Die UFO-AKTEN 16 - Mel Maroon - E-Book

Die UFO-AKTEN 16 E-Book

Mel Maroon

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Beschreibung

White Mountains, New Hampshire, 07. April 1982
Bereits 1962 verschwanden vier Kinder spurlos in den dunklen Wäldern am Fuße des Mount Washington. Die Suche nach ihnen blieb ergebnislos. Zwanzig Jahre später setzt sich diese Reihe mysteriöser Vermisstenfälle auf schreckliche Weise fort, als eine Gruppe Wanderer nicht mehr vollzählig zurückkehrt.

White Mountains, New Hampshire, heute
Ein Leserbrief im New Hampshire Daily Journal ruft Cliff Conroy und Judy Davenport auf den Plan: Der Geist der im 16. Jahrhundert auf dem Scheiterhaufen verbrannten Catherine Ann Malone soll im White Mountain National Forest sein Unwesen treiben. Der anonyme Verfasser warnt davor, dass ihr Fluch in regelmäßigen Abständen Todesopfer fordert ... so auch dieses Jahr!


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Inhalt

Cover

Hexenfluch

UFO-Archiv

Vorschau

Impressum

Mel Maroon

Hexenfluch

Sie waren vier Freunde aus Kindheitstagen, und es war viel zu lange her, dass sie etwas gemeinsam unternommen hatten. Doch nun war die Zeit für ein neues Abenteuer gekommen!

Sie trafen sich in den Bergen von New Hampshire, um am nächsten Tag den Gipfel des Mount Washington zu besteigen. Die Stimmung war ausgelassen, als sie am Lagerfeuer saßen und sich das gekühlte Bier schmecken ließen. Sie bemerkten nicht, dass sie von leuchtenden Augen aus dem Wald beobachtet wurden.

Das Böse hatte die vier Freunde längst im Visier. Sie sollten die Nächsten sein, die dem Fluch der Hexe von Millhut zum Opfer fielen. Und das Abenteuer sollte zum grausamen Albtraum werden ...

Mount Washington, White Mountains

New Hampshire, 07. April 1982, 17:32 Uhr

»Ich bin gleich zurück!«, rief Calvin Morris in Richtung seiner Freunde, die gerade dabei waren, zwei große Zelte knapp unterhalb der schattigen, noch immer vom Schnee bedeckten Baumgrenze zu errichten.

Der perfekte Ort für ihre kommenden Pläne, am nächsten Morgen den windig kalten Mount Washington zu besteigen. Ihre Ausrüstung und Kleidung waren ausreichend, die Motivation im Übermaß vorhanden. Der spontane Trip in ihr vorgezogenes Wochenende konnte demnach beginnen.

»Du willst dich bloß vor dem Aufbau drücken!«, kam die prompte Antwort seines Kollegen Ivan Sokolow, gefolgt von dessen typischem Lachen.

Es erinnerte Calvin an den kehligen Schrei einer streitsüchtigen Krähe.

»Nein, ich muss mal. Du darfst mich gerne beaufsichtigen und Händchen halten, wenn du denkst, ich möchte bloß der Arbeit entfliehen.«

»Beeil dich lieber, sonst verpasst du den besten Teil«, mischte sich nun auch Michael Potts ein, mit dem Calvin bereits seit seiner Kindheit eine enge Freundschaft verband.

Die beiden hatten damals die Nachbarschaft aufgemischt und ihre Eltern an den Rand des Wahnsinns getrieben. Calvin sehnte sich häufig nach dieser sorglosen Zeit zurück. Heute standen Geld, Macht und Ruhm im Mittelpunkt seines Lebens. Die Karriere war dem blonden Hünen wichtiger denn je, seit er befördert und zum Produktionsleiter seiner Firma ernannt worden war. Er setzte sich nun bereits höhere Ziele.

»Ja, ja«, murmelte er, lief noch ein paar Schritte weiter in den Wald hinein und stellte sich hinter eine dichte Tanne, um sich zu erleichtern.

In dieser Zone wechselten sich Laub- und Nadelbäume ab, ehe die Vegetation mit zunehmender Höhe karger und robuster wurde. Die Äste vor seiner Nase wurden so stark vom Schnee beschwert, dass sie traurig herabhingen. Hin und wieder hörte man es tief im Inneren des düsteren Waldes knacken und ächzen. Ansonsten herrschte eine gespenstische Stille, die dem Urinierenden aufs Gemüt schlug. Er mimte zumeist den Starken, doch seine Fassade bröckelte, sobald er allein war.

»Pass auf, dass du nicht von einem Bären gefressen wirst!«, brüllte Ivan, und Michael fiel in sein seltsames Kichern ein.

Ihre Stimmen flogen mit dem nächsten Windstoß davon. Ob ihr Lagerfeuer bei der Kälte und Nässe des Holzes überhaupt gelingen sollte, würde sich erst noch zeigen. Für den Notfall hatte Michael an einen kleinen Kocher gedacht, auf dem sie ihr Abendessen aufwärmen konnten.

Lediglich William blieb still und hörte die meiste Zeit Musik über seinen Walkman. Eigentlich sagte er nie etwas, fiel Calvin nun auf. Er kannte nicht einmal Williams Nachnamen, was ihn nicht weiter störte, da er diesen komischen Kauz mit der riesigen Brille und dem dünnen, ausgefransten Haar sowieso nicht leiden konnte. William war ein typischer Mitläufer, aber niemand, der selbst voranschritt. Kein Macher, sondern jemand, der sich wegduckte, wenn es brenzlig wurde. Sobald er ihn sah, musste Calvin ungewollt an eine Kakerlake denken. Selbst bei einem Atomkrieg würde William sie wohl alle überleben.

Wieso Michael seinen entfernten Cousin ständig dabeihaben musste, blieb Calvin schleierhaft. Womöglich wollte sonst niemand etwas mit dem dürren Hänfling unternehmen, den man weder den Poppern noch den Punkern zuordnen konnte. Pures Mitleid also. Calvin hingegen störte seine Anwesenheit. Er genoss das seltene Beisammensein seiner engsten und ältesten Freunde, aber William gehörte nun einmal nicht dazu. Immer, wenn er den Mund öffnete, kamen verwirrende Geschichten von unheimlichen Sagen, Geistern und Aliens über seine Lippen. Nichts, womit sich Männer Ende zwanzig beschäftigen wollten. Viel lieber unterhielt sich Calvin über Computer, Indiana Jones oder die mysteriöse Ermordung von John Lennon keine zwei Jahre zuvor.

Kleine Wölkchen stießen aus Calvins Mund. Er fror, obwohl unterhalb der Baumgrenze warme Temperaturen herrschten. Aus Jux urinierte er auf die umliegenden Pflanzen. Die Natur war ihm bei seinen Unternehmungen gleichgültig. Vielmehr suchte Calvin das Abenteuer und den Kick, den er auf seinem Bürostuhl nicht fand. Als er den Reißverschluss seiner Hose hochzog und die frostigen Handflächen aneinander rieb, dachte er an Monica, Michaels Verlobte. Ihr letztes heimliches Schäferstündchen mit Calvin lag gerade mal sechs Stunden zurück, kurz bevor die Männer zu ihrer Reise gen Norden aufgebrochen waren. Beim Gedanken an Monicas hautenges Aerobic-Kostüm wurden seine unteren Gefilde endlich wieder warm.

»Bist du eingeschlafen, Cal?«, rief Ivan lautstark.

Sein Freund vernahm das Klappern von Heringen oder Metallstangen.

»Ich suche Holz!«, entgegnete Calvin genervt.

»Dafür, dass du mitten im Wald stehst, dauert das erstaunlich lange! Wir wissen doch alle, was du da treibst! Lass endlich die Hände von deinem Lümmel und komm her!«

Das heitere Lachen der kleinen Gruppe erscholl und ließ auch Calvin wieder grinsen.

»Im Gegensatz zu dir habe ich wenigstens ...«

Calvin brach mitten im Satz ab, als er neben sich eine Bewegung wahrnahm. Er brauchte eine Weile, um den einsamen Fuchs zwischen den Stämmen zu entdecken. Die Dämmerung erschwerte ihm die Sicht, und er kniff die Augen angestrengt zusammen. Das Tier beobachtete ihn womöglich schon länger.

Perverses Ding, du, grollte Calvin innerlich. Dir werde ich's zeigen!

Er griff an seine Seite, wo für gewöhnlich eine kleine Taschenlampe hing, und leuchtete dem Tier damit brutal in die großen runden Augen, um es zu verjagen.

Der frische Schneefall breitete ein feines feuchtes Netz wie das einer Spinne auf dem roten Fell aus, wie der Lichtkegel der Lampe offenbarte. Trotz des direkten Angriffs des jungen Mannes rührte sich der Fuchs nicht von der Stelle.

Kurze Zeit fragte sich Calvin, ob es sich wirklich um ein echtes Lebewesen oder eher um eine Wahrnehmungsstörung handelte. Bildete er sich den Fuchs womöglich nur ein? Oder spielten ihm seine Freunde einen Streich, um ihm Angst einzujagen?

»Verschwinde, du Mistvieh! Sonst pinkle ich dir auch noch auf deinen Schädel!«, fauchte er ungehalten und warf einen dicken losen Ast in Richtung der runden Augen.

Endlich sprang das Tier beiseite und bewies damit seine Lebendigkeit. Wenig später wurde Calvin erneut von seinen neugierigen Blicken durchbohrt. Er schluckte einen festen Kloß herunter und starrte zurück. So verharrten sie eine Weile, bis Calvin den Augenkontakt unterbrach, die Lampe ausstellte und den Kopf belustigt schüttelte.

»Was für ein Wahnsinn«, sprach er schmunzelnd. »Jetzt unterhalte ich mich schon mit Füchsen und habe Schiss vor so einem kleinen Tier«, raunte er sich selbst an. »Als hätte ich nichts Besseres zu tun. Lächerlich.«

Einen Augenblick später schrak Calvin zurück und wäre beinahe über eine rutschige Baumwurzel gestolpert, als die Iriden des Fuchses plötzlich zu leuchten begannen und den Waldboden bis zu seinen Wanderschuhen erhellten. Und das, obwohl die Sonne mittlerweile hinter den Wipfeln verschwunden war, und Calvin sein eigenes Licht längst gelöscht hatte. Das Tier fixierte ihn mit den zwei hellen Kugeln. Deren Leuchten blendete Calvin, der das grelle Licht mit der Hand abzuschirmen versuchte. Die Kreise wurden größer als der Fuchs langsam, aber stetig näher kam. Lautlos schlich er auf den jungen Mann zu, der sich nicht mehr rührte.

»Was zum ...«, keuchte Calvin schockiert, weil er sich das Geschehen nicht erklären konnte.

Als er sich an der Tanne neben sich abstützte, um Halt zu finden, fuhr ein heftiger Schmerz von seinen Fingerspitzen bis hin zu seinem Hals. Er biss die Zähne fest aufeinander und fühlte endlich wieder Leben in seine erlahmten Beine zurückkehren, als habe ihn jemand mit einem Stromschlag geweckt.

Calvin überwand seine Starre und begann zu rennen. Auf dem Rückweg trafen ihn feine Äste wie Peitschen im Gesicht. Sie zerschrammten seine Wangen, doch das spürte er aufgrund des vielen Adrenalins kaum, das in diesem Augenblick durch seinen Körper schoss wie eine aufputschende Droge.

Röchelnd fiel er vor seinen Begleitern auf die Knie und hustete lautstark. Calvin hatte Probleme, zu Atem zu kommen, obwohl er als ehemaliger Footballstar seiner Schule noch immer sehr durchtrainiert war. Heute fühlte er sich eher wie ein übergewichtiger Kettenraucher.

»Was ist denn mit dir passiert?«, wollten die anderen sofort wissen, mehr neugierig als besorgt.

Ihre Mienen wandelten sich jedoch bald darauf. Michael und Ivan begannen zu prusten, während Calvin immer wieder panische Blicke zurückwarf.

»Habt ihr das denn nicht gesehen? Das Licht? Den Fuchs?«, meinte er mit zitternder Stimme und wies Richtung Waldgrenze. »Das ... das war doch nicht normal!«

»Du spinnst, Junge. Hast du etwa Angst vor Füchsen? Komm, trink ein Bier und beruhige dich erst mal wieder«, lachte Michael und reichte seinem Freund eine kühle Flasche.

»Ha ha, sehr witzig«, schnaubte Calvin beleidigt, schnappte nach dem Bier und ließ einen großen Schluck davon gierig seine Kehle hinabwandern. Sofort spürte er die Wärme der letzten Sonnenstrahlen auf seinen Wangen prickeln. Er atmete mehrmals tief durch. Kleine wütende Wolken stoben aus seiner Mundhöhle. »Okay, ihr habt mich erwischt. Zufrieden? Ja, auch einem Morris kann man das Fürchten lehren.«

Die Männer wechselten verwunderte Blicke. Ihre Stirnen legten sich in Falten.

»Wir haben echt keine Ahnung von dem, was du redest, aber dir scheint wohl einer von den Geistern begegnet zu sein, von denen William immer faselt. Auf unser aufregendes Wochenende in den Bergen, Jungs!«, gab Ivan zurück und prostete den anderen zu.

Nach einer Weile beruhigte sich auch Calvins wild pochendes Herz wieder. Es gab für alles eine Erklärung, da war er sich sicher.

»Du bist ihr begegnet, oder?«, hauchte William schlagartig und sah Calvin ernst an.

Es waren die ersten Worte, die der blasse hagere Mann heute an ihn richtete. Calvin senkte den Flaschenhals und stöhnte genervt auf. Dann rieb er sich seine angespannten Augenlider, hinter denen es trommelte wie bei einem Rockkonzert.

»Nicht du schon wieder! Hör auf mit deinem Mist von den Außerirdischen und Gespenstern! Bitte! Hier ist nichts und war auch nie etwas! Ich kann es nicht mehr hören! Können wir nicht wenigstens ein Treffen ohne dich abhalten? Wieso legst du dich nicht woanders aufs Ohr und lässt uns das lange Wochenende genießen?«

»Aber die Legende von der Hexe ...«

»... ist frei erfunden, damit unbescholtene Wanderer wie wir uns von den Parks und Reservaten fernhalten«, erwiderte Calvin sofort und unterband die ewige Diskussion mit William. »Wir sollten uns lieber ruhig verhalten und kein Aufsehen erregen. Nicht wegen irgendeiner Hexe, sondern wegen der Polizei. Was glaubst du, weshalb da vorne die Warn- und Verbotsschilder stehen? Das hier ist ehemaliges Militärgelände. Ich habe eher Angst davor, auf eine nicht entschärfte Mine zu treten, als von einer jahrhundertealten Mumie angefallen zu werden, die es in Wirklichkeit nie gab.«

Er warf seine Glasflasche in hohem Bogen zwischen die Bäume, so wie er es einst auf dem Footballfeld gelernt hatte. Man hörte sie weit entfernt an einem Stamm zerschellen.

William wurde noch ein Stück blasser, wenn das überhaupt möglich war. Die Knochen seiner eingefallenen Wangen warfen im Schein der lechzenden Flammen gespenstische Schatten quer über sein Gesicht. Seine Lippen bebten, als er sagte: »Du hast sie erzürnt. Nun wird sie uns alle holen.«

»Blödsinn«, wurde er von seinem Cousin Michael beruhigt. »Trink dich lieber locker und lass uns früh schlafen gehen. Morgen sieht die Welt schon ganz anders aus. Keine Gespenstergeschichten mehr, das reicht für heute.«

»Lass gut sein, Willi«, setzte Calvin das i-Tüpfelchen. »Du wirst niemals zu uns oder zu irgendwem gehören, solange du von diesem Unfug redest. Das nächste Mal fahren wir lieber wieder allein.«

William ging daraufhin direkt ins Zelt und zeigte sich auch den restlichen Abend nicht mehr. Endlich konnten sich die drei Freunde unterhalten, wie ihnen der Schnabel gewachsen war. Calvin war ungemein froh darüber, diesen Verrückten nicht mehr um sich zu wissen. Trotzdem wollten ihm seine Worte nicht aus dem Kopf gehen. Genauso wenig wie der Fuchs, dessen Augen von selbst zu leuchten begonnen hatten.

Hatte man ihm etwa Drogen eingeflößt? Calvin würde es jedenfalls nicht wundern, wenn ihm einer wie William heimlich ein Mittelchen verabreicht hätte. Der Verwandte von Michael wirkte nämlich eher wie ein Serienkiller als ein langweiliger Buchhalter.

Als die jungen Männer kurz vor Mitternacht in die Zelte krochen, um sich in ihre wärmenden Schlafsäcke zu legen, war William plötzlich spurlos verschwunden.

»Er ist abgehauen. Du hast ihn vergrault«, moserte Michael.

Calvin stemmte seine Fäuste in die Seiten.

»Wir waren alle genervt von dem Vogel, also schiebt es nicht auf mich, nur weil ich den Mumm hatte, das auszusprechen, was wir alle gedacht haben«, verteidigte er sich ungehalten. »Es ist besser so. Er ist schließlich kein kleines Kind mehr und kann sehr wohl allein nach Hause finden.«

»Ohne Auto und ohne Karte mitten in der Wildnis. Du bist witzig«, brachte Ivan sarkastisch zum Ausdruck. »Wir können nur hoffen, dass er bei den nächtlichen Temperaturen hier draußen nicht erfriert. Er hat seinen Schlafsack im Zelt vergessen.«

»Wie dramatisch«, erwiderte Calvin und verdrehte genervt seine Augen. »Der nächste Ort liegt nur ein paar Kilometer entfernt, und es gibt zahlreiche beschilderte Wanderwege in diesem Gebiet. William wird es schon schaffen.«

Er verschränkte seine Arme fest vor der breiten Brust. Jetzt musste er sich also schon Vorwürfe seiner besten Freunde anhören, obwohl er es gewesen war, der dieses Treffen erst möglich gemacht hatte. Das wurde ja immer besser!

»Cal, was zum Teufel ist das?«, rief Michael entsetzt und griff nach dem Arm seines Kumpans. »Was hast du da?«

»Wovon redest du?«

Calvin trat näher ans Feuer und schob den Ärmel seines Pullovers noch etwas weiter zurück. Seinen gesamten Unterarm entlang bis zum Ellenbogen zierten wulstige Striemen. Seine Adern waren rötlich hervorgetreten, als habe er sich den Arm darüber abgeschnürt. Die Linien umrankten ein sternenförmiges Gebilde. Es handelte sich dabei weder um einen Buchstaben noch um eine Zahl, mehr ein kryptisches Symbol, das in seine Haut gebrannt worden war.

»Ach, du Kacke!«, war Ivans einziger Kommentar zu dieser Entdeckung.

»Ich bin vorhin durch den Wald gestolpert. Das waren sicher nur die Äste. Schaut euch meine Wangen an. Ganz normal.«

»Aber das sieht viel zu gleichmäßig aus, als hätte das jemand in deine Haut geritzt. Ist das nicht so ein Pentagramm?«

»Ein was?«

»Na, ein Stern mit fünf Zacken. Es ist richtig wund und an den Rändern vernarbt. Du brauchst sofort eine Salbe. Sollte das etwa ein neues Tattoo werden? So ein Cutting vielleicht?«, feixte Michael, doch in seiner Stimme schwangen Angst und Unsicherheit mit.

»Lass den Quatsch! Ich habe gar nichts gemacht! Als würde ich mir mitten in der Wildnis selbst in die Haut schneiden. Ich würde hier draußen doch nur eine Infektion riskieren. Warum sollte ich so etwas tun?«

Ein lautes, kehliges Lachen drang aus dem Wald zu ihnen herüber. Alle drei wandten ihre Köpfe Richtung Baumgrenze.

»Habt ihr das gehört?«, wisperte Ivan voller Furcht. »Das ... das klang ...«

»... wie dein Lachen, ja. Jemand imitiert dich. Das kann nur William sein, dieser Spinner. Er rächt sich an uns, indem er uns Angst einjagt. Lasst uns einfach schlafen gehen. Mitternacht ist schon durch«, warf Calvin gespielt gelangweilt ein, schüttelte all seine Panik hinsichtlich der verdächtigen Linien auf seinem Unterarm ab und schaute auf die Uhr an seinem Handgelenk. Es handelte sich dabei um ein Geschenk seines Vaters zum achtzehnten Geburtstag, wie auch eine Widmung auf der Innenseite bezeugte.

Einen Augenblick später blieben Calvins Augen erneut an den frischen Wunden hängen. Er erinnerte sich an den blanken, brennenden Schmerz, den er verspürte, als er eine Tanne ein paar Stunden zuvor berührt hatte.

Eine Erklärung dafür gab es aber nicht.

Eventuell wieder ein abartiger Scherz dieses Verwirrten?, durchzuckte Calvin ein Gedanke. Sobald sie wieder zu Hause waren, wollte er William vor Gericht zerren, denn das hier überschritt längst die Grenze von einem bösen Scherz zur gefährlichen Körperverletzung.

Als sich Calvin ein letztes Mal vor dem Schlafen Richtung Tannen drehte, sahen ihm zwei kleine goldene Punkte wie Vollmonde entgegen. Sie durchbohrten ihn förmlich. Er fühlte den Blick des Fuchses schwer auf sich lasten. Schlagartig wich all die Kraft aus seinem muskulösen Körper, und er fiel erschlafft auf die Knie. Sein Puls raste, und das Blut rauschte in seinen Ohren, als stünde er neben einem reißenden Fluss. Er hatte das Bedürfnis, sich den hämmernden Schmerz aus den Schläfen zu pressen, war aber fortan völlig bewegungsunfähig. Der Bann des Fuchses hielt ihn gefangen. Im selben Moment begann Calvins Haut zu brennen, bis er sich vor Schmerz die Seele aus dem Leib schrie.

Delaware River, Trenton

New Jersey, 05. April 2022, 19:15 Uhr

»Noch etwas Paprika, dann müsste es passen«, merkte Judy Davenport an und leckte sich über die vollen Lippen, nachdem sie ihr heutiges Abendessen abgeschmeckt hatte, das vor den beiden Bewohnern des Winnebagos in einem Topf köchelte.