Handbuch Pferdeverhalten - Margit Zeitler-Feicht - E-Book

Handbuch Pferdeverhalten E-Book

Margit Zeitler-Feicht

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Beschreibung

Wie gut kennen Sie das natürliche Verhalten Ihres Pferdes? Das rundum aktualisierte und erweiterte Handbuch Pferdeverhalten beantwortet auf Basis der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse Fragen wie: „Was braucht ein Pferd, um sich wohlzufühlen und welche Anforderungen werden an eine tiergerechte Pferdehaltung gestellt?“, „Was sagt mir das Ausdrucksverhalten des Pferdes und woran erkenne ich Haltungs- und Umgangsfehler?“, „Was sind die Ursachen für Problemverhalten und welche Korrekturmethoden sind tiergerecht?“. Leicht verständlich und praxisbezogen erhalten Sie Tipps zur Optimierung von Haltung und Umgang von vier Pferde-Expertinnen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 630

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Margit H. Zeitler-Feicht

Iris Bachmann | Miriam Baumgartner | Elke Hartmann

Handbuch Pferdeverhalten

Natürliches Verhalten, artgemäße Haltung, pferdegerechter Umgang, Problemverhalten

4., aktualisierte und erweiterte Auflage

Inhalt

Vorwort zur vierten Auflage

Geleitwort zur vierten Auflage

Anpassungsfähigkeit des Pferdes an die Umwelt

Evolution

Entwicklung der Equiden

Arttypisches Verhalten und Besonderheiten der Wahrnehmung

Steppentier

Herdentier

Fluchttier

Domestikation

Morphologische und ethologische Veränderungen

Rassetypische Merkmale

Ponys

Kaltblüter

Warm- und Vollblut

Individualverhalten

Anpassungsgrenzen des Verhaltens und Alarmsignale

Überforderung der Anpassungsfähigkeit

Situationen und Alarmsignale

Frustration

Deprivation

Konfliktsituationen

Angeborene Verhaltensweisen – Konsequenzen für Haltung und Umgang

Tagesablauf frei lebender Pferde

Angeborene Verhaltensweisen

Konsequenzen für Haltung und Umgang

Abweichungen vom natürlichen Zeitbudget

Sozialverhalten

Angeborene Verhaltensweisen

Soziale Organisation und Gruppengröße

Dominanz und Hierarchie

Führungsposition – Mythos „Leitstute“

Agonistisches Verhalten

Kampf

Affiliatives Verhalten

Individualdistanz

Konsequenzen für Haltung und Umgang

Gruppenhaltung ist nicht gleich Gruppenhaltung

Pro und contra Gruppenhaltung

Anforderungen an die Bauweise

Richtige Gruppenzusammenstellung

Vorsicht bei der Eingliederung von Neuzugängen

Praxisbewährte Tipps zur Eingliederung von Neuzugängen

Ist Einzelhaltung artgemäß?

Pferdegerechte Hengsthaltung

Haltungsansprüche von Jungpferden und Zuchtstuten

Haltung eines Pferdes ohne Artgenossen

Fortpflanzungsverhalten

Angeborene Verhaltensweisen

Sexuelle Reife

Paarungsbereitschaft

Paarung

Konsequenzen für Haltung und Umgang

Künstliche Besamung

Sprung aus der Hand

Freier Herdensprung

Deckhengste

Mutter-Kind-Verhalten

Angeborene Verhaltensweisen

Geburtsverhalten

Verhalten des Fohlens

Mutter-Kind-Beziehung

Dauer des Mutter-Kind-Verhältnisses

Konsequenzen für Haltung und Umgang

Abfohlbereich

Umgang mit der Stute

Umgang mit dem Fohlen

Pferdegerechte Fohlenaufzucht

Tipps zum stressfreien Absetzen von Fohlen

Stressfreies Absetzen

Fressverhalten

Angeborene Verhaltensweisen

Nahrungsspektrum und Futterselektion

Dauer und Regulation der Futteraufnahme

Rhythmus der Nahrungsaufnahme

Fresshaltung und Fresstechnik

Soziale Faktoren

Konsequenzen für Haltung und Umgang

Bedarfs- und verhaltensgerecht füttern

Problem – der „gute Futterverwerter”

Tipps für die Fütterung von „guten Futterverwertern“

Weide – Vorteile und Risiken

Fütterungseinrichtungen und Sparraufen

Futterneid und stressfreies Fressen

Trinkverhalten

Angeborene Verhaltensweisen

Trinkvorgang und Wasserpräferenz

Wasserbedarf und Trinkhäufigkeit

Konsequenzen für Haltung und Umgang

Wasserversorgung

Anforderungen an Tränkvorrichtungen

Ruheverhalten

Angeborene Verhaltensweisen

Ruheformen und -dauer

Schlafstadien

Aktivitätsrhythmus

Liegeplätze und Sozialabstand

Konsequenzen für Haltung und Umgang

Genügt ein ausreichend großes Platzangebot?

Welche Liegeunterlage bevorzugen Pferde?

Müssen Pferde täglich liegen?

Bewegungsverhalten

Angeborene Verhaltensweisen

Bewegungsdauer und Bewegungsradius

Gangarten

Bewegungsbedürfnis und Bewegungsbedarf

Konsequenzen für Haltung und Umgang

Bewegungsfördernde Haltung

Ausgleich des Bewegungsdefizits und Flächenbedarf

Welche Bewegung ist pferdegerecht?

Folgen von Bewegungsmangel

Ausscheide- und Markierungsverhalten

Angeborene Verhaltensweisen

Koten und Harnen

Kotplätze

Markieren

Konsequenzen für Haltung und Umgang

Fütterung ohne Mistkontakt

Pro und Contra verschiedener Einstreumaterialien

Weidehygiene – ein Muss

Gesundheitliche Folgen von unsauberer Einstreu

Komfortverhalten

Angeborene Verhaltensweisen

Solitäre Körperpflege

Soziale Fellpflege

Konsequenzen für Haltung und Umgang

Wälzplätze und Scheuervorrichtungen

Gesundheitliche Aspekte

Spielverhalten

Angeborene Verhaltensweisen

Konsequenzen für Haltung und Umgang

Fohlenaufzucht

Spielen im Pferdealltag

Neugier- und Erkundungsverhalten

Angeborene Verhaltensweisen

Konsequenzen für Haltung und Umgang

Abwechslungsreiche Umgebung

Lernen durch Erkunden

Witterungsabhängiges Verhalten

Angeborene Verhaltensweisen

Wie gut vertragen Pferde Kälte, Hitze und Temperaturschwankungen?

Wie verhalten sich Pferde bei ungünstigen Witterungsbedingungen?

Konsequenzen für Haltung und Umgang

Brauchen Pferde einen Witterungsschutz auf der Koppel?

Anforderungen an einen effizienten Witterungsschutz

Brauchen Pferde eine Decke?

Anforderungen an Stallklima und Stallluft

Ursachen, Diagnostik und Therapie von Problemverhalten

Verhaltensstörung oder unerwünschtes Verhalten?

Was versteht man unter Normalverhalten?

Was ist eine Verhaltensstörung?

Was ist Coping?

Was ist unerwünschtes Verhalten?

Klassifikation von Verhaltensstörungen

Differenzierung nach ätiologischen Gesichtspunkten

Reaktive Verhaltensstörungen

Einteilung der reaktiven Verhaltensstörungen nach Funktionskreisen

Ursachen und Auslöser von Problemverhalten

Reaktive Verhaltensstörungen

Wann setzt eine reaktive Verhaltensstörung ein?

Ursachen und physiologische Folgen

Auslöser

Unerwünschtes Verhalten

Wodurch wird es begünstigt?

Ursachen und Auslöser für unerwünschtes

Verhalten

Diagnostik von Problemverhalten

Vorgehensweise

Ausdrucksverhalten als Hilfsmittel bei der Diagnostik

Woran erkennt man Schmerz?

Woran erkennt man Angst?

Woran erkennt man Aggression?

Ausdrucksformen des Pferdes unter reiterlicher Einwirkung

Wie sind Empfindungen zu bewerten?

Lernen in Theorie und Praxis

Wie lernt ein Pferd?

Nicht assoziatives Lernen

Gewöhnung (Habituation)

Sensibilisierung (Sensitivierung)

Assoziatives Lernen

Klassische Konditionierung

Operante Konditionierung

Kognitives Lernen

Prägung

Einflussfaktoren auf die Lernbereitschaft

Lernfähigkeit und Motivation

Belohnungs- und Bestrafungsvarianten

Wie lange kann sich ein Pferd konzentrieren?

Zeitliche Koordination

Erhöhung des Lernerfolgs

Therapie und Prophylaxe von Problemverhalten

Therapie und Prophylaxe von Verhaltensstörungen

Haltung

Fütterung

Umgang

Zucht

Therapie und Prophylaxe von unerwünschtem Verhalten

Umgangs- und Ausbildungsmethoden

Medizinische Therapie und Schmerzbehandlung

Verhaltenstherapeutische Methoden

Umkonditionierung

Desensibilisierung

Extinktion von unerwünschtem

Verhalten

Vertrauensaufbau

Prophylaxe von unerwünschtem Verhalten

Problemverhalten im Stall

Funktionskreis Fressverhalten

Koppen

Zungenspiel und stereotypes Belecken von Gegenständen

Barrenwetzen und Gitterbeißen

Exzessives Benagen von Holz

Kot-, Erde- und Spänefressen

Polyphagie – Abnorm gesteigerte Fressgeschwindigkeit

Funktionskreis Lokomotionsverhalten

Weben

Stereotypes Laufen

Exzessives Scharren

Exzessives Schlagen gegen die Boxenabgrenzung

Funktionskreis Sozialverhalten

Fehlprägung und soziale Fehlentwicklung

Automutilation (Autoaggression)

Gesteigerte Aggressivität

Gesteigerte Aggressivität in der Gruppe

Sexuelle Aggressivität bei Hengsten

Maternale Aggressivität

Funktionskreis Komfortverhalten

Übermäßiges Schweifreiben

Übertriebene soziale Fellpflege

Stereotypes Kopfschlagen im Stall

Funktionskreis Ruheverhalten

Sich-Nicht-Legen

Atonischer Kollaps (Pseudonarkolepsie)

Apathie- und depressionähnliches Verhalten

Problemverhalten in Umgang und Nutzung

Unerwünschtes Verhalten im Umgang

Nicht-Einfangen-Lassen

Nicht-Führen-Lassen

Verladeprobleme

Probleme bei der Hufkorrektur

Aggressivität im Umgang (Beißen und Schlagen)

Unerwünschtes Verhalten bei der Nutzung

Zungenstrecken

Headshaking

Kleben

Scheuen

Steigen

Bocken

Sattelzwang

Service

Über die Autorinnen

Glossar

Verwendete und weiterführende Literatur

Websites/Online-Ressourcen

Bildquellen

Vorwort zur vierten Auflage

Pferde haben in vielen menschlichen Kulturen einen besonderen Stellenwert. Geschätzt für ihre Kraft, Trainierbarkeit, Zuverlässigkeit, Schnelligkeit und Anmut, spielten sie in der Geschichte der Menschheit stets eine bedeutende Rolle. Ursprünglich als Nahrungsquelle genutzt, kam Pferden bei der Domestizierung vor ca. 5.000 Jahren eine wichtige Rolle für die menschliche Migration zu. Die Domestizierung führte zu einer Verringerung der Reaktionsfähigkeit und der Fluchtdistanz, zu einer verstärkten Anpassung an die Haltung unter menschlicher Obhut und zu einer allmählichen Verbesserung von Eigenschaften, die dem Menschen einen Vorteil verschafften wie Geschwindigkeit und Kraft. Bis zum Mittelalter wurden Pferde vor allem für Transport, Krieg und Landwirtschaft eingesetzt, doch schon bald wurde das Reiten zu einer noblen Beschäftigung, die an den königlichen Höfen der Unterhaltung diente. Heutzutage werden Pferde in den westlichen Ländern hauptsächlich als Sport- und Freizeittiere genutzt, obwohl sie in vielen Regionen der Welt immer noch als Arbeitstiere eingesetzt werden.

Trotz intensiver Selektion auf verschiedene moderne Merkmale wie bestimmte Gangarten, Springvermögen und Aussehen sind das Verhaltensrepertoire und die Verhaltensbedürfnisse von Pferden durch die Domestikation relativ unverändert geblieben. Doch die Lebensbedingungen, die den Pferden in den letzten Jahrhunderten auferlegt wurden, stehen zum Teil im Widerspruch zu ihrem natürlichen Verhalten und können zu Tierschutzproblemen führen. Pferde, die evolutionär an das Leben in sozialen Gruppen, an eine fast kontinuierliche Aufnahme von nährstoffarmem Gras und an eine Fortbewegung über große Entfernungen bei geringer Geschwindigkeit angepasst sind, werden unter menschlicher Obhut mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert. Grund hierfür sind Haltungs- und Managementbedingungen, die stark von ihren natürlichen Bedürfnissen abweichen. Dazu zählen vor allem eine nicht pferdegerechte Fütterung, zu wenig Sozialkontakte sowie ein Mangel an freiem Auslauf. Als Folge davon entwickeln Hauspferde nicht selten stressbedingte Verhaltensstörungen wie Stereotypien und übermäßige Aggression.

Ein weiteres wichtiges Problem für das Wohlergehen von Hauspferden ist die Art und Weise, wie sie trainiert werden und an Wettkämpfen teilnehmen. Jüngste Forschungen haben gezeigt, dass Pferdebesitzer und Ausbilder nur über ein begrenztes Wissen über die Lerntheorie und die Auswirkungen verschiedener Ausrüstungen auf das Wohlergehen von Pferden verfügen. Dementsprechend weisen Forschungsergebnisse auf eine alarmierend hohe Inzidenz von nutzungsbedingten Schäden hin wie z. B. gebissbedingte Maulverletzungen.

Diese aktualisierte 4. Auflage des „Handbuchs Pferdeverhalten“ ist ein umfassendes Werk, das auf wissenschaftlichen und praxiserprobten Erkenntnissen basiert. Diese wurden leicht verständlich aufgearbeitet mit dem Ziel Pferdebesitzern, Reitern und Ausbildern zu ermöglichen, das Verhalten von Pferden besser zu verstehen. Darüber hinaus bietet das Buch neben konkreten Beispielen zur Haltungsoptimierung umfangreiche Informationen für ein pferdegerechtes Training einschließlich tiergerechter Korrekturmethoden, basierend auf den neuesten Erkenntnissen zum Lernverhalten von Pferden. Denn nur, wenn wir es besser wissen, können wir es auch besser tun! Dieses Buch ist für alle gedacht, die sich für Pferde begeistern.

Associate Professor Janne Winther Christensen

Pferdewissenschaftlerin und Ethologin Aarhus Universität, Dänemark

Geleitwort zur vierten Auflage

In den vergangenen rund 50 Jahren haben das Pferd und der Umgang mit ihm einen Boom erlebt, den sich in den 50er- oder 60er-Jahren wohl niemand hätte vorstellen können. Von einer zu Beginn der 60er Jahre fast zum Aussterben verurteilten Spezies hat sich der Pferdebestand hierzulande mit rund 1,2 Millionen Tieren mehr als verdreifacht. Bedingt war diese Entwicklung ausschließlich durch die Entdeckung des Pferdes als Partner für Sport und Freizeit. Dabei stehen heutzutage neben dem Sport mit dem Partner Pferd in verschiedenen Disziplinen auch immer häufiger andere Aktivitäten, wie die Arbeit am Boden oder das gemeinsame Spazierengehen im Fokus. Dass sich der Pferdesport in Deutschland weiterhin großer Beliebtheit erfreut, zeigt die Gesamtzahl von ca. 2 Millionen Menschen, die sich als aktive Pferdesportler bezeichnen. Davon sind aktuell rund 665.000 Reiter, Fahrer und Voltigierer in Vereinen organisiert.

Doch so erfreulich diese Entwicklung auch sein mag, so beachtenswert ist auch die Kehrseite. Denn von den vielen Menschen, die sich mit dem Pferd beschäftigen, hat eine zu große Zahl unzureichende Kenntnisse und Erfahrungen in Haltung und Umgang mit Pferden. So ist denn ein Großteil der Probleme in der Beziehung zwischen Mensch und Pferd auf die Unwissenheit der Menschen im Umgang mit dem Pferd zurückzuführen. Ein Umstand, dem auch die Deutsche Reiterliche Vereinigung e. V. (FN) seit vielen Jahren durch zahlreiche Maßnahmen und Projekte Rechnung trägt. So heißt es in den Ethischen Grundsätzen des Pferdefreundes der FN (Grundsatz Nr. 7): „Der Mensch, der gemeinsam mit dem Pferd Sport betreibt, hat sich und das ihm anvertraute Pferd einer Ausbildung zu unterziehen. Ziel jeder Ausbildung ist die größtmögliche Harmonie zwischen Mensch und Pferd.“

Dieser Grundsatz unterstreicht die Wichtigkeit der Aneignung von Wissen in der Verantwortung des Menschen gegenüber dem Partner Pferd als Voraussetzung für eine gelungene Kommunikation.

Das vorliegende Buch ist wegweisend für eine artgemäße Pferdehaltung sowie einen tiergerechten Umgang. Es zeichnet sich besonders dadurch aus, dass es unter Einbeziehung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht nur ausführlich die Ursachen und möglichen Therapien von Problemverhalten bei Pferden darstellt, sondern auch Wege aufzeigt, diese schon im Vorfeld zu verhindern. Dies ist deshalb besonders wichtig, weil aktuell das Tierwohl zunehmend im Fokus der Öffentlichkeit steht und immer mehr an Bedeutung gewinnt. Doch wenn man die natürlichen Bedürfnisse des Pferdes nicht kennt, es gar vermenschlicht, wird man dem Pferd kein guter Freund sein und das erhebende Gefühl von vollkommener, harmonischer Kommunikation zwischen Mensch und Pferd nie erleben dürfen.

Denn, so schmerzhaft diese Erkenntnis auch sein mag, das Problemverhalten von Pferden hat seinen überwiegenden Ursprung in den Fehlern des Menschen im Umgang mit ihm. Dabei ergehen sich die Autorinnen nicht in der heutzutage beliebten Pauschalisierung von Problemlösungen. Vielmehr zeigen sie die Notwendigkeit auf, sich detailliert und intensiv mit den Bedürfnissen des Pferdes, seinen natürlichen Verhaltensweisen und insbesondere mit seinem Ausdrucksverhalten auseinanderzusetzen, um so zu individuellen Lösungen zu gelangen.

Verkürzt auf einen einzigen Satz könnte die Quintessenz des Handbuches Pferdeverhalten denn auch lauten: Ausbildung und Wissen sind der Schlüssel für Tierschutz und Tierwohl!

Hans-Joachim Erbel

Präsident der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN)

Dr. Henrike Lagershausen

Leiterin der Abteilung Veterinärmedizin und Tierschutz der FN

Pferdeverhalten

Anpassungsfähigkeit des Pferdes an die Umwelt

Unter Anpassung oder Adaptation versteht man einen Vorgang, der Tiere und Pflanzen in ihrer Auseinandersetzung mit ihrer Umgebung formt, sodass sie ihre Gene weitergeben können. Auch die Pferde mussten sich über Millionen von Jahren immer wieder den wechselnden Umweltbedingungen anpassen. Nur diejenigen überlebten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt den gerade herrschenden Verhältnissen entsprechend gut angepasst waren („survival of the fittest“). Langfristig wurde dies über eine breite genetische Vielfalt erreicht. Dabei erhielten immer die Genotypen einen Selektionsvorteil, die mit den Umweltveränderungen am besten zurechtkamen. Sie konnten sich auch besonders gut fortpflanzen, sodass nach einer gewissen Zeit ihr Erbgut in ihrer Population am häufigsten vertreten war.

Nach der modernen Evolutionstheorie erfolgte die Umgestaltung zu neuen Equidenformen neben Mutationen in erster Linie durch natürliche Selektion. Auch in der nachfolgenden Haustierwerdung, der Domestikation, kam es zu einer Auslese. Sie wird künstliche Selektion genannt, da die Kriterien nicht wie bisher von der Natur, sondern vom Menschen festgelegt wurden. Wichtigstes Selektionskriterium war zu Beginn der Domestikation sicherlich die Anpassungsfähigkeit des Wildpferdes an das Leben unter menschlicher Obhut. In gewissem Maße sind unsere heutigen Hauspferde auch daran adaptiert. Dennoch stehen sie ihrer wilden Stammform näher als dies bei anderen Haustieren der Fall ist. Aus diesem Grund wird auch unter unseren derzeitigen Haltungsbedingungen eine ständige Anpassung vom Pferd gefordert. Im Verlauf der Ontogenese, das heißt die Individualentwicklung, versucht das Pferd ständig sich durch entsprechendes Verhalten darauf einstellen. Wie gut es ihm gelingt, hängt von vielen Faktoren ab. Zeigt das Pferd jedoch Verhaltensstörungen, ist dies ein Hinweis darauf, dass die Anpassungsgrenzen überschritten wurden. Sie sind eindeutige Indikatoren für nicht tiergerechte Haltungsbedingungen! Um zu erkennen, ab wann die Gefahr einer Überforderung der Adaptationsfähigkeit besteht, ist ein Blick in die stammesgeschichtliche Verhaltensentwicklung der Pferde nicht nur von wissenschaftlichem Interesse, sondern auch von großer praktischer Bedeutung.

Evolution

Entwicklung der Equiden

Die prähistorische Entwicklung lässt sich beim Pferd besonders gut verfolgen, da seine Stammesgeschichte über zahlreiche Fossilienfunde sehr gut dokumentiert ist. So kann die Evolution der Pferde nahezu lückenlos bis in das Eozän vor etwa 55 Millionen Jahren zurückverfolgt werden.

In dieser Epoche besiedelte die Gattung Hyracotherium Nordamerika, der Eohippus und noch andere bereits im Eozän ausgestorbene Equidengattungen Eurasien. Das Hyracotherium gilt als der früheste Vorfahre der heutigen Pferde. Sein Aussehen hatte jedoch noch wenig Ähnlichkeit mit dem heute lebender Equiden, denn er glich eher einer hornlosen Duckerantilope. Er war mit einer Widerristhöhe von 25 bis 45 cm lediglich fuchsgroß und hatte einen gewölbten Rücken. Am Vorderfuß besaß der eozäne Uhrahn vier, am Hinterfuß drei Zehen, die an ihrer Spitze hufähnliche stumpfe Nägel aufwiesen. Er lebte in den ehemals weit verbreiteten tropischen Regenwäldern und ernährte sich überwiegend von Blättern und Früchten. An diese Art der Nahrung war sein Gebiss angepasst. Es weist niedrige Zahnkronen und eine Kaufläche mit Höckern auf, mit denen lediglich quetschende Kaubewegungen möglich waren. Die Zahl der Ausgrabungsstücke in Nordamerika und Europa deuten darauf hin, dass das Hyracotherium ein weit verbreiteter Urwaldbewohner war, der überwiegend einzeln oder in kleinen Gruppen lebte. Die für Pferde typische soziale Organisation in Harems gab es ehemals noch nicht, was nach Franzen (2007) anhand der gleichen Größe der männlichen und weiblichen Tiere belegt werden kann.

Skelett des 50 Millionen Jahre alten Messeler Urpferdes (Propalaeotherioum parvulum) aus der Ölschiefergrube Messel am Odenwald. Der fossilierte Mageninhalt bestand aus Blättern.

Die weitere Entwicklung der Pferdeartigen (Equidae) verlief auf dem nordamerikanischen Kontinent, während alle Seitenstämme in Eurasien im Laufe der Evolution ausstarben. Sie war durch folgende morphologische Veränderungen geprägt:

• Zunahme der Körpergröße

• Reduktion der Seitenzehen bis zum Einhufer

• Umwandlung der niederkronigen Hökerzähne zu hochkronigen Backenzähnen mit komplexem Kauflächenmuster

Die Zunahme der Körpergröße erfolgte aus ökonomischen Gründen und stellte einen Selektionsvorteil dar. Das Längenwachstum der Beine war eine Folge dessen, ebenso die Reduktion der Seitenzehen. Diese Veränderungen des Körperbaus dürften nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen die Ursache für den Wechsel vom Urwald in offene Steppen-Savannengebiete gewesen sein.

Im Miozän begann der Übergang zur Grasnahrung. Fossilfunde der Grube Messel belegen, dass bereits vor etwa 25 Millionen Jahren die Wildvorfahren unserer Pferde über einen extrem vergrößerten Blinddarm zur besseren Verwertung zellulosereicher Nahrung verfügten. Der ehemals lebende etwa 90 bis 100 cm große Merychippus besaß bereits eindeutige Merkmale, die auf eine Anpassung an die Lebensbedingungen in der Steppe hinweisen. Damit waren nicht nur die anatomischen Änderungen im Gebiss und im Bau der Extremitäten verbunden, sondern auch umfassende physiologische und verhaltensmäßige Anpassungen. Dies bedeutet unter anderem den Aufbau komplexer Sozialstrukturen, denn in der offenen Steppe verbesserten sich in größeren Verbänden die Überlebenschancen für das Einzeltier.

Einen noch höheren Entwicklungsstand erreichte der Pliohippus, ein etwa eselsgroßer Grasfresser, vor etwa 5 bis 2 Millionen Jahren. Dies gilt insbesondere für die Ausbildung seiner Extremitäten. Als erste Gattung wies er durch Rückbildung der seitlichen Zehenstrahlen zu den Griffelbeinen die echte Einhufigkeit beziehungsweise „Monodactylie“ auf. Fortgeschrittene Entwicklungsstufen des Pliohippus sahen den heutigen Hauspferden bereits sehr ähnlich.

Aus dieser Gattung ging vor circa 4 Millionen Jahren der Dinohippus hervor. Er gilt nach derzeitigen Forschungsbefunden als direkter Vorfahre unserer heutigen Pferde. Zu Beginn des Pleistozäns und der damit einhergehenden Eiszeit gelangten seine Nachkommen über die damals noch bestehende Landbrücke nach Asien (Behringstraße) und weiter nach Europa und Afrika. Während die abgewanderten Equidenpopulationen sich auf dem eurasischen Kontinent den Umweltbedingungen anpassen konnten, starben die Nachfahren des Dinohippus in Nord- und Südamerika vor etwa 8 000 Jahren aus. Höchstwahrscheinlich waren die massiven Veränderungen von Klima und Vegetation die Ursache hierfür. Somit erfolgte die Weiterentwicklung der Pferde bis hin zu den heutigen Erscheinungsformen ab dem Pleistozän in Europa, Asien und Afrika. Die heute in Amerika lebenden Pferde wurden erst wieder im 16. Jahrhundert von den spanischen Eroberern zurück gebracht. Es handelt sich hierbei jedoch um domestizierte Pferde (Equus ferus caballus).

Bis in das mittlere Pleistozän zeigten die Vorfahren der „echten“ Pferde vor allem zebra- (zebrine), esel- (asinide) und halbeselartige (hemionide) Merkmale. Diese lange gemeinsame Entwicklungsgeschichte der Pferde mit Eseln, Halbeseln und Zebras begründet ihre enge Verwandtschaft. Sie gehören alle zu der gleichen Gattung Pferd (Equus), innerhalb der Familie der Pferdeartigen (Equidae). Die Hauspferde (equus ferus caballus) stammen alle von nur einer Wildpferdeart mit vielfältigem Erbgut ab (monophyletische Abstammungstheorie).

Im späten Pleistozän kam es vermutlich zu einer lang andauernden Isolation verschiedener Populationen und dadurch zur Ausbildung von Unterarten. Sie unterschieden sich in Abhängigkeit von den landschaftlichen und klimatischen Bedingungen des jeweiligen Verbreitungsgebietes in ihrer Körpergröße und ihrem Erscheinungsbild. So war die östliche und westliche Unterart relativ klein, die in Süd- und Mittelrussland vorkommende Variante dagegen größer. Die verschiedenen Populationen sollen jedoch nie ihre sexuelle Affinität verloren haben, was ihre Zugehörigkeit zu derselben Art beweist. Als einziger Vertreter der ehemaligen Unterarten lebt heute noch das Przewalskipferd, während die anderen ausgestorben sind. Das Hauspferd (Equus ferus caballus) soll aus den verschiedenen Unterarten des Urwildpferdes (Equus ferus) hervorgegangen sein.

Eohippus (Größe 35 cm) 4-zehig: Der Vorderfuß hatte 4 Zehen und einen Ballen.

Miohippus (Größe 60 cm oder größer) 3-zehig: Die Seitenzehen sind noch deutlich ausgeprägt.

Merychippus (Größe 90 cm) 3-zehig: Das Gewicht lastete vermehrt auf der mittleren Zehe.

Pliohippus (Größe 1,22 m) einzehig: Ein einziger (der mittlere) Zeh trägt das Körpergewicht.

Die wichtigsten Entwicklungsstadien der Equiden während der Evolution (nach Ebhardt 1958).

Die Stammformen der Equidae auf den verschiedenen Kontinenten im Laufe der Evolution (nach Franzen 2007).

Unter naturnahen Bedingungen beschäftigen sich Pferde täglich zwischen zehn bis 18 Stunden mit der Nahrungsaufnahme im Sozialverband unter steter langsamer Fortbewegung.

Arttypisches Verhalten und Besonderheiten der Wahrnehmung

Das arttypische Verhalten der Pferde ist das Ergebnis einer etwa 60 Millionen Jahre dauernden Entwicklung.

Die Evolution ist für das arttypische Verhalten aller Tierarten verantwortlich. Das Grundverhalten und der Körperbau der Pferde einschließlich der Ausprägung der Sinnesorgane (S. 20) sind somit das Resultat eines Millionen von Jahren im Erbgut verankerten Anpassungsprozesses. Mit drei Schlagworten lässt sich ihr typisches Verhalten beschreiben: Pferde sind Steppentiere, Herdentiere und Fluchttiere.

Steppentier

Wie aus der Evolution nachvollzogen werden kann, sind Pferde seit mindestens 25 Millionen Jahren grasfressende Steppenbewohner. Da diese Nahrung energiearm und rohfaserreich ist, mussten sie ihren täglichen Nährstoffbedarf über lange Fressdauern decken. Es ist also nicht „Verfressenheit“, sondern ein angeborenes Verhalten, wenn auch unsere Hauspferde das Bedürfnis haben, ca. 15 Stunden am Tag Nahrung aufzunehmen.

Eng mit dem Fressverhalten verbunden ist das Bewegungsverhalten, denn das Grasen ist an ein stetes Vorwärtsgehen gekoppelt. Die Wildvorfahren unserer Pferde bewegten sich demzufolge zwecks Nahrungsaufnahme etwa zwei Drittel des Tages im langsamen Schritt. Auf diese kontinuierliche Bewegung sind der Körperbau, die Physiologie und das Verhalten ebenfalls seit Millionen von Jahren ausgelegt. Aus diesem Grund haben auch unsere heutigen Pferde einen täglich vielstündigen Bewegungsbedarf in einer ruhigen Gangart.

Steppenartige Landschaften weisen alle ein gemeinsames Charakteristikum auf: Es herrscht eine hohe nächtliche Wärmeabstrahlung. Die Folge sind große Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht. Seit Millionen von Jahren sind Pferde an derart extreme Klimaverhältnisse angepasst. Sie verfügen somit über eine hervorragende Thermoregulation. Auch unsere heutigen Pferde verkraften nach wie vor Hitze und Kälte sowie Temperaturunterschiede besser als alle anderen Haustiere. Doch nicht nur die Temperaturen sind in Steppenlandschaften extrem, sondern auch die Sonneneinstrahlung. Pferde sind auch daran seit Millionen von Jahren adaptiert. Sie vertragen Licht nicht nur sehr gut, sie haben auch einen hohen Lichtbedarf.

Herdentier

Pferde dürften ebenfalls seit mindestens 25 Millionen Jahren im engen Sozialverband mit Artgenossen leben, denn in offenen Landschaften überwiegen für Fluchttiere und wehrlose Pflanzenfresser die Vorteile der Gemeinschaft deren Nachteile. So sehen und hören viele Augen- und Ohrenpaare mehr als die eines Tieres. Nur in der Gruppe konnte das einzelne Pferd seinen verschiedenen Bedürfnissen in ausreichendem Maße nachgehen und musste nicht ständig „auf der Hut“ sein. Daraus folgt, dass auch unsere Hauspferde sich nur sicher fühlen, wenn sie engen Kontakt zu ihren Artgenossen haben. Dieses Bedürfnis nach Sozialkontakt und einem Leben in der Gemeinsamkeit mit anderen Pferden ist angeboren und essenziell für das Wohlbefinden von Pferden, wie zahlreiche Studien belegen.

Fluchttier

Die beste Verteidigung des Pferdes vor Feinden war über Millionen von Jahren die Flucht. Beweis hierfür war die immer stärker werdende Spezialisierung der Zehenspitzen bis hin zum Huf. Auf eine schnelle Flucht ausgerichtet sind jedoch nicht nur die Beine und Körperfunktionen (Herz-Kreislaufsystem, Atmungstrakt usw.), sondern auch die Sinnesorgane des Pferdes, denn je früher es den Feind bemerkte und fliehen konnte, desto höher waren seine Überlebenschancen.

Die Fluchtreaktion erfolgt nach einem „Angeborenen Auslösenden Mechanismus“ (AAM) und ist genetisch tief verankert. Durch Erfahrungen kann die Reaktion des Pferdes auf Angst einflößende Situationen im positiven wie im negativen Sinne verändert werden. Das Verhalten wird dann von dem „Erworbenen und Angeborenen Auslösenden Mechanismus“ (EAAM) bestimmt. Durch Gewöhnung und Belohnung im richtigen Moment kann man viele Situationen, die dem Pferd Angst einflößen, entschärfen und somit die Fluchtreaktion eindämmen beziehungsweise unterbinden.

Pferde müssen die Möglichkeit haben, während des Reitens nach vorne zu blicken.

Das bin- und monokulare Gesichtsfeld des Pferdes (nach Brückner 1995).

Die Flucht ist auch heute noch die erste Reaktion des Pferdes auf Angst, Schreck und Bedrohung. Als Pferdehalter sollte man sich deshalb stets vor Augen halten, dass ein fliehendes Pferd Angst hat. Es dafür zu strafen wäre der falsche Weg, dies würde die Furcht nur noch steigern. Es wäre auch falsch, das Pferd wegen seiner Fluchtreaktion als feige zu erklären. Pferde sind keine Jäger so wie beispielsweise Katzen, die stehen bleiben, weil ein Geräusch sie interessiert. Es ist ein normales Verhalten, wenn ein Pferd bei Gefahr zunächst davonläuft und erst nach einer gewissen Distanz stehen bleibt, um die Sachlage einzuschätzen. Nur wenn keine Fluchtmöglichkeit mehr besteht, wendet sich ein Pferd der Gefahr zu und verteidigt sich durch Ausschlagen oder Beißen.

Das Gesichtsfeld des Pferdes nach vorne wird bei der Rollkur (Hyperflexion) extrem stark eingeschränkt.

Sehen – Hören – Riechen

Besonderheiten der Sinnesorgane und Wahrnehmung beim Pferd im Vergleich zum Menschen

1. Sehen

• Gesamtgesichtfeld ist mit nahezu 360° deutlich größer als beim Menschen (circa 200°).

• Das Auge des Pferdes ist auf Weitsicht eingestellt („Panormablick“).

• Bereich des räumlichen Sehens ist mit circa 60 – 70° (Binokularfeld) kleiner als beim Menschen (circa 120°).

• Räumliches Sehen ist weniger genau als beim Menschen.

• Nur im Binokularfeld können Pferde Entfernungen (Hindernisse, Gegenstände) abschätzen.

• Blinde Zone liegt im Bereich der Nüstern und davor sowie hinter dem Pferd entlang des Rückens.

• Die Sehschärfe ist geringer als beim Menschen.

• Naheinstellung des Auges (Akkomodation) ist schlechter als beim Menschen.

• Dämmerungssehen ist deutlich besser als beim Menschen.

• Anpassung an rasche Helligkeitsänderungen (Adaptationsgeschwindigkeit) ist langsamer als beim Menschen.

• Adaptationsbreite an starke Helligkeit und tiefe Dunkelheit ist größer als beim Menschen.

• Das Farbsehen der Pferde ist relativ gut entwickelt, aber das Spektrum ist geringer als beim Menschen, da sie Dichromaten mit einer Gelb /Blau /Weiß-Präferenz sind. Rot ist für Pferde keine Alarmfarbe!

• Bewegungssehen ist beim Pferd (20 – 30 Bilder/s) deutlich besser als beim Menschen (5 Bilder/s).

Besonderheiten:

• Plötzliche und unnatürliche Bewegungen oder Bewegungen am Rande des Gesichtsfelds wirken alarmierend auf das Pferd und können Flucht auslösen.

• Die Wahrnehmung mit den Augen ist bei Pferden im Unterschied zum Menschen je Seite weitgehend voneinander unabhängig. Fremde Objekte betrachten Pferde bevorzugt mit dem linken Auge (visuelle Lateralität).

2. Hören

• Aufnahmekapazität von Schallwellen ist größer als beim Menschen.

• In der Wahrnehmung leiser Geräusche ist das Pferd dem Menschen überlegen.

• Geräusche im hohen Frequenzbereich hören Pferde besser, im tiefen dagegen schlechter als Menschen.

• Pferde nehmen auch Töne im Ultraschallbereich wahr, Menschen hingegen nicht.

• Die meisten Töne hören Pferd und Mensch gemeinsam:

– Hörbereich des Pferdes: 60 – 33 500 Hertz

– Hörbereich des Menschen: 20 – 20 000 Hertz.

3. Riechen

• Das Riechvermögen des Pferdes ist sehr gut. Es liegt zwischen dem des Menschen (Mikrosmatiker) und dem des Hundes (Makrosmatiker).

• Der Geruchssinn spielt bei Pferden eine wichtige Rolle in allen Verhaltensfunktionskreisen (unter anderem Sozial-, Sexual-, Mutter- /Kind-, Fress-, Trink- und Ausscheideverhalten).

Domestikation

Morphologische und ethologische Veränderungen

Domestikation bedeutet Haustierwerdung, das heißt die Umwandlung eines Wildtieres in ein Haustier. Die erste Domestikation von Wildtieren erfolgte bereits vor dem Jahre 12 000 v. Chr. Den Anfang machte der Hund, gefolgt von Schaf, Schwein, Ziege und Rind, erst viel später kam das Pferd. Somit dürfte der damalige Mensch, als er anfing Pferde zu domestizieren, schon über ausreichend Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügt haben.

Wo und wann der Mensch erstmals damit begann, Pferde zu domestizieren ist bis heute Gegenstand der Forschung und noch nicht abschließend geklärt. Nicht gesichert ist die bisherige Annahme, dass vor circa 4000 Jahren v. Chr. die Ukraine der Ort der Erstdomestikation war. Neuere molekulargenetische Untersuchungen weisen darauf hin, dass die Domestikation des Pferdes an verschiedenen Stellen ihres weiten Verbreitungsgebietes während des 5. Jahrtausends v. Chr. stattfand. So wies Jansen (2002) Domestikationszentren in Mittel- beziehungsweise Nordeuropa, in Nordafrika und auf der iberischen Halbinsel nach. Der früheste, archäologisch gesicherte Beweis für die Domestikation des Pferdes ist ein Streitwagengrab südlich des Urals, was auf circa 2000 v. Chr. datiert wurde. Dieser Fund ist jedoch nicht mit dem Beginn der Erstdomestikation gleichzusetzen.

Die Haustierwerdung erforderte vom Pferd eine Anpassung an neue Lebensbedingungen. Man stellt sich ihren Ablauf folgendermaßen vor: Zunächst wurden kleine Pferdegruppen gefangen und ausbruchsicher eingepfercht. Der Mensch versorgte die Tiere mit Nahrung, gab ihnen Schutz vor natürlichen Feinden und setzte vielfach auch ihre Neigung zu Auseinandersetzungen herab. Sorgsam wurde verhindert, dass sich die eingefangenen Tiere wieder mit der wilden Stammform vermischten. Man behielt nur die Pferde, die nicht zu gefährlich im Umgang waren, die die Annäherung des Menschen duldeten und sich mit der Zeit zähmen ließen.

Es wurden also nur solche Pferde domestiziert, die sich an die Haltungsbedingungen des Menschen anpassen konnten. Dies zu erreichen war ein langwieriger Prozess, der sich über viele Generationen erstreckte. Das Resultat waren genetisch fixierte Änderungen im Erscheinungsbild und im Verhalten. Letztere wurden aber nur modifiziert. Keine Verhaltensweise, die sich im Laufe der Evolution entwickelt hatte, ging durch die Domestikation völlig verloren.

Durch die Domestikation kam es zu Änderungen von morphologischen und ethologischen Eigenschaften. Sie führte aber nur zu quantitativen Verhaltensänderungen, ohne dass dadurch Verhaltensweisen verloren gingen oder neu geschaffen wurden. Letztlich ist also das ursprüngliche Verhalten der Pferde auch nach der Domestikation erhalten geblieben.

Wie groß ist das Ausmaß dieser Veränderungen, wie unterscheiden sich die heutigen Pferde von ihrer Wildform? Diese Frage ist schwierig zu beantworten, da es keine über Generationen frei lebenden „echten“ Wildpferde mehr gibt. In Betracht kämen nur die Przewalskipferde. Doch nach verschiedenen neueren Untersuchungen gilt es als unwahrscheinlich, dass sie der echte Wildvorfahre unserer Hauspferde sind. Darüber hinaus können die Tiere in Semi-Reservaten und Auswilderungsstationen (derzeit circa 2000) nicht ohne Weiteres zum Vergleich herangezogen werden. Zu kurz ist noch die Zeit der Rückgewöhnung an das Leben in freier Natur. Zudem gehen alle noch lebenden Przewalskipferde auf ursprünglich lediglich 13 Tiere zurück, wobei ein unbestimmter Anteil „domestizierten Blutes“ vorhanden ist. Ungeeignet als Vergleich sind auch die sogenannten „Wildpferde“ beispielsweise in den USA oder Australien, da es sich bei ihnen lediglich um verwilderte Hauspferde und nicht um einen echten Wildvorfahren handelt. Gleiches gilt für Tarpan und Konik wie Lovász und Mitarbeiter (2021) ermittelten.

Man kann die Frage daher nur beantworten, wenn man sich auf die bekannten Unterschiede zwischen domestizierten Tieren und ihrer Wildform, wie sie bei Herre und Röhrs (1990) beschrieben werden, bezieht und diese auf Pferde überträgt. Danach dürfte sich das heutige Hauspferd von seinem Wildvorfahren wie folgt unterscheiden:

1. Das Hauspferd ist zahmer als die ehemalige Wildform. Die vermehrte Zahmheit ist angeboren.

Diese Feststellung bezieht sich darauf, dass Haustiere nicht nur individuell, sondern auch in ihrer Gesamtheit eine geringere Scheu als ihre Wildvorfahren aufweisen.

2. Das Hauspferd ist weniger aggressiv als seine ehemaligen Wildvorfahren.

Man geht davon aus, dass zu Beginn der Haustierzeit die Menschen ruhige, beherrschbare Tiere bevorzugten. Nur diese wurden zur Zucht weiterverwendet, sodass im Laufe der Jahre das weniger aggressive Verhalten genetisch fixiert wurde.

Unabhängig davon, ob Przewalskipferde der Wildvorfahre unserer Hauspferde sind oder nicht, ist ihre innerartliche Aggressivität höher als die des domestizierten Pferdes.

3. Die Sinnesleistungen sind im Vergleich zur Stammform vermindert.

Die Gehirne der Haustiere haben durch die Domestikation in relativ kurzen Zeiträumen tiefgreifende Veränderungen erfahren. Diese führten unter anderem zu einer starken quantitativen Abnahme der übergeordneten Systeme, der limbischen Strukturen und der optischen Zentren. Die domestikationsbedingten Hirnveränderungen dürfen aber nicht als Degeneration im negativen Sinne gewertet werden. Es ist vielmehr eine erblich gesteuerte, sinnvolle Anpassung an die geänderten Umweltbedingungen. So ist beispielsweise eine Abnahme der Wachsamkeit, die ja auf Sinnesleistung beruht, bei Hauspferden mit einer geringeren Fluchtbereitschaft gekoppelt. Dies erleichtert zum einen dem Menschen den Umgang und die Nutzung des Pferdes als Reit-, Trag- und Zugtier. Zum anderen bringt es dem Pferd Vorteile, und zwar im Sinne einer Stressminderung, denn es muss weniger oft „auf der Hut sein“.

4. Hauspferde zeigen eine wesentlich größere Vielfalt in Größe, Farbe und Leistung als ihre Stammform.

Die durch natürliche Selektion einer Region angepassten Wildpferde waren alle gleichfarbig, gleich groß und ähnlich leistungsfähig. Der Mensch setzte andere Maßstäbe als die Natur und schuf durch züchterische Selektion im Laufe der vergangenen 5000 Jahre Pferderassen nach seinen Vorstellungen. Auswahlkriterien waren unter anderem Farbe, Abzeichen, Größe, Zugkraft, Schnelligkeit und Springvermögen.

Obwohl das Pferd mittlerweile seit etwa 5000 Jahren domestiziert ist, haben sich sein Verhalten und seine Anforderungen an die Lebensbedingungen, die sich im Laufe seiner Evolution über Millionen von Jahren entwickelten, nicht wesentlich geändert. Arttypisch sind:

• Leben in der Gruppe mit Artgenossen

• Nahrungsaufnahme über mindestens 12 Stunden je Tag mit nur kurzen Fresspausen

• Bewegung im Schritt über etwa 16 Stunden je Tag

• Flucht bei Gefahr in die Weite

• Sehr gute Kälte- und Hitzeverträglichkeit

Rassetypische Merkmale

Die Basis der Zucht unserer heutigen Pferde waren die ehemals nach der Eiszeit vorhandenen, geographisch getrennt lebenden Wildpferdepopulationen. Diese verfügten über eine hohe genetische Varianz und waren den Bedingungen ihres Ursprungslandes bestens angepasst. Darauf aufbauend entstanden im Laufe der Zeit gemäß der wirtschaftlichen Bedürfnisse und Liebhabereien des Menschen die verschiedenen Kulturrassen. Das Erscheinungsbild unserer heutigen Hauspferde ist dabei weniger von den verschiedenen Wildpferdeformen abhängig, als vielmehr von den züchterischen Maßnahmen des Menschen in den vergangenen Jahrhunderten. Allerdings herrschte in Europa bis in das 17. Jahrhundert hinein eine weitgehend nicht-selektive Kreuzungszucht vor. Erst mit dem Einsetzen der Industrialisierung wurden spezielle Methoden entwickelt, um einen bestimmten Nutzungstyp zu züchten.

Die verschiedenen Pferderassen lassen sich durch bestimmte Merkmale wie Exterieur, Leistungseigenschaften, Verhalten usw. voneinander abgrenzen. Einige dieser Rassen kann man zu Gruppen mit ähnlichen morphologischen (Körperbau, Größe) und charakterlichen (unter anderem Temperament) Eigenschaften zusammenfassen, was in den gebräuchlichen Bezeichnungen Pony, Kalt, Warm- und Vollblut zum Ausdruck kommt. Diese können für die Praxis von Bedeutung sein, wissenschaftlichen Kriterien hält diese Differenzierung jedoch nicht Stand. Es ist außerdem zu beachten, dass es wegen der allgemein üblichen Einkreuzungen heute keine Typen im klassischen Sinne mehr gibt und die überwiegende Mehrzahl der Pferde Anteile der verschiedenen Pferdetypen in sich trägt.

Ponys

Typisch für „echte“ Ponys sind runde Formen, eine große Kruppenbreite in Relation zur Widerristhöhe, üppige Mähnen- und Schweifbehaarung, gerades Nasenprofil, breite Stirn, kurze Ohren und die Tendenz zur Kleinwüchsigkeit. Die meisten von ihnen wie Shetland- und Exmoorponys haben eine gute Kältetoleranz, da sie im Winter eine dichte Unterwolle ausbilden. Das derbe, Regenwasser ableitende Deckhaar schützt sie zusätzlich bis zu einem gewissen Grad vor Nässe. Viele Ponys sind „gute Futterverwerter“ und neigen auf nährstoffreichen Weiden zum Verfetten. Zu dicke Ponys haben ein erhöhtes Risiko am Equinen metabolischen Syndrom und /oder an Hufrehe zu erkranken. Im Umgang sind sie in der Regel sehr lernfähig und nervenstark. Hervorzuheben ist ihre große Ausdauer. Durch ihr kompaktes, abgerundetes Gebäude, den muskulösen, hoch aufgesetzten Hals sowie die kurzen Gliedmaßen bieten sie das Bild eines kräftigen kleinen Reitpferdes. Problematisch ist allerdings die Tendenz zur Ausbildung eines flachen Widerrists (instabile Sattellage). Außerdem erschwert die oftmals starke Unterhalsausbildung gepaart mit geringer Ganaschenfreiheit die dressurmäßige Beizäumung. Nachteilig kann sich auch ihr starker Herdentrieb auswirken. Ponys neigen besonders gerne zum „Kleben“. Auf harte Behandlungsmethoden reagieren sie oft auch aggressiv.

Typische Ponys sind genügsam, ausdauernd und sehr lernfähig (Exmoor Pony).

Kaltblüter

Das Exterieur des Kaltblüters spiegelt seinen Verwendungszweck als starkes Trag- und Zugtier wieder. Charakteristisch für den ursprünglichen Typus sind ein massiger Körperbau, „gespaltene“ Kruppe, schwerer grober Kopf, kleine Augen, schmale Stirn und Ramsnase. Für den Einsatz im Reitsport ist der klassische Typ mit dem tief angesetzten Hals und engen Ganaschen weniger geeignet. Dafür sind sie ausgesprochen trittsicher im schwierigen Gelände. Kaltblüter zeichnen sich im Allgemeinen durch Gelassenheit und Gutmütigkeit aus. Ihr Bewegungsbedürfnis ist beim nicht veredelten Typ eher gering.

Charakteristisch für den Kaltblüter sind neben dem massigen Körperbau Gutmütigkeit und ein relativ geringes Bewegungsbedürfnis (Süddeutsches Kaltblut).

Warm- und Vollblut

Warm- und Vollblüter sind größer gebaut als Ponys und leichter als Kaltblüter. Ihre Behaarung ist im Sommer kurz und fein, im Winter bilden sie relativ wenig Unterwolle aus. Dennoch können sie bei ausreichend energiereicher Fütterung und einem vor Durchnässung schützenden Unterstand auch im Winter bei Außentemperaturen gehalten werden. Zuchtziel von Warm- und Vollblütern war von jeher die Reiteignung und Leistungsfähigkeit (Schnelligkeit, Ausdauer, Springvermögen usw.). Insbesondere veredelte Warmblüter und Vollblüter haben daher ein hohes Bewegungsbedürfnis. Derart „hoch im Blut stehende“ Pferde neigen in vermehrtem Maße zu hoher Erregbarkeit. Sie sind deshalb für Verhaltensstörungen besonders disponiert. Bei der traditionellen Boxenhaltung fallen sie überdurchschnittlich oft durch teils aggressive oder andere unerwünschte Verhaltensweisen wie Schlagen gegen die Boxenwand, Beißen gegen Gitterstäbe usw. auf. Manche Warm- und Vollblüter haben auch eine auffallend große Individualdistanz und zeigen eine relativ hohe innerartliche Aggressivität. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass soziale Verträglichkeit zu keiner Zeit ein Zuchtkriterium in unserer Reit- und Rennpferdezucht war. Zudem werden sie bereits seit Generationen überwiegend in Einzelhaltung gehalten, wo es den Pferden häufig nur eingeschränkt möglich ist, ihre sozialen Verhaltensweisen zu konditionieren.

Eine Sonderform ist der Arabische Vollblüter. Er ist durch einen besonders zierlichen Körperbau mit schmaler Kruppe, einem fein ausgebildeten, kurzen Kopf mit konkavem Nasenprofil sowie kleine Ohren, große Augen und Nüstern gekennzeichnet. Typisch ist weiterhin die hohe Kopf-Hals-Haltung. Araber haben von allen Pferderassen das höchste Bewegungsbedürfnis, gepaart mit großer Reaktionsschnelle. Charakteristisch für sie ist ihre außerordentliche Sensibilität und leichte Erregbarkeit, wobei der Fluchtreflex schnell ausgelöst werden kann. Sie sind allerdings sehr menschbezogen. Aus diesem Grund kann bei richtiger Behandlung, basierend auf vertrauensbildenden Maßnahmen, ihre hohe Erregbarkeit in ruhige und zuverlässige Bahnen gelenkt werden. Araber sind kontaktfreudig und sehr umgänglich sowie meist sehr sozialverträglich. Bei Haltungsfehlern zeigen sie eine besondere Neigung zu Bewegungsstereotypien wie Weben und Boxenlaufen (s. S. 140).

Vollblüter und veredelte Warmblüter können bei Unzulänglichkeiten in Haltung und Umgang schnell zu hoher Erregung neigen (Deutsches Reitpferd).

Hohe Sensibilität und ein großes Bewegungsbedürfnis zeichnen den Araber aus (Arabisches Vollblut).

Lebenstüchtige Fohlen beginnen wenige Minuten nach der Geburt mit den ersten Aufstehversuchen. Die hochgewölbten seitlichen Zungenränder sind ein Zeichen für Saugbereitschaft.

Individualverhalten

Unter Individualentwicklung (Ontogenese) versteht man in der Biologie die Entwicklung eines Lebewesens von der befruchteten Eizelle bis hin zum Tod. Die Verhaltensontogenese ist ein Teilbereich davon und umfasst die Herausbildung und Änderung von Verhaltensweisen im Verlauf des Lebens. Denn, wie alle Organe und physiologischen Funktionen, unterliegt auch das Verhalten genetisch festgelegten, entwicklungsbedingten Veränderungen, die auf Reifung und Lernen beruhen. Letztere ermöglichen dem Tier die individuelle Anpassung an die speziellen Lebensbedingungen. Dabei entwickelt sich das Verhaltensrepertoire selten kontinuierlich über das gesamte Leben. Es gibt Phasen, in denen es sich stark erweitert (Jugendstadien) sowie Phasen, in denen das Verhaltensrepertoire über lange Zeit konstant bleibt (Adultstadium) oder wieder eingeschränkt wird (Alter).

Unter Reifung versteht man, wenn angeborene Verhaltensweisen ohne Lernen vervollkommnet werden. Dazu gehören beispielsweise das Aufstehen, Stehen, Laufen, Saugen und Wiehern. Demgegenüber muss das Tier für Verhaltensweisen, die auf Lernvorgängen beruhen, Erfahrungen machen. Die meisten Verhaltensweisen sind eine Kombination aus Reifungs- und Lernprozessen wie beispielsweise das Aufstehen und Stehen. Der Ablauf ist angeboren, doch die Verfeinerung der Verhaltensweisen, das heißt wie man am besten dazu die Beine stellt und das Gleichgewicht hält, beruhen bereits auf Lernprozessen. Die Assoziation zwischen Verhalten und seinen Folgen erfolgt meist sehr schnell, oft schon nach einem einzigen Versuch. So ist die Eutersuche „in irgendwelchen dunklen Winkeln“ angeboren, doch das Auffinden des Euters ist ein Lernprozess. Beim ersten Tropfen Milch beginnt sofort der Lernprozess und die Belohnung motiviert dazu, das Euter immer zielgerichteter zu finden.

Der Zeitabschnitt der stärksten Verhaltensänderungen ist die Jugendentwicklung. In dieser Phase verfügen alle Lebewesen über eine maximale Lernfähigkeit. Die biologische Bedeutung hierfür ist leicht erkennbar. Während der frühen Jugend kommt das Tier im Familienverband besonders eng mit seinen Artgenossen (Eltern und andere Familienmitglieder) zusammen und kann deshalb die für das spätere Leben erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen leichter sammeln als etwa nach Auflösung des Familienverbandes. Für die Anpassungsfähigkeit des einzelnen Individuums an die Gegebenheiten seiner Umwelt ist es daher von Vorteil, wenn es für derartige Eindrücke gerade in diesem Zeitabschnitt besonders empfänglich ist.

Angeborene und erlernte Verhaltensweisen nach der Geburt

Sofort

• Abreißen der Nabelschnur, Einsetzen von Atmung und Thermoregulation

• Befreiung aus den Eihäuten

• Prägungsbeginn auf die Mutter und auf die eigene Art

Nach wenigen Minuten

Aufstehversuche

Nach circa 10 – 60 Minuten

Erstes Stehen

Nach circa 40 Minuten

Visuelle und akustische Orientierung

Nach circa 30 – 120 Minuten

Eutersuche Angeboren:

• Suche nach dunklen Winkeln

• Druck- und Stoßbewegungen zur Nahrungsquelle

• Saughaltung, Saugreflex, Schluckreflex

Lernen: Auffinden des Euters

Nach circa 30 – 120 (420) Minuten

Erstes Saugen

Nach circa 30 Minuten

• Erkundungs- und Neugierdeverhalten (Belecken und Beriechen von Gegenständen, Flehmen, Scharren)

• Komfortverhalten (Fellpflege, Wälzen)

• Agonistisches Verhalten, Unterlegenheitsgebärde

Nach circa 60 (- 180) Minuten

Koten

Nach circa 100 Minuten

Spielverhalten (solitäre Spiele)

Nach circa 120 Minuten

Harnen

Innerhalb des ersten Tages

Bewegung in allen Gangarten

(Dillenburger 1982; Waring 1983; Schäfer 1993)

Pferde sind schon von Geburt an relativ selbständig und sehr lernfähig. Deshalb wird das neugeborene Fohlen auch als Prototyp des echten Nestflüchters bezeichnet. So beginnt die Prägung auf die Mutter, ein spezieller Lernvorgang, gleich nach der Geburt und ist oft schon nach wenigen Stunden erfolgreich abgeschlossen. Weiterhin lernt das Fohlen unabhängig von der Rasse bereits kurz nach der Geburt koordiniert aufzustehen, sich wieder hinzulegen und mehr oder weniger zielgerichtet das Euter aufzusuchen. Gesunde Fohlen können schon am ersten Lebenstag ihrer Mutter und dem Familienverband über relativ lange Strecken in allen Gangarten folgen.

Unter unseren Haltungsbedingungen wird die Ontogenese der Pferde stark vom Menschen beeinflusst. Insbesondere die Gegebenheiten und Einwirkungen von Haltung und Ausbildung wirken sich stark prägend auf ihr zukünftiges Verhalten aus. Positive wie negative Erfahrungen werden bereits im Mutterleib und von der ersten Lebensstunde an gesammelt und im Pferdegedächtnis unwiderruflich abgespeichert. Deshalb ist eine gute Aufzucht von größter Bedeutung für die Individualentwicklung von Pferden. Als Beispiel sei das Absetzen des Fohlens genannt. Beschreitet man hier einen Weg, der sich an der ursprünglichen Lebensweise der Pferde orientiert, wird auch der erforderliche Loslösungsprozess des Fohlens von der Mutter ohne Trauma von statten gehen. Zu einer starken psychischen Belastung für das Fohlen kann es hingegen kommen, wenn das Absetzen abrupt oder ohne weiteren Kontakt zu bekannten Artgenossen erfolgt. Das negative Erlebnis kann so tiefgreifend sein, dass dadurch der Grundstein für eine zukünftige Verhaltensstörung gelegt beziehungsweise eine solche ausgelöst wird.

Das Gesamtverhalten (Persönlichkeit) eines Pferdes ist abhängig vom

•angeborenen Verhalten Einflussfaktoren:

– Erbanlagen als Folge der Evolution (arttypisch)

– Erbanlagen als Folge der Domestikation und späteren Rassenbildung

– Erbanlagen als Folge der Anpaarung (Genpool der Elterntiere) und der nachfolgenden Genneukombination

•erworbenen Verhalten (Erfahrungen im Laufe des Lebens, Ontogenese) Einflussfaktoren:

– Haltung und Fütterung

– Umgang und Ausbildung

Wissenschaftliche Untersuchungen in Deutschland und der Schweiz belegen, dass das Risiko, eine Verhaltensstörung zu entwickeln, bei Pferden während der Aufzuchts- und Ausbildungsphase besonders hoch ist. Es wurde nachgewiesen, dass 80 % der stereotypierenden Reitpferde das gestörte Verhalten während der ersten sechs Lebensjahre entwickelten. Allgemein gilt, dass schlechte Erfahrungen, die während der ersten Lebensjahre gemacht wurden, sich besonders nachhaltig auswirken. Deshalb ist Problemverhalten aus dieser Zeit nur sehr schwierig, mitunter sogar überhaupt nicht mehr zu therapieren. In der Regel gilt, dass schwierige oder verhaltensgestörte Pferde nicht als solche geboren, sondern dazu gemacht werden, sei es durch Haltung, durch Erziehung oder durch beides.

Anpassungsgrenzen des Verhaltens und Alarmsignale

Überforderung der Anpassungsfähigkeit

Fazit vorangegangener Ausführungen ist, dass das Pferd sich seit Millionen von Jahren permanent den wechselnden Lebensbedingungen anpassen musste. Immer wieder gelang ihm die Adaptation, manchmal wurden aber auch die Anpassungsgrenzen überschritten. So starben während der Evolution, wo die natürliche Selektion das Überleben diktierte, ganze Seitenstämme wegen mangelnder Angepasstheit aus. Das ist heute unter menschlicher Obhut nicht mehr der Fall, sieht man von möglichen Fehlzüchtungen ab. Doch sind Verhaltensstörungen weniger ernst zu nehmen? Nach dem Bedarfsdeckungs- und Schadensvermeidungskonzept von Tschanz (1993) sind Lebewesen zum Selbstaufbau und Selbsterhalt befähigt und können demzufolge aktiv oder passiv Schaden vermeiden. Ob dies einem Lebewesen gelingt, ist daran abzulesen, ob sein Körper oder seine Körperorgane sowie sein Verhalten im Rahmen der Norm einer Gruppe von Individuen liegen, welche die gleichen Eigenschaften haben und eine Fortpflanzungsgemeinschaft bilden. Reaktive Verhaltensstörungen (S. 140) können den Selbstaufbau, die Selbsterhalt und die Fortpflanzung einschränken oder sogar unmöglich machen. Es sind somit Kennzeichen für Lebensumstände, die dem Pferd ein Überleben erschweren oder unmöglich machen. Demzufolge sind Verhaltensstörungen, die auf Unzulänglichkeiten in der Haltung und beim Umgang zurückzuführen sind, ein ernst zu nehmendes Zeichen. Da sie bei wild lebenden Pferden nicht beobachtet werden, allerdings bei bis zu 15 % unserer Hauspferde, ist davon auszugehen, dass die Ursache bei nicht ausreichend tiergerechten Haltungsbedingungen zu suchen ist.

Das Fressbedürfnis des Pferdes wird bei rationierter Fütterung auf Sägespäneeinstreu nicht befriedigt. Angenagte und abgeschabte Boxenwände sind, sofern das in der Box gehaltene Pferd der Verursacher ist, ein eindeutiger Indikator für den Stresszustand des Tieres.

Reaktive Verhaltensstörungen setzen jedoch in der Regel nicht von heute auf morgen ein. Es gibt Vorboten, die darauf hinweisen und diese gilt es zu erkennen! Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Angeborenermaßen hat ein Pferd das Bedürfnis sich mindestens 12 Stunden über den Tag verteilt mit der Nahrungsaufnahme zu beschäftigen. Demgegenüber verbringen Pferde unter unseren Haltungsbedingungen oftmals nur einige wenige Stunden am Tag mit Fressen. Für dieses Verhalten besteht jedoch eine sehr hohe Motivation, die auch nicht vorübergeht, wenn kein Futter da ist. Das Pferd versucht nun, sich dieser Situation anzupassen. So beginnen einige Tiere sich alternativ mit der Nahrungsaufnahme zu beschäftigen, indem sie die Holzabtrennung benagen oder die Einstreuspäne beknabbern. Andere hingegen bleiben unauffällig – so scheint es jedenfalls –, denn sie verbringen die Zeit mit Ruhen und Dösen. In beiden Fällen liegt der Versuch vor, sich an die Gegebenheiten zu adaptieren. Während die zweite Variante vom Menschen wohlwollend akzeptiert wird, ist bei der ersten Form das Alarmsignal offensichtlich, wird aber häufig lediglich als „Unart“ abgetan.

Dieses Beispiel zeigt, dass manche Pferde unter unzulänglichen Haltungsbedingungen noch „Normalverhalten“ zeigen, während andere Tiere bereits offenkundige Verhaltensabweichungen aufweisen. Wann kommt es zu einer Überschreitung der Anpassungsgrenzen? Hierzu ist grundsätzlich zu sagen, dass eine Störung erst dann eintritt, wenn es dem Pferd in Abhängigkeit von seiner individuellen (genetischen) Veranlagung nicht mehr gelingt, durch eine Anpassung seines Verhaltens die Situation zu meistern. Erst, wenn keine Gewöhnung und kein Entweichen mehr möglich sind, kann die Flucht in eine Verhaltensstörung die Folge sein.

Die ersten Alarmsignale, die uns Pferde zeigen, zählen anfangs noch zum Normalverhalten. Doch treten sie gehäuft auf, kann sich hieraus eine Verhaltensstörung entwickeln. Die Alarmsignale sind dabei das sichtbare Kennzeichen für den emotionalen Zustand, in dem sich die Tiere befinden. Es ist ein Zustand höchster Erregung. Auf Dauer geht dieser in chronischen Stress über. Dieser ist nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft Hauptursache für die Entwicklung einer Verhaltensstörung.

Aus der Wissenschaft

Bekannt ist, dass Verhaltensauffälligkeiten dem Stressabbau dienen können mit dem Ziel, das Ungleichgewicht zwischen gutem Befinden und Stress zu kompensieren. Wissenschaftler an der Technischen Universität München-Weihenstephan stellten sich die Frage, ob die erhöhte Aktivität von Pferden vor der Kraftfuttergabe wie Kopfschlagen, Gähnen, Lecken und Kauen der Stressreduzierung dient oder ob es sich um Vorfreude handelt. Sie ermittelten, dass derartige Verhaltensauffälligkeiten vor allem in Betrieben mit knappem Raufutterangebot vorkommen. Die Forscher stellten zudem fest, dass die Pferde meist ca. 20 Minuten vor der bevorstehenden Fütterung mit der erhöhten Aktivität beginnen, um diese dann bis zur Kraftfuttergabe stetig zu steigern. Dieses Verhalten weist auf Stress hin, ebenso auch die ermittelten Herzfrequenzvariabilitätswerte. Somit deuten die Befunde darauf hin, dass sich die Vorfreude bei den Pferden in Abhängigkeit von der Zeitdauer bis zur tatsächlichen Futtervorlage in Frustration umwandelt. Wie lange der Zeitraum dauern darf, um vor der Kraftfuttergabe Konflikt- oder Frustrationssituationen zu vermeiden, ist Gegenstand weiterer Forschungsarbeit. Es wird jedoch die Empfehlung ausgesprochen, Raufutter vor der Kraftfutteraufnahme zu geben bzw. es möglichst ad libitum zur Verfügung zu stellen.

Situationen und Alarmsignale

Inadäquate Haltung und Fütterung führen zu chronischer Frustration und /oder Deprivation. Darüber hinaus stellen sie, ebenso wie ein nicht tiergerechter Umgang, die Tiere wiederholt vor unlösbare Konfliktsituationen. Für die Praxis ist es wichtig, die ersten Alarmsignale der Pferde in einer solchen Situation zu erkennen und entsprechend im Sinne einer Optimierung von Haltung und Umgang zu reagieren. Deshalb sollen nachfolgend die diesbezüglichen Lebensumstände und die zu beobachtenden auffallenden Verhaltensweisen näher erläutert werden.

Frustration

Eine Frustration ist der emotionale Zustand einer Enttäuschung. Bei Pferden besteht die Frustration häufig darin, dass die Tiere durch unsere Haltung daran gehindert werden, angeborene Verhaltensbedürfnisse in arttypischer Weise zu befriedigen. In einer Frustrationssituation hat das Tier somit eine hohe Motivation für ein bestimmtes Verhalten, kann aber die entsprechende Endhandlung nicht ausführen.

Ein Mangel an Raufutter oder sozialem Kontakt, an Bewegung und Erkundungsmöglichkeiten kann zu chronischer Frustration führen. Meist führt dieser Zustand zu hoher Erregung. Manche Tiere beginnen ansatzweise im Kreis zu laufen, andere an den Gitterstäben zu wetzen oder gegen die Boxenwände zu schlagen. Frustration löst häufig Aggression aus. Je nach Temperament kann aber auch depressives Verhalten die Folge sein.

Das apathische Verhalten der Tiere ist deutlich schwieriger zu erkennen. Es soll aber nach ersten Untersuchungen von Fureix und Mitarbeiter (2012) in der Boxenhaltung nicht selten vorkommen. Ein Viertel, der von ihnen untersuchten Pferde wiesen Symptome auf, die denen einer menschlichen Depression ähnlich sind (S. 241).

Deprivation

Unter Deprivation beziehungsweise Erfahrungsentzug versteht man die Vorenthaltung von Erfahrungen. Bekannt ist die soziale Deprivation, die ehemals auch als Methode genutzt wurde, um Informationen über angeborenes und erworbenes Verhalten zu gewinnen (Kaspar-Hauser-Experiment).

Ein Beispiel für Deprivation bei Pferden ist die isolierte Aufzucht eines Fohlens ohne Artgenossen. Die Folge ist eine soziale Fehlentwicklung, die so weit gehen kann, dass das Fohlen Angst vor der eigenen Art hat. Eine solche Situation gibt es in der Praxis in aller Regel nicht. Es genügt aber bereits, wenn dem Fohlen während seiner Aufzuchtphase nur stark begrenzt Sozialkontakt zu anderen Artgenossen gewährt wird, wie es bei einer ausschließlichen Mutter /Kind-Haltung der Fall ist.

Nur im Herdenverband können Fohlen das Ausdrucksverhalten ihrer Art in allen Varianten erlernen. Allgemein gilt, dass Säugetiere ihr soziales Verhalten in der Jugend üben müssen, da ansonsten die dazugehörigen Verhaltensmuster nicht mehr zur vollen Entwicklung kommen. Es scheint auch, dass ab einem bestimmten Alter die Tiere ein ehemaliges Defizit nicht mehr nachholen können.

Ein Mangel im sozialen Verhalten ist also praktisch nicht mehr nachlernbar. Ursache hierfür dürften Entwicklungsstörungen im Gehirn während der frühen Ontogenese sein. Deprivation im Sozialverhalten führt beim Pferd zu Verständnisschwierigkeiten im Ausdrucksverhalten von Artgenossen mit nachfolgend großen Problemen in der Gruppenhaltung und im Paarungsverhalten.

Konfliktsituationen

In einer Konfliktsituation sind zwei nicht miteinander vereinbare Motivationen gleichzeitig und etwa gleich stark aktiviert. Das daraus resultierende Verhalten bezeichnet man als Konfliktverhalten. Nicht miteinander vereinbare Motivationen sind zum Beispiel „Meiden /Annäherung“ (Flucht /Angreifen). Auch in freier Wildbahn sind Pferde Konfliktsituationen ausgesetzt. Aber im Gegensatz zu denen unter menschlicher Einwirkung sind diese in der Regel immer lösbar.

Hierzu ein Beispiel: Ein paarungsbereiter Hengst nähert sich einer Stute in der Vorrosse. Gleichzeitig sind zwei Motivationen aktiviert: Die Libido, die eine Annäherung verlangt und das angeborene Sozialverhalten, das zum Meiden veranlasst, denn der Hengst weiß aus Erfahrung, dass die Stute ausschlagen kann, wenn er ihre Individualdistanz unterschreitet. Der Konflikt ist für den Hengst lösbar, auch wenn die Stute nicht paarungsbereit ist. Er gibt sein Vorhaben auf und wendet sich einer anderen Tätigkeit mit nächst höherem Stellenwert, zum Beispiel dem Fressen, zu.

Man kann am Verhalten der Tiere erkennen, ob sie sich in einer Konfliktsituation befinden. Sie zeigen in diesem Fall entweder ambivalentes Verhalten, umorientierte Bewegungen oder Übersprungverhalten. Bei ersterem treten zwei verschiedene Verhaltensweisen im raschen Wechsel auf, zum Beispiel Fressen und Flucht. Diese Situation kann im Fressbereich von Gruppenhaltungen gegeben sein, wenn die Fütterung über Automaten zeitlich stark limitiert ist oder zu wenige Fressplätze vorhanden sind.

Das ambivalente Verhalten, das manche subdominante Tiere zeigen, indem sie immer wieder den Versuch starten an den Futterplatz zu gelangen, doch gleich darauf wieder umkehren, ist ein Indikator für Stress. Benachteiligungen stellen somit für das betroffene Tier einen ständig sich wiederholenden Konfliktzustand dar.

Zu umorientierten Bewegungen kommt es, wenn ein Verhalten durch ein Objekt aktiviert wird, aber an diesem nicht ablaufen kann. Dies ist ebenfalls in der Gruppenhaltung zu beobachten, wenn begehrte Ressourcen begrenzt sind. So möchte ein Pferd an die Fütterungseinrichtung, welche aber von einem dominanteren Tier bereits belegt ist. Das unterlegene Tier wagt nicht dieses Pferd anzugreifen, dafür reagiert es sich an einem dahinterstehenden, an sich unbeteiligten Pferd ab. Man bezeichnete dieses Verhalten ehemals auch als „Radfahrerreaktion“.

Wiederholtes Gähnen, außerhalb des Kontextes Ruheverhalten, ist ein Indikator für Stresssituationen verschiedenster Art. Man kann es nicht selten während der Futtererwartung beobachten.

Alarmsignal für Stress in der Haltung ist kurzfristiges Wetzen an den Boxenwänden. Deren Abnutzung gibt deutliche Hinweise.

Alarmsignale für eine nicht pferdegerechte Haltung und Fütterung, einschließlich Situation

Situation

Alarmsignal

Frustration

Kurzfristiges Kreis Laufen, Gitterstäbe Wetzen, Schlagen gegen die Boxenwände etc., vermehrtes Ruhen beziehungsweise Dösen, apthisches Verhalten

Soziale Deprivation

a) Abseitsstehen, kein Anschluss an Gruppe (Angst)

b) Der Situation nicht angemessenes Beißen oder Schlagen nach Artgenossen (Angstaggression)

Konflikt

a) Ambivalentes Verhalten, zum Beispiel Annäherung /Flucht im Wechsel am Fressplatz

b) Umorientierte Bewegungen: Beißen und Schlagen nach Unbeteiligten

c) Übersprungverhalten: Leerkauen, Lecken, horizontales und vertikales Kopfschlagen, Kopfschlenkern, hastiges Fressen, Gähnen, Scharren mit dem Vorderbein, Schütteln, unvollständiger Wälzvorgang, Buckeln etc.

Unter Übersprungverhalten versteht man ein Verhalten, das der aktuellen Situation nicht angepasst ist. Es handelt sich hierbei um Verhaltensweisen, die normalerweise zielgerichtet ausgeführt werden und einem Funktionskreis zuzuordnen sind. Als Übersprungverhalten werden sie jedoch in einem veränderten Kontext ohne Funktionsbezug gezeigt. Beispiel hierfür wäre Kopfschlagen außerhalb des Kontext Komfortverhalten oder Gähnen außerhalb des Kontext Ruheverhalten. Übersprungverhalten tritt auch immer dann auf, wenn eine starke Motivation sich nicht entladen kann. Das kann zum einen in Form von Leerlaufbewegungen (beispielsweise Leerkauen ohne Substrat) der Fall sein, wenn der zum Funktionskreis passende Schlüsselreiz für das Verhalten fehlt. Zum anderen kann die Übersprunghandlung das Ventil für eine überschüssige Handlungsbereitschaft sein. Beispiel hierfür wäre das Belecken des Futtertrogs nach der so schmackhaften Kraftfutteraufnahme. Deshalb können wir sowohl in, als auch im Anschluss an Konfliktsituationen Übersprungverhalten beobachten. Nach der Stresssituation dient es aus ethologischer Sicht dem Spannungsabbau. Dazu zählt unter anderem das „Abkauen“ des Pferdes am Ende des Join up.

• Eine Überschreitung der Anpassungsgrenzen kann eintreten, wenn

– die Haltung es dem Pferd nicht erlaubt, angeborene Verhaltensweisen auszuleben. Bei vorhandener Motivation ist es dem Tier nicht möglich, die adäquate Endhandlung (z. B. Motivation zu fressen → Futtersuche → Fressen) auszuführen, die Folge davon ist starke Erregung und auf Dauer chronischer Stress,

– der Umgang mit dem Pferd in der Ausbildung und Nutzung das Anpassungsvermögen des Tieres wiederholt überfordert.

• Pferde signalisieren uns ihren Stresszustand anhand von Alarmsignalen.

• Situationen, die zu Frustration, Deprivation sowie unlösbaren Konflikten führen, disponieren auf Dauer zu reaktiven Verhaltensstörungen.

Angeborene Verhaltensweisen – Konsequenzen für Haltung und Umgang

Voraussetzung für eine verhaltensgerechte Haltung und einen pferdegerechten Umgang ist die Kenntnis des natürlichen Verhaltens des Pferdes. Fast ausnahmslos ist Problemverhalten auf Fehler bei der Aufstallung und Fütterung, Aufzucht, Ausbildung und gegenwärtigen Nutzung zurückzuführen. Aus diesem Grund ist das Wissen um die Verhaltensbedürfnisse der Pferde die Grundlage für eine erfolgreiche Prophylaxe und Therapie von Problemverhalten.

Das nachfolgend dargestellte Ethogramm beziehungsweise Verhaltensinventar gibt einen Einblick über die essenziellen Verhaltensweisen des Pferdes. Nur wenn diese befriedigt werden, kann das Tier physisch und psychisch im Einklang mit der „künstlichen“ Umwelt und dem „Sozialpartner“ Mensch leben. Die Darstellung des Ethogramms (Verhaltensinventar) erfolgt wie in der Ethologie (Verhaltenskunde) üblich, durch Aufgliederung in einzelne „Funktionskreise“. Jeder dieser Funktionskreise beinhaltet verschiedene Verhaltensweisen des Normalverhaltens, die sich nach Zweck, Motivation und Bezugsobjekten gleichen. Beispielsweise enthält der Funktionskreis Fressverhalten die Dauer und Art der Nahrungssuche, die Nahrungsauswahl und -aufnahme sowie die dazu erforderliche Körperhaltung. Da die Einteilung nach funktionellen Zusammenhängen erfolgt, können Überschneidungen der Verhaltenselemente eines Funktionskreises mit einem anderen vorkommen. So dient die Abgabe von Kot einerseits der Ausscheidung von Stoffwechselprodukten (Funktionskreis Eliminationsverhalten), andererseits auch bei Hengsten zur Demonstration der sozialen Stellung (Funktionskreis Sozialverhalten).

Die Einteilung der Verhaltensweisen nach Funktionskreisen hat didaktische Vorteile und hilft Fehler in Haltung und Umgang zu erkennen. So können Bedürfnisse nur im eigenen Funktionskreis befriedigt werden. Das heißt, eine noch so gute Bedürfniserfüllung in einem Funktionskreis kann einen Mangel in einem anderen nicht ausgleichen. Demnach ist es zum Beispiel nicht möglich, durch eine optimale bedarfs- und verhaltensgerechte Fütterung Defizite im Bewegungsverhalten zu kompensieren.

Da haltungs- und umgangsbedingte Verhaltensanomalien immer dann auftreten, wenn das Anpassungsvermögen der Pferde überschritten wird, ist die Kenntnis ihrer Verhaltensbedürfnisse je Funktionskreis bei der Suche nach der Ursache sehr hilfreich. Deshalb ist es die Zielsetzung des anschließenden Kapitels, die angeborenen Verhaltensweisen der Pferde näher zu analysieren und daraus Konsequenzen für Haltung und Umgang abzuleiten. Für jeden Funktionskreis werden die prädisponierenden Faktoren für Problemverhalten aufgezeigt und Lösungsmöglichkeiten für die Behebung gegeben.

Die in den nachfolgenden Kapiteln beschriebenen angeborenen Verhaltensweisen der Pferde stammen aus Beobachtungen, die entweder an artverwandten Equiden oder an Hauspferden, die in freier Wildbahn (unter anderem Mustangs) beziehungsweise halbwild (unter anderem Koniks, Camargue-Pferde, New Forest Ponys) oder unter naturnahen Haltungsbedingungen leben, gewonnen wurden. Als Artverwandte sind das Steppen- und das Bergzebra zum Vergleich besonders geeignet, da sie eine ähnliche soziale Organisationsform aufweisen wie Przewalski- und Hauspferde. Maßgebliche Erkenntnisse basieren diesbezüglich auf Beobachtungen von Klingel (1972).

Tagesablauf frei lebender Pferde

Angeborene Verhaltensweisen

Der Tagesablauf freilebender Pferde ist geprägt durch die Langzeitaktivitäten Fressen, Fortbewegung und Ruhen im Sozialverbund. Unter natürlichen Lebensbedingungen verbringen sie mit 50 bis 75 % den größten Teil des 24-Stunden-Tages mit der Nahrungsaufnahme unter langsamer Fortbewegung.

Danach nehmen Stehen im wachen beziehungsweise dösenden Zustand mit 5 bis 20 % beziehungsweise 10 bis 20 % und die Lokomotion, unabhängig von der Fortbewegung beim Fressen, mit etwa 3 bis 16 % die meiste Zeit in Anspruch. Für andere Verhaltensweisen wie Liegen, Trinken, Komfort-, Spiel-, Erkundungsverhalten usw. wird vergleichsweise wenig Zeit aufgewendet.

Viele Tätigkeiten wie Fressen und Ruhen werden dabei von den Pferden gemeinsam ausgeführt. Die Ursache für diese Synchronisation ist die sogenannte Stimmungsübertragung. Diese erfolgt auf der Basis von Spiegelneuronen. Sie stellen die Grundlage für die Fähigkeit dar, sowohl motorisch nachzuahmen, was andere tun, als auch die Absichten anderer zu erkennen. Stimmungsübertragung ist ein sinnvolles Verhalten, insbesondere bei Herdentieren. Beispiel hierfür wäre die zeitgleiche Flucht freilebender Pferde vor Raubtieren. Dadurch wird deren Selektion erschwert und die Überlebenschance für das Einzeltier erhöht. Stimmungsübertragung dient somit der Arterhaltung. Das Verhalten darf nicht mit Nachahmung verwechselt werden, denn es beruht nicht auf einem Lernvorgang.

Die meisten Verhaltensweisen unterliegen, ähnlich wie auch physiologische Prozesse, einer Tagesrhythmik (circadiane Rhythmik), die von endogenen („innere Uhr“) und exogenen Faktoren (Licht, Temperatur etc.) gesteuert wird. Zeitgeber ist vor allem der tägliche Licht-Dunkel-Wechsel. Er gewährleistet, dass bestimmte Aktivtäten jeweils zur optimalen Tageszeit stattfinden. Ebenso wirken sich jahreszeitliche Einflüsse (circannuale Rhythmik) auf das Verhalten von Pferden aus. Beispiel hierfür ist das Sexualverhalten der Stuten. Sie zeigen ihre Paarungsbereitschaft mit zunehmender Tageslichtlänge am deutlichsten. Aber noch für einige andere Verhaltensänderungen ist die circannuale Rhythmik verantwortlich. So ergaben Untersuchungen zur Jahresrhythmik an naturnah gehaltenen Pferden, dass das jahreszeitliche Maximum der Nahrungsaufnahme im Frühjahr und Herbst liegt. Im Sommer ist die Bewegungsaktivität am größten. Hingegen scheinen Pferde im Winter eine Art Energiesparstrategie zu verfolgen, indem sie Bewegungsaktivität und Stoffwechsel reduzieren. Erste Befunde hierzu gibt es nicht nur für Przewalskipferde, sondern auch für Ponys. Die endogene Natur der Rhythmen ermöglicht dem Tier nicht nur auf Umweltänderungen zu reagieren, sondern sich schon im Vorfeld auf eine bevorstehende Phase einzustellen. So wird bereits im Frühjahr oder Spätsommer mit zunehmender oder abnehmender Tageslichtlänge der Fellwechsel (Sommer- beziehungsweise Winterfell) eingeleitet.

Zeitbudget der Pferde am 24-Stunden-Tag bei unterschiedlicher Haltung und Fütterung (nach Duncan 1980; Kiley-Worthington 1989).

Konsequenzen für Haltung und Umgang

Abweichungen vom natürlichen Zeitbudget

Unter menschlicher Obhut unterscheidet sich der Tagesablauf der Pferde je nach Haltungsform und Nutzung mehr oder weniger stark vom natürlichen Aktivitätsrhythmus. Die Abbildung Seite 35 zeigt das Zeitbudget von Pferden, die einerseits unter naturnahen Bedingungen in der Camargue und andererseits unter menschlicher Obhut (Laufstall, Box) leben. Die Gegenüberstellung zeigt, dass Pferde im Freiland etwa 60 % des 24-Stunden-Tages mit Fressen und lediglich 20 % mit Stehen verbringen. Das entspricht ihrem angeborenem Verhalten. Bei Boxenhaltung mit Heu und Stroh ad libitum verringert sich der Zeitanteil für die Beschäftigung mit der Nahrungsaufnahme um ein Viertel auf 47 %, im Gegenzug verdoppelt sich die Zeitdauer für Stehen im wachen und dösenden Zustand (40 %). Besonders drastisch ist die Situation bei rationierter Heuzuteilung und strohloser Haltung wie es in der Praxis nicht selten vorkommt. Die aufgewendete Zeit für die Nahrungsaufnahme beträgt unter solchen Bedingungen nur noch 16 %, dafür stehen die Pferde fast 70 % des Tages. Derartige Abweichungen vom natürlichen Zeitbudget gilt es in der Haltung unbedingt zu vermeiden. Sie disponieren zu Problemverhalten aller Art! Die fehlende Bedürfnisbefriedigung in den verschiedenen Funktionskreisen führt zu chronischer Frustration verbunden mit hoher Erregung oder Apathie und Stress. Die ersten Alarmsignale hierfür sind Leerlauf- und Übersprungbewegungen. Sie enden bei disponierten Pferden in reaktiven Verhaltensstörungen.

Voraussetzung für ein ausgeglichenes Verhalten ist, dass die Pferde ihr natürliches Zeitbudget für die verschiedenen Aktivitäten auch unter Haltungsbedingungen einhalten können. Dies gilt insbesondere für die Langzeitaktivitäten Fressen, Ruhen und Fortbewegung sowie soziale Kontakte.

• Pferde haben das angeborene Bedürfnis, sich im Sozialverbund etwa 60 % des Tages mit der Nahrungsaufnahme unter langsamer Fortbewegung zu beschäftigen und lediglich 20 % der Zeit mit Stehen.

• Viele Verhaltensweisen sind aufgrund Stimmungsübertragung mit den Gruppenmitgliedern synchronisiert.

• Eine zu starke Abweichung der einzelnen Aktivitäten vom natürlichen Zeitbudget führt zu mangelhafter Bedürfnisbefriedigung, hoher Erregung und chronischem Stress. Es ist die Hauptursache von reaktiven Verhaltensstörungen.

Sozialverhalten

Als Sozialverhalten wird die Gesamtheit aller Verhaltensweisen bezeichnet, welche die Interaktionen zwischen Individuen im Sinne von Konkurrenz und Kooperation begleiten. Hierzu gehören das agonistische Verhalten (Aggression, Drohung, Beschwichtigung und Vermeidung) und das affiliative Verhalten (Bindungsverhalten, soziopositives Verhalten) einschließlich Stimmungsübertragung.

Angeborene Verhaltensweisen

Soziale Organisation und Gruppengröße