Die Wasserstoff-Wende - Monika Rößiger - E-Book

Die Wasserstoff-Wende E-Book

Monika Rößiger

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Beschreibung

Klimaneutralität bis 2045 lässt sich nur mit Hilfe von grünem Wasserstoff erreichen. Er ist der Schlüssel zur Energiewende und wird durch die Spaltung von Wasser via Ökostrom erzeugt. Was technisch und wirtschaftlich bereits machbar ist, zeigt Monika Rößiger in diesem hochaktuellen Buch. Wasserstoff kann Energieträger und Speichermedium zugleich sein. Er gibt uns die Chance, auf Erdöl, Kohle und Erdgas zu verzichten. Die Wissenschaftsjournalistin Monika Rößiger beschreibt diese revolutionäre Technologie und ist überzeugt: Die kommenden Jahre stellen die Weichen für unsere Zukunft. Unter dem Druck drohender Energieknappheit sollten wir uns nicht erneut in zweifelhafte Abhängigkeiten begeben. Rößiger porträtiert Pilotprojekte und die Menschen dahinter: In der Energieversorgung, Stahlindustrie und Hafenlogistik, beim Antrieb von Lkw, Zügen, Schiffen und Flugzeugen – überall wird die Nutzung erprobt. Und auch für die rentable Produktion grünen Wasserstoffs gibt es interessante Ansätze. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen nun an einem Strang ziehen: Mit Hilfe von Wasserstoff können wir die Energiewende schaffen und dabei Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland sichern.

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Monika Rößiger

Die Wasserstoff-Wende

So funktioniert die Energie der Zukunft

Inhalt

Jetzt geht es los:Die Wasserstoffwirtschaft nimmt Fahrt auf

I Am Anfang sind die Elemente:Grundlagen der Wasserstofftechnologie

II Brückenschlag:Mehr Energieeffizienz durch Sektorenkopplung

1. Das Norddeutsche Reallabor: Regionale Wirtschaft mit grünem Wasserstoff

2. Grüner Wasserstoff auf dem Meer: Das AquaVentus-Projekt vor Helgoland

III In ganz großem Stil:Grüner Wasserstoff in der Industrie

1. Unser Energiehunger im Konflikt mit dem Naturschutz

2. Klimaneutraler Stahl: Eine Schlüsselindustrie baut sich um

3. Der Beginn einer neuen Kupferzeit

4. Ganzheitliches Konzept: Ein Industriegebiet bei Rostock lebt vom Wasserstoff

5. In der Pipeline: Der Aufbau von Wasserstoffnetzen in Deutschland

IV Mobil bleiben: Die Verkehrswende

1. Zu Wasser, zu Lande und in der Luft: Klimaschonend unterwegs

2. Aus Alt mach Neu: Wie der Schwerlastverkehr umgerüstet werden kann

3. Von der Eisenbahn zum Wasserstoffzug: Wie die Bahn ihre Verspätung aufholen will

4. Vom schwarzen Gold zum grünen Gas: Hafenlogistik und Übersee-Importe

5. Von Hamburg in die Welt: Der Hafen auf dem Weg in die Klimaneutralität

6. Sauber aufs Wasser: Weniger Emissionen in der Schifffahrt

7. Über den Wolken – grenzenlose CO₂-Freiheit?

Einleitung

Jetzt geht es los: Die Wasserstoff­wirtschaft nimmt Fahrt auf

September 2019, inmitten saftig grüner Wiesen in Nordfriesland, kurz vor der dänischen Grenze. Ich bin Teil einer Besuchergruppe, die von Reinhard Christiansen in den Bürgerwindpark Ellhöft geführt wird. Die Teilnehmer der Exkursion sind aus ganz Deutschland angereist. Es weht eine steife Brise. Doch als der Gründer des Windparks Ellhöft mit seinen Gästen das Gelände betritt, zeigt sich ihnen ein bizarres Bild: Alle Windräder stehen still! Nicht nur die eigenen, sondern auch fast alle anderen Windräder der Umgebung. Soweit das Auge reicht.

Windräder, die sich bei Wind nicht drehen. Wie kann das sein? Das liegt am sogenannten Einspeise-Management, erklärt Christiansen. Wenn mehr Strom produziert wird, als die Leitungen aufnehmen können, regeln die Netzbetreiber die Erzeuger ab. Und das, obwohl Ökostrom qua Gesetz vorrangig eingespeist werden soll. Aber in der Praxis sei das kaum möglich, fährt der Windparkgründer fort. Wind- und Fotovoltaik-Anlagen lassen sich schneller abschalten als ein schwerfälliges Kohlekraftwerk. Deshalb stehen in Deutschland nicht selten alle Windräder einer Region still – anstatt z.B. »den nominell möglichen Ökostrom wirklich zu erzeugen und in Wasserstoff umzuwandeln«, wie Christiansen erklärt. Der könnte in das bestehende Gasnetz eingespeist oder an einer Wasserstofftankstelle verkauft werden.

Diese absurde Geschichte über die Nichterzeugung von Ökostrom, der aber trotzdem von uns Verbrauchern und Steuerzahlern bezahlt werden muss, war für mich eine Initialzündung, mich noch intensiver mit diesem Thema zu beschäftigen. Zwar hatte ich in den Jahren zuvor immer mal wieder über erneuerbare Energien und auch Wasserstoff berichtet, aber noch schrieb ich vor allem über Wälder, Meere und Wildtiere, über den Schutz der Biodiversität und die Folgen des Klimawandels. Durch eine Mischung aus Zufall und Neugierde kam ich immer mehr mit Projekten der Energiewende in Berührung. Und merkte, wie wenig ich eigentlich über die Praxis wusste. Welche Rolle Wasserstoff dabei spielen könnte, blieb lange ein Thema für Fachkreise, ein Gegenstand von Forschung und Entwicklung. Doch die Praxisbeispiele fand ich vielversprechend: Von ihnen will ich berichten, denn sie können uns allen eine Idee davon vermitteln, wie die Energiewende funktionieren kann. Und diese Reportagen, die einem auch die Geschichten hinter der Technik näherbringen, sollen zugleich Mut machen, auch wenn wir uns als Gesellschaft erst am Anfang eines langen Weges befinden.

Als ich mich schon in der Schlussphase des Manuskriptes befand, nahm dieser Weg eine dramatische Wendung. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat uns – neben vielen anderen verstörenden Erkenntnissen – vor Augen geführt, wie riskant und unklug die Abhängigkeit von fossilen Energien ist. Ökologisch konnte das jedem längst klar sein. Aber nun gewinnt diese Abhängigkeit eine politische und moralische Dimension, die die Energiewende in unerwarteter Weise vorantreibt. Lange haben die Pioniere alternativer Energieerzeugung und -nutzung über das Fehlen des politischen Willens geklagt, die Erkenntnisse und Erfahrungen konsequent umzusetzen. Solche Pioniere sind neben Wissenschaftlern und Unternehmern mit Weitblick vor allem Bürgerinitiativen und Energiegenossenschaften, die sich unter anderem infolge des Reaktorunfalls von Tschernobyl 1986 gründeten, um zu zeigen, dass es auch anders geht. Seitdem verfolgen sie einen konsequent ökologischen Weg, argwöhnisch beäugt von Energiemonopolisten, teils auch bekämpft.1

Die Einstellung von Stromkonzernen und großen Teilen der Industrie ändert sich erst seit einigen Jahren: Mehr und mehr Unternehmen erkennen die Notwendigkeit des Klimaschutzes und – damit unweigerlich verbunden – die Notwendigkeit eines planmäßigen Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen. Auch die Politik spielte lange eine unrühmliche Rolle in Sachen Energiewende: Wie sehr diese ausgebremst wurde, kann man z.B. in der Greenpeace-Broschüre Faktencheck Klimabremser nachlesen.2 Erst seit dem Regierungswechsel im Herbst 2021 ist auch der politische Wille da, dem Klimaschutz die gebührende Priorität einzuräumen. Und seit dem russischen Angriff auf die Ukraine gilt Energiepolitik sogar als wichtiger Faktor in der Außen- und Sicherheitspolitik, avancieren erneuerbare Energien plötzlich zu »Friedensenergien«.3

Immerhin, auch vor der viel beschworenen »Zeitenwende« hatte es schon regionale Allianzen zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und öffentlichen Verwaltungen gegeben. Man konnte große Technologiesprünge beobachten, etwa in der Offshore-Windenergie, und erhebliche Effizienzverbesserungen bei der Windenergie an Land und in der Solarstrom-Erzeugung. Auch waren die wissenschaftlichen Erkenntnisse im Bereich erneuerbarer Energien nach jahrelanger, intensiver Forschung inzwischen verstärkt in die Praxis gegangen, erst in kleine Pilotprojekte, dann in zunehmend größere »Demonstrationsvorhaben«, wie das genannt wird. Diese Allianzen nahmen und nehmen es auf sich, im semiindustriellen Maßstab zu erproben, was später einmal im großen Ganzen funktionieren soll. Und man muss ja zugestehen: Eine Systemumstellung im laufenden Betrieb ist an sich schon eine Herausforderung. Sie impliziert jede Menge an gesellschaftlichen, rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Fragen. Nun, endlich, und leider erst unter dem Druck eines grausamen Angriffskrieges mitten in Europa, beginnt die Politik auch auf nationaler und EU-Ebene den rechtlichen Rahmen zu schaffen, damit die Unternehmen ihre Investitionen im Sinne der Minderung von Treibhausgasen planen können. Und nicht zuletzt muss die Bundesregierung unsinnige oder obsolet gewordene Regelungen und bürokratische Hemmnisse ebenso abschaffen wie umweltschädliche Subventionen in Milliardenhöhe.4

Umweltorganisationen, Unternehmen, Projektentwickler aus der Erneuerbare-Energien-Branche und auch Landespolitiker warnen schon lange, dass die bundespolitisch gewollte Ökostrom-Lücke der vergangenen Jahre viele negative Folgen haben würde.5 Nicht zuletzt die Verlagerung von Produktionskapazitäten – insbesondere der Offshore-Windenergie – ins Ausland sowie den Verlust von Fachkräften. Vergeblich. Das fällt uns nun auf die Füße, zu einer Zeit, in der uns unter schwierigeren Bedingungen als je zuvor gar nichts anderes übrig bleibt, als die Energiewende so schnell wie möglich zu Ende zu führen.

Will man dieses Ziel so erreichen, dass auch große Teile der Bevölkerung davon überzeugt sind, selbst davon zu profitieren, ist das nicht zuletzt eine Frage der Kommunikation. Als ich mit dem Buch begann, spielte das Thema Grüner Wasserstoff in den Publikumsmedien eine verschwindend geringe Rolle. Nur die Fachmedien berichteten umfangreich und regelmäßig. In meiner journalistischen Arbeit saß ich zwischen den Stühlen: selbst zwar keine Fachjournalistin, aber mit großem Interesse an diesem Gebiet und dem Wunsch, die Sache im Sinne des Klimaschutzes mehr in die Öffentlichkeit zu bringen. Das, was ich bei meinen Recherchen herausgefunden habe, erscheint mir nicht nur berichtenswert, es ist obendrein sehr ermutigend. Diese Zuversicht möchte ich an Sie weitergeben, ohne die Schwierigkeiten, die es natürlich auch gibt, zu verschweigen.

Insgesamt besteht ja Grund zur Hoffnung: Die Energiewende – jenseits der Stromwende – ist technisch möglich. Dafür gibt es bereits viele gute Praxisbeispiele. Eine Auswahl davon möchte ich hier vorstellen – exemplarisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Ursprünglich wollte ich nur von Projekten berichten, die ich selbst besucht hatte, aber da machte mir die Pandemie einen Strich durch die Rechnung, denn selbst nach Aufhebung des Lockdowns ließ kaum ein Betrieb externe Besucher auf sein Gelände. Das war und ist umso verständlicher, wenn die Unternehmen zur kritischen Infrastruktur gehören. Mein geografischer Radius verengte sich somit immer mehr auf den norddeutschen Raum. Inhaltlich erwies sich das jedoch nicht als Nachteil, weil die Energiewende hier aufgrund der hohen Windstromerzeugung im nationalen Maßstab schon am weitesten fortgeschritten ist. Außerdem hatten die norddeutschen Bundesländer schon 2019, noch vor der Bundesregierung, eine eigene gemeinsame Wasserstoffstrategie vorgelegt.6 Viele der Wasserstoffprojekte, die ich hier pars pro toto beschreibe, lassen sich perspektivisch zudem auf andere Regionen in Deutschland und Europa übertragen. Nicht zuletzt wegen dieser Vorreiterrolle werden sie ja zum Teil auch mit EU-Mitteln gefördert.

Es bleibt allerdings ein Handicap, dass die Wasserstoffprojekte zur Zeit meiner Recherche oft noch im Anfangs- und Aufbaustadium steckten, sodass eine externe Beurteilung noch nicht möglich war. Das bedeutet auch, gerade bei Unternehmensinitiativen, dass ich sehr auf Selbstauskünfte angewiesen war. Seit März 2022 nimmt aber die Berichterstattung in den Publikumsmedien zu diesem Thema deutlich zu, und wenn das allgemeine Interesse steigt, wird es auch mehr wissenschaftliche Validierung geben und mehr kritische Kommentierung einzelner Projekte. Obendrein sind Wasserstoffinitiativen inzwischen wie Pilze aus dem Boden geschossen: Das ist schon jetzt ein kaum mehr überschaubar weites Feld geworden. Das ist ein gutes Zeichen – nicht nur, weil Konkurrenz das Geschäft belebt, sondern auch, weil es dann mehr Erfahrungen und mehr Vergleichsmöglichkeiten gibt.

Obwohl es in diesem Buch vor allem um Beispiele aus Forschung und unternehmerischer Praxis der jüngsten Zeit geht und nicht um die frühen Ökopioniere der 1980er Jahre, möchte ich diese hier ausdrücklich würdigen. Ohne ihren Mut, ihre Tatkraft und ihre Beharrlichkeit wäre vieles, von dem ich hier berichte, noch immer Zukunftsmusik.

Ich beschäftige mich hier vor allem mit der großtechnischen Produktion von grünem Wasserstoff und mit seinem in naher Zukunft möglichen Einsatz in den vier Wirtschaftsbereichen, die aus Gründen des Klimaschutzes allesamt ihre Treibhausgasemissionen senken müssen: Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr und Wärmeversorgung. Das bedeutet in der Regel eine tiefgreifende Veränderung von Prozessen und Infrastruktur. Während grüner Wasserstoff in einigen Bereichen unverzichtbar sein wird, ist er an anderer Stelle wenig oder gar nicht sinnvoll. Warum das so ist und wie sein Einsatz insgesamt aussehen kann, möchte ich hier anhand von praktischen Beispielen erläutern. Dazu gehört auch ein Blick auf die sich anbahnenden Neuerungen in unserem Alltag, etwa die Frage, wie grüner Wasserstoff den Transport von Menschen und Gütern verändern wird.

Die Zukunft von grünem Wasserstoff als Energieträger und Energiespeicher hat bereits begonnen. Mitte April 2022 kostete dieser mit Hilfe von erneuerbaren Energien und Wasserspaltung (Elektrolyse) hergestellte Wasserstoff erstmals weniger als sogenannter grauer Wasserstoff, der aus Erdgas gewonnen wird.7 Das hängt freilich mit den seit Herbst 2021 stark gestiegenen Preisen für fossile Energie zusammen, aber auch mit den – unabhängig von der politischen Lage – gesunkenen Preisen für Strom aus Sonnen- und Windkraftanlagen. Ökostrom kostete allerdings auch vorher schon weniger als Strom aus fossilen Rohstoffen, was vor allem dem technischen Fortschritt sowie der seriellen Herstellung zu verdanken ist. Das war abzusehen und wurde von Fachleuten auch vorhergesagt; nur leider hat die Politik nicht rechtzeitig die Weichen für einen klimaschonenderen Weg des Wirtschaftens gestellt. Dabei führt an erneuerbaren Energien und Wasserstoff kein Weg vorbei, wenn wir die Erwärmung der Atmosphäre bremsen wollen.

Was wir für eine sichere und zuverlässige Energieversorgung brauchen, ist die Abkehr vom zentralistischen Prinzip der Großkraftwerke, egal ob Kohle oder Atom8. Essenziell für mehr Sicherheit und Widerstandsfähigkeit in der Energiewirtschaft ist ein dezentrales System mit vielen unterschiedlichen grünen Strom- und Wärmeerzeugern sowie Speichern. All diese Anlagen sollten sich über das ganze Land verteilen, lokale und regionale Netze bilden und sich dort, wo es möglich ist, auch grenzüberschreitend mit entsprechenden Projekten in den Nachbarländern verknüpfen. Wir brauchen mehr Möglichkeiten für Mieter in Mehrfamilienhäusern, auf ihren Dächern Energie zu erzeugen und untereinander zu teilen, und wir brauchen mehr genossenschaftliche Quartierskonzepte. In diesem Bereich lässt das im Prinzip ambitionierte »Osterpaket« des Bundeswirtschafts- und Klimaschutzministeriums noch zu wünschen übrig.9 Zu Recht bemängelt der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), dass die seit Jahren kritisierten bürokratischen Hemmnisse für Mieterstrom und finanzielle Beteiligung von Kommunen immer noch nicht beseitigt wurden. Zudem fehlt nach wie vor die Umsetzung der EU-Energy-Sharing-Richtlinie in deutsches Recht.10

Und wir brauchen mehr Teilhabe an Windenergieprojekten, etwa durch Bürgerenergiegesellschaften wie in Ellhöft – schon aus praktischen Gründen, um den Windenergieausbau in die Fläche zu bringen. Aber auch, weil solche gemeinsamen Projekte am besten geeignet sind, das Sankt-Florians-Prinzip zu überwinden, das in manchen Kommunen und Regionen immer noch herrscht, wenn es darum geht, Windräder in der eigenen Umgebung zu errichten. Der in Ellhöft generierte Windstrom dient inzwischen übrigens unter anderem zur Erzeugung von grünem Wasserstoff, der an eine öffentliche Wasserstofftankstelle der Region abgegeben wird.11

Die Kombination aus Erzeugung, Speicherung, Transport und Verwertung von grünem Wasserstoff wird bei neuen Projekten inzwischen von vornherein geplant.

Wie die Produktion von Wasserstoff funktioniert, beschreibe ich im folgenden Kapitel.

Kapitel I

Am Anfang sind die Elemente: Grundlagen der Wasserstoff­technologie

Früher dachte ich bei Wasserstoff als Erstes an die Knallgasreaktion – ein Klassiker der Schulexperimente. Seine Vorführung ist beeindruckend genug, um dem chemischen Element für immer mit Respekt zu begegnen. Darüber hinaus wird einem im Biologieunterricht bewusst, dass wir ohne Wasserstoff nicht existieren würden: Mit Sauerstoff verbindet er sich zu Wasser, unserem Lebenselixier, wichtiger Bestandteil unseres Organismus, wesentlich für viele Stoffwechselprozesse. Ohne Wasser gäbe es kein Leben auf der Erde, keine Fotosynthese, keine Atmung.

Darüber hinaus ist Wasserstoff nun der neue große Star der Energiewende. Warum jetzt? Oder vielmehr: Warum erst jetzt? Denn das Wissen um die Macht des Wasserstoffs ist nicht neu: Knallgas ist schon seit dem 17. Jahrhundert bekannt; als Element wurde Wasserstoff 1766 entdeckt. Und das Prinzip der Brennstoffzelle ist schon beinah 200 Jahre alt. 1838 entdeckte es Christian Friedrich Schönbein, ein deutsch-schweizerischer Chemiker und Physiker. Der literarische Visionär Jules Vernes schrieb Ende des 19. Jahrhunderts in seinem Roman Die geheimnisvolle Insel: »Die Energie von morgen ist Wasser, das durch Strom zerlegt worden ist. (…) Wasser und Sauerstoff werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern.«12

So weit ist es noch nicht – genau davon handelt ja dieses Buch –, auch wenn Wasserstoff schon vielerorts eingesetzt wird: Die Chemieindustrie verwendet Wasserstoff seit mehr als 100 Jahren, und die ersten Ausflüge ins All, die ersten Schritte des Menschen auf dem Mond wären ohne die Mitwirkung von Wasserstoff nicht möglich gewesen. Bis heute basiert die Raumfahrt auf Wasserstoff als Energieträger und der Brennstoffzelle, um diese Energie zu nutzen. Aber auch die alltäglicheren Möglichkeiten werden schon lange gesehen: Automobilkonzerne haben immer wieder mit Wasserstoff als alternativem Treibstoff experimentiert, aber die Forschung am Ende doch eingestellt – zu teuer, zu aufwendig, zu gefährlich. Erst vor wenigen Jahren haben sich einige der Unternehmen auf Wasserstoff als Alternative zum Verbrennungsmotor besonnen. Inzwischen jedoch, so scheint es, ruhen alle Hoffnungen der Welt auf Wasserstoff: als Energieträger der Zukunft, als unverzichtbarer Energiespeicher, als globales Handelsgut mit einem Milliardenmarkt.

Diese Neubewertung von Wasserstoff basiert also darauf, dass die Dringlichkeit des Klimaschutzes endlich bis in die höchsten Kreise von Politik und Wirtschaft vorgedrungen ist. Klimaforscher warnen zwar bereits jahrzehntelang eindringlich und immer wieder vor den Gefahren steigender Treibhausgasemissionen, stießen jedoch oft auf taube Ohren, zumindest in der Politik. Und selbst dort, wo die Ohren nicht taub waren, reichte es bis zur Umsetzung in konkrete Rahmenbedingungen bzw. Gesetze häufig nicht. Es brauchte wohl letztlich den Druck von der Straße, von Millionen vor allem junger Menschen, um die Regierungen schließlich zum Handeln zu bewegen.

Aber wie funktioniert die Energiewende mit Hilfe von Wasserstoff, und warum ist er so wichtig für das Ziel, den menschengemachten Klimawandel nicht weiter zu beschleunigen?

Wasserstoff ist zwar das häufigste Element im Universum, aber nicht auf der Erde, wo er an Säuren und Metalle gebunden ist, vor allem aber an Sauerstoff – Wasser eben. In seiner reinen Form besteht das Wasserstoffmolekül aus zwei Wasserstoffatomen. Deshalb die chemische Kurzformel H2. Im molekularen Zustand ist Wasserstoff ein farb- und geruchloses Gas, das erheblich leichter als Luft ist. Es ist ungiftig und unschädlich für Menschen, Pflanzen und Tiere, deshalb gilt es als weder gesundheitsgefährdend noch umweltschädlich.

Wasserstoff herstellen

H2 lässt sich auf unterschiedliche Weise und aus unterschiedlichen Ausgangsstoffen gewinnen – vor allem, wenig überraschend, aus Wasser. Prinzipiell könnte aus den mächtigen Wasserflächen, die die Erde zu mehr als zwei Dritteln bedecken, Wasserstoff in großer Menge generiert werden; die Frage ist allerdings, mit welchem Aufwand.

Zurzeit gängig und schon seit Längerem etabliert, ist die Dampfreformierung, bei der Erdgas mit Hilfe von Wasserdampf in Wasserstoff und Kohlendioxid (CO2) gespalten wird. Weil das dabei anfallende CO2 nicht weiterverwendet wird und somit in die Atmosphäre gelangt, ist dieser Prozess klimaschädlich.

Perspektivisch interessanter ist es, Wasserstoff herzustellen, indem man Wasser durch das Verfahren der Elektrolyse in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt, auch Power-to-Gas genannt. Dabei handelt es sich um einen elektrochemischen Prozess, der Strom benötigt. Wenn dieser aus erneuerbaren Quellen wie Sonnen- oder Windenergie stammt, dann ist die Elektrolyse frei von Emissionen. Dieser wird dann als grüner Wasserstoff bezeichnet, analog zum Grün- oder Ökostrom, den man für seine Herstellung verwendet. In diesem Buch geht es vor allem um grünen bzw. erneuerbaren Wasserstoff, weil dieser für den Klimaschutz die wichtigste Rolle spielt.

Einige weitere Verfahren seien hier anhand der gängigen »Farbpalette« für Wasserstoff erläutert.

Grauer Wasserstoff entsteht unter Einsatz fossiler Brennstoffe, etwa durch die erwähnte Dampfreformierung von Erdgas. Für Chemie-Fans hier die Formel: Methan (CH4) + Wasser (H2O) → Kohlenstoffmonoxid (CO) + 3 H2 (Wasserstoff). Das Kohlenstoffmonoxid wird mit Hilfe von Wasser oxidiert, wodurch mehr Wasserstoff entsteht – und eben Kohlendioxid: CO + H2O → CO2 + H2.

Von blauem Wasserstoff spricht man, wenn das bei der H2-Herstellung anfallende CO2 abgefangen und gespeichert wird, beispielsweise in erschöpften Gasfeldern unter der Erde oder in Salzkavernen. Dieses Verfahren wird als CCS bezeichnet, die Abkürzung für Carbon Capture and Storage.

Türkis wird Wasserstoff genannt, der über die thermische Spaltung von Methan entsteht. Bei diesem Verfahren, der Methanpyrolyse, entsteht kein CO2, sondern fester Kohlenstoff (chemisch: CH4 → 2 H2 + C). Wird der feste Kohlenstoff weiterverwendet, zum Beispiel in der Industrie, spricht man auch von CCU – die Abkürzung für Carbon Capture and Utilisation. Dieses Verfahren wird im Zuge von CO2-Reduktion und Kreislaufwirtschaft immer mehr an Bedeutung gewinnen (siehe auch Kapitel VI).

Orangefarbener Wasserstoff wird mit Hilfe von Bioenergie hergestellt. Dabei handelt es sich um einen Oberbegriff für klimaneutrale Energieträger, zum Beispiel Biomasse aus Reststoffen der Forst- und Landwirtschaft oder der Lebensmittelverarbeitung und Gastronomie (etwa alte Speiseöle und -fette), außerdem Biogas, Biomethan oder synthetische Kraftstoffe. Da der bei der Wasserstoffherstellung frei werdende Kohlenstoff zuvor organisch gebunden wurde, ist der Kreislauf geschlossen. Es wird der Atmosphäre kein weiterer Kohlenstoff hinzugefügt, weshalb dieses Verfahren als klimaneutral gilt.

Weißer Wasserstoff ist der natürlich auf der Erde vorkommende, nicht an andere Elemente gebundene Wasserstoff.

Und auch roter oder rosa Wasserstoff wird manchmal erwähnt. Dabei handelt es sich um Elektrolyse-Wasserstoff, bei dem der Strom für die Wasserspaltung aus Atomkraftwerken stammt.

Wasserstoff transportieren und speichern

Unter Normalbedingungen ist Wasserstoff gasförmig und hat nur eine geringe Dichte – das macht die Speicherung schwierig. Möglich ist es aber: unter hohem Druck oder in flüssiger Form bei niedriger Temperatur. Am weitesten verbreitet ist das Verfahren, Wasserstoff bei einem Druck von rund 700 bar zu speichern. Ein Druckspeicher besteht meist aus einem dünnen Aluminiumbehälter, der zur Verstärkung mit Kohle- oder Glasfaser ummantelt ist. Um alternativ Wasserstoff in flüssiger Form zu speichern, muss er bis auf minus 253Grad Celsius gekühlt werden, was einen relativ hohen Energieeinsatz voraussetzt. Der in sogenannten Kryotanks gespeicherte Wasserstoff hat auf diese Weise eine höhere Energiedichte als im gasförmigen Zustand – interessant z.B., wenn er als Raketentreibstoff verwendet werden soll, zumal das Transportgewicht vergleichsweise gering ist.

Das gilt auch für irdischere Anwendungen: Wenn man Flüssigwasserstoff per Lkw transportiert, hat man bei gleichem Gewicht etwa sechsmal mehr Wasserstoff, als wenn man den Lastwagen mit Druckwasserstoff beladen würde, heißt es beim Deutschen Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband (DWV). »Dabei wird allerdings auch etwa 30 Prozent der Energie des Wasserstoffs für die Bereitstellung in flüssiger Form eingesetzt. Bei komprimiertem Wasserstoff sind es nur zehn Prozent.«13 Wenn der Wasserstoff allerdings erst mal aufwendig verdichtet und komprimiert wurde, so der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), »wird aus dem Nachteil ein Vorteil: Ein Kilogramm Wasserstoff enthält dann fast so viel Energie wie drei Kilogramm Benzin«.14

Unterm Strich lohnt sich energetisch betrachtet die Verflüssigung, aber am Ende ist es vor allem, wenn auch nicht nur, eine Kostenfrage. Was günstiger ist, hängt sowohl von regionalen Bedingungen als auch vom Bedarf ab bzw. der Art der Anwendung. Für kleine Mengen und kurze Strecken lohnt sich nach Angaben des DWV der Transport von komprimiertem Wasserstoff. Bei mehr als 300 Kilometern und größerem Bedarf rentiert sich eher der Einsatz von Flüssigwasserstoff. Bei großen Mengen Wasserstoff, die kontinuierlich gebraucht werden, wie beispielsweise in der Industrie, sind Pipelines ideal. Aber auch die sind teuer, wenn man sie erst mal bauen muss. Ist hingegen schon ein Verteilnetz vorhanden, etwa für Erdgas, ist das ein großer Vorteil: Bereits heute kann Wasserstoff dem Erdgas beigemischt werden; bisher liegt die Obergrenze bei etwa 20 Prozent. Dieser Anteil könnte bald auf 30Prozent steigen (mehr dazu im Kapitel V); perspektivisch sind auch höhere Anteile möglich.

Eine weitere Option ist die Speicherung und der Transport von Wasserstoff in Form von Ammoniak, Methanol oder mit Hilfe von organischen Trägermolekülen, LOHC abgekürzt (Liquid Organic Hydrogen Carrier), die den Wasserstoff binden. Während der Umgang mit Ammoniak seit Langem praktiziert wird – und aufgrund seiner Gefährlichkeit mit hohen Sicherheitsvorkehrungen verbunden ist –, handelt es sich bei LOHC um eine zwar ungefährliche, aber relativ neue Methode, die weiter erforscht und entwickelt wird. In großem Stil soll dies künftig zum Beispiel auf Helgoland stattfinden, unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (wir werden uns das im Kapitel II.2 näher ansehen).

Für den weltweiten Einsatz von Wasserstoff ist das Tankschiff die beste Wahl. Schon heute wird fossil hergestellter Wasserstoff auf diese Weise Tausende von Kilometern um den Erdball verfrachtet, etwa von Australien nach Japan. Noch besser wäre es freilich, den Wasserstoff möglichst nah an der Stelle zu produzieren, wo man ihn auch braucht – etwa für industrielle Prozesse wie die Roheisenproduktion oder an Tankstellen –, oder dort, wo man ihn weiterverarbeitet, zum Beispiel als Grundstoff in der chemischen Industrie. Zumindest sollten Produktion und Anwendung nahe beieinander liegen, wo immer sich das realisieren lässt. Auch dazu gibt es interessante Ansätze, sei es in Industriegebieten, auf dem Meer oder in der Wüste. Dennoch kommt man im globalen Maßstab wohl nicht um weite Transporte von Wasserstoff oder seinen wertvollen Folgeprodukten (z.B. Ammoniak, Methanol oder strombasierten Kraftstoffen) herum. Das Thema der wasserstoffbasierten Folgeprodukte wird im Mobilitäts-Kapitel genauer behandelt, wenn wir uns den Schiffs- und Flugverkehr sowie die Hafenlogistik ansehen.

Für eine langfristige Speicherung auch großer Mengen von Wasserstoff eignen sich Salzkavernen, also unterirdische geologische Formationen, wie wir sie auch zur Speicherung von Erdgas verwenden. Ebenfalls sinnvoll wäre es, Wasserstoff in erschöpften Öl- oder Gasfeldern zu speichern oder in bereits vorhandenen Höhlen, sofern sie die Voraussetzungen als Speicher erfüllen.15 Nach Angaben des BDEW verfügt Deutschland über die größten Gasspeicherkapazitäten Europas; zwei Drittel davon liegen in unterirdischen Kavernen.16

Es gibt – unabhängig davon, was weitere Forschungen noch ergeben werden – wohl nicht einen Königsweg zum Transport und zur Speicherung von Wasserstoff. Doch das ist kein Nachteil: Je nach Standort, Verwendungszweck, Menge und Entfernung zwischen Erzeuger und Verbraucher von H2 gibt es unterschiedliche Bedürfnisse und Optionen. Und die sind sicherer, als oft vermutet wird.

Gefahren des Wasserstoffs

Wasserstoff haftet der Nimbus des Gefährlichen an, wohl nicht zuletzt aufgrund der eingangs erwähnten Knallgasreaktion. Dabei ist H2 nicht gefährlicher als andere Gase oder Flüssigkeiten, welche in Energiewirtschaft und Industrie seit Langem eingesetzt werden, wie z.B. Erdgas, Flüssiggas, Benzin oder Diesel – auch beim Hantieren mit diesen Stoffen gelten strenge Sicherheitsvorkehrungen. Nicht umsonst gibt es ja ein Rauchverbot an Tankstellen. Selbstverständlich sind auch für den Umgang mit Wasserstoff Sicherheitsvorkehrungen notwendig. Dass er trotzdem im Allgemeinen als gefährlicher wahrgenommen wird, liegt vermutlich daran, dass den Menschen immer noch zwei spektakuläre Unglücke in Erinnerung sind: der Absturz des Luftschiffs Hindenburg 1937 und die Explosion des Space Shuttle Challenger 1986.

Ohne Zweifel waren das erschütternde Katastrophen, und Wasserstoff war mit an Bord, aber er hat die Unfälle nicht ausgelöst. Denn als Gas ist Wasserstoff zwar brennbar, aber nicht brandfördernd, im Gegensatz etwa zu Sauerstoff oder Chlor. In reiner Form ist Wasserstoff auch nicht explosionsfähig; falls er jedoch in geschlossenen oder schlecht belüfteten Räumen austritt und sich mit Luft vermischt, kann es gefährlich werden. Ab einem Anteil von vier Prozent Wasserstoff in der Luft ist das Gemisch explosiv und kann durch einen Funken gezündet werden (was möglicherweise zu dem verheerenden Brand der Hindenburg geführt hat). Normalerweise wird so etwas durch entsprechende Sicherheitsvorkehrungen verhindert, schließlich ist der sichere Umgang mit Wasserstoff z.B. in der Chemieindustrie eine seit rund 100 Jahren geübte Praxis. Und kommt es im Freien zu einem Leck, besteht in der Regel auch keine Explosionsgefahr, weil sich der frei werdende Wasserstoff schnell verflüchtigen würde. Flüssiger Wasserstoff darf ebenso wenig wie andere verflüssigte Gase mit der Haut in Kontakt kommen, weil das zu sogenannten Kälteverbrennungen führen würde.

Wenn nun also Wasserstoff als Energieträger und Speichermedium eingesetzt wird, dann muss er – wie andere Stoffe auch – mit Vorsicht behandelt werden. Aber er ist im Prinzip nicht gefährlicher als die bisherigen Energieträger, die wir im Alltag seit Langem zum Kochen, Heizen, Autofahren nutzen. Wasserstoff gilt da eher als Exot, obwohl er bis vor nicht allzu langer Zeit als 50-prozentiger Bestandteil von »Stadtgas« in vielen Wohnungen unsichtbar präsent war.

Wasserstoff nutzen

Mit Hilfe der Brennstoffzelle (BZ) können wir die im Wasserstoff gespeicherte Energie nutzen. Der in ihr stattfindende elektrochemische Prozess, der Wasserstoff in Strom und Wärme wandelt, ist sehr effizient. Auch wenn dabei Energie verloren geht, hat die Brennstoffzelle einen höheren Wirkungsgrad als ein Verbrennungsmotor. In Kombination mit einem Blockheizkraftwerk (BHKW) liegt der Wirkungsgrad sogar bei über 80Prozent, wenn man den Strom und die Wärme gleichzeitig nutzt. Konventionelle Feuerungsanlagen sind dagegen nur etwa halb so effizient.17

Für die Energiewende ist Wasserstoff wichtig, weil er sich gut speichern und vielseitig einsetzen lässt. Im Gegensatz zu Strom, den man nur relativ kurz speichern kann, ist das bei Wasserstoff über lange Zeiträume möglich. Einsetzbar ist er dann in den unterschiedlichsten Wirtschaftsbereichen, ob zur Erzeugung von Energie, in der Industrie oder im Bereich der Mobilität. Wegen seiner Brückenfunktion über verschiedene Bereiche hinweg spricht man auch von Sektorenkopplung. Wenn man beispielsweise überschüssigen Windstrom nutzt, um H2 herzustellen, und dieses Gas zu einer Wasserstofftankstelle leitet, verbindet man den Energie- mit dem Verkehrssektor. Der Wasserstoff könnte aber auch zur Direktreduktion von Eisenerz in einem Stahlwerk eingesetzt werden. Dann hätte man den Stromsektor mit dem Bereich der Industrie verbunden. Ein interessantes Projekt zur Sektorenkopplung werden wir uns im übernächsten Kapitel ansehen, das rund um die Insel Helgoland angesiedelt ist.

Und der Umweltfaktor?

Ohne klimafreundlich produzierten Wasserstoff kann die Energiewende nicht gelingen. Doch selbst wenn H2 nur aus zusätzlichem Ökostrom erzeugt wird, gibt es noch mindestens einen weiteren wichtigen Aspekt zu beachten: den Verbrauch von Wasser!

Man muss sich also fragen, woher das Wasser kommt, das bei der Elektrolyse eingesetzt wird. Wenn es sich um Süßwasser handelt, gilt es weiter zu prüfen, ob seine Verwendung zu einer Verknappung von Trinkwasservorräten beiträgt. Und wenn das Wasser aus dem Meer stammt, was häufig der Fall ist, muss man sich bewusst machen, dass es vorab entsalzt werden muss, was allein schon ein energieaufwendiger Vorgang ist, bei dem zudem salzhaltige Rückstände entstehen, die oft auch mit Chemikalien belastet sind und entsprechend verantwortungsvoll entsorgt werden müssen.

Weil Deutschland aller Voraussicht nach den größten Teil seines Bedarfs an grünem Wasserstoff ohnehin importieren wird, sollten von vornherein Kriterien für seine ökologisch und sozial verträgliche Produktion festgelegt werden. Darauf weist beispielsweise das Öko-Institut hin: »Die Einigung auf Nachhaltigkeitskriterien kann die Investitionssicherheit für Unternehmen erhöhen und eine Grundlage für eine langfristige Anerkennung von importiertem Wasserstoff als Klimaschutzinstrument bieten.«18 Für sonnenreiche Länder, etwa in Südeuropa, Nordafrika und im Nahen Osten, bedeutet der Export von grünem Wasserstoff eine wichtige wirtschaftliche Perspektive. In diesen Ländern mangelt es jedoch häufig an natürlichen Süßwasservorräten, weshalb Trinkwasser ohnehin durch Meerwasserentsalzung gewonnen werden muss. Damit die Erzeugung von Wasserstoff z.B. in Wüsten nicht in Konkurrenz zur lokalen Trinkwasserversorgung gerät, sollten deshalb zusätzliche, mit erneuerbaren Energien betriebene Entsalzungsanlagen gebaut werden, bei denen auch die Entsorgung belasteter Rückstände sichergestellt ist (je sauberer die Meere, desto weniger aufwendig dieser Schritt, aber das nur am Rand).

Das Meer und die notorisch »steife Brise« an Deutschlands Küsten spielen auch eine zentrale Rolle im nächsten Kapitel, wo es um das »Reallabor« in den Bundesländern Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg geht – eines der groß angelegten Pionierprojekte der Energiewende.

Kapitel II

Brückenschlag: Mehr Energieeffizienz durch Sektorenkopplung

1. Das Norddeutsche Reallabor: Regionale Wirtschaft mit grünem Wasserstoff

Schon heute könnte Norddeutschland seinen Strombedarf allein aus erneuerbaren Energien decken – zumindest bilanziell. Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern erzeugen mehr Ökostrom, als sie selbst verbrauchen. »2020 waren es für beide Länder zusammen rein rechnerisch 130 bis 160Prozent ihres Strombedarfs«, erklärt mir Werner Beba, Leiter des Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg, bei einem Interview im Herbst 2021. Die windreichen Küstenländer an Nord- und Ostsee generieren bekanntlich viel Windstrom. Und ihr Nachbar Hamburg – die zweitgrößte Stadt Deutschlands und ein bedeutender Industriestandort – verschlingt jede Menge Energie. Gute Voraussetzungen also für eine Energiepartnerschaft zwischen diesen drei norddeutschen Bundesländern – und für den Aufbau einer regionalen Wasserstoffwirtschaft. Bislang war die Energiewende vor allem eine Stromwende, fährt Professor Beba fort. Das reicht aber nicht aus: »Die Energiewende ist erst vollendet, wenn auch die anderen Bereiche unserer Gesellschaft – Industrie, Mobilität und Wärme – klimaneutral werden.« Dass das eine gewaltige Herausforderung und Kraftanstrengung wird, darüber sind sich wohl alle Experten einig. Auch Werner Beba gibt mit Blick auf die für 2045 angestrebte Treibhausgasneutralität19 zu bedenken: »Der vollständige Umbau unseres Energiesystems ist eigentlich eine Jahrhundertaufgabe. Doch dafür bleiben uns nur noch rund 23Jahre.«

In den 1990er Jahren ging es vor allem um die Entwicklung und den Ausbau der erneuerbaren Energien, allen voran Fotovoltaik und Windkraft, aber auch Biomasse und, falls vorhanden, Wasserkraft. Die Effizienz und die Anzahl der Anlagen nahmen zu, dadurch stieg ihr Anteil an der Stromerzeugung. Doch je mehr Elektrizität die dezentralen Ökoanlagen ins Netz einspeisten, desto mehr musste man sich um deren Integration in ein System kümmern, das auf Kohle- und Atomkraftwerke ausgelegt war. Zu dieser Integration gehört ein grundsätzliches Umdenken: Im Vordergrund steht nicht mehr vor allem die Abdeckung der Grund- und Spitzenlast, sondern man versucht, den Strom möglichst dann zu nutzen, wenn er erzeugt wird. Es ist also der Übergang von einem vorrangig verbrauchsorientierten System zu einem erzeugungsgeführten. Das setzt allerdings Verhaltensänderungen auf ganz unterschiedlichen Ebenen und in allen Bereichen der Gesellschaft voraus: von der Industrie bis hin zu den Haushaltskunden.

Teile der Industrie unterstützen dieses angebotsorientierte System bereits durch flexibles Lastmanagement: Wenn es möglich ist, verschieben sie energieintensive Prozesse auf Zeiten, zu denen Wind- oder Solaranlagen viel Strom einspeisen. Doch für eine konsequente Systemintegration müssen auch die Speicher und Netze weiter ausgebaut werden. Und wir brauchen neue Markt- und Geschäftsmodelle, etwa für Regelenergie und andere Systemdienstleistungen, die bislang die konventionellen Kraftwerke erbringen. Die gute Nachricht lautet: Technisch ist es im Prinzip möglich, das fossile Energiesystem auf ein erneuerbares umzustellen, und es gibt dazu auch schon erprobte Ideen, die nicht zuletzt durch die zunehmende Digitalisierung und Blockchain-Technologie überhaupt erst möglich werden. Bislang hapert es aber an der Umsetzung, an der Geschwindigkeit des Ausbaus von erneuerbaren Energien, und es mangelt an einem regulatorischen Rahmen, der marktwirtschaftliche Anreize für die neuen Geschäftsmodelle schafft.