Herausforderung Energie - Nikolaus Graf Kerssenbrock - E-Book

Herausforderung Energie E-Book

Nikolaus Graf Kerssenbrock

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Beschreibung

Damit Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähig bleiben, muss die entscheidende Frage schleunigst geklärt werden: Wie sieht die Energieversorgung von morgen aus? Welche Maßnahmen müssen Unternehmen und Gemeinden schon heute ergreifen? Aktuelle Entwicklungen wie Trassenkonflikte, der Ausstieg aus der Kernenergie oder wachsender Bedarf zeigen: Zur Lösung dieser strategischen Herausforderungen müssen Entscheider aus Wirtschaft, Politik, Kommunen, Verbänden, aber auch aus Bürger- und Verbraucherkreisen ganz besondere Kompetenzen und Fähigkeiten entwickeln. Dass da noch viele im »Blindflug« unterwegs sind, ist nicht deren Schuld: Für das Auto muss jeder einen Führerschein haben - aber für die wichtigste strategische Zukunftsfrage gibt es keine Anleitung? Es liegt auf der Hand: Alle, vom Vorstandsvorsitzenden bis hinunter zum einfachen Stromkunden brauchen einen »Energieführerschein«. Die Autoren zeigen daher nicht nur die möglichen Szenarien, deren Konsequenzen und die entscheidenden Faktoren für die Energieversorgung von morgen. Sie ermöglichen es den Lesern darüber hinaus, einen solchen »Führerschein« zu machen. Dieser versetzt in die Lage, zentrale Entwicklungen, Trends und Optionen der Energiezukunft zu erkennen und die entsprechenden Handlungsstrategien für den eigenen Bereich abzuleiten.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
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1. Auflage 2015
© 2015 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Lektorat: Bärbel Knill, Landsberg am Lech
Umschlaggestaltung: Maria Wittek und Isabella Dorsch, München
Umschlagabbildung: shutterstock.com
Satz und E-Book: Grafikstudio Foerster, Belgern
ISBN Print 978-3-86881-600-6
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86414-750-0
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86414-749-4

Inhalt

Vorwort zum Führerschein
1 Was man nicht sieht, kann man nicht managen
2 Die Zukunft ist ein Falschfahrer
3 Der Blick über den Tellerrand: Vier Szenarien
4 Das Trenduniversum: Chancen von morgen
5 Raus aus der Denkfalle: Wild Cards
6 Strategische Implikationen: Zukunft gestalten
7 Der Transfer: Vom Wissen zur Kompetenz
Nachwort
Danksagung
Über die Autoren
Literatur
Endnoten

Vorwort zum Führerschein

»What is a government without energy? (…) Nothing – nothing at all.«1

Mark Twain

Gehen bei uns bald die Lichter aus? Teurer sind sie ja schon geworden. Doch nicht nur Kunden haben Grund zur Klage. Auch auf Anbieterseite sorgt man sich. Während ehemals prosperierende Energiekonzerne ums Überleben kämpfen und sich ganze Landkreise, wie ehedem bei den Bauernrevolten, gegen Stromtrassen erheben, stellen sich zum Beispiel kommunale Energieversorger und Stadtwerke die bange Frage: Welches Businessmodell hat überhaupt noch eine Zukunft?

Das Menetekel ist an die Wand geworfen. Alle, die mit Energie auch nur im Entferntesten zu tun haben, kennen es: Der Energiesektor steht aktuell vor dem größten Strukturbruch seit Thomas Alva Edison. Nie zuvor in der Geschichte der Energieerzeugung und -versorgung wurden unter größerer Unsicherheit höhere Summen in neue Technologien investiert und ganze Regierungsprogramme dazu (um)geschrieben: Energie ist entscheidend. Energie ist staatstragend. Energie ist das Geschäft der Zukunft.

Spricht man von Energie, plant man nicht in Jahren, sondern in Jahrzehnten. Man rechnet in Milliarden, nicht Millionen. Man denkt nicht national, sondern weltweit. Energie ist für Zukunftsorientierte das zentrale Thema der nächsten Jahrzehnte. Bislang ging es bei diesem Thema um Fragen wie: Woher kommt sie und wie kommt sie zum Verbraucher, zur Industrie? Inzwischen jedoch fragen wir uns mehr und mehr: Schaffen wir Wandel und Transformation? Meistern wir die Herausforderung Energie?

Wer die hitzigen Diskussionen verfolgt, bekommt alles Mögliche, aber sicher nicht den Eindruck, dass hinter den hochfliegenden Visionen ein Mastermind oder ein Generalplan steht. Einmal ganz zu schweigen von dem beschönigenden Begriff »Versorgungssicherheit«. Stattdessen erleben wir mit unschöner Regelmäßigkeit Hektik, Improvisation, Aufruhr und die permanente Revision von eben noch als »unumstößlich« deklarierten Plänen. Das führt zu großer Unsicherheit bei allen Beteiligten.

Ein erboster Vertriebsstratege zum Beispiel beschwerte sich einmal in informeller Runde, dass jeder Autofahrer einen Führerschein benötige, für Fragen der Energiewirtschaft und -politik jedoch leider keiner für nötig erachtet werde. Worauf ein Vorstandsmitglied aus der Runde ergänzte, dass es eben noch keinen Führerschein für die Zukunft gebe. Das ist des Pudels Kern.

Da konzipieren, planen, kalkulieren, controllen, politisieren, entscheiden, verabschieden und investieren viele Zehntausend Experten, Politiker und Interessenvertreter täglich ruhelos für die Energie der Zukunft und die Zukunft der Energie. Aber einen Führerschein für die wichtigste Sache in unserem Leben, für die Zukunft, hat keine(r).

Natürlich stimmt das nicht ganz: Es gibt immerhin inzwischen sogar einige studierte Zukunftsforscher. Aber wie viele kennen Sie?

Jeder Fachkompetente hat einen Abschluss, ein Zertifikat, ein Diplom für das, was er tut. Für die (Energie-)Zukunft haben wir keines. Deshalb wurde dieses Buch geschrieben: als Führerschein für die Zukunft.

Denn bei einem Führerschein für jedwedes Gefährt geht es immer darum, eine hinreichende, komplexe Maschine zu beherrschen, die in einem meist vieldimensionalen Umfeld bedient wird. Wie in der Energiewirtschaft. Daher macht es Sinn, wenn man sich intensiv mit der Maschine (der eigenen Organisation) und dem Umfeld (Markt) beschäftigt und hier sozusagen einen »Führerschein« macht. Nach der letzten Seite haben Sie ihn: Ihren Führerschein für Zukunftskompetenz – die Schlüsselkompetenz der Zukunft. Der Energieführerschein ist für Vorstände und Leader, für Managerinnen und Manager, für Strategen, Vertriebsexperten, Marketingleiter und Direktoren, eben für die Entscheider von heute und morgen. Bereit zur ersten Fahrstunde?

1Was man nicht sieht, kann man nicht managen

»Jede Generation braucht eine neue Revolution.«

Thomas Jefferson, dritter US-Präsident

Das richtige Instrument zur richtigen Zeit

Wenn man mit Entscheidungsträgern aus Wirtschaft und Politik über die Zukunft diskutiert, kommt irgendwann immer der Einwand mit der Unsichtbarkeit: Die Zukunft kann niemand sehen. Wie soll man etwas managen, das man nicht sehen kann?

Zwar hat die Zukunft noch keine(r) von uns gesehen – außer vielleicht Nostradamus. Aber genau deshalb setzen Entscheider viele Instrumente ein, um die Zukunft sichtbar zu machen: Prognosen zum Beispiel. Auch eine Trend­extrapolation hat jeder schon einmal betrieben, der ein Jahresbudget oder die Vertriebsprognose fürs nächste Quartal erstellt hat. In die Zukunft hat jeder schon geschaut, der seinen Urlaubskoffer gepackt hat: Wie wird das Wetter? Lieber auf Nummer sicher gehen und noch den warmen Pulli einpacken. Sie finden, das seien sehr hemdsärmelige Methoden der Vorausschau? Sie würden sich wundern.

Vielmehr: Sie wundern sich sicher nicht. Denn Sie wissen nur zu gut, wie die Praxis aussieht. Immer wieder bestätigen uns Entscheidungsträger, dass sie zum Beispiel die Trendextrapolation nicht gerade für die modernste und zuverlässigste Methode halten. Aber immerhin gebe sie eine erste Orientierung und sei schnell und kostengünstig. Ist sie das? Genau da liegt das Problem. Sie ist es nicht, zumindest nicht immer.

In Zeiten mit relativ stabilem Umfeld kann man einen Trend linear extrapolieren und erhält einen relativ zuverlässigen Blick in die Zukunft. Denn das Strickmuster der Zukunft in stabilem Umfeld lautet: mehr desselben, alles beim Alten, Zeitstabilitätshypothese. Erkennen Sie den logischen Fehler?

Auf der einen Seite wissen wir, dass wir in dynaxen Zeiten leben, also in Zeiten, die zugleich sehr dynamisch und hoch komplex sind. Manche sprechen auch von der VUCA-Ära – einem Zeitalter aus Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität. Und andererseits verwenden wir Methoden der Vorausschau, die nur in einem stabilen Umfeld funktionieren?

Methoden wie die Trendextrapolation funktionieren in stürmischen Zeiten nicht.

Denn in stürmischen Zeiten regiert nicht der Trend, sondern der Strukturbruch, die strategische Überraschung, die Wild Card (dazu später mehr). Was heißt das?

Richtiges Instrument, richtige Zukunft

Die Zeiten haben sich geändert, aber viele verlassen sich noch zu sehr und einzig und allein auf die alten Instrumente.

Der Einsatz ungeeigneter Instrumente der Zukunftsforschung führt in der Regel nicht zur Erkenntnis ihrer fehlenden Eignung, sondern zu einer Scheinsicherheit, die Fehlentscheidungen nach sich zieht.

Anders ausgedrückt: Das Instrument determiniert das Ergebnis. Mit einem Hammer kann ich keine Zündkerze aus dem Motorblock drehen. Versteht man diesen Zusammenhang, versteht man auch die herrschenden Zustände im Energiesektor und in vielen anderen Branchen besser.

Wohlgemerkt: Instrumente wie die Trendextrapolation sind nicht per se ungeeignet. Sie liefern auch jenseits ihrer eigentlichen Validitätsgrenze verlässliche Aussagen – insbesondere wenn sie mit anderen Instrumenten kombiniert werden. Zum Beispiel mit einigen flotten Szenarien und bedrohlichen plus chancenträchtigen Wild Cards. Kombination von Zukunftsinstrumenten? Das macht in der Praxis manchmal Probleme: Wie und womit kombinieren?

Genau diese Frage beantworten die folgenden Seiten. Wer die Antworten kennt, hat seinen Zukunftsführerschein in der Tasche. Kapitel für Kapitel durchlaufen Sie einen kompletten Prozess der Strategischen Vorausschau, den Sie in Ihrer Organisation implementieren können – mit hohem Praxistransfer. Was Sie bei Ihrer Reise durch die Strategische Vorausschau kennenlernen, ist kein formalbarockes Konzept, sondern pragmatische und praxisgeprüfte Anwendung. Das sieht nicht nur gut aus, das wird auch so von den Organisationen der Best Practice angewandt. Sowohl bei der Implementierung als auch bei der Durchführung eines täglichen Vorausschauprozesses.

Wer die richtigen Instrumente einsetzt und kombiniert, bekommt die richtige Zukunft.

Dieser Zusammenhang ist so simpel, dass er in der Praxis oft missverstanden wird. Viele Manager und Politiker, aber auch »ganz normale Menschen«, schauen mit den falschen Instrumenten in die Zukunft, weil sie Illusionen erliegen. Diskutieren und zerstören wir die gefährlichsten Illusionen. Nicht nur hier. In den folgenden Kapiteln werden wir uns immer wieder mit solchen Illusionen beschäftigen, weil sie einer der Erzfeinde des Zukunftsmanagements sind (wissenschaftlich wird so eine Illusion auch Bias genannt).

Die Pedigree-Illusion

Mercedesfahrer unterscheiden sich von Käfer-Liebhabern. Das ist weniger antagonistisch als typisch: Mitglieder von Gruppierungen erleben ein Zusammengehörigkeitsgefühl – das ist der Reiz von Gruppen, Teams, Abteilungen, Ressorts, Branchen, Unternehmen.

Es ist nicht unbedingt so, dass sich Mitglieder der »In«-Group für etwas Besonderes halten. Doch dieser elitären Versuchung zu widerstehen, fällt dem Ungeschulten umso schwerer, je erlesener der eigene Stammbaum, die Ahnentafel (Englisch: pedigree) ist.2 Auch wenn man sich nicht wirklich für etwas Besonderes hält, konzentriert man sich doch meist unbewusst auf Aktivitäten und Erkenntnisse aus der eigenen Gruppe. Im Informationsfluss von und zu anderen Gruppierungen klaffen zwangsläufig »Löcher«. Strukturelle Löcher, wie es im Sprachgebrauch der Erforschung der Pedigree-Illusion heißt.

Erkenntnisse werden automatisch und unreflektiert abgewertet, bloß weil sie aus einer anderen Gruppe kommen. Eigene Themen werden genauso unbewusst überbewertet. Nach und nach wird aus der Gruppe, der Branche, dem Unternehmen ein geschlossenes System, das im eigenen Saft zu schmoren beginnt. Ein gefährlicher Zustand, der glücklicherweise oft nicht lange anhält: Er führt zum unsanften Ende der eigenen Geschäftsmodelle.

Im Gegensatz dazu hängt Erfolg davon ab, die strukturellen Löcher im Informationsfluss von und zur Gruppe zu stopfen, das System offener zu machen, reflexartige Abwertungen zu erkennen und zu vermeiden und »sich selbst nicht so wichtig zu nehmen«, wie der Volksmund sagt, dem die Pedigree-Illusion seit frühesten Zeiten adliger und feudaler Gesellschaften bestens bekannt ist.

Die Horizont-Illusion

Vor einiger Zeit führten wir eine Studie durch mit dem Titel »Energy – Quo vadis? 2035Plus: Szenarien für die Energiebranche von morgen«.3 Eine der ersten Reaktionen von Entscheidungsträgern darauf war, den Zeithorizont zu hinterfragen. Viele Praktiker fragten nach, was es bringen würde, so weit vorauszuschauen. Sie hätten lieber einen Zeitraum von fünf bis acht Jahren gewählt. Das ist interessant.

Gibt man dieser Überlegung nach und führt eine Szenariostudie zu den Entwicklungen der nächsten fünf bis acht Jahre durch, stellt man regelmäßig und für alle Branchen fest: Die erarbeiteten Unterschiede zwischen Szenariowelt und Status quo sind oft mikroskopisch klein. Was viele erleichtert und erfreut (das ist der Sinn jeder Illusion): Die Zukunft scheint nicht so verschieden von der Gegenwart zu sein. Der Blick in die Zukunft ergibt nichts Revolutionäres. Legitime Schlussfolgerung: Alles beim Alten lassen!

Diesem Fehlschluss erliegt man selbst und gerade dann, wenn bereits die Gegenwart von gravierenden Umwälzungen umgepflügt wird: Die kurzfristige Perspektive nivelliert die Zukunft auf den Status quo. Das kann fatal sein.

Geht es um die Zukunft, ist nicht kognitive Myopie, sondern die Out-of-the-Box-Perspektive gefragt.

Out of the box bedeutet: Über den Tellerrand hinausdenken, aus dem eigenen, meist unbewussten Gedankengefängnis ausbrechen, unkonventionelles, laterales Denken, Querdenken praktizieren und vor allem zulassen.

»Wer out of the box denken will, muss zuerst die Box kennen.«4 Twyla Tharp

Aus diesem Grund sollte man regelmäßig einen tiefen Blick in die weit entfernte Zukunft werfen. Wenn es dann um die Übertragung dieser langfristigen Erkenntnisse auf die eigene Organisation geht, ist wieder der kurzfristige Fokus angebracht, wichtig und zielführend. Es gibt also keine »bessere« Perspektive. Es gilt vielmehr:

Ein Mensch mit Zukunftskompetenz kombiniert lang- und kurzfristige Perspektive: Wer mehr sieht, sieht besser.

Zukunftskompetente Entscheider zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit den unterschiedlichen Zeithorizonten virtuos zu spielen wissen und nicht lediglich fünf Jahre vorausschauen, wenn 20 Jahre und länger vorausgedacht werden sollte.

Wobei diese Best Practice ungleich verteilt zu sein scheint. Aktuelle KPMG-Untersuchungen deuten darauf hin, dass vor allem die großen Ölkonzerne, Exploration und Mining Companies offensichtlich mit Szenarien arbeiten. Alle Wertschöpfungsstufen der Supply Chain, die sich weiter von der »Quelle« entfernt in Richtung »Senke« befinden, arbeiten dagegen weniger mit Szenarien und verwandten Instrumenten der strategischen Vorausschau. Das sind insbesondere Ingenieursbüros, Lieferanten, kommunale Energieversorger und andere. Man könnte dieses Phänomen auch als ein branchenspezifisches Supply-Chain-Paradoxon bezeichnen.

Halten wir fest: Bei der Zukunftskompetenz kommt es nicht auf eine besonders weit- oder klarsichtige Perspektive, sondern auf eine integrierte Sicht aus kurz-, mittel- und langfristiger Perspektive an – und auf die Erfassung der Wechselwirkungen von Ereignissen. Auf diese Weise schärft der Zukunftskompetente sein Verständnis für die Zukunft.

Die Studien-Illusion

Natürlich verlässt sich heute kein vernünftiger Entscheider mehr ausschließlich auf Einzelinstrumente wie die Trendextrapolation. So gehören zum Beispiel Szenarien seit Jahren zur Best Practice, wenn auch ungleich auf die Supply Chain verteilt (siehe oben). Die Energiebranche ist diesbezüglich dennoch anderen Branchen voraus.

Im Grunde wurde die Szenariotechnik nach ihrer anfänglichen militärischen Nutzung zum ersten Mal im Energiesektor eingesetzt, und zwar von der Royal Dutch Shell.5 Und das sehr erfolgreich. Deshalb ist die seither zu beobachtende Flut von Szenariostudien im Energiesektor kaum verwunderlich. Nach Erkenntnissen der Europäischen Kommission war unter knapp 900 analysierten Zukunftsstudien der Jahre 2004 bis 2008 der Sektor »Electricity, Gas and Water Supply« klar eines der Topthemen (Platz 2 mit 27 Prozent Anteil hinter »Manufacturing« mit 34 Prozent);6 und dieser Trend hält an, wie Metaanalysen vergangener Klima-, Nachhaltigkeits- und Energieszenarien belegen.7 Die Entscheider der Branche sind über die letzten Jahrzehnte von dieser Flut regelrecht verwöhnt worden.

Ihnen wurden von Instituten, Universitäten, Beratern und von politischer Seite die Studien sozusagen auf dem Silbertablett präsentiert. Die Folge dieses Szenarienparadieses war aber nicht prognostische Validität, sondern eine trügerische Sicherheit. Diese verflog, als sich die Prämissen der angestellten Szenarien als falsch und ihr Entwicklungstempo als unterschätzt herausstellten. Außerdem entwickelt ein längerer Aufenthalt im Szenario-Schlaraffenland einen Disincentive to learn, vergleichbar mit der berüchtigten Therapeutenabhängigkeit: Der Klient kann mit zunehmender Dauer seiner Therapie abhängig vom Therapeuten werden. Die vorgebliche Lösung wird zum Problem, weil sie Abhängigkeit schafft. Ähnliches gilt für das Szenario-Schlaraffenland: Bekommt ein Entscheider ständig fremde Studien vorgesetzt, wird er oft unbemerkt denk- und lernträge – das Gegenteil der Voraussetzungen für den qualifizierten Blick in die Zukunft.

Kompetenz ist eine Reise, keine Destination

Was viele Menschen, die sich für die Zukunft der Energie, ihrer Nation, ihrer Familie, ihrer Gemeinde, ihrer eigenen Karriere oder Gesundheit interessieren, nicht wissen: Es ist eben nicht egal, woher ein Szenario kommt. Es macht einen großen Unterschied, wer ein Szenario durchspielt. Wenn eine Universität oder ein Berater ein Szenario vorlegt, mag es zwar exakt dasselbe sein, das sich das Zukunftsteam in der eigenen Organisation ausgedacht hätte. Dennoch gibt es einen frappierenden Unterschied.

Es macht einen Riesenunterschied, ob man sich ein Szenario vorsetzen lässt oder es selber erstellt. Der Unterschied heißt: tieferes Verständnis für die Zusammenhänge hinter dem formal Beschriebenen.

Das Bewusstsein für die Zukunftsforschung im Allgemeinen und das tiefere Verständnis für die Zusammenhänge in den Szenarien im Besonderen ist bei Verantwortlichen ein komplett anderes, wenn diese selbst dabei waren, als die Szenarien aufgestellt wurden.

Ein Szenario ist nicht nur ein Blick in die Zukunft. Es ist ein Lernprozess, von Anfang an.

Deshalb sollten Entscheider idealerweise von Anfang bis Ende dabei sein. Das nützt dem Entscheidungsprozess: Es fällt weitaus schwerer, ein Szenario zu verwerfen und deshalb eine Fehlentscheidung zu treffen, wenn man selbst bei der Entwicklung dabei war. Dann versteht man es nämlich besser und kann vor allem die inneren Zusammenhänge besser nachvollziehen.

Ein Szenario ist keine Bilanz.

Eine Bilanz kann ich lesen, auch wenn ich sie nicht aufgestellt habe – manchmal sogar besser. Doch die Zukunft ist komplexer als eine Bilanz. Bestes Beispiel ist die letzte Finanzkrise. Als einige Experten diese relativ genau per Szenario vorausahnten, kamen sofort Gegenstimmen, dass alles so schlimm schon nicht kommen werde. Diejenigen, die das Szenario erstellt hatten, waren da ganz anderer Meinung. Denn sie erkannten hinter dem Szenario den Mechanismus des bevorstehenden Finanzkollapses – eben weil sie dabei waren, als die Einzelteile zum Ganzen zusammengesetzt wurden.

Ein Szenario sollte man erleben und nicht bloß lesen.

Doch genau das macht man nicht, wenn die eigene Branche von Zukunftsstudien geflutet wird. Man liest, nimmt zur Kenntnis – und dann weiter im Tagesgeschäft. Die nächste Studie kommt bestimmt … und während man auf sie wartet, vernachlässigt man die eigene Szenarien- und Zukunftskompetenz.

Man kann sich den Zukunftsführerschein nicht ersitzen, indem man auf die nächste Studie wartet.

Das gilt für die Zukunft wie für den Zukunftsführerschein: Nicht Anwesenheit wird belohnt, sondern Aktivität. Deshalb entwickeln die vier Szenarien der Energiezukunft (siehe Kapitel 3) und das Trenduniversum (siehe Kapitel 4) ihren größten Nutzen für Strategie, Innovation, Risikomanagement und Kommunikation nicht qua Lektüre, sondern durch einen gelebten und miterlebten Szenariotransfer der Ergebnisse in die reale Praxis. Dieser Transfer kann von Best-Practice-Unternehmen durchaus mit Bordmitteln bewältigt werden, was auch in der Praxis oft der Fall ist – er läuft mit externer Unterstützung lediglich schneller und reibungsärmer. Wenn und sofern diese Unterstützung gewollt ist – eine Voraussetzung, die in der Praxis durchaus eine Einschränkung darstellt.

Scheingenau

Controller und Angehörige von Strategiestäben wenden oft ein, dass sie bereits heute 20 Jahre und länger im Voraus planen. Bei Investitionen in Millionenhöhe geht das nicht anders. Keine Bank würde sonst mitfinanzieren.

So ist es in der Energiebranche selbstverständlich, Kosten und Amortisation beispielsweise einer Gasturbine 20 Jahre im Voraus auf den Cent genau zu planen. Das schafft Vergleichbarkeit von Alternativen und suggeriert Planungssicherheit. Sicherheit. Ein schönes Wort. Und dann gibt es ein Fukushima oder die Ukrainekrise oder eine »überraschende« Gesetzesnovelle oder irgendeinen anderen der in unserer Zeit überreichlich vorkommenden Strukturbrüche – und schon ist die Rechnung Makulatur. Viele Manager versuchen das zu vermeiden, indem sie Best Case, Base Case und Worst Case kalkulieren lassen und darauf verweisen, dass sie damit der Szenarioplanung genüge geleistet haben. Hier liegen aber unterschiedliche Auffassungen im Verständnis des Begriffs »Szenario« vor.

Was der Kalkulator »Szenario« nennt, nennt der Zukunftsforscher alles andere als das. Den Unterschied beleuchten wir detailliert in Kapitel 3. Doch für den Kalkulator bedeutet »Szenario« lediglich drei Variationen zum Beispiel eines Amortisationsverlaufs, während der Zukunftsforscher unterschiedliche gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche, gesetzliche und technologische Entwicklungen und deren Interaktionen betrachtet – aus denen sich jeweils verschiedene Amortisationsverläufe ergeben können. Die Komplexität und Vielfalt so eines (narrativen) Zukunftsszenarios ist sehr viel größer als die eines finanzmathematischen »Szenarios«.

»Szenario«? Achten Sie darauf, wer das sagt.

Was uns hier interessiert, sind nicht die – absolut nützlichen und nötigen – finanzmathematischen, sondern die Zukunftsszenarien. Das ist ein strategischer Unterschied.

Flexibel und agil

Bis auf den Hasardeur liebt niemand das Risiko und die Unsicherheit. Bislang galt in der Energiebranche: Hohe Investments, die über Jahrzehnte abgeschrieben werden, geben Sicherheit und Stabilität. In unseren Zeiten scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Je länger man im Voraus plant und investiert, desto unsicherer scheinen Ausgang und Return on Investment (ROI) zu werden.

Man denke in diesem Zusammenhang an DESERTEC oder die fehlende Wirtschaftlichkeit vieler relativ neuer Kraftwerke nach der Energiewende und dem Verfall der Energiepreise (im Großhandel). Die Entwicklungen haben diejenigen am härtesten getroffen, die am längsten und umfangreichsten in die Zukunft investiert haben. Und genau da liegt das Problem:

Es gibt nicht die »eine Zukunft«. Es gibt nur »Zukünfte«.

Heute reduziert man Unsicherheit nicht, indem man möglichst viel auf eine Karte setzt, sondern indem man möglichst viele gute Karten auf der Hand hält – für jede mögliche, denkbare oder wünschenswerte Zukunft mindestens eine. Das schafft nur derjenige, der sich diese alternativen Zukünfte (systematisch) herleiten kann – die Szenarien. Ganz gleich welches Szenario, welche Zukunft dann tatsächlich eintritt: Man ist immer gut vorbereitet und kann deshalb flexibel und agil auf sämtliche (antizipierten) Entwicklungen reagieren.

Deshalb ist es so wichtig, nicht nur den Best, Base und Worst Case zu kalkulieren, sondern in Strategiestäben und Zukunftszirkeln die »Was wäre, wenn …?«-Simulation zu praktizieren. Was wäre, wenn die Energiegewinnung sich exponentiell dezentralisieren würde? Wenn 90 Prozent der Haushalte in 15 Jahren energieautonom wären? Wenn gezielte Attacken das Stromnetz dreimal die Woche in den Blackout stürzen würden? Wenn die Politik in Panik völlig überregulieren würde? Wenn das Internet der Dinge den Stromverbrauch explodieren lassen würde? Wenn von langer Hand geplante Projekte plötzlich massiv boykottiert würden?

Machen Sie den Führerschein, …

… oder wenn Ihnen diese Bezeichnung nicht zusagt: Nennen Sie das, was Ihre Zukunftskompetenz bescheinigt, doch einfach Foresight-Diplom oder Future-MBA. Ganz gleich, wie Sie es nennen wollen: Es ist und bleibt das Zeugnis Ihrer Zukunftskompetenz.

Wir haben Ihnen eingangs versprochen, Sie mit dieser führerscheintauglichen Zukunftskompetenz auszustatten. Und den Führerschein bekommt nur, wer sich durch Testbögen gewühlt hat. Im Folgenden finden Sie Ihre Testbögen.

Was jetzt kommt, sind natürlich keine Prüfungsfragen im engeren Sinne. Es sind schlicht konkrete Impulse und Lernnuggets. Die Checklisten helfen, das eigene Zukunftsbewusstsein zu schärfen. Nutzen Sie sie in diesem Sinne.

Natürlich tun Sie sich leichter mit externer Unterstützung – aber die enthält Ihnen ja keiner vor. Und noch ein Hinweis: Wenn Sie die folgenden langen Checklisten abschrecken, denken Sie noch im falschen Frame.

Reframen Sie! Natürlich könnten Sie bei jeder der einzelnen Fragen, Nuggets, Anregungen, An- und Bemerkungen die Potenziale und Chancen herausziehen. Aber das heißt nicht, dass Sie das alles auch sofort verbessern müssten. Priorisieren Sie oder picken Sie sich die Rosinen heraus. Denn in der Zukunftsforschung ist alles mit allem verbunden: Wenn Sie bei A anfangen, streifen Sie automatisch B und C, bevor Sie bei E und F landen.

Nehmen Sie die folgenden Fragen und manchmal etwas provokativen Einwürfe einfach als Anregungen: Wenn das Nugget schon in Ihrem Beutel oder die Anregung bereits umgesetzt ist – machen Sie einen Haken. Wenn nicht: Lassen Sie die Checkbox offen – als Erinnerungshilfe.

Checkliste: Wie stark ist Ihre aktuelle Zukunftskompetenz?

Modul 1: So schaffen Sie die instrumentelle Basis

•Wir alle schauen in die Zukunft. Sporadisch? Regelmäßig? Wie ist Ihre Frequenz der Vorausschau?•Auf welcher Ebene wird vorausgeschaut? Nur »ganz oben« auf Vorstandsebene und im Strategiestab? Oder machen sich auch einzelne Abteilungen systematisch Gedanken darüber, ob das, was sie da täglich tun, in fünf oder acht Jahren noch gebraucht wird?•Wie viele Methoden der Zukunftsforschung kennen Sie? Fünf, zehn oder sogar über 20 (es gibt tatsächlich über 30)? Wie viele werden in Ihrer Organisation eingesetzt?•Wählen, bewerten und nutzen Sie Methoden der Zukunftsforschung regelmäßig unter Validitätsgesichtspunkten? Passt dieses oder jenes Instrument überhaupt zur Fragestellung?•Wie ist der Prozess? Sind Planungs-, Arbeits- und Entscheidungsprozesse (per Handbuch) so definiert, dass Entscheidungen generell zum Beispiel mit Methoden der Zukunftsforschung abgesichert werden müssen?•Wer ist in Ihrer Organisation überhaupt für die Strategische Vorausschau zuständig? Oder gibt es einen designierten Kompetenzträger mit einem Projektteam?•Sind vielleicht die Instrumente an VUCA-Zeiten angepasst – die Köpfe der Entscheider aber noch nicht? Gehen einige von ihnen immer noch von relativ stabilen Umweltbedingungen aus? …•… falls ja: Das ist nicht zeitgemäß und atavistisch und lässt sich nur mit Überzeugungsarbeit ändern. Überzeugen Sie!•Hier eine kleine Übung dazu (ein Szenario): Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Meeting mit Strategen und Innovationsmanagern an einem Tisch und einer sagt: »Ach, Zukunftsmanagement brauchen wir nicht. Wir sind flexibel, wir kommen mit allem zurecht.« Wie würden Sie mit diesem Vorbehalt umgehen?•Verlassen Sie sich niemals auf nur ein Instrument der Zukunftsforschung. Kombinieren Sie je nach Fragestellung.•Unterstützt Ihre IT Ihre internen Zukunftsforscher? Sind Ihnen Foresight Support Systems ein Begriff, zum Beispiel Prognosemärkte, Real-Time-Delphi, Predictive Analytics, …?

Modul 2: So beseitigen Sie gängige Illusionen

•Weist Ihre Strategische Vorausschau einen Zeithorizont mit Schlagseite auf? Viele blicken drei bis fünf Jahre in die Zukunft – und nicht weiter. Oder ist bei Ihnen die Balance umgekehrt aus dem Gleichgewicht?•Justieren Sie diese Balance periodisch.•Wird bis hinunter in konkrete Meetings der Wechsel der Perspektive spielerisch und gewohnheitsmäßig praktiziert? Oder fressen sich einzelne Teilnehmer und Meetings häufig auf einer Zeitschiene fest – ohne es zu merken?•Pflegen Sie insbesondere die strategische Out-of-the-box-Perspektive. Fördern Sie Querdenker oder werden diese eher als ein lästiges Übel empfunden und behandelt?•Verlassen Sie sich nur auf Experten oder nutzen Sie auch den Crowd-­Effekt und die »Weisheit der Vielen«?•Misstrauen Sie Kalkulationen und Investitionsplänen, die Ihnen Centbeträge 15 Jahre im Voraus präsentieren. Das sind praktisch ex definitionem Scheingenauigkeiten. Lassen Sie die zugrunde liegenden Pläne und Kalkulationen doch einmal durch verschiedene Szenarien laufen. Selbst wenn diese lediglich qualitativ sind (ohne Zahlen, nur mit Einflüssen): Das ist dann paradoxerweise genauer. Weil Szenarien Entwicklungen simulieren – nicht bloß Parametervariationen.•Legen Sie in diesem Zusammenhang auch gleich eine Definition des Begriffs »Szenario« fest. Damit jemand, der den Ölpreis in drei Varianten ansetzt, nicht meint, er habe damit drei Szenarien aufgestellt. Sie wollen keine Formulierung für eine passende Definition von uns hören? Dann haben Sie dieses Modul schon so gut wie bestanden.

Modul 3: So schaffen Sie die Voraussetzungen

•Wie bereits erwähnt: Seine eigene und die Zukunftskompetenz seines Unternehmens oder seiner Organisationseinheit auf Vordermann zu bringen, erfordert Mut. Wir setzen ihn voraus.•Sollten Sie bei der Umsetzung der von Ihnen ausgewählten Verbesserungen der Zukunftskompetenz auf »unerwartete« Schwierigkeiten gestoßen sein, so war das zu erwarten und deutet auf die üblichen Hemmnisse bei Veränderungsprozessen hin: Welche konkreten Hindernisse erkennen Sie? Welche erahnen Sie?•Eines der häufigsten Hindernisse: mangelndes Bewusstsein.•Mangelndes Zukunftsbewusstsein ist eine der Hauptursachen für mangelnde Zukunftskompetenz. Arbeiten Sie bewusstseinsbildend, bewusstseinsverändernd. Konkrete Anregungen finden Sie dazu in Kapitel 7 (Der Transfer).•Praktizieren Sie aktiv das Geduldsparadoxon: Jetzt ist die Globalisierung schon so alt, wir leben in einer VUCA-Ära, und noch immer überraschen uns Strukturbrüche? Das mahnt zur Ungeduld. Gleichzeitig sollten Sie sich und Ihre Mitarbeiter sehr geduldig begleiten beim Erwerb der entsprechenden Zukunftskompetenz.•Zukunftskompetenz per Anweisung funktioniert. Zukunftskompetenz per Verantwortungsübertragung funktioniert schneller, besser und nachhaltiger. Wie stimmen Sie das mit Ihrem gewohnten Führungsstil ab?

Wo stehen Ihre Häkchen?

Sie haben viele Häkchen machen können, weil Sie viele der aufgeworfenen Fragen und Nuggets bereits beantwortet und viele der angebotenen Anregungen bereits umgesetzt haben? Dann sind Sie auf dem besten Weg zum Zukunfts-Champion.

Aber auch Champions müssen ihren Titel verteidigen und ihren Platz an der Spitze behaupten. Also weiter so, nicht nachlassen und etwaige leere Kästchen nach und nach ausfüllen. Und: Stürzen Sie sich auf das nächste Kapitel. Plus: So gut wie Sie sich bereits auskennen, sollten Sie langsam daran denken, Ihr umfassendes Wissen auch an Ihre »Gefolgschaft« und Kollegen weiterzugeben.

Die Hälfte der Check-Kästchen haben Sie abgehakt? Das ist beeindruckend. Sie verfügen über ein solides Fundament an Zukunftskompetenz. Umso wichtiger ist es jetzt, dass Sie dieses Fundament zügig und weiter so solide ausbauen. Die Zukunft wartet nicht.

Weniger als ein Drittel der Kästchen hat einen Haken? Damit sind Sie in bester Gesellschaft: Den meisten geht es so. Nutzen Sie dieses Buch, um sich mit der Zukunftskompetenz auszustatten, die heutzutage ein Schlüsselfaktor für das Überleben und den Erfolg im Business ist.

Zukunft favorisiert das eigenständige Denken

Das obige Check-Konvolut ist kein Produkt des grünen Tisches. Die Liste ist in der einen oder anderen Form in der Praxis im Einsatz. Oft hören wir dann die Bitte, dass wir die einzelnen Checkpunkte doch noch etwas spezifischer fassen mögen. Wenn möglich bis hinunter zum Aktionsplan oder zur Meilensteinplanung. An diese Bitte haben Sie bei Ihrer Lektüre der Liste nicht gedacht? Gut, denn:

Zukunft gibt es nicht auf Rezept.

Kein Außenstehender kann und sollte Ihnen einen Zukunftsentwurf bis hinunter zum Aktionsplan präsentieren. Weil kein Aktionsplan von außen sämtliche Determinanten erfassen kann, mit denen Sie täglich zu tun haben: Diesen Einblick in die Tiefen Ihrer Materie haben nur Sie selbst, deshalb:

Misstrauen Sie »Zukunftsrezepten«!

Die Zukunft ist individuell und daher auch individuell zu erarbeiten. Dafür haben Sie keine Zeit? Warten Sie doch erst einmal ab, wie viel Spaß das macht! Und: Wissen ist Macht und Zukunftswissen ist eines der machtvollsten. Es gibt kaum Aufgaben, die lohnender und attraktiver sind oder mehr Spaß machen, als sich mit hoher Spezifität mit der Zukunft zu beschäftigen. In diesem Sinne: Ran an die Zukunft.

2Die Zukunft ist ein Falschfahrer

»Die Weisesten verstehen die Zukunft, die weniger Weisen die Vergangenheit, die noch weniger Weisen die Gegenwart.«

Lü Bu We, chinesischer Philosoph, Kaufmann und Politiker, um 300 v. Chr.

Was man nicht sieht, bedroht

Das Problem an der Zukunft ist: Man sieht sie nicht. Die einleitende Metapher in der Überschrift bleibt also illustrativ: Wenn man den Falschfahrer auf sich zukommen sieht, ist es leider meist zu spät. Was man nicht sah, wird zur Gefahr. Also sollte man den Verkehrsfunk einschalten. Dann »sieht« man die Gefahr rechtzeitig.

Bei Falschfahrern ist der Zusammenhang von Weitsicht und positivem Ausgang klar. Aber dann ist man im Urlaub und friert, weil man nicht an den warmen Pullover gedacht hat. Warum nicht? Weil es zwar einfach ist, an den Urlaub zu denken. Selbst Kinder können das. Doch wer hat behauptet, dass »einfach« ein Synonym für »fehlerfrei« ist? Auch bei einfachen Dingen passieren Fehler. Manche sagen: Gerade weil viele Dinge so einfach sind, machen wir vermeidbare Leichtsinnsfehler.

Warum machen wir (auch) beim Kofferpacken diese Fehler? Weil wir nicht wahrnehmen, sondern illusionieren: Bloß weil Urlaub ist und wir Urlaub mit Sonnenschein assoziieren, gehen wir von Sonnenschein aus. Das ist trivial, aber prinzipiell. Es gibt viele Ursachen für Zukunftsblindheit. Ein extrem häufiger ist jedoch die Gegenwartsblindheit.

Wer ein Problem mit der Zukunft hat, hat meist auch ein Problem mit der Gegenwart.

Wer die Gegenwart nicht sieht, hat ein großes Problem damit, die Zukunft zu sehen. Das heißt nicht direkt, dass man zum sofortigen Scheitern verurteilt ist.

Man kann nämlich auch dann eine Zeit lang (kurzfristig!) erfolgreich sein, wenn man ein Problem mit der Zukunft hat … beispielsweise, weil man von den Meriten der Vergangenheit zehrt. Oder weil man einfach Glück hat. Weil der Markt gerade in die richtige Richtung läuft, weil die Konkurrenz noch viel katastrophalere Fehler begeht oder weil die eigenen Fehler von besonders weitblickenden Mitarbeitern kompensiert werden. Aus allen diesen (und mehr) Gründen kann man erfolgreich sein, obwohl man die Zukunft übersieht, weil man ein Problem mit der Gegenwart hat.

Also warum die Mühe mit der Strategischen Vorausschau? Weil die aufgezählten Erfolgsfaktoren alle nicht nachhaltig sind. Das Glück verlässt einen irgendwann. Irgendwann können die Mitarbeiter die Vorausschaufehler ­ihres Vorgesetzten nicht mehr kompensieren – oder sie wollen es nicht mehr.

Mangelnde strategische Vorausschau holt einen irgendwann ein.

Deshalb sollte man hin und wieder einen Blick in die eigene Zukunft werfen. Das ist nicht schwierig, wenn man die Basis der Zukunft kennt:

Wer in die Zukunft schauen will, sollte mit der Gegenwart beginnen.

Wer das Heute sieht, sieht auch das Morgen besser

Wer die Gegenwart schärfer sieht, sieht die Zukunft schärfer. Im Rennsport ist das offensichtlich. Wer das Rennen »lesen« kann, fährt besser. Im Sport heißt dieses Talent: Antizipation (lateinisch anticipatio: Vorwegnahme). Wer antizipiert, wie der vorausfahrende Gegner in die Kurve hineinfährt, kann ihn überholen. Was im Rennsport Antizipation heißt, wird in der Wirtschaft Zukunftskompetenz genannt.

Wie weiß man also, wo der Gegner später sein wird? Wie gesagt: Je besser ein Fahrer das Rennen lesen kann, desto eher gelingt ihm die Antizipation. Deshalb beginnt jede große oder kleine Vorausschau im Business und anderswo mit dem Umfeldscan – in der Gegenwart. Mit dem Umfeldscan »liest man das Rennen«.

Das ist für viele Menschen kontraintuitiv. Sie verstehen nicht auf Anhieb, dass man auf die Gegenwart sehen sollte, bevor man in die Zukunft blicken kann. Die Gegenwart ist die unterschätzte Basis jeder Vorausschau. Einfach zu merken, weil der Prozess der Vorausschau lediglich drei Stufen hat:

Die SFT-Vorausschau

1. Scanning (nämlich das aktuelle Umfeld auf Unsicherheiten)2. Foresight (in die Zukunft blicken)3. Transfer (der Erkenntnisse in die Umsetzung hinein)

Erst kommt das Scanning, dann die Vorausschau. Erst das Schauen, dann das Vorausschauen. Manche kommen an dieser Stelle auf die abwegige Idee, dass vor lauter Vorausschau die Vergangenheit keine Rolle mehr spielt. Das trifft nicht zu. Man kann für den Blick in die Zukunft natürlich auch vergangene Entwicklungen berücksichtigen. Eine Technik der Zukunftsforschung macht das ganz dezidiert: die historische Analogie. Sie wird oft in der Phase »Foresight« eingesetzt. Es gibt folglich viele Arten, um auf die Zukunft zu schauen. Beginnen wir mit dem Blick auf die Gegenwart.

Konzentrieren Sie sich auf Unsicherheiten

Konzentrieren Sie sich auf Unsicherheiten in Ihrem Umfeld; daher der Name Umfeldanalyse. Wer wissen will, was morgen passiert, schaut, was heute läuft, und zwar

•im Branchenumfeld mit Kunden, Wettbewerbern, Investoren et ­cetera. Das sind Umfeldfaktoren, auf die Sie mehr oder weniger Einfluss haben können. Bewährt zur Analyse des Branchenumfeldes hat sich das 5-Forces-Modell (Branchenstrukturanalyse) von Michael E. Porter.8•im globalen Umfeld aus unter anderem Gesetzgebung, Demografie, Soziokulturellem, aber auch mit so unangenehmen globalen Faktoren wie dem Terrorismus. Eben alles, worauf man wenig oder keinen Einfluss hat. Bei der Analyse dieser Faktoren hat sich das STEEPL-Modell bewährt, wobei das Akronym für Folgendes steht: Social, Technological, Economic, Environmental, Political und Legal.9

Wenn ich wissen will, was morgen läuft, schaue ich mir heute mein Umfeld an.

In der Regel kommt hier der Einwand, dass es im Unternehmen bereits eine funktionierende Marktbeobachtung gebe und dass diese schon heute mit der unübersehbaren Vielfalt der Faktoren überfordert sei. Davon werden zu Beginn alle erschlagen, die mit der Strategischen Vorausschau beginnen: Der schieren Menge der denkbaren und möglichen Faktoren. Man kann unmöglich auf alle achten. Sollen Sie auch nicht! Die Zukunftsforschung hat längst jene Faktoren identifiziert, die vorrangig sind:

Lassen Sie sich nicht von den unübersehbar vielen Faktoren irritieren, die unsere Zukunft determinieren. Konzentrieren Sie sich auf die aktuellen Unsicherheiten.

Dieses Vorgehen reduziert die Komplexität der Zukunft drastisch. Es sind plötzlich nicht mehr so viele Zukunftsfaktoren, die zu berücksichtigen sind. Es sind »nur« noch die Unsicherheiten. Dass diese eine besondere Rolle spielen, liegt auf der Hand. Denn was heute unsicher ist, könnte morgen noch unsicherer und übermorgen geradezu bedrohlich sein – oder eine Riesenchance.

Man schaut schließlich nicht zum reinen Vergnügen in die Zukunft. Wir wollen unsere Entscheidungen absichern. Und jede Absicherung funktioniert nun einmal am besten, indem man sich um die Unsicherheiten, Risiken, Bedrohungen, Unwägbarkeiten kümmert. Das ist logisch? Das ist genetisch. Das haben wir schon im Neandertal so gemacht.

Was ist Unsicherheit?

Der Neandertaler steht vor einem Brombeerbusch und folgender Entscheidung: Die Beeren sehen so schön reif und saftig aus, er hat Hunger, aber es raschelt im Busch. Wie entscheidet er? Kein Neandertaler greift in so einer unsicheren Situation zu den Beeren. Sonst wären wir nie aus dem Neandertal herausgekommen (metaphorisch, nicht anthropologisch gesprochen).