Elatar - Almina Quill - E-Book
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Elatar E-Book

Almina Quill

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Beschreibung

Dann sprang Suldryn hoch, entfaltete die dunklen Flügel, und Dusan ließ zu, dass der Nachtschatten mit ihm davonflog, ohne sich gegen ihn zu sträuben. «Wir müssen zurück, das ist dir klar, oder?» Der Ältestenrat des immer wieder von Drachenangriffen bedrohten Hjelsky hat sie als Hoffnungsträger ausgesandt, um sich mit wilden Drachen zu verbinden und so als Retter der Stadt zurückzukehren, und schließlich machen sich Dusan und seine Schicksalsgefährten wieder auf den Heimweg. Sie haben auf ihrer Reise Dramatisches und Beglückendes erlebt, und sie kehren tief geprägt – und begleitet von mächtigen magischen Wesen in ihre Heimat zurück. Wieder in Hjelsky angekommen, müssen sie jedoch feststellen, dass sie längst zum Spielball von Interessen geworden sind, die nicht nur sie selbst und ihre Drachen in tödliche Gefahr bringen. Und während sie versuchen, einander und denen beizustehen, die wehrloser sind als sie, werden sie in einen Kampf verwickelt, von dessen Ausgang nichts weniger abhängt als das Schicksal ihrer ganzen Welt – denn Elatar, Andromas Quelle der Magie, droht endgültig zu versiegen, wenn sie scheitern.

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1. Auflage 2024

Copyright © 2024 Cameo Verlag GmbH, Bern

Alle Rechte vorbehalten.

Der Cameo Verlag wird vom Bundesamt für Kultur für die Jahre 2021–2024 unterstützt.

Lektorat: Susanne Schulten

Cover- und Umschlaggestaltung: Marie Grasshoff

ISBN: 978-3-039510-44-3

E-Book: CPI books GmbH, Leck

Für alle,

für die das Leben mehr ist, als ein Kampf

und die auch den grausten Tagen

etwas Positives abgewinnen können.

Für Cookie,

1.

BÖSES ERWACHEN

Den letzten Abschnitt der Reise zurück nach Hjelsky erlebte Lauris wie in Trance. Seine Versuche, Danathol zu trösten, hatte er kurz nach ihrem Aufbruch aufgegeben. Er erreichte den Rotschopf einfach nicht.

Danathol starrte mit leblosem Blick auf den Weg vor ihm. Er setzte einen Fuß vor den anderen, wenn die Gruppe sich vorwärtsbewegte. Hielt an, wenn sie eine Pause einlegten, und aß oder trank, wenn man ihm etwas unter die Nase hielt. Er antwortete auf keine Frage und reagierte auf kein Wort, das einer von ihnen sagte.

Es war zum Verrücktwerden.

Dass Mirela und Eline sich wieder angefreundet hatten, half ihm auch nicht weiter. Eline blühte in ihrer neuen Bindung auf. Ganz Sanftheit und Liebenswürdigkeit, kümmerte sie sich unausgesetzt um den kleinen Drachen. Lauris ertrug ihren Anblick kaum; er fand das ekelerregend. Seit sie das Bündnis eingegangen war, lag fast konstant ein sanftes Lächeln auf ihren Lippen. Und im Gegensatz zu ihm, der sich von Elines neuer Energie abgestoßen fühlte, zog diese Mirela an – wie Honig die Fliegen. Mirela wich nicht mehr von der Seite ihrer Freundin.

Die Mädchen passten auf ihre Art auf Danathol auf, zumindest kam es Lauris so vor. Aber auch ihnen gelang es nicht, irgendeine Reaktion bei dem Zwilling zu erreichen. Manchmal fürchtete Lauris, dass Danathol mit Anathors Tod ebenfalls sein Leben ausgehaucht hatte und das, was mit ihnen zurück nach Hjelsky kam, nicht mehr als eine leere Hülle war.

Ohne Erfolg bei Danathol und abgestoßen von der scheinbaren Gelassenheit, die Eline ausstrahlte, blieben ihm lediglich seine eigenen Gedanken. Neeasht ließ ihn damit in Ruhe. Er konnte den Drachen zwar spüren, wenn er sich auf ihn konzentrierte, aber der Wandler hatte wohl im Moment keine Verwendung für ihn. So brütete Lauris vor sich hin, verfluchte ab und an seine Verletzungen. Wenn die Wunde nicht zu intensiv brannte, war es sein fehlendes Auge, das ihm am meisten zu schaffen machte.

Als endlich Hjelskys Südtor vor ihnen auftauchte, war Lauris unglaublich erleichtert. Nicht einmal der Gedanke, dass er bald seinen Eltern gegenüberstehen würde, vermochte diesem Gefühl Abbruch zu tun. Im Gegenteil, er fieberte der Begegnung entgegen und freute sich darauf, Ehrfurcht auf ihren Gesichtern zu sehen. Endlich würden sie erkennen, wie mächtig und wozu er in der Lage war.

«Was glaubst du, was jetzt geschieht?»

Er konnte die Angst in Mirelas Stimme hören, ignorierte aber ihre Frage. Sie hatte sie nicht ihm gestellt. Woher ihre Angst genau kam, erschloss sich ihm ebenfalls nicht. Eline zuckte mit den Achseln. Seit sie gebunden war, schien sie noch weniger Feingefühl zu besitzen. Merkte sie nicht, wie angespannt ihre Freundin war?

Als das Tor langsam aufschwang, fuhr, stärker denn je zuvor, eine Welle der Qual durch die ganze Wunde. Von seinem Schulterbereich brandete der Schmerz über seinen Hals und bis hinauf zu seinem Auge. Lauris kam es vor, als würde sich selbst der kleinste und unbedeutendste Muskel seines Körpers verkrampfen. Ein dumpfer Schmerzenslaut entwich ihm, obwohl er den Mund nicht öffnen konnte. Vielleicht war das aber auch gut so.

Ohne dass er es hätte verhindern können, kippte er um. Wie ein Baum, der gefällt wurde, nur mit weniger Lärm. Am Rande seines Bewusstseins registrierte er, wie sein Körper zuckte und zitterte. Aber er konnte absolut nichts dagegen tun.

«Keine Sorge, Wurm», hörte er Neeashts zischende Stimme, «es wird keine bleibenden Schäden hinterlassen. Schließlich brauche ich dich noch.»

Irgendetwas an diesen Worten ließ einen Alarm in Lauris’ Kopf losschrillen. Aber die brutalen Schmerzen vernebelten ihm den Verstand so sehr, dass er nicht begriff, weshalb er so erschrocken war.

Gefühlt eine Ewigkeit später, in der er mehrfach das Bewusstsein verlor, nur um von denselben Höllenqualen gemartert immer wieder zu sich zu kommen, erkannte er die Gesichter der Ältesten Cargur und Kieran über sich. Dann wurde er hochgehoben und wenig zeremoniell durch das Südtor getragen. Ein Wimmern kam ab und an über seine Lippen, und er konnte nur hoffen, dass niemand ihn so sah.

Er wollte fragen, wohin sie gingen und wo die anderen waren: Eline, die ebenfalls gebunden war. Mirela, deren Angst er noch allzu deutlich vor Augen hatte. Und Danathol, der in den letzten Tagen wie ein Geist hinter ihnen hergegangen war. War er überhaupt bei ihnen gewesen, als sie das Südtor erreicht hatten? Er wusste es nicht mehr, und ihm fehlte die Kraft, länger darüber nachzudenken.

Das Schaukeln, das seine Träger verursachten, verstärkte seine Schmerzen, bis sie ihm beinahe unerträglich schienen, und das Allerschlimmste war, dass ihm davon auch noch übel wurde. Er kniff die Augen zusammen, nur um sie sofort wieder aufzureißen. Da! War da nicht eine Gestalt in roter Robe gewesen? Konnte es sein, dass Neeashts Anhänger schon in Hjelsky waren? Er versuchte, sich umzusehen, aber es gelang ihm nicht. Sein Kopf fühlte sich an wie in seiner Position festgeschraubt, die Muskeln in seinem Nacken verkrampften sich immer mehr, und egal, wie sehr er sich auch anstrengte – er konnte ihn kein winziges Stückchen bewegen.

Irgendwann traten die Ältesten mit ihm über eine Schwelle und legten ihn auf ein Bett. Das wusste er, weil sich die Unterlage weich anfühlte. Dann entfernten sich ihre Schritte, ohne dass sie etwas zu ihm gesagt hätten. Die Tür fiel ins Schloss. Und er hätte schwören können, dass der Schlüssel im Schloss umgedreht wurde.

2.

DER KÄFIG

Hand in Hand mit Dusan schritt Nelida durch das Südtor von Hjelsky. Misha ging vor ihr her, während kleine grüne Drachen seinen Kopf umschwirrten. Sie schmunzelte und überlegte, ob sie ihren Cousin bei Gelegenheit mal über dieses ungewöhnliche Bündnis ausfragen sollte.

Als sie unter dem Bogen des eindrucksvollen Tors hindurchschritten, das in ihren Augen immer das eindrucksvollste gewesen war, hielt sie unweigerlich den Atem an. Im Geiste zählte sie bis zehn und drückte Dusans Hand noch etwas fester. Sie konnte spüren, dass er sich ihr zuwandte, aber sie war zu aufgewühlt, um seinen Blick zu erwidern. Ob er auch so angespannt war wie sie? Dabei wusste sie nicht einmal, warum sie so nervös war. Schließlich kam sie doch gerade nach Hause. Nur – warum fühlte es sich dann nicht so an?

Alassar landete federleicht auf ihrer Schulter, und sie zuckte zusammen. Dann lachte sie auf, und der schrille Klang ihrer Stimme ließ sie erneut zusammenfahren. Diesmal wanderten ihre Augen unwillkürlich zur Seite, und sie schaute Dusan an. Er hatte eine Augenbraue hochgezogen und schien sie halb spöttisch, halb besorgt zu mustern. Schnell richtete sie ihren Blick woanders hin und versuchte, allein durch Willenskraft zu verhindern, dass ihre Wangen rot wurden.

«Wie geht es Tani?», wandte sie sich an Misha und schämte sich in Grund und Boden, dass sie nicht schon früher an ihre Freundin gedacht hatte.

Misha schaute sich um und lächelte sie an. «Sie ist zäh.»

Das flaue Gefühl in Nelidas Magengegend verstärkte sich. Warum musste Tani denn zäh sein? War sie ein schwieriges Bündnis eingegangen? Nelida wollte gerade fragen, da kam Tani auf sie zu. Im ersten Moment hätte Nelida ihre Freundin fast nicht erkannt. Sie war unglaublich dünn geworden, so abgemagert, dass ihre Schlüsselbeine hervorstachen. Ihre Wangen waren eingefallen, das stumpfe Haar stand wirr von ihrem Kopf ab, und ihre Nase saß blau und schief in ihrem Gesicht.

Nelida blieb wie angewurzelt stehen und zwang damit auch Dusan dazu, innezuhalten.

«Guck mich nicht so schockiert an. So schlimm kann ich echt nicht aussehen.» Nach Bestätigung heischend sah Tani Misha an, aber der wich ihrem Blick aus.

Nelida konnte nicht anders; ihr Blick richtete sich automatisch auf Tanis Handgelenk. Im Gegensatz zu ihrer von einem feinen, in Alassars Grautönen schimmernden Band umschlungenen Handwurzel verunstalteten sieben kieselsteingroße Brandwunden das Handgelenk ihrer Freundin.

Ohne zu zögern, ließ Nelida Dusans Hand fallen und überwand mit ein paar schnellen Schritten die Distanz zu ihrer Freundin. Zaghaft streckte sie die Hände nach Tani aus, und diese lächelte. Was vermutlich beruhigend wirken sollte, aber nur herzzerreißend grotesk aussah in ihrem blassen, eingefallenen Gesicht. Nelida zuckte zusammen und zog Tani schnell in ihre Arme, als sie sah, wie sehr sie ihre Freundin mit ihrer Reaktion verletzt hatte.

Für einen Moment genoss sie einfach das Gefühl, der Freundin nah zu sein, um die sie so sehr gebangt hatte. Tani war am Leben. Tani lebte und Misha lebte und es würde alles gut werden. Sie hatten einander.

«Ich hatte also recht», flüsterte Tani ihr ins Ohr.

«Womit?»

«Ihr seid beide gebunden, und ich bin die, die außen vor bleibt.»

Die Worte waren wie Dolche. Sie bohrten sich in Nelidas Herz und ließen es bluten. Sie konnte doch nichts dafür, dass Alassar sie ausgewählt hatte. Ruckartig löste sie sich aus der Umarmung, und weil sie nicht wusste, wie sie auf Tanis Worte reagieren sollte, zwang sie ein Lächeln auf ihre Lippen. «Es ist schön, dich zu sehen», sagte sie sanft.

«Kommt ihr?» Misha klang ungeduldig.

Nelida drehte sich zu ihm um. Ihr Blick kreuzte sich mit Dusans, der ebenfalls stehengeblieben war und dessen Miene undurchschaubar blieb. Er wartete, bis sie zu ihm aufgeschlossen hatte, und griff dann wie selbstverständlich wieder nach ihrer Hand.

Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus. Wie von selbst hoben sich ihre Mundwinkel. Dann drehte sie sich noch einmal zu ihrer Freundin um. «Du solltest Elenaj aufsuchen. Nichts für ungut, Tani, aber du siehst wirklich schrecklich aus.»

Sie wartete die Reaktion ihrer Freundin nicht ab, sondern wandte sich schnell wieder um und ging mit Dusan an ihrer Seite weiter. Im Moment wollte sie sich nur auf das vertraute Gewicht Alassars in ihrer Halsbeuge und den Druck von Dusans warmer Hand konzentrieren.

Misha seufzte tief. «Bist du fertig?»

«Warum bist du denn so ungeduldig?»

«Der Rat möchte uns sehen.»

Nelida schluckte, und das Gefühl, nach Hause gekommen zu sein, das sie bei Mishas Begrüßung gewärmt hatte, verflüchtigte sich jäh. Sie hätte doch wissen müssen, dass sie dem Rat sofort Rede und Antwort zu stehen hatten, sobald sie zurückgekommen waren. Sie tauschte einen beklommenen Blick mit Dusan.

«Wir kriegen das hin. Du bist nicht allein.» Er deutete auf Alassar, der in ihre Halsbeuge geschmiegt zu schlafen schien.

Sie nickte. Dennoch, sie war alles andere als bereit. Zwillinge helft mir.

Misha führte sie auf direktem Weg zum Hauptplatz. Nelida erkannte Ani’jul, die etwas verloren allein vor den Ältesten stand. Um ihren Hals lag eine Schärpe, und obwohl es mitten am Tag war, befand sich dort bis auf sie und die sieben Ältesten mit ihren Dunkelschuppen niemand sonst.

Nelida schauderte, obwohl es schon jetzt viel zu warm war. Vor ihrem inneren Auge sah sie erneut die Bilder von den Blüten Elatars, die von diesen sieben Menschen zerstört wurden. Auch an Alassars Worte, etwas stimme nicht mit den Dunkelschuppen des Rates, erinnerte sie sich. Umso mehr zwang sie sich, ruhig zu atmen, während ihre Gruppe auf die Ältesten zuschritt.

«Willkommen zurück, Nelida und Dusan.»

Der vielstimmige Klang der sieben Stimmen schmerzte Nelida in den Ohren. Noch beim Jahrgangsfest hatte sie den Worten der Ältesten ehrfürchtig gelauscht, die für sie voller Verheißung gewesen waren. Nun aber fand sie das mehrstimmige Murmeln und Wispern und die unterschiedlichen Tonlagen nur noch abstoßend. Alassar schien es nicht anders zu gehen, denn Nelida hätte schwören können, dass der Drache sich kleiner machte, um sich besser in ihrem Haar zu verstecken.

«Euch ist es gelungen, die Aufgabe zu erfüllen, zu der ihr als Hoffnungsträger auserkoren wart. Ihr habt wahre Stärke bewiesen, aber wir müssen uns schon wieder mit einer Bitte an euch wenden.»

Nelida beobachtete Misha aus dem Augenwinkel und versuchte an seinem Gesichtsausdruck zu erkennen, ob er den Ältesten ihre Worte abnahm. Diese Lügen, die leichter über ihre Lippen kamen, als es möglich sein sollte. Als ob der Ältestenrat von Hjelsky irgendjemandem um etwas bitten müsste, dachte sie grimmig.

«Aber zuerst sollt ihr euch ausruhen. Wir wissen, dass wir viel von euch verlangen. Eure Reise war sicherlich nicht leicht. Wir möchten uns für eure Mühen erkenntlich zeigen.»

Nelida runzelte bei diesen Worten die Stirn. Um welchen heißen Brei redete der Rat da herum? Was wollten die Ältesten von ihnen? Warum sprachen sie nicht geradeheraus?

«Sicher seid ihr froh, euch mit den anderen Gebundenen austauschen zu können. Wir haben dafür gesorgt, dass ihr euch zurückziehen könnt und nicht dem üblichen Tumult in unserer Stadt ausgesetzt seid. Die drei übrigen Gebundenen …»

Dusan räusperte sich, und Nelida ließ reflexartig seine Hand los. Man unterbrach die Ältesten nicht. Das wirkte respektlos und lenkte unerwünschte Aufmerksamkeit auf sie. Ahnten die Ältesten vielleicht, dass Dusan und sie von der Quelle der Magie wussten?

Sieben Augenpaare richteten sich auf den jungen Mann neben ihr. Dusan straffte die Schultern und hielt den harten Blicken stand. Dann starrte er Kieran an. «Das ist ja alles schön und gut. Aber ich möchte jetzt zu Javenna.»

Für einen Moment war es vollkommen still, und Nelida spürte, wie sich ein kaltes Gefühl der Angst und Hilflosigkeit in ihr ausbreitete. Sie ertappte sich bei der Frage, wie Dusan auf die Idee kommen konnte, den Ältesten so respektlos in die Parade zu fahren. Dann rief sie sich zur Ordnung. Wie konnte sie nur? Sie sollte lieber den Mut ihres Freundes bewundern und ihm den Rücken stärken.

Die Ältesten wechselten Blicke. Kieran fixierte Levio länger als den Rest der Gruppe. Dann schauten sie beide gleichzeitig zurück zu Dusan. Und schließlich taten sie etwas, das Nelida noch nie erlebt hatte.

Die Ältesten sprachen gemeinsam, wenn sie in der Öffentlichkeit auftraten. Das war schon immer so gewesen. Natürlich hatte Nelida sie auch schon allein reden hören, aber nur in alltäglicheren Situationen. Während der Grundausbildung vor dem Jahrgangstest zum Beispiel hatten sie bei jedem der Ältesten Einzelunterricht erhalten. Daher wusste Nelida, dass die Sieben auch jeder für sich eine Stimme hatten.

Doch das hier war neu. Fünf blieben stumm, und nur Kieran und sein Bruder Levio ergriffen das Wort: «Wir bedauern sehr, dass das im Moment nicht möglich sein wird. Komm mit uns und ruh dich erst einmal aus.»

Das klang tatsächlich noch unheimlicher, als wenn sie alle sprachen. Aber Nelidas Gedanken zerstreuten sich sofort, als Dusan auf die Worte der Ältesten reagierte.

«Was soll das heißen? Wieso soll das nicht möglich sein? Geht es Javenna gut? Wo ist sie?» Dusans Stimme wurde nicht lauter, und er schien sich auch nicht aufzuregen. Aber er sprach zunehmend schärfer, und Nelida hätte es nicht gewundert, wenn die Ältesten nachgegeben hätten. Aus dem Augenwinkel nahm sie jedoch wahr, wie Mishas kleine grüne Drachen unruhig wurden.

«Es geht ihr gut», erwiderten Levio und Kieran, und dabei lächelten sie. Dieses Lächeln sollte wohl beruhigend wirken, aber es erreichte ihre Augen nicht und sah so gezwungen aus, dass es beinahe grotesk wirkte. Nelida hatte plötzlich das Gefühl, dass sich die Luft auf dem Platz verdichtete und ihr wie ein Alpdruck auf der Brust lag. Dass dies hier übel enden würde.

«Aber euch wird es bald nicht mehr gut gehen, wenn ihr uns nicht helft.» Diese Drohung sprachen alle Ältesten gemeinsam aus, und die sieben Stimmen grollten wie Donner.

Nelida hatte das Gefühl, vollkommen den Halt zu verlieren. Sie hatte schon länger gewusst, dass die Ältesten nichts Gutes im Schilde führten, aber sie hatte dennoch gehofft, nie in eine Lage zu geraten, in der sie direkt von ihnen bedroht wurde. Das drückende Gefühl in ihrem Magen hatte sich inzwischen zu einer ausgewachsenen Übelkeit entwickelt. Sie schlang die Arme um ihre Mitte.

Bei dieser offensichtlichen Drohung des Rates wurden auch Misha und Ani’jul hellhörig. Misha hatte den Mund geöffnet, als wolle er etwas sagen. Aber Dusan kam ihm ein weiteres Mal zuvor. «Was soll das heißen? Wollt ihr uns tatsächlich vor aller Augen umbringen?»

Ani’jul hielt sich die Hand vor den Mund, als müsse sie einen Schrei zurückhalten. Sie zitterte, und Nelida realisierte erst jetzt, dass die junge Frau weinte. Am liebsten wäre sie auf Alassars Rücken geklettert und zurück ins Drachenzahngebirge geflogen. Von ganzem Herzen wünschte sie sich fort aus dieser Situation. Dusans offensichtliche Wut, Mishas Unruhe und Ani’juls Tränen verwirrten sie, und diese ganzen finsteren Emotionen ließen die neu gewonnene Sicherheit ihres Bündnisses wie Sand durch ihre Finger rinnen.

Die Ältesten ergriffen wieder das Wort: «Natürlich wollen wir nicht, dass euch etwas geschieht. Wo denkst du hin? Dafür seid ihr viel zu wertvoll. Aber wenn ihr uns nicht helft bei unserem Problem, werden eure Drachen sterben. Und damit zwangsläufig auch ihr.»

Jetzt redeten die jungen Leute alle durcheinander. Dusan machte seiner Wut mit einer Reihe von Flüchen lautstark Luft, während Misha wütend und Ani’jul mit flehender Stimme verlangten, dass sich die Ältesten endlich klarer ausdrückten. Nelida stand zwischen ihnen und wusste nicht, wohin mit sich.

Als wieder etwas Ruhe eingekehrt war und nur noch Dusan so aussah, als wollte er den nächsten, der es wagte, einen Ton von sich zu geben, von einem Feuerstoß geröstet sehen, sprachen die Ältesten weiter.

«Natürlich wollen wir, dass es euch gut geht. Aber das zu gewährleisten liegt nicht länger in unserer Macht, wenn ihr uns eure Unterstützung verweigert. Die Natur kann nicht aufgehalten werden, und nur wenn alle Drachengebundenen ihre Magie vereinen, haben wir überhaupt eine Chance. Also bitte, kommt mit uns. Erholt euch ein wenig, und dann, in ein paar Tagen, schauen wir weiter.»

Nelida spürte, wie sie unwillkürlich nickte, obwohl sie das nicht wollte. Zusammen mit den anderen drei Gebundenen setzte sie sich langsam in Bewegung und folgte Kieran, Levio und Weena, während die übrigen Mitglieder des Rates auf dem Hauptplatz zurückblieben. Die Gebundenen waren Marionetten, von einem unsichtbaren Puppenspieler in Bewegung versetzt, denn die Worte der Ältesten hatten so überzeugend geklungen, waren so eindringlich gesprochen worden, dass Nelida und die anderen zu keiner Gegenwehr in der Lage waren. Natürlich wollten die Ältesten nur das Beste für Hjelsky und die Drachengebundenen. Es konnte doch gar nicht anders sein. Und Nelida wollte Alassar auf gar keinen Fall verlieren.

«Lass dich nicht einlullen.» Die Stimme des Drachen klang mit einem Mal, als wäre er weit weg. Das war ungewöhnlich. Seit dem Moment, in dem sie ihr Bündnis eingegangen waren, war er stets nah bei ihr gewesen und seine Stimme in ihren Gedanken immer verlässlich laut und klar wie beim allerersten Mal, als sie sie gehört hatte.

«Hörst du mich, Nelida? Sieh dich vor! Lass dich nicht von ihren Worten umgarnen. Sie lügen.»

Die Ältesten logen? Warum sollten sie das tun? Das ergab doch keinen Sinn. Oder doch?

«Doch! Erinnere dich an deine Vision, Menschenkind. Bitte! Sie haben die Kräfte Elatars blockiert, um sie nur für sich selbst nutzbar zu machen.»

Ein Baum wuchs vor ihrem inneren Auge empor, mit wunderschönen Blättern, die golden und silbern leuchteten. Und dann verschwanden sie, ein strahlendes Blatt nach dem anderen.

Elatar.

Die blockierte Magie.

Das ungeheure Verbrechen des Rates.

Alles war auf einmal wieder da.

«Alassar?», flüsterte sie den Namen ihres Freundes und schaute sich verstohlen um. Keiner der drei Ältesten blickte sie an. Sie achtete darauf, dass sie ihr Tempo beibehielt und auf keinen Fall langsamer wurde.

«Ah, bist du zurück, Menschenkind?»

Nelida nickte kaum merklich. «Was war das?»

«Die Kraft der Dunkelschuppen besteht darin, starke Gefühle auf andere zu übertragen. Meist tun sie das, um leichter an ihre Beute zu kommen, denn sie sind viel zu faul, um ernsthaft zu jagen.» Alassars Worte klangen so verächtlich, dass Nelida ein Schmunzeln unterdrücken musste. Der Titan hatte offensichtlich keine sehr hohe Meinung von Dunkelschuppen.

Sie hatte jedenfalls nicht gewusst, dass sich die Magie, die allen Drachen zu eigen war, bei den Dunkelschuppen auf diese Weise manifestierte. Dann fiel ihr plötzlich die Begegnung mit dem fremden Dunkelschuppen ein, die sie in der Nacht ihres Geburtstages gehabt hatte, und sie schauderte. Die Angst hatte sie angesprungen wie ein wildes Tier, und sie war vollkommen gelähmt gewesen. Waren das die Folgen dieser Magie?

Sie sah nach oben und konzentrierte sich auf die drei Drachen der Ältesten, die über ihnen dahinflogen – eine Kette von dunkel beschuppten geflügelten Wesen, die die Mitglieder des Rats hinter sich herzogen wie groteske Luftballons. Ihr fiel auf einmal auf, dass sie sich längst nicht so majestätisch bewegten wie Suldryn. Und sie waren auch nicht so groß und respekteinflößend wie die Titanendrachen. Ihre Bewegungen wirkten im Gegenteil eher ungeschickt und seltsam abgehackt, so als wüssten sie nicht genau, wie man wirklich flog. War das immer schon so gewesen?

«Glaubst du, Dusan haben sie auch unter ihrem Einfluss?», murmelte sie verschwörerisch und blickte rasch einmal nach links und einmal nach rechts. Aber noch beachtete sie keines der Ratsmitglieder.

«Unwahrscheinlich. Sein Drache wird ihn schon wachgerüttelt haben.»

In diesem Moment griff Dusan nach ihrer Hand. Er war die ganze Zeit neben ihr gegangen, und so fiel die Bewegung hoffentlich nicht weiter auf. Sie bewegte sich ein bisschen näher zu ihm hin, um hören zu können, was er sagen wollte.

«Ich muss meine Schwester sehen», murmelte er.

Sie nickte. Sie wusste, dass Javenna sein Ein und Alles war. Nur – wie wollte er das anstellen?

«Ich brauche eine Ablenkung, damit ich mich davonstehlen kann.»

«Suldryn kann dir helfen. Zusammen seid ihr viel schneller.»

Er schüttelte grimmig den Kopf und funkelte sie an. «Was ihr nur immer mit dem Fliegen habt. In der Luft sind wir ein viel zu leichtes Ziel.»

Sie ließ Dusans Hand los, als der Älteste Cargur sich zu ihnen umdrehte. Angestrengt versuchte sie, stur geradeaus zu gehen und dabei so auszusehen, als wäre ihr Kopf mehr oder weniger leer.

«Hast du einen Plan?», wisperte sie, als sie sich wieder unbeobachtet fühlte.

«Noch nicht.»

«Du musst dich beeilen. Was, wenn wir bald da …»

Direkt vor ihnen befand sich das wohl schönste Anwesen, das Nelida je gesehen hatte. Die Mauern bestanden aus leuchtend weißem Stein und nicht, wie sonst in Hjelsky üblich, aus Holz. Die Dächer waren von dunkelroter Farbe, und die Fenster waren so zahlreich, dass sie gar nicht erst anfangen wollte, sie zu zählen. Warum war ihr dieses Gebäude noch nie aufgefallen? Er lag zwar in der Nähe der Stadtmauer, also am Stadtrand, aber Hjelsky war ja nun wirklich nicht besonders groß, und das Südtor befand sich in der Nähe. Es hätte eigentlich unmöglich sein müssen, ein solches Gebäude nicht zu bemerken. Und wer lebte überhaupt darin? Es wäre in seiner Pracht eines Königs würdig gewesen. Das Einzige, was sie irritierte, war das fahle blaue Flimmern, das sich einer Kuppel gleich über das ganze Gebäude wölbte. «Was ist das?», fragte sie, ohne genau zu wissen, an wen sie ihre Frage richtete.

Dusan schüttelte den Kopf. Aber ob als Antwort auf ihre Frage oder weil er mal wieder verbissen mit Suldryn diskutierte, vermochte sie nicht zu sagen. Alassar schwieg. War er ebenfalls überfragt?

Nelida hatte geglaubt, sie würden die Anlage lediglich passieren, doch die Ältesten steuerten geradewegs darauf zu. Als Kieran, der vorangegangen war, die Tür erreichte, schrie Ani’jul gellend auf.

Nelida zuckte zusammen. Im ersten Moment wollte sie zu Ani’jul rennen, um ihr zu helfen. Bevor sie sich jedoch in Bewegung setzen konnte, packte Dusan ihre Hand.

Er drückte sie fest und schaute Nelida eindringlich an. «Ich muss herausfinden, wie es meiner Schwester geht. Keine Sorge, wir lassen euch nicht im Stich.» Damit ließ er ihre Hand los und war schon im nächsten Augenblick in einer Gasse verschwunden wie ein Geist, während sie dastand und mal wieder nicht weiterwusste.

Alassar sprach ihren Namen aus, und das holte sie aus ihrer Erstarrung. Sie schüttelte den Kopf, um Dusans letzte Worte loszuwerden. Wir lassen euch nicht im Stich. Sie hatte nicht einen Moment geglaubt, dass er sie mit der Aufgabe, den Rat aufzuhalten, alleinlassen könnte. Doch gerade diese Worte weckten einen leisen Zweifel in ihr. War das möglich? Sie straffte schließlich die Schultern, verbot sich, weiter darüber nachzudenken und schob sich an der Ältesten Weena und Aziza vorbei, um zu Ani’jul zu gelangen.

Das Gesicht der jungen Frau war trotz ihrer dunklen Hautfarbe kreideweiß geworden. Ihre Augen starrten weit aufgerissen in die Ferne, und ihre außergewöhnliche Farbe, ein tiefes Blau, das nur Ani’juls Augen zu eigen war, war abgelöst worden durch ein bedrohlich wirkendes oranges Glühen. Ihr Schrei war verklungen, und sie stammelte unverständliche Worte.

Erst in diesem Augenblick nahm Nelida den um Ani’juls Schultern drapierten Drachen wahr, mit dem sie offenbar ein Bündnis eingegangen war – ein fuchsroter Drache, der fast durchscheinend wirkte und dessen Schuppenkleid kaum zu sehen war. Nelida schalt sich innerlich eine Idiotin. Sie hatte den Drachen tatsächlich für ein Tuch gehalten, das Ani’jul gegen die Kälte trug. Dabei befanden sie sich mitten in der Hitzezeit, und die Temperatur war schon am frühen Morgen unerträglich hoch. Wie konnte sie nur so blind sein, einen Drachen nicht zu bemerken? Noch dazu einen so ungewöhnlichen?

Seine Flügel waren lang und schmal, was auch für seinen Körper galt, sein Schwanz verlief in einem eleganten Schwung um Ani’juls Schultern, und seine Augen glommen in demselben unheimlichen Licht, in dem die Augen der jungen Frau glühten.

«Was hat sie?» Hilflos wandte sich Nelida an die Ältesten. Dieser Anfall überstieg alles, was sie schon erlebt hatte, und obwohl sie ihre Kräutertasche fest umklammert hielt, hätte sie nicht gewusst, wie sie der jungen Frau helfen sollte, deren Mund sich inzwischen nur noch stumm öffnete und schloss. Ihr Körper zuckte wild.

«Vermutlich hat es etwas mit ihrem Bündnis zu tun.» Ausgerechnet die Älteste Weena beantwortete Nelidas Frage.

Deren Blick zuckte zu Ani’juls Handgelenk, halb in der Erwartung, dort noch die roten Steine des verfluchten Armbands zu sehen. Aber die Linie hatte dieselbe orange Farbe wie das Leuchten in ihren Augen und denen ihres Drachen.

Nelida sah sich verzweifelt um. Dann warf sie ihre Tasche zu Boden und riss die Arme hoch. «Helft ihr doch! Könnt ihr denn nichts tun? Ihr seid die Ältesten!» Sie hätte Alassars Schnauben in ihrem Kopf nicht gebraucht, um zu wissen, dass das töricht war. Die Ältesten waren Lügner und Betrüger. Sie zerstörten das Gute. Sie heilten nicht. Und ein Blick in die Gesichter der Ratsmitglieder reichte, um das zu erkennen. Keiner von ihnen wusste, was er tun sollte.

Hilfesuchend sah sie sich nach Misha um. Der blickte zwar gequält drein, zuckte aber auch nur mit den Achseln. Sie stieß einen erstickten Fluch aus, als Ani’jul in die Knie sackte, und es gelang ihr gerade noch, die junge Frau aufzufangen. Dann zog sie ihren Beutel zu sich heran. Sollten die Ältesten doch untätig bleiben.

Sie griff in die Tasche. Wenigstens etwas zur Beruhigung konnte sie Ani’jul geben. Ihre Hand fand wie von selbst das Schafkraut, sie zog die Pflanze aus der Tasche und presste das moosartige Gewächs ganz leicht zwischen Daumen und Zeigefinger zusammen, um seine Konsistenz zu prüfen. Zufrieden beobachtete sie, wie der klare Saft des beruhigenden Krautes heraustrat. Dann hielt sie die Hand mit dem Kraut darin über Ani’juls Mund. Wenigstens musste sie ihn nicht aufzwingen, er war immer noch im stummen Schrei geöffnet, und die gespenstisch leuchtenden Augen Ani’juls zuckten hin und her.

Zwillinge lasst mich ihr helfen. Nelida presste das Schafkraut zusammen. Fünf Tropfen der klaren Flüssigkeit landeten direkt in Ani’juls Mund, und Nelida zählte stumm bis zehn. Endlich ließen Ani’juls krampfartige Bewegungen nach, und ihre Augen schlossen sich langsam. Der Drache, der auch jetzt auf Ani’juls Schulter hockte, starrte zu Nelida hoch. Sie starrte zurück, ohne zu wissen, was sie sagen und wie der Drache sie verstehen sollte. Musste sie versuchen, ihm zu erklären, dass sie Ani’jul nur helfen wollte?

Als der Drache plötzlich eine lange orangefarbene Zunge hervorschnellen ließ, stieß Nelida einen spitzen Schrei aus. Aber das Wesen hatte sie gar nicht verletzen wollen, und seine Zunge hatte lediglich für einen Moment ihre Hände berührt. Dann war sie wieder verschwunden, und der Drache und schloss die Augen.

Nelida sah zu den drei Ältesten hoch. «Sie schläft. Die Dosis ist aber nicht so stark, dass sie länger als bis zum Mittag schlafen würde. Sie braucht einen Ort, an dem sie ruhen kann.»

Die Ratsmitglieder beäugten sie entrüstet. Nelida starrte den Boden an und wurde rot. Was war nur in sie gefahren, dass sie den Ältesten Anweisungen gab?

«Nelida hat recht. Das Mädchen braucht Ruhe, bringen wir sie hinein.» Wieder war es Weena, die ihr zu Hilfe kam.

Kieran bedeutete Levio stumm, Nelida das Mädchen abzunehmen. Das tat dieser auch, allerdings mit deutlichem Widerwillen. Aber er widersetzte sich Kieran nicht und tadelte Nelida auch nicht dafür, dass sie so entschieden zu ihnen, den Ältesten, gesprochen hatte.

Als Nelida von Ani’juls Gewicht befreit war, konnte sie endlich aufstehen und ihre Lavra vom Straßenstaub befreien, zumindest ansatzweise. Denn nach der mehr als vier Kleinmonde dauernden Reise, die sie darin verbracht hatte, war das ein hoffnungsloses Unterfangen.

Kieran schenkte ihr ein falsches Lächeln. «Gut gemacht, Nelida. Wir haben mit dir eine gute Wahl getroffen. Du wirst eine großartige Drachengebundene sein.»

«Dieser Heuchler. Sei vorsichtig, Menschenkind. Sie sehen in dir schon jetzt eine Bedrohung.»

Sie schluckte. Alassar hatte mit Sicherheit recht. Ein bisschen zu spät versuchte sie, Kierans Lächeln zu erwidern. «Ich möchte nur helfen», stammelte sie und verfluchte das Zittern in ihrer Stimme.

Kieran klatschte in die Hände. «So, nun, wo dieser unerfreuliche Zwischenfall überstanden ist …» Er breitete mit großer Geste die Arme aus und wies auf das enorme Gebäude. «Tretet ein, tretet ein! Nur keine falsche Scheu. Dieses Anwesen haben wir extra für euch vorbereitet. Ihr sollt genug Zeit haben, euch von den überstandenen Strapazen zu erholen.» Er blickte in die Runde. «Später dann werden wir eure Hilfe wieder brauchen.» Er schaute sich wieder suchend um, während er Nelida und Misha an den Oberarmen packte und sie energisch über die Schwelle des Eingangsportals schob.

Doch dann hielt er Nelida im letzten Augenblick an der Schulter zurück. Sie starrte auf die Hand, die schwer auf ihrer Schulter lag, und konnte nur hoffen, dass ihr Ekel nicht auf ihrem Gesicht zu sehen war.

«Dieser Älteste sollte besser aufpassen, wohin er seine Hände legt. Soll ich sie abbeißen?»

Obwohl ihr fast das Herz stehengeblieben war, musste sie bei dieser grimmigen Anfrage von Alassars innerlich lächeln. Warme Dankbarkeit für ihren Bündnispartner durchflutete sie. Hoffentlich tat Alassar nichts Unüberlegtes, denn sie konnte ihm nicht antworten, ohne dass der Älteste das hörte. Also wartete sie stumm ab, bis er ihr mitteilte, was er von ihr wollte.

«Wo ist Dusan?», fragte er endlich und sah sie eindringlich an. Er ließ nicht los.

Abgelenkt von dem ganzen Tumult, hatte sie vollkommen vergessen, dass Dusan und Suldryn sich davongestohlen hatten. Ihre Augen weiteten sich, bevor sie das verhindern konnte. «Ich weiß es nicht.»

Der Druck von Kierans Hand verstärkte sich und wurde schmerzhaft. «Lüg mich nicht an, Mädchen. Glaub ja nicht, dass du nicht entbehrlich bist, nur weil du dich gebunden hast. Im Gegenteil, es macht dich zu einer größeren Gefahr – und daher zu einem Verlust, den ich tatsächlich verschmerzen könnte.»

«Vorsicht vor meinem Feuer.»

«Nein.» Ihr Nein war viel zu laut. Alassar würde ihre gesamten Pläne über den Haufen werfen, wenn er Kieran direkt attackierte. Zum Glück hatte er nicht laut, sondern nur in ihrem Kopf gesprochen.

Kieran hielt inne. «Nein? Was soll das heißen?»

Nelida versuchte, ihren Arm zu befreien, allerdings ohne Erfolg. «Nein, ich weiß nicht, wo Dusan ist. Und mein gebundener Drache würde es außerdem sehr begrüßen, wenn Ihr mich loslassen würdet.»

Es kam Nelida wie eine Ewigkeit vor, bis Kieran endlich den Blickkontakt abbrach und der schier unerträgliche Druck seiner Hand verschwand. Dann schob er sie so rüde vor sich her in das Gebäude, dass sie beinahe in Misha hineinstolperte, wandte sich um und gab seinem Bruder einen Wink.

3.

WIEDERSEHEN

Als Ani’jul zu schreien begann, konnte Dusan nicht anders, als diese Gelegenheit beim Schopf zu packen. Er verabschiedete sich nur kurz von Nelida und stahl sich davon. Den Ältesten stand der Schock angesichts von Ani’juls Anfall ins Gesicht geschrieben, und auch er selbst hätte sich um die junge Frau mehr Gedanken gemacht, wäre der Drang, seine Schwester zu sehen, nicht so übermächtig gewesen.

Suldryn hatte protestiert und wild gegen jeden einzelnen seiner Schritte angekämpft, denn es gefiel ihm überhaupt nicht, Nelida alleinzulassen. Erst nachdem Dusan mehrfach erklärt hatte, dass sie doch gar nicht allein war, beruhigte sich der Nachtschatten wieder. Dusan konnte den Drachen verstehen. Er hätte Nelida auch lieber mitgenommen, als sie bei Kieran zurückzulassen. Aber dann wäre er mit Sicherheit nicht weit gekommen. Außerdem konnte Nelida Ani’jul vermutlich am besten helfen.

Ob etwas nicht stimmte bei Ani’juls Bündnis? Er schob den Gedanken mit einem Schnauben beiseite. Darüber konnte sich jemand anders Gedanken machen, er hatte seine eigenen Sorgen.

«Suldryn weiß, dass Dusan sich dennoch Sorgen macht.»

Der junge Mann knurrte: «Ich bin kein Unmensch.» Das klang schroffer als beabsichtigt. Alarmiert blickte er schnell über die Schulter. Aber niemand folgte ihm. Weder einer der Ältesten noch ein Wächter tauchte hinter ihm in der Gasse auf. Sein Herz trommelte im Rhythmus seiner schnellen Schritte gegen seine Brust, und er drückte mit der Hand dagegen, wie um es zu verlangsamen.

Erst als er die nächsten zwei Gassen entlanggegangen und wieder in der Nähe des Hauptplatzes war, stellte er Suldryn doch noch eine Frage: «Was war das überhaupt für ein Drache da auf ihren Schultern?»

«Suldryn weiß es nicht.»

«Können wir diesen Augenblick bitte festhalten? Der große Suldryn gibt zu, dass er etwas nicht weiß!» Dusan lachte, als der von ihm erwartete mentale Stoß kam. «Kämpfen mit unfairen Mitteln, so tief bist du also schon gesunken, Suldryn. Tz, tz, tz.»

«Pah, Dusan hat auch noch nie fair gekämpft.»

Da war was dran. Er grinste und rannte den Rest des Weges zu seinem und Javennas gemeinsamem Haus.

Als es vor ihm auftauchte, hielt er inne, um den vertrauten Anblick in sich aufzunehmen. Wäsche hing an einer Leine, die quer über den Garten gespannt war, die Eingangstür stand halb offen, und Dusan konnte Javenna mit irgendetwas im Haus hantieren hören. Es ging ihr gut. Die überwältigende Erleichterung kämpfte gegen die aufkommende Unsicherheit, was Javenna wohl zu seinem Bündnis mit Suldryn sagen würde.

Sie hatte ihren Vater nie kennengelernt, und Dusan musste sich darauf einstellen, dass sie heftig reagierte, denn ihre Gefühle den Nachtschatten gegenüber gingen vor allem auf ihn, Dusan, zurück. Er hatte nie ein gutes Wort über diese Drachen verloren. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und versuchte den Mut zu finden, sich seiner Schwester zu stellen.

«Worauf wartet Dusan? Warum steht er herum und hat Angst?»

«Ich habe keine Angst.» Er schob demonstrativ das Kinn vor und ging los. Kurz bevor er das Haus erreichte, wandte er sich widerstrebend noch einmal an den Drachen. «Kannst du versuchen, dich diesmal einigermaßen normal zu verhalten?»

Suldryn flammende Empörung, die auf diese Worte folgte, entlockte ihm ein angespanntes Auflachen.

Er ballte die Fäuste und löste sie wieder. «Ich meine das nicht böse. Aber es geht um meine Schwester und …» Er wusste nicht, wie er den Satz beenden sollte, ohne Suldryn doch noch zu verletzen. Er war sich sicher, dass die Botschaft dennoch bei dem Nachtschatten ankam. Die Scham, die er bei dem Gedanken daran empfand, Javenna sein Bündnis zu offenbaren, konkurrierte sich mit seinem schlechten Gewissen. Und der starke Drang, sich bei Suldryn zu entschuldigen, kämpfte gegen den Wunsch, das Bündnis einfach vor seiner Schwester verheimlichen zu können. Energisch schob er diese Gefühle schließlich beiseite. Er war dem Nachtschatten keine Rechenschaft schuldig. Er hatte dieses Bündnis nie gewollt.

Entschlossen richtete er sich auf, atmete tief durch und zwang sich zu einem – wie er hoffte – sorglosen Lächeln. Sanft klopfte er an die halb geöffnete Tür und trat dann in die von Sonnenlicht durchflutete Küche.

Javenna drehte sich um – sie hatte gerade den Tisch abgewischt –, machte zwei schnelle Schritte und warf ihm mit einem Schrei die Arme um den Hals. Das Tuch flog auf den Boden. «Du bist hier! Du lebst! Ich wusste es, du lebst!»

Sie war schon wieder gewachsen. Er grinste und drückte seine Nase in ihr Haar. Javennas vertrauter Duft beruhigte sein klopfendes Herz, und das Chaos in seinem Geist lichtete sich. Er hatte keinen Grund, sich vor diesem Gespräch zu fürchten. Sie würde ihn niemals im Stich lassen – schon gar nicht wegen eines Bündnisses, das ihm aufgezwungen worden war.

Er schob sie eine Armeslänge von sich weg und musterte ihr Gesicht. Ihre Wangen waren rosig, und ihre Augen strahlten. Sie musste gerade gebacken haben, denn auf ihrem Zopf, aus dem sich ein paar Strähnen gelöst hatten, entdeckte er Tupfen von weißem Mehl. Auch ihre Stirn und ihre braune Schürze waren von Mehl bestäubt. Ein sanftes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, während er seiner Schwester übers Haar strich, um es ein wenig zu glätten. «Sag mal, hast du gerade ein Mehlbad genommen oder hast du wirklich etwas gebacken?»

Die Entrüstung auf ihrem Gesicht brachte ihn zum Lachen. Echtem, glücklichem Lachen, keinem sarkastischen Schnauben, wie es ihn oft überkam, wenn er mit Suldryn diskutierte. Er war dem Drachen dankbar, dass er sich seine Worte zu Herzen genommen hatte und ihm dieses Wiedersehen nicht verdarb.

Dann wurde er ernst. «Wie geht es dir, Ven? Bist du in Ordnung?» Noch einmal ließ er den Blick über das Gesicht seiner kleinen Schwester gleiten. Sie sah gesund aus. Kleine Schweißtropfen glänzten an ihrem Haaransatz, obwohl es nicht wirklich heiß war in der Küche. Aber das konnte auch daher kommen, dass sie lange am Ofen und am offenen Feuer gestanden hatte.

Sie nickte und lächelte. «Ich habe neue Rezepte ausprobiert. Und im Ofen ist ein Mondbrot.» Plötzlich warf sie sich ihm noch einmal an die Brust. «Ach, ich bin so froh, dass du wieder da bist.»

«Hast du dir Sorgen gemacht?»

Als sie nickte, seufzte er. «Ich hab mir auch Sorgen gemacht Ven. Vor allem um dich.»

«Mir ging es gut. Der Älteste Kieran hat mir regelmäßig Mehl und Fleisch gebracht. Aber die Leute haben getuschelt.»

Sie blickte zu ihm hoch, und das Feuer in ihren Augen ließ seine Brust vor Stolz schwellen. Die Zeit, in der sie getrennt gewesen waren, hatte Javenna überhaupt nichts anhaben können.

«Sie behaupteten, es wäre ein Wunder, wenn überhaupt jemand zurückkäme. Und als der erste Hitzesturm kam, waren sie restlos davon überzeugt, dass ihr alle verbrüht worden wärt. Alles zwillingsverdammte Melatten.»

Er hob eine Augenbraue. «Wer hat dir denn das Fluchen beigebracht?»

Sie wurde rot und blickte zur Seite, was ihn sofort stutzig machte. Javenna hatte nie geflucht, obwohl man das von ihm selbst nun wirklich nicht behaupten konnte. Warum sie wohl damit angefangen hatte? Er ließ den Gedanken fallen. Das Ziel dieses Besuchs war nicht, seine Schwester zu belehren.

Er nahm sie an die Hand und führte sie zum Küchentisch hinüber. Als sie beide auf ihren Stühlen saßen, streckte er die Arme über den Tisch hinweg aus, ergriff die Hände seiner Schwester erneut und sah sie ernst an. Aber alle Worte, die er hatte sagen wollen, waren wie ausgelöscht. Seine Strategie, wie er ihr sein Bündnis erklären wollte: inexistent. Er zog seine Hände zurück und fuhr sich übers Gesicht.

«Was ist das?» Javenna griff nach seinem Handgelenk und führte es ganz nah vor ihr Gesicht. Sie drehte und wendete es und betrachtete die einzelne schwarze Linie auf seiner Haut. Dann sah sie ihn an, ihre Zunge konzentriert zwischen die Zähne geklemmt. «Es sieht aus, als ob es mit Kohle aufgemalt wäre.» Sie stricht mit einem Finger mehrere Male darüber. «Was ist das, Dusan?»

«Das ist das Zeichen, an dem man erkennt, dass ich …», er schluckte, «… drachengebunden bin.» Das Wort war wie ein Fluchwort über seine Lippen gekommen. Javenna blickte ihn besorgt an.

«Du bist drachengebunden?» Sie klang zaghaft, fast so, als wünschte sie sich, seine Antwort wäre Nein. Dabei blickte sie über seine Schulter, als würde sie etwas suchen.

Er nickte und ließ den Kopf hängen. «Bist du mir böse?»

«Machst du Witze? Ich habe jeden Abend zu den Zwillingen gebetet, dass sie dich mir zurückgeben. Es ist mir vollkommen egal, dass du gebunden bist.»

Sie stand auf und wollte ihn umarmen, aber er hielt sie zurück. «Das ist noch nicht alles.» Jetzt oder nie. Er hatte alles überlebt, was Suldryn ihm entgegengeworfen hatte, er würde auch dieses Gespräch überstehen. Wenn Javenna ihn danach hasste, würde er ihr nicht böse sein. Aber er wollte alles tun, um sich ihren Respekt zurückzuverdienen. «Bei dem Bündnis ist etwas schiefgegangen. Der Drache und ich», er knetete seine Hände, «wir sind miteinander verschmolzen … irgendwie.»

Er hob die Hand, als sie etwas sagen wollte. Er musste alles loswerden. «Es ist ein Nachtschatten.» Er schluckte und blickte an Javenna vorbei zur offenen Kochstelle, in der das Feuer sanft vor sich hin glomm. Jetzt war es raus.

Sie griff wieder nach seinen Händen. «Ich habe einen Bruder, der halb Drache ist?», raunte sie, und ihre Augen glitzerten schelmisch.

Er stöhnte und vergrub seinen Kopf in den Händen. «Kannst du das bitte ernstnehmen?»

«Okay, erklär es mir.»

Sein Kopf schoss hoch. «Erklären?»

Sie nickte. «Erzähle es mir. Die ganze Geschichte.»

Als er geendet hatte, schüttelte Javenna ungläubig den Kopf. Sie sah aufgeregt aus. Fast schon begierig darauf, Suldryn selbst kennenzulernen. Der Drache war allerdings ungewohnt still. Er hatte keinen Ton von sich gegeben, seit Dusan die Küche betreten hatte. Das war völlig untypisch für ihn. Ob alles in Ordnung war? Hatte Dusan ihn mit seiner Scham stärker verletzt als gedacht?

Javenna allerdings war bester Laune. «Zeigst du’s mir?» Sie sprang von ihrem Stuhl auf und hüpfte vor ihm auf und ab. «Ich möchte deinen Drachen von nahem sehen!»

In Momenten wie diesem wurde Dusan deutlich vor Augen geführt, dass seine Schwester erst zwölf Jahre alt war. Trotz allem, was sie schon durchgemacht hatte, war sie noch so unschuldig. Noch immer ein Kind. Er nickte und trat durch die Haustür hinaus in den Garten. Wie konnte er ihr auch etwas verwehren, bei dem ihr schon der bloße Gedanke daran so viel Freude bereitete? «Suldryn?»

Der Drache reagierte nicht.

Dusan erschauerte. «Alter Drache, willst du fliegen?»

Nichts.

Er tauschte einen Blick mit Javenna.

Sie kniff die Augen zusammen. «Vielleicht schläft er?»

Das konnte durchaus sein. Wie gut, dass sie einen so wachen Verstand hatte. Denn er hatte Javenna bereits erklärt, dass die Regeln im Schlaf etwas anders waren. Wenn er schlief, Suldryn aber wach war, hatte der Drache automatisch die Kontrolle über seinen Körper. So wie in der Nacht in den Hohen Wäldern, als der Nachtschatten Nelida fast zu Tode erschreckt hatte. Falls der Drache also jetzt schlief, wäre es für Dusan unmöglich, ihm die Kontrolle zu überlassen.

Aber er hätte ihn doch wahrnehmen müssen. Wieso konnte er Suldryn nicht spüren?

Er verdoppelte seine Anstrengungen, zu dem Drachen durchzudringen. Suldryn war es schon mal beinahe gelungen, sich vor Dusan zu verstecken, indem er eine mentale Mauer um sich herum aufbaute. Aber jetzt war da keine Mauer. Jedenfalls keine, die er hätte erspüren können.

«Verfluchter Drache.» Hatte er sich sein Bündnis etwa nur eingebildet? Die Reise in die Wüste, den Kampf? Nelida? Konnte das sein? Ein Blick auf die schwarze Linie auf seinem Handgelenk ließ seine Zweifel verfliegen. Er hatte sich die Erlebnisse der letzten Kleinmonde nicht eingebildet. Aber was konnte das bedeuten? «Wenn du beleidigt sein willst, bitte. Aber kannst du dir dafür vielleicht einen anderen Tag aussuchen?»

«Dusan.» Javenna meldete sich zaghaft zu Wort.

«Jetzt nicht.»

«Aber …»

«Ich sagte: Jetzt nicht, Javenna!» Er zuckte zusammen, als er die Angst in ihrem Gesicht bemerkte. Er hatte die Worte nicht so scharf aussprechen wollen. Mit drei Schritten war er bei ihr und nahm sie in die Arme. «Entschuldige Javenna. Das ist nur nie vorher geschehen. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.»

Auf einmal erklang eine höhnische Stimme hinter ihm: «Wiedersehensfreude. Wie süß!» Kieran und Levio traten rechts und links neben Dusan, der Blickkontakt zu Javenna suchte.

Er war ja so bescheuert. Ein Idiot. Drachenverfluchte Scheiße. Javenna hatte ihn vor den beiden Ältesten warnen wollen. Die standen nun neben ihm, während sich mehrere Wächter vor der Tür ihres Häuschens drängten. Wenigstens war keine Spur von ihren Dunkelschuppen zu sehen.

«Ich muss sagen, Dusan, die Ablenkung mit der armen Ani’jul war gut von dir geplant. Diesen Trick musst du mir beizeiten verraten. Aber ich hätte mehr von dir erwartet. Einfach jemanden zu opfern, ist doch eigentlich unter deiner Würde, nicht wahr?» Kieran grinste verschlagen, und Levios Grinsen wirkte wie ein gespenstisches Echo.

Dusan knirschte mit den Zähnen. Er hatte nichts mit Ani’juls Anfall zu tun. Oder etwa doch? Und wo war Suldryn? Hatte er einen Weg gefunden, sie beide wieder zu trennen, ohne ihm etwas zu sagen? War er dazu fähig? Schützend stellte Dusan sich vor Javenna, schob die verräterischen Gedanken beiseite und funkelte Kieran an. Er ließ zu, dass die Wut, die ihn überkam, heiß durch ihn hindurchströmte und hielt sich daran fest. «Was willst du?»

Kieran lachte laut auf. «Was ich will? Mein lieber Junge, dass du danach überhaupt fragen musste. Ich bin wirklich enttäuscht.» Er presste in falschem Entsetzen eine Hand gegen sein Herz und schaute Dusan an, als wäre er die größte Enttäuschung, die er jemals hatte erleben müssen.

Dusan schnaubte und versuchte, die beiden Ältesten gleichzeitig im Auge zu behalten. «Du hast kein Recht, enttäuscht zu sein», fauchte er und drehte sich so, dass er Javenna noch immer so gut wie möglich abschirmte. Wo bist du, Suldryn, wenn ich dich brauche? Deine Hilfe wäre jetzt wirklich wichtig. Er konnte spüren, dass Javenna näher an ihn herangetreten war. Hab keine Angst, beschwor er sie in Gedanken, obwohl ihn die Wächter sehr beunruhigten, die sie inzwischen eingekreist hatten.

Kieran trat so nah an Dusan heran, dass der den Atem des Ältesten auf seinem Gesicht spüren konnte. Er starrte ihn an.

Dusan ließ zu, dass sich seine Mundwinkel ein ganz klein wenig hoben. Er wusste, was der Älteste versuchte. Nur war es nahezu unmöglich, einschüchternd zu jemandem hinauf zu blicken. Und Dusan war nun mal ein wenig größer als Kieran.

«Ich habe jedes Recht», knurrte Kieran leise, aber gebieterisch. «Ich habe euch beide schließlich von der Straße geholt. Wo wärst du ohne mich? Hm?» Er stieß Dusan den Zeigefinger in die Brust.

Dieser blickte betont lässig auf Kierans Hand, ohne ins Wanken zu geraten. «Du hast dein Recht verwirkt, als du Javenna als Druckmittel eingesetzt hast.»

Seine Schwester holte hinter ihm zittrig Luft. Ohne Zweifel wurde sie an diesem Abend weit stärker in Schrecken versetzt, als es ihm lieb war.

Der Älteste lachte wieder. Allein sein Lachen klang überlegen und kalt. Was hatte Kieran in der Hinterhand? Dusan hatte das beunruhigende Gefühl, dass gleich etwas Schreckliches geschehen würde. Jetzt wäre ein wirklich guter Zeitpunkt, um zu fliegen, Suldryn. Lass mich jetzt nicht hängen. Drache? He!

Kieran wedelte herrisch mit der Hand. «Gut. Genug der Spielchen. Ich habe dich nicht auf diese Reise geschickt, damit du uns auf der Nase herumtanzen kannst. Wenn du uns nicht helfen willst …» Er ließ den Satz unbeendet.

Erst als Dusan den erstickten Schrei Javennas hinter sich hörte, erkannte er seinen Fehler. Er wollte herumwirbeln, wurde aber von Levio geblockt, und Kieran packte blitzschnell sein Handgelenk. Sein Griff war eisern.

Mit der anderen Hand packte Kieran Dusan am Kragen, zerrte den Kopf des Jungen zu sich herunter und starrte ihm in die Augen. «Du hast meine Geduld lange genug strapaziert. Wenn du willst, dass deiner allerliebsten Schwester nichts geschieht, tust du gut daran, nicht mehr aus der Reihe zu tanzen.»

«Wehe, du rührst sie an!» Mit einem Knurren riss Dusan sich los. Er wollte verdammt sein, wenn er Javenna im Stich ließ. Schon einmal war er nicht da gewesen, um auf sie aufzupassen. Ein zweites Mal würde er diesen Fehler nicht begehen. Nur leider hatte er die Rechnung auch diesmal ohne Levio gemacht.

Der Älteste packte seine Arme und drehte sie ihm so auf den Rücken, dass er sich nicht mehr befreien konnte. «Fordere uns nicht heraus, Bürschchen. Du hast mit deinem mickrigen Bündnis keine Chance gegen eine Macht wie die unsrige!»

Die zwei Wächter, die sich Javennas bemächtigt hatten, waren schon am Gartentor. Sie hielten sie zwischen sich fest, trugen sie beinahe, wobei einer ihr den Mund zuhielt. Dann wandten sie sich in Richtung Stadtmauer. Nein! Er durfte sie nicht schon wieder verlieren! Er hätte schreien können vor Wut und Verzweiflung und stemmte sich trotz der Schmerzen, die ihm bis hinauf in die Schultern schossen, gegen die Umklammerung des Ältesten.

«Was hat Dusan gemacht?»

Oh, wie das passte.

Jetzt entschließt du dich also, zu antworten. Ernsthaft?!

«Was war das für ein Ort? Was hat er gemacht? Wo war Suldryn?»

Ich habe keine drachenverdammte Ahnung, wovon du redest. Aber was hältst du davon, wenn du jetzt endlich tust, worum ich dich schon eine ganze Weile gebeten habe und ihnen endlich hinterherfliegst? Ich darf Javenna nicht noch einmal verlieren.

«In Ordnung, Mensch. Aber er schuldet Suldryn eine Erklärung.»

Die Welle der Abneigung, die ihn vonseiten des Drachen einhüllte, war stark wie noch nie. Was hatte er für ein Problem? Er war es schließlich gewesen, der einfach nicht mehr geantwortet hatte.

Die Verwandlung war noch nie so schnell vonstattengegangen. Und es gelang weder Kieran noch Levio, ihn aufzuhalten. Er war diesmal beinahe erleichtert, als er mit den Augen Suldryns auf die Welt schauen konnte. Kierans Protestgebrüll ignorierend erhob sich Suldryn in die Luft und flog Javenna und den beiden Wächtern hinterher. Sie würden schon sehen, was sie davon hatten, ihn von seiner Schwester trennen zu wollen. Aber kurz bevor sie die kleine Gruppe erreichten, stürzte er zu Boden. Der Aufprall kam so schnell und unerwartet, dass er ihm alle Luft aus der Lunge trieb. Er keuchte und versuchte krampfhaft, wieder Luft zu holen. «Was um alles in ganz Androma soll das? Bist du jetzt vollkommen verrückt geworden?»

Keine Antwort.

«Drache? He!»

Er horchte in sich hinein. Nichts. Wie vorhin, als er Javenna und Suldryn hatte miteinander bekanntmachen wollen. Keine Regung, kein Gedanke, kein einziger Gefühlsfetzen erreichte ihn. Es war, als würde der Drache gar nicht existieren.

«Verfluchte, drachenbeschissene Scheiße!» Er schlug mit der Faust auf den Boden und ließ eine neue Reihe von Flüchen los. Dann presste er sich die schmerzende Hand an die Brust.

«Dusan!»

Der verzweifelte Schrei Javennas brachte ihn im Rekordtempo auf die Beine. Ein Blick in ihre Richtung genügte jedoch, und er wusste, dass er verloren hatte.

Von irgendwoher waren zwei Dunkelschuppen aufgetaucht. Auf einem davon saß nun Levio, und sein Drache fixierte Javenna. Sein riesiger Schädel war ihrem Gesicht viel zu nah, und Dusan packte schreckliche Angst. Wollte das Vieh etwa im nächsten Augenblick Feuer speien?

«Willst du immer noch spielen, Junge?»

Kieran schritt gemächlich auf ihn zu, ein leichtes Schmunzeln auf den Lippen. «Lass es sein. Du spielst mit dem Feuer. Im wahrsten Sinne des Wortes, wie du mittlerweile bemerkt haben wirst.»

Dusan starrte ihn nur an. Zum ersten Mal in seinem Leben war sein Hass auf Kieran stärker als der auf die Drachen. «Wenn du ihr auch nur ein einziges Haar krümmst, werde ich den Rest meines Lebens damit verbringen, dir deines zur Hölle zu machen.»

«Leere Drohungen.» Kieran warf einen beiläufigen Blick auf Javenna, Levio und den Drachen. Er hob einen Arm. «Aber weißt du, was keine leere Drohung ist? Wenn ich meine Hand nicht innerhalb der nächsten Atemzüge senke, wird deine Schwester geröstet.»

«Nein!»

Kieran schüttelte den Kopf und grinste nur weiter vor sich hin.

«Nein! Nicht!» Dusan hustete. «Bitte. Ich tu alles, was du willst. Nur lass Javenna aus dem Spiel.»

«Alles?» Ein lauernder Ausdruck trat auf das Gesicht des Ältesten.

Dusan schluckte und nickte. «Nur nimm deine drachenbeschissene Hand endlich herunter.»

Kieran senkte die Hand, und Dusan konzentrierte sich auf Javenna. Er traute Kieran nicht, und schon gar nicht, was das Leben seiner Schwester betraf. Als nichts geschah, atmete er auf. «Jetzt lass sie gehen.» Er versuchte, so fordernd wie möglich zu klingen. Der Älteste sollte nicht wissen, wie vollkommen wehrlos er war, wenn man seine Schwester bedrohte. Aber vielleicht war es dafür auch schon zu spät. Denn Kieran betrachtete ihn, als wäre er ein äußerst seltenes Drachenei.

Dann klopfte der Älteste ihm auf die Schulter und ließ seine Hand nach dem zweiten Schlag schwer darauf liegen, drückte zu. «Lass mich etwas ein für alle Mal klarstellen: Du bist nicht in der Position, um Forderungen zu stellen, Junge. Javenna bleibt bei uns, und du wirst wie ein braves Hündchen ganz genau das tun, was ich von dir verlange. Sonst …» Er fuhr sich mit dem ausgestreckten Zeigefinger über die Kehle und blickte dann bedeutungsvoll zu dem Dunkelschuppen hinüber.

Dusan konnte nur wie betäubt zusehen, als Javenna von ihm weggeschleift wurde. Sie schrie nicht noch einmal, obwohl ihr niemand mehr den Mund zuhielt. Er schloss kurz die Augen. Niemand würde seiner Schwester etwas antun. Er wäre verdammt, würde er das zulassen. Und wenn Kierans Schoßhündchen zu spielen die einzige Möglichkeit war, dann war es eben so.

«Was war das? Suldryn war schon wieder weg.»

Ach wirklich?! Ist mir gar nicht aufgefallen. Er wusste, der Drache konnte seinen Zynismus spüren. Aber er begriff auf einmal auch, wie hilflos der Drache war und wie groß die Verwirrung, die von allen Seiten auf ihn einzustürmen schien und sich mit seiner eigenen Verzweiflung vermengte. Suldryn wegzustoßen war falsch. Das war ihm tief im Inneren bewusst. Gerade jetzt, wo sie angefangen hatten, Fortschritte zu machen. Aber seine eigenen Gefühle brauchten ein Ventil, und solange er nicht auf Kieran oder seinen Bruder losgehen konnte, musste der Nachtschatten wohl oder übel daran glauben.

Passiv ließ er sich von Kieran zurück zu dem großen Gebäude führen, in dem sie sich alle «ausruhen» sollten. Diesmal brauchte es keine Magie, um ihn zum Gehen zu bewegen. Er war bei vollem Bewusstsein und konnte so die Kuppel, die sich wie ein blauer Schimmer über das Anwesen gelegt hatte, ganz genau sehen. «Was ist das?», fragte er. Nicht, dass er unbedingt eine Antwort erwartet hätte, aber er hatte ja nichts mehr zu verlieren.

«Eine kleine Vorsichtsmaßnahme, die verhindern soll, dass ihr euch danebenbenehmt.»

«Also ist es ein Gefängnis?»

«Gefängnis! Ich bitte dich, was für ein schreckliches Wort. Das ist euer neues Zuhause, mein Lieber, und es wäre gut, wenn ihr euch möglichst schnell daran gewöhnt.»

4.

GEFANGEN

Nelida starrte verblüfft auf die Tür, durch welche die Ältesten das Gebäude gerade wieder verließen. Sie hatten Ani’jul hastig auf ein schmales Bett in einem angrenzenden Raum gelegt und waren dann verschwunden. Das beklemmende Gefühl, dass von ihr Besitz ergriffen hatte, wurde immer stärker. Warum hatte sich niemand besser um Ani’jul gekümmert?

Sie und Misha standen in einem neuneckigen Raum mit Holzboden, in dessen Mitte ein runder Tisch stand. An einer Wand befand sich ein Kamin, in dem aber kein Feuer brannte, in den anderen jeweils Türen, die vermutlich in ähnlich karge Kammern führten wie jene, in der die Ältesten Ani’jul abgelegt hatten.

Darin stand außer dem Bett nur ein Stuhl, und es gab eine kleine Tür, die zu einem Abort führte, sowie ein winziges Fenster, bei dem Nelida stark bezweifelte, dass es sich öffnen ließ. Sie runzelte die Stirn. War das tatsächlich dasselbe Gebäude, das sie vorhin noch bestaunt hatte? Sie war sich sicher, dass dieser Palast nicht nur wunderschön, sondern auch mit zahlreichen großen Fenstern ausgestattet gewesen war.

Sie drehte sich zu Misha um, um ihm von ihrer Beobachtung zu erzählen, aber ihr Cousin starrte brütend vor sich hin und schien kaum ansprechbar. Misha hatte auf dem Weg hierher vollkommen unter dem Bann der Ältesten gestanden. Das wusste Nelida. Oder zumindest nahm sie es an, weil es ihr selbst nicht anders ergangen war, bis Alassar sie geweckt hatte. Jetzt stand ihr Cousin vor dem kalten Kamin und wirkte völlig verloren. Seine Drachen umschwirrten ihn noch immer in wilden Kurven, so als hätten sie Angst um ihn.

Sanft legte Nelida Misha die Hand auf die Schulter, darauf bedacht, den scharfen Krallen der vielen kleinen Drachen nicht in die Quere zu kommen.

«Was war das?» Seine Stimme klang wie eingerostet.

Sie wusste, was er meinte. Konnte die Verstörtheit in seinem Blick mit jeder Faser ihres Seins nachvollziehen. Wäre sie nicht von Alassar aufgeklärt worden, wäre es ihr ebenso ergangen. Sie seufzte. «Offenbar können Dunkelschuppen Gefühle kontrollieren. Die Ältesten haben diese Macht genutzt, um uns zur Kooperation zu zwingen. Sie sind böse, Misha.»

Er schaute sie an und umfasste dabei seinen Stumpf, als wollte er ihn verstecken. Die Grünlinge flogen derweil im Raum umher, wie um ihn auszukundschaften.

Was ist nur mit ihm geschehen?

«Ich bin ja deiner Meinung, dass diese ganze Armband-Sache ziemlich gemein war, aber sie gleich als böse zu bezeichnen …» Er schüttelte den Kopf. «Ich weiß nicht, Nelida.»

Sie verschränkte die Arme. «Ich weiß, was ich gesehen habe. Sie führen Übles im Schilde.»

«Bist du sicher, dass es dir gut geht?»

«Natürlich!» Ertappt zwirbelte sie eine Haarsträhne zwischen ihren Fingern. War sie wirklich sicher? Eigentlich nicht. Wie konnte es ihr gut gehen, wenn sie sich um alle ihre Liebsten sorgte? Hoffentlich ging es Dusan gut. Und ihren Eltern. Als ihr bewusst wurde, dass sie vor ihren Eltern an Dusan gedacht hatte, spürte sie ihre Wangen heiß werden. Gut, dass Alassar keine Gedanken lesen konnte.

«Na, dann bin ich ja froh.» Er wollte ihr durch die Haare wuscheln, wie er das früher oft getan hatte, aber Nelida wich zurück. «Ich an deiner Stelle würde jedenfalls versuchen, mich ein bisschen zu erholen.»

Er ließ sie stehen und verschwand hinter der Tür neben Ani’juls Kammer. Seine Grünlinge zog er wie einen Schweif hinter sich her. Erst als jeder einzelne Drache durch die Tür geschwirrt war, fiel sie mit einem Rumms ins Schloss.

Nelida strich sich mit den Händen über die Oberarme. Trotz der eigentlich angenehmen Temperatur im Raum fröstelte sie plötzlich. Aber sie zwang sich, Misha erst einmal in Ruhe zu lassen. Er würde schon zu ihr kommen, wenn er bereit war, ihr zuzuhören. Das war immer schon so gewesen.

Trotzdem tat ihr das Herz weh, und sie konnte die Enttäuschung über dieses Wiedersehen mit Misha nach der gefährlichen Reise nur schwer beiseiteschieben. Der Gedanke, dass Ani’jul sie brauchte, half. «Alassar?»

Der Drache brummte, was ein Summen durch Nelidas Körper schickte, denn er saß nach wie vor an ihren Hals gekuschelt auf ihrer Schulter und hatte die Augen geschlossen.

«Glaubst du, wir können das wirklich schaffen?» Sie biss sich auf die Lippen. Eigentlich hatte sie etwas anderes fragen wollen, aber dass Misha ihre Worte so gar nicht ernst nahm, hatte sie wohl doch stärker getroffen, als sie gedacht hatte.

Sie fühlte, wie Alassars Fliegengewicht von ihrer Schulter wich. Er schwebte für einen Moment vor ihrem Gesicht in der Luft, scheinbar konzentriert. Dann stieß er eine kleine frustrierte Rauchwolke aus, was Nelida niedlich gefunden hätte, wäre die Lage nicht so ernst gewesen – und der Drache vor ihr kein Titanendrache mit Hörnern.

«Lass dich nicht verunsichern. Wir müssen das einfach schaffen», sagte er laut. Nelida sackte beim Klang seiner Stimme in sich zusammen. Alassar hörte sich fast tadelnd an.

«Aber was, wenn nicht?»

«Das ist sicher nicht das letzte Mal, dass du zweifeln wirst, Nelida. Aber wir haben eine Verpflichtung. Unser Wissen und unsere Fähigkeiten zu haben und dennoch nichts zu tun – das wäre verheerend.»

Sie nickte. «Okay», erklärte sie leise. Aber wenn Misha sich offen gegen sie stellte? Sie wusste nicht, wie sie diesen Kampf dann durchstehen sollte.

Alassar schien ihren inneren Kampf zu sehen, denn er stieß Rauch aus den Nüstern, was er nur tat, wenn er unzufrieden war. Gleich würde er zu einer neuen Predigt ansetzen. Sie konnte es ihm ansehen. Nein, vielen Dank. Das konnte sie im Moment wirklich nicht gebrauchen. Schon gar nicht, wenn seine Worte so aufwühlend sein würden wie damals, als er ihr auf dem Schlangenhügel ins Gewissen geredet hatte.