Glaubensgeschichten sind Weggeschichten - Helmut Schlegel - E-Book

Glaubensgeschichten sind Weggeschichten E-Book

Helmut Schlegel

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Beschreibung

Wege werden in allen Religionen als Metaphern für den Zugang zum Göttlichen betrachtet. Ein besonders erhellendes Beispiel dafür ist die Emmauserzählung des Lukasevangeliums. In wenigen Zügen entwirft der Evangelist in ihr ein Modell christlicher Existenz, das bis heute aktuell und gültig ist. Es bietet Orientierung auf dem persönlichen Glaubensweg wie auch eine Option für das geistliche Leben in Gemeinschaft und Gemeinde. Helmut Schlegel stellt in seinem Buch die unübersehbaren Parallelen zwischen der Emmauserzählung und dem franziskanischen Lebensentwurf heraus. Wenn Franziskus die Welt zu seinem Kloster erklärte und sich am liebsten auf den Wegen und Straßen aufhielt, dann deswegen, weil er sich so Jesus von Nazaret am nächsten fühlte. Und weil er ein Zeichen setzen wollte für eine prophetische Kirche, der die Bewegung wichtiger ist als die Standpunkte.

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HELMUT SCHLEGEL

Glaubensgeschichten sind Weggeschichten

Die Emmauserzählung als Modell christlicher Existenz

Franziskanische Akzente

Für ein gottverbundenes und engagiertes Leben Herausgegeben von Mirjam Schambeck sf und Helmut Schlegel ofm

Band 11

Die Suche der Menschen nach Sinn und Glück ernst nehmen und Impulse geben für ein geistliches, schöpfungsfreundliches und sozial engagiertes Leben – das ist das Anliegen der Reihe „Franziskanische Akzente“.

In ihr zeigen Autorinnen und Autoren, wie Leben heute gelingen kann. Auf der Basis des Evangeliums und mit Blick auf die Fragen der Gegenwart legen sie Wert auf die typisch franziskanischen Akzente:

Achtung der Menschenwürde,

Bewahrung der Schöpfung,

Reform der Kirche und

gerechte Strukturen in der Gesellschaft.

In lebensnaher und zeitgerechter Sprache geben sie auf Fragen von heute ehrliche Antworten und sprechen darin Gläubige wie Andersdenkende, Skeptiker wie Fragende an.

HELMUT SCHLEGEL

Glaubensgeschichten sind Weggeschichten

Die Emmauserzählungals Modell christlicher Existenz

echter

Herzlicher Dank geht an Simone Müller und Adrian Schmider für die Zuarbeit bei den Korrekturen sowie an die Ordensgemeinschaft der Franziskanerinnen von Reute für die finanzielle Unterstützung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

1. Auflage 2016

© 2016 Echter Verlag GmbH, Würzburg www.echter.de

Umschlag: www.wunderlichundweigand.de

(Foto: © Smileus / iStock.com)

Satz: Hain-Team (www.hain-team.de)

ISBN

978-3-429-03986-8

978-3-429-04881-5 (PDF)

978-3-429-06301-6 (ePub)

eBook-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheimwww.brocom.de

Inhalt

1. Bewegt und beweglich – eine Art Vorwort

2. Ouvertüre und Finale

3. Die Emmauserzählung – Modell christlicher Existenz

„… auf dem Weg …“ (Lk 24,13)

„Sie sprachen miteinander über all das, was sich ereignet hatte“ (Lk 24,14)

„Er fragte sie: Was sind das für Dinge …?“ (Lk 24,17a)

„… in große Aufregung versetzt“ (Lk 24,22b)

„… was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht“ (Lk 24,27b)

„Brannte uns nicht das Herz in der Brust?“ (Lk 24,32a)

„… brachen sie auf und kehrten … zurück“ (Lk 24,33a)

4. Von Rom ins Spoletotal –eine franziskanische Varianteder Emmaus-Erfahrung

5. Exerzitien mit Lukas und Franziskus

Tag 1: Bruch und Aufbruch

Tag 2: Gespräch und Beziehung

Tag 3: Trauer und Freude

Tag 4: Begreifen und folgen

Tag 5: Ankommen und bleiben

Tag 6: Brot brechen und Leben teilen

Tag 7: Umkehr und Sendung

6. Die Emmauserzählung – Modell einer geistlichen Gemeinde- und Gemeinschaftskultur

Inspiration und Initiative

Dialogische Kommunikation

Annäherung an Jesus

Orientierung am Wort Gottes

Eucharistie als Mitte

Leben mit einer Sendung

Anmerkungen

Zum Weiterlesen

Abkürzungsverzeichnis

1. Bewegt und beweglich – eine Art Vorwort

Nicht nur Menschen bauen Wege. Auch Tiere tun es. Ameisen legen Straßen fest, auf denen sie die Baustoffe für ihre Behausungen transportieren. Maulwürfe graben unterirdische Gänge, in denen sie sich bewegen, Zugvögel kennen ihre Wege in den Süden und zurück. Alle Geschöpfe, die beweglich sind, kennen Wege – auf der Erde, im Wasser und in der Luft.

Dennoch sind die Wege der Menschen einzigartig. Wir werden bewegt und sind beweglich, weil Bewegung zu unserem Wesen gehört. Der aufrechte Gang ermöglicht uns eine besondere Form der Bewegung. Zu Fuß erwanderte sich der Mensch die ganze Erde. Die Erfindung des Rades ermöglichte ihm später ganz neue Formen der Fortbewegung. Die Fußwege genügten nicht mehr. Straßen wurden gebaut für die Handkarren, Pferdewagen, Kutschen, Automobile. Und auch durch die Flüsse und Meere, selbst durch die Luft schufen Menschen Wasserstraßen und Flugrouten.

Wir brauchen Wege, weil wir beweglich sind. Wir brauchen sie auch im übertragenen Sinn. Denn Wege sind im Grunde Kommunikationsmittel. Der Weg „von mir zu dir“, die Aufnahme von Beziehung setzt voraus, dass ich nicht bei mir bleibe, sondern mich aufmache, „zum anderen gehe“ oder auch „mit dem anderen gehe“. Das bedeutet, einen inneren Weg zu beschreiten, den Weg des Zuhörens, des Vertrauens, der Liebe. Es bedeutet im ge-

sellschaftlichen Sinn, gemeinsam Wege zu suchen und zu gehen: in Familien, Freundeskreisen, Kommunen, Religionen, Kulturen. Es bedarf des Mutes aufzubrechen, Standorte und Standpunkte zu verlassen, sich in Bewegung zu setzen. Nur in Bewegung kann die Menschheit fortschreiten auf dem Weg der Freiheit, der Verständigung, der Versöhnung, des Friedens.

Im übertragenen Sinn sprechen wir auch von Wegen des Glaubens. Die Religionen sind Wege zu Gott. Die Offenbarungsreligionen betonen, dass diese Wege keine Einbahnstraßen sind. Sie gehen davon aus, dass Gott gefunden werden will und dass er dem Menschen die entscheidende Wegstrecke entgegengeht.

Nicht genug damit: In Jesus Christus wird Gott selbst zum Weg. Er lässt sich ein auf die Welt, auf das Geschöpf, auf den Menschen, nimmt die Gestalt der Vergänglichkeit an, lebt und leidet mit uns, teilt mit uns Freude, Hoffnung und Schmerz und macht sich gemeinsam mit uns auf die Suche nach dem „abba“, dem Mutter-Vater-Gott, die/der uns so geheimnisvoll und doch so nahe ist.

Das Neue Testament lädt ein, den Weg Jesu mitzugehen. Nachfolge ist das entscheidende Wort christlicher Glaubenspraxis. Vor allem das Lukasevangelium entfaltet eine „Theologie des Weges“. Es ist aufs Ganze gesehen ein Reisebericht, der Jesus auf dem Weg nach Jerusalem zeigt. Dieser wird ausgestaltet durch eine Vielzahl von Begegnungen, Belehrungen, Gleichnissen und Heilungsberichten. So wundert es nicht, dass Lukas sein Evangelium auch mit einer Weggeschichte beschließt. In der Emmauserzählung fasst er noch einmal die wesentlichen Grundaussagen des ganzen Evangeliums zusammen. Dabei komponiert er dieses „Finale“ zu einer Art „geistlichem Navigator“, um die Leserinnen und Leser sicher auf ihrem Glaubensweg zu geleiten. Er hilft ihnen bei Entscheidungen an Wegkreuzungen, gibt das richtige Tempo vor und weist auch deutlich auf die Hindernisse und Gefahren des Weges hin. Lukas hat aber nicht nur den einzelnen Menschen im Blick, seine Emmauserzählung stellt zugleich auch eine Charta für das geistliche Leben in Gemeinschaft und Gemeinde dar.

Der Weg ist ohne Zweifel ein konstitutives Merkmal der franziskanischen Bewegung – und dies nicht nur als Metapher, sondern auch im wörtlichen, physischen Sinn. Das Neue an Franziskus ist, dass er die Welt als sein Kloster betrachtet und den Weg zu seinem Aufenthalts- und Bewegungsraum erklärt. Dies kommt in allen seinen Gebeten, Regeln und Schreiben zum Ausdruck. Seine Biographen werden nicht müde, zu betonen, dass Franziskus und seine Bruderschaft Menschen des Weges sind. Eine geistig-geistliche Nähe zur lukanischen Wegthematik ist unverkennbar. Da wundert es nicht, dass der Bericht des Thomas von Celano im 14. Kapitel seiner „Ersten Lebensbeschreibung des heiligen Franziskus“ mit der Überschrift „Seine Rückkehr aus der Stadt Rom ins Spoletotal und sein Verweilen auf dem Weg“ (1 C 14, FQ 219) deutliche Parallelen zur Emmauserzählung aufzeigt.

Dieser Band der „Franziskanischen Akzente“ will nicht nur dieser „Verwandtschaft“ nachgehen, sondern darüber hinaus eine spirituelle Hilfe für die Praxis bieten: die Emmauserzählung und ihre franziskanische Variante als Grundlage für einen persönlichen Exerzitienweg sowie als Modell geistlicher Gemeinde- und Gemeinschaftskultur.

2. Ouvertüre und Finale

Lukas verdichtet im ersten und letzten Kapitel die Motive und Aussagen des ganzen Evangeliums und entfaltet eine „Theologie des Weges“.

Wer zum ersten Mal ein fremdes Haus betritt, tut das mit bestimmten Erwartungen. Wenn sich dann die Haustüre öffnet und den Blick ins Innere freigibt, entsteht ein erster und oft entscheidender Eindruck. In einer einzigen Sekunde nehmen wir wahr, wie es drinnen ist: die Temperatur, den Geruch, die Ordnung, die Atmosphäre, die Gesichter, die Stimmung … Das deutsche Wort „Schlüsselerlebnis“ spricht diese Erfahrung an: Ein Schlüssel dreht sich im Schloss, eine Türe öffnet sich, ein Raum tut sich auf – und wir spüren, was auf uns zukommt.

Wer ein Haus verlässt, erfährt etwas Ähnliches. Der letzte Eindruck, das „AufWiedersehen“, die Atmosphäre des Abschieds, das Schließen der Türe, das Knarren des Schlosses, all das ist noch einmal ein „Schlüsselerlebnis“.

Das erste und das letzte Kapitel des Lukasevangeliums vermitteln uns „Schlüsselerlebnisse“. Wie in einem Brennpunkt leuchtet das ganze Evangelium am Anfang und am Schluss auf. Lukas stellt seinem Evangelium zwei Kindheitsgeschichten voran: die Geschichte von der wundersamen Verkündigung und Geburt des Propheten Johannes des Täufers und die Geschichte von der wundersamen Verkündigung und Geburt des Messias Jesus von Nazaret. Die Jesusgeschichte macht von Anfang an den Unterschied zu anderen berühmten Gestalten der Geschichte deutlich: Jesus wird nicht in der Hauptstadt Jerusalem geboren, sondern in der Provinz, nicht in einem königlichen Palast, sondern in einem Stall. Es sind nicht die politischen und religiösen Größen seiner Zeit, die ihn erwarten und begrüßen, es sind die „kleinen Leute“, die sozial und religiös Randständigen. Die Großen dagegen lehnen ihn ab und werden ihn sein Leben lang verfolgen. Dieser Messias, das zeigt bereits der Anfang, hat seinen Platz nicht bei den Mächtigen und Prominenten, sondern bei den Armen, Hungernden und Erniedrigten. Er geht nicht nur zu ihnen, um sie aus ihrem Elend herauszuholen, er gehört zu ihnen.

Zu den Menschen, deren Ent-Niedrigung dem Evangelisten Lukas und noch mehr Jesus am Herzen liegt, gehören auch die Frauen. Der Anbruch des Reiches Gottes duldet weder die patriarchalische Dominanz noch sonst ein „Oben“ oder „Unten“ in der Geschlechterbeziehung. Das Reich Gottes „stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen“ (Lk 1,52). Nicht von ungefähr stehen zu Anfang des Lukasevangeliums neben den beiden Kindern zwei Frauen in der Mitte des Geschehens: die Mütter Maria und Elisabet. Ihre beiden Bekenntnisse sind so etwas wie ein erster Höhepunkt des „Dramas“ von der Rettung der Welt durch den Messias Jesus. Das „Lied der Erlösung“, das Maria bei der Begegnung mit ihrer Cousine singt, bringt dies in dichterischer Sprache und zugleich in nüchterner Klarheit zum Ausdruck:

„Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter. Denn der Mächtige hat Großes an mir getan, und sein Name ist heilig. Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten. Er vollbringt mit seinem Arm machtvolle Taten: Er zerstreut, die im Herzen voll Hochmut sind. Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen. Er nimmt sich seines Knechtes Israel an und denkt an sein Erbarmen, das er unseren Vätern verheißen hat, Abraham und seinen Nachkommen auf ewig“ (Lk 1,46–55).