Eine kleine Geschichte der Videogames - Fabian W. W. Mauruschat - E-Book

Eine kleine Geschichte der Videogames E-Book

Fabian W. W. Mauruschat

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Beschreibung

Ob Minecraft, Super Mario Bros. oder GTA: Videogames sind überall. Ihre Geschichte verläuft parallel zur technischen Entwicklung der Computer. Von den Arcade-Spielautomaten der 1970er über den Boom der Heimcomputer, die ersten Konsolen fürs Wohnzimmer bis zu Online-Rollenspielen und dem Mobile Gaming unserer Tage. Der Games-Experte Fabian W. W. Mauruschat führt kenntnisreich durch die Geschichte dieser Leidenschaft, erläutert Hintergründe und verrät spannendes Insiderwissen. Hier kommen alle auf ihre Kosten – egal, ob Nerds, Gamer oder all jene, die es noch werden wollen.

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Seitenzahl: 207

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Fabian W. W. Mauruschat

EINE KLEINEGESCHICHTE DER

VIDEOGAMES

Fabian W. W. Mauruschat

EINE KLEINEGESCHICHTE DER

VIDEOGAMES

Von Tetris bis Cyberpunk 2077

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

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Wichtiger Hinweis

Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit wurde auf eine gender- spezifische Schreibweise sowie eine Mehrfachbezeichnung verzichtet. Alle personenbezogenen Bezeichnungen sind somit geschlechtsneutral zu verstehen.

1. Auflage 2021

© 2021 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

Umschlagabbildung: shutterstock.com/Tereshchenko Dmitry, The7Dew, Olof Bergqvist, zigzag design, ace03, Roman3dArt

Abbildungen im Innenteil: shutterstock.com/Palau, Victor Metelskiy, Dahuk Design, rootstock, kosmofish, marysuperstudio, Flametric, House@ BrasilArtStudio, Marco’s studio, Oleksandr Khoma, Darya Sarakouskaya, Artco, Kseniya Takcean, Phoenix 1319, paramouse, Andrew Derr, Alexandr III

Layout und Satz: abavo GmbH, Buchloe

eBook: ePUBoo

ISBN Print 978-3-7423-1937-1

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-1667-4

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-1668-1

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

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INHALT

Einleitung

Loading … Die Anfänge

Level 1: Die 1970er

Level 2: Die 1980er

Level 3: Die 1990er

Level 4: Die 2000er

Level 5: Die 2010er

Level 6: Jetzt

Glossar

EINLEITUNG

Endlich ist die Schicksalsklinge gefunden, alle Pokémons sind gefangen, die Zerg besiegt. Das Spiel ist zu Ende. Eigentlich können wir jetzt den PC oder die Konsole abschalten. Andererseits könnten wir auch noch ewig weiterspielen.

Wer Videogames liebt, kennt diese Mischung aus Triumph und Wehmut am Ende eines Spiels. Noch mehr als in einem guten Buch oder Film ziehen uns digitale Welten in ihren Bann. Dort erleben wir Abenteuer und stellen uns Aufgaben, an denen wir zunächst oft scheitern – bis wir sie schließlich meistern und daran wachsen. Videogames sind der Grund, warum wir ganze Nächte durchzocken, online Freundschaften schließen und imaginäre Pixelmonster mit Inbrunst hassen. In diesem Buch geht es um die Geschichte der Videogames – von ihren Anfängen als technische Spielereien im beginnenden Informationszeitalter bis zu einer milliardenschweren Unterhaltungsindustrie, deren Produkte die halbe Menschheit kennt.

Es handelt sich hier um eine »kleine« Geschichte. Wäre es eine »vollständige« Geschichte, so benötigte man eine 30-bändige lexikalische Ausgabe. Wenn also Ihr liebstes Game, die Konsole Ihrer Kindheit oder das Ihrer Meinung nach beste Entwicklungsstudio aller Zeiten keine Erwähnung findet, heißt das nicht, dass es irrelevant oder schlecht war. Der Eintrag hat einfach nicht mehr reingepasst. Aber hoffentlich stoßen Sie auf Games, Fakten und Zusammenhänge, von denen Sie noch nie zuvor gehört haben. Denn auch die Vergangenheit ist eine Welt voller verborgener Schätze.

LOADING … DIE ANFÄNGE

DIE SPIELE BEGINNEN

Wie der Untertitel dieses Buches – Von Tetris bis Cyberpunk 2077 – nahelegt, beginnt für viele das Zeitalter der Videogames mit Tetris von 1986. Oder, wenn man ein bisschen tiefer im kulturellen Gedächtnis gräbt, 1972 mit Pong. Dabei gibt es doch schon ziemlich lange Spiele mit und ohne elektronische Unterstützung.

KATHODENRÖHRENSPIELE

Jetzt wird es kontrovers: Für manche zählt das Cathode Ray Tube Amusement Device von 1946 schon als das erste Videospiel der Geschichte. Nach einer einfachen Definition ist die Sache klar: Man spielt an einem elektronischen Gerät und sieht das Ergebnis der Interaktion auf einem Bildschirm. Natürlich ist das ein Videospiel! Oder? Das Prinzip der Entwickler Thomas T. Goldsmith Jr. und Estle Ray Mann war ganz einfach: Auf dem Bildschirm eines Röhrenrechners konnte man mit einer Art Joystick einen Lichtpunkt hin- und herbewegen. Um ein Spiel daraus zu machen, legten die US-amerikanischen Entwickler bemalte Plastikfolien auf den Bildschirm. So konnte man durch das Navigieren zwischen aufgemalten Linien Punkte machen – die musste man sich aber merken oder aufschreiben. Es wurde also eher mit dem Computer gespielt, als dass der Computer selbst ein Spielprogramm besaß. Für die allgemein akzeptierte Definition eines Videogames gehören nämlich eine Programmierung und ein Speicher mit zu den Grundvoraussetzungen.

Die finden sich bei OXO. So hieß die digitale Umsetzung von Tic-Tac-Toe, die der Computerwissenschaftler Alexander Shafto ›Sandy‹ Douglas 1952 als seine Doktorarbeit programmiert hatte. Man trat über eine Telefon-Wählscheibe gegen eine Programmierung an, die ein perfektes Spielergebnis erzielen konnte. OXO war der Öffentlichkeit nicht zugänglich, da der Computer – der Electronic Delay Storage Automatic Calculator, der einen ganzen Raum ausfüllte – nur mit Genehmigung zu Forschungszwecken genutzt werden durfte. Die ersten Games waren also nur etwas für einen streng eingegrenzten Personenkreis. Und auch das Cathode Ray Tube Amusement Device blieb ein Einzelstück: Goldsmith und Ray meldeten zwar das Patent an, verwirklichten aber nie eine Massenproduktion.

NIMATRON

1939 entstand der erste spielende Computer, wenn auch ohne Bildschirm: Der Nuklearphysiker Edward Condon sah sich damals die Schaltkreise von Geigerzählern genau an und kam auf einen Gedanken: Damit kann man ja auch spielen! Also begann er mit der Konstruktion einer Maschine namens Nimatron, die das Spiel Nim spielen konnte. Bei Nim geht es darum, zu zweit und abwechselnd eine oder mehrere Glühlampen einer beliebigen Reihe auszuschalten. Insgesamt sind die Lampen in vier SiebenerReihen angeordnet. Wer die letzte Glühbirne ausmacht, gewinnt. Mit dem Nimatron wollte Condon demonstrieren, wie eine Reihe von elektromechanischen Relais eine Entscheidung nach einer einfachen mathematischen Regel treffen kann. Condon baute zusammen mit Helfern den tonnenschweren Rechner, der auf der New Yorker Weltausstellung von 1939 wohl um die 100 000 Nim-Partien spielte – und 90 000 davon gewann! Um das Erlebnis weniger frustrierend zu machen, baute Condon eine Wartezeit für die Züge des Nimatron ein. Damit hatte es den Anschein, dass die Maschine auch einige Zeit zum »Nachdenken« brauchte. Condon bereute später, seine Idee nicht besser vermarktet zu haben. Nim kann heutzutage in mehreren Varianten als App heruntergeladen werden.

1962 entstand eine Nim-Variante hinter dem Eisernen Vorhang: In Wrocław programmierte der Ingenieur Witold Podgórski Marienbad, eine Adaption von Nim für einen Computer vom Typ Odra 1003. Inspiriert hatte ihn ein Artikel über eine Nim-Variante, die im Film Letztes Jahr in Marienbad gespielt wird.

HOMO LUDENS

OXO, Nimatron und Cathode Ray Tube Amusement Device waren die Vorläufer eines globalen Trends. Denn nichts liebt der Mensch so sehr wie Spiele im Allgemeinen. Offenbar wollen wir immer wieder aufs Neue beim Gewinnen triumphieren oder aus dem Scheitern lernen – umso mehr, wenn wir dabei auf einen wie auch immer gearteten Bildschirm schauen. Allein 2020 hat das Portal Statista 2,4 Milliarden Menschen als mobile Gamer eingestuft. Über die Verbundenheit von Mensch und Spiel hat schon 1938 der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga ein Buch unter dem Namen Homo Ludens veröffentlicht. Der lateinische Name ist schnell erklärt: Homo ist der biologische Begriff für den Menschen, und ludens heißt »spielend«. Klar, der Mensch spielt gerne. Das ist doch nichts Neues. Aber, so Huizinga, der Mensch entwickelt seine kulturellen Fähigkeiten über das Spiel: Wir entdecken im Spiel als Kinder unsere individuellen Eigenschaften. Unsere Erfahrungen im Spiel machen uns zu denen, die wir sind. Wir lernen Grenzen kennen und stellen fest, ob und wie wir sie überschreiten. Kurzum: Wir finden unseren Sinn. Das steht im Gegensatz zum Modell Homo faber. Faber steht für »Handwerker« und der Homo faber ist der Menschentyp, der aktiv in seine Umwelt eingreift. Scheint also eine Grundsatzfrage zu sein: Sind wir Spieler oder sind wir Macher? Und wie lässt sich das in Minecraft festlegen – da spielen wir ja, Macher zu sein.

WAS IST EIN SPIEL?

Nach Johan Huizinga:

eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung,innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum,nach freiwillig angenommenen, aber unbedingt bindenden Regeln,hat sein Ziel in sich selbst,begleitet von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des Andersseins im Vergleich zum gewöhnlichen Leben.

ERSTE SOLO-SPIELE: PATIENCE UND CO.

Das Solo-Spiel gab es schon lange vor Gameboy, Switch und Co. Noch bevor uns unsere Eltern empfohlen haben, den Computer auszumachen und raus in dieses sogenannte »Real Life« zu gehen, haben Menschen ganz alleine gegen einen Zufallsalgorithmus gespielt: mit einem einfachen Kartenspiel. Per Shuffle-Funktion bot jede Partie Patience ein neues Spielerlebnis. Die Geburtsstunde des Singleplayer-Modus für 52 Karten lag angeblich in der Französischen Revolution: Es heißt, ein eingekerkerter Adliger habe sich damit die Zeit bis zu seiner Hinrichtung vertrieben. Eine nette Legende, bis auf den Teil mit der Hinrichtung natürlich. Aber man kann wohl davon ausgehen, dass Patience tatsächlich in den Jahren nach der Französischen Revolution belegt ist. Napoleon soll sich damit die Zeit nach seiner Verbannung vertrieben haben, was die Theorie untermauert, dass die abgelegene Insel St. Helena einer der ödesten Orte der Welt ist. Wahrscheinlich aber hat Napoleon nicht Patience gespielt, sondern Karten gezogen, um die besten Kombinationen für das Spiel Whist auszuprobieren. Und das ist nicht der einzige Mythos um das Patience-Spiel. Laut dem Buch Patience Napoléon: Studies in the history of the game of Patience stammt das Solo-Cardgame eher aus dem deutschen oder skandinavischen Raum. Möglicherweise wurde es auch nicht notwendigerweise solo gespielt. Im Buch Der neue Spielalmanach für 1798 steht, dass Patience abwechselnd zu zweit gespielt wird, wobei Umstehende auf den Ausgang Wetten abschließen. Solo-Patience war dann vielleicht nur so etwas wie ein Übungsmodus für das Turnierspiel.

Dank Patience könnte man also den Kartenstapel als eine der frühesten Handheld-Konsolen bezeichnen, sogar mit mehreren Spielmodulen (Varianten wie Die gute Dreizehn, Die Farbenelf oder Die Hochzeit) und Multiplayer-Modus. Eine direkte Verbindung zum Gameboy-Entwickler Nintendo, der 1889 als Hersteller von Hanafuda-Karten gegründet wurde, ist unbekannt.

DIE DIFFERENZMASCHINE

Vielleicht wäre die Geschichte der Computer und damit auch die Geschichte der Videogames komplett anders gelaufen, wenn 1878 ein Komitee der British Association for the Advancement of Science nicht davon abgeraten hätte, die Analytical Engine von Charles Babbage zu bauen. Diese analytische Maschine wäre eine mechanische Rechenmaschine für allgemeine Anwendungen gewesen. Ähnliche Maschinen von Babbage liefen vorher durchaus zufriedenstellend. Möglicherweise hätte diese neue Gerätschaft das Informationszeitalter einige Jahrzehnte früher eingeleitet. Vielleicht wäre Ada Lovelace nicht nur die erste Programmiererin, sondern auch die erste Spiele-Programmiererin gewesen. Die Adlige hatte mit ihrem schriftlichen Plan zur Berechnung von Bernoulli-Zahlen mit der Maschine eines der ersten Computerprogramme geschrieben. Aber die Differenzmaschine blieb nur eine Blaupause und das viktorianische Informationszeitalter bleibt eine Fantasie, die nur in Büchern wie Die Differenzmaschine oder NSA – Nationales SicherheitsAmt Wirklichkeit wird. Das Gehirn, dem die Differenzmaschine entsprungen ist, kann man heute noch bewundern. Charles Babbage vermachte es der Wissenschaft. Es ruht in einem Glas neben dem Nachbau seiner Maschinen im Science Museum in London.

DIE 1950ER:DAS ZEITALTER DER ELEKTRONENGEHIRNE

1951 wurde Ludwig Erhard, bekannt als Vater des Wirtschaftswunders, von einem Elektronengehirn besiegt. Drei Mal. Erhard besuchte den britischen Pavillon auf der Berliner Industrieausstellung und traf dort auf Nimrod. Der Elektronenrecher der englischen Firma Ferranti war wie sein Vorfahr Nimatron darauf programmiert, das Spiel Nim zu beherrschen. Wie schon der Nimatron diente der spielende Rechner nur dazu, die Funktion der Elektronengehirne zu demonstrieren. Bei Nimrods erstem Auftreten beim Festival of Britain im selben Jahr verkaufte Ferranti ein Handbuch, das die Funktionsweise von Computern erklärte. Ein eigener Abschnitt widmet sich der Erklärung, warum eine so wichtige Maschine für so etwas Triviales wie Spiele verwendet wird. Dort heißt es, dass es zwar den Anschein habe, dass wir unsere Zeit damit verschwenden würden, Maschinen Spiele spielen zu lassen. Das sei nicht wahr, denn die Spieltheorie sei äußerst komplex, und eine Maschine, die ein komplexes Spiel gewinnen könne, könne auch so programmiert werden, dass sie sehr komplexe praktische Probleme löse. Was das für komplexe Probleme sind? Das Handbuch erklärt, es könne sich zum Beispiel um die Berechnung einer Volkswirtschaft in einem Land ohne Monopole und Freihandel handeln. Das klingt doch ein bisschen wie ein Versprechen, den rivalisierenden Ostblock mit seiner sozialistischen Planwirtschaft zu durchleuchten. So konnte man die Politik auch für seine Produkte interessieren. Konrad Adenauer war übrigens auch auf der Industrieausstellung, spielte aber nicht gegen Nimrod. Er wusste wohl, dass es gar nicht gut in der Presse aussehen würde, wenn ein Bundeskanzler gegen eine Rechenmaschine verliert.

Spielende Elektronengehirne auf Industrieausstellungen und Messen waren natürlich kein Zufall. So konnte jede Firma zeigen, was ihre Rechenmaschinen so draufhatten. Ähnlich wie Bertie the Brain, das 1950 auf der Canadian National Exhibition seine Fähigkeiten in Tic-Tac-Toe demonstrierte. Der Computeringenieur Josef Kates, geboren als Josef Katz in Wien und 1938 vor den Nazis geflohen, präsentierte damit seine Erfindung Additron. Der Additron war eine neue Elektronenröhre, damals ein elementarer Bestandteil der Rechenmaschinen. Schon damals erfanden Ingenieure wie Kates immer kleinere und energieeffizientere Bauteile von Computern – ein Trend, der für die Zukunft der Computerspiele noch sehr wichtig werden sollte. Denn ein vier Meter hohes Bertie the Brain oder einen eine Tonne wiegenden Nimrod können Sie nicht so einfach in Ihrer Jackentasche transportieren. Ein Smartphone mit Dutzenden weitaus komplexeren Spielen dagegen schon. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg.

TENNIS IM ATOMLABOR

Ein weiterer Schritt zum Sportspiel war Tennis for Two im Jahr 1958. In den 1950ern öffnete das US-Reaktorforschungszentrum Brookhaven National Laboratory jährlich in New York seine Türen für die Öffentlichkeit. In diesem Zentrum arbeitete auch der Physiker William Higinbotham. Er hatte in den 1940ern beim Manhattan-Projekt mitgeholfen, die Zeitschaltkreise für die ersten Atombomben zu bauen. Eine Arbeit, auf die er nicht stolz war. In Brookhaven arbeitete er vor allem an der friedlichen Nutzung der Atomenergie. Higinbotham kam darauf, mit einem Spiel für die Unterhaltung der Besucher zu sorgen. Inspiriert hatte ihn der Analogcomputer Donner Model 30, der Flugbahnen mit Luftwiderstand berechnen konnte. Innerhalb weniger Stunden entwarf Higinbotham ein einfaches Tennis-Spiel. Zusammen mit dem Techniker Robert V. Dvorak schloss er einen Analogcomputer an einen Oszillografen (ein Bildschirm zur Spannungsmessung, ähnlich einem EKG-Monitor) an. So entstand Tennis for Two. Mit großen, viereckigen Controllern aus Aluminium bestimmten die Spielenden den Winkel ihrer Schläger und mit einem Knopfdruck schlugen sie ihn über das »Netz«. Schläger, Netz und Ball waren nicht mehr als Lichtpunkte beziehungsweise Striche auf dem gerade mal handgroßen Bildschirm, der an einen fünf Meter breiten Rechner angeschlossen war. Trotzdem waren die Besuchergruppen beim Tag der offenen Tür so begeistert von der einfachen Tennis-Simulation, dass sie den Spielcomputer regelrecht belagerten. Der große Erfolg sorgte dafür, dass im Jahr 1959 eine verbesserte Version beim Tag der offenen Tür präsentiert wurde: mit einem größeren Bildschirm und veränderbarer Schwerkraft. So konnte man Gravitation wie auf dem Mond oder auf dem Jupiter einstellen. Nach seinem zweiten Auftreten verschwand Tennis for Two aber aus der Weltgeschichte. Die Einzelteile wurden für neue Forschungsprojekte benötigt. Higinbotham arbeitete später für die amerikanische Atomkontrollbehörde. Erst in den 1970er-Jahren wurde seine Erfindung bekannt – dazu später mehr.

DIE 1960ER:DIE WELT IST FAST BEREIT

In den Jahren zuvor waren zwar einige Spiele entstanden, die als Videogames oder direkte Vorgänger gelten können. Aber noch war niemand auf die Idee gekommen, damit wirklich Geld zu verdienen.

KRIEG IM WELTALL!

All die Jahre zuvor waren es immer wieder Elektronengehirne an Universitäten, die zu Spielgeräten gemacht wurden. So erging es auch dem PDP-1, einem 120 000 Dollar teurem Großrechner, der 1961 einem Rudel Nerds am Massachusetts Institute of Technolgy (MIT) in die Hände fiel. Okay, »in die Hände fiel« ist etwas übertrieben. Und »Rudel Nerds« ist vielleicht nicht ganz fair. Der Tech Model Railroad Club am MIT war ein Studentenklub von Modelleisenbahnfans. Die Mitglieder liebten es, komplexe kleine Bahnnetze zu konstruieren. Sie liebten es auch, die teuren Computer ihrer Uni für alles zu benutzen, was ihnen Spaß machte und ihre Dozenten zur Weißglut trieb. Als sie davon hörten, dass ein Exemplar des Computers PDP-1 (Programmed Data Processor 1) ans MIT kommen sollte, bildete sich spontan ein Komitee aus ihrer Mitte. Martin Graetz, Wayne Witaenem und Steve Russell überlegten sich, was sie mit dem PDP-1 alles anstellen könnten. Sie entschieden sich schließlich für ein Spiel. Witaenem schlug etwas mit Raumschiffen vor, die über den Bildschirm bewegt werden sollten. Denn natürlich waren alle Klubmitglieder auch Science-Fiction-Fans. Russell übernahm die Programmierung. Oder vielmehr versprach er, sich um die Programmierung zu kümmern.

HACKER-CULTURE

Der Tech Model Railroad Club war einer der Ursprünge der Hacker-Gegenkultur, die später in den USA entstehen sollte. Ein hack war in ihren Kreisen ein Unterfangen oder Projekt, das aus reinem Spaß an der Freude unternommen oder angegangen wurde. Das Wort bezeichnete schon vorher einen gelungenen Streich am MIT-Campus. Die Hacker des Railroad Clubs waren die Studenten, die am eifrigsten an der Stromversorgung und den Lichtern der Modelleisenbahnanlage werkelten.

Lange Zeit geschah nichts, was für die Mitglieder des Klubs nicht hinnehmbar war. ›Slug‹ Russell«, erinnerte sich in einer Doku des Computer History Museum, dass er acht Wochen deswegen zugetextet worden und dies ihm so peinlich gewesen sei, dass er dann doch noch den Code geschrieben hätte. Bald war Spacewar! fertig. Oder zumindest die erste Version. Das Prinzip: Zwei Leute können gegeneinander spielen. Jede Partei übernimmt die Steuerung eines Raumschiffs. Eines heißt needle (Nadel), das andere wedge (Keil). Jedes Schiff verfügt über ein begrenztes Waffenarsenal und Treibstoffvorräte. Das Ziel ist es, das gegnerische Schiff zu zerstören. Natürlich kamen die Nerds aus dem Eisenbahnklub gleich mit eigenen Ideen an, um das Spiel zu verbessern. So hatten die Raumschiffe keine Massenträgheit, was ja sogar logisch war. Im Weltall waren sie natürlich schwerelos, einmal beschleunigt, hielt sie nichts auf. Das machte das Spielen von Spacewar! aber unnötig kompliziert. Also schrieb das Klubmitglied Dan Edwards den Code für einen Stern in der Mitte des Spielfelds. Dieser Stern verfügte über eine eigene Schwerkraft, die die Raumschiffe anzog und bei einer Kollision zerstörte. Wer geschickt war, konnte das Schwerkraftfeld nutzen, um dem eigenen Schiff Schwung zu verleihen. Ein anderer Kommilitone kam auf den Gedanken, eine Sternenkarte in den Hintergrund des Bildschirms zu legen. So konnte man besser die Geschwindigkeit der Raumschiffe einschätzen. Ein weiteres Klubmitglied baute einen Controller, weil die Schalter des PDP-1 ungünstig angebracht waren. Schließlich gab es noch den Hyperspace-Knopf. Man konnte ihn drücken, damit das eigene Raumschiff verschwand und an einer zufälligen Stelle des Bildschirms wieder auftauchte. Die Klubmitglieder gaben Kopien des Spiels an andere Labore mit einem PDP-1 weiter. In anderen Forschungseinrichtungen arbeitete man an Versionen, die auf anderen Computern liefen. Und schließlich nutzte der Hersteller Digital Equipment Corporation Spacewar!, um seine Kunden von den Fähigkeiten des PDP-1 zu überzeugen.

GRUNDLAGEN DES INTERSTELLAREN KRIEGS

Spacewar! hat viele Elemente moderner Videogames begründet:

Sie sehen unterschiedlich aus, können aber das Gleiche!

Es gibt absolut keinen Unterschied zwischen

needle

und

wedge

– außer ihrem äußeren Design. Beide Schiffe sind gleich schnell, feuern die gleichen Torpedos …

Das geht besser!

Seit dem ersten Tag wurde

Spacewar!

modifiziert: Gravitation, Sternenkarte, später kamen auch Tarnvorrichtungen und Minen dazu.

Treffer, versenkt!

Ein Treffer, und das Schiff explodiert. Super Mario kennt das.

Der Raum ist gekrümmt!

Fliegt man links aus dem Schirm, kommt man rechts wieder rein. Pac-Man kennt das.

Player versus Player!

Spacewar!

funktioniert nur zu zweit.

Kein Plot ist auch kein Problem!

Spacewar!

hat keine Story. Spielen lässt es sich umso besser.

BABYLONISCHE PLANWIRTSCHAFT

Echte Kenner wissen: Videogames sind weit mehr als Rumballern im Weltraum. Viele Spiele fordern strategische Kenntnisse und taktische Fähigkeiten. Und das schon seit 1964. Damals untersuchten IBM und die Bildungseinrichtungen im Westchester County von New York den Einsatz von Computersimulationen im Unterricht. Für die Grundschullehrerin Mabel Addis eine willkommene Gelegenheit. Sie entwickelte die Simulation The Sumerian Game. Die Idee dazu hatte sie, weil im Unterricht ihrer Zeit Zivilisationen aus der Zeit vor den Griechen oft vernachlässigt wurden. Also widmete sie ihr pädagogisches Spiel der sumerischen Kultur auf dem Gebiet des heutigen Iraks. In The Sumerian Game schlüpft man in die Rolle von aufeinanderfolgenden Herrschern (Luduga I, Luduga II und – wenig überraschend – Luduga III) der Stadt Lagasch im Jahr 3500 vor unserer Zeitrechnung. Beim Spielen erhält Luduga in Textform Informationen darüber, wie viel Getreide die Bauern erwirtschaftet haben, wie groß die Bevölkerung ist und wie groß das Ackerland. Jetzt muss man sich dafür entscheiden, wie viel Getreide zum Verzehr freigegeben, wie viel eingepflanzt und wie viel eingelagert wird. Der Computer berechnet dann, wie sich Ludugas Entscheidungen auf den weiteren Verlauf des Spiels auswirken. Außerdem können Katastrophen wie Überschwemmungen oder Feuer den Spielverlauf beeinflussen. Ratten und Fäule können Teile der Vorräte vernichten. Bei erfolgreichem Führungsstil können auch technologische Fortschritte erzielt werden. Nach der ersten Phase unter Luduga I spielte man die beiden folgenden Phasen unter Luduga II, wo das Handwerk dazukommt, und Luduga III, wo auch der Handel eine Rolle spielt. Insgesamt bot The Sumerian Game viele Elemente, die später in Titeln wie SimCity oder Civilization wieder auftauchten. Sei es die Herrscherrolle, das vorausschauende Planen oder Zufallsereignisse: The Sumerian Game wies den Weg. Außerdem war das Spiel für damalige Verhältnisse ausgesprochen multimedial. Der IBM-Rechner steuerte auch einen Drucker, einen Diaprojektor und einen Kassettenrekorder. Das bedeutete, dass auch gesprochener Text und Bilder zur Unterstützung des Spiels herangezogen wurden. Später landete das Spiel allerdings in den Archiven von IBM. Teilweise lebte The Sumerian Game allerdings weiter: In Gestalt von Hamurabi. Dieses Spiel war eine rein textbasierte Wirtschaftssimulation, kam also ohne Bild und Ton aus. 1968 schrieb es ein Programmierer als Demonstration für die neue Programmiersprache FOCAL und nannte es King of Sumeria. 1973 wurde es auf die Programmiersprache BASIC portiert und gelangte durch das Buch BASIC-Computer-Spiele an die Öffentlichkeit. Dabei passierte wohl auch der Schreibfehler, der den babylonischen König Hammurabi sein zweites »M« kostete. Den Erfolg reduzierte der Titel aber nicht, Hamurabi kam ordentlich rum und beeinflusste das Game-Design der folgenden Jahrzehnte.

Ein weiteres textbasiertes Geschichtslernspiel ist The Oregon Trail von 1971, das bis heute für seine etwas makabren Game-Over-Botschaften wie »Du bist an Ruhr gestorben« bekannt ist. Das Ziel des Spiels ist es, einen Pionier-Treck über die Rocky Mountains anzuführen.

HIER LERNT MAN WENIGSTENS ETWAS: PÄDAGOGISCHE SPIELE

The Sumerian Game war nicht nur die erste Zivilisationssimulation, sondern auch das erste pädagogische Spiel – kein Wunder, wenn eine Lehrerin das Design übernimmt. Seit dem Jahr 2000 erleben Videogames mit pädagogischen Inhalten einen Aufschwung, so die Pädagogin Janine Schledjewski im Buch Spiel versus Leben. Wie Computerspiele unser Leben verändern.1 Wenn Spielen Spaß mache und der Lerninhalt in ein Spiel verpackt werde, dann werde auch das Lernen Spaß machen. Ob das immer klappt, ist allerdings fraglich. Nur sehr selten können Lernspiele mit den Top-Titeln der großen Entwicklerfirmen mithalten. Deren Routinen nachzumachen, bringt ja auch nichts. Wenn Musik- und Soundeffekte mit hektischer Action kombiniert werden, ist einfach kein Platz für Lerninhalte. Trotzdem gelingt es immer wieder, Videogames mit Pädagogik zu kombinieren, ohne dass die Schulkinder vorm Tablet eindösen. Squirrel & Bär zum Beispiel verbindet eine schöne Geschichte mit dem Lernen einer Sprache.

Auch Erwachsene können aus Spielen lernen. Solche Videogames sind ein Teil des Bereichs Serious Games und werden vor allem in der Berufsausbildung angewandt – von Flugsimulatoren bis hin zu medizinischen Simulationen.

BAER AN DER BUSHALTESTELLE

1966 stand Ralph Baer an einer Bushaltestelle in New York und langweilte sich. Er konnte in dieser Situation nicht das machen, was heute wohl die meisten machen würden: das Smartphone aus der Tasche ziehen und etwas zocken. Also dachte er nach und hatte eine Idee: Er hatte doch einmal in den 1950ern als Radio- und TV-Techniker für seinen Arbeitgeber einen Fernseher zusammengesetzt. Dabei hatten er und seine Kollegen festgestellt, dass man Linien, Punkte und andere Muster auf dem Bildschirm hin- und herbewegen konnte. In Baers Augen war das damals eine unwichtige Spielerei, die er schnell wieder vergaß – bis zu jenem Bushaltestellenmoment im Jahr 1966. Wie im Buch Replay von Tristan Donovan nachzulesen ist, stellte sich Baer dabei vor, diese Muster als Spiel zu konzipieren. Also setzte er sich in sein Büro und schrieb die Idee auf: Für 19,95 Dollar konnte man doch sicher ein Spielgerät bauen, dass sich an einen Fernseher anschließen ließe. Zwar war Baer, ein jüdischstämmiger Flüchtling aus Nazideutschland, zu diesem Zeitpunkt schon lange kein Fernsehtechniker mehr, sondern Chefingenieur beim Militärunternehmen Sanders Associates. Trotzdem gelang es ihm, seine Vorgesetzten dafür zu begeistern: Baer schrieb in seinem Buch Videogames: In the Beginning von 2005 von einer ausgesprochen guten Geschäftsidee, da es zu dieser Zeit allein in den USA über 40 Millionen TV-Geräte gegeben habe. Er erhielt einen eigenen Raum und durfte sich zwei Mitarbeiter aussuchen, um mit ihnen an der Umsetzung zu arbeiten. Mitte 1967 hatten sie ein Gerät fertig: Auf der TV Game Unit #2 liefen sieben Spiele. Zum Teil simulierten sie einfache Verfolgungsjagden. Es gab aber auch ein Spiel mit Plastikgewehren, bei denen man Ziele auf dem Schirm treffen musste. Ebenso Spiele, bei denen ein Holzgriff hoch- und runtergedrückt werden musste wie bei einer Pumpe. Deswegen erhielt die TV Game Unit #2 den Spitznamen »The Pump Unit«, also übersetzt: das Pumpen-Gerät. Sie führten ihr pumpendes Spielgerät Herbert Campman vor, dem Corporate Director of Research and Development. Der war nicht sofort abgeneigt, aber auch etwas skeptisch. Er genehmigte dem Projekt 2000 Dollar Budget und fünf Monate Arbeitszeit.

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