückerobern will. Doch was wird die Geisterjäger im Scarlet Theater erwarten? Der 20. Roman aus der Reihe, "Die Totenbändiger", von Nadine Erdmann (Cyberworld, Die Lichtstein-Saga).

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Sammlungen



Table of Contents

Geisterjagd

Was bisher geschah

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Vorschau

Impressum

Die Totenbändiger

Band 20

Geisterjagd

von Nadine Erdmann

 

 

 

 

 

Was bisher geschah

 

Als Cam während eines Wochenendurlaubs in Cornwall in einer Grotte in eine lebensbedrohliche Situation gerät, lässt er zum ersten Mal die Zwillingskraft frei. Der Geminus nimmt daraufhin als roter Zwillingsgeist Cams Gestalt an und rettet nicht nur ihm, sondern – auf Cams Befehl hin – auch Gabriel, Jules und Matt das Leben.

 

In London halten derweil die Rifkins und die übrigen Reapers die Stellung. Sie suchen weiter leer stehende Häuser im Großraum Londons nach dem Versteck der Abtrünnigen ab, um herauszufinden, ob diese über einen eigenen Geminusträger verfügen. Verbündete innerhalb der Metropolitan Police beschatten außerdem Cornelius Carlton und die verbliebenen der Dreizehn.

 

Evan fühlt sich als Spitzel in der Akademie zusehends überflüssig. Nach Samhain ist Carlton extrem vorsichtig und zudem gut beschäftigt mit den Neuzugängen, sowohl auf Seiten der Schülerschaft als auch bei den Lehrkräften. Daher fragt Evan bei seinen Verbündeten an, ob er seinen Undercovereinsatz nicht aufgeben könnte. Aus Sorge Carltons Wut auf sich zu ziehen, wenn er die Akademie verlassen und sich wieder mit den Hunts und den Reapers treffen würde, soll Evan jedoch vorerst noch dortbleiben, weiter Augen und Ohren offen halten und vom Training profitieren, das ihm dort geboten wird.

 

Blaine unterbreitet seinem Vater seine Forderungen dafür, ihm die Dienste seines Geminus zur Verfügung zu stellen. Neben einer üppigen Bezahlung möchte er als gleichberechtigter Partner in die Organisation seines Vaters eingeführt werden und auch als solcher in der Öffentlichkeit auftauchen. Carlton erbittet sich Bedenkzeit und geht gleichzeitig seiner Vermutung nach, Cam könnte ebenfalls den Geminus in sich tragen.

 

Als die Hunts von ihrem Wochenendurlaub nach London zurückkehren, offenbart Phil Cam, dass Carlton sein biologischer Vater ist. Nachdem der erste Schock verdaut ist, keimt in Cam der Verdacht, Blaine könnte ebenfalls ein Ritualkind sein und dass er derjenige war, der parallel zur Sekte die Rituale durchgeführt hat.

Kapitel 1

 

Montag, 11. November

 

Cam saß auf dem Rücksitz von Matts Kombi und blickte hinaus auf das abendliche Camden. Es war kurz vor neun und auf den Straßen war noch eine Menge los. Camden war mit seinen Märkten, den kleinen alternativen Shops, Künstlergassen sowie vielen Pubs, Bistros und Cafés besonders bei jungen Touristen sehr beliebt, daher hatte die Stadt in den entsprechenden Bereichen Magnesiumlaternen installieren lassen, um auch abends die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten. Bis zum Mean & Evil reichten diese Sicherungen allerdings nicht. Offensichtlich ging man bei der Stadtverwaltung davon aus, die Totenbändiger, die hauptsächlich den Pub besuchten, konnten sich gegen eventuelle Geister zur Wehr setzen.

»Alles okay?« Jules, der auf der Rückbank neben ihm saß, hatte seine Finger mit Cams verschränkt. »Oder bist du enttäuscht, dass es nicht mehr Action gab?«

Cam wandte sich ihm zu und schenkte ihm ein Lächeln. »Nein. Wie der Zwilling Geister aufspürt, befehligt und vernichtet, haben wir ja mittlerweile schon ein paar Mal gesehen. Jetzt ist wichtiger, dass ich mich daran gewöhne, ihn loszulassen.« Er verzog das Gesicht. »Die Kontrolle abzugeben, fällt mir schwer, aber ich muss lernen, auf ihn genauso zu vertrauen wie auf meine Silberenergie, sonst hab ich womöglich ein ziemliches Problem, falls ich irgendwann mit meinem Zwilling gegen einen anderen kämpfen muss.«

Jules drückte Cams Finger. »Aber du gibst die Kontrolle ja nicht komplett ab, wenn du den Zwilling loslässt. Er kann sich nur eine gewisse Strecke von dir wegbewegen, danach löst er sich auf. Er kann also nicht abhauen und sein eigenes Ding durchziehen. Und bei deinem Dickschädel ist absolut ausgeschlossen, dass der Geminus dir irgendwelche Flausen in den Kopf setzt und dich Dinge tun lässt, die du nicht willst.« Er grinste und drückte Cams Finger noch einmal.

Cam schnaubte bloß, musste aber ebenfalls grinsen.

Nach dem Abendessen und dem Zubettbringen ihrer Minis war er mit dem Rest der Familie in ihr neues Haus gegangen, um dort seinen Eltern, Granny und Sky den Geisterzwilling zu zeigen. Nach dem Erlebnis in der Grotte am Freitag hatten seine Eltern ihm das Training am Wochenende untersagt, für heute aber wieder ihr Okay gegeben. In der neuen Villa waren sie ungestört und Cam hatte den Geminus mit zwei Geistern aus Silberboxen gefüttert, um dem Rest seiner Familie zu zeigen, wie der Zwilling sich verhielt, wenn er ihn freiließ. Im Anschluss daran war er mit Matt, Gabriel und Jules in den St James’s Park gefahren, um die Grünanlage noch ein letztes Mal zu überprüfen. Schon bei ihrem letzten Rundgang hatte der Zwilling dort keine Geister mehr angezeigt und da die Nachbarschaft drumherum gesäubert war, war davon auszugehen gewesen, dass auch keine neuen Biester mehr auftauchen konnten. Trotzdem hatte Matt auf Nummer sicher gehen wollen, bevor die Ghost Reapers den Park offiziell an die Stadt übergaben. Für Cam war der Rundgang zudem eine gute Gelegenheit für vertrauensbildende Maßnahmen – wie Sky sie nannte. Obwohl der Zwillingsgeist ihm in der Grotte bei Penaloe’s Cove das Leben gerettet und auch Gabriel, Jules und Matt heil aus der Höhle herausgeholt hatte, tat Cam sich weiterhin schwer damit, dem Geminus mehr Freiheiten zu gewähren. Er raufte sich zwar mehr und mehr mit ihm zusammen und bislang hatte der Zwilling ihm keinen Anlass für Misstrauen gegeben, trotzdem fiel es Cam schwer, ihm völlig zu vertrauen. Doch genau das musste er lernen und zwar schnell. Falls ihre Vermutungen sich bewahrheiten sollten und Blaine derjenige war, der losgelöst von Carltons Sekte seine eigenen Rituale durchführte, weil auch er ein Geminusträger war, hatte er mit Sicherheit keinerlei Skrupel, seinen Zwillingsgeist für alle möglichen Grausamkeiten einzusetzen. Wenn Cam also eine Chance gegen ihn haben wollte, musste er seinen Geminus bestmöglich trainieren – und ihm absolut vertrauen.

Ihn im Park freizulassen, ein letztes Mal alles nach Geistern abzusuchen und dabei verschiedene Dinge auszutesten, war eine gute Idee gewesen und hatte tatsächlich dazu geführt, dass Cam sich nach dem Rundgang noch ein bisschen mehr Sicherheit im Umgang mit dem Zwilling erarbeitet hatte. Sie hatten herausgefunden, dass der Geminus sich in einem Radius von ungefähr fünfzig Metern von Cam aufhalten musste. Bei größerer Entfernung wurde er wieder zur roten Nebelkugel und war jedes Mal freiwillig zu Cam zurückgekehrt, ganz so, als brauchte er dann die Nähe seines Trägers, um sich erneut in den Geist verwandeln zu können. Die Kommunikation funktionierte egal in welchen Zustand gleichermaßen: Cam sprach entweder in Gedanken oder laut mit dem Zwilling und dieser antwortete mit Empfindungen und Emotionen. Wie zuvor als Kugel oder Strang hatte er sich auch als Geist an alle Anweisungen gehalten, die Cam ihm gegeben hatte, und war nach dem Rundgang zu ihm zurückgekehrt, obwohl Cam deutlich gespürt hatte, dass der Geminus über die nicht vorhandenen Geister und die dementsprechend fehlende Action enttäuscht gewesen war. Cam hatte ihm die Sache zwar erklärt und sie hatten ihn am Auto zwei Geister aus Silberboxen erledigen lassen, doch es war klar gewesen, dass der Geminus es äußerst langweilig fand, sein Futter auf diese Art zu bekommen. Nichtsdestotrotz war er anstandslos in Cams Hand verschwunden, als dieser das Training für beendet erklärt hatte.

Alles in allem waren die vertrauensbildenden Maßnahmen damit sehr positiv verlaufen. Einzig die Tatsache, dass der Geminus in Geisterform Energie von Cam abzog, war ein kleiner Dämpfer, allerdings nichts, was man dem Zwilling vorwerfen konnte. Der Einsatz ihrer Silberenergie kostete schließlich auch Energie. Cam musste nur lernen, den Verbrauch des Geminus einzuschätzen. Der Kontrollgang durch den Park hatte ihn gegen Ende ziemlich geschlaucht, doch als Gabriel ihm Energie gegeben hatte, war das Schwächegefühl schnell wieder verschwunden. Der Ausgleich schien daher ähnlich zu funktionieren wie bei ihrer Silberenergie. Während der nächsten Trainingseinheiten würde Cam versuchen, sein Durchhaltevermögen beim Umgang mit dem Geisterzwilling nach und nach zu steigern. Außerdem musste er herausfinden, wie viel Energie es kostete, mit ihm zu kämpfen. Dass Geister zu vernichten, keine Energie kostete, auch dann nicht, wenn der Zwilling selbst eine solche Form annahm, hatten sie mit den Geistern aus den Silberboxen bereits getestet. Die Suche nach den Biestern mit dem entsprechenden Aufrechterhalten des Zwillingsgeistes hatte Cam dagegen nach einer knappen Dreiviertelstunde ziemlich erschöpft. Wie es aussah, wenn er den Geminus als Geist die Biester befehligen ließ, würden sie beim nächsten Training testen.

Da es noch nicht besonders spät war, überlegte Cam, ob er daheim nicht noch mal ins neue Haus gehen und dort mit ein paar Silberboxgeistern weiterüben sollte. Durch die Energie, die Gabriel ihm gegeben hatte, und die Pause, die er jetzt auf der Fahrt bekam, fühlte er sich eigentlich wieder ganz fit. Ihm war allerdings klar, dass Gabriel, Matt und Jules dann bei ihm bleiben würden. Gerade Gabriel und Matt sollten sich aber besser einen ruhigen Abend gönnen. Für sie stand morgen die großangelegte Säuberung des Scarlet Theaters an, bei der man nach den West End Arkaden einen weiteren Verlorenen Ort zurückerobern wollte. Dafür sollten die beiden ausgeruht sein und nicht am Abend vorher ewig lang Back-up spielen müssen, um ihn beim Training mit dem Geisterzwilling zu unterstützen.

Cam blickte rüber zu Jules. Die Tage in Cornwall hatten ihm gutgetan und er sah deutlich besser aus als in den letzten Wochen. Er wirkte wieder fitter und die Runde durch den Park schien ihn nicht sonderlich angestrengt zu haben. All die Stunden am Strand hatten anscheinend ein paar Wunder gewirkt. Trotzdem sah Cam Jules daheim lieber auf dem Sofa oder im Bett, um sich auszuruhen, als für eine weitere Stunde auf dem Dachboden der neuen Villa.

Ella oder Jaz mochte er auch nicht fragen. Die beiden hatten sich genau wie Connor und Sky vom Kontrollgang durch den St James’s Park ausgeklinkt. Das Wetter war nasskalt und windig und der Einsatz nur eine Routineüberprüfung. Da waren vier Leute mehr als ausreichend gewesen. Sky und Connor waren da lieber für einen Abend zu zweit in ihr Zimmer verschwunden. Ella hatte sich bei ihrem Shoppingtrip vor Cornwall jede Menge Stoffe und Schnittmuster für Babydecken und Babykleidung besorgt und brannte darauf, kreativ zu werden, und Jaz zockte ein Online-Game mit Evan. Schon am späten Nachmittag hatten Cam, Jules, Ella und Jaz mit Evan und Jack per Videocall gechattet, um sich gegenseitig auf den neusten Stand zu bringen und es war ziemlich offensichtlich gewesen, dass Jack und Evan sich immer besser verstanden. Heute hatte Jack allerdings keine Zeit, den Abend mit Evan zu verbringen, weil Nell einen Auftrag für die Reapers angenommen hatte. Da Jaz wenig Lust darauf gehabt hatte, sich bei einem langweiligen Spaziergang durch einen höchstwahrscheinlich geisterfreien Park den Hintern abzufrieren, war sie sofort begeistert gewesen, als Evan gefragt hatte, ob sie sich stattdessen mit ihm online durch ein paar monsterverseuchte Dungeons kämpfen wollte. Cam hatte nicht vor, die beiden davon abzuhalten, indem er Jaz um Unterstützung bei seinem Zwillingstraining bat. Evan musste im Moment immerhin schon oft genug allein sein.

Vorne im Wagen klingelte Matts Handy und da er am Steuer saß, aktivierte er das Freisprechen.

»Hey Nell, wie läuft’s bei euch? Habt ihr den Geist gefunden?«

»Jein.«

Auf dem Beifahrersitz hob Gabriel eine Augenbraue, bevor er jedoch nachfragen konnte, sprach Nell schon weiter.

»Wie weit seid ihr im St James? Wir könnten hier nämlich Hilfe gebrauchen.«

Matt hatte sich eigentlich an der vor ihnen liegenden Kreuzung links Richtung Hampstead Heath einordnen wollen, zog jetzt aber scharf nach rechts rüber, was ihm ein entrüstetes Hupen vom Wagen hinter ihnen einbrachte. Das kümmerte Matt jedoch herzlich wenig, als er nach rechts Richtung Lagerdistrikt abbog, wo Nell, Jack, Leslie und Dash heute Abend den Auftrag der Reapers erledigten. »Wir sind schon fertig. Was ist bei euch los?«

Kapitel 2

 

Eine Stunde zuvor

 

Nummer 34. Wir sind da.« Nell parkte den Wagen vor einem der vierzig baugleichen Wellblechschuppen, die dicht an dicht in zwei schnurgeraden Gassen am südöstlichen Ende des Lagerdistrikts von Camden standen. Der Lagerdistrikt befand sich im Norden Camdens, umfasste einen Block und hatte ursprünglich einmal zehn große Lagerhallen beheimatet, von denen aber zwei vor gut zehn Jahren einem verheerenden Großbrand zum Opfer gefallen waren. Findige Geschäftsleute hatten danach beschlossen, dass viele kleine Lagermöglichkeiten ein lukrativeres Modell waren und ließen statt der beiden großen Hallen zwei Gassen mit je zwanzig kleinen Lagerschuppen errichten. Das Geschäftsmodell war ein voller Erfolg. Besonders die Händler der Camden Markets mieteten sich dort gern ein, weil ihre Buden, Stände und Shops in den Markthallen kaum Stauraum, geschweige denn Lagerflächen boten.

Leslie warf einen Blick auf den Schuppen mit der Nummer 34, beendete ihren Flirtchat und steckte ihr Handy weg. »Sieht ja recht harmlos aus. Und in dem Ding soll sich ein Geist eingenistet haben?«

»Laut Madame Alfina, ja.« Jack, der neben ihr auf dem Rücksitz saß, löste seinen Sicherheitsgurt und stieg aus.

Er war am Mittag mit Nell und Dash zum Gespräch mit ihrer Klientin gefahren. Madame Alfina betrieb einen kleinen Esoterikladen, in dem sie von Duftkerzen, Tee und ätherischen Ölen bis hin zu Räucherstäbchen, Tarotkarten, Schutzamuletten und reinigenden Kristallen so ziemlich alles verkaufte, was das esoterische Herz begehrte. In einem kleinen Hinterzimmer legte sie außerdem Karten und vollzog Reinigungsrituale für Körper, Geist und Seele. Jack hatte keine Ahnung, ob an diesen Ritualen irgendwas dran war. Er vertrat jedoch den Leben-und-leben-lassen-Standpunkt. Wenn Leute daran glaubten und sich dadurch gut fühlten, sollte jeder so glücklich werden, wie er oder sie wollte. Und wenn Bridget Smith ihre Dienste als Madame Alfina besser verkaufen konnte, weil die Leute für eine Seelenreinigung oder eine Tarotkartenlegung ein gewisses Ambiente erwarteten, konnte er den Künstlernamen durchaus verstehen.

Da ihr Laden winzig war und sie ihr Hinterzimmer für diskrete Kundengespräche brauchte, hatte sie einen Schuppen im Lagerdistrikt angemietet, um Waren zwischenlagern zu können. Am Samstag war eine Lieferung gekommen und als sie diese am Sonntag gesichtet hatte, waren sie äußerst negative Schwingungen in ihrem Schuppen aufgefallen und sie hatte sich nach nur einer Stunde dort so schwer erschöpft gefühlt, dass sie davon überzeugt war, ein Geist musste sich bei ihr eingenistet haben, der ihr Energie gestohlen hatte. Aus Sorge darüber, dass der seelenlose Eindringling mit seinen negativen Schwingungen die positive Energie der Heilkristalle beeinflussen könnte, hatte sie deshalb gleich heute Morgen die Ghost Reapers angerufen, um ihren Schuppen von erfahrenen Geisterjägern überprüfen zu lassen.

Nell und Dash stiegen aus dem Wagen und überprüften mit einem routinierten Rundumblick die Umgebung. Die Gasse zwischen den kleinen Bauten war platzsparend geplant worden und gerade breit genug, dass zwei Fahrzeuge aneinander vorbeipassten. Zu beiden Seiten lagen je zehn Lagerräume. Auf der linken Seite gab es zwischen Nummer 25 und 26 eine Durchfahrt, über die man zur parallel liegenden zweiten Gasse mit den Nummern 1 bis 20 gelangte. Keins der Lager war größer als ein Klassenzimmer und von einfacher Bauweise. Schlichte Wellblechkonstruktionen mit weißer Schutzfarbe, die vor Rost und Seelenlosen schützen sollte. Sie hatten keine Fenster, nur ein großes doppelflügeliges Schiebetor an der Frontseite, das mit Eisenbeschlägen geschützt war. Gleiches galt für die Übergänge zwischen Wänden und Dach. Es gab keine sanitären Anlagen, nicht einmal fließendes Wasser, aber jeder Schuppen verfügte über Licht. In der Gasse befand sich dagegen keine Beleuchtung. Laternen standen nur an der Hauptstraße, die durch den kompletten Lagerdistrikt hin zu den größeren Hallen führte.

Nell ließ das Licht ihrer Taschenlampe über die Beschläge des Tors von Nummer 34 wandern und nahm dann auch die an Wand und Decke in Augenschein. »Also hier an der Frontseite sieht alles ziemlich gut aus. Kein Rost oder andere Beschädigungen.«

Dash hatte die Nachbarschuppen ähnlich abgeleuchtet. »Rundherum sieht auch alles okay aus. Madame Alfina scheint recht zu haben. Die Betreiber halten die Hütten gewissenhaft in Schuss.«

»Na ja, sie kassieren ja auch eine ordentliche Stange Geld dafür.« Nach ihrem Besuch bei Madame Alfina hatte Nell sich über die Lagerschuppenfirma schlaugemacht und war zu der Erkenntnis gekommen, dass man mit Seelenreinigung und Räucherstäbchenverkäufen anscheinend nicht schlecht verdiente, wenn Bridget Smith sich die Miete für eins der Objekte leisten konnte.

»Komm.« Dash knuffte Jack gegen den Arm. »Sehen wir uns den Bau einmal rundum von außen an, bevor wir reingehen.«

Die beiden verschwanden in den kaum einen Meter breiten Spalt zwischen Nummer 34 und 35.

Leslie war ebenfalls aus dem Wagen gestiegen, legte wie die anderen drei ihren Ausrüstungsgürtel um und zog fröstelnd den Kragen ihrer Jacke hoch, als eine nasskalte Windböe durch die Gasse pfiff. »Scheißkälte.«

Nell trat an den Kofferraum. »Mir ist Kälte lieber als schon wieder Nebel«, seufzte sie. In den Nachrichten, die sie auf dem Weg hierher im Radio gelaufen waren, hatten Meteorologen vor einer weiteren Nebelphase gewarnt, die London noch in dieser Woche drohen konnte, sollten sich die Prognosen bestätigen. »Gegen Kälte kann ich mich warm anziehen und trotzdem vor die Tür gehen.« Sie nahm einen Ausrüstungsrucksack aus dem Kofferraum und drückte ihn Leslie in die Arme. Dann schwang sie sich selbst einen zweiten über die Schulter.

»Glaubst du, wir brauchen wirklich Silberboxen?«, fragte Leslie zweifelnd. »Wenn überhaupt wird sich da drin ja höchstens ein Geist eingenistet haben und den schaffen wir zu viert locker ohne Box.«

»Berühmte letzte Worte.« Grinsend warf Nell die Kofferraumtür zu. »Wir sollten sie zumindest griffbereit ans Tor legen. Vor zwei Nächten war Vollmond und die Geister sind in letzter Zeit deutlich schräger drauf als sonst. Was Sky, Connor und Gabe von ihrem Einsatz in dem vernebelten Jugendheim erzählt haben, klang mehr als creepy. Außerdem warst du doch dabei, als Matt uns eingeschärft hat, dass wir in den nächsten Wochen immer mindestens zu dritt und nur mit voller Ausrüstung zu Aufträgen gehen und bei den Seelenlosen auf alles vorbereitet sein sollen.«

Zwei Taschenlampenkegel tauchten im schmalen Durchgang zwischen Schuppen 34 und 33 auf, als Dash und Jack dort die Wand und den Übergang zum Dach begutachteten.

»Und?«, fragte Nell, als die beiden zurück zur Frontseite kamen.

Dash hob die Schultern und schüttelte den Kopf. »Nichts. Wenn oben im Dach kein Loch ist, bleibt eigentlich nur die Möglichkeit, dass der Geist mit der Lieferung in den Schuppen gekommen ist.«

»Falls da überhaupt ein Geist drin ist«, warf Leslie skeptisch ein und ließ den Rucksack vor dem Tor auf den Boden plumpsen. »Ich will Madame Alfina ja nichts unterstellen, aber eventuell hat sich die Gute hier gestern bloß ein besonders ordentliches Räucherstäbchen angezündet. Vielleicht kamen die Schwingungen, die sie gespürt hat, nur daher. Als ich in der Kommune in Paris gelebt hab, gab es da auch eine Madame mit einem Esoterikladen und einiges von dem Zeug, das sie zum Seelenreinigen verkauft hat, hat ganz schön geknallt.«

Jack lachte auf. »Warum wundert es mich nicht, dass du das Zeug trotzdem ausprobiert hast?«

Grinsend zuckte Leslie die Schultern. »Jugend forscht.« Sie bedachte ihn mit einem vielsagenden Blick. »Ich hoffe, das tust du auch.«

Wieder lachte Jack und schüttelte den Kopf. »Bei Räucherstäbchen«, er malte zwei Anführungszeichen in die Luft, »hält sich mein Forscherdrang sehr in Grenzen.«

»Warum bist du dann hier? Ich dachte, du kümmerst dich um Evan? Ich hoffe übrigens sehr, dass zocken – was ihr angeblich das halbe Wochenende lang gemacht habt – nur Kids-Code für spannendere Dinge ist, sonst müsste ich mich nämlich mal ernsthaft mit dir unterhalten.«

Schnaubend verdrehte Jack die Augen. »Ich bin jung und brauche das Geld. Deshalb bin ich hier«, antwortete er dann, ohne auf Evan einzugehen. »Außerdem wollte Matt, dass ihr nicht nur zu dritt losgeht.«

Nell hatte ihren Rucksack zu Leslies gelegt und den Schlüssel, den sie von ihrer Auftraggeberin bekommen hatten, aus ihrer Jackentasche gefischt. Dash trat zu ihr ans Tor.

»Bereit?«, fragte Nell an Leslie und Jack gewandt, als sie das Schloss geöffnet hatte.

Die beiden hatten ihre Taschenlampen ausgeschaltet und stattdessen ihre Auraglues gezogen. Mit der anderen Hand riefen sie ihre Silberenergie.

»Bereit«, gab Leslie das Okay.

Nell und Dash packten je eine Seite der Schiebetür und zogen sie auf.

Jack wappnete sich für einen Angriff, doch nichts geschah. Das Licht der Silberenergie, die er und Leslie in den Lagerschuppen schickten, enthüllte deckenhohe Regale an allen drei Wänden des Schuppens. Jedes einzelne vollgestellt mit unzähligen Schachteln und Kartons. In der Mitte des Raums standen in zwei Reihen weitere Kartons sowie etliche Holzkisten, die allesamt zu groß waren, um sie in den Regalen unterbringen zu können. Am Ende der linken Reihe stand ein Tisch mit einer Etikettiermaschine und einem kleinen Korb mit zwei Scheren, einem Cuttermesser, Stiften und anderem Kleinkram. Daneben stapelten sich drei Rollen Panzertape.

»Oh Himmel«, hustete Nell, als sie statt von einem Geist von einer intensiven Duftwolke attackiert wurden. »Vielleicht hast du mit den bewusstseinserweiternden Drogen wirklich recht. Das stinkt hier ja noch schlimmer als in Alfinas Laden. Was zum Henker ist das?«

Leslie schnupperte. »Moschus und Patschuli«, urteilte sie dann fachkundig. »Sehr beliebt in der Aromatherapie. Je nach Dosierung wirkt es entspannend oder aphrodisierend.«

Wieder musste Jack lachend. »Und auch hier bin ich mir sicher, dass du das ausprobiert hast.«

»Natürlich. Und nein, ich lasse dich an meinen Forschungsergebnissen nicht teilhaben. Die sind nicht jugendfrei.«

Jack bedachte sie mit einem schiefen Blick. »Ich bin neunzehn.«

»Yep, aber um meine Erlebnisse verkraften zu können, musst du mindestens einundzwanzig sein.«

Jack verzog das Gesicht. »Jetzt hab ich Kopfkino.«

»Siehst du, genau deshalb warte ich noch zwei Jahre, bis ich es dir erzähle.« Sie ließ ihre Auraglue sinken. »Scheint nicht so, als wäre da ein Geist drin, sonst hätte unsere Silberenergie den doch längst rauslocken müssen.« Sie ließ ihren Strang ködernd zwischen den beiden Kistenreihen in der Mitte des Raums entlangwandern, aber kein Geist zeigte sich.

An der Tür hatte Nell ebenfalls mit einer Hand ihre Silberenergie gerufen, um das Innere des Schuppens zu überprüfen. Den anderen Arm hielt sie sich über Mund und Nase. »Es ist mir ein Rätsel, wie dieser Gestank auf Leute entspannend oder aphrodisierend wirken kann«, murmelte sie dumpf in ihren Ärmel. »Mir wird davon schlecht und ich krieg Kopfschmerzen.«

»Ernsthaft? Das riecht doch toll.« Leslie musterte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue. »Du bist aber nicht auch schwanger, oder?« Sie blickte rüber zu Dash, der seinerseits leicht alarmiert zu Nell sah.

»Was?! Nein!«, kam es von ihr im Brustton der Überzeugung. »Das Kinderkriegen überlasse ich Cleo und Sky. Jedenfalls für die nächsten paar Jahre. Ich bin einfach geruchsempfindlich. In Kaufhäusern und Drogerien mache ich um die Parfümabteilung einen großen Bogen und in Parfümerien kriegen mich keine zehn Pferde. Keine Ahnung, ob das so was wie eine Allergie ist, aber von solchen Duftstoffen wird mir schlecht und mein Schädel droht zu platzen.«

Leslie grinste. »Okay, gut zu wissen. Für dich also weder Moschus noch Patschuli, falls wir mal eine heiße Nacht miteinander verbringen wollen.«

»Definitiv nicht.« Nell musterte sie grinsend. »Jetzt fänd ich es allerdings äußert interessant zu wissen, ob das Zeug bei den heißen Nächten, die du mit meinem Bruder und Gabriel verbracht hast, zum Einsatz gekommen ist.«

Leslie lächelte spitzbübisch. »Eine Frau genießt und schweigt.« Dann wandte sie sich ab und ließ ihre Silberenergie noch einmal durch den Schuppen wirbeln. »Was ist jetzt mit dieser Hütte und dem angeblichen Geist? Offensichtlich ist hier ja nichts. Verbuchen wir das ganze also als Hirngespinst nach bewusstseinserweiternden Mittelchen und machen die Bude wieder dicht?«

»Das wäre zu vorschnell, oder?« Skeptisch ließ Dash seine Silberenergie weiter umherwandern. »Der Geist könnte ein Schatten sein, dann wäre er sicher so clever, nicht auf unsere geballte Silberenergie anzuspringen. Stattdessen versteckt er sich in einer der Kisten und macht sich wieder über Alfina her, wenn sie neue Ware holen kommt.«

Nell nickte. »Sehe ich auch so.« Wenig begeistert leuchtete sie mit ihrer Energie über die schier unzähligen Boxen, Schachteln und Kisten. »Wenn wir allerdings jeden einzelnen Karton überprüfen müssen, wird das eine verdammt lange Nacht.«

»Cam und sein Zwilling wären jetzt praktisch«, meinte Jack. »Was er heute von dem Geisterzwilling erzählt hat, klang ziemlich krass. Der Geminus konnte unsichtbare Repeater aufspüren. Da wette ich, ein Schatten hätte auch keine Chance, sich vor ihm zu verstecken.«

Nell zog ihr Handy hervor und sah auf die Uhr. »Cam ist mit Sicherheit noch im St James und den Rundgang dort sollten wir ihn auch erledigen lassen. Wenn der Park geisterfrei ist, können wir ihn schon morgen der Stadt übergeben. Dann erweitern sie das Nachtwächterteam, das sich bisher nur um Covington kümmert, hoffentlich um vier weitere Totenbändiger, die für einen sicheren Job unglaublich dankbar sein werden.« Sie steckte ihr Handy wieder zurück und deutete in den Lagerschuppen. »Lasst uns also zusehen, dass wir die Hütte allein unter die Lupe nehmen.«

Leslie stieß ein übertriebenes Seufzen aus und legte einen Arm um Jacks Schultern. »Es zerreißt mir das Herz, aber ich schätze, du wirst dich für diese Mission opfern müssen. Du bist unser Jüngster. Falls sich in einer der Kisten wirklich ein Schatten versteckt, wird er dich am leckersten finden und einem hübschen Kerlchen wie dir nicht widerstehen können, wenn du dich todesmutig und mutterseelenallein ohne Licht und Silberenergie da in die Bude hockst.«

Jack ächzte. »Ernsthaft?«