Herr Petermann und das Triptychon des Todes - Michael Böhm - E-Book

Herr Petermann und das Triptychon des Todes E-Book

Michael Böhm

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Beschreibung

Viel Zeit für die Geliebte, Schach mit dem Nachbarn - Leo Petermann genießt die Ruhe in seinem Land-haus, als die Nachricht eines dubiosen »Todesfonds« sein friedliches Leben stört. Der perfide Erfinder dieses Fonds ist ein alter Bekannter: Quintus Heinrich, Chef der Cautio-Versicherung, den Petermann von der Uni her kennt. Ein eisiges Duell beginnt, aus dem Peter-mann um jeden Preis als Sieger hervorgehen will und dafür alle seine Möglichkeiten nutzt … Der Nachfolger des für den Friedrich-Glauser-Preis nominierten Krimis um den ungewöhnlichen Herrn Petermann, der für seine wohlverdiente Ruhe alles tut … (Band 1: "Herrn Petermanns unbedingter Wunsch nach Ruhe")

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Seitenzahl: 225

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Michael Böhm

Herr Petermann und das Triptychon des Todes

Roman

EDITION 211

Impressum

Giacomo Puccini »TOSCA«, Deutsche Übersetzung für DECCA von Gerd Ueckermann, 1988

Das Zitat stammt aus der »Odyssee« von Homer, nach der Übersetzung von Roland Hampe, erschienen im Reclam Verlag, Stuttgart 1979.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- und Bildteile.

Alle Akteure des Romans sind fiktiv, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind vom Autor nicht beabsichtigt.

Copyright © 2015 by Edition 211, ein Imprint von Bookspot Verlag GmbH

1. Auflage

Lektorat: Christiane Geldmacher

E-Book: Mirjam Hecht

Covergestaltung: Martina Stolzmann

Titelmotiv: Fotolia/bonciutoma

Made in Germany

ISBN 978-3-95669-056-3

www.bookspot.de

Widmung

Meinen Dank an Christel und an Manuel.

Meine Verehrung für Giacomo Puccini und Giuseppe Verdi

Kein Mensch, der das Geld liebt,

kann gut sein.

Prolog

1

Zu Arthur hatte ich gesagt, er solle sich vorstellen, ich sei der Ober, der, eine weiße Serviette über dem angewinkelten linken Unterarm, ein silbernes Tablett in der Hand, die letzte Rechnung präsentiert. Wem ich die Rechnung bringen wollte, hatte mich Arthur nicht gefragt. Ich hätte es ihm nicht gesagt.

Ich war im Odenwald unterwegs, dessen Wälder der Herbst schon mit leuchtenden Farben bemalte. Mit einem schwarzen Kleinwagen fuhr ich auf einer kurvenreichen, schmalen Straße vom Fuß der Tromm den Hang des Höhenrückens hinauf. Zweimal schon hatte ich kurz angehalten, um meinen Kurs auf der Karte zu überprüfen; mein Gefährt hatte kein Navi. Es erwies sich als eine gute Entscheidung, mir eine Karte in großem Maßstab zu besorgen. Gut, ich hatte einen genauen Ausdruck meines Zielgebietes auf dem Beifahrersitz liegen. Doch noch befand ich mich in der Anfahrt, war jedoch relativ gewiss, dem richtigen Leitstrahl zu folgen.

Nur drei Kurven weiter stand das blaue Schild neben der Fahrbahn, das den nahen Wanderparkplatz ankündigte. Gleich darauf rollte ich auf die mit Kies bestreute, freie Fläche, die zur Straßenseite hin mit Sträuchern getarnt war. Mein kleines Auto war das einzige unter den Bäumen. Das war mir nur recht, obwohl ich nicht annahm, dass sich zufällig jemand später an diesen unscheinbaren Kleinwagen würde erinnern können.

Noch einmal sah ich mir Karte und Ausdruck an, nahm vom Sitz neben mir das Fernglas, angelte vom Rücksitz den Rucksack. Bekleidet war ich mit einem graugrünen Anorak, braunen Cordhosen und Wanderschuhen. Nichts Auffälliges fand sich an meinem Äußeren. Ich war ein x-beliebiger Wanderer.

Vom Parkplatz aus folgte ich dem Hinweisschild zur Tromm in den Wald hinein.

Schritt für Schritt stapfte ich auf dem breiten Waldweg seit mehr als einer halben Stunde stetig aufwärts. Es war sehr still, sogar die Vögel schienen sich nicht unterhalten zu wollen. Und noch war mir niemand begegnet. Von irgendwoher strich mir ab und zu Modergeruch in die Nase, ein Geruch, der mich an meinen Garten erinnerte, wo er aus der Kompostecke kam, in der das Laub lag, und manchmal bei entsprechendem Wind bis zum Haus zu riechen war.

Auf einmal, ja, wie als Blitz aus heiterem Himmel, kam es zu einem Treffen, mit dem ich wirklich nicht hatte rechnen können. Ein Hund, einer von der größeren Sorte, schwarz wie die Nacht, hetzte den Berg herunter, direkt auf mich zu. Im Moment, als er das Hindernis auf seiner Laufstrecke wahrnahm, stemmte er seine Pfoten in den mit braunen Blättern bestreuten Weg, rutschte mir entgegen. Wo kam das Tier plötzlich her? Auf einem Spaziergang ausgebüxt? Nun, da standen wir uns also gegenüber, beide überrascht, nur wenige Schritte trennten uns. Der Hund fletschte sein Gebiss, knurrte. Starr sah ich ihm in die Augen. Auf Angstschweiß würde seine feine Nase vergeblich warten. Ganz langsam ging ich auf ihn zu. Sein Knurren verstummte, und dann, ich stand knapp vor ihm, zog er seinen Schwanz ein. Und schon machte er auf der Stelle kehrt, raste den Weg aufwärts und kam schnell außer Sicht.

Was war das für ein Spuk gewesen? Sollte ich den friedlichen Ausgang als ein gutes Omen nehmen? Oder doch eher als eine Warnung?

Über mich selbst lächelnd setzte ich meine Wanderung fort.

Mein Weg führte mich durch einen Kastanienhain. Esskastanien. Sie lösten Erinnerungen an meine Kindheit und das Internat aus. Ich bückte mich immer wieder, holte mit spitzen Fingern die einzelnen braunen Kastanien aus der stacheligen Fruchthülle und steckte sie in meine Anoraktasche. Kurz streifte mich der Gedanke, dass diese Frucht, die früher Nahrung für arme Leute gewesen war, heute die Spitzenküche verfeinert.

Nach nicht ganz einer Stunde seit meinem Abmarsch vom Parkplatz wurde es zwischen den Bäumen lichter, die Höhe war also nicht mehr weit.

Dann stand ich im Halbschatten unter den letzten Bäumen. Vor mir breitete sich eine Wiese aus, die ein ganzes Stück weiter vorne ins Tal abfiel. Ich hörte einen Bach rauschen. Das musste der Bach sein, der die Grenze zu Heinrichs Jagdrevier markierte. Hin und wieder segelte ein gelblich braunes Blatt neben mir zu Boden, immer dann, wenn eine leichte Windböe über die Höhe strich.

Mit dem Fernglas schaute ich mir den Wald jenseits des Taleinschnitts an. Dort irgendwo stand auf einer Lichtung das Jagdhaus. Das helle Band des Weges, das von einer Graskuppe zu dem Wald hinführte, lag verlassen. Ich entdeckte keine sichtbaren Hinweise auf die Anwesenheit von Menschen in diesem Wald gegenüber. Aber sie waren da, ganz sicher.

Süße Kirschen

2

Durch die Flügeltüren sehe ich über die Terrasse, an den Bäumen im Garten vorbei hinunter zum See. Beinahe unbeweglich schweben weißgraue Nebelschwaden über dem dunklen Wasser, dem ockerfarbenen, schmalen Schilfgürtel, den schwarzen Bootshäusern, sie lassen dahinter nur verschwommen das Grün und Rotbraun der Bäume erahnen.

Gott raucht seine erste Zigarette. Mit diesen schönen, poetischen Worten hat Cees Nooteboom einmal den Frühnebel beschrieben.

Ich sitze im Salon meines Landhauses am Rande des Weilers Kimmling-Hof, der zwischen dem kleinen Ort Kimmling und dem See auf einem Hügel liegt. Hier habe ich die Ruhe gefunden, die ich unbedingt suchte und die ich schon verteidigen musste. Niemand bekommt eben etwas umsonst. Jahrzehnte saß ich auf der winzigen Spitze des großen Erfolges. Gründete gemeinsam mit einem Freund ›Pythagoras‹ und führte das Weltunternehmen nach dem Ausscheiden von Rainer Fall lange Jahre alleine. Nach dem Tod meiner Frau Susanne konnte ich keinen Sinn mehr erkennen in dem, was ich da machte. Ich fand das Haus über dem See und zog mich aus der Hektik der Geschäftswelt zurück.

Ich fühle mich rundherum gut. Sehe mein zufriedenes Lächeln im Fenster.

Der nahe Baum draußen lässt mich gleich an Korbinians Nussbaum denken. Seit einigen Tagen bläst der Wind die reifen Wallnüsse vom Baum, die Martha, die Frau meines Freundes Korbinian, zudem meine Haushälterin, eine wahre Perle, jeden Abend für die Adventszeit aufsammelt.

Vor mir liegt das aufgeschlagene, neue, rote Buch. Ich will damit beginnen, in meinen Rückspiegel zu sehen, will quasi einige Schritte von mir selbst zurücktreten, gedanklich Distanz herstellen, möchte die Vergangenheit notieren, als sie noch eben Gegenwart war. Ich suche nach dem Augenblick, aus dem ich mit Worten den ersten Satz, den zweiten Satz, den ersten Abschnitt bilden und mit grüner Tinte niederschreiben werde.

War es der Moment, als in gemütlicher Runde an einem der letzten warmen Tage eine Geschichte erzählt wurde, die dazu führte, dass ich mir ein Segelboot werde bauen lassen?

Oder doch eher mein Besuch in München bei dem bekannten, inzwischen verstorbenen Innenarchitekten Gert Fontana?

Ich schraube den Füller wieder zu. Zunächst einmal muss ich meine Gedanken wie einen Teppich ausbreiten, um sie dann so zu sortieren, wie ich sie mir wünsche.

3

Auf dem Rad strampelte ich hinüber zum Kloster. Hochwürden Demme, Pfarrer von Kimmling und Drumherum, sprach mir, einem der Unterstützer der aufwändigen Instandsetzung des alten Gemäuers sowie Mitglied der Freunde des Klosters, das Privileg zu, wann immer mir der Sinn danach stehe, dort zu erscheinen. Von der Straße über Kimmling aus sah ich, dass drüben auf der anderen Talseite, auf der Steinkirchner Höhe, das dritte Windrad errichtet wurde. Die spätsommerliche Sonne erwies sich als ein unerwünschter Gegner und ich war darum froh, in die schattige Allee zum Kloster abbiegen zu können. Ein Stück weit führte der Weg leicht aufwärts, bevor ich den Torbogen erreichte, gleich weiter in den Innenhof hineinrollte und dort mein Rad abstellte. Als ich mich umsah, entdeckte ich die offenstehende Holztür, die zu den Gewölben hinab führte. Vorsichtig stieg ich die Stufen hinunter, folgte unten einem nur notdürftig beleuchteten Gang. Erst weiter hinten begannen die Gewölbe, die erst vor einigen Wochen zufällig entdeckt worden waren.

Plötzlich tauchte vor mir ein Mann auf, stellte sich mir in den Weg, gab sich mit strenger Miene erbost, deutete auf seinen gelben Helm, fragte, warum ich ohne herumlaufe. Die Gewölbe seien nämlich längst nicht so stabil, wie es den Anschein erwecke.

Im Stillen fragte ich mich, wie mir der Helm helfen sollte, käme tatsächlich die Decke herunter?

Prinzipiell gab ich ihm ja Recht mit seiner Mahnung. Ich lächelte ihn freundlich an.

Es hatten sich Fragen zu einem kleinen Katalog addiert, also vereinbarten Werner Brandscheid, mein Finanzberater und alter Freund, und ich ein Treffen bei ihm in München. Wir diskutierten die offenen Punkte, sprachen über Details der anstehenden Beteiligungen an einer Biotech-Firma sowie einer internationalen Filmproduktion.

Nachdem ich Werner wieder seiner Leidenschaft, dem spannenden Spiel mit dem Geld, überlassen hatte, spazierte ich durch den Englischen Garten bis zum Chinesischen Turm, wo ich im Biergarten eine Kleinigkeit aß.

Danach machte ich mich auf den Weg nach Schwabing hinein, um auf einen kurzen Sprung bei dem Verlag, der meine Romane herausgab, vorbeizusehen. Das Schreiben ist eines der Steckenpferde, das ich in meinem Ruhestand reite.

Auf dem Kastlerhof haben sich jetzt zwei ganz spezielle kleine Firmen eingemietet.

Der Hof schließt sich an mein Grundstück an. Aus dem oberen Stockwerk meines Hauses kann ich hinübersehen. Der alte Sepp hatte seinen Alterssitz seinem Enkel Hans-Dieter vermacht. Seit der junge Erbe sich mit meiner Unterstützung aus dem Staub gemacht hatte, sich also nicht mehr um den Hof kümmern konnte, lag der Hof sozusagen im Winterschlaf. Bis dann Rup und Inni kamen.

Drüben im Wohnhaus hat sich Rupert Falke sein Musikstudio eingerichtet. Rup ist ein nervöser, magerer Mann mit einer ungewöhnlich hellen Stimme. Mit ihm stehen alle hier im Weiler auf gutem Fuß, hat sich doch bald gezeigt, dass der Musikproduzent ein umgänglicher und humorvoller Mann ist, der für alles zu haben ist, nur nicht für Lärm. Er führt ein offenes Haus, besser gesagt ein offenes Studio. Jederzeit darf der Nachbar bei ihm den Kopf hineinstecken zu einem kurzen oder auch längeren Plausch. Tabu ist der Zutritt immer nur dann, signalisiert das rote Lichtzeichen vor dem Studio eine Aufnahmesession. Dann darf wirklich niemand Rup stören. Seine Semmeln verdient er sich mit esoterischer Sphärenmusik, kann sie sich dick mit feiner Wurst belegen, da seine Sparte so richtig boomt. Seinen Worten nach kann er gar nicht so schnell produzieren, wie der Markt nach frischem Nachschub verlangt.

Bei jeder Aufnahme spielen zwei Musiker mit Rup, der lange, dünne Wortkarge mit der Zieh- oder Mundharmonika, und der kräftige, tapsige Bär mit Vollglatze und Nickelbrille, der sensibel die Geige streicht. Sie sind zwei nicht gerade alltägliche Typen. Rup selbst bedient als Könner alle Tasteninstrumente.

In den dem Wohnhaus gegenüberliegenden ehemaligen Stallungen hat der Blumen- und Samenhändler Inni Buisman sein Domizil gefunden. Inni ist semmelblond, immer fidel, hat eine lustige Sprache, gibt ganz das Bild eines Holländers, trägt allerdings keine Holzschuhe. Der quirlige Geselle hat was Vitzliputzliartiges und nicht selten etwas von einem lüsternen Faun. In unserem kleinen Kreis in Kimmling-Hof ist Inni schnell akzeptiert, da er mit seinem Geschäft unsere Ruhe nicht stört. Zeitig am Morgen fährt er los mit seinem mit bunten Blumen bemalten Sprinter, ohne dass der Motor heult, und kehrt erst am späteren Abend zurück.

4

An einem sonnigen Spätsommertag sitzen Korbinian, Inni, Rup und ich in Korbinians Werkstatt beieinander, reden über Gott und die Welt und trinken guten Wein, den ich mitgebracht habe. Eine zufällige Geschichte von Inni, der laut vom Segeln auf dem Ijsselmeer träumt, setzt mir, ohne dass er es ahnt, einen Floh ins Ohr.

Einige Tage danach spielen Korbinian und ich bei diesigem Wetter bei mir im Wintergarten Schach.

Korbinian ist ein erfolgreicher Holzbildhauer, mein Nachbar und vertrauter Freund. Er ist der einzige Mann, den ich nahe an mich heran lasse.

Nach der ersten Partie lehne ich mich zurück, verschränke meine Hände hinter dem Kopf, sehe ihn herausfordernd an, bis er es merkt.

Was ist, Herr Doktor? So nennt er mich seit dem Tag, an dem wir zum ersten Mal miteinander gesprochen haben.

Ich zeige vage zum Fenster hinaus. Wem gehört das Bootshaus im Schilf, Korbinian?

Er weiß sofort, welches Bootshaus ich meine. Alwin Vogl-meier, gibt er zur Antwort.

Wer ist das?

Ein Bootsbauer drüben in Stadlried.

Ob ich mir wohl das Bootshaus mal ansehen könnte?

Da müssen wir Alwin fragen.

Kennst du ihn?

Korbinian nickt.

Noch in der gleichen Woche fahren wir auf die andere Seite des Sees, nach Stadlried, wo mich Korbinian mit Alwin Vogl-meier bekannt macht. Wenn ich alle Parameter, die ich mir im Kopf zurechtgelegt habe, abhaken kann, werde ich mir von ihm ein Segelboot bauen lassen.

Wir sitzen im Schatten nahe am Wasser, ich male dem Bootsbauer mit Worten meine Vorstellungen in die laue Luft. Vogl-meier verspricht mit seiner rauen Stimme, mir meinen Traum von einem Boot zu bauen. Ein gutes Jahr, ungefähr, nennt er mir als Zeitrahmen. Wir schließen den Vertrag, Viehhändlern gleich, mit einem kräftigen Handschlag.

Danach fahren wir zu dritt zur Besichtigung des Bootshauses. Zuletzt sind wir auf einem schmalen Weg unterwegs, der bis zum Rand des Schilfgürtels führt. Von dort laufen wir auf einem Holzsteg durch das Schilf auf das Bootshaus zu. Drüben sehe ich mein Haus am Hang, weiß mit ockerfarbenem Dach, sehe mein Anwesen zum ersten Mal aus dieser Blickrichtung. Das Bootshaus, aus Lärchenholz gebaut, wie Voglmeier erklärt, ist von Sonne und Regen schwarz gebeizt. Obwohl lange nicht genutzt, ist es völlig in Schuss. Ich miete es für fast nichts, quasi für einen Apfel und ein Ei. Voglmeier weigert sich partout, es zu verkaufen.

Auf dem Weg hinüber zu Korbinian schaute ich bei Rup vorbei. Inni war noch nicht von seiner Tagestour zurück, denn sein bunter Sprinter stand noch nicht auf seinem gewohnten Platz.

Rup saß in seinem Büro, wippte, seine Füße auf dem Tisch, mit seinem Stuhl vor und zurück. Im Mundwinkel hing ihm eine filterlose Zigarette, nicht die erste heute, wie die dicke Luft im Raum verriet, in der linken Hand eine Flasche Bier, in der rechten einen Stift, mit dem er in den Notenblättern, die auf seinen Oberschenkeln lagen, herummalte.

Als Rup mich in der Tür stehen sah, legte er die Noten zur Seite, nahm die Füße herunter, stellte die Flasche auf den Tisch, lachte dabei, machte die zwei Schritte zu einem Umzugskarton, der an der Wand stand. Er beugte sich hinunter, griff hinein, richtete sich wieder auf, drehte sich zu mir um, hielt mir ein an den Ecken abgestoßenes Sammelalbum für 45er Schallplatten hin.

Stehend blätterte ich in dem Album, immer mehr staunend. Ohne Ausnahme waren es Singles der frühen Beatles:Tell me way, Boys, Twist and Shout, Rock and Roll Musicund und und.

Rup und ich saßen auf den hohen Hockern an der Bar. Auf dem einfachen Plattenspieler vor uns auf der Theke drehten sich die schwarzen Scheiben. Richtige Lautstärke für Beatmusik aus den zwei Boxen; natürlich waren Türen und Fenster geschlossen. Wir lächelten uns zu, fühlten uns in eine andere Epoche versetzt.

Ich war im Wald gewesen, habe auf einem Baumstamm lesend die Sonne genossen, fand auf dem Rückweg Korbinian hinter seinem Atelier auf der Bank sitzend, wo er mit geschlossenen Augen sein Gesicht der Sonne anbot.

Ich setzte mich neben ihn.

Er wandte sich mir zu. Könne ich diese wunderbare Stille hören?

Auch Korbinian besaß die sensible Antenne für solche Wahrnehmungen.

Beide lauschten wir dem hörbaren Frieden nach und es ging uns richtig gut.

Leise im Gras näherkommende Schritte ließen uns die Augen öffnen, unsere Gesichter sich der zuwenden, die da unsere Idylle zu stören wagte.

Magdalena.

Sie stand im Schatten des Nussbaumes. In ihrem schönen Gesicht tobte ein Unwetter. In ihren Augen standen Tränen, die sonst vollen Lippen waren ein Strich, die Kieferknochen mahlten, die gewöhnlich glatte Stirn lag in Falten.

Was war geschehen?

Magdalena ist meine Geliebte und mein Kumpel, sie ist der Mensch, der mir am nächsten ist, der mich so kennt, wie sonst niemand, das Wunder, das unverhofft in mein Dasein trat. Was man ihr tut, das tut man auch mir.

Ich ging zu ihr, nahm sie in den Arm. Sie schluchzte, stammelte unzusammenhängende Worte. Zunächst verstand ich nur einen Namen: Fontana.

5

Im Hinterhof war niemand zu sehen. Er zog die Tür, deren runden Griff er umfasst hielt, leise ins Schloss, streifte die Einmalhandschuhe ab, steckte sie in die Jackentasche und schlenderte auf den Durchgang zur Briennerstraße zu.

Vor gerade mal gut zwei Stunden hatte ihn Gert Fontana, Innenarchitekt für gehobene bis höchste Ansprüche, als Herrn Schmitz in seinen exklusiven Geschäftsräumen empfangen. Nur kurz, doch freundlich lächelnd, hatte er die schlaffe, warme Hand des untersetzten Mannes geschüttelt.

Bei ihrem ersten Treffen zwei Tage zuvor hatte er um diesen Termin unmittelbar vor Geschäftsschluss am frühen Samstagnachmittag gebeten. Für die Gier dieses schmierigen Grobians hatte er eine verlockend fette Beute in Aussicht gestellt. Da Fontana den nur vorgegaukelten dicken Auftrag unbedingt brauchte, hätte er wohl auch einem Gespräch um Mitternacht zugestimmt.

Der Hausherr ging voran, trat in einen großen, pompös ausgestatteten Raum, der mehr ein Wohnzimmer denn ein Büro war. Dort bat er den Besucher, in einem der Sessel Platz zu nehmen. Der erste Eindruck, den Herr Schmitz von dieser Räumlichkeit hatte, war eher dunkel: Dunkler Teppich, dunkle Vorhänge, dunkle Möbel. Allein zwei helle Lichter fielen ins Auge: Eine orange Kugel, die ohne erkennbar tieferen Sinn vor der weinroten Wand schwebte. Das zweite Licht war ein buntes überdimensionales modernes Gemälde, das etwas seitlich über einer alten Kommode hing.

Auch nach dem zweiten Blick, auch nicht nach einem dritten, gefiel dem vermeintlichen Herr Schmitz, was seine Augen da sahen.

Fontanas Mund, zu breit für das lange Gesicht, verschob sich zu einem Lächeln, während er über den dicken Teppich lautlos zur Musikanlage schritt, sich vorbeugte und Knöpfe drückte. Unmittelbar darauf ertönte das kurze Vorspiel der Oper Tosca aus unsichtbaren Lautsprechern.

Fontana lächelte herüber, fragte, ob Herr Schmitz Musik liebe? Er sei ein großer Liebhaber solcher Musik, erklärte er schmeichelnd, mache sie ihm doch den Kopf frei und fördere zudem seine Fantasie. Der Komponist Puccini und seine Oper Tosca seien Herrn Schmitz bekannt?

Der Besucher nickte, lächelte, signalisierte so ohne Worte, dass er die Oper kenne und nichts gegen die Musikuntermalung einzuwenden habe.

Fontana setzte sich Herrn Schmitz gegenüber auf die Couch, schlug die Beine übereinander, lehnte sich lässig zurück. Dabei streiften seine Augen kurz die spitze Papiertüte, die Herr Schmitz auf den Tisch gelegt hatte, mehr zur Mitte hin, fast wie ein stummes Angebot.

Der Architekt begann zu sprechen, beschrieb wortreich seine grundlegenden Ideen zu dem imaginär vor seiner Nase so verlockend schwingenden Auftrag.

Herr Schmitz schien aufmerksam zuzuhören. Das tat er tatsächlich, allerdings nicht Fontana, sondern der Musik. Fontanas architektonische Spinnereien waren ihm völlig gleichgültig.

Der Maler Cavaradossi sang:

Geheimnisvolle Harmonie

So verschiedene Reize!

Die braune Floria

meine feurige Geliebte!

Und du, unbekannte Schöne,

gekränzt mit blonden Locken!

Du hast blaue Augen,

Toscas Augen sind schwarz!

Er sah Fontana an. Dessen Lippen bewegten sich, für ihn lautlos, seine Hände malten Figuren in die Luft. Es war für Herrn Schmitz wie in einem Film, dem der Ton fehlte.

Tosca sang:

An deiner Seite will ich lauschen,

wenn im schweigenden, sternglänzenden Dunkel

die Stimmen der Nacht aufsteigen!

Aus den Wäldern, aus den Büschen,

aus den trockenen Kräutern,

aus den verfallenen Grabmälern,

von Thymian duftend,

dringt nachts das Flüstern

der kleinen Amoretten,

deren listige Ratschläge

die Herzen erreichen!

Erblüht, ihr weiten Felder,

erbebt, ihr Meereslüfte,

ihr Meereslüfte, im Licht des Mondes;

ah, ergießt eure Wonnen, ihr gestirnten Gewölbe,

Tosca erglüht in toller Liebe.

Herr Schmitz nahm die braune Tüte, eine in der Art, in der wohl fast jeder Obsthändler seine Ware weitergibt, reichte sie Fontana mit seinem besten Lächeln über den Tisch. Der ließ augenblicklich seinen Wortschwall versiegen, griff mit der rechten Hand nach der Tüte, öffnete sie mit der linken.

Sein Gesicht leuchtete auf, er dankte überschwänglich. Herr Schmitz sei außerordentlich aufmerksam. Woher ihm sein so unstillbares Verlangen nach Kirschen bekannt sei?

Herr Schmitz wiegte lächelnd mit dem Kopf, hob seine Schultern, sagte nichts. Er dachte, Fontanas Lust, eher schon Sucht, auf Kirschen sei wahrlich kein Geheimnis, ein kurzer Blick in Facebook reichte dazu aus.

Ich darf es mir schmecken lassen, ja? Fontanas Augen glänzten.

Diese süße Versuchung würde ihm seine Wegzehrung in die Ewigkeit sein, kommentierte Schmitz für sich.

Und sagte: Aber bitte, Herr Fontana.

Mit spitzen Fingern fischte Fontana die erste Frucht aus der Tüte und ließ sie zwischen schmalen Lippen verschwinden. Er kaute kaum, zerdrückte die Kirsche wohl mit der Zunge, schmeckte, schluckte. Eine zweite Frucht folgte unmittelbar. Er gab jetzt das Bild eines Genießers, eines verzückten Liebhabers süßer, schwarzer Kirschen.

Scarpia sang:

Ein zweifaches Ziel strebe ich an:

Den Kopf des Rebellen,

und was noch lustbarer ist -

ah, in ihren sieghaften Augen

die Flamme zu sehen, entzündet

von der Glut der Liebe!

In meinen Armen von der Liebe entzündet!

Er an den Galgen, sie in meinen Armen.

Erst nach der dritten Kirsche, nachdem er diesen exquisiten süßbitteren Geschmack der so saftigen Kirschen gelobt hatte, fragte er, welche exotische Kirsche er eigentlich gerade genieße?

Herr Schmitz hob nur leicht seine Hand, Herr Fontana habe recht mit den Attributen exquisit und exotisch, er möchte noch exklusiv hinzufügen, versprach, ihm später zu verraten, woher er sie habe und woher sie kämen.

Schmitz war zufrieden, dass sein Mitbringsel so gut ankam, musste er so nicht einmal einen Gedanken daran verschwenden, mit der Pistole, die er in der Tasche hatte, unsanft und womöglich sogar unhöflich, was ihm so widersprach, nachzuhelfen.

Fontana machte keinen Versuch mehr, seine Ausführungen fortzusetzen. Er widmete sich erst einmal intensiv dem Inhalt der Tüte.

Der Besucher stellte ihm Fragen nach den Puppen und Marionetten, die er in den Verkaufsräumen gesehen und bewundert hatte.

Fontana steckte die letzten beiden Kirschen kurz nacheinander in den Mund, auf seinen Lippen zeigte sich dunkelroter Saft, den seine rosa Zunge genüsslich, für Herrn Schmitz ein obszönes Bild, wegleckte. Seine Hände falteten die Tüte zusammen und strichen sie penibel glatt.

Der Chor sang:

Der Gesang der Menschen steigt, schwebt auf

durch die Räume, durch den Himmel,

vorbei an fremden Sonnen,

nach dem Wort des Evangeliums,

dringt zu dir, o König der Könige!

Einmal noch schlucken und dann war der Mund frei, um sogleich loszulegen, die Puppenmacherin als seine Entdeckung in den Himmel zu loben. Er redete sich in eine erstaunliche Begeisterung, nicht mehr allein über die Puppen, immer mehr über die Frau. Ließ mit seiner sich zusehends ungehemmt sprudelnden, vulgären Lyrik, die er augenzwinkernd dem Kumpel Mann gegenüber anbot, auch eine andere Gier neben der zu den Kirschen erkennen.

Fontana war so in Fahrt, dass er die schweigsame Distanz seines Zuhörers nicht bemerkte oder nicht bemerken wollte, was wohl auch seiner zunehmenden Unruhe geschuldet war. Zeigte sich damit schon eine erste Reaktion auf seine letzte Mahlzeit? Herrn Schmitz’ Augen betrachteten den Promi-Architekten wie ein interessantes Versuchsobjekt, dessen Erregung sich nur langsam, doch sichtbar steigerte.

Scarpia sang:

Ei, Cavalier, bedenkt:

Klug ist Eure Sturheit eben nicht.

Durch ein rasches Geständnis wird großer Kummer

vermieden.

Ich rate Euch, sagt mir:

Wo ist Angelotti?

Fontana wollte sich erheben, stemmte beim nächsten Versuch die Arme neben sich, aber auch jetzt vergeblich, er sackte atemlos zurück. Er bat stotternd um ein Glas Wasser.

Freundlich, dennoch mit klaren Worten, unmissverständlich, machte ihm Herr Schmitz deutlich, auch ein ganzer Eimer Wasser könne das pelzige Gefühl in seinem Mund nicht mildern.

Panik stieg in die Augen des Mannes auf der Couch.

Mit lächelndem Gesicht sagte der vermeintliche Kunde, Herr Fontana sei am Ende seines Weges angekommen. Noch vor Ablauf dieser Stunde werde er im Jenseits ankommen.

Fontana brachte kein Wort über die Lippen.

Tosca sang:

Nein! Nein!

Ah! Ah! Ah, ich kann nicht mehr!

Ah, wie entsetzlich!

Ah!

Beendet diese Qual!

Das ist zu viel!

Ach, ich kann nicht mehr!

Ach, ich kann nicht mehr!

Zur Sicherheit, ganz wie nebenbei, streifte sich Herr Schmitz Einmalhandschuhe über, griff die leere Tüte vom Tisch, steckte sie in die Außentasche seiner Jacke.

Mit einfachen, kurzen Sätzen, damit ihn Fontana auch bestimmt verstehen konnte, erklärte ihm Herr Schmitz, dass die Puppenmacherin, die er gerade eben noch mit schmierigen, schmutzigen Worten beleidigt hatte, die er vor einigen Tagen versucht hatte, zu vergewaltigen, und die er geschlagen hatte, ihm, Herrn Schmitz, sehr nahe und darum unter seinem Schutz stehe.

Fontana fing laut an zu lachen und gleich darauf zu weinen. Beide Fäuste presste er gegen seine Brust. Das Lachen und Weinen steigerte sich schnell zu einem Krampf.

Tosca sang:

In dieser schmerzensvollen Stunde,

warum, warum, o Herr,

warum belohnst du mich nun so?

Ich gab Juwelen für den Mantel der Madonna

und meinen Gesang für die Sterne am Himmel,

dass sie noch schöner strahlen.

In dieser schmerzensvollen Stunde,

warum, warum, o Herr,

ah, warum belohnst du mich nun so?

Herr Schmitz sah Fontana ohne Mitleid beim Sterben zu, befand sich in einem Käfig der Unerreichbarkeit, war ein Klotz aus Eis.

Fontana war nicht mehr anzusprechen, nicht mehr ganz von dieser Welt. In seiner Gier nach süßen Früchten hatte er schwarze Tollkirschen genossen.

Auf einer Exkursion durch die Wälder des Umlandes hatte der Freund ihm einmal im Vorbeiwandern eine Stelle gezeigt, wo diese Früchte wuchsen.

Fontanas Pupillen waren stark erweitert, er lallte unverständliche Laute. Die Krämpfe nahmen an Intensität zu, das Gift lähmte zusehends das zentrale Nervensystem. Der Kopf wurde sehr rot, Schweiß lief ihm über das Gesicht, er schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft.

Cavaradossi sang:

Für immer ist mein Liebestraum verflogen,

die Stunde ist vorbei, und ich sterbe verzweifelt,

und ich sterbe verzweifelt!

Und ich habe doch das Leben nie so sehr geliebt,

so sehr das Leben geliebt!

Heftige epileptische Anfälle kamen nach den Krämpfen. Fontana kippte von der Couch, zuckte auf dem Teppich herum, beschmutzte ihn.

Nein, es konnte nicht mehr lange dauern. Der Mann hatte das Ufer des Jordans bereits erreicht.

Cavaradossi sang:

Ihr süßen Hände, sanft und rein,

ihr Hände, zu edlen Werken geschaffen,

Kinder zu liebkosen, Rosen zu pflücken,

zu beten für die Unglücklichen!

Zu euch, von der Liebe gestärkt,

hat die Gerechtigkeit ihre heiligen Waffen gelegt?

Ihr gabt den Tod, ihr sieghaften Hände,

ihr süßen Hände, sanft und rein!

Fontana war tot.

Der ehemalige prominente Innenarchitekt lag auf dem Rücken, starrte mit offenen, großen Augen zur Zimmerdecke.

Herr Schmitz hörte sich die Oper bis zum Ende an.

Bis auch Tosca und ihr Geliebter Cavaradossi tot waren.

Bis zum »Bayerischen Hof« hinüber war es nur ein Katzensprung. Dort wartete Magdalena auf mich. Sie wusste nicht, ahnte vielleicht, wo ich gewesen war, besaß sie doch eine bestechende intellektuelle Schärfe.