Die Unsichtbare - Cora Gofferjé - E-Book

Die Unsichtbare E-Book

Cora Gofferjé

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Beschreibung

Eine Flaschenpost verändert alles. Während Carlotta am Strand liegt, bricht zur gleichen Zeit an einem anderen Ort der Welt das Leben von Benazir in tausend Stücke. Zwei Mädchen mit denselben Träumen, deren Welten nicht unterschiedlicher sein könnten, werden Freundinnen. Doch plötzlich bricht der Kontakt ab, Benazir scheint wie vom Erdboden verschwunden. Unsichtbar! Was die beiden zu diesem Zeitpunkt nicht wissen: Die Ereignisse in der Zukunft werden ihr Leben für immer miteinander verbinden. Eines Tages überbringt ein Fremder eine geheimnisvolle Botschaft ...

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Cora Gofferjé & Christina Groth

Die Unsichtbare

Deutschland im Oktober 2014

Erschöpft lasse ich den Kopf auf die Tischplatte sinken. Seit zwei geschlagenen Stunden hocken wir jetzt schon mit Mamas Freundin Marlene und deren Tochter Johanna im Reisebüro. Die clevere Johanna hat sich allerdings schon vor einer Stunde ausgeklinkt, indem sie sich einfach ihre Kopfhörer übergestülpt hat. Jetzt überkreuzt sie die Beine, stößt sich mit den Händen von der Schreibtischplatte ab und glotzt zum hundertsten Mal selbstverliebt ihren eigenen Film, den sie frisch ins Netz gestellt hat. Seit sie ihren eigenen Youtube-Kanal hat, ist Johanna noch abgehobener als sonst. Was die da für einen Hype draus macht. Als wenn sich einer für Johanna Maiwald und ihr Universum interessiert, geschweige denn für ihre seltsamen Schottenröcke, die sie ständig trägt.

»Wie lange dauert das hier eigentlich noch?«, frage ich genervt, »Ich hatte heute meinen langen Tag und nach neun Stunden Schule habe ich Hunger bis hier...« Zackig schlage ich die Handkanten unter die Achseln.

»Komm schon, Carlotta«, sagt Mama, »Wenn ihr euch ein bisschen mehr engagieren würdet, wären wir schon längst fertig ...«

»Das ist jetzt aber echt ungerecht«, protestiere ich. »Ich habe schon drei Vorschläge gemacht, aber wenn keine von euch Lust hat mit ’nem Hausboot durch Irland zu fahren, kann ich ja wohl nix dafür ...«

»Bei aller Liebe«, meldet sich Marlene zu Wort. »Das sind doch sicher so feuchte, eklige Boote. Uah...«, sie schüttelt sich angewidert, »... wenn ich nur dran denke, kriege ich einen Herpes. Wer weiß, wie viele Menschen schon in den Kojen geschlafen haben. Und dann die Hygiene. Wahrscheinlich gibt’s da nur Gemeinschaftstoiletten, nee, danke, nichts für mich!« Abwehrend hält sie die Hände in die Luft.

Was für eine Mimose. Marlene ist so unglaublich pingelig und für jede Befindlichkeit gibt’s immer gleich ein homöopathisches Mittelchen. Mit der wird’s echt anstrengend, befürchte ich.

»Da habt ihr’s!« Lautes Grummeln in meinem Magen ist für jeden hörbar zu vernehmen. »Mein Bauch knurrt schon!«

»Wir gehen ja gleich zu Lorenzo«, besänftigt Mama mich, indem sie mir ein Essen bei meinem Lieblingsitaliener in Aussicht stellt.

»Johanna und ich könnten ja schon mal vorgehen«, schlage ich schluckend vor, denn Spucke sammelt sich in meinem Mund, als ich nur an Lorenzos Spaghetti Carbonara denke und daher setze ich jetzt spontan meinen bettelnden Dackelblick auf.

Doch die Art, wie sich Mamas Lippen kräuseln, sagt mir, dass es aber vielleicht besser ist, sie nicht noch zusätzlich zu reizen. Wir bleiben.

»Jetzt haben wir fast alles durch«, die Angestellte legt einen weiteren Katalog auf den bereits erledigten Stapel. Sie blickt Marlene tief in die Augen. »Also, die Kanaren sind Ihnen zu spießig und Sie werden seekrank«, sieht sie Mama halb vorwurfsvoll an. »Griechenland ist Ihnen politisch etwas zu heikel, die Karibik zu teuer, das Wetter in Italien zu unbeständig, Wanderurlaub in den Alpen zu anstrengend ...« Sie wirkt ratlos. 

Ich versuche, ihren Namen auf dem kleinen Schildchen, das an ihrer Bluse klemmt, zu entziffern. Frau ... wie? Aha, Frau Spielvogel. Lustiger Name.

»Das«, ich bohre gelangweilt den Zeigefinger in einen Katalog, der oben auf dem noch unerledigten Stapel liegt und schlage blind eine Seite auf, damit wir endlich zum Ende kommen. »Das nehmen wir jetzt einfach!«

Mama seufzt genervt auf, dann zieht sie ihre Augenbrauen zusammen. »Zeig mal her«, interessiert nimmt sie den Katalog in die Hand und schlägt ihn auf ihrem Schoß auf: »Das ist schön«, sie schiebt die Brille hoch bis zur Nasenwurzel. »Sehr schön sogar!« 

Johanna nimmt die Kopfhörer ab, als sie bemerkt, dass plötzlich Bewegung in die Diskussion kommt.

»Türkei, Side!«, liest Marlene laut vor, die ihre Nase jetzt ebenfalls in den Katalog steckt. »Dann würde ich doch lieber auf die Kanaren. Die Türkei ist so fremd, so orientalisch, so ...«

»Genau«, nölt Johanna. »Türkei ist irgendwie asi!«

»Sag mal, spinnst du«, tippe ich ihr mit dem Zeigefinger, mit dem ich eben noch in den Katalog gebohrt habe, an die Stirn. »Was is’n daran bitteschön asi? Das ist ein supergastfreundliches Land. Und außerdem ...«, ich zeige auf den abgebildeten Strand, »... landschaftlich sehr reizvoll«, lese ich den Untertitel laut vor.

Erleichtert über meine Entdeckung mischt sich Spielvogel ein: »Dieses Jahr gehen die Sommerferien ja bis in den September. Zu dieser Jahreszeit ist die Türkei einfach die beste Entscheidung. Das Wetter ist beständig und das Meer im Spätsommer noch schön warm«, und schickt noch hinterher: »Und auch kulturell hat Side und seine Umgebung auch einiges zu bieten, z. B. ...!«

»Kulturell?«, wiederholt Johanna, als hätte sie das Wort nicht richtig verstanden. 

»Ja, und ein Basarbesuch ist immer ein Erlebnis wert!«, sagt die Dame geschickt, da sie ahnt, wie Johanna tickt.

Und siehe da: Sofort kommt Leben in Johannas Gesicht. »Da hat Lisanne sich letztes Jahr auch so eine Longchamps-Tasche mitgebracht, plus Portemonnaie und Handytasche«, zählt sie an den Fingern ihrer rechten Hand auf.

»Das sind Fakes!«, kläre ich sie auf.

»Weiß ich auch!« Sie tippt interessiert in ihr Handy, um die aktuellen Handtaschenmodelle zu checken.

»Dafür kann man ins Gefängnis wandern!«, setze ich noch eins drauf. Aber auf mich hört ja wieder niemand. 

»Was kostet denn so ein Robinson Club Urlaub?«, fragt Mama mit leiser Stimme und knabbert angespannt an ihrem Brillenbügel. Sie hat also sprichwörtlich angebissen. »Soweit ich weiß, sind die ja nicht ganz billig.«

»Zwei Doppelzimmer. Vierzehn Tage«, fasst das Spielvögelchen zusammen und tippt bereits wieder alles eifrig in ihren Computer.

Marlene und Mama nicken einvernehmlich.

»Dieses Jahr reisen wir ohne Männer.« Marlene zwinkert der Frau verschwörerisch zu. »Weiberurlaub!«

Die lächelt milde zurück. »Wie schön.«

Während sie rechnet und nach passenden Flügen sucht, diskutieren Mama, Marlene und Johanna wild durcheinander. 

»Lesen, ausspannen, schwimmen«, juchzt Mama freudig.

»Chi-Gong, Tai-Chi, Vinyasa-flow«, fährt Marlene begeistert fort.

»Disco, Strand, Shoppen ...«, wiehert Johanna, »... und guckt mal hier, diese megamäßig fetten Hängematten am Steg. Wie cool sind die denn bitteschön?!«

Da muss ich ihr allerdings recht geben, die sind wirklich genial. Interessiert betrachte ich die Aufnahmen in dem Hochglanzkatalog. An einem Holzsteg, der weit ins Meer hineinragt, sind rechts und links große Netze befestigt, in denen sich Gäste rekeln und in der Sonne entspannen.

»Die sind besonders bei der Jugend begehrt«, kneift Spielvogel uns ein Auge zu. »Eigentlich sind sie ständig belegt. Mein Mann und ich waren vor zwei Jahren dort. Es ist der Club für Jugendliche. Ihren Töchtern wird es gefallen. Spaß und Urlaubslieben sind hier all inclusive ...«, flötet sie mit Aussicht auf Vertragsabschluss.

»Meine Tochter ist dreizehn«, entgegnet Mama pikiert, als wäre ich damit geschlechtslos.

Ich verkneife mir das »fast vierzehn«.

»Ich bin vierzehn«, sagt Johanna und in ihrem Blick erkenne ich ein abenteuerliches Funkeln. 

Als wir uns alle schon am Strand, in den Hängematten, auf dem Segelboot und im Wellnessbereich wähnen, platzt der Traum auch schon in der nächsten Sekunde.

»So«, sie tippt mit dem Kuli gegen den Bildschirm. »Flüge ab Düsseldorf, am dreiundzwanzigsten August hin, am sechsten September zurück, zwei Doppelzimmer, kosten ...« Wir verrenken uns fast die Hälse, um das Ergebnis zu erhaschen, daraufhin dreht sie ihren Computer so, dass wir die Zahlen sehen können. Angesichts der hohen Summe fallen wir fast vom Stuhl. Selbst Johanna bekommt ein kurzfristiges Schleudertrauma, als sie abrupt ihre Dreherei stoppt.

Pause. Enttäuschung. Seufzer.

»Schade«, sagt Marlene. »Aber das ist wirklich eine Nummer zu groß für uns.«

»Nicht nur für euch«, bestätigt Mama und klappt den Katalog enttäuscht zu.

»Ach, Mama, komm schon. Wir waren letzten Sommer schon nicht weg«, argumentiere ich plötzlich. 

Und das nicht nur, weil ich hier endlich raus will, sondern weil ich so einen Cluburlaub tatsächlich auch mal richtig klasse fände. Man kann Fußballspielen, Touren ins Hinterland machen, auf einen Basar gehen, an einem türkischen Kochkurs teilnehmen und vor allem kann man Johanna aus dem Weg gehen, wenn es einem zu viel wird.

»Und wenn Sie ein Familienzimmer nehmen?«, schlägt das Vögelchen vor.

Aus der Traum von Ruhe vor Johanna! Ein Familienzimmer mit den beiden wäre die Vorhölle.

»Das ist mir zu wuselig«, rümpft Marlene die Nase. 

Danke! Danke, liebe Marlene, dass du immer die Spielverderberin bist, dann muss ich es wenigstens nicht sein. 

Mama wendet sich mit einer fragenden Handbewegung an Marlene. »Vielleicht könnten wir ja auch nur zehn Tage?«

»Au ja, bitte, Mama«, insistiert jetzt auch Johanna. 

»Einen Moment«, sagt unsere Rettung hinter dem Schreibtisch und tippt wieder wild in den Computer, »... das kostet dann fünfhundert für jeden weniger.«

»Das ist immer noch zu viel«, stellt Marlene resigniert fest.

»Und sieben Tage?«, fragt Mama desillusioniert.

»Also ... dann ... kostet es ...«, Spielvogel beugt sich vor, um die Zahlen auf dem Computer besser abzulesen. Johanna dreht einfach den Computer ungefragt wieder zu uns herum.

»Das ist in unserem Budget!«, nickt Marlene begeistert und auch Mama nickt langsam vor sich hin, während sie ihr Kinn krault. Keine von uns geht mehr auf die Tatsache ein, dass wir gerade ein Familienzimmer in Kauf nehmen.

»Ruf Papa an«, fordere ich Mama mit bettelndem Blick auf, als ich lese, dass es dort in den Herbstferien ein richtiges Fußballcamp unter professioneller Anleitung gibt.

Und auf einmal sind wir alle wie im Fieberwahn, so sehr sogar, dass uns dabei gar nicht mehr auffällt, dass wir jetzt nur noch eine anstatt zwei Wochen fliegen. 

Mama zückt ihr Handy, überlegt kurz und wählt dann Papas Nummer. »Bernhard, ich bin’s, du, wir haben jetzt etwas ganz Tolles gefunden. Türkei. Cluburlaub. Ein Traum. Allerdings nicht ganz billig. ... Also, nun ja,...« Sie haucht den Betrag kaum hörbar ins Handy. »Ja, ... ich weiß, das ist eine Menge Geld. Aber wir sind im letzten Sommer nicht verreist«, benutzt sie schlauerweise mein Argument und unterschlägt wissentlich oder nicht, dass das der Preis für nur eine Woche ist. Sie steht auf, geht ans Fenster, läuft ein bisschen auf und ab, während sie mit Papa diskutiert und dann kommt sie strahlend zurück. »Wir fliegen!«

Johanna und ich schlagen spontan zum Give-me-five ein und vergessen kurzfristig, wie blöd wir uns gegenseitig finden.

Nachts kann ich vor lauter Aufregung kaum schlafen, wahrscheinlich aber auch wegen der vielen Colas, die Lorenzo mir beim Essen heute ausgegeben hat. Ständig werde ich wach, meine Gedanken kreisen um den Urlaub. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal geflogen bin, träume ich. Überhaupt haben wir ein ziemliches Urlaubsdefizit in der letzten Zeit gehabt. Da Papa vor fünf Jahren die Gärtnerei von Opa vor dem Bankrott retten musste, war klar, dass Urlaub für uns auf Eis gelegt ist. Dieses Jahr sollte alles anders werden, wir wollten alle drei zusammen drei Wochen nach Italien. Aufgrund des Sturmes in diesem Sommer kamen dann aber überraschend viele Aufträge rein und somit mussten wir die Reise canceln. Seit Wochen hat er irre viel zu tun, sodass er nicht mitfahren kann, aber er hat lieberweise Mama und mir eine Reise geschenkt. Ich finde es so schade, dass er nicht mitkommen kann, denn ich persönlich brauche echt keinen reinen Weiberurlaub. Mit Papa wäre es viel schöner, mit ihm kann man Fußballspielen, er liebt Ausflüge, hat in Nullkommanichts eine Volleyballmannschaft am Strand zusammengestellt. Er ist einfach viel aktiver als Mama. Und jetzt werden wir mit Marlene, Mamas bester Freundin, fahren und ich muss deren Tochter Johanna wohl oder übel in Kauf nehmen. Wenn ich sie sonst nur viermal im Jahr sehe, ist das ja okay, aber gleich ein ganzer Urlaub zusammen? Phhhh, das ist doch eigentlich die schönste Zeit des Jahres! Hoffentlich überstehe ich das. Ich rappele mich hoch und angele im Dunkeln nach der Wasserflasche neben meinem Bett. Da ich ja sowieso nicht schlafen kann, stehe ich auf, fahre den Computer hoch und sehe mir im Internet Bilder von der Clubanlage an. Die liegt in einem Pinienwald und grenzt ans dunkle, tiefblaue Meer. Wie wohl das Umland aussieht? Ich gebe Side bei Google Earth ein. Ich möchte wissen, wo genau der Ort liegt. Das ist so ein Tick von mir, den ich hundertpro von Papa geerbt habe. Wir beide wollen immer ganz genau wissen, wo es hingeht. Auch wenn wir eine Fahrradtour machen, haben wir vorher die Routen bis ins Detail ausgearbeitet. Mama meint, das läge daran, dass wir beide keine Überraschungen mögen. Ich weiß nicht, vielleicht ist das so. Aber irgendwie ist es auch ein bisschen wie Fliegen. Als ich mir jetzt die Lage von unserem Urlaubsort genau betrachte, stelle ich fest, dass die Türkei an Syrien grenzt. Da fällt mir die letzte Politikstunde bei Frau Landwehr ein. Syrien, dort herrscht Bürgerkrieg. Die Bilder aus den Nachrichten von flüchtenden Familien, von traurigen Kinderaugen, von zerbombten Städten, alles geht mir plötzlich durch den Kopf. Ich google weiter und finde bei einer Nachrichtenagentur eine Veröffentlichung: Die ohnehin schon vorhandenen Spannungen zwischen der Türkei und Syrien wurden verschärft, als am 22. Juni 2012 ein türkisches Kampfflugzeug von syrischen Streitkräften abgeschossen wurde, nachdem es in den syrischen Luftraum eingedrungen war. Ich studiere mehrere aktuelle Berichte über den Syrienkonflikt und über eventuelle Reisewarnungen. Angst wandert von meinem Magen hoch in meinen Kopf.

»Mama, wir können nicht in die Türkei!«, verkünde ich eine Minute später, nachdem ich ins dunkle Schlafzimmer meiner Eltern geschlüpft bin.

»Wieso, was ist los?«, fragt sie verschlafen und tastet blind nach dem Lichtschalter. Sie nimmt die Brille vom Nachtschrank, schiebt sie wieder ganz hoch auf die Nasenwurzel. Das macht sie immer, wenn ihr etwas besonders ernst zu sein scheint, und betrachtet mich verstört. 

Mit ernster Miene hocke ich mich auf den Bettrand und falte die Hände. »In Syrien herrscht Krieg!«

»Kind, wir fahren in die Türkei«, erinnert mich Mama.

»Die Türkei grenzt an Syrien!«, kläre ich sie auf.

»Da hat Carl-Otto recht«, stellt jetzt auch Papa fest, der sich verschlafen hochrappelt.

»Ich kann doch nicht am Strand liegen, wenn ich weiß, dass einige Kilometer entfernt Bomben hochgehen. Dass ... dass da Menschen sterben«, stottere ich aufgeregt. Weil mich das Thema Krieg berührt, weil ich mir vorstelle, wie schlimm das sein muss, für die Menschen die dort leben. 

»Carlotta«, sagt Mama und lässt sich zurück ins Bett fallen. »Das wird schon nicht so schlimm sein, sonst hätte Frau Spielvogel aus dem Reisebüro uns davon abgeraten.«

»Aber, wenn die gar nichts davon weiß. Ich meine, wenn man die Touristen gar nicht warnt.«

»Also, es gibt so eine Liste von Risikoländern«, murmelt Papa, »da müsste dann die Türkei aufgelistet sein, wenn es zu gefährlich wäre.«

»Fragst du morgen im Reisebüro nach?«, bedränge ich Mama.

»Ja, ja, mache ich«, sie setzt die Brille ab und legt sie auf den Nachttisch zurück. »Und jetzt geh’ schlafen! Wie spät ist es überhaupt?«

»Wir müssen umbuchen«, stelle ich an der Tür noch fest, bevor ich zurück in mein Zimmer gehe.

Komisch, dass Spielvogel das nicht wusste, denke ich noch und stelle müde meinen Computer aus, bevor ich ins Bett gehe. 

Am nächsten Nachmittag, als ich aus der Schule komme, höre ich mit, wie Mama mit Marlene wegen einer eventuellen Umbuchung telefoniert. Mama hat den Lautsprecher angestellt und surft gleichzeitig durchs Internet. »Na ja, ganz unrecht hat Carlotta nicht!«, sagt sie nachdenklich.

»Das wird schon nicht so gefährlich sein«, entgegnet Marlene und Johanna tönt im Hintergrund, sie hätte schon all ihren Freundinnen Bescheid gesagt, dass es in den Robinson Club geht.

»Also gut«, schlägt Mama vor, »ich rufe jetzt das Reisebüro an und frage nach. Die müssen es ja schließlich wissen!« 

Mama winkt mir kurz zu, als sie mich bemerkt. »In der Küche steht was zu essen!«

»Ja, gleich, ich will das auch hören!«, lasse ich verlauten und hocke mich zu ihr.

Frau Spielvogel beruhigt uns, indem sie sagt, dass das Auswärtige Amt bisher noch keine Reisewarnung für die Türkei ausgegeben hat. »Tja, und der derzeitige Konflikt in Syrien berechtigt leider nicht zum kostenlosen Stornieren von Türkeireisen.«

»Also, Sie garantieren uns, dass da nichts passiert!«, frage ich laut.

»Meine Tochter ist etwas ängstlich«, erklärt Mama ihr.

»Angstgefühle sind leider keine Grundlage für einen Vertragsabbruch«, setzt sie kaufmännisch entgegen.

»Wie hoch wären die Stornogebühren«, will Mama noch wissen, als sie meine zusammengezogenen Augenbrauen mustert.

»Jetzt ... mhm ... so zwei Wochen vor der geplanten Reise«, überlegt sie laut, »... sechzig Prozent!«

»Gut, dann lassen wir es dabei«, bestätigt Mama und beendet das Gespräch.

Als sie mein aufgesetztes Wird-schon-alles-gut-gehen-Gesicht sieht, verziehen wir beide gleichzeitig unsere Mienen, als hätten wir in eine saure Zitrone gebissen. So ganz wohl ist uns eben doch nicht in unserer Haut. Schließlich müssen wir auch Papa noch die hohe Summe beichten. Doch der reagiert relativ cool. Wenn wir schon so viel Geld ausgäben, sollten wir es wenigstens mit gutem Gewissen genießen, sagt er, nachdem wir ihm abends unseren Coup gestanden haben.

Zwei Wochen später stehen wir am Düsseldorfer Flughafen. Durch die riesige Fensterfront kann man die Flugzeuge starten und landen sehen, das ist meine Welt, denke ich und bin voller Vorfreude auf den Flug.

»Würdest du bitte mal das Köfferchen aufmachen? Hallo? Junge Dame?« Die Zollbeamtin beugt sich soeben zu Johanna herüber.

Die steht aber umständlich balancierend auf einer extrem hochhackigen Stiefelette und versucht, bei der zweiten den Reißverschluss zuzumachen. Ein Kunststück, denn in der engen Jeans bekommt sie das Bein kaum hoch. Die Leute hinter mir fangen an zu knurren, denn Johanna, die vor mir durch die Lichtschranke gegangen ist, hält schon seit geraumer Zeit den gesamten Security-Check-in auf.

Eine Handtasche, ein Beautycase, das I-Pad, ein mit Strasssteinchen besetzter Gürtel, ein Glitzerarmband, mehrere Ringe und Ketten, ein Plastikbeutel mit diversen kleinen Kosmetikartikeln und zu guter Letzt die Stiefeletten, alles wandert peu à peu in die bereitgestellten Körbchen. Ich finde das doch recht amüsant. Zum einen bin ich im Ferienmodus und zum anderen ist Mama die Panik in Person. Wir sind viel zu früh am Flughafen, so wie immer, weil sie Angst hat, den Flieger zu verpassen. Johanna ist echt faszinierend. Wie kann man sich nur so viele Schichten anziehen? Als wäre sie noch nie geflogen.

»Meine Tasche aufmachen? Warum?« Johanna glotzt die genervte Beamtin kuhäugig an.

»Mach es einfach, sonst geht der Flieger ohne dich«, kommt es barsch zurück.

»So wie meiner gleich. Geht’s vielleicht mal ein bisschen schneller, du blöde Modetussi?«, blafft der Mann hinter mir, den letzten Teil des Satzes aber so leise, dass nur noch ich ihn hören kann.

Ich pruste los vor Lachen. Mit spitzen Fingern zieht Johanna die Schnallen ihres Beautycase hoch. Dabei fallen mir sofort ihre penibel manikürten Fingernägel auf. Mit einem Schnalzen fährt der Deckel nach oben. Die Beamtin zieht kaugummikauend ein kleines ledernes Etui heraus und hält es Johanna triumphierend unter die Nase.

»Was ist damit?«, fragt Johanna arglos.

Die Beamtin klappt das Ding auf. Darin befinden sich diverse Nagelscheren und eine Feile.

»Verboten«, sie zeigt auf das Infoschild mit den unerlaubten Sachen an Bord. Das Etui landet in einer Plastiktüte.

Johanna entfährt ein spitzer Schrei: »Das können Sie doch nicht machen, das gehört mir!«

»Und ob ich das kann. Würdest du jetzt bitte weitergehen, du hältst ja alle auf.«

Zwei weitere Zollbeamte nähern sich. Johanna setzt sich maulend in Bewegung, die Hände voller Accessoires und Taschen. Da ich nur Jeans, T-Shirt und Sneaker am Körper trage, habe ich ruckzuck meinen Rucksack vom Band gezogen und geselle mich zu Johanna, um nach Mama und Marlene Ausschau zu halten. Sie stehen am benachbarten Sicherheitscheck und warten auf ihr Handgepäck. Mamas Handtasche kommt gerade herausgefahren.

»Was soll ich denn mit einer Nagelschere anfangen? Den Piloten erstechen?«, klagt Johanna Marlene ihren Verlust.

»Schätzchen, ich habe dir gesagt, tu so was in den Koffer«, ermahnt Marlene.

»Ist das Ihre Tasche«, deutet ein Polizist im nächsten Moment auf Marlenes Handtasche.

»Ja, wieso?«

Er nimmt die Tasche ungefragt aus der Box. »Würden Sie bitte mitkommen?«

Marlenes Stimme zittert ein wenig. »Ja, ähem, natürlich!«

Johanna bekommt nichts davon mit, dass ihre Mutter gerade abgeführt wird, denn die ist hoch konzentriert dabei, alles zurück in ihre Tasche zu stopfen.

»Du bist es wirklich!«, stellt ein Mädchen in der Schlange neben uns fest. Sie steht vor Johanna und gafft sie ungläubig an, dann zieht sie ein anderes Mädchen am Ärmel zu sich herüber.

Johanna nimmt die Sonnenbrille von der Nase.

»Wow«, stellt das andere Mädchen fest und zwirbelt aufgeregt an ihrem Pferdeschwanz. »Du hast recht. Es ist Joana!«

Johanna wird plötzlich so aufgesetzt steif, als sie ihren Rücken durchstreckt und gnädig nickt.

Hä, wieso nickt die, was soll das?

»Sie heißt Johanna und nicht Joana«, stelle ich klar.

Doch irgendwie scheine ich Luft zu sein.

»Ich liebe deinen Kanal. Du bist echt die Größte. Ich habe mir schon so viele Sachen nachgenäht«, strahlt das Mädchen sie ehrfurchtsvoll an.

Johanna lächelt sie Augen klimpernd an.

»Kann ich ein Autogramm bekommen?«, bettelt ihre Bewunderin.

»Na klar«, Johanna streckt mir die geöffnete Hand hin.

Blöd wie ich bin, wühle ich in meiner Handtasche nach einem Kuli und lege ihn ihr hinein.

»Wohin?«, will sie wissen und zeichnet mit dem Stift in die Luft.

»Warte«, das Mädchen dreht ihr den Rücken zu. »Hier, schreib drauf für Emilia!«

Johanna schmiert die Bluse des Mädchens voll. Ich glaub’s ja nicht.

»Das ist so cool, das glaubt mir keiner, dass ich dich getroffen habe. Können wir ...«, sie schlägt die Handflächen bettelnd aneinander. »Können wir noch ein Selfie machen?«

Johanna stellt sich professionell in Position und wirft die langen Haare in den Nacken. Dann bleckt sie die Zähne, lässt sich von dem Mädchen knutschen und ein paar Selfies in Folge schießen.

Genervt und verwirrt gehe ich zurück zu Mama. Marlene ist immer noch verschwunden.

Mama schiebt mich zur Seite. »Geh du ruhig schon mal ein paar Zeitungen besorgen. Wird schon nichts sein, Marlene kommt bestimmt gleich wieder.«

»Okay, wenn du meinst!«

Johanna hat immer noch nichts vom Verschwinden ihrer Mutter bemerkt. Mir auch egal. Sie steht mittlerweile im Buch- und Zeitschriftenshop und ist abgelenkt. Angeregt studiert sie die Klatschpresse und Modemagazine. Unbemerkt trolle ich mich in die Bücherecke Sport- und Hobby. Da gibt es sogar auch Zeitschriften über Sportfliegerei, stelle ich erstaunt fest. Interessiert blättere ich in den Hochglanzmagazinen herum. Sensationelle Bilder! Fliegen ist meine heimliche Leidenschaft. Wahrscheinlich bin ich auch deshalb so gut drauf, weil ich mich wie irre auf den Flug gleich freue. Vor ein paar Wochen bin ich in einem Flugsimulator geflogen, weil ein Kunde von Papa ihm und einer zweiten Person einen Gutschein geschenkt hatte. Papa hatte ihm in einer Nacht- und Nebelaktion einen umgestürzten Baum aus der Einfahrt gezogen und das war sein Dankeschön. Glücklicherweise hat er mich mitgenommen. Dieses Gefühl war unbeschreiblich und ich habe dort in diesem Computerraum beschlossen, irgendwann einmal selber ein Flugzeug zu steuern.

Unter den Zeitschriften sehe ich noch diverse Bücher zum Thema Fliegerei. Eigentlich wäre es ganz schlau, noch ein Buch mit in den Urlaub zu nehmen. Ich studiere die Buchrücken und ziehe mehrere heraus. An einem Titel bleibe ich hängen. »Elly Beinhorn – Alleinflug Mein Leben«, lese ich interessiert. Ich überfliege den Klappentext. Das hört sich super spannend an. Eine Frau, die in den 30er-Jahren alleine die Welt umrundet hat.

Ich blicke mich nach Mama um.

»Unerhört, wegen ein paar Globulis wird man behandelt wie ein Schwerverbrecher«, höre ich Marlene schimpfen.

»Was war’n los?«, fragt Johanna, die mindestens ein komplettes Kaugummipaket im Mund hat und ihn deshalb nicht mehr zubekommt.

»Tja, also, die haben mich in so einen Raum geführt und da sollte ich dann meine Handtasche ausschütten. Das war so was von peinlich. Ich meine, die Toilettenartikel vor den Männern ... Na ja, und dann musste ich die Reiseapotheke erklären. Die haben noch nie was von Homöopathie gehört.«

»Bis jetzt!«, entfährt es mir.

»Haben die das auch weggeschmissen?«, will Johanna wissen.

»Na, dann hätte ich denen aber was erzählt.« Marlene zieht die Tüte aus der Tasche. »Jetzt nehme ich erst mal was zur Beruhigung.« Sie hält sich das Fläschchen an den Mund und schüttet gekonnt fünf Globulis in den Mund.

Dann gehen Mama, Johanna und Marlene noch einmal durch die Regale, stapeln sich Zeitschriften auf dem Arm, gehen an die Kasse und bezahlen. Ich geselle mich dazu.

»Geht schon mal raus, ich kaufe auch noch was.«

»Das hätte ich doch mitbezahlen können«, ruft Mama aus.

»Nö, passt schon«. Ich bezahle das Buch und stecke es sofort in meinen Rucksack, denn Mama muss es nicht sehen.

Eine Stunde später steigen wir in den Flieger. Clever wie sie ist, geht Johanna vor mir hinein. Natürlich setzt sie sich auf den Fensterplatz. Ich drehe mich zu Mama um. »Darf ich bei dir am Fenster sitzen?«, frage ich bettelnd. Aber sofort wird Marlene hysterisch.

»Oh nein, lass mich bitte bei Karin sitzen. Ich habe doch so schlimme Flugangst und deine Mutter kann mich so schön beruhigen.« Sie wirft hektisch eine neue Ladung Globuli ein. Ob das gut ist? So kurz hintereinander? Na ja, sie wird es ja wissen, denn sie macht gerade nebenbei eine Ausbildung zur Heilpraktikerin. Anscheinend ist sie als Lehrerin nicht ausgelastet.

Mama guckt mich beschwichtigend an. Na super, Teil der Vorfreude weg. Ich setze mich neben Johanna auf den mittleren Platz. Sie kramt in ihrer Handtasche und holt sich ihre Kopfhörer nebst I-Pad heraus. Dann fällt ihr plötzlich auf, dass sie noch ihre Jacke anhat. Sie plöppt die Ohrstöpsel wieder raus und stupst mich in die Seite. »Darf ich noch mal?« Ich schnalle mich wieder ab und stehe auf, damit Johanna ihre Jacke im Gepäckfach verfrachten kann. Dabei drückt sie meinen Rucksack unsanft zur Seite. Jetzt steht der halb aus dem Fach heraus. Ich nutze das, um noch schnell mein neu gekauftes Buch herauszuholen. Wir setzen uns wieder hin.

»Was liest du denn da?« Johanna schielt auf das Buchcover.

»Eine Autobiografie. Von einer Kunstfliegerin.«

»Oh du Arme! Musst du in den Ferien ein Referat machen?« Johanna guckt mich mitleidig an. »In Kunst musste ich noch nie ein Referat halten«, grübelt sie weiter vor sich hin.

Ich lass das mal so stehen. Die letzten zwei Passagiere betreten vorne abgehetzt das Flugzeug. Ein gut aussehender junger Typ und ein verschwitzter Übergewichtiger im Touristenoutfit. Um was wollen wir wetten, dass Murphy’s Law gnadenlos zuschlägt? Natürlich. Der lässige Typ läuft locker an mir vorbei, der andere lässt sich auf den freien Gangplatz neben mir plumpsen. Vorfreude gänzlich dahin.

Als wir drei Stunden später aus dem Flughafengebäude in Antalya kommen, ist es angenehm warm. Eine leichte Brise weht, nur die Sonne versteckt sich noch hinter den Wolken. Etwas enttäuscht bin ich schon, denn irgendwie hatte ich den blauen Himmel abgespeichert, der auf dem Katalog zu sehen war und dachte, wir hätten den mitgebucht.

Johanna folgt meinem skeptischen Blick: »Hoffentlich werden wir auch schön braun. Weißt du, wie scheiße das in meinem Film aussieht, ich habe doch schon der Welt gepostet, dass ich in die Türkei fliege.«

Die mit ihrem dämlichen Youtube-Kanal. Der Welt gepostet ... Die ist so was von sich eingenommen. Den Quatsch guckt sich doch sowieso niemand an. Was will die da auch schon groß zeigen? Wie man sich künstliche Augenbrauen klebt oder den Lidstrich verlängert? Künstliche Fingernägel fallen bestimmt aus, die Accessoires dafür liegen im Mülleimer am Flughafen Düsseldorf.

»Sie gehen bitte zu Bus drei«, schiebt uns eine Dame im blauen Kostüm mit der Anstecknadel des Emblems unseres Reiseveranstalters in Richtung Parkplatz, auf dem mindestens zwanzig Busse stehen. Vorher drückt sie jeder von uns noch eine Flasche Wasser in die Hand.

»Hast du den Surfer-Typen mit dem Ziegenbärtchen gesehen«, stupst Johanna mich fest in die Rippen. »Jede Wette, der ist auch bei uns in der Anlage.«

»Wie kommst du darauf?«, frage ich beiläufig.

»Hallooo, der sieht sportlich, dynamisch und nach Kohle aus. Guck dir mal das Gepäck an. Das sind ...«, ehrfürchtig senkt sie die Augenlider, »Louis-Vuitton Koffer.«

»Aha«, ich zucke nur mit den Schultern und halte hilfesuchend nach anderen Mädchen in meinem Alter Ausschau. Bitte, lieber Gott, mach, dass die Auswahl groß ist. Ach was, eine reicht schon. Hauptsache es gibt eine Alternative zu Johanna. Wir steigen in einen stickigen Kleinbus, der zwischen den großen modernen klimatisierten Reisebussen parkt. 

»In Deutschland wäre der 100-prozentig vom TÜV schon vor einem Jahrzehnt aus dem Verkehr gezogen worden«, stellt die chronische Bedenkenträgerin Marlene kritisch fest.

»Meinst du?«, fragt Mama ängstlich.

»Ich bin Furkan«, begrüßt uns der nette Fahrer, verstaut die Koffer im Bus und schon geht es los.

»Das Fenster geht nicht auf«, mault Johanna, die vergeblich versucht, die Scheiben herunterzuziehen. Sie fängt an, lautstark daran herumzurappeln, im nächsten Moment hat sie auch schon den Vorhang heruntergerissen, eine ganze Ladung toter Insekten fällt auf ihren Sitz.

»Bäh, ist das eklig!« Mit spitzen Fingern nimmt sie ihre Tasche und sucht sich einen neuen Platz.

»Gibt’s ’ne Klimaanlage?«, will Marlene wissen und wedelt sich mit dem Reiseführer Luft zu. »Das ist so stickig hier drin.«

»Oh, ja!« Furkan strahlt uns an.

Freudiges Aufseufzen der Mitreisenden.

»Funktioniert die auch?«, setzt das Ziegenbärtchen an.

»Ja, sicher ja. Vor drei Sommern letztes Mal«, sagt Furkan lächelnd und fährt los.

Die Fahrt vom Flughafen zum Hotel wird circa zwei Stunden dauern, hatte ich im Katalog gelesen, aber das behalte ich jetzt lieber mal für mich, damit die den armen Furkan nicht noch mehr in die Mangel nehmen.

Wir sind erst zehn Minuten unterwegs und es ist wirklich kaum auszuhalten im Bus, alle maulen und stöhnen vor sich hin. Ich lenke mich ab, indem ich mir die Kopfhörer reinstöpsle und Musik höre. Nach circa zweieinhalb Stunden Fahrt hält der Bus plötzlich und holpert dann mühevoll über einen Schotterweg. An einem Abzweig erkennt man das Hotelschild. Ich bin so gespannt. Hoffentlich ist alles so wie im Katalog. Nach unserem Begrüßungscocktail, der von supernetten Animateuren bei unserer Ankunft gereicht wird, transportiert man unsere Koffer in das Familienzimmer, während wir eine kleine Führung von der Clubangestellten Hannah bekommen. Der Fußballplatz ist größer als erwartet und Hannah erklärt uns, dass die Anmeldefrist für das Fußballcamp heute abläuft.

Johanna mischt sich ein: »Ich glaube kaum, dass sich eine von uns dafür interessiert! Das ist doch nur was für Mannweiber!«

»Also, mich kannst du auf die Liste setzen«, nicke ich Hannah zu, »ich bin dabei.«

»Selbst schuld«, zuckt Johanna die Schultern und kann sich ein affektiertes, »so kriegst du nie einen ab« nicht verkneifen.

Als wir zum Strand mit dem besagten Steg kommen, stelle ich fest, dass Spielvogel nicht übertrieben hat. Begeistert beiße ich mir auf die Unterlippe. Wow, es ist genauso schön, vielleicht noch ein bisschen schöner, weil die Luft so flirrend ist und das Land so gut riecht und das Meer so herrlich zum Baden einlädt.

Die ersten Urlaubstage verlaufen relativ entspannt, Johanna geht mit Mama und Marlene zum Sport, findet am Strand schnell Anschluss zu ein paar Jugendlichen und chillt morgens, mittags und abends in den Hängematten am Steg und ich habe meine Ruhe. Interessanterweise wird sie von den anderen wie ein Star behandelt und ich beschließe, mir demnächst mal eines ihrer Filmchen anzusehen. Einerseits genieße ich das Alleinsein in den ersten zwei Tagen, andererseits bin ich beim Fußballspielen schon wieder nur unter Jungs. Vielleicht hat Johanna ja recht und ich bin wirklich ein Mannweib. Aber es hat vorhin auch superviel Spaß gemacht, ich liebe es, über den Platz zu rennen, mich zu verausgaben und am Ende gegebenenfalls mit einem Spielgewinn belohnt zu werden. Glücklich und erschöpft gehe ich schnell aufs Zimmer und schnappe mir meine Strandtasche. Niemand da. Mein Blick auf die Uhr sagt mir, es ist viertel nach Vier. Mit meinem Buch über Elly Beinhorn versuche ich, auch einen Platz in einer der begehrten Hängematten zu ergattern, doch die sind gnadenlos überfüllt. Johanna sehe ich gerade nicht, sie ist sicher in einem Sportkurs. Entspannt gleite ich in das Netz, das an der Brücke hängend baumelt und setze mir die Sonnenbrille auf. Interessiert beobachte ich die Nachbarhängematte. Hier liegen vier oder fünf Jugendliche auf einmal drin, man kann sie gar nicht genau zählen, weil ihre Arme und Beine richtiggehend miteinander verknotet sind. Sie haben sichtlich Spaß und flirten sich gegenseitig an, übertrumpfen sich dann aber auch irgendwann mit diesen typischen Abcheck-Fragen: Wie wohnst du, welches Auto fahren deine Eltern, was macht dein Vater beruflich, in welchen Clubs warst du schon, blablablubb. Da klinke ich mich aus, das ist nichts für mich, diese Spielchen haben mich schon immer genervt und ich weigere mich aus Prinzip, sie mitzuspielen. Ich lese mal eben schnell nur das Vorwort. Bevor ich mich so verstaubt und verschwitzt in die Hängematte lege, will ich aber erst mal ein kühles Bad. Doch die Geschichte von Elly Beinhorn fesselt mich von der ersten Sekunde an. Nicht nur, weil Fliegen mein allerallergrößter Traum ist, sondern auch, weil ich so viele Ähnlichkeiten zwischen ihr und mir feststelle. Elly Beinhorn bezeichnet den Umstand, ein Einzelkind gewesen zu sein, als Ursprung ihres Wunsches nach einer Fliegerkarriere. Ob das bei mir auch zutrifft? Ich verliere mich in ihrem Buch und vergesse alles um mich herum, bis es irgendwann auf dem Deck immer hektischer und lauter wird. Jemand macht einen Soundcheck: »One, two, one two ...«

Es piepst ohrenbetäubend, weil der Verstärker übersteuert ist. Ich blicke hoch und sehe einen mittelalten Mann mit langen Haaren und übertriebener Bodybuilder-Figur, der sanft ein Saxofon aus einem Koffer zieht.

»Geil. Endlich. Happy Hour«, höre ich die Kids in der Hängematte neben mir flüstern. »Los, Matthes, geh du. Du bist 16.«

»Ey, immer ich. Kann nicht mal jemand anderes gehen«, brummt ein leicht untersetzter Junge mit Baseballkäppi.

»Komm, mach schon«, wird er unsanft aus dem Netz gestoßen.

Als er sich dann trollt, kichert ein Mädchen: »Dafür darf er wenigstens mit uns in der Hängematte liegen, der Specki!« Eine andere lacht gehässig: »Na ja, wenigstens dafür ist der gut«, sie nickt zur Bar, die ganz draußen auf dem Steg angebracht ist. »Ohne den würden wir auf dem Trockenen sitzen.«

Auf seinem Rückweg versucht Matthes, vier Cocktailgläser auf einmal zu jonglieren.

»Hier«, er reicht die Gläser nacheinander hinunter ins Netz.

»Danke!«, kommt es nur kurz zurück und prompt nuckeln alle gierig an ihren Strohhalmen.

»Hey, und meins?«, fragt Matthes pikiert.

»Komm Matthes«, das Mädchen, das ihn Specki genannt hat, klimpert mit den Liddeckeln, »hol dir doch noch eins und bring Johanna eins mit, die kommt bestimmt auch gleich.«

Mit solchen Idioten umgibt sich Johanna also. Da lobe ich mir doch meine Fußballjungs, die sind rau aber ehrlich.

Die Musik setzt ein. Wow. Der Saxofonist ist großartig. Er spielt bekannte Lieder, die größtenteils sehr aktuell und ziemlich romantisch sind und das passt jetzt genau zu der Stimmung, wo die Sonne langsam im Meer versinkt.

Mein Hals ist trocken und ich blicke jetzt doch etwas verschämt an mir herunter. Während die anderen Mädchen die neuste Bikinimode tragen, liege ich hier immer noch im verschwitzten und dreckigen Fußballtrikot herum. Aber das Buch war so fesselnd, dass ich immer noch nicht im Meer war. Ich klettere jetzt ebenfalls aus meinem Kokon und gehe an die Bar, um mir erst einmal eine Cola zu besorgen, bevor ich mich in die Fluten stürze. Matthes steht neben mir. Er bekommt soeben seine Cocktails überreicht.

»Hi«, grinst er mich an. »Bist du nicht mit Johanna hier?«

»Ja«, nicke ich extrem freundlich, da er mir tatsächlich ein bisschen leidtut, weil die Mädchen so fies über ihn geredet haben. Ich fühle mich mit ihm verbündet. Er ist ein Außenseiter, so wie ich, denke ich. »Aber ich glaube, sie ist gerade beim Sport!«

Daraufhin drückt er mir den zweiten Cocktail in die Hand. »Dann nimm du doch die Piña Colada!«

»Äh, klar gerne!«

Vorsichtig steige ich mit dem großen Glas zurück in mein Netz und rufe zu Matthes hinüber: »Virgin?« Besser ich frage noch mal nach, ich habe nämlich noch nie Alkohol getrunken.

»Ey Matthes ...« Johannas Ziegenbärtchen stupst ihm seinen Ellenbogen in die Hüften, » ... hast du gehört, die will wissen, ob du noch Jungfrau bist?«

Matthes Antwort geht in dem Lachen der anderen unter, zudem klatschen die Leute auf dem Steg, da gerade ein Stück zu Ende gespielt wurde. Ich trinke genüsslich mein Getränk, das genial nach Kokos und Sahne schmeckt und genieße das Leben. Seufzend kuschle ich mich noch tiefer in die Hängematte hinein, streife die Sportsocken aus, werfe sie auf den Steg und lasse die Füße durch die Löcher im Netz bis ins Wasser baumeln. Gleich gehe ich auf jeden Fall noch einmal ins Wasser und ziehe meine Bahnen, wenn alle weg sind, um sich für das Abendessen schick zu machen. Dann gehört das Meer nur mir allein.

Hoppla, ich glaube, ich habe einen Fußballschuh verloren, denke ich, als ich eine halbe Stunde später auf Zehenspitzen und heruntergetretenen Kappen zum Zimmer wanke, um meinen Bikini anzuziehen. Das war ein großartiger Sonnenuntergang, geniale Musik, hach, ich könnte die Welt umarmen. Nehme dann aber mit der Säule vor der Zimmertür vorlieb, an die ich mich jetzt wie eine Ertrinkende klammere, weil mir doch ziemlich schummrig ist und ich Bedenken habe, dass ich sonst auf den harten Steinfliesen lande. Vorsichtig taste ich nach meiner Zimmerkarte, die ich an einem Band hängend auf der Brust trage. Ein Zimmermädchen kommt aus einem Nachbarzimmer und mustert mich neugierig.

»Ola«, winke ich fröhlich und denke, oh, das war doch Spanisch. Egal. Beherzt greife ich nach der Schlüsselkarte, checke die Entfernung von der Säule bis zur Tür, nehme Anlauf und entschließe mich zu einem kurzen Sprint. Der endet damit, dass ich gegen die Tür knalle und hinfalle. Das Zimmermädchen eilt zu Hilfe, sucht netterweise meinen zweiten Schuh, der einige Meter entfernt auf der Wiese liegt und geleitet mich an ihrem Arm hinein. Mit einem erleichterten spitzen Aufschrei plumpse ich aufs Bett und liege dort einen Moment, bis die Blase drückt. »Oh mann,« umständlich rappele ich mich wieder hoch und gehe ins Bad. Puh, ist das grell, sofort mache ich das Licht wieder aus. Dann öffne ich das Fenster und lasse das warme Licht der Abendsonne herein, die das Badezimmer in angenehmer Weise erhellt. Oh, ich tippe mir erinnernd an die Stirn. Pipimachen. Deswegen bin ich hier. Beim Händewaschen betrachte ich mich in diesem Schummerlicht in unserem Badezimmerspiegel. Vielleicht bekomme wieder einen klaren Kopf, wenn ich mir kaltes Wasser ins Gesicht spritze. Von der einen Sekunde auf die andere wird mir so richtig schlecht und ich muss mich am Waschbecken abstützen. Ich lasse mich zurück auf das Klo plumpsen und versuche, den Würgereiz zu unterdrücken. Bäh. Mir ist kotzübel. Vielleicht ist es besser, wenn das Zeugs raus ist. Bestimmt. Umständlich versuche ich, mir den Finger in den Hals zu stecken, wie ich es im Fernsehen ein paar Mal gesehen habe. Das ist echt richtig eklig, aber es funktioniert beim zweiten Anlauf. Ich schieße hoch und übergebe mich mit einem riesigen Schwall ins Waschbecken. Erschöpft und mit schweißnasser Stirn lasse ich mich wieder auf den Toilettensitz fallen. Dort bleibe ich ein paar Minuten sitzen und versuche, meine Atmung zu verlangsamen. Als ich mich wieder etwas gefangen habe, stelle ich fest, dass es eindeutig besser ist, dass das Zeugs draußen ist. Erneut ziehe ich mich am Waschbeckenrand hoch, um mein Gesicht eingehend zu betrachten. Meine Haut ist puterrot und meine Augen glänzen wässrig. Kein schöner Anblick. Blind angele ich mir ein Handtuch aus dem Regal und lasse es mit Wasser vollsaugen. Das pappe ich mir dann eine Minute lang ins Gesicht. Phhh, das brauche ich echt nicht noch mal. Beim kritischen Betrachten meines Spiegelbildes stelle ich mal wieder fest, dass meine Stirn viel zu hoch ist. Meistens trage ich meine langen, glatten rotblonden Haare zu einem Dutt. Das ist zwar praktisch, aber nicht wirklich vorteilhaft. Ich löse den Haargummi und meine Haare fallen mir schwer auf die Schultern. Wenn sie offen sind, sehe ich aber wirklich nicht aus wie ein Junge, denke ich immer noch etwas beleidigt über Johannas Kommentar. Meine Augen sind nicht groß, aber seit ich meine Wimpern tusche, wirken sie zumindest so. Die Augenfarbe liegt irgendwo zwischen türkis und grün, die Lippen sind ... ich spitze sie etwas ... normal und die Nase auch durchschnittlich, dann schaue ich an mir runter. Ich bin von Kopf bis Fuß mit Sommersprossen übersät, das gibt mir allerdings immer einen leicht gebräunten Teint, sogar im Winter. Ich bin groß und schlank, meine Oberschenkel durchtrainiert, der Busen nervt, auch wenn er winzig ist, ich hoffe inständig, dass er nicht noch weiter wächst. Mir reicht das, was ich habe, wird es mehr, stört es nur beim Sport. Ich presse ihn mit den Händen zusammen und gehe dann ins Schlafzimmer, um mir meinen Bikini anzuziehen. Jetzt springe ich doch noch einmal ins Meer, am besten, bevor Mama zurückkommt und mich so ramponiert vorfindet. Gerade als ich das Zimmer verlassen will, kommt sie mir entgegen.

»Du siehst verheerend aus? Alles gut?«, prüfend streicht sie mir die Haare aus dem Gesicht.

»Jap, ganz wunderbar! Kleiner Sonnenbrand!«

»Kind. Du musst dich besser eincremen. Ich habe dir doch die Fünfziger in die Tasche gesteckt.«

»Damit kriege ich ja noch nicht einmal einen Hauch Farbe!«

Ich versuche das Wort Hauch nicht so zu hauchen und in die entgegengesetzte Richtung zu sprechen, damit sie meine eventuelle Fahne oder das Erbrochene nicht riecht.

»Carlotta, bist du fertig im Bad?«, will sie wissen und schlüpft im Vorbeigehen aus ihrem T-Shirt.

»Klar, kannst rein.« Ich öffne die Tür für sie.

»Danke Schatz! Ich muss mich beeilen. Heute ist dieser Event-Abend, die White Night, da sind einfach alle in weiß gekleidet. Guck mal, ich war gerade in Manavgat auf einem Basar, hab’ dir was mitgebracht.«

Mama schießt wie ein Wirbelwind durchs Familienzimmer, wirft im hohen Bogen eine Tüte auf mein Bett und in der nächsten Sekunde ist sie auch schon im Badezimmer verschwunden.

»Wieso sagt mir denn niemand Bescheid, wenn ihr einen Ausflug macht?«, schmolle ich enttäuscht.

Mama öffnet die Tür einen Spalt. »Schatz, du hattest doch dein Fußballcamp bis viertel nach vier und der Bus fuhr schon um vier. Wir wollen aber alle noch mal hin«, besänftigt sie mich, »von daher hast du nichts verpasst.« Die Tür geht wieder zu und sie ruft noch: »Ich gehe noch schnell in die Sauna. Um acht ist der letzte Aufguss. Wir sehen uns dann beim Abendessen.«

»Dann gehe ich eben alleine schwimmen.« Schnell werfe mir ein Handtuch über die Schultern und schlüpfe in meine Flip-Flops.

Mamas Kopf schießt erneut hervor: »Das machst du auf keinen Fall, hörst du. Auf ... keinen ... Fall. Du gehst nicht alleine schwimmen. Du weißt, dass ich das nicht möchte. Du kannst einen Krampf bekommen oder was weiß ich ... Außerdem ist es schon viel zu spät.«

Boah, ja, ist ja gut. Immer dieses Theater um das Schwimmen. Das soll mal jemand verstehen. Wieso stecken die mich dann in diesen blöden Schwimmverein? Wenn jemand von uns schwimmen kann, dann doch wohl ich.

Mama brüllt durch die verschlossene Tür: »Du kannst ja warten bis Johanna kommt. Die wollte auch gehen.«

Wenn man vom Teufel spricht. Im nächsten Moment platzt Johanna schwer bepackt zur Tür hinein.

»Soooo geil, das war so geil, das glaubst du nicht«, schwärmt sie und zückt die erste Clutch aus der Plastiktüte. »Guck dir das an, Gucci, die sieht so was von echt aus. Das werden mir meine Abonnenten aus den Händen reißen. Und hier, ein Chanel-Kleid. Ziehe ich heute Abend an. Das findet Jan-Philippe bestimmt sexy. Toll, oder?«

»Ja, toll!« Wer bitte schön ist Jan-Philippe und was ist das überhaupt für ein bescheuerter Name?

»Was ziehst du denn an?«, flötet sie, während sie Dutzende von Handtaschen, Portemonnaies und T-Shirts mit auffälligen Designer-Emblemen aus den weiteren Tüten achtlos auf ihr Bett schüttet.

»Das nennt man Produktpiraterie!«, stoße ich verständnislos hervor. »Wie willst du das nach Deutschland schmuggeln?«

»Reg dich ab, vom Zoll haben wir nichts zu befürchten. So lange der Einkaufswert unter 430 Euro liegt und wir die Kleider selbst tragen.«

Erstaunt mustere ich Johanna, sonst scheint die von nichts ’nen Plan zu haben, aber hier ist sie voll informiert.

»Deine Mutter hat dir aber, glaube ich, auch was gekauft«, sagt sie abgelenkt durch das Abreißen der Preisschilder. »Dior oder Armani, kann aber auch Dolce & Gabbana gewesen sein.«

»Aha«, sage ich und bin entsetzt, dass Mama den Kauf von Fakes mitmacht,

»Dann muss sie das wohl besser umtauschen«. Ich greife nach der Taucherbrille an der Garderobe. »Hast du Lust, mit mir schwimmen zu gehen?«, frage ich halbherzig mit aufgesetztem Lächeln.

»Ich versau mir doch vor der Party nicht die Haare mit Salzwasser! Außerdem warten meine Follower auf mich. Ich muss gleich mal was Neues posten!«

»Ja, dann Tschüss!« Nichts wie weg hier, ehe sie es sich doch noch anders überlegt. Ich senke etwas die Stimme. »Sag meiner Mutter, ich gehe mit den Jungs vom Fußball schwimmen!«

Johanna verzieht ihr Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen, dann mustert sie mich ungläubig. »Mit den verschwitzten Fußballprolls. Na, du musst es ja wissen. Viel Spaß, dann auch ...«

Plötzlich zieht sie mich am Bikiniträger ganz nah zu sich heran. »Sag mal, hast du was getrunken!«

Ich hauche ihr meinen sauren Atem ins Gesicht, sie lässt mich angewidert los: »Nee, mich übergeben. Wahrscheinlich die Muscheln heute Mittag ...«

»Ey, verarsch mich nicht. Du stinkst nach Alkohol und Kotze.«

»Hab ja auch deinen Cocktail getrunken. Wusste gar nicht, dass du hier jeden Abend zur Happy Hour gehst. Weiß Marlene das eigentlich?«

»Wehe, du verpfeifst mich«, droht sie mir mit zusammengekniffenen Augen.

»Wehe, du verpfeifst mich«, drohe ich ihr mit demselben Blick.

Die Abendsonne steht tief und reflektiert sich auf dem spiegel­glatten Meer. Auf dem mittlerweile menschenleeren Holzsteg laufe ich bis zum Ende und genieße die Ruhe. Die anderen Gäste brezeln sich wahrscheinlich schon für den Event-Abend auf, vermute ich. Dieser aufgezwungene Dresscode ist das Einzige, was mich an diesem Clubleben nervt. Schwungvoll werfe ich die Taucherbrille ins Wasser und hechte mit einem Kopfsprung sofort hinterher, bevor sich die Brille mit Wasser füllen und abtauchen kann. Das Meer ist erfrischend und ich werde langsam wieder etwas klarer im Kopf. Unvermittelt muss ich grinsen. Irgendwie weiß jeder Erwachsene noch eine Anekdote zu berichten, wann er zum ersten Mal im Leben Alkohol getrunken hat. Das war heute mein erstes Mal. In einer Hängematte liegend zur Saxofonmusik am Strand von Side, das wird hundertpro unvergesslich. Aber so schnell brauche ich das auch nicht wieder, denn mir ist ehrlicherweise immer noch ziemlich flau. In der Hoffnung, dass ich eine dieser Schildkröten entdecke, mit denen man hier angeblich schwimmen kann, kraule ich ein Stück weiter hinüber bis zur Schwimminsel und tauche hinab zum Grund. Genau hier hat ein Junge aus dem Fußballcamp gestern eine gesehen. Aber das einzige, was ich dort finde, sind wunderschöne Muscheln. Doch mein Ehrgeiz ist geweckt. Ich werde heute eine Schildkröte finden, schwöre ich mir. Nach einer halben Stunde beschließe ich dann aber, doch glücklos aufzugeben. Gerade als ich auftauchen will, um zum Steg zurückzuschwimmen, sehe ich an der Kette, die die Insel an einem Gewicht am Meeresboden befestigt, etwas aufblitzen. Spontan strecke ich meine Hand aus und greife danach. Es ist eine Flasche, um die am Hals ein Seil geknotet ist, das sich an den Ringen der Ankerkette verheddert hat. Wenn mich nicht alles täuscht, befindet sich ein bunter Zettel im Bauch der Flasche. Oder habe ich Halluzinationen vom Restalkohol? Keine Ahnung, ich war ja noch nie betrunken. Aber das hier ist doch eine Flaschenpost, ganz bestimmt. Meine Luft wird knapp. Atemlos tauche ich noch einmal auf, hole tief Luft und schieße dann unter Wasser geradewegs auf die Flasche zu. Es braucht aber noch weitere drei Versuche, bis ich das Seil entknotet habe und die Flasche mit raufnehmen kann. Als ich mich hoch auf die Insel ziehe, bin ich völlig außer Puste. Ich lege mich rücklings aufs Deck, ziehe die Taucherbrille ab und atme erst einmal tief durch. Dann raffe ich mich wieder hoch und halte die Flasche vor mein Gesicht, um sie genau zu inspizieren. Sie ist mit einem Korken versehen, der sich nur schwer ziehen lässt. Wo bekomme ich jetzt einen Korkenzieher her? Mein Blick fällt auf die Strandbar. So schnell es mit einer Flasche in der Hand geht, schwimme ich zum Steg zurück. Da niemand mehr hinter der Bar steht, schiebe ich mich um die Hocker herum, nehme den Korkenzieher an mich und ziehe den bröseligen Korken aus der Flasche. Umständlich fingere ich den bunten Brief heraus. Er ist komplett trocken. Echt erstaunlich. Tatsächlich, eine echte Flaschenpost. Andächtig beginne ich zu lesen.

Wünschebrief an den Nikolaus

Lieber Nikolaus!

Ich weiß nicht, ob es dich wirklich gibt ... aber ich hoffe das schon ...und ich schreibe dir auf Deutsch, damit meine neugierigen Cousinen den Brief nicht lesen können. Du kannst ja sicher alle Sprachen ...

Mein Name ist Benazir Hamedi. Ich bin fast 10 Jahre alt und wohne in Damaskus.

Es tut mir leid, dass ich meinen Wunschbrief so spät abgebe.

(In zwei Tagen ist Weihnachten), aber wir sind erst gestern in Latakia angekommen.

Als erstes wünsche ich, dass Mama mir endlich erlaubt, eine Katze zu haben. Ich wünsche mir so eine weiße mit blauen Augen. Und ich werde sie Pfötchen nennen. Das ist ein niedlicher Name, den hier keiner aussprechen kann.

Und ich wünsche mir eine neue beste Freundin, mit der ich im Park picknicken kann oder Übernachtungspartys in meinem Zimmer mache. So wie mit Nadia.

Dann möchte ich endlich einmal in den Ferien nach Deutschland fliegen. Das haben Mama und Papa mir schon so lange versprochen. Mama will mir ihr Berlin zeigen. Da gibt es einen Ballon, mit dem man von oben über die ganze Stadt gucken kann.

Ballon fliegen, Flugzeug fliegen ... ich liebe das Fliegen!

Und ich brauche dringend neue Zeichenstifte.

Mehr fällt mir gerade nicht ein. Danke.

Deine Benazir

PS: Bitte schicke mir das Kätzchen nach Damaskus. Du weißt ja, wo ich wohne ... Kleiner Tipp: Die Tür mit der goldenen Klingel.

Wie süß, schmunzele ich und erinnere mich an meine eigenen Wunschzettel an den Nikolaus. Eigentlich sind das echt ganz schöne Lügengeschichten, die unsere Eltern uns da präsentieren: Christkind, Osterhase, Nikolaus und Zahnfee, alles Märchen. Unwillkürlich schüttele ich den Kopf ... aber irgendwie vermisse ich diese unbeschwerte Zeit auch, als ich noch daran geglaubt habe. Ich trage die Flasche in unser Zimmer. Mama und Marlene sind schon weg und Johanna höre ich im Badezimmer rumoren. Das kann dauern. Auf Johannas Bett sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Bombe, durchfährt es mich, Damaskus? Das stand doch auf dem Brief. Wenn mich nicht alles täuscht, ist das die Hauptstadt von Syrien, denke ich. Denn das haben wir in der Schule besprochen und man hört auch ständig in den Nachrichten davon. Wenn das Mädchen in diesem Land lebt, ist dort Krieg. Wie kann man in solchen Zeiten an den Nikolaus glauben und sich eine Katze wünschen?

Meine Spannung nimmt zu. Das Badezimmer ist auf unbestimmte Zeit besetzt und ich will mich eh nicht großartig aufstylen, da kann ich auch noch einmal runtergehen. Ich verstecke die Flasche vor Johannas neugierigen Blicken unter meinem Bett und werfe mir schnell das erstbeste Strandkleid über, das ich in die Finger bekomme. Leise schleiche ich wieder aus dem Zimmer. Neugierig und irgendwie auch etwas aufgeregt setze ich mich an den Computer in der Nähe der Rezeption und recherchiere im Internet nach einer Benazir Hamedi. Zuerst stelle ich mir das richtig schwer vor und fühle mich wie in einer dieser Detektiv-Serien, dann aber finde ich relativ schnell ein Mädchen mit exakt diesem Namen. Allerdings sieht sie deutlich älter aus als zehn, die ist doch mindestens dreizehn oder vierzehn. Ein hübsches Mädchen mit dunklen Locken lacht in die Kamera, sie hat große, blaue verträumte Augen und ich finde sie wunderschön. Ihr Lächeln ist sympathisch aber irgendwie hat sie einen traurigen Zug um ihren Mund. Ob sie das wirklich ist? Das kann eigentlich nicht sein, in dem Alter schreibt man doch nicht mehr an den Nikolaus. Ach was, egal, vielleicht ist das ja ein Bild von ihrer älteren Schwester, denn mit zehn hat man ja noch keinen Facebook-Account, ich zumindest hätte in dem Alter noch keinen haben dürfen. Ist ja schon ein Wunder, dass ich Mama und Papa vor den Ferien überhaupt dazu rumgekriegt habe. Ich schreibe ihr jetzt einfach, schließlich findet man nicht alle Tage eine Flaschenpost.

Liebe Benazir,

ich heiße Carlotta, bin fast vierzehn Jahre und komme aus Deutschland. Zurzeit mache ich Urlaub in der Türkei mit meiner Mutter, ihrer Freundin und deren Tochter Johanna. Na ja, die muss ich mehr oder weniger in Kauf nehmen, sie ist so richtig anstrengend. Eine echte Tussi &

So, jetzt komme ich mal auf das Wesentliche, ich habe heute deine Flaschenpost gefunden. Jetzt hoffe ich nur, dass du die richtige Benazir bist, denn auf dem Foto siehst du viel älter aus, als ein zehnjähriges Mädchen, das noch an den Nikolaus schreibt. Ich fand deine Wünsche jedenfalls total süß und als ich gelesen habe, dass das Fliegen dein größter Wunsch ist, hatte ich das Gefühl, ich müsste dir sofort schreiben. Denn mein größter Wunsch ist es, Pilotin zu werden. Dass mit der besten Freundin kenne ich auch. Irgendwie bin ich nur von Jungs umgeben, so eine richtige ›beste‹ Freundin hatte ich nur im Kindergarten. Ich weiß gar nicht, was ich dir so richtig schreiben soll, weil wir uns ja gar nicht kennen ... Auf jeden Fall würde ich mich freuen, wenn du die richtige Benazir Hamedi bist, schreibe mir doch bitte zurück. Ich würde gerne wissen, ob du das Kätzchen tatsächlich bekommen hast. Ach ja, meine Hobbies sind Fußball und das Fliegen eben, eines Tages werde ich bestimmt in die Luft gehen und wer weiß, vielleicht komme ich auch mal zu dir. Ich habe ja gesehen, dass du in Syrien wohnst. Von hier aus ist das nicht so weit, von Deutschland aus schon. 

Alles Liebe, deine Carlotta

PS: Benazir ist ein hübscher Name. Was bedeutet er?

PS 2: Und wie spricht man ihn genau aus?

Ich drücke auf die Returntaste. Die Nachricht ist raus. Ich bin so gespannt, ob ich eine Antwort bekomme. Etwa zwanzig Minuten lang tummele ich mich im Rezeptionsbereich herum. Zum gefühlten tausendsten Mal gucke ich mir die Auslagen in dem Modegeschäft an, obwohl mich dort wirklich nichts interessiert. Nervös schiele ich immer wieder auf den Computer, setze mich hin, gehe auf Facebook, logge mich wieder aus und werde mittlerweile von den Hotelangestellten angestarrt, als würde ich nicht richtig ticken. Nach und nach kommen immer mehr weiß gekleidete Gäste in die Lobby. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit. Nein, mir bleibt gar keine Zeit mehr, denn nun stehen Mama und Marlene vor mir. Ganz in weiß, mit Blüten in den Haaren. Mama verschränkt empört die Arme vor der Brust.

»Wir haben dich schon überall gesucht«, entfährt es ihr. »Johanna hat gesagt, du warst mit«, ihre Stimme wird ganz schrill, »Jungs schwimmen!«

»Sie wollte ja nicht mit!«, entgegne ich und füge schnippisch hinterher: »Und du hattest ja auch keine Lust!«

Dass ich letztendlich ganz alleine war, behalte ich lieber für mich.

»Das Galadinner fängt in einer halben Stunde an und du bist nicht einmal ansatzweise angezogen!«, überhört sie meinen Vorwurf. »Marlene und ich gehen jetzt an die Bar, Johanna macht sich oben noch zurecht, also beeile dich bitte mit dem Umziehen, dein Kleid liegt auf deinem Bett«, instruiert sie mich im Weggehen.

Also trolle ich mich wieder nach oben in unser Familienzimmer. Bevor ich die Tür aufmachen kann, wird sie von der anderen Seite aufgerissen. Johanna stoppt mitten in der Bewegung und guckt ungläubig an mir herunter.

»Wie willst du das denn schaffen?«, fragt sie mich, während sie mit spitzen Fingern meine halbtrockenen Haarsträhnen befühlt.

Mir fällt gerade keine passende Antwort ein, denn ich bin von ihrer weißen Erscheinung geradezu geblendet. Eins muss man ihr lassen: im Stylen macht ihr keiner was vor. Ich starre auf ihre Füße. Wow, sogar weißer Nagellack. Zufrieden nimmt sie meinen Blick zur Kenntnis, denn sie missdeutet ihn als Bewunderung. Sie wirft mir eine Kusshand zu und stöckelt an mir vorbei in Richtung Treppenhaus.

Dabei knickt sie zweimal um in ihren Highheels. Ich kann mir ein gehässiges Grinsen nicht verkneifen. Alleine im Zimmer werfe ich mich erst einmal auf mein von Mama zurechtgelegtes Kleid. Irgendetwas unangenehm Spitzes bohrt sich in meinen Rücken. Ich ziehe es umständlich unter mir hervor. Eine Haarspange mit weißen Plastikorchideen. Das kann ja heiter werden. Um jetzt keinen zu provozieren, ziehe ich sogar das Kleid an. Die Schildchen lasse ich aber dran, dann kann Mama das morgen wieder umtauschen. Ich greife nach meinem Handy und gehe über WLAN in den App-Store. Jetzt muss die Facebook-App her, dann bin ich autark. Kaum habe ich sie heruntergeladen, plöppt auf dem Display eine Nachricht auf. Gerade als ich sie lesen will, klingelt das Handy. Es ist Papa.

»Carl-Otto, alles klar bei euch?«, fragt er und scheint dabei genüsslich etwas zu kauen.

Wieso hat mir Papa einen Jungenspitznamen verpasst und Mama will aus mir ein typisches Mädchen machen? Irgendwas läuft doch schief in unserer Familie, denke ich kopfschüttelnd, und versuche, das Preisschild mit einer Hand wieder hinten in den Kragen zu stopfen.

»Hab mir grad ein paar Schnittchen gemacht. Ist ziemlich trostlos hier ohne euch«, beschwert sich Papa. »Was macht das Fußballspielen? Wie geht’s mit Johanna? Habt ihr Spaß?«

»Klar, alles super. Fußball ist genial. Ich bin Mittelstürmerin.«

»Du kannst ja auch super rennen!«

»Schade, dass du nicht mitgekommen bist.«, seufze ich.

»Nächstes Mal! Gibst du mir noch Mama, ich kann sie nicht erreichen. Sie hat ihr Handy aus.«

»Ich sag ihr Bescheid. Sie ist schon beim Essen.«

»Gut, dann mache ich mich jetzt über das Chili her, das Mama vorgekocht hat.«

»Mach das, Papa!«

»Küsschen und viel Spaß noch!«

Erst Schnittchen, dann Chili. Papa futtert vor Einsamkeit anscheinend alles in sich hinein. Hoffentlich kommt er für den Rest der Woche über die Runden.

Und dann habe ich ihn jetzt am Telefon auch noch irgendwie abgewürgt, aber ich bin so neugierig auf die Nachricht, die ich nun mit zittrigen Fingern öffne.

Liebe Carlotta,

mein Herz klopft wie verrückt. Ich kann es gar nicht glauben und meine Haut ist voller – wie sagt man im Deutschen – Vogelhaut? Ich habe wirklich eine Flaschenpost geschrieben! Aber das ist schon so lange her, da war ich ja noch ein kleines Mädchen. Ich bin nun 14 Jahre alt. Also war meine Flasche 4 Jahre unterwegs!

Kein Wunder, dass ich kein echtes Kätzchen bekommen habe, son­dern nur eine Stoffkatze ... & Ich weiß noch, wie enttäuscht ich war!

Du sagst, du hast sie in der Türkei gefunden? Wo genau? Was für ein Wunder! Und es ist auch unglaublich, dass du Deutsche bist. Woher kommst du? Meine Mutter ist in der DDR aufgewachsen, sie hat bis zu ihrem zwölften Geburtstag in Ost-Berlin gelebt bis die Mauer gefallen ist. Dann ist sie mit meinen Großeltern nach Syrien zurückgekehrt. Mein Opa war Diplomat.

Mama spricht mit uns Deutsch, also mit meinem Bruder und mir, seit unserer Geburt. Sie ist ziemlich streng und möchte, dass wir irgendwann perfekt reden. Sie sagt, dass sie uns eines Tages ihre zweite Heimat zeigt. Und momentan würde ich auch gerne einmal woanders sein als hier in Damaskus. Also vielleicht komme eher ich mal zu dir geflogen. Du liebst das Fliegen auch so sehr?

Bitte schreibe mir wieder!

Deine Benazir

PS: Benazir bedeutet: die Unsichtbare. Habe ich jedenfalls mal gelesen. Keine Ahnung, warum meine Eltern mich so genannt haben.

PS2: Das Z wird wie ein weiches S ausgesprochen. Es klingt etwa so: Benasier.

Ich kann es auch kaum glauben. Wie cool ist das denn? Ich finde eine Flaschenpost, den richtigen Absender und dann auch noch aus Syrien, einer komplett anderen Welt und diese Person spricht auch noch Deutsch? Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Ich muss sofort zurückschreiben. Zehn Minuten reichen dicke für’s Duschen und Zurechtmachen, kalkuliere ich.

Liebe Benazir,

ich war so neugierig, ob du mir zurückschreibst, da habe ich mir direkt auf mein Handy die Facebook-App geladen, damit ich deine Antwort bloß nicht verpasse. Das ist so was von spannend, ich habe also eine Flaschenpost gefunden, die so viele Jahre unterwegs war. Unfassbar! Dass mit dem Kätzchen tut mir leid, fast fühle ich mich schuldig ...

Jetzt hat der Nikolaus die Nachricht nicht erhalten, sondern ich. &

Ich habe übrigens einen Hund. Eine englische Cockerspaniel-Hündin. Kennst du diese Rasse? Die sind süß, haben aber keinen Fressstopp. Deshalb sieht Jette eher aus wie ein Kugelfisch, als wie ein Hund. 

Ich habe gehört, dass in deinem Land Krieg herrscht. Bekommst du da viel von mit? Entschuldige bitte meine komischen Fragen, aber ich weiß ja gar nicht, wie es in einem Land ist, wo es Krieg gibt.

Ja, ich liebe alles, was mit Flugzeugen zu tun hat! Es ist mein größter Wunsch, Pilotin zu werden. Ich durfte neulich mal in einem Flugsimulator für eine halbe Stunde eine Boeing-737-800 fliegen! Und seitdem bin ich total darauf fixiert!