Träume am Ende des Weges - Michael Böhm - E-Book
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Träume am Ende des Weges E-Book

Michael Böhm

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Beschreibung

Besonderen Momenten im Leben großer Persönlichkeiten nähert sich Michael Böhm auf literarischen Pfaden. Er erzählt fesselnd von der Vision Heinrichs des Seefahrers am letzten Tag seines Lebens, schildert einen friedlichen Augenblick Friedrich Schillers auf der Flucht und folgt den Spuren des großen Goethe inkognito in Italien. Vor unserem inneren Auge leben König Saul, Lawrence Durrell oder Giuseppe Verdi auf. Ob die Wirrungen der Liebe bei Wilhelm von Wolzogen, eine Freundschaft im Gleichklang bei Hermann Hesse und Thomas Mann oder ein fieberhaftes Suchen bei Albert Camus in Szene gesetzt werden: Michael Böhm macht sie als fiktive Lebenswirklichkeit der Berühmtheiten erfahrbar. Eine zauberhafte Galerie von 25 unsterblichen Namen, die in diesen Erzählungen fortleben. Eine literarische Annährung an große Persönlichkeiten von Michael Böhm – lebendig, poetisch, lebensecht.

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Seitenzahl: 227

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Michael Böhm

Träumeam Ende des Weges

Kleine Galerie unsterblicher Namen

P & L EDITION

Impressum

Dieses Werk wurde durch die Autoren- und Projektagentur Gerd F. Rumler, München, vermittelt.

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- und Bildteile.

 

Copyright © 2019 bei P&L Edition, ein Imprint von Bookspot Verlag GmbH, Planegg

1. Auflage

 

Lektorat: Sylvia Kling

Korrektorat: Andreas März

Satz/Layout und Covergestaltung: Martina Stolzmann

E-Book: Mirjam Hecht

Alle Abbildungen © Wikipedia/Wikimedia

 

Druck: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Made in Germany

ISBN 978-3-95669-125-6

www.bookspot.de

Dank

Meinen Dank an Christel und unseren Manuel. Immer wieder.

Inhalt

Impressum

Dank

Inhalt

Schiller, Das Siegesfest

Bis an das Ende der Welt

Heinrich der Seefahrer – Ein Essay

Ode an die Freundschaft

Friedrich Schiller

Ein Schneider, der die Treppe herunterfiel und den Hals brach

Johann Wolfgang von Goethe

Tod in Triest

Johannes Joachim Winckelmann

Mein Vetter Saul

König Saul

Träume am Ende des Weges

Meine Hommage an Lawrence Durrell

Flieg, Gedanke, auf goldenen Flügeln

In Verehrung Giuseppe Verdi

Ein schöner Sommertag oder Liebe Cousine

Wilhelm von Wolzogen

Die Spaziergänger von Montagnola

Hermann Hesse und Thomas Mann

Rast an der Quelle

Der Heilige Alto

Ein glücklicher Tod

In Memoriam Albert Camus

Die Suche nach L’ Arianna

Claudio Monteverdi

Der Glaube der Hähne

Theodor Fontane

Das Verschwinden eines Mahners

Auf der Suche nach dem Philosophen Roderich Axtner

Lehrer eines Kaisers

Alkuin von York und Karl der Große

Der Geheimagent

W. Somerset Maugham

Meister Hans Thoma

Der Maler zur Sommerfrische im Taunus

Sein Salinas-Tal

John Steinbeck schreibt »Jenseits von Eden«

Kreidefelsen im Licht

Claude Monet und Guy de Maupassant in Étretat

Reisender mit feiner Feder

Johann Wilhelm von Archenholz

Der Traum vom Drucken

Johannes Gutenberg zu Ehren

Entlang der Küste Afrikas

Hanno der Seefahrer

Anhang

Über den Autor

Weitere Titel im Verlagsprogramm

Leseprobe: Dinner mit Elch

FREITAG

Schiller: Das Siegesfest

Von des Lebens Gütern allen Ist der Ruhm das höchste doch; Wenn der Leib in Staub zerfallen, Lebt der große Name noch.

Bis an das Ende der Welt

Heinrich der Seefahrer – Ein Essay

Eine Tafel am Eingang zur geheimnisumwitterten Seefahrerakademie in Sagres im Algarve erinnert an den Prinzen Heinrich:

»Aeternum sacrum! Von dieser Stelle aus hat der große Prinz Heinrich, Sohn Johanns I., König von Portugal, es unternommen, die vorher unbekannten Regionen von Westafrika zu erforschen und um Afrika herum einen Weg zu den entlegenen Ländern des Orients zu suchen. Er hat auf eigene Kosten sein Schloss, die berühmte Schule der Kosmographie, das astronomische Observatorium und das Seearsenal errichtet und bis an sein Lebensende mit bewunderungswürdiger Ausdauer erhalten, gefördert und erweitert zum größten Segen der Wissenschaft … Als seine Expeditionen den 8. Grad nördlicher Breite erreicht hatten, als manche Insel im Ozean entdeckt und mit portugiesischen Kolonien versehen war, starb dieser große Prinz am 13. Nov. 1460 …«

Prinz Heinrich von Portugal ist eine geheimnisumwitterte Figur der Geschichte, sogar eine zwiespältige, egal von welchem Blickwinkel aus man das wenige, welches man sicher von ihm weiß, auch betrachten mag.

Sofern an Geschichte interessiert, begegnet einem Interessierten immer wieder dieser Name, es ist nie viel, meist nur Bruchstückhaftes. Heinrich ist nur eine Randfigur der Weltgeschichte. Andere Namen überstrahlen ihn ganz leicht mit ihrem Nachruhm. Doch mit dem Zusatz zu seinem Namen, vermag er sich doch im fantasiebegabten Gedächtnis verankern: »Der Seefahrer«. Wen, welchen Mann bedachten da die Chroniken mit diesem ungewöhnlichen Beinamen? Hatten nicht viele andere glorreiche Figuren der Geschichte »der Große« als Zusatz hinter ihrem Namen? »Der Seefahrer« war einmalig, ließ Abenteuer ahnen, roch er doch nach Ferne und Träumen.

Wer war dieser Heinrich?

Vor Jahren bin ich ihm, Heinrich dem Seefahrer, begegnet, nicht persönlich natürlich, nur virtuell. Ich stand dort, wo auch er einst stand. In Sagres, auf dem Kap Sao Vincente, in der äußersten Südwestecke Portugals, im Algarve, wo jeder Besucher den heute noch eindrucksvollen Ort der ehemaligen Seefahrerakademie des Prinzen auf sich wirken lassen kann. Von diesem mächtigen, tief in ein wütend brausendes Meer abfallenden Felsen aus organisierte Heinrich seine Expeditionen ins Unbekannte. Der Prinz war ohne ein damals bekanntes Vorbild an diese Aufgabe herangetreten, ohne sich auf irgendwelche Erfahrungen stützen zu können, ohne schnelle Ergebnisse vor Augen zu haben, ohne eigentlich mit Erfolgen überhaupt rechnen zu können. Zudem kämpfte er von Anfang an gegen das Unverständnis seiner Umgebung.

Wer also war dieses Phantom der Geschichte?

Ich hatte Sagres gesehen, kehrte von der Urlaubsreise heim und »der Seefahrer« ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Schnell stellte ich fest, dass die Literatur über Heinrich nicht gerade eine Bibliothek füllt, nicht mal eine kleine. Die brauchbaren Quellen sprudelten nur spärlich. Was ich fand, sichtete, verglich, war oft widersprüchlich, in manchen Angaben sogar fehlerhaft. So wurde Heinrich, um ein Beispiel zu nennen, direkt mit Kolumbus in Verbindung gebracht, der jedoch im Todesjahr des Prinzen, 1460, noch ein Kind war.

In einigen Texten wird das Wirken Heinrichs, die Existenz seiner Akademie in großen Teilen, manchmal sogar gänzlich angezweifelt. Hat es den Prinzen überhaupt gegeben?

Gerade solche Punkte reizten mich, Heinrich weiter auf der Spur zu bleiben. Meine Sammlung über den portugiesischen Königssohn und seine Zeit wuchs langsam, aber doch stetig. Werden sich vielleicht die Lücken schließen, für die noch Vermutungen oder die Fantasie herhalten müssen?

Wenn ich auf den folgenden Seiten von diesem besonderen Mann erzählen will, seinen letzten Tag mit seiner Lebensgeschichte verwebe, erhebe ich nicht den Anspruch der Vollständigkeit und auch nicht den der reinen Wahrheit. Es soll nur der Versuch einer Annäherung an Heinrich den Seefahrer sein.

1 TAGESANBRUCH

Der halb nackte Mann ist nur noch Haut und Knochen. Völlige Stille umgibt ihn. Durch das eine größere und das zweite kleinere Fenster graut der neue Tag herein in die mehr als karge Klause. Mit brennenden Augen starrt der Mann hinauf zur tiefdunklen Decke. Irgendwann in der Nacht, er hatte es nur kurz im Halbschlaf wahrgenommen, rüttelte ein starker Wind an dem Haus. Unbewusst hatte er entschieden, dass der Wind nicht die Kraft zu einem Sturm haben würde. So war er wieder in den Schlaf zurückgesunken. Später in der Nacht war dann der weißgewandete Engel an sein Lager getreten mit der Nachricht, dass seine Abberufung von dieser Welt unmittelbar bevorstehe. Sein Herz hatte sich schmerzhaft verkrampft. Lautlos bewegten sich die blutleeren Lippen, als er tonlos fragte, ob der Himmel ihm vergeben habe oder ob er in die ewige Hölle hinabgestoßen würde. Der Engel hatte gelächelt. Noch einmal bat er eindringlich um eine Antwort. Wieder lächelte der Himmelsbote, um gleich darauf unsichtbar zu werden.

Seit dieser Vision liegt Heinrich, Prinz von Portugal, Herzog von Visen, Herr von Covilha, Großmeister des Christusordens, der in der gesamten Christenheit berühmte Seefahrer, wach.

Er stellt sich die Frage nach dem Warum, wieder einmal. Ist es Gottes Wille, der Mensch solle in seinem Lebensbereich bleiben? Oder folgt er dem Willen des Herrn, seinem Wort: Machet euch die Welt untertan? Zu welchem Nutzen gibt er, Heinrich, seine Befehle: Zum Wohle des Landes, allein für den König oder doch nur für eine kleine Oberschicht? Oder aber, das Schlimmste für ihn, ist es sein Ehrgeiz, doch nur sein persönliches Ziel? Ist er so, wie über ihn gesprochen wird? Er weiß es, denn er hat überall seine Ohren: Rücksichtslos sei er, hart, sogar bösartig. Muss er nicht so sein, um seine große Aufgabe zu erfüllen?

Jede Nacht, seit Jahren quält er sich mit diesen Fragen. Doch das ist nicht der wunde Punkt, der schwärzeste Punkt in seinem Leben, der jedes Mal als Höhepunkt seiner Selbstanklage in seine Gedanken drängt. Der alte Mann ist von einem Stigma gezeichnet, das allen bekannt ist, eine Schuld, an der er schwer trägt, die er nur tief bereuen, nicht wiedergutmachen kann. Es ist der Verrat an seinem jüngeren Bruder Fernando.

Tanger ist zweiundzwanzig Jahre nach Ceuta, im Jahre des Herrn 1437, das zweite kriegerische Unternehmen in Nordafrika. Prinz Pedro, der zweite Bruder, war dagegen, weil Portugal sich das Unternehmen nicht leisten konnte.

Heinrich ließ sich von realistischen Argumenten nicht von einem Ziel abbringen, das er sich vorgenommen hatte. Er verfasste eine Denkschrift, in der er zu dem Angriff aufrief. Scheute auch nicht vor reiner Kriegshetze zurück. Fernando sollte die Möglichkeit erhalten, sich seine Rittersporen zu verdienen, wie er selbst einst in Ceuta. Doch die Eroberung von Tanger blieb nur ein Versuch, wurde dem jungen Bruder zum Verhängnis. Die Folge des Fehlschlages war zudem ein Wirtschaftsniedergang in Portugal.

Damals, bei der Einnahme von Ceuta, war Heinrich als Hitzkopf vorgegangen und hatte zudem wirklich Glück gehabt. Mit seinen Worten gesagt: Der Himmel war mit ihm. In Tanger war der Himmel nicht mit ihm, ganz und gar nicht. Heinrich schlug alle strategischen und taktischen Ratschläge in den Wind, manövrierte sich in eine Lage, aus der er sich nur zu befreien vermochte, indem er seinen Bruder als Geisel zurückließ.

Die Bedingung für die Freilassung des jungen Prinzen war die Rückgabe von Ceuta. Die Brüder Duarte und Pedro waren dazu bereit, ebenso die Vertreter der Städte und der Provinzen. Der Adel und der Klerus hingegen wollten die christliche Stadt nicht in die Hände der Ungläubigen zurückgeben. Die Auseinandersetzung zog sich hin. Fernando blieb in den Händen der Mauren, für die er bis zu seinem Tod, acht lange Jahre, Sklavenarbeit verrichtete. Sein Gewissen meinte Portugal damit zu beruhigen, indem Fernando zu einem christlichen Märtyrer erhoben wurde.

Natürlich war auch Heinrich um seine Stellungnahme befragt worden. Er wich aus, indem er ein Heer verlangte, mit dem er die Mauren aus Afrika vertreiben und seinen Bruder befreien wollte. Das war ein rein rhetorischer Vorschlag, sowohl was die wirtschaftlichen Möglichkeiten als auch seine persönlichen Fähigkeiten betrafen. Heinrich, der seinem Bruder versprochen hatte, ihn auszulösen, opferte den Prinzen der Staatsräson und der christlichen Machtpolitik. Der von Heinrich geforderte Feldzug fand nicht statt.

Heinrich steigt mit tränenüberströmtem Gesicht von seinem einfachen Lager und wankt zu der nahen Kniebank.

Als er sich endlich wieder mühsam erhebt, küsst er das Amulett, das er um den Hals trägt. Seit seine streng religiöse Mutter es ihm als Kind geschenkt hatte, hat er es nie abgelegt.

Wenig später verlässt er seine Klause, ein völlig anderer Mann tritt in den jungen Tag hinaus. Ein stolzer, düsterer, unnahbarer Herr, schlank, hochgewachsen, ein schmales eingefallenes Gesicht, dunkle tiefliegende Augen, weißes volles Haar, in schwarzen Samt gekleidet, die goldene Kette des Christusordens auf der Brust.

Nur für Momente bleibt er stehen, blickt zum Himmel und hinunter zum Meer. Dann schreitet er zur nahen Kapelle. Bis auf den Altar, mit einem Teppich davor und zwei Stühlen an der Wand, ist sie leer. Heinrich geht in die Knie, legt sich der Länge nach auf den Teppich, der hier den Steinboden bedeckt, um zu beten.

Nur kurze Zeit später betritt beinahe unhörbar ein junger Mönch das Gotteshaus, der Benediktiner Paulinho, der vom fernen Rhein stammt. Er hat blondes langes Haar und ein zartes, offenes Gesicht. Der Mönch ist der Beichtvater des Prinzen, ist einer der ganz wenigen, die eine engere Beziehung zum Prinzen haben, so weit jedenfalls, wie dieser es zulässt. Er kennt Heinrich als äußerst liebenswürdig, aber eben auch als aufbrausend und unkontrolliert wütend. Hat der Prinz sich etwas in den Kopf gesetzt, wird sein Wille gnadenlos.

Paulinho bleibt nahe der Tür stehen, hat seine Hände in den weiten Ärmeln vergraben. Er weiß, er darf den vor dem Altar Liegenden auf keinen Fall stören, und er wird dafür sorgen, dass er auch nicht von anderer Seite in seinem Gebet unterbrochen wird. Seine hellen Augen haben Heinrich im Blick. Der Prinz ist auch nur ein Mönch, denkt Paulinho, nur fanatischer, unbeugsamer, unmenschlicher als irgendeiner von uns. Heinrich kennt keine Sinnesfreuden, hält sich stets von Frauen fern, als seien sie eine Krankheit, gestattet sich keinen Schluck Wein, fastet über jedes Gebot hinaus, trägt jeden Freitag ein Büßerhemd.

Warum ist Prinz Heinrich so? Paulinho weiß es nicht, hat nur einiges flüstern hören.

Heinrich, geboren am 4. März 1394 in Porto, in einem Adelshaus nahe dem Strom, als der dritte Sohn von König Johann I. aus dem Hause Avis, und Philippine, einer Prinzessin aus dem englischen Hause Lancaster. Heinrich ist demgemäß von Geburt an in der Thronfolge aussichtslos zurück.

Schon relativ früh lernt der kleine Prinz lesen, schlägt den ungewöhnlichen Weg, so es seine strengen Zeitregeln zulassen, des Selbststudiums ein. Alles, was ihm erreichbar ist, liest er und stößt so das erste Mal auf den Namen Atlantis, der ihn vom ersten Moment an fasziniert und tatsächlich sein ganzes späteres Leben bestimmen soll.

Sein Charakter folgt der Erziehung, auch sein Glaube ist darauf angelegt, aus ihm einen christlichen Ritter zu machen, fromm, ja fanatisch, die Bibel in der Tasche und das Schwert in der Hand.

Heinrich begleitet die älteren Brüder zunächst als Knappe zu den Turnieren, die überall im Lande abgehalten werden. Erst nachdem er alt genug ist, um als Gegner akzeptiert zu werden, nimmt er aktiv an den Wettkämpfen teil. Während die Brüder gern tanzen und manchen Becher in fröhlicher Gesellschaft leeren, hält Heinrich sich davon fern, zieht sich in irgendeine Kirche zurück, um zu beten.

Bei den ritterlichen Übungen zeichnet er sich aus, vor allem durch seinen unbändigen Ehrgeiz, der keine Rücksicht kennt. Und doch wird die Zukunft zeigen, dass Heinrich als Ritter kaum eine überragende Figur abgeben, auch nie ein guter Feldherr werden würde, da ihn strategische wie taktische Fragen kaum interessieren.

In seiner frühen Jugend wird wohl auch der Grund von Heinrichs innerer Zerrissenheit zu suchen sein. So ist er einer der ersten ernsthaften und kritischen Wissenschaftler der Neuzeit, hat aber auch in sich alle Düsternis und Beschränktheit des Mittelalters, was auf die Erziehung seiner überaus frommen Mutter zurückzuführen sein wird. Mal ist der Prinz im Laufe seines Lebens der Überwinder der alten Zeit, dann wieder steckt er in ihr fest. So ging er, ein mystischer Denker, der an Wunder und die Sterne glaubte, mit aller Macht gegen den Aberglauben an. So beschwor er in zündenden Reden die Seeleute, nicht an die Märchen zu glauben, die man ihnen erzählte. Sie sollten ihm vertrauen, er würde ihnen den richtigen Weg weisen.

Er, Prinz Heinrich, der Initiator und Organisator, der Finanzier der Entdeckungsreisen, war selbst so gut wie nie auf See; kam nicht über den Maghreb hinaus. Dennoch hat er die Seefahrt in neue Bahnen gelenkt, ihr völlig neue Wege gewiesen. Und hat den Grundstein gelegt zur Kolonialmacht und der historischen Bedeutung Portugals und zur späteren Weltherrschaft der westeuropäischen Völker.

Seine weitblickenden Pläne hat kaum einer und am Königshof überhaupt niemand verstanden. Heinrich war bald klar, nach seinem Tod wird man sein Lebenswerk, die Seefahrerakademie, schließen.

Prinz Heinrich erhebt sich vor dem Altar, langsam und mühsam, schaut sich mit schmalen Augen um, sieht den Mönch an der Wand im Halbdunkel stehen. Ein schnelles Leuchten blitzt in seinen Augen auf.

Der Prinz nennt bei der Begrüßung den Mönch Bruder.

Sie setzen sich auf zwei einfache Hocker, die seitlich an der Wand stehen. Ohne jede Vorrede schneidet Heinrich das Thema Schuld und Vergebung an.

Alles ist eine Gnade Gottes. Das ganze Leben ist Gnade. Werden wir alle an den göttlichen Fäden gezogen? Haben wir einen eigenen Willen, oder folgen wir allein dem göttlichen Willen? Gehorchen wir den göttlichen Vorgaben, können wir dann überhaupt schuldig werden?

Heinrich will beichten. Bruder Paulinho, sagt er, meine Zeit ist abgelaufen.

Prinz Heinrich hat wohl als Einziger seiner Familie wirklich erkannt, dass die Zukunft Portugals auf dem Meer liegen musste. Und damit sind wir genau an dem Punkt, warum Heinrich bis heute den Historikern ein Rätsel aufgibt.

Dieser streng Konservative, dieser mittelalterliche Ritter, der Mystiker, der an Wunder und die Sterne glaubte, zeigte sich ebenso durch seine wissenschaftliche Methodik als ein Mann, der seiner Zeit weit, weit voraus war. Er wurde das Sinnbild eines neuen Typus, der des Intellektuellen, was nicht heißt, dass der andere Teil seiner Persönlichkeit dahinter zurücktrat. Männer, die ihn persönlich kannten, wie Zurara, Diogo Gomes, Cada Mosto beschrieben seine hervorstechendsten Eigenschaften: strenge Frömmigkeit, unbeugsame asketische Haltung, besessen von der Kreuzzugsidee.

Doch diese Aussagen stehen so stark im Gegensatz zu dem, was und wie er sein Werk in Gang setzte, dass zu vermuten ist, dass die erwähnten Charakterzüge gerade die waren, auf die Heinrich selbst besonderen Wert legte.

In diesem eklatanten Widerspruch zwischen dem strengen Bild des Infanten und seinen realen Taten ist wohl der Grund zu suchen, warum es unter den Historikern Kreise gibt, die die Seefahrerakademie von Sagres für eine schöne Erfindung halten und auch an Beweisen für die Unterstützung des Prinzen für die Wissenschaft zweifeln. Sie führen natürlich ein starkes Indiz an, denn von Heinrich haben sich keinerlei schriftliche Zeugnisse von eigener Hand erhalten. Auch darum wird er von den Zweiflern für wenig gebildet gehalten und zum Kopf der Forschungsreisen als nicht geeignet angesehen.

2 MORGEN

Es ist nur ein einfaches Frühstück, das der Prinz zu sich nimmt: Brot, Käse, Wasser.

Der alte Diener Gatao, der Kater, hat das Essen gebracht und wird auch nachher, wenn Heinrich gegangen ist, den Holztisch abräumen.

In einen weiten Mantel gehüllt verlässt Heinrich sein Haus. Am Himmel jagen graue Wolken über blaue Flecken und es weht ein kühler Wind vom Meer her.

Auf der äußersten Landspitze Portugals, dem Ende der Welt, nahe Kap Sao Vincente, einem Vorgebirge, das sich in den Atlantik hinausstreckt, errichtet der Prinz 1416 das Schloss Sagres, die Villa do Infante, aus dem sich schon bald eine nautische Versuchsstation entwickelt. Über dem Haupttor lässt er seinen Wappenspruch anbringen: »Talent de bien faire – Fähig zu großen Taten, fähig, es gut zu tun, den Willen, es gut zu machen.«

Das Schloss, mehr ein Landhaus, ist für einen königlichen Prinzen sehr bescheiden. Da ist das karge Steinhaus, in dem Heinrich wohnt. Daneben die kleine Kirche. Ein Turm, in dem das Observatorium untergebracht ist. Einige flache Gebäude für die Forschungen. Und eine riesige Windrose aus Steinen.

Was hier an Technikern und Experten versammelt ist, kann neben der Akademie in Florenz bestehen. Hier wie dort wurden Grundlagen geschaffen, die die damalige Welt verändern sollten. Während in Florenz das Menschenbild überprüft und erweitert wurde, eröffnete Sagres den Menschen die Naturwissenschaft, mit deren Kenntnissen es gelang, in den nächsten Jahrzehnten die erkundete Welt viermal größer werden zu lassen.

Auf dem weiten Hof sind einige Männer beschäftigt, mehrere eilen geschäftig hin und her. Keiner von ihnen wagt den Prinzen anzusprechen. Wenn er etwas von ihnen will, nimmt er den Kontakt auf. Nur wenige genießen das Privileg, von sich aus Heinrich ansprechen zu dürfen.

Heinrich sieht Paulinho aus einem der niedrigen Gebäude treten, winkt ihn heran, fordert ihn auf, mit ihm zu gehen. Sie halten weiter auf das Meer zu, der Wind hat weiter zugenommen, tief unter ihnen gebärdet sich das Meer aufgewühlt und ungebärdig.

Die beiden Männer stehen im Windschutz einer Mauer. Heinrich spricht von der Schwere seiner Verantwortung, von seiner Angst, Menschen in den Tod geschickt zu haben bei den Fahrten über das Bekannte hinaus, bis an das Ende der Welt. Er sende Männer ins Ungewisse, in eine unbekannte Leere mit der Gewissheit, dass es richtig sei für sein Land, für das Wissen der Christenheit. Dennoch kranke seine Seele am Zweifel.

Der Mönch schaut ihn ernst an, sagt, der Prinz sei das Werkzeug des Herrn. Der Himmel wisse, wen er für große Aufgaben auswähle, mache es aber seinen Werkzeugen dabei nicht einfach.

Das Gesicht des Prinzen hellt sich auf, ein Lächeln erscheint. Der Mönch staunt stumm, denn solche sichtbaren Gemütsregungen kommen nur sehr selten vor.

Das Lächeln bleibt auf dem Gesicht, während die Augen über das unruhige Meer blicken.

Erinnerungen.

Ein Schlachtfeld, eine weiße Stadt, das gütige Gesicht eines alten Mannes. Heinrich war gerade mal zwanzig Jahre alt, als die Vorbereitungen zur Eroberung von Ceuta, der Maurenstadt in Nordafrika, anliefen. Das blühende Handelszentrum versprach den Portugiesen den Schlüssel zum Mittelmeer, hatte doch, wer Ceuta hatte, die Kontrolle über die Meerenge von Gibraltar, konnte die Piraten in Schach halten und besaß den Zugang, eine unwiderstehliche Verlockung, zum afrikanischen Gold.

Der König machte den Söhnen die ritterlichen Turniere schmackhaft, hier sollten sie sich bewähren. Doch sie wollten bald keine Spiele mehr, forderten den Ernst, riefen nach Krieg. Und der Vater gab nach.

Während der König die Truppen rekrutierte, nahm sich der älteste Sohn der Regierungsgeschäfte an. Die beiden anderen Söhne beaufsichtigten den Flottenbau, Pedro in Lissabon, Heinrich in Porto. Bei den langen Gesprächen mit Kapitänen, Steuermännern, Schiffsbauern erkannte Heinrich die Schwächen der Nautik, fiel ihm auf, dass den Seefahrern es an guten Instrumenten und Methoden zur Ortsbestimmung auf See mangelte. Er nahm sich vor, dafür zu sorgen, Lösungen für die Probleme zu finden. Was ihm vorschwebte, war in Porto nur allzu schwer, eigentlich gar nicht durchzuführen. In diesem lebhaften Hafen gab es zu viele Augen, denen ungewöhnliche Vorgänge nicht allzu lange verborgen blieben, zu viele Ohren, die hören wollten, was im Geheimen gesprochen würde.

In dieser Phase seines Lebens trat der methodische Teil seines Wesens in den Vordergrund. Schritt für Schritt ging Heinrich leidenschaftlich erregt und dennoch ganz kühl seinen Weg.

Als durchsickerte, Portugal kaufe Waffen in England, wurde von offizieller Seite behauptet, die Waffen würden für eine Strafaktion gegen die Niederländer benötigt. Geheimdiplomaten unterrichteten die Niederländer gleichzeitig über die wahren Absichten. Die politica de siglo und die politica de segredo, die Politik des Verschweigens und der Geheimhaltung, die Heinrich führend mitentwarf, sollte den zukünftigen Stil der portugiesischen Politik prägen, vor allem als es später darum ging, die Entdeckungen so lange wie möglich geheim zu halten.

Heinrich wurde zum Oberbefehlshaber für den Feldzug gegen Ceuta ernannt. Er war 21 Jahre alt, als 200 Schiffe und etwa 25.000 Mann, unter ihnen viele Ritter aus ganz Europa, auch der Tiroler Dichter Oswald von Wolkenstein, in See stachen.

Der junge Prinz ließ es sich nicht nehmen, als Erster an Land zu springen und an vorderster Front gegen die Stadt zu stürmen.

Auch als Lohn für den Sieg wurde er noch in Ceuta mit der Verwaltung des Großmeisteramtes des Christusordens, einer Nachfolgeorganisation der Templer, betraut. Der Orden sah es als eine seiner Aufgaben an, die Mauren zu bekämpfen. Unter der Führung von Prinz Heinrich wurde er aber vor allem ein Handelsunternehmen.

Bei seinem erfolgreichen Abenteuer von Ceuta war Heinrich erst 21 Jahre alt. Er war der Sieger. Wird mit hohen Ehren überhäuft. Muss nun eine große Verantwortung tragen. Wie kommt ein so junger Mensch damit zurecht? Wie geht er mit seiner Macht um?

Von seiner schon festen und ernsten Persönlichkeit ausgehend, nehme ich an, dass in seinem Verhalten keine Veränderung erkennbar wurde. Er blieb ruhig und überlegt. Ich sehe es als sicher an, dass er, als er seine Akademie aufbaute, sich aus der ersten Linie zurückzog, delegierte und aus dem Hintergrund die Fäden zog.

In Ceuta lernte Heinrich einen alten Mann kennen, einen Juden. Die beiden Männer, der eine alt und weise, der andere jung und stürmisch, kamen sich näher, soweit das bei dem komplizierten Charakter des Prinzen überhaupt möglich war. Der alte Jude wird sich als einer der wenigen ehrlichen Freunde im Leben Heinrichs erweisen. Der alte Jakob wurde in der beschränkten Zeit zum Lehrer für den jungen Heißsporn und für dessen zukünftigen Lebenslauf sehr wichtig. Jakob öffnete Heinrich die Augen, sprach aus, was der Prinz tief innen ahnte. Bei der Einnahme der Stadt hatte er eine Menge Fehler gemacht und war nur Sieger geblieben, weil er Glück und zu viele Vorteile auf seiner Seite hatte. Das Urteil des Alten: Heinrich ist kein Feldherr. Der stolze Prinz war von diesem Zeugnis hart getroffen. Er fühlte, dass es die Wahrheit war, aber sein Traum war es nun einmal, ein großer Eroberer zu werden. Ja, nickte Jakob, Eroberer, aber nicht zu Lande, sondern auf dem Wasser. Für Portugal bringen solche militärischen Erfolge wie Ceuta für die Zukunft nur wenig. Das Meer müsse Portugal beherrschen. Hier liege die Aufgabe für den Prinzen. Heinrich vertraute Jakob seinen Jugendtraum an, nämlich Atlantis zu finden. Dann solle er Atlantis eben finden, sagte Jakob. Heinrich erkundigte sich nach den Karawanenstraßen in die Weite des Landes. In seiner Antwort erzählte der alte Jude auch von der geheimnisvollen Wüstenstadt Timbuktu. Jakob vernahm auch die anderen Träume des Prinzen, nämlich den sagenhaften Priester Johannes, den Weg zum großen Indien zu finden. Doch dahin führt der Weg durch das Mare tenebrosum, dem Meer der Finsternis, das südlich des Kap Bajador liegen muss, wohin sich noch kein Schiff gewagt hat. Nämlich ganz in der Nähe liegt Kap Nun, von wo es keine Rückkehr gibt, denn gleich südlich davon ist das Ende der Welt, wo Dunkelheit und Verderben warten. Dort, wo die Winde ständig umspringen, die Strömungen unwiderstehlich sind, brennt die heiße Sonne auch weiße Menschen zu Negern, bevor sie endlich scheitern.

Der alte Jakob wischte mit einer entschiedenen Handbewegung diese Gedanken zur Seite. Das ist alles Unsinn, Prinz. Überwinde er diesen dummen Aberglauben nicht, dann finde er Atlantis niemals oder das große Indien. Keine wirklich wichtige Aufgabe würde er so für sein Land erfüllen.

Beim Abschied, noch in der letzten Umarmung, mahnte Jakob ihn noch einmal. Er werde wohl für immer ein zerrissener Mensch bleiben, aber vielleicht konnte er ihm den Weg nach vorn weisen, ihn dazu bringen, an das Gute und nicht an das Dunkle zu glauben.

Als der alte Jude ihm nachschaute, als Heinrich steif davonschritt, dachte er melancholisch: Was ist das für ein armer Mensch. Sein Leben wird Askese und Verrat, Handel und Krieg, Mystik und Wissenschaft sein. Jehova möge seine Wege segnen.

Bald nach der Rückkehr nach Lissabon besprach sich Heinrich mit seinem Vater und seinen Brüdern. Dann zog er sich nach Sagres zurück, wo er sein Landhaus baute, das so wichtig für Portugal werden sollte.

Noch im Jahre 1416 schickte er die ersten Schiffe von Lagos aus hinaus auf das Meer. Noch segelten sie entlang bekannter Landstriche, die marokkanische Küste hinunter.

Sein erster, auf ihn eingeschworener Kapitän war Gil Eanes, der im Laufe der Jahre auch sein erfolgreichster werden würde.

Nach den Auswertungen der ersten Fahrten, den langen Gesprächen, die sie führen, mussten sie erkennen, dass es so nicht weitergehen würde, sie unbedingt Unterstützung brauchten.

Heinrich handelte und zog mit seinem Namen eine ganze Reihe Kapazitäten nach Sagres. Alles im Geheimen.

Die Expeditionen wurden nun nicht mehr aufs Geratewohl unternommen, sorgfältige Vorbereitungen des Gelehrtenkollegiums gingen den Reisen ins Unbekannte jetzt voraus. Alle Karten, denen man habhaft werden konnte, wurden zu Rate gezogen, auch Karten, in die die Kanaren, die Madeiragruppe sogar die Azoren, wenn auch nur vage, schon eingezeichnet waren.

So konnte ein greifbarer Erfolg, auch wenn der Zufall in Form eines Sturmes helfen musste, nicht lange auf sich warten lassen.

Auf zwei Schiffen segelten Joao Goncalves Zarco und Tristao Vaz Teixeira aus dem Hafen von Lagos. Die lange dunkle Gestalt des Prinzen blickte den Schiffen nach, bis sie hinter dem Horizont nicht mehr zu sehen waren. Ihre Aufgabe war, die Küste der Berberei weiter zu erforschen. Allein Zarco wusste von dem eigentlichen Ziel. Heinrich hatte ihm in einem Gespräch unter vier Augen eine alte Karte, in die die neuen Erkenntnisse eingearbeitet waren, auch die Lage der Madeiragruppe verzeichnet war, übergeben. Der Kapitän sollte die Inseln für Heinrich und Portugal finden, eigentlich wiederfinden, wie der Prinz mit einer Andeutung von Lächeln sagte.