Im Licht der Sterne - Nora Roberts - E-Book
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Im Licht der Sterne E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Als Nell Channing die Insel der drei Schwestern das erste Mal betritt, verspürt sie nach langer Zeit endlich wieder Frieden und Geborgenheit. Doch ihre wahre Identität muss weiterhin verborgen bleiben. Unter falschem Namen beginnt sie, im Café von Mia Devlin zu arbeiten, in der sie eine treue Freundin findet. Und auch der Sheriff der Insel – Zack Todd – kann sich der charmanten jungen Frau kaum entziehen. Aber dann holt Nells Vergangenheit sie schließlich doch ein …

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Inhaltsverzeichnis

WidmungInschriftPrologKapitel 1Kapitel 2 Kapitel 3 Kapitel 4 Kapitel 5 Kapitel 6 Kapitel 7 Kapitel 8 Kapitel 9 Kapitel 10 Kapitel 11 Kapitel 12 Kapitel 13 Kapitel 14 Kapitel 15 Kapitel 16 Kapitel 17 Kapitel 18 Kapitel 19 Kapitel 20Copyright

Auf Wein, Weib und Gesang Auf die Freude und die Freundschaft

Wohl ist es süß, im Lebensmai, Der uns lockt aus Wald und Kluft, Bei Lautenschall und Flötenball Zu tanzen durch Glanz und Duft; Doch süß ist’s nicht, auf dem Hochgericht, Zu tanzen in der Luft!

(Oscar Wilde, Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading)

Prolog

SALEM VILLAGE, MASSACHUSETTS

22. Juni 1692

In den dunklen, grünen Schatten des tiefen Waldes, eine Stunde vor Mondaufgang, trafen sie sich im Geheimen. Bald würde der längste Tag des Jahres der kürzesten Nacht vor der Sommersonnenwende weichen.

Es würde keine Sonnenwendfeier geben, es gab keinen Grund für den Sabbat von Litha. Dieser Mittsommer war erfüllt von Ignoranz und Tod.

Die drei, die sich heimlich trafen, fürchteten sich.

»Haben wir alles, was wir brauchen?« Die, die Luft genannt wurde, hüllte sich enger in ihre Kapuze, sodass nicht ein einziges ihrer blonden Haare dem Licht der untergehenden Sonne preisgegeben war.

»Was wir haben, muss genügen.« Erde legte ihr Bündel nieder. Sie unterdrückte ihre Wut und ihren Kummer über das, was bereits passiert war, und das, was noch kommen würde. Offen fielen ihre schweren, braunen Haare über ihr gebeugtes Haupt.

»Gibt es keine andere Lösung für uns?« Luft legte ihre Hand auf Erdes Schulter, beide blickten die dritte an.

Sie stand schlank und aufrecht vor ihnen. In ihren Augen lag Sorge, aber dahinter konnte man einen starken Willen erkennen. Sie, die Feuer hieß, warf ihre Kapuze in einer trotzigen Gebärde ab. Eine rote Lockenflut quoll hervor.

»Es gibt für uns keinen anderen Weg. Sie werden uns jagen wie Diebe und Räuber, sie werden uns ermorden, so wie sie schon eine arme Unschuldige ermordet haben.«

»Bridget Bishop war keine Hexe«, sagte Erde bitter, während sie sich erhob.

»Nein, das hat sie auch dem Hochgericht von Oyer und Terminer gesagt. Sie hat es geschworen, aber man hat sie trotzdem gehängt. Sie haben sie ermordet aufgrund der Lügen einiger junger Mädchen und der kranken Fantasien von Fanatikern, die in jedem Lufthauch Hexerei argwöhnen.«

»Aber es gab auch Bittschriften.« Luft faltete ihre Hände wie zu einem Gebet. Oder einer Bitte. »Nicht jeder unterstützt das Gericht und diese schrecklichen Verfolgungen.«

»Zu wenige«, murmelte Erde. »Und viel zu spät.«

»Es bleibt nicht bei einer Toten. Ich habe es gesehen.« Feuer schloss ihre Augen, und wieder sah sie die kommenden Schrecken vor sich. »Wir haben nicht die Macht, die Jagd zu verhindern. Sie werden uns finden, und sie werden uns vernichten.«

»Wir haben nichts getan.« Luft ließ ihre Hände fallen. »Nichts Böses.«

»Was hat Bridget Bishop Böses getan?«, entgegnete Feuer. »Was haben all die anderen Angeklagten, die jetzt auf ihren Prozess warten, den Menschen von Salem Böses angetan? Sarah Osborne starb im Bostoner Gefängnis. Was war ihr Verbrechen?«

Wut stieg in ihr auf, heiß und wild, und wurde mit aller Macht von ihr niedergekämpft. Sogar jetzt noch weigerte sie sich, Hass und Ärger die Oberhand gewinnen zu lassen.

»Den Puritanern kocht das Blut«, fuhr sie fort. »Diesen Pionieren. Alles Fanatiker, und sie werden eine breite Todesschneise hinterlassen, bevor wieder Vernunft einkehrt.«

»Wenn wir doch helfen könnten.«

»Wir können es nicht stoppen, Schwester.«

»Nein.« Feuer gab Erde Recht. »Alles, was wir tun können, ist zu überleben. Wir müssen diesen Ort verlassen, unsere Heimat, die Leben, die wir beschützt haben. Und woanders neu beginnen.«

Sanft umfasste sie Lufts Gesicht mit ihren Händen. »Trauere nicht um etwas, was nicht sein kann, aber freue dich über das, was ist. Wir sind Die Drei, und wir werden hier nicht besiegt werden.«

»Wir werden einsam sein.«

»Wir werden zusammen sein.«

Im letzten Aufflackern des Tages beschrieben sie einen Kreis, erst die eine, dann die zweite, dann die dritte. Ein Feuerring erhob sich, und der Wind fachte ihn an.

Innerhalb des magischen Zirkels fassten sie einander bei den Händen.

Mit einer Geste des Einverständnisses schaute Luft in den Himmel. »Wie die Nacht den Tag bricht, sind wir das Licht. Wir stehen für unseren Weg und für das Recht. Wir sind die Wahrheit, wir, ein Bund für eine.«

Herausfordernd erhob Erde ihre Stimme. »An diesem Ort sind es unsere letzten Stunden. Weder in der Gegenwart noch in der Zukunft noch in der Vergangenheit werden wir gefunden. Kraft, nicht Reue, wir, ein Bund für zwei.«

»Unsere Künste waren allen wohlgesonnen, aber die Jagd auf unser Blut hat bereits begonnen. Wir gehen fort von diesem Ort.« Hoch erhoben sich ihre Hände im Feuer. »Fort vom Tod, fort von Furcht. Die Kraft ist frei im Bund der Drei.«

Wind kam auf, die Erde bebte. Und das magische Feuer leuchtete in der Nacht. Drei Stimmen erhoben sich gleichzeitig.

»Frei von Hass soll dieses Land sich machen. Befreit von Furcht, Tod und Verachten. Formt euch Felsen, Bäume, Hügel und Flüsse, lasst euch umschließen von Klippen und Küsten, lasst euch tragen vom Mittsommer-Mondstrahl hinaus auf das Meer, das ist unser Wille und unser Begehr.«

Ein lauter Schrei ertönte im Wald, ein gewaltiger Sturm kam auf und tosendes Feuer brach aus. Während diejenigen, die etwas jagten, was sie nie verstanden hatten, ruhig in ihren Betten schliefen, erhob sich eine Insel in den Himmel und bewegte sich langsam in Richtung Meer.

Sie setzte auf dem Wasser auf und wurde von sanften Wellen getragen. Und war erwacht in der kürzesten Nacht.

1

INSEL DER DREI SCHWESTERN

Juni 2001

Sie blickte gespannt geradeaus, als das Land, aus der Ferne nichts weiter als ein Stück unebenes Grün, seine ersten Geheimnisse lüftete. Der Leuchtturm, natürlich. Was wäre eine New-England-Insel ohne ihren unerschütterlichen Speer? Dieser war von einem umfassenden, blendenden Weiß und erhob sich auf einer rauen Klippe. Wie es sich gehörte, dachte Nell.

Dicht neben dem Leuchtturm stand ein steinernes Haus, nebelgrau in dem grellen Sonnenlicht, mit spitzen Giebeln und – hoffte sie – dem so genannten Witwen-Ausguck, einer kleinen Plattform mit Balustrade rund um den Schornstein, auf der die Fischersfrauen nach ihren Männern Ausschau hielten.

Sie hatte Bilder vom Licht der Drei Schwestern gesehen und von dem Haus, das so stark und verlässlich neben ihm stand. Das Bild aus dem kleinen Laden auf dem Festland war für ihren spontanen Entschluss, die Autofähre zur Insel zu nehmen, verantwortlich.

Seit sechs Monaten folgte sie ihren Impulsen und Instinkten  – zwei Monate nachdem ihr gewissenhafter und hart erarbeiteter Plan sie befreit hatte.

Jeder einzelne Moment der ersten zwei Monate war ein Höllentrip gewesen. Und nach dem Terror kam die Angst – die Angst, wieder das zu verlieren, was sie wiedergefunden hatte.

Sie war gestorben, nun konnte sie weiterleben.

Sie wollte nicht mehr weglaufen und sich verstecken, sie hasste das Gefühl des Verlorenseins in den Menschenmassen der Großstädte. Sie wollte ein Heim. Hatte sie das nicht immer gewollt? Ein Heim, Verankerung, Familie, Freunde. Das Familiäre, das nie besonders gezählt hatte.

Vielleicht könnte sie etwas davon hier finden, auf diesem Häufchen Land in den Armen der See. Ganz sicher konnte sie nicht weiter von Los Angeles entfernt sein als auf dieser kleinen Insel, ohne das Land gleich ganz verlassen zu müssen.

Wenn sie keinen Job finden würde auf der Insel, bliebe sie trotzdem einige Tage. Ein bisschen Erholung nach all den Flügen, entschied sie. Sie würde die felsigen Strände und die kleinen Dörfer genießen, auf den Klippen herumkraxeln und den Wald durchstreifen.

Sie hatte gelernt, jeden einzelnen Moment ihres Lebens bewusst zu genießen. Etwas, was sie niemals, niemals wieder verlernen würde.

Sie erfreute sich an dem Anblick der Schindelhäuser, die verstreut hinter dem Dock lagen, lehnte sich über die Reling und ließ den Wind durch ihr Haar wehen. Es hatte wieder seine natürliche, sonnengebleichte blonde Farbe. Auf der Flucht hatte sie es kurz geschnitten wie ein Junge getragen, hatte mit einem Gefühl der Genugtuung und der Erleichterung ihre langen Locken abgeschnitten und ihre Haare dunkelbraun gefärbt. Im Laufe der letzten Monate hatte sie die Haarfarbe mehrmals gewechselt – von leuchtend rot über tiefschwarz bis sandfarben.

Es hatte seine Bedeutung, dachte sie. Es hatte etwas zu tun mit ihrer Selbstfindung, dass sie es schließlich so ließ, wie es ursprünglich war. Sie trug es immer noch kurz und sehr gerade geschnitten.

Evan mochte es lang, lang und voller wilder Locken. Es gab Zeiten, in denen er sie daran über den Flur gezerrt hatte, die Treppen hinunter. Wie an Ketten.

Nein, sie würde ihre Haare ganz sicher nie wieder lang tragen.

Ein plötzlicher Schauder überfiel sie, und sie musste schnell einen prüfenden Blick über ihre Schulter auf die Autos und Menschen hinter sich werfen. Sie bekam einen trockenen Mund, und die Kehle wurde ihr eng, als sie nach einem großen, schlanken Mann mit goldblondem Haar und blassen, stahlharten Augen Ausschau hielt.

Er war nicht da, natürlich war er nicht da. Er war dreitausend Meilen entfernt. Für ihn war sie tot. Hatte er ihr nicht tausendmal gesagt, dass nur der Tod sie von ihm befreien könnte?

Also musste Helen Remington sterben, damit Nell Channing leben konnte.

Wütend über sich selbst, dass sie sich, wenn auch nur für einen Moment, in der Vergangenheit verlor, schloss Nell ihre Augen. Diese einfache Form der Entspannung hatte sie erst mühsam lernen müssen, denn mit geschlossenen Augen tappte man leichter in Fallen. Aber jetzt hielt sie sie geschlossen, atmete ruhig ein und aus. Salzige Luft, Wasser, Freiheit.

Als sich ihre Schultern langsam wieder entspannten, umspielte ein feines Lächeln ihren Mund. Sie stand an der Reling, eine kleine Frau mit kurzem, sonnengebleichtem Haar, das lustig um ihr zartes Gesicht wippte. Das Lächeln ihrer gewölbten Lippen, ungeschminkt und weich, formte übermütige kleine Grübchen in ihre Wangen. Die Freude ließ ihre Haut in einem rosigen Schimmer erglühen.

Sie trug kein Make-up, ein weiterer Befreiungsschlag. Ein Teil von ihr versteckte sich immer noch, war immer noch gejagt, und sie tat alles in ihrer Macht stehende, um unauffällig zu bleiben.

Früher galt sie als Schönheit und hatte sich entsprechend gestylt. Sie kleidete sich so, wie es von ihr erwartet wurde – elegant, sexy und extravagant, trug die Garderobe, die ein Mann für sie aussuchte, der vorgab, sie über alles zu lieben. Sie kannte das Gefühl von Seide auf ihrer Haut, wusste, wie es sich anfühlte, Diamanten um den Hals zu tragen. Helen Remington hatte alle Vorzüge des Reichtums gekannt.

Und drei Jahre lang hatte sie in Furcht und Schrecken gelebt.

Nell trug ein einfaches T-Shirt über ihren ausgeblichenen Jeans. Ihre Füße steckten in bequemen weißen Slippern. Ihr einziger Schmuck war ein antikes Medaillon, das ihrer Mutter gehört hatte.

Einige Dinge waren zu kostbar, um zurückgelassen zu werden.

Als die Fähre sich langsam dem Anleger näherte, ging sie zu ihrem Wagen. Sie fuhr auf die Drei Schwestern mit einem einzigen Gepäckstück, in dem alle ihre Besitztümer verstaut waren, einem rostigen alten Buick und einer Barschaft von insgesamt 208 Dollar.

Sie hätte nicht glücklicher sein können.

Nichts, dachte sie, als sie den Wagen in der Nähe der Anlegestelle parkte und erste Erkundigungen zu Fuß unternahm, könnte weniger mit den Glitzerpalästen und dem Glanz und Glamour von Beverly Hills zu tun haben. Und nichts, stellte sie fest, hatte ihre Seele so tief berührt wie diese kleine Postkarten-Idylle. Häuser und Läden waren gleichermaßen adrett und sauber mit ihren von der Sonne und dem Salzwasser ausgebleichten Farben. Verschlungene, kopfsteingepflasterte Straßen, die frisch gefegt aussahen, zogen sich hügelan durch den kleinen Ort bis hinunter zum Hafen.

Die Gärten waren liebevoll gepflegt, so als wäre Unkraut hier behördlicherseits verboten. Hinter hölzernen Gartenzäunen tollten und bellten Hunde, und Kinder fuhren vergnügt auf ihren kirschroten und leuchtend blauen Fahrrädern umher.

Der Hafen war ein einziges Stillleben: Boote und Netze und braun gegerbte Männer in langen Gummistiefeln ließen keinen Zweifel aufkommen. Sie konnte den Fisch und den Schweiß förmlich riechen.

Sie erklomm den Hügel vom Dock aus und betrachtete den Hafen von oben. Ausflugsdampfer ankerten in der Bucht, und auf dem kleinen Streifen Sandstrand hatten die Sonnenanbeter ihre Matten und Handtücher ausgebreitet, während die Wasserratten sich in der kräftigen Brandung tummelten. Eine kleine rote Trambahn, auf der in großen weißen Buchstaben »Drei Schwestern-Tour« stand, füllte sich schnell mit kamerabewaffneten Tagesgästen.

Fischerei und Tourismus waren die Haupteinnahmequellen der Insel, nahm sie an. Aber das war nur die wirtschaftliche Seite. Die andere waren die See, Stürme und die Zeit, das Überleben und Aufwachsen nach deren Regeln. Das, dachte sie, ist das, was man Mut nennt.

Sie hatte zu lange gebraucht, um ihren eigenen zu finden.

Die High Street verlief quer zum Hügel. Läden und Restaurants und diverse kleine Insel-Betriebe, wie sie vermutete, waren hier angesiedelt. In einem der Restaurants wollte sie zuerst anfragen. Vielleicht bekäme sie dort einen Job als Kellnerin oder Hilfsköchin, zumindest für die Sommersaison. Wenn sie einen Job gefunden hätte, könnte sie sich um ein Zimmer kümmern.

Sie könnte bleiben.

In einigen Monaten würden die Leute sie kennen. Sie würden ihr beim Vorübergehen zuwinken oder ihren Namen rufen. Sie war es so Leid, eine Fremde zu sein, niemanden zu haben, mit dem sie reden konnte. Niemanden, der sich etwas aus ihr machte, sich um sie kümmerte.

Sie nahm das Hotel in Augenschein. Im Gegensatz zu den anderen Gebäuden war es aus Stein statt aus Holz. Seine drei reich verzierten Stockwerke, eisernen Balkongitter und spitzen Giebel waren unleugbar romantisch. Der Name passt auch, dachte sie: Magic Inn.

Das Beste, was ihr passieren könnte, wäre, hier einen Job zu kriegen, als Bedienung im Hotel-Restaurant oder als Hauspersonal. Ein Job war absolut vorrangig.

Aber sie konnte sich nicht überwinden, reinzugehen, zu fragen. Sie brauchte noch mehr Zeit, ein bisschen Zeit nur für sich, bevor sie sich den praktischen Lebensnotwendigkeiten zuwandte.

Flatterhaft, hätte Evan gesagt. Zu deinem eigenen Besten, Helen: Sei weniger flatterhaft und dumm. Danke Gott, dass du jemand hast wie mich, der sich um dich kümmert.

Weil seine Stimme so unangenehm in ihren Ohren dröhnte, weil seine Worte heftig an ihrem gerade erstarkten Selbstbewusstsein nagten, drehte sich sich kurz entschlossen um und schlug die entgegengesetzte Richtung ein.

Sie würde verdammt noch mal einen Job finden, wenn und wann sie wollte. Im Moment wollte sie einfach flanieren, Touristin spielen, Entdeckungen machen. Wenn sie die High Street abgegrast hätte, würde sie zurück zu ihrem Auto gehen und eine Insel-Rundfahrt machen. Sie würde sogar darauf pfeifen, sich im Touristenbüro eine Karte von der Insel zu besorgen.

Sie rückte ihren Rucksack zurecht, überquerte die Straße und ließ sich treiben. Sie kam an Kunstgewerbe- und Andenkenläden vorbei und betrachtete deren Schaufenster. Sie mochte die kleinen unnützen, aber hübschen Dinge, die hier ausgestellt waren. Sie würde ihr zukünftiges Heim eines Tages mit lauter nutzlosen, farbenfrohen Dingen ausstaffieren.

Ein Eisladen mit runden Glastischen und Eisenstühlen entlockte ihr ein Lächeln. Eine Familie, vier Personen, saß an einem der Tische und verspeiste mit sichtlichem Vergnügen ihr Eis mit Schlagsahne und bunten Streuseln. Ein Junge mit weißer Mütze und Schürze stand hinter dem Tresen, und ein Mädchen in engen Jeans mit abgeschnittenen Hosenbeinen flirtete mit ihm, während sie ihre Eissorten wählte.

Mit diesem Bild im Kopf spazierte Nell weiter.

Vor dem Buchladen blieb sie stehen und seufzte. Ihr Heim würde auch voller Bücher sein. Keine seltenen Erstausgaben, die nie geöffnet und gelesen wurden. Sie würde alte, zerlesene Bücher und glänzende, neue Taschenbücher, ein totales Mischmasch von Geschichten haben. Eigentlich könnte sie damit auch sofort beginnen. Ein Taschenbuch-Roman würde ihr Gepäck nicht sonderlich beschweren, wenn sie weiterziehen müsste.

Ihr Blick fiel von der Auslage auf die gotischen Buchstaben, die quer über dem Schaufensterglas standen: Buch-Café. Gut, das war perfekt. Sie würde die Bücherstapel inspizieren, ob etwas Lustiges dabei wäre, und ihre Wahl bei einer Tasse Kaffee durchblättern.

Sie trat ein, und auf der Stelle umhüllten sie Blumen- und Kräufterdüfte und Flöten- und Harfenmusik. Nicht nur das Hotel hatte etwas Magisches, dachte Nell sofort, als sie die Schwelle überschritt.

Bücher über Bücher, sortiert nach Themen, waren in tiefblauen Regalen aufgereiht. Beleuchtet wurden sie durch kleine Strahler, die an der Decke befestigt waren und die die Bücher in ihr Sternenlicht tauchten. Die Kasse war ein altes Eichenkabinett mit Schnitzereien geflügelter Feen und Halbmonden.

Eine Frau mit dunklem, gestuftem Haar saß auf einem hohen Stuhl hinter der Theke und blätterte träge in einem Buch. Sie schaute auf, lächelte und legte ihre silbergerahmte Lesebrille beiseite.

»Guten Morgen. Kann ich Ihnen helfen?«

»Ich würde mich gern ein wenig umschauen, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Gerne. Sagen Sie mir, wenn ich Ihnen behilflich sein kann.«

Sie wandte sich wieder ihrem Buch zu, und Nell stöberte herum. Auf der anderen Seite des Raumes standen zwei ausladende Stühle vor einem Kamin, dazwischen ein Tisch. Auf ihm stand eine Lampe, deren Fuß eine Frauenfigur war, gekleidet in ein wallendes Gewand, die Arme erhoben. In einigen Regalen lagen Schmuckstücke und Figuren, modelliert aus farbigem Stein, Kristallkugeln, Drachen. Sie wanderte herum, vorbei an Büchern auf der einen Seite, einer Auswahl von Kerzen auf der anderen.

Am Ende des Raumes war eine Wendeltreppe zum zweiten Stock. Sie ging nach oben und fand dort weitere Bücher, weitere Schmuckstücke und das Café.

Ein halbes Dutzend Tische aus poliertem Holz standen vor den Front-Fenstern. An der Seite war ein Tresen mit einer Glasvitrine, die eine beeindruckende Kuchen- und Sandwich-Auswahl und einen Topf mit der Tagessuppe offerierte. Die Preise waren eher hoch, aber nicht unmäßig. Nell entschied sich, eine Tagessuppe und einen Kaffee zu bestellen.

Beim Näherkommen hörte sie Stimmen aus der offenen Tür hinter dem Tresen.

»Jane, das ist lächerlich und absolut unverantwortlich.«

»Ist es nicht. Es ist Tims große Chance, und es ist eine Möglichkeit, diese verdammte Insel verlassen zu können. Wir werden es machen.«

»Ein eventuelles Vorsprechen für ein Stück, das vielleicht, vielleicht aber auch nicht in irgendeinem Szene-Theater aufgeführt werden wird, ist keine große Chance. Keiner von euch hat einen Job. Ihr werdet …«

»Wir gehen, Mia. Ich habe dir gesagt, dass ich bis heute Mittag arbeiten werde, und ich habe bis heute Mittag gearbeitet.«

»Du hast mir das vor weniger als vierundzwanzig Stunden gesagt.«

Die Stimme klang genervt – eine tiefe, schöne Stimme. Nell konnte nicht widerstehen und schlich leise etwas näher.

»Wie zum Teufel soll ich das Café führen ohne Köchin?«

»Es geht immer um dich, nicht wahr? Du kannst uns nicht mal Glück wünschen.«

»Jane, ich wünsche euch ein Wunder, weil ihr genau das brauchen werdet. Nein, warte, geh nicht im Zorn, begraben wir den Streit.«

Nell nahm eine Bewegung im Türrahmen wahr und trat beiseite. Aber sie blieb in Hörweite.

»Sei vorsichtig. Werde glücklich. Oh, verdammt. Ich drücke dir die Daumen, Jane.«

»Okay.« Es gab einen lauten Schniefer. »Es tut mir Leid, wirklich, es tut mir Leid, dich im Stich zu lassen. Aber Tim muss es einfach machen, und ich muss einfach bei Tim sein. Also … ich werde dich schrecklich vermissen, Mia. Ich schreibe dir.«

Nell konnte sich gerade noch hinter einem Bücherbord verstecken, als die weinende Frau aus der Tür stürmte und die Treppe hinunterrannte.

»Na, wunderbar.«

Nell spähte hervor, und ihre Augen weiteten sich in spontaner Bewunderung.

Die Frau, die im Türrahmen stand, war schlicht eine Offenbarung. Nell fiel kein treffenderes Wort für sie ein. Wallendes Haar in der Farbe von Herbstlaub fiel ihr rot und golden über die Schultern. Sie trug ein langes, blaues Kleid, und ihre nackten Arme schmückten Silberarmbänder an beiden Handgelenken. Ihre Augen, die zornig funkelten, waren grau wie Rauch und dominierten ein makelloses Gesicht. Feinmodellierte Wangenknochen, ein voller, großer Mund, sirenenrot geschminkt. Haut wie … Nell kannte den Ausdruck, Haut wie Alabaster, aber sie sah so etwas zum ersten Mal.

Die Frau war groß und gertenschlank, sie war rundherum perfekt.

Nell schaute hinüber zu den anderen Kunden, die sich im Café aufhielten, um zu sehen, ob sie auch so hingerissen waren wie sie. Aber niemand schien von der Frau Notiz zu nehmen oder die Spannung, die von ihr ausging, zu bemerken.

Jetzt trat sie aus der Tür – und die bemerkenswerten grauen Augen nahmen Nell ins Visier. Nagelten sie regelrecht fest.

»Hallo. Kann ich Ihnen helfen?«

»Ich habe … ich dachte … ich hätte gern einen Cappuccino und eine Tagessuppe. Bitte.«

Ärger flackerte auf in Mias Augen, und Nell hätte sich am liebsten wieder hinter dem Regal verkrochen. »Das mit der Suppe kriege ich gerade noch hin. Wir haben heute Krebs-Gemüsecremesuppe. Aber ich fürchte, die Bedienung der Espressomaschine übersteigt meine momentanen Fähigkeiten.«

Nell riskierte einen Blick auf die wunderschöne Maschine aus Kupfer und Messing und zitterte ein bisschen vor Aufregung. »Ich könnte mir selbst einen machen.«

»Sie können mit dieser Höllenmaschine umgehen?«

»Ja, das kann ich.«

Mia dachte darüber nach, dann winkte sie Nell mit einer Geste hinter den Tresen.

»Ich könnte Ihnen auch einen machen, wenn ich schon mal dabei bin.«

»Warum nicht?« Tapferer kleiner Hase, grübelte Mia, während sie Nell beim Hantieren an der Maschine beobachtete. Was hat dich denn vor meine Tür getrieben. »Sind Sie eine Rucksacktouristin?«

»Nein. Oh.« Nell errötete, als sie sich an ihren Rucksack erinnerte. »Nein, ich bin ein bisschen auf Entdeckungsreise.« Sie riskierte einen Blick in das perfekte Gesicht vor ihr und stellte fest, dass sie selber sorgfältig gemustert wurde. Sie konzentrierte sich wieder auf das Kaffeekochen. »Ich suche einen Job und ein Zimmer.«

»Aha.«

»Entschuldigen Sie, ich weiß, es war unhöflich, aber ich habe Ihre … Unterhaltung mitbekommen. Wenn ich es richtig verstanden habe, sind Sie ein wenig in der Klemme. Ich kann kochen.«

Mia beobachtete den Dampf, lauschte dem Zischen. »Können Sie?«

»Ich bin eine sehr gute Köchin.« Nell reichte Mia den dampfenden Kaffee und schaute sie gerade an. »Ich war bei einem Party-Service beschäftigt, habe in einer Bäckerei gearbeitet und hier und da gekellnert. Ich weiß, wie man Essen zubereitet und es serviert.«

»Wie alt sind Sie?«

»Achtundzwanzig.«

»Sind Sie vorbestraft?«

Fast hätte Nell losgeprustet. Einen Moment lang funkelten ihre Augen vor Vergnügen. »Nein. Ich bin geradezu langweilig ehrlich, eine verlässliche Arbeiterin und eine fantasievolle Köchin.«

Übertreib nicht, übertreib nicht!, rief sie sich selbst zur Ordnung, aber sie konnte sich nicht beherrschen. »Ich brauche den Job, weil ich gern auf der Insel leben möchte. Ich würde liebend gern hier arbeiten, weil ich Bücher mag, und ich mag Ihr Café, ich habe es vom ersten Moment an gefühlt.«

Interessiert hob Mia ihren Kopf. »Und was haben Sie gefühlt?«

»Es war eine Art Vorsehung.« Exzellente Antwort, sinnierte Mia. »Glauben Sie an Vorsehungen?«

Nells Lächeln verschwand. »Ja, das muss ich.«

»Entschuldigen Sie?« Ein Paar trat an den Tresen. »Wir hätten gern zwei Eismokka und zwei dieser Eclairs.«

»Selbstverständlich. Einen Moment bitte.« Mia drehte sich wieder um zu Nell. »Sie sind eingestellt. Schürzen sind dahinten. Wir besprechen die Details später.« Sie nippte an ihrem Cappuccino. »Sehr gut,« beendete sie das Gespräch und trat aus dem Weg. »Oh, wie heißen Sie übrigens?«

»Nell. Nell Channing.«

»Willkommen auf den Drei Schwestern, Nell Channing.«

Mia Devlin führte das Buch-Café, wie sie ihr gesamtes Leben führte. Sie ließ sich hauptsächlich von ihren Instinkten leiten, zur Belustigung ihres Personals. Sie war eine begabte Geschäftsfrau mit einem gesunden Profitstreben. Aber immer und ausschließlich zu ihren Bedingungen.

Was sie langweilte, ignorierte sie. Was sie interessierte, verfolgte sie.

Momentan interessierte sie sich sehr für Nell Channing.

Wenn Nell ihre Fähigkeiten übertrieben hätte, würde Mia sie ebenso schnell rausschmeißen, wie sie sie eingestellt hatte, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Sie würde Nell, wenn ihr danach wäre, möglicherweise helfen, woanders einen Job zu finden. Aber sie würde dafür nicht viel Zeit verschwenden oder ihre Geschäfte vernachlässigen.

Sie hatte sich zu ihrem Schritt nur deshalb entschlossen, weil etwas von Nell sie angerührt hatte, vom ersten Moment an, in dem die großen blauen Augen ihren begegnet waren.

Verletzte Unschuld. Das war Mias erster Eindruck, und sie vertraute ihren ersten Eindrücken blind. Tüchtig ist sie auch, dachte Mia, allerdings schien das Selbstvertrauen ein bisschen angeknackst zu sein.

Aber es stabilisierte sich zusehends, sobald sie im Café tätig wurde.

Mia behielt sie den Nachmittag über im Auge, beobachtete, wie sie die Bestellungen ausführte, die Kunden behandelte, die Kasse bediente und das Monster von einer Espressomaschine.

Man müsste sie allerdings ein bisschen herausputzen, entschied Mia. Man war zwar ausgesprochen zwanglos auf der Insel, aber diese alten Jeans waren für Mias Geschmack denn doch etwas zu zwanglos.

Zufrieden mit ihren bisherigen Überlegungen betrat Mia die Café-Küche. Sie war beeindruckt, dass die Anrichten und Arbeitsplatten blitzsauber waren. Jane hatte es nie geschafft, Ordnung zu halten, obgleich sie die meisten Kuchen und Backwaren bei sich zu Hause vorbereitet hatte.

»Nell?«

Überrascht fuhr Nell, die über den Herd gebeugt die Kochplatten putzte, zusammen. Ihre Wangen röteten sich leicht, als sie Mia anschaute und die junge Frau neben ihr.

»Ich wollte Sie nicht erschrecken. Dies ist Peg. Sie arbeitet am Tresen von vierzehn bis neunzehn Uhr.«

»Oh. Hallo.«

»Hi. Wahnsinn. Ich kann es kaum glauben, dass Jane und Tim tatsächlich fahren. Nach New York.« Pegs Augen begannen zu glänzen bei der Vorstellung. Sie war klein und sah unternehmungslustig aus mit ihrem strohblonden Wuschelkopf. »Janes Blaubeer-Muffins waren einsame Spitze.«

»Nun ja, Jane und ihre Spitzenmuffins sind weg. Ich muss jetzt mit Nell reden, übernimm bitte das Café.«

»Klar. Wir sehen uns später, Nell.«

»Warum gehen wir nicht in mein Büro? Wir werden jetzt die erwähnten Details besprechen. Im Sommer haben wir von zehn bis neunzehn Uhr geöffnet, im Winter schließen wir schon um siebzehn Uhr. Peg übernimmt lieber die Nachmittagsschicht. Sie feiert gern und ist ein Morgenmuffel. Jedenfalls, da wir ab zehn Uhr servieren, brauche ich Sie morgens.«

»Das ist kein Problem für mich.« Nell folgte Mia über eine Wendeltreppe in ein weiteres Stockwerk. Sie hatte es nicht bemerkt, stellte sie fest. Sie hatte nicht gewusst, dass das Café drei Stockwerke hatte. Noch vor einigen Monaten wäre ihr ein derartiges Detail nicht entgangen. Sie hätte sich die Räume sorgsam eingeprägt und genau gewusst, wo die Ausgänge sind.

Sich entspannen ist nicht gleichbedeutend mit nachlässig werden, rief sie sich selbst zur Ordnung. Sie musste darauf vorbeitet sein, jederzeit fliehen zu können.

Sie gingen durch einen großen Lagerraum, gefüllt mit Bücherregalen, auf denen Kisten standen, und betraten Mias Büro.

Der antike Schreibtisch aus Kirschholz passte exzellent zu ihr, dachte Nell. Sie stellte sich Mia vor inmitten der Reichen und Schönen. Überall standen Blumen und blühende Pflanzen, kleine Kristallstücke und polierte Steine in Glasgefäßen. Zu dieser höchst individuellen Einrichtung gehörte aber auch ein hypermoderner Computer, ein Fax, ein Ablageschrank und Regale für Verlagskataloge. Mia wies auf einen Stuhl und nahm selbst hinter ihrem Schreibtisch Platz.

»Sie waren ein paar Stunden im Café, also kennen Sie unsere Speisekarte. Es gibt jeden Tag ein spezielles Sandwich im Angebot, die Tagessuppe, eine kleine Auswahl verschiedener Sandwiches. Zwei oder drei Salate. Gebäck, Kekse, Muffins. Ich habe die Auswahl immer den Köchen überlassen. Wäre das für Sie in Ordnung?«

»Ja, Ma’am.«

»Bitte, ich bin kaum ein Jahr älter als Sie. Nur Mia bitte. Bis wir wissen, dass es funktioniert, wüsste ich allerdings gern, was Sie morgen auf die Speisekarte setzen wollen.« Sie zog einen Schreibblock aus der Schublade und reichte ihn über den Tisch. »Schreiben Sie einfach auf, was Sie sich vorstellen dafür.«

Panik überkam Nell, brachte ihre Finger zum Zittern. Sie atmete tief durch, wartete, bis ihr Kopf wieder frei und klar war. Dann begann sie zu schreiben. »Zu dieser Jahreszeit sollten wir leichte Suppen anbieten. Eine Gemüse-Kräutersuppe, zum Beispiel. Nudelsalat, weiße Bohnen und Shrimps. Ich schlage Paprika-Huhn für das Tages-Sandwich vor und verschiedene vegetarische Sandwiches zur Auswahl, was es zu dieser Jahreszeit eben gibt. Ich kann Fruchttörtchen backen, je nachdem, welche Früchte sich dafür eignen. Die Eclairs gingen gut. Ich kann sie nachbacken. Eine Schokoladencreme-Schichttorte. Janes spitzenmäßige Blaubeer-Muffins selbstverständlich – oder Walnuss-Muffins. Kekse? Schokoladen-Kekse sind immer beliebt und Macadamia-Nusskekse. Statt einer dritten Kekssorte würde ich lieber Brownies anbieten. Meine Brownies mit Karamelfüllung sind wirklich sehr lecker.«

»Wie viel davon können Sie hier vorbereiten?«

»Alles, denke ich. Aber wenn wir das Gebäck und die Muffins ab zehn Uhr servieren wollen, müsste ich ungefähr um 6 Uhr anfangen.«

»Und wenn Sie Ihre eigene Küche hätten?«

»Nun ja.« Was für ein verlockender Gedanke! »Dann würde ich einige der Gerichte am Abend vorher vorbereiten und sie morgens frisch backen.«

»Hm, hmm. Wie viel Geld haben Sie, Nell Channing?«

»Genug.«

»Seien Sie nicht unnötig empfindlich«, wies Mia sie milde zurecht. »Ich kann Ihnen hundert Dollar Vorschuss geben. Das verrechnen wir mit Ihrem Anfangsgehalt. Sie führen täglich Buch über die Zeit, die Sie zum Einkaufen und fürs Kochen brauchen. Sie lassen die Einkäufe anschreiben im Laden. Ich hätte gern die Quittungen, ebenfalls täglich.«

Als Nell ihren Mund öffnete, um etwas zu erwidern, hob Mia einen korallenrot gelackten, schlanken Finger. »Warten Sie. Zusätzlich erwarte ich von Ihnen, beim Servieren, Abräumen und Säubern der Tische zu helfen, wenn starker Andrang ist, und Kunden in der Buchabteilung hier oben zu bedienen, wenn wenig zu tun ist. Sie haben zweimal eine halbe Stunde Pause, Sonntags frei und fünfzehn Prozent Angestellten-Rabatt auf Einkäufe, außer Essen und Getränke, die, es sei denn, Sie sind ein Vielfraß, Teil Ihrer Vergünstigungen sind. Können Sie mir folgen so weit?«

»Ja, aber ich …«

»Sehr gut. Ich bin jeden Tag hier. Wenn Sie irgendwelche Fragen oder Probleme haben, kommen Sie zu mir. Wenn ich nicht da sein sollte, fragen Sie Lulu. Sie ist normalerweise hinter dem Haupttresen im Erdgeschoss und weiß alles. Sie sehen so aus, als würden Sie schnell von Begriff sein, und wenn Sie etwas nicht wissen, scheuen Sie sich nicht zu fragen. Also, Sie suchen eine Bleibe?«

»Ja.« Es war, als würde sie eine plötzliche Windbö erfassen und sie hinwegfegen. »Ich hoffe, dass …«

»Kommen Sie.« Mia zog einen Schlüsselbund aus einer Schublade, stieß ihren Stuhl energisch zurück und stand schwungvoll auf – sie trug todschicke, hochhackige Sandalen, bemerkte Nell.

Sobald sie im Erdgeschoss waren, hielt sie direkt auf die Hintertür zu. »Lulu!«, rief sie. »Bin in zehn Minuten zurück.«

Nell folgte ihr durch den Hinterausgang in einen kleinen Garten mit Trittsteinen und fühlte sich dabei ausgesprochen unbeholfen und albern. Eine große schwarze Katze lag auf einem der Steine und öffnete ein glänzendes goldenes Auge, als Mia über sie hinwegtrat.

»Das ist Isis. Sie tut Ihnen nichts.«

»Sie ist schön. Haben Sie den Garten selbst angelegt?«

»Ja. Ein Platz ohne Blumen ist kein Heim. Ich vergaß, danach zu fragen. Haben Sie ein Transportmittel?«

»Ja, ich habe einen Wagen. Der geht gerade noch durch als Transportmittel.«

»Na, fein. Sie müssen zwar keine weiten Wege zurücklegen, aber es wäre ziemlich mühsam, jeden Tag die Einkäufe zu Fuß zu erledigen.« An der Ecke des Grundstücks wandte sie sich nach links, behielt ihr flottes Tempo bei, passierte einige Läden an ihrer Rückseite, vorbei an gepflegten Häusern.

»Miss … tut mir Leid, ich weiß Ihren Nachnamen nicht.«

»Devlin, aber ich habe Sie gebeten, mich Mia zu nennen.«

»Mia, ich bin Ihnen sehr dankbar für den Job. Für die Chance. Und ich verspreche Ihnen, dass Sie es nicht bereuen werden. Aber – darf ich fragen, wohin wir gehen?«

»Sie brauchen einen Platz zum Wohnen.« Sie umrundete eine Ecke, stoppte und machte eine einladende Geste: »Das müsste sich ganz gut dazu eignen.«

In der engen Seitenstraße stand ein kleines gelbes Haus, wie ein freundlicher Sonnenstrahl am Rand einer kleinen Baumgruppe. Die Fensterläden waren weiß, ebenso wie das Geländer der Veranda. Blumen gab es auch hier, alle Farben des Sommers in verschwenderischer Fülle.

Das Haus lag etwas abseits von der Straße, vor ihm ein gepflegter quadratischer Rasen umringt von Bäumen, die sowohl Schatten spendeten als auch das Haus mit Sonnenlicht besprenkelten.

Wenn Häuser lächeln könnten, dachte Nell, würde dieses strahlen.

»Ist das Ihr Haus?«

»Ja. Im Moment.« Mit den Schlüsseln klimpernd, ging Mia über den gefliesten Weg. »Ich habe es letzten Frühling gekauft.«

Ich konnte einfach nicht widerstehen, musste Mia sich im Stillen eingestehen. Eine Investition, hatte sie sich eingeredet. Obgleich sie, eine Geschäftsfrau durch und durch, bisher keinerlei Anstrengungen gemacht hatte, es zu vermieten. Sie hatte gewartet, genauso, wie das Haus gewartet hatte.

Sie schloss die Vordertür auf und trat zurück. »Es wurde gesegnet.«

»Wie bitte?«

Mia lächelte nur. »Willkommen.«

Es war angenehm sparsam möbliert. Ein schlichtes Sofa, das dringend neu bezogen werden müsste, ein Polstersessel, einige Tische.

»Auf jeder Seite ist ein Schlafzimmer, allerdings eignet sich das zur Linken besser als Studio oder Büro. Das Badezimmer ist winzig, aber praktisch und hübsch, die Küche ist neu eingerichtet worden und müsste für Ihre Zwecke gut geeignet sein. Sie ist geradeaus. Ich habe schon ein bisschen im Garten gearbeitet, aber er braucht noch viel Pflege. Es gibt keine Air Condition, aber der alte Ventilator funktioniert noch. Der Kamin übrigens auch, und darüber werden Sie sich besonders im Januar freuen.«

»Es ist wundervoll.« Nell konnte nicht widerstehen und wanderte herum, steckte ihren Kopf in das größere der beiden Schlafzimmer und lächelte über das schöne Bett mit seinem weißen Eisengitter am Kopfteil. »Es ist wie ein Märchenhaus. Sie müssen es genießen, hier zu leben.«

»Ich lebe hier nicht, Sie tun es.«

Nell drehte sich um, langsam. Mia stand in der Mitte des kleines Raums, ihre Hände umhüllten die Schlüssel in ihrer Handfläche. Das Licht, das durch die beiden Vorderfenster fiel, schien ihr Haar in Flammen zu setzen.

»Ich verstehe nicht ganz.«

»Sie brauchen einen Platz zum Leben, und ich habe einen. Ich lebe auf den Klippen – ein Ort, den ich vorziehe. Dieses ist Ihr Platz, ab jetzt. Fühlen Sie es nicht?«

Sie wusste nur, dass sie sich glücklich fühlte und gleichzeitig total aufgeregt war. Und dass sie von dem Moment an, als sie das Haus betreten hatte, sich am liebsten gerekelt und hingekuschelt hätte – ähnlich wie die schwarze Katze im Sonnenschein.

»Ich kann wirklich hier bleiben?«

»Das Leben war hart, nicht wahr?«, murmelte Mia. »Dass Sie Ihrem Glück so wenig trauen! Sie werden Miete bezahlen, weil alles, was wir umsonst bekommen, nach und nach seinen Wert verliert. Wir werden sie mit Ihrem Lohn verrechnen. Ziehen Sie erst mal ein. Später erledigen wir den Papierkram in meinem Büro. Aber das kann getrost bis morgen warten. Im Supermarkt der Insel finden Sie am besten alle Zutaten, die Sie für die morgige Speisekarte brauchen. Ich werde Sie ankündigen, sodass Sie dort ausreichend Kredit bekommen. Jede Art von Töpfen, Pfannen und so weiter müssen Sie selber kaufen, aber ich strecke das nötige Geld bis Ende des Monats vor. Ich erwarte Sie und Ihre Kreationen pünktlich um neun Uhr dreißig.«

Sie ging zur Tür und ließ die Schlüssel in Nells ausgestreckte Hand fallen. »Irgendwelche Fragen?«

»Viel zu viele, um zu wissen, welche ich zuerst stellen soll. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.«

»Verschwenden Sie keine Tränen, kleine Schwester«, murmelte Mia. »Sie sind zu kostbar. Sie werden hart dafür arbeiten müssen.«

»Ich kann es kaum erwarten, anzufangen.« Nell bot Mia ihre Hand. »Danke, Mia.«

Ihre Hände berührten sich, umfassten sich. Im Bruchteil einer Sekunde sprühten Funken, blau wie Flammen. Mit einem halben Lachen zuckte Nells Hand zurück. »Die Luft scheint mächtig elektrisch aufgeladen zu sein oder so was Ähnliches.«

»Oder so was Ähnliches. Also, willkommen zu Hause, Nell.« Mia wandte sich zur Tür.

»Mia.« Ihre Gefühle überwältigten sie, ballten sich in ihrer Kehle schmerzhaft zusammen. »Ich sagte vorhin, dass dies hier wie ein Märchenhaus ist. Und Sie sind meine gute Fee.«

Mias Lächeln war strahlend, und ihr Lachen tief und voll wie warme Sahne. »Sie werden sehr bald herausfinden, dass ich weit davon entfernt bin. Ich bin nur eine praktisch denkende Hexe. Nicht vergessen, mir die Quittungen zu bringen«, fügte sie hinzu und schloss leise die Tür hinter sich.

2

Der Ort war ein bisschen wie Brigadoon, beschrieben von Nathaniel Hawthorne, fand Nell. Sie hatte sich etwas umgesehen, bevor sie zum Supermarkt gegangen war. Für Monate, sagte sie sich, war sie sicher. War sie frei. Aber zum ersten Mal, während sie die hübschen Straßen entlangging mit ihren schönen Häusern, während sie die Seeluft atmete und den akzentuierten Neu-England-Stimmen lauschte, fühlte sie sich sicher. Und frei.

Niemand kannte sie, aber das würde sich bald ändern. Man würde wissen, wer Nell Channing ist, die tolle Köchin, die in dem kleinen gelben Haus unter den Bäumen lebte. Sie würde Freunde haben, ein Leben. Eine Zukunft. Nichts aus ihrer Vergangenheit würde sie hier berühren.

Eines Tages würde sie ebenso ein Teil der Insel sein, wie das nahe gelegene Postbüro in dem verblichenen grauen Holzhaus oder das Touristenzentrum in dem alten Backsteinhaus oder der lange, robuste Anleger, wo die Fischer ihren Tagesfang abluden.

Zur Feier des Tages kaufte sie sich eine Windharfe aus Sternen, die sie in einem Schaufenster entdeckt hatte. Es war ihr erster Kauf aus reinem Vergnügen seit fast einem Jahr.

Sie verbrachte ihre erste Nacht auf der Insel in dem wunderbaren Bett, schwach vor Glück beim Geräusch der Sterne ihrer Windharfe und dem Rauschen des Meeres.

Vor Sonnenaufgang stand sie auf und stürzte sich mit Feuereifer auf ihre Kocherei. Während die Tagessuppe vor sich hin simmerte, rollte sie Kuchenteig aus. Sie hatte jeden einzelnen Cent, den sie besaß, für Küchengeräte ausgegeben, inklusive fast ihres gesamten Vorschusses und eines guten Teils ihres nächsten Monatslohns. Es spielte keine Rolle. Sie wollte das Beste haben und das Beste produzieren. Mia Devlin, ihre Wohltäterin, sollte niemals bedauern, sie unterstützt zu haben.

Alles in der Küche war genau so, wie sie es am liebsten hatte. Nicht, wie man ihr sagte, wie es zu sein hätte. Bei Gelegenheit würde sie ins Gartencenter der Insel fahren, um Kräuter zu kaufen. Einige würde sie draußen neben der Küchentür einpflanzen. Andere würde sie in Töpfen auf die Küchenfensterbank stellen. Alles fügte sich wie von selbst so zusammen, wie sie es gern mochte. Nichts, absolut nichts in ihrem Cottage sollte einheitlich, akkurat und extravagant gestylt sein. Sie würde keine quadratkilometergroßen Marmorfußböden, keine kilometerlangen Glasflächen, keine turmhohen Urnen mit schrecklichen exotischen Blumen ohne jede Wärme oder Geruch haben. Es gäbe keinen …

Sie stoppte sich selbst, schloss ihre Augen. Und atmete tief durch.

Es wurde höchste Zeit, dass sie nicht mehr daran dachte, was es nicht mehr gäbe, sondern stattdessen plante, was es geben sollte. Sie würde sich nicht von der Vergangenheit hetzen lassen, würde einen Schlussstrich ziehen.

Während die Sonne aufging und die nach Osten zeigenden Fenster entflammte, schob sie das erste Blech mit Törtchen in den Backofen. Sie dachte an die rotwangige Frau, die ihr auf dem Markt geholfen hatte. Dorcas Birmingham – was für ein netter Yankee-Name! Und voller Willkommen und Neugier. Die Neugier hätte Nell vor kurzem noch verschreckt und zum Verstummen gebracht. Aber sie war fähig gewesen, mit der Frau zu schwatzen, sogar zu lachen. Leichtherzig einige Fragen zu beantworten und andere zu umgehen.

Die Törtchen kühlten auf dem Grill ab, und die Muffins kamen in den Ofen. Als die Küche vom Tageslicht erhellt wurde, begrüßte Nell fröhlich singend den Tag.

Lulu verschränkte ihre Arme über der Brust. Es war, wie Mia wusste, ihr Versuch, einschüchternd auszusehen. Da Lulu nur gut eineinhalb Meter groß war, tropfnass vielleicht gerade mal einen knappen Zentner auf die Waage brachte und das Gesicht eines traurigen Gartenzwerges hatte, musste sie sich heftig anstrengen, um einschüchternd zu wirken.

»Du weißt nicht das Geringste über sie.«

»Ich weiß, dass sie allein war, einen Job suchte und zur richtigen Zeit am richtigen Platz war.«

»Sie ist eine Fremde. Du kannst keine Fremde einstellen – und ihr Geld leihen, ihr ein Haus vermieten, ohne etwas über ihren Hintergrund zu wissen. Nicht eine Referenz, Mia. Nicht eine einzige. Vielleicht ist sie eine Psychopathin auf der Flucht vor dem Gesetz.«

»Du hast nicht zufällig kürzlich den einen oder anderen Tatsachenkrimi konsumiert, oder?«

Lulu versuchte, einen finsteren Gesichtsausdruck hinzukriegen, was ihr aber eher zu einem schmerzvollen Lächeln geriet. »Es gibt viele schlechte Leute auf der Welt.«

»Ja, gibt es.« Mia druckte ihre Aufträge aus, die per E-Mail gekommen waren. »Ohne schlechte Menschen gäbe es keine Auseinandersetzungen, keine Herausforderungen. Sie läuft vor irgendetwas weg, Lu, aber nicht vor dem Gesetz. Das Schicksal hat sie hierher getrieben. Zu mir.«

»Und manchmal ist das Schicksal heimtückisch.«

»Ich bin mir dessen sehr bewusst.« Mit ihren ausgedruckten Seiten in der Hand, verließ Mia ihr Büro, Lulu im Schlepptau. Nur die Tatsache, dass Lulu sie quasi aufgezogen hatte, verhinderte Mias Einspruch, sich gefälligst um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern. »Und du solltest wissen, dass ich sehr gut selbst auf mich aufpassen kann.«

»Du nimmst Streuner auf, deine Aufmerksamkeit scheint letzthin ein wenig gelitten zu haben.«

»Sie ist keine Streunerin, sie ist eine Suchende. Das ist ein Unterschied. Ich habe etwas in ihr gefühlt«, fügte Mia hinzu, als sie nach unten ging, um die Aufträge zu erledigen. »Wenn sie sich etwas eingelebt hat, werde ich sie sorgfältiger überprüfen.«

»Besorg dir wenigstens eine Referenz.«

Mia hob eine Augenbraue, als sie hörte, wie die Hintertür geöffnet wurde. »Ich habe gerade eben eine bekommen: Sie ist pünktlich. Lass sie in Ruhe, Lulu«, befahl Mia, als sie ihr die Aufträge übergab. »Sie ist stark angeschlagen und noch sehr empfindlich. Hallo, guten Morgen, Nell.«

»Guten Morgen.« Beide Arme beladen mit vollen Tabletts, pustete Nell sich eine Haarsträhne aus den Augen. »Ich habe mein Auto hinter dem Café geparkt, ist das in Ordnung?«

»Ganz prima. Brauchen Sie Hilfe?«

»O nein, das geht schon. Ich habe alles im Auto verstaut.«

»Lulu, das ist Nell. Ihr könnt euch später miteinander bekannt machen.«

»Hallo, Lulu. Ich möchte nur zuerst die Sachen nach oben bringen.«

»Tun Sie das.« Mia wartete, bis Nell die Treppe hochgegangen war. »Sieht gefährlich aus, findest du nicht?«

Lulu probierte ihr finsteres Gesicht. »Aussehen kann täuschen.«

Kurze Zeit später lief Nell die Treppen wieder runter. Sie trug ein sauberes weißes T-Shirt, das sie in ihre Jeans gestopft hatte. Das kleine goldene Medaillon sah auf dem T-Shirt wie ein Amulett aus. »Ich habe die erste Kanne Kaffee aufgesetzt. Ich bringe beim nächsten Mal einen mit runter. Wie trinken Sie ihn?«

»Schwarz für mich, süß und nicht so stark für Lu. Danke.«

»Ehem … macht es Ihnen etwas aus, erst ins Café zu gehen, wenn ich fertig bin? Es wäre mir wirklich lieb, wenn Sie erst kommen und schauen, wenn alles fertig ist. Also, bitte …« Sie bewegte sich zur Tür, das Gesicht nahm eine leichte Rotfärbung an während ihres kleinen Vortrags. »Warten Sie, bitte. Okay?«

»Außerordentlich begierig zu gefallen«, kommentierte Mia, während sie und Lulu die Aufträge ausführten. »Außerordentlich begierig zu arbeiten. Ja, eindeutig psychopathische Tendenzen. Ruf die Polizei!«

»Halt den Mund!«

Zwanzig Minuten später kam Nell atemlos wieder runter, einerseits glücklich und stolz, andererseits vibrierend vor Lampenfieber. »Können Sie jetzt bitte raufkommen? Ich hätte noch Zeit genug zum Umdekorieren und etwas zu ändern, wenn es Ihnen nicht gefällt. Oh, könnten Sie bitte auch kommen, Lulu? Mia sagte, dass Sie alles über das Geschäft wissen, also wissen Sie, ob es so aussieht, wie es aussehen sollte.«

»Hmpf.« Grummelnd unterbrach Lulu ihre Addition der Mail-Bestellungen. »Das Café ist nicht mein Bereich.« Aber mit einem Schulterzucken folgte sie Mia und Nell nach oben.

Die Vitrine war prall gefüllt mit raffinierten Gebäckstücken, lockeren Muffins und marmeladengefüllten Scones. Eine große, halbgefrorene Schokoladencreme-Schichttorte, exquisit dekoriert mit Schlagsahne und Pralinés. Kekse, so groß wie eine Männerfaust, bedeckten zwei mit Tortenpapier ausgelegte Tabletts. Aus der Küche kam der delikate Geruch einer Suppe.

Auf der Kreidetafel standen in sorgfältiger und schöner Handschrift die Angebote des Tages. Das Glas der Vitrine strahlte vor Sauberkeit, der Kaffee war unvergleichlich gut, und ein blassblauer Glaskrug stand auf dem Tresen, gefüllt mit Zimtstangen.

Mia nahm die Auswahl in Augenschein, wanderte vor der Vitrine auf und ab wie ein General, der seine Truppen inspiziert, während Nell mit äußerster Anstrengung verhinderte, dass sie unablässig ihre Hände rang.

»Ich habe die Salate und die Suppe noch nicht ausgestellt. Ich dachte, damit warte ich noch bis circa elf Uhr, weil die Leute erst das Gebäck wählen sollen. Es gibt noch mehr Törtchen und natürlich noch die Brownies. Ich habe auch die noch nicht ausgelegt, weil, nun, niemand soll den Eindruck bekommen, dass wir zu viel anzubieten haben. Und Brownies isst man sowieso lieber zu Mittag oder nachmittags. Die Torte habe ich rausgestellt, um den einen oder anderen Kunden damit zu locken, nachmittags ein zweites Mal zu kommen, um sie zu probieren. Aber ich kann alles neu arrangieren, wenn Sie …«

Sie unterbrach sich, als Mia ihren Finger erhob. »Lassen Sie uns eins dieser Törtchen probieren.«

»Oh. Sicher. Ich hole eins von hinten.« Sie schoss in die Küche und war wie der Blitz zurück mit einem Törtchen auf einem kleinen Papiertablett.

ENDE DER LESEPROBE

Die Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel »Dancing Upon the Air« bei Jove Books, The Berkley Publishing Group, a division of Penguin Putnam Inc., New York

1. Auflage Taschenbuchausgabe Mai 2011 bei Blanvalet Verlag, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe 2001 by Nora Roberts Published by arrangement with Eleanor Wilder Copyright © 2001 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Goldmann Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen Covermotiv: bürosüd LH · Herstellung: sam

eISBN 978-3-641-09917-6

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