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José Saramago

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Beschreibung

"Am darauffolgenden Tag starb niemand." So beginnt der Roman, in dem das Unvorstellbare wahr wird, denn von diesem Moment an kommt kein einziger Mensch mehr zu Tode -- weder gewaltsam noch friedlich. Die Bevölkerung ist verstört, die Politiker sind ratlos. Steuert das Land auf eine Katastrophe zu? In seinem bizarr-philosophischen Roman stellt sich José Saramago den existenziellen Fragen unserer Zeit.

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José Saramago

Eine Zeit ohne Tod

Roman

Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis

Hoffmann und Campe

Für Pilar, mein Zuhause

Wir werden bald immer weniger wissen, was ein Mensch ist.

Buch der Vorhersagen

Denk z.B. mehr an den Tod, – & es wäre doch sonderbar, wenn Du nicht dadurch neue Vorstellungen, neue Gebiete der Sprache, kennenlernen solltest.

Wittgenstein

Am darauffolgenden Tag starb niemand. Diese allen Lebensregeln zuwiderlaufende Tatsache löste bei den Menschen ungeheure Verwirrung aus, und die war in jeder Hinsicht gerechtfertigt, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass in den vierzig Bänden der Universellen Weltgeschichte kein einziges derartiges Phänomen belegt ist, dass nämlich ein kompletter Tag mit vollen vierundzwanzig Stunden, aufgeteilt in Tag-, Nacht-, Morgen- und Abendstunden, vergangen wäre, ohne dass sich ein krankheitsbedingter Todesfall, ein tödlicher Sturz oder ein erfolgreicher Selbstmord ereignet hätte, nichts, absolut gar nichts. Nicht einmal einer dieser nach Festivitäten so üblichen Autounfälle, bei denen die heitere Sorglosigkeit und ein Übermaß an Alkohol sich auf den Straßen gegenseitig herausfordern und abstimmen, wer als Erster zu Tode kommen soll. Der Silvesterabend hatte nicht den üblichen unheilvollen Rattenschwanz von Todesfällen nach sich gezogen, es war, als hätte die alte Atropos mit ihrem gefletschten Pferdegebiss beschlossen, ihre Schere für einen Tag ruhen zu lassen. Blut floss dennoch, und nicht zu knapp. Verwirrt, bestürzt, ihren Brechreiz mühsam unterdrückend zogen die Feuerwehrleute menschliche Körper aus den Trümmern, die nach der mathematischen Logik von Zusammenstößen mausetot hätten sein müssen, trotz der Schwere ihrer Verletzungen und der erlittenen Traumata jedoch noch immer am Leben waren und mit herzzerreißendem Sirenengeheul in die Krankenhäuser eingeliefert wurden. Keiner dieser Menschen sollte auf dem Weg dorthin sterben, und alle sollten die pessimistischen ärztlichen Prognosen widerlegen, Der arme Teufel hat keine Chance, man sollte ihn gar nicht erst operieren, wie beispielsweise der Chirurg zur Krankenschwester sagte, während diese ihm den Mundschutz umband. Und tatsächlich hätte der Arme am Vortag vielleicht nicht gerettet werden können, doch an diesem Tag weigerte sich das Unfallopfer ganz entschieden zu sterben. Und was hier geschah, das geschah im ganzen Land. Bis Punkt Mitternacht des letzten Tages im Jahr hatte es noch Menschen gegeben, die bereit waren, unter strenger Einhaltung der Regeln zu sterben, sei es jener, die den Kern der Sache betreffen, sprich, die Beendigung des Lebens, oder jener, die sich auf die vielfältigen Erscheinungsformen beziehen, welche besagter Kern mit mehr oder weniger Aufwand und Feierlichkeit anzunehmen pflegt, wenn der Augenblick des Sterbens gekommen ist. Ein besonders interessanter Fall, da es sich hierbei um eine ganz besondere Persönlichkeit handelte, war der der altehrwürdigen Königinmutter. Um dreiundzwanzig Uhr neunundfünfzig dieses einunddreißigsten Dezembers wäre niemand so naiv gewesen, auch nur einen Cent auf das Leben dieser königlichen Dame zu setzen. Alle Hoffnung war verloren, die Ärzte fügten sich in das unvermeidbare Schicksal, die königliche Familie, in hierarchischer Rangfolge um das Sterbebett versammelt, wartete ergeben auf den letzten Seufzer der Matriarchin, vielleicht auch auf ein paar Worte, einen letzten erbaulichen Ausspruch zur moralischen Stärkung der Prinzen, ihrer geliebten Enkel, einen schönen, runden Satz, an das stets undankbare Gedächtnis künftiger Untertanen gerichtet. Doch dann passierte einfach nichts, als sei die Zeit stehengeblieben. Der Zustand der Königinmutter wurde weder besser noch schlechter, sondern verharrte irgendwie in der Schwebe, ihr schwacher, zwischen Leben und Tod hängender Körper drohte jeden Augenblick auf die andere Seite zu fallen, war jedoch mit dem Diesseits durch einen seidenen Faden verbunden, den Gevatterin Tod, und es konnte nur sie sein, aus einer weiß Gott merkwürdigen Laune heraus immer noch festhielt. Und da waren wir bereits im nächsten Tag angekommen, an dem, wie zu Anfang berichtet, niemand sterben sollte.

Der Nachmittag war bereits weit fortgeschritten, als plötzlich das Gerücht aufkam, seit Beginn des neuen Jahres, genauer gesagt, seit null Uhr dieses ersten Januars, gebe es keinen rechtsgültigen Beleg dafür, dass sich im Land auch nur ein einziger Todesfall ereignet hätte. Nun könnte man meinen, dieses Gerücht gehe auf die überraschende Weigerung der Königinmutter zurück, das bisschen Leben, das ihr noch geblieben war, aufzugeben, doch versicherte das ärztliche Bulletin, das die Presseabteilung des Palasts täglich für die Medien herausgab, nicht nur, der Allgemeinzustand der königlichen Patientin habe während der Nacht eine deutliche Besserung erfahren, es legte sogar nahe, gab mit sorgsam gewählten Worten zu verstehen, dass die Möglichkeit einer vollständigen Wiederherstellung jener so gewichtigen Gesundheit bestehe. In seiner ersten Form hätte das Gerücht auch einfach von einem Bestattungs- oder Überführungsunternehmen stammen können, Offensichtlich ist niemand bereit, an diesem ersten Tag des neuen Jahres zu sterben, oder von einem Krankenhaus, Bett siebenundzwanzig kann sich auch nicht entscheiden, oder von einem Sprecher der Verkehrspolizei, Es grenzt an ein Wunder, dass wir bei so vielen Unfällen auf der Straße nicht einen einzigen Toten zu vermelden haben. Das Gerücht, dessen Ursprung nie geklärt wurde, wobei dies im Lichte der späteren Ereignisse auch nicht von Bedeutung ist, drang schnell zu Presse, Rundfunk und Fernsehen vor und machte Chefredakteure, Intendanten und deren Assistenten augenblicklich hellhörig, schließlich sind diese Menschen nicht nur darauf geeicht, große Ereignisse der Weltgeschichte von weitem zu wittern, sondern diese gegebenenfalls auch noch größer herauszubringen. Binnen weniger Minuten erblickte man Hunderte von Reportern auf der Straße, die alles befragten, was ihnen vor die Füße lief, während in den Redaktionen die Telefone heißliefen und eine Flut von Anfragen gestartet wurde. Krankenhäuser wurden angerufen, das Rote Kreuz, das Leichenschauhaus, die Bestattungsunternehmen, die Polizei, und zwar alle Arten von Polizei mit der verständlichen Ausnahme der Geheimpolizei, doch die Antworten erschöpften sich stets in der lakonischen Aussage, Es gibt keine Toten. Mehr Glück sollte jene junge Fernsehreporterin haben, der ein abwechselnd sie und die Kamera fixierender Passant ein persönliches Erlebnis schilderte, das mit der bereits zitierten Geschichte der Königinmutter genau übereinstimmte, Es schlug gerade Mitternacht, sagte er, als mein Großvater, der wirklich ganz kurz vor dem Ableben stand, plötzlich die Augen aufmachte, noch ehe der zwölfte Glockenschlag verklungen war, als hätte er diesen Schritt bereut, und doch nicht starb. Die junge Reporterin war so aufgeregt über das soeben Gehörte, dass sie den Befragten ohne Rücksicht auf dessen flehentliche Proteste, Aber ich kann jetzt nicht, ich muss in die Apotheke, der Großvater wartet doch auf seine Medizin, in ihren Ü-Wagen schubste, Kommen Sie mit, kommen Sie, Ihr Großvater braucht keine Medizin mehr, schrie sie und wies den Fahrer an, zum Fernsehstudio zu fahren, wo man sich gerade auf eine Diskussion über parapsychologische Phänomene vorbereitete, mit drei Experten, nämlich zwei angesehenen Hexern und einer berühmten Seherin, die eiligst herbeigerufen worden waren, um das zu analysieren und zu bewerten, was ein paar Spaßvögel der respektlosesten Sorte bereits als Streik des Todes bezeichnet hatten. Die dreiste Reporterin war jedoch einem verhängnisvollen Irrtum aufgesessen, als sie die Worte ihres Informanten dahingehend interpretierte, der Sterbende hätte wörtlich gesagt, dass er den beabsichtigten Schritt, nämlich zu sterben, abzuleben, abzukratzen, bereue und deshalb beschlossen habe, den Rückwärtsgang einzulegen. Nun, die tatsächlichen Worte des glücklichen Enkels, nämlich, Als hätte er es bereut, waren etwas ganz anderes als dieses entschiedene Er hat es bereut. Ein bisschen mehr Verständnis für die elementare Syntax und eine größere Vertrautheit mit den Feinheiten der Verbkonjugation hätten die Verwechslung und nachfolgende Standpauke seitens des unmittelbaren Vorgesetzten verhindert, die das arme Mädchen, rot vor Verlegenheit und Beschämung, über sich ergehen lassen musste. Doch weder er noch sie hätten gedacht, dass jener Satz, den der Befragte live wiederholte und der später in den Abendnachrichten erneut gesendet wurde, von Millionen von Menschen ebenso missverstanden würde, was alsbald die Entstehung einer Bürgerbewegung nach sich ziehen sollte, deren Anhänger der festen Überzeugung waren, der Tod sei durch einen schlichten Willensakt zu besiegen und das ungerechtfertigte Ableben so vieler Menschen in der Vergangenheit gehe auf eine tadelnswerte Willensschwäche früherer Generationen zurück. Das ist aber noch nicht alles. Da die Menschen ohne sichtbare Anstrengung weiterhin nicht sterben, wird eine andere Massenbewegung mit noch ehrgeizigeren Zielen verkünden, der größte Menschheitstraum aller Zeiten, nämlich das ewige Leben auf Erden, sei nun Allgemeingut geworden wie die Sonne, die jeden Tag aufgeht, oder die Luft, die wir atmen. Obgleich diese beiden Bewegungen sozusagen um ein und dieselbe Wählerschaft buhlten, trafen sie sich in einem Punkt, indem sie beide jenen tapferen Veteranen, der in seiner letzten Stunde den Tod herausforderte und besiegte, aufgrund seiner klaren Vorreiterrolle zu ihrem Ehrenvorsitzenden ernannten. Der Tatsache, dass der Großvater sich in tiefem und offensichtlich unwiederbringlichem Koma befand, wurde, soweit bekannt, keine Bedeutung beigemessen.

Wenn auch das Wort Krise zur Beschreibung der einzigartigen, hier geschilderten Ereignisse gewiss nicht das passendste ist, schließlich wäre es absurd, ungehörig und wider die simpelste Logik, in einer existenziellen Situation, die ausgerechnet durch das Ausbleiben des Todes gekennzeichnet ist, von Krise zu sprechen, ist es doch verständlich, dass einige Bürger, ihr Recht auf unabhängige Information einfordernd, sich selbst und einander fragten, was zum Teufel mit der Regierung los sei, die bisher noch keinen Mucks von sich gegeben hatte. Zwar hatte der Gesundheitsminister, kurzfristig zwischen zwei Sitzungen um Stellungnahme gebeten, den Journalisten zu verstehen gegeben, dass es angesichts fehlender Bewertungskriterien zu früh sei für eine offizielle Erklärung, Wir sammeln Informationen aus dem ganzen Land, fügte er hinzu, und in der Tat gibt es nirgendwo einen Hinweis auf Todesfälle, doch sind wir, da wir genauso überrumpelt wurden wie alle anderen, verständlicherweise noch nicht in der Lage, Ursachen und Auswirkungen dieses Phänomens zu bewerten, weder die unmittelbaren noch die langfristigen. Dabei hätte man es belassen können, und das wäre angesichts der schwierigen Lage völlig ausreichend gewesen, doch der bekannte Impuls, die Menschen wegen nichts und wieder nichts zur Ruhe zu ermahnen, sie unbedingt im sicheren Stall halten zu wollen, dieser Reflex, der Politikern und insbesondere Regierungsmitgliedern zur Selbstverständlichkeit geworden ist, um nicht zu sagen zu einem Automatismus, einem mechanischen Impuls, veranlasste ihn, das Gespräch auf schlimmste Art zu beenden, Als Verantwortlicher für Gesundheitsfragen versichere ich allen, die mich hören, dass keinerlei Grund zur Besorgnis besteht, Wenn ich Ihre Aussage richtig verstanden habe, bemerkte ein Journalist in einem Ton, der nicht allzu ironisch sein wollte, ist die Tatsache, dass niemand stirbt, für Sie nicht besorgniserregend, Herr Minister, Richtig, obwohl ich andererseits genau das behauptet habe, Herr Minister, erlauben Sie mir, Sie daran zu erinnern, dass gestern noch Menschen gestorben sind, und keiner wäre auf die Idee gekommen, das besorgniserregend zu finden, Das ist klar, Sterben ist etwas Normales, es wird erst dann besorgniserregend, wenn die Todesfälle sich häufen wie zum Beispiel im Krieg oder bei Epidemien, Das heißt, wenn es von der Routine abweicht, So könnte man es ausdrücken, Aber jetzt, wo sich niemand mehr findet, der zum Sterben bereit ist, verlangen Sie von uns, Herr Minister, uns nicht zu sorgen, das ist doch, gelinde gesagt, ziemlich paradox, Das war die Macht der Gewohnheit, ich gebe zu, der Begriff Besorgnis war in diesem Fall unangebracht, Welches Wort hätten Sie denn stattdessen benutzen sollen, Herr Minister, ich stelle Ihnen die Frage deshalb, weil ich, der ich mich für einen verantwortungsbewussten Journalisten halte, den Anspruch habe, wann immer möglich den richtigen Begriff zu verwenden. Leicht verärgert über diese Hartnäckigkeit antwortete der Minister trocken, Es geht hier nicht um ein Wort, sondern um sechs, Um welche, Herr Minister, Wir wollen keine falschen Hoffnungen wecken. Das hätte ohne Zweifel eine gute und aufrichtige Schlagzeile für den nächsten Tag abgegeben, doch nach Absprache mit seinem Chefredakteur hielt der Verleger es am Ende doch nicht für geboten, und auch vom unternehmerischen Standpunkt aus empfahl es sich nicht, diesen Eimer eiskalten Wassers über das begeisterte Volk auszukippen, Nehmen Sie das Übliche, Neues Jahr, neues Leben, sagte er.

In der offiziellen Verlautbarung, die schließlich am späten Abend verlesen wurde, bestätigte der Regierungschef, dass seit Beginn des neuen Jahres im ganzen Land kein einziger Todesfall registriert worden sei, bat um Zurückhaltung und Augenmaß bei der Einschätzung und Interpretation dieser denkwürdigen Begebenheit, und erwog die Möglichkeit, dass es sich um einen bloßen Zufall handelte, um eine willkürliche, nicht weiterreichende kosmische Veränderung, um eine außerordentliche Verkettung von in die Raum-Zeit-Gleichung eingedrungenen Umständen, vorsichtshalber habe man jedoch erste Kontakte zu den zuständigen internationalen Organisationen aufgenommen, um die Handlungsfähigkeit der Regierung zu gewährleisten, und je konzertierter die Aktionen, umso effizienter. Als diese pseudowissenschaftlichen Schwammigkeiten ausgesprochen waren, deren Unverständlichkeit auch dazu beitragen sollte, die im Land herrschende Aufregung zu dämpfen, schloss der Premierminister mit der Beteuerung, die Regierung sei auf alle nur erdenklichen Eventualitäten vorbereitet und fest entschlossen, sich mutig den vielfältigen sozialen, wirtschaftlichen, politischen und moralischen Problemen zu stellen, die eine endgültige Auslöschung des Todes unweigerlich mit sich brächte, sollte diese sich denn bestätigen, worauf derzeit alles hindeute. Wir werden die Herausforderung der Unsterblichkeit des Körpers annehmen, rief er ungestüm aus, wenn dies Gottes Wille ist, und ihm ewig im Gebet dafür danken, dass er unser braves Volk zu seinem Werkzeug erkoren hat. Bedeutet das etwa, überlegte der Regierungschef, als er zu Ende gelesen hatte, dass wir bis zum Hals in Schwierigkeiten stecken? Er hatte ja keine Ahnung, wie sehr ihn der Kragen noch einmal drücken würde. Noch keine halbe Stunde war vergangen, als er, bereits in dem Dienstwagen, der ihn nach Hause brachte, einen Anruf des Kardinals erhielt, Guten Abend, Herr Premierminister, Guten Abend, Eminenz, Ich rufe an, um Ihnen mitzuteilen, dass ich zutiefst schockiert bin, Ich auch, Eminenz, die Lage ist sehr ernst, so ernst wie noch nie, Das meine ich nicht, Was meinen Sie dann, Eminenz, Es ist in jeder Hinsicht bedauerlich, dass Sie, Herr Premierminister, bei der Abfassung der Erklärung, die ich soeben vernommen habe, nicht an das gedacht haben, was die Grundlage, den tragenden Pfeiler, den Eckstein des Gewölbes unserer heiligen Religion ausmacht, Verzeihen Sie, Eminenz, ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen, Ohne den Tod, und nun hören Sie mir gut zu, Herr Premierminister, ohne den Tod gibt es keine Auferstehung, und ohne Auferstehung gibt es keine Kirche, Teufel nochmal, Ich habe leider nicht verstanden, was Sie eben gesagt haben, würden Sie das bitte wiederholen, Ich habe nichts gesagt, Eminenz, vermutlich war es eine Interferenz, ausgelöst durch eine elektrische Spannung in der Atmosphäre oder Funksignale oder gar ein Netzproblem, manchmal versagt ganz einfach der Satellit, also, Eure Eminenz sagte, dass, Ich sagte, jeder Katholik, und Sie bilden dabei keine Ausnahme, muss wissen, dass es ohne Auferstehung keine Kirche gibt, und überhaupt, wie kommen Sie denn darauf, dass Gott sein eigenes Ende wollen könnte, das zu behaupten ist ruchlos und die vielleicht schlimmste aller Gotteslästerungen, Eminenz, ich habe nicht gesagt, dass Gott sein eigenes Ende will, Nicht genau mit diesen Worten, das ist richtig, doch haben Sie die Möglichkeit eingeräumt, die Unsterblichkeit des Körpers gehe auf Gottes Wille zurück, und man muss keinen Doktor in transzendentaler Logik haben, um zu verstehen, dass, wer eine Sache sagt, auch eine andere sagen kann, Eminenz, so glauben Sie mir doch, das war bloß ein Spruch, mit dem ich Eindruck schinden wollte, ein Schlusswort zu einer Rede, mehr nicht, Sie wissen ganz genau, dass die Politik so etwas braucht, Die Kirche auch, Herr Premierminister, aber wir wägen ab, bevor wir den Mund auftun, wir reden nicht um des Redens willen, berechnen aus der Ferne die Wirkung, unsere Spezialität ist die Ballistik, wenn ich zu Ihrem besseren Verständnis dieses Bild verwenden darf, Ich bin untröstlich, Eminenz, Das wäre ich an Ihrer Stelle auch. Als berechnete er die Zeit, die die Granate bis zu ihrem Einschlag benötigt, machte der Kardinal eine Pause und fuhr dann in sanfterem, herzlicherem Ton fort, Ich wüsste gern, ob Sie diese Erklärung Seiner Majestät zur Kenntnisnahme vorgelegt haben, bevor Sie sie öffentlich verlasen, Aber selbstverständlich, Eminenz, bei einem so heiklen Thema, Und, was hat der König gesagt, falls das kein Staatsgeheimnis ist, Er fand sie gut, Hat er einen abschließenden Kommentar dazu abgegeben, Wunderbar, Was ist wunderbar, Das hat Seine Majestät zu mir gesagt, wunderbar, Wollen Sie damit sagen, er hat auch Gott gelästert, Es steht mir nicht zu, ein solches Urteil zu fällen, Eminenz, es reicht mir schon, wenn ich mit meinen eigenen Fehlern leben muss, Ich werde wohl mit dem König reden müssen, ihn daran erinnern, dass in einer so verwirrenden, heiklen Situation wie dieser einzig die unabdingbare Treue zur erprobten Doktrin unserer heiligen Mutter Kirche das Land vor dem schrecklichen Chaos bewahren kann, das über uns hereinbrechen wird, Das entscheiden Sie, Eminenz, das gehört zu Ihren Aufgaben, Ich werde Seine Majestät fragen, was besser ist, die Königinmutter für immer im Todeskampf auf dem Sterbebett zu erleben, von dem sie sich nie mehr erheben wird und wo auf unwürdige Weise ihr unreiner Körper ihre Seele festhält, oder sie den Tod besiegen zu sehen, indem sie stirbt, im ewigen, strahlenden Glanz des Himmels, Niemand würde mit einer Antwort zögern, Mag sein, aber entgegen der allgemeinen Annahme sind es nicht so sehr die Antworten, die für mich zählen, Herr Premierminister, sondern die Fragen, ich meine natürlich die unseren, welche wohlgemerkt in der Regel ein klares Ziel verfolgen und gleichzeitig eine geheime Absicht beinhalten, und wenn wir sie stellen, tun wir dies nicht nur, um die Antworten zu erhalten, die die Befragten aus ihrem eigenen Munde vernehmen sollen, sondern auch, um den Weg für künftige Antworten zu ebnen, Ähnlich wie in der Politik, Eminenz, So ist es, doch die Kirche hat einen Vorteil, da sie das verwaltet, was oben ist, regiert sie das, was unten ist, auch wenn es manchmal nicht so aussieht. Es folgte eine weitere Pause, die der Premierminister unterbrach, Ich bin gleich zu Hause, Eminenz, doch würde ich Ihnen, falls Sie gestatten, gern noch eine kurze Frage stellen, Bitte schön, Was wird die Kirche unternehmen, wenn nie wieder jemand stirbt, Nie wieder ist ein zu langer Zeitraum, selbst wenn es um den Tod geht, Herr Premierminister, Ich glaube, Sie haben mir nicht geantwortet, Eminenz, Ich stelle Ihnen die Gegenfrage, Was macht der Staat, wenn nie wieder jemand stirbt, Der Staat wird versuchen zu überleben, auch wenn ich ernsthaft daran zweifle, dass er das schafft, aber die Kirche, Die Kirche, Herr Premierminister, hat sich so sehr an die ewigen Antworten gewöhnt, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie sie je andere geben könnte, Auch wenn die Wirklichkeit dem widerspricht, Wir haben doch von Anfang an nie etwas anderes getan, als der Wirklichkeit zu widersprechen, und hier stehen wir nun, Was wird der Papst sagen, Wäre ich an seiner Stelle, Gott verzeihe mir diese ungebührliche Anmaßung, würde ich sofort eine neue These in Umlauf bringen, nämlich die des aufgeschobenen Todes, Ohne weitere Erklärungen, Von der Kirche wurde noch nie verlangt, irgendetwas zu erklären, unsere zweite Spezialität neben der Ballistik ist nämlich die Befriedung des neugierigen Geistes mit Hilfe des Glaubens, Gute Nacht, Eminenz, bis morgen, So Gott will, Herr Premierminister, nur so Gott will, Wie die Dinge im Augenblick stehen, sieht es nicht so aus, als hätte er darauf Einfluss, Vergessen Sie nicht, Herr Premierminister, dass außerhalb unserer Landesgrenzen weiterhin ganz normal gestorben wird, und das ist ein gutes Zeichen, Das ist eine Frage des Standpunkts, Eminenz, vielleicht betrachtet man uns von außen als Oase, als Garten, als neues Paradies, Oder als Hölle, wenn sie intelligent sind, Gute Nacht, Eminenz, ich wünsche Ihnen einen ruhigen, aufbauenden Traum, Gute Nacht, Herr Premierminister, sollte der Tod sich entscheiden, heute Nacht zurückzukehren, dann hoffe ich, dass er nicht auf die Idee kommt, Sie auszuwählen, Wenn die Gerechtigkeit auf dieser Welt kein hohles Wort ist, dann sollte die Königinmutter vor mir gehen, Ich verspreche Ihnen, Sie morgen beim König nicht zu verpetzen, Ich danke Ihnen von Herzen, Eminenz, Gute Nacht, Gute Nacht.

Es war drei Uhr morgens, als der Kardinal mit einer akuten Blinddarmentzündung, die einen sofortigen chirurgischen Eingriff erforderlich machte, ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Bevor er in den dunklen Tunnel der Narkose hinabglitt, in jenem kurzen Augenblick, der dem Bewusstseinsverlust vorausgeht, dachte er, was vor ihm schon so viele dachten, dass er vielleicht bei der Operation sterben würde, doch dann fiel ihm ein, dass das ja gar nicht mehr möglich war, und ganz zum Schluss ereilte ihn noch der Gedanke, dass er, sollte er dennoch sterben, paradoxerweise den Tod besiegt hätte. Von unwiderstehlichem Opfergeist überkommen, wollte er Gott anflehen, ihn zu töten, doch leider brachte er die Worte nicht mehr in die richtige Reihenfolge. Die Narkose rettete ihn so vor der größten Gotteslästerung, nämlich Machtbefugnisse des Todes auf einen Gott zu übertragen, der landläufig als Spender des Lebens bekannt ist.

Obgleich die bereits erwähnte Schlagzeile Neues Jahr, neues Leben von der Konkurrenz sofort ins Lächerliche gezogen wurde, welche ihrerseits der Inspiration der eigenen Redakteure die verschiedenartigsten und gehaltvollsten Schlagzeilen abtrotzte, dramatische und lyrische, nicht selten auch philosophische oder mystische, wenn nicht gar rührend naive wie jene der Volkszeitung, die sich mit der Frage, Und was wird jetzt aus uns, abgeschlossen mit einem riesigen, prahlerischen Fragezeichen, begnügte, so traf sie trotz ihrer peinlichen Banalität doch bei jenen Menschen ins Schwarze, die von ihrem Temperament oder ihrer Erziehung her stets der Beständigkeit eines mehr oder weniger pragmatischen Optimismus den Vorzug gaben, selbst wenn zu befürchten war, dass es sich dabei lediglich um eine Illusion handelte. Da sie bis zum Ausbruch dieses Chaos stets der Überzeugung gewesen waren, in der besten aller möglichen und erdenklichen Welten zu leben, erkannten sie nun voll Entzücken, dass das Beste, das Allerbeste gerade erst passierte, dass es nämlich bereits vor ihrer Haustür lag, ein einzigartiges, wunderbares Leben ohne die tägliche Angst vor der quietschenden Schere der Schicksalsgöttin, Unsterblichkeit in der ureigenen Heimat ohne jegliche metaphysische Unannehmlichkeiten, gratis für alle, ohne eine versiegelte, in der Stunde des Todes zu öffnende Order, du ins Paradies, du ins Fegefeuer, du in die Hölle, an diesem Kreuzweg entschied sich nämlich in früheren Zeiten, oh geliebte Kameraden aus diesem Tal der Tränen, genannt Erde, unser Schicksal in der anderen Welt. Nach dieser Schlagzeile blieb den kritischen oder problembewussten Zeitungen wie auch den entsprechenden Rundfunk- und Fernsehanstalten keine andere Wahl, als sich dieser Welle kollektiver Freude anzuschließen, die das Land von Nord nach Süd und von Ost nach West überschwemmte, die bangen Geister beruhigte und den langen Schatten des Todes aus dem Gesichtsfeld räumte. Als nach und nach deutlich wurde, dass wirklich niemand mehr starb, begaben sich allmählich selbst die Pessimisten und Skeptiker, anfangs noch vereinzelt, später jedoch zuhauf, in dieses mare magnum von Bürgern, die jede Gelegenheit nutzten, um auf die Straße zu gehen und zu verkünden, das Leben sei jetzt so richtig schön.

Eines Tages hisste eine unlängst verwitwete Dame, die keine andere Möglichkeit sah, ihrem neuen Glück Ausdruck zu verleihen, wenngleich dieses durch den leisen Schmerz getrübt wurde, dass sie den betrauerten Verstorbenen nie wiedersähe, wenn sie selbst nicht stürbe, auf dem blühenden Balkon ihres auf die Straße gehenden Esszimmers die Nationalflagge. Es war eine sogenannte Spontanaktion. Doch in weniger als achtundvierzig Stunden breitete sich die Beflaggung im ganzen Land aus, Farben und Symbole der Fahne eroberten die Landschaft, deutlicher sichtbar in den Städten, aus dem naheliegenden Grund, dass es dort mehr Balkone und Fenster gab als auf dem Land. Man konnte sich diesem patriotischen Eifer unmöglich entziehen, zumal bereits einige besorgniserregende, um nicht zu sagen eindeutig bedrohliche Erklärungen kursierten, woher sie kamen, wusste keiner, zum Beispiel, Wer nicht die unsterbliche Flagge der Heimat ins Fenster hängt, verdient es nicht zu leben, Wer nicht deutlich sichtbar die Nationalflagge drapiert, hat sich dem Tod verschrieben, Schließen Sie sich an, seien Sie Patriot, Kaufen Sie eine Flagge, Kaufen Sie eine zweite, Kaufen Sie noch eine, Nieder mit den Feinden des Lebens, ihr Glück ist nur, dass es keinen Tod mehr gibt. Die Straßen waren ein einziges Volksfest flatternder Insignien, hin und her geschüttelt vom Wind, wenn er blies, andernfalls von einem geschickt aufgestellten Ventilator, und wenn der auch nicht stark genug war, um dieses kraftvolle Flattern der Standarte und das kleine, knallende Geräusch hervorzubringen, das die kriegerischen Geister so entzückt, so bewirkte er doch zumindest ein ehrwürdiges Aufwallen der heimatlichen Farben. Nur wenige Menschen bemerkten hinter vorgehaltener Hand, das sei doch wohl übertrieben, ausgemachter Blödsinn, früher oder später müsse man diese ganzen Fahnen sowieso abnehmen, und je früher, desto besser, denn wie zu viel Zucker den Geschmack des Puddings zerstört und den Verdauungsprozess beeinträchtigt, wird sich schließlich auch der normale und berechtigte Respekt vor patriotischen Emblemen in Hohn wandeln, wenn wir zulassen, dass sie zu einem öffentlichen Ärgernis werden wie diese Exhibitionisten in ihren Trenchcoats, an die wir uns nur ungern erinnern. Sie meinten ferner, man solle die Fahnen, die ja feierten, dass der Tod aufgehört hatte zu töten, entweder abnehmen, bevor durch ihr Übermaß Aversionen gegen die Symbole der Heimat geweckt würden, oder aber bis ans Lebensende, sprich, bis in alle Ewigkeit, ja, das ist richtig, bis in alle Ewigkeit, immer wieder erneuern, sobald der Regen sie aufgeweicht, der Wind sie zerrissen oder die Sonne sie ausgebleicht hatte. Es waren sehr wenige, die den Mut hatten, offen den Finger in diese Wunde zu legen, darunter auch ein armer Mann, der sich für seine antipatriotischen Äußerungen gar eine Tracht Prügel zuzog, die nur deshalb nicht sein trauriges Leben beendete, weil der Tod in diesem Land seit Jahresbeginn sein Wirken eingestellt hatte.

Es herrschte jedoch nicht nur Jubel, Trubel, Heiterkeit, neben Menschen, die lachen, gibt es immer Menschen, die weinen, und manchmal, wie in vorliegendem Fall, sogar aus denselben Gründen. Wichtige Berufsgruppen äußerten, ernsthaft besorgt über die Lage, gegenüber den zuständigen Stellen bereits ihre Unzufriedenheit. Die ersten formellen Beschwerden kamen erwartungsgemäß von den Bestattungsunternehmen. Die auf brutale Weise ihres Rohstoffs beraubten Bestatter fassten sich zunächst in klassischer Manier an den Kopf und stimmten ihr Klagelied an, Was soll nur aus uns werden, riefen dann jedoch, angesichts des drohenden Konkurses, der keinen einzigen aus ihrem Kreis verschonen würde, die Generalversammlung der Zunft ein, an deren Ende sie nach hitzigen, durchweg unproduktiven Debatten, die ausnahmslos an der unverwüstlichen Mauer der mangelnden Kooperation des Todes zerschellten, einer Kooperation, an die sie sich, Väter wie Söhne, doch so gewöhnt hatten, als stünde sie ihnen naturgemäß zu, eine Erklärung verabschiedeten, die sie der Regierung des Landes vorlegen wollten, und diese Erklärung griff den einzigen konstruktiven, ja konstruktiven, wenngleich erheiternden Vorschlag auf, der zur Diskussion gestanden hatte, Die werden uns auslachen, warnte der Vorsitzende, aber ich muss zugeben, wir haben keine andere Wahl, entweder es klappt, oder es kommt zum Zusammenbruch der gesamten Branche. In der Erklärung stand, die Vertreter der Bestattungsunternehmen, welche wegen der überaus schwerwiegenden Krise, die aus Mangel an Todesfällen im Land über sie hereingebrochen war, zu einer außerordentlichen Generalversammlung zusammengekommen waren, seien nach gründlicher gemeinschaftlicher, stets von respektvoller Beachtung der obersten Interessen der Nation geprägter Analyse zu dem Schluss gekommen, dass die dramatischen Auswirkungen dieser Krise, welche ohne Zweifel als schwerste kollektive Notlage seit Gründung des Nationalstaats in die Geschichte eingehen werde, noch immer abzuwenden seien, wenn die Regierung beschlösse, die obligatorische Bestattung oder Einäscherung sämtlicher eines natürlichen oder gewaltsamen Todes verstorbener Haustiere einzuführen und die Durchführung besagter Bestattung oder Einäscherung, sobald sie verordnet und verabschiedet sei, ausschließlich der Bestattungsindustrie zu gewähren, da sich diese in der Vergangenheit als echte öffentliche Dienstleisterin erwiesen habe, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, und das seit Generationen. Ferner hieß es in der Erklärung, Wir bitten die Regierung außerdem, ihr Augenmerk auf die Tatsache zu richten, dass die erforderliche Umgestaltung dieser Industriebranche nur mit Hilfe umfangreicher Investitionen zu bewerkstelligen ist, denn schließlich ist es nicht dasselbe, ob man einen Menschen bestattet oder eine Katze, einem Kanarienvogel eine letzte Heimstatt verschafft oder gar einem Zirkuselefanten oder Badewannenkrokodil, deshalb muss nun das traditionelle Know-how von Grund auf neu definiert werden, wobei die seit der offiziellen Öffnung der Friedhöfe für Tiere gewonnene Erfahrung eine willkommene Grundlage bilden wird, mit anderen Worten, das, was bisher lediglich eine Nebentätigkeit unserer Branche war, wenngleich eine recht lukrative, das wollen wir gar nicht leugnen, wird nun zur Hauptaufgabe, wodurch die Entlassung Hunderter, wenn nicht gar Tausender aufopfernder, tapferer Arbeiter, die ihr Leben lang dem Schrecknis des Todes beherzt ins Auge geblickt haben und denen derselbe Tod nun unverdientermaßen den Rücken kehrt, weitestgehend verhindert werden kann, nach Vorbringung unseres Anliegens möchten wir Sie, Herr Premierminister, nun bitten, in der Angelegenheit des verdienten Schutzes einer seit Jahrtausenden als gemeinnützig geltenden Berufsgruppe freundlicherweise nicht nur baldmöglichst zu einer positiven Entscheidung zu finden, sondern parallel dazu ebenfalls eine günstige Kreditlinie einzurichten oder, und das wäre für uns das goldene i-Tüpfelchen auf schwarzem oder blauem Grund, denn das sind unsere Farben, um nicht zu sagen die der grundlegenden Gerechtigkeit, Gratisdarlehen zur schnellen Wiederbelebung dieses Sektors zu gewähren, dessen Existenz erstmalig in der Geschichte bedroht ist und der nicht einmal früher, in vorgeschichtlichen Epochen, bedroht war, hat doch der menschliche Kadaver stets jemanden gefunden, der ihn irgendwann beerdigte, und sei es nur, dass die barmherzige Erde sich auftat. Hochachtungsvoll, mit der Bitte um Bewilligung.

Auch die Leiter und Verwalter der Krankenhäuser, der staatlichen wie der privaten, klopften bald beim zuständigen Ministerium, nämlich dem der Gesundheit, an, um ihre Sorgen und Ängste loszuwerden, die, so merkwürdig das klingen mag, fast nur logistische und kaum gesundheitliche Fragen betrafen. Sie behaupteten, es habe eine Art Kurzschluss gegeben in dem üblichen Wechselspiel von eingelieferten, geheilten und verstorbenen Patienten oder, weniger technisch ausgedrückt, einen Stau, wie im Verkehr, der zurückzuführen sei auf den unbegrenzten Verbleib einer stetig wachsenden Zahl von Internierten, die wegen der Schwere der Krankheiten oder Unfälle, denen sie zum Opfer gefallen waren, in einer normalen Situation bereits in ein anderes Leben übergewechselt wären. Die Lage ist ernst, argumentierten sie, wir haben schon die ersten Kranken auf die Flure verlegt, das heißt, mehr noch als sonst, und alles deutet darauf hin, dass wir in einer knappen Woche nicht nur keine Betten mehr haben, sondern wegen der völlig überfüllten Flure und Stationen auch nicht mehr wissen werden, wo wir die letzten freien Betten hinstellen sollen. Natürlich gebe es eine Lösung für das Problem, schlossen die Verantwortlichen aus dem Krankenhausbereich, doch da diese gegen den hippokratischen Eid verstoße, wenngleich nur am Rande, dürfe die Entscheidung, sollte sie denn getroffen werden, weder eine medizinische noch eine verwaltungstechnische, sondern müsse eine politische sein. Da dem aufmerksamen Zuhörer schon immer ein halbes Wort genügt hat, gab der Gesundheitsminister nach Konsultationen mit dem Premierminister den folgenden Erlass heraus, Angesichts der chronischen Überbelegung der Krankenhäuser, die das bisher so reibungslose Funktionieren unseres Gesundheitssystems ernsthaft zu gefährden beginnt und eine direkte Folge der zunehmenden Einweisungen von zwischen Leben und Tod schwebenden Menschen ist, welche endlos in diesem Zustand verharren werden ohne Aussicht auf Heilung oder auch nur Linderung, zumindest solange die medizinische Forschung ihre neuen Ziele noch nicht erreicht hat, rät und empfiehlt die Regierung den Krankenhausleitungen und -verwaltungen, nach gründlicher Analyse des klinischen Zustands aller in dieser Lage befindlichen Patienten und nach Bestätigung der Unwiderruflichkeit ihres Sterbeprozesses, diese der häuslichen Pflege in den Familien zu überstellen, wobei die Krankenhäuser sich verpflichten, diesen Patienten vorbehaltlos all jene Behandlungen und Untersuchungen zu gewähren, die ihre Chefärzte noch für nötig oder einfach nur empfehlenswert erachten. Dieser Regierungsbeschluss gründet auf der verständlichen Annahme, dass es einem Patienten, der dauerhaft an der Schwelle des Todes steht, welcher ihm jedoch dauerhaft verweigert wird, selbst in lichten Momenten ziemlich gleichgültig ist, wo er sich befindet, im liebevollen Schoß der Familie oder in einer vollgestopften Krankenstation, da er weder hier noch dort wird sterben können, sowenig wie er dort oder hier genesen wird. Die Regierung möchte der Bevölkerung bei dieser Gelegenheit mitteilen, dass die Forschungsarbeiten, die, worauf sie hoffnungsvoll vertraut, zu einer hinreichenden Kenntnis der bislang noch ungeklärten Ursachen des plötzlichen Verschwindens des Todes führen werden, in vollem Gange sind. Ferner möchte sie darüber informieren, dass eine interdisziplinäre Fachkommission, bestehend aus Vertretern der verschiedenen praktizierenden Kirchen und Philosophen der verschiedenen Schulen, die in solchen Angelegenheiten stets etwas zu sagen haben, mit der heiklen Aufgabe betraut wurde, darüber nachzudenken, wie eine Zukunft ohne Tod aussehen könnte, während sie gleichzeitig versuchen wird, eine plausible Prognose der neuen Probleme zu erstellen, denen sich die Gesellschaft gegenübersehen wird, wobei das Schwerwiegendste bereits in dieser grausamen Frage zusammengefasst wurde, Was machen wir mit den Alten, wenn es keinen Tod mehr gibt, der ihren Schrullen ein Ende setzt.

Die Alten- und Pflegeheime, wohltätige Einrichtungen, geschaffen zur Entlastung von Familien, die weder die Zeit noch die Geduld hatten, Rotz abzuwischen, ermüdete Schließmuskeln zu pflegen und nachts aufzustehen, um die Bettpfanne zu bringen, brauchten ebenfalls nicht lange, bis sie wie die Krankenhäuser und Bestattungsunternehmen mit dem Kopf an die Klagemauer stießen. Gerechterweise müssen wir zugeben, dass die Unsicherheit, in der sie sich befanden, darüber nämlich, ob weitere Neuzugänge zu erwarten seien, beängstigend war und durchaus eine Herausforderung an das planerische Geschick dieser Manager menschlicher Ressourcen darstellte. Vor allem deshalb, weil es letztlich, und das ist typisch für das wahre Dilemma, so oder so einerlei war. Wie ihre klagenden Kollegen der intravenösen Spritzen und der lilabeschleiften Kränze an eine aus dem Wechsel von Leben und Tod resultierende Sicherheit gewöhnt, die einen kamen, die anderen gingen, konnten die Alten- und Pflegeheime sich einfach keine berufliche Zukunft vorstellen, in der die Objekte ihrer Pflege niemals mehr Gesicht und Körper wechselten, sondern nur noch von Tag zu Tag jämmerlicher wurden, hinfälliger, sich auf traurige Weise auflösten, immer runzliger wurden, Falte für Falte wie eine Weintraube, die Glieder zittrig und unsicher wie ein Boot, das ziellos umhertreibt, auf der Suche nach dem ins Wasser gefallenen Kompass. Ein neuer Insasse war für die Heime des glücklichen Lebensabends stets ein Grund zur Freude gewesen, denn dieser hatte einen Namen, den man sich merken musste, brachte seine speziellen Gepflogenheiten aus der Außenwelt mit und hatte seine ureigenen Macken wie zum Beispiel jener pensionierte Beamte, der seine Zahnbürste jeden Tag aufs gründlichste reinigte, weil er es nicht ertrug, Zahnpastareste darauf zu sehen, oder die Alte, die unentwegt Familienstammbäume zeichnete und den einzelnen Zweigen nie die richtigen Namen zuordnete. Ein paar Wochen lang, bis die gebührende Aufmerksamkeit für den Neuzugang wieder in der Alltagsroutine unterging, war er der Neue, der Benjamin der Gruppe, und das zum letzten Mal in seinem Leben, sollte dieses auch eine Ewigkeit währen, jene Ewigkeit, von der es nun wie über die Sonne hieß, sie sei für alle Menschen dieses glücklichen Landes da, für uns, die wir mit ansehen werden, wie der Tagplanet erlischt, und trotzdem weiterleben, keiner weiß, wie oder warum. Der Neuzugang ist jetzt jedoch jemand, dessen Schicksal feststeht, es sei denn, es gibt doch noch einen freien Platz im Heim, zur Aufstockung des Budgets, wir werden nicht erleben, dass er hier wieder herauskommt, um zu Hause oder im Krankenhaus zu sterben wie in den guten, alten Zeiten, als die anderen Insassen sich eilig in ihren Zimmern einschlossen, damit der Tod nicht auch bei ihnen anklopfte und sie ebenfalls mitnahm, wir wissen, das alles gehört unwiederbringlich der Vergangenheit an, doch irgendjemand von der Regierung wird sich unseres Schicksals annehmen müssen, denn wir, die Leiter, Geschäftsführer und Angestellten der Heime des glücklichen Lebensabends werden erfahren müssen, dass wir selbst einmal niemanden mehr haben, der uns aufnimmt, wenn die Stunde gekommen ist, in der wir die Arme sinken lassen, seht her, wir sind nicht mehr Herr über das, was gewissermaßen unser Eigen war, weil es uns jahrelang beschäftigt hat, an dieser Stelle sei erwähnt, dass inzwischen die Angestellten das Wort ergriffen haben, und damit wollen wir sagen, dass es für uns, die wir derzeit in den Altersheimen arbeiten, keinen Platz mehr geben wird, es sei denn, wir setzen ein paar Insassen auf die Straße, die Regierung ist ja selbst schon auf diese Idee gekommen, als es um die Überfüllung der Krankenhäuser ging, die Familie soll wieder Verantwortung übernehmen, hieß es, doch da muss erst einmal jemand gefunden werden, der noch genügend Grips im Kopf und ausreichend Energie im Körper hat, Gaben, welche, wie wir aus eigener Erfahrung und äußerer Anschauung wissen, die Wirkungsdauer eines Seufzers haben verglichen mit dieser neu eingeführten Ewigkeit, die Lösung wäre, falls es keine qualifiziertere Meinung dazu gibt, die Heime des glücklichen Lebensabends zu vervielfachen, und zwar nicht, indem man wie bisher alte Villen und Herrenhäuser nutzt, die schon bessere Zeiten gesehen haben, sondern durch den Entwurf vollkommen neuer Gebäude, in Form eines Fünfecks, zum Beispiel, oder eines Turms von Babel, eines Labyrinths von Knossos, zunächst nur als einzelne Stadtviertel, dann ganze Städte, später Metropolen oder, grausamer ausgedrückt, lebende Friedhöfe, wo auf fatale und unwiderrufliche Weise das Alter gepflegt wird, so wie Gott es gewollt hat, bis wer weiß wann, schließlich sind die Tage nicht mehr gezählt, das Problem ist jedoch, und wir betrachten es als unsere Pflicht, die zuständigen Behörden darauf hinzuweisen, dass es mit der Zeit nicht nur immer mehr Menschen in Altersheimen geben wird, sondern dass auch immer mehr benötigt werden, die sich um diese kümmern, weshalb sich die Alterspyramide sehr schnell ins Gegenteil verkehren wird, eine stetig anwachsende Masse von Alten dort oben, die wie eine Pythonschlange die jungen Generationen verschlingt, welche wiederum mehrheitlich zu Pflege- und Verwaltungspersonal von Altersheimen werden, und wenn sie die beste Zeit ihres Lebens geopfert haben, um Greise jeglichen Alters zu pflegen, normal alte oder steinalte, Unmengen von Eltern, Großeltern, Urgroßeltern, Ururgroßeltern, Urururgroßeltern, Ururururgroßeltern und so weiter und so fort, ad infinitum, werden sie sich einer nach dem anderen zu diesen gesellen, wie Blätter, die sich von den Bäumen lösen und auf die Blätter vergangener Herbste niederfallen, mais où sont les neiges d’antan, auf diesen ungeheuren Ameisenhaufen von Menschen, die im Laufe ihres Lebens Zähne und Haare verloren haben, auf diese Legionen von Fehlsichtigen und Schwerhörigen, Menschen mit Leistenbrüchen, Katarrh, Oberschenkelhalsbruch, Gelähmte, unsterblich gewordene Schwindsüchtige, die nicht einmal in der Lage sind, den Speichel zu halten, der ihnen über das Kinn rinnt, Verehrte Regierungsmitglieder, vielleicht wollen Sie uns ja nicht glauben, aber das, was hier über uns hereinbricht, ist der schlimmste Albtraum, den ein menschliches Wesen je zu träumen vermochte, nicht einmal in diesen dunklen Höhlen, in denen nur Angst und Zittern herrschte, hat man so etwas je gesehen, das sagen wir mit unserer Erfahrung aus dem ersten Heim des glücklichen Lebensabends, natürlich waren das damals ganz andere Dimensionen, aber zu irgendetwas muss die Phantasie schließlich gut sein, und wenn wir ganz offen zu Ihnen sprechen dürfen, dann doch lieber den Tod, Herr Premierminister, lieber den Tod als dieses Los.