Gwentin - Leonore Enzmann - E-Book

Gwentin E-Book

Leonore Enzmann

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Beschreibung

Der Bergsteiger Ted gerät mir seiner Frau Anna während einer Alpentour in einen Schneesturm. Sie fallen in eine Gletscherspalte und landen in Gwentin, einer fremden Welt, in der es keine Menschen, sondern geflügelte Zwerge, Gnome und Drachen gibt. Auf der Suche nach dem Rückweg in ihre eigene Welt haben sie harte Proben zu bestehen.

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Seitenzahl: 174

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Inhalt

Titelseite

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Worterklärung

Leonore Enzmann

Gwentin

Engelsdorfer Verlag2011

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Coverbild © lilia kulenenok – Fotolia

Alle Rechte beim Autor

www.engelsdorfer-verlag.de

eISBN: 978-3-86901-395-4

Kapitel 1

Das Wetter schlug von einer Minute zur anderen um. Kein Aufziehen von Wolken, kein Donner, kein leichtes Nieseln. Wie aus heiterem Himmel peitschte plötzlich der Schneesturm los – im Juli!

Weit und breit gab es keinen Unterschlupf auf dem steilen, hart gefrorenen Gletscher. Der Himmel nahm eine stahlgraue Farbe an, der Horizont vermischte sich, es gab keinen Übergang zwischen Himmel und Erde. Ein beißender Wind trieb spitzen Schneegrieß vor sich her. Die Luft bestand aus tausend Nadeln, die sich durch Windjacken und Mützen bohrten und auf der Haut brannten. Selbst mit Schneebrille war kaum etwas zu erkennen.

Mühsam kämpfte sich das Paar Meter um Meter vorwärts. Ted hörte seine Frau dicht hinter sich keuchen. Sie mussten weiter, es war unmöglich, an dieser Stelle zu rasten und das Zelt aufzubauen oder auch nur zu biwaken.

Die Schuhe versanken bereits im immer höher werdenden Schnee. Er konnte keine fünf Meter weit sehen, doch was er sah, machte ihm Angst. Der Gletscher unter seinen Füßen sah aus wie ein glattes Leintuch, eine teuflische Gefahr.

`Vorsichtig weiter tasten‘, sagte sich der erfahrene Bergsteiger. Er trug die Verantwortung für Anna. Seit vielen Jahren verbrachten sie ihren gemeinsamen Urlaub in den Bergen, fast die ganze Welt hatten sie bereist – Anden, Rocky Mountains, Pamir, Hindukusch, Himalaja, Kaukasus, Ural und natürlich immer wieder das Lieblingsgebirge ihrer europäischen Heimat – die Alpen.

Auch dieses Jahr hatten sie sich bei wunderbarem Wetter zu den Alpen aufgemacht; dorthin, wo die Berge am höchsten sind; die meisten Viertausender majestätisch in den azurblauen Himmel ragen. Viele davon hatten sie bereits bestiegen, doch immer noch gab es neue Entdeckungen.

Sie unternahmen Wanderungen in die Grajischen Alpen mit ihrem höchsten Gipfel, dem Gran Paradiso, den Cottischen Alpen auf italienischer Seite und den Seealpen, die fast bis ans Mittelmeer heranreichen. Sie waren unterwegs auf hervorragenden Wanderwegen, über historische Saumwege, transalpine Salzstraßen, königliche Jagdsteige und kühn angelegte Alpiniwege. Gerade die Seealpen sind ein wahres Paradies für Wanderer. Dreitausender ganz nah am Mittelmeer, ausgezeichnet angelegte Wege und eine Wandersaison, die – vom Klima stark begünstigt – von April bis weit in den Oktober hinein reicht, machten die Wanderer fast unabhängig von der Saison. So waren sie auch dieses Jahr zu den Seealpen gereist, mit Kraxe, Bergzelt, Biwak-Schlafsäcken und allen nötigen Utensilien für drei Wochen Bergtour. In der ersten Berghütte hatten sie bereits übernachtet. Ein lustiges Feuer brannte im Kamin, sie kochten sich Tee, erwärmten das mitgebrachte Dosenfleisch, aßen dazu Zwieback und rundeten das Menü mit einer Tafel Schokolade ab. Dann kuschelten sie sich in die Schlafsäcke und ließen den ersten Tag Revue passieren.

Ganz zeitig am nächsten Morgen machten sie sich auf den Weg, der nun über den Gletscher zum Gipfel des Berges führen sollte.

In Anna hatte Ted die ideale Partnerin gefunden. Sie hatte sein Leben damals von Grund auf umgekrempelt. Das war jetzt etwa zwölf Jahre her. Er stand kurz vor der Priesterweihe, sechs Jahre hatte er bereits Theologie studiert und dann kam die Blinddarmvereiterung. Er sackte während des Seminars zusammen. Als er wieder erwachte, blickte er in hübsche blaue Augen in einem freundlichen, offenen Gesicht. Sie hatte sich über ihn gebeugt und mit einem Tuch seine Stirn abgetupft. Ihr roter Mund, in dem strahlend weiße Zähne blinkten, lachte ihn an. Zwei Grübchen in den Wangen, die kleine spitzbübische Nase und der braune Bubikopf; es passte alles zusammen und faszinierte ihn auf Anhieb.

Anna hatte sich seitdem kaum verändert. Aber ihn, sein ganzes Leben hatte sie verändert, all seine Ideale und Lebensziele über den Haufen geworfen. Er hatte sich nicht zum Priester weihen lassen, aus war der Jugendtraum, es würde keinen Pastor Thadeus Otto geben. Stattdessen legte er sein Diplom als Theologe ab und nahm einen Lehrstuhl an der Universität an.

Ein Jahr später heirateten sie und sie bereuten es bis heute nicht. Ihre Liebe zur Natur und ihr gemeinsames Hobby, das Wandern und Bergsteigen, hatten sie immer fester aneinander gebunden. Ted konnte sich keine Stunde ohne Anna vorstellen.

Der Untergrund wurde immer weicher, das Vorwärtskommen immer beschwerlicher. Anna stapfte tapfer hinter ihm her. Sie vertraute ihm bedingungslos. Nie hatte er sich verirrt, jeder gefährlichen Stelle war er ausgewichen. Da wo er ging, konnte auch ihr nichts passieren.

Plötzlich gab der Untergrund unter ihren Füßen nach. Anna schrie auf und schon verschwand sie in einer Fontäne aus Schnee.

Ted lief zirka fünf Meter vor ihr. Als er sich umblickte, sah er gerade noch ihre hochgerissenen Hände verschwinden. Er rutschte zu ihr zurück, um sie aus der Wehe zu befreien. Doch kaum hatte er zwei Meter zurückgelegt, gab der tückische Untergrund nach. Er überschlug sich und fiel und rutschte in rasendem Tempo abwärts. Es dauerte nur einige Sekunden, ihm aber kam es wie Stunden vor. Er schlug links und rechts mit den Schultern an harte Kanten, konnte keinen Halt finden, tiefer und tiefer ging es abwärts. Im Unterbewusstsein registrierte er, wie ihm der Rucksack entrissen wurde. Seine Gedanken rasten – das ist das Ende, wir sind in einer Gletscherspalte und kommen nie wieder heraus.

Plötzlich hatte der rasende Fall ein Ende. Ted blieb einige Minuten benommen liegen. Dann regte sich sein Geist – er lebte!

Vorsichtig öffnete er die Augen und blinzelte in einen strahlend blauen Himmel. Kein Wölkchen erinnerte an den eben überstandenen Schneesturm. Die Luft war seidig klar, die Strahlen der rötlichen Sonne stachen in die Augen.

Ted bewegte die Finger, dann die Hand, den Arm. Er fühlte sich wie gerädert, aber gebrochen schien nichts zu sein. Der weiche Schnee hatte den Aufschlag gedämpft.

Ein Laut drang an sein Ohr. Anna! Er blickte sich um. Etwa sechs Meter entfernt winkte kraftlos ihre Hand aus der Wehe. Mühsam erhob Ted sich und wankte zu seiner Frau. Ein Arm und der Kopf schauten aus einem mächtigen Schneeberg hervor. Ted machte sich daran, sie auszugraben. Nach etwa einer Stunde hatte er es geschafft. Lachend und weinend zugleich lagen sie sich in den Armen. Das Schicksal hatte es gut mit ihnen gemeint. Auch Anna hatte keine größeren Blessuren davongetragen.

Sie schauten sich um. Unweit blinkte ein blauer Punkt im Schnee und einige Meter weiter ein brauner. Auch die Rucksäcke hatten den Absturz überstanden. Sie waren gerettet. Warme Kleidung, ein Zelt, Werkzeug, Schlafsäcke und Nahrungsmittel – es war wie ein Wunder.

Nur – wo waren sie? Wie konnte es sein, dass sie in eine Gletscherspalte fielen und dann plötzlich unbeschadet auf einer Hochebene unter freiem Himmel landeten?

Sie drehten sich nach allen Seiten. Nichts sah mehr so aus, wie sie es beim Aufstieg in Erinnerung hatten. Weder der Berg war der gleiche, noch die Vegetation. Kein einziger Anhaltspunkt, der ihnen gezeigt hätte, in welcher Richtung sie sich halten mussten.

Ted zog Karte und Kompass aus dem Rucksack, schaute auf die Armbanduhr und versuchte mit Hilfe der Sonne und seines Schattens die Himmelsrichtung zu bestimmen. Dann klappte er den Kompass auf. Die Nadel kreiselte einige Male, dann verharrte sie. Er drehte ihn hin und her, aber – das konnte nicht stimmen – die Sonne stand im Norden! Hatte der Kompass durch den Sturz Schaden genommen? Er schüttelte ihn, drehte ihn wieder. Kein Irrtum, der Zeiger zuckte, drehte sich und – wieder stand die Sonne im Norden. Kein Zweifel – irgendetwas an dieser Gegend war sonderbar.

„Was ist los?“ Anna trat an seine Seite und spähte auf den Kompass.

„Die Sonne steht im Norden!“ Ted lief es kalt den Rücken herunter. Verdutzt schaute Anna ihn an. Dann lachte sie gequält.

„Er muss kaputt sein.“ Mit dem Knöchel des Zeigefingers klopfte sie gegen das Glas.

„Nein – schau doch!“ Wieder drehte er den Kompass und die Nadel folgte der Bewegung.

„Aber das gibt es doch gar nicht. Jetzt müsste die Sonne im Südosten stehen. Es ist halb elf.“

„Ja, müsste, tut sie aber nicht.“

Unbeeindruckt strahlte der rötlich-goldene Himmelskörper vom azurblauen Firmament – im Norden!

„Und jetzt? In welche Richtung müssen wir gehen?“ Annas Gesicht nahm einen verzweifelten Ausdruck an.

„Ich habe keine Ahnung. Hier ist – alles so anders.“

Ted drehte sich um die eigene Achse. Weit und breit war nur blendendes Weiß zu sehen, das wie tausend Diamanten funkelte. Das Gelände fiel leicht ab. Nicht die geringsten Anzeichen von Vegetation waren vorhanden, kein Weg, keine Tierspur, nicht der geringste Anhaltspunkt, wo sie sich befanden. In der Ferne blinkten einige Bergspitzen wie silberne Zuckerhüte im Azur.

„Auf alle Fälle gehen wir bergab. Es hat keinen Sinn, hier noch länger herum zu stehen. Wir müssen laufen, solange es hell ist. Du hast ja gesehen, wie schnell das Wetter umschlagen kann.

Ted nahm seinen Rucksack auf die Schultern und half seiner Frau, den ihren um zu gürten. Dann setzten sie sich langsam in Bewegung. Der Schnee war weich und knisterte unter den Schuhen. Aber er war nicht sehr tief und so kamen sie gut voran.

Nach etwa drei Stunden entdeckten sie ein paar Spuren von Gemsen und ein Adlerpaar hoch über sich. Die Adler kreisten über zerklüfteten Felsen, trennten sich, der eine flog zu einem unsichtbaren Horst, der andere kreiste einige Male weiter und flog dann seinem Gefährten hinterher.

Die Landschaft änderte sich, die Berge schienen aufeinander zu zugehen. Immer schmaler und steiler wurde der Weg, immer schwieriger der Abstieg. Große Geröllmassen zeugten vom Abgang einer Lawine an dieser Stelle. Rinnsale von Schmelzwasser bahnten sich den Weg durch das Gestein. Stellenweise wurde der Weg so steil und schmal, dass das Paar sich aneinander seilte und nur noch auf Händen und Füßen vorwärts kam. Aus der Höhe wehte ein Adlerschrei herab.

Anna blickte nach oben und erstarrte. Auf einem Felsvorsprung hockte eine riesige Kreatur mit herabhängenden Flügeln und beobachtete sie. Sie war mindestens doppelt so groß wie ein normaler ausgewachsener Adler, hatte einen runden Kopf und – ein menschliches Gesicht. Lange Haare wehten im Wind. Plötzlich spreizte die Gestalt die Flügel, erhob sich mit einem Schrei in die Lüfte und segelte durch die Felsen abwärts ins Tal.

„Was war das?“ Anna zerrte krampfhaft am Ärmel ihres Gefährten. „Das, das war kein Vogel. War das ein Mensch ... mit Flügeln?“

Ted schüttelte den Kopf. „Vielleicht ein Drachenflieger?“

„Nein, das war kein Drachen. Er hatte Flügel. Er hat sie ausgebreitet und wie ein Vogel geschwungen. Aber, wie kann das sein?“

„Vielleicht ein neues Sportgerät. Ich habe so etwas noch nicht gesehen.“

Ted ließ es bei dieser Aussage bewenden, drehte sich um und marschierte weiter. Anna hatte das Gefühl, der Magen drücke ihr gegen die Kehle. Furchtbare Bilder stiegen in ihr hoch, von menschenfressenden Drachen mit messerscharfen Krallen und spitzen Zähnen, durch die sie Feuer spien. Aufgeregt drehte sie sich um ihre eigene Achse und spähte in alle Richtungen. Aber nicht die geringste Spur von der Kreatur war zu entdecken. Langsam glaubte sie selbst an eine Täuschung, als sie durch den lauten Schrei eines Adlers aufschreckte und herum wirbelte. Das Adlerpaar kreiste wieder über ihnen.

Ted war zurückgekommen und fasste sie zart am Arm. „Komm, es wird Zeit. Ich weiß nicht, wie weit unser Weg noch sein wird. Und ich möchte gern vor heute Abend eine Hütte finden. Vielleicht treffen wir ja andere Wanderer, die uns sagen, wo wir uns befinden.“

Gemeinsam machten sie sich wieder auf den Weg, von scharfen Augen beobachtet.

Kapitel 2

Seit etwa sechs Stunden war das Paar nun schon unterwegs und es hatte sich an der Landschaft kaum etwas geändert. Der Schnee knirschte unter den Schuhen, eintöniges Weiß strahlte von den Felshängen, es herrschte nervenzehrende, schleppende Stille.

„Es ist hier, als wären wir am Ende der Welt und alle Menschen und Tiere sind ausgestorben.“ Anna blieb stehen und spähte um sich. „Es kann doch nicht sein, dass es hier überhaupt nichts und niemanden gibt. Kein Baum, kein Strauch, kein Vogel. Nicht einmal die Adler sind mehr da. Ich werde noch verrückt. Und außerdem habe ich Hunger.“

Sie ließ sich in den Schnee fallen, zog die Handschuhe aus und begann in ihrem Rucksack zu wühlen. Ted trat zu ihr und setzte sich neben sie.

„Du hast Recht, mein Magen hängt in den Kniekehlen. Lass uns etwas essen und überlegen, was wir tun können.“

Er holte die Thermoskanne mit Tee heraus, goss etwas in die Aufschraubtasse und reichte sie seiner Frau. Dann öffnete er eine Dose mit Fleischwurst, schnitt für jeden einen Kanten Brot ab und begann zu essen. Die Stille und Einsamkeit war beängstigend. Kein Laut, außer ihr eigener Atem und das Rascheln der Kleidung war zu vernehmen. Totale Windstille und das blendende Weiß ringsumher machte die Gegend zudem unwirklich.

„Langsam habe ich auch das Gefühl, hier stimmt etwas nicht. Wenn ich nicht genau wüsste, dass wir in den Alpen sind ...“ Er schüttelte den Kopf und zog den Höhenmesser aus dem Rucksack.

„Wir sind jetzt auf zweitausenddreihundert Meter. Wenn wir nicht bald etwas finden, müssen wir unser Zelt aufbauen und uns für die Nacht einrichten.“

Anna zog ein saures Gesicht. „Lass uns noch eine Stunde weiter gehen. Irgendwann muss doch mal irgendetwas anderes als diese schrecklichen kahlen Felsen kommen.“

Entschlossen packte Anna ihren Proviant wieder ein und schulterte den Rucksack. Gestärkt machten sie sich an den weiteren Abstieg.

Nach einer guten dreiviertel Stunde erblickten sie in der Ferne dunkle Flecken im Schnee. Sie beschleunigten ihre Schritte und stießen bald an die ersten Latschenkiefern.

„Gott sei Dank, hier beginnt die Vegetation. Wir sind also nicht auf dem Mond.“

Die Latschenkiefern waren mit silbrigen Häubchen bedeckt, zwischen ihnen keine einzige Spur von einem Tier, alles war glatt und glänzend. Eine leichte Brise wehte dem Paar entgegen, es duftete schwach nach Harz. Ted und Anna kamen nur langsam voran, der Schnee zwischen den Bäumchen hatte sich angehäuft und sie sanken bis zu den Waden ein. Nach einer weiteren Stunde wurden die Bäume größer. Aufatmend lehnte sich Ted an den Stamm einer Kiefer. Endlich begann der Wald. Gleich fühlten sich die Wanderer etwas heimischer. Zwischen den Stämmen breitete sich dichtes Unterholz aus. Dadurch wurde das Vorwärtskommen allerdings noch beschwerlicher. Einen Weg gab es nicht. Auf schmalen Tierpfaden drang das Paar in das unberührte Dickicht. Tierpfaden?

„Hier werden wir unser Zelt aufbauen.“ Ted hatte eine Stelle zwischen vier Tannen ausgemacht, die genug Platz für das Bergzelt bot. Eine halbe Stunde später war das Zelt aufgebaut, die Schlafsäcke ausgerollt und das Teewasser kochte auf dem kleinen Ölofen.

Anna hielt die Tasse zwischen ihren kalten Fingern und trank in kleinen Schlucken. Sie war froh, eine geschützte Stelle im Wald für ihr Zelt gefunden zu haben, aber gleichzeitig deprimiert, dass sie immer noch nicht auf eine Berghütte oder andere Wanderer gestoßen waren. Ted nahm es gelassen. Er packte das Geschirr in den Rucksack und zog Anna mit sich ins Zelt.

„Ich bin hundemüde.“ Anna legte ihren Kopf an Teds Schulter und schloss die Augen.

„Morgen sieht die Welt sicher besser aus.“ Er versuchte Anna aufzuheitern und stimmte einen alten Schlager an: „Komm unter meine Decke.“

Ted zog den Reißverschluss des Schlafsackes bis unters Kinn, hauchte Anna einen Kuss auf die Stirn und war schon eingeschlafen, als sie noch murmelte: „Hoffentlich gibt es hier keine wilden Tiere.“

Die Nach verlief ruhig. Ted schnarchte leise. So müde Anna auch war, sie warf sich hin und her und konnte keinen Schlaf finden. Ein unterschwelliges Gefühl, Raubtiere würden das Zelt umkreisen, ließ ihren Geist nicht zur Ruhe kommen. Erst gegen Morgen fiel sie in einen bleiernen, traumlosen Schlaf. Als sie erwachten stand die Sonne hoch am Himmel. Sie spähten aus dem Zelt und entdeckten Spuren im Schnee.

„Was ist das? Sieht aus, wie nackte Füße. Aber so klein. Wie von Kindern – und doch, irgendwie komisch, diese langen Zehen.“

Kopfschüttelnd betrachtete Ted die Abdrücke.

„Wir haben also Besuch gehabt. Und ich dachte, ich habe das geträumt. Mir war im Schlaf, als wäre jemand da. Aber ich war viel zu kaputt, um die Augen zu öffnen und nachzusehen.“

Ted ging den Spuren ein Stück nach. Plötzlich endeten sie.

„Das gibt es doch nicht. Wo sind sie hin?“

Anna stand hinter ihm, aschfahl im Gesicht.

„Der Drachenflieger? Vielleicht war er hier und ist davon geflogen?“

Ted schüttelte den Kopf. „Das kann nicht sein. Dazu braucht man eine Abflugrampe. Man kann sich mit einem Drachen nicht einfach in die Luft erheben und davon fliegen.“

„Also doch ein Vogel? Aber die Füße? Das sind keine Vogelabdrücke. Was geht hier vor? ... Mir ist schlecht. Lass uns so schnell wie möglich von hier verschwinden.“ Anna zitterte am ganzen Körper.

Eilig packten sie ihre Sachen zusammen und liefen beinahe panisch talabwärts.

Die Landschaft änderte sich immer mehr. Der Wald wurde dichter, es lag fast kein Schnee mehr. Kleine Gebirgsbäche entsprangen zwischen Steinen, plätscherten murmelnd und verloren sich zwischen Moosen und Farnen. Vögel tschilpten in gigantischen Baumkronen, die nur wenig Sonnenlicht zur Erde hindurch ließen. Es hätte romantisch anmuten können, wenn die beiden Wanderer sicher gewesen wären, wo sie sich befanden. Aber die totale Orientierungslosigkeit machte ihnen mehr zu schaffen, als sie sich eingestehen wollten.

Es knackte im Unterholz. Ein langgezogener Schrei ertönte zwischen den Wipfeln. Der Umriss eines riesigen Vogels tauchte kurz zwischen den Baumkronen auf. Ein weiterer langgezogener Schrei antwortete in der Ferne. Automatisch zog Anna den Kopf ein. „Sind die Adler wieder da?“

Ted spähte nach oben. „Ich kann sie nicht sehen.“

Wieder knackte es im Unterholz. Anna schrie kurz auf. „Da... da ist was im Gebüsch.“ Plötzlich hatte sie ihr kleines Fahrtenmesser in der Hand.

„Was willst du damit? Damit kannst du dich nicht gegen ein Raubtier wehren. Lass uns ganz ruhig sein und bewege dich nicht.“ Ted legte seine Hand auf ihre Schulter. Wie erstarrt standen die beiden da und beobachteten das Buschwerk. Nichts rührte sich. Nach einer Weile entkrampfte sich Ted wieder. „Es ist weg. Lass uns weiter gehen.“

Vorsichtig, bemüht auf keinen Ast zu treten, entfernten sie sich von dem undurchdringlichen Dickicht und schritten dann umso schneller aus, als sie einen genügend großen Abstand zwischen sich und die unheimliche Stelle gebracht hatten.

Kapitel 3

Der große Daninad war brechend voll. Trotzdem herrschte eine vibrierende Stille. Alle Augen waren auf Kerek, den Hohepriester gerichtet. Er hatte die Arme zur Tempeldecke gestreckt, sein Blick lag auf dem monumentalen Deckengemälde des „Geneg“, der seine Gemeinde lächelnd von oben herab betrachtete.

Kerek war in ein strahlend goldenes Gewand gekleidet, seine Füße steckten in feinen Ziegenlederstiefeln, auf dem Haupte trug er die Krone aus vergoldetem Steinbockgeweih. Er bot einen majestätischen Anblick, als er nun die Hände in einem allumfassenden Kreis auf die Gemeinde zu bewegte und mit seinen Augen in jedes Herz zu sehen schien.

„Die lange Zeit der Finsternis ist endlich vorbei, die Prophezeiung unseres großen Ahnen Geneg wird sich nun erfüllen. Die Rettung ist nah. Menschen haben zu uns gefunden, Menschen, wie Geneg einer war. Seit tausend Jahren haben wir auf diesen einen Augenblick gewartet. Die Welt hat sich für uns geöffnet und holt uns zurück in ihren Schoß.“

Ein hundertstimmiger Freudenschrei brandete dem Hohepriester entgegen. „Heil Geneg, Heil Geneg, Heil Geneg“.

Hände streckten sich nach vorn, leuchtende Augen schienen zu rufen: ‚Die Sonne ist aufgegangen, endlich können wir wieder sehen.

„Wir müssen die Menschen würdig empfangen!“, die Stimme des Hohepriesters kämpfte gegen das Jubelgeschrei der Menge an. „Ein jeder Genegeneg trägt sein bestes Gewand. Wir werden ein Freudenfest veranstalten und die Menschen ehrenhaft willkommen heißen. Wir werden ihnen unsere Abordnung entgegen senden, damit sie nicht auf dem Weg hierher in die Klauen der Gnorrong fallen. Der Platz vor dem Tempel muss geschmückt werden. Ein Jeder wird helfen, den Menschen zu zeigen, dass wir würdig und bereit sind, in ihre Gemeinschaft zurück zu kehren.“

In fieberhafter Eile erhoben sich die Genegeneg, verließen den Tempel, befestigten die Federschwingen, die vor dem Tempeltor fein säuberlich aufgereiht waren, an ihren langen, muskulösen Armen und erhoben sich nach allen Seiten in die Lüfte. Jedermann kehrte zu seinem Heim zurück, um die Ankunft der Menschen vorzubereiten.

Kapitel 4

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