Kühle Brise - Wolf S. Dietrich - E-Book

Kühle Brise E-Book

Wolf S. Dietrich

0,0

Beschreibung

Gerhard Övenhorst ist ein bösartiger Geizkragen. Der alte Mann mit dunkler Vergangenheit besitzt zwei Wohn- und Geschäftshäuser in Cuxhaven. Die Pächter der Ladenlokale schröpft er ohne jeglichen Skrupel mit unlauteren Methoden. "Drecksarbeiten" übernehmen zwei Kleinkriminelle für ihn. Doch dann geht er bei der Auseinandersetzung mit einer Mieterin zu weit … Als in der Wingst eine vom Wolf zerbissene Leiche gefunden wird, soll Kommissarin Marie Janssen die genauen Todesumstände klären. Es ist die erste Zusammenarbeit mit ihrem neuen, jungen Chef. Sein Vorgänger, Konrad Röverkamp, und der ehemalige Kriminalrat Christiansen stehen ihnen zur Seite. Sie erinnern sich an einen ungelösten Mordfall aus den Achtzigerjahren, der einen Zusammenhang zu den aktuellen Ermittlungen nahelegt.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 352

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalte

Titelangaben

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Danksagung

Handlung und Figuren dieses Romans entspringen der Phantasie des Autors. Ebenso die Verquickung mit tatsächlichen Ereignissen. Darum sind eventuelle Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen zufällig und nicht beabsichtigt. Nicht erfunden sind bekannte Persönlichkeiten, Personen der Zeitgeschichte sowie Institutionen, Straßen und Schauplätze in Cuxhaven, Bremerhaven und im Umland. 
Alle Rechte vorbehalten,
auch die des auszugsweisen Nachdrucks
und der fotomechanischen Wiedergabe
sowie der Einspeicherung und Verarbeitung
in elektronischen Systemen.
© Prolibris Verlag Rolf Wagner, Kassel, 2017
Tel.: 0561/766 449 0, Fax: 0561/766 449 29
Titelfoto: © Biker – Fotolia.com
E-Book: Prolibris Verlag
ISBN E-Book: 978-3-95475-157-0
Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich.
ISBN: 978-3-95475-161-7
www.prolibris-verlag.de
Der Autor
Wolf S. Dietrich studierte Germanistik und Theologie und arbeitete als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Göttingen. Dann war er Lehrer und Didaktischer Leiter einer Gesamtschule. Er lebt und arbeitet heute als freier Autor in Göttingen und Cappel-Neufeld bei Cuxhaven. Kühle Brise ist sein siebzehnter Krimi im Prolibris Verlag und der sechste, der im Cuxland spielt. Der Autor ist Mitglied im Syndikat, der Autorengruppe deutschsprachiger Kriminalliteratur.
Mehr Informationen zum Autor unter: www.literatur-aktuell.de
1
2017
Wortlos betrat der alte Mann den Verkaufsraum der kleinen Bäckerei, drängte sich an der Kundin vorbei, die gerade bedient wurde, und steuerte auf einen der Sessel zu, die zu dem Ensemble aus drei Tischen, einem Ecksofa und vier Stühlen gehörten. Am frühen Vormittag ließen sich hier selten Kunden nieder, um Kaffee zu trinken oder ein belegtes Brötchen zu verzehren. Und sollte sich doch einmal jemand an den Stammplatz des alten Övenhorsts setzen, musste Annika ihn an einen anderen Tisch bitten. Ohne hinschauen zu müssen, wusste sie, dass sich der Hauseigentümer in den Sessel fallen lassen, nach der bereitliegenden Zeitung greifen und sie geräuschvoll aufblättern würde. Sie reichte die Tüte mit den Brötchen über die Theke, nannte den Preis und nahm das Geld entgegen. »Auf Wiedersehen, Frau Icken, einen schönen Tag noch!«
Als die Kundin den Laden verlassen hatte, begann Annika, das Frühstück für den Gast vorzubereiten. Kaffee, Milch und Zucker, ein Croissant, ein Brötchen mit gekochtem Schinken, frisch belegt. Sie seufzte unhörbar. Gerhard Övenhorst nahm jeden Tag das Gleiche, schüttelte den Kopf über das, was er in der Zeitung las, die hier auslag, und verließ die Bäckerei, nachdem er alles verzehrt hatte, ohne ein Dankeswort und ohne zu bezahlen. Später, wusste Annika, würde er einige Zeit in der Spielothek bei René Müller verbringen und gegen Mittag die benachbarte Kneipe aufsuchen, um sich das Tagesgericht und ein Bier servieren zu lassen, wofür er ebenfalls nicht zahlen würde.
Maksym Melnik, der Pächter, stammte aus der Ukraine und hatte denselben Fehler begangen wie René und auch Timo, Annikas Mann. Sie waren auf das scheinbar großzügige Angebot von Öve, wie er im Viertel genannt wurde, eingegangen, hatten Pachtverträge unterschrieben, die mit einem Kredit verbunden waren. Für die ersten Monate waren weder Rückzahlung noch Zinsen fällig, und die monatliche Belastung war vergleichsweise niedrig. Danach aber stiegen Zins und Pacht in die Höhe. Inzwischen waren Timo und Annika so hoch bei Öve verschuldet, dass nach Abzug ihrer Verpflichtungen ihm gegenüber kaum genug zum Leben blieb. Obwohl sich die Kundschaft zufrieden zeigte und der Umsatz stieg, gelang es ihnen nicht, die Schuldenfalle zu verlassen.
Einige Zeit hatten sie sich der Illusion hingegeben, das Problem könnte auf natürliche Weise aus der Welt verschwinden. Övenhorst war gestürzt und wegen eines gebrochenen Oberschenkelhalsknochens ins Krankenhaus gekommen, wo er sich eine Infektion zugezogen hatte, die wiederum Herzprobleme zur Folge hatte. Eines Tages war eine Dame in der Bäckerei erschienen und hatte sich als seine Tochter vorgestellt. »Es sieht nicht gut aus«, hatte sie gesagt, aber nicht den Eindruck erweckt, als sei sie deswegen sonderlich besorgt. »Wir müssen mit allem rechnen.« Annika und Timo hatten ihre Anteilnahme ausgedrückt, der Frau Genesungswünsche für ihren Vater mitgegeben und sich, nachdem sie gegangen war, hoffnungsvoll angesehen. »Wenn die Tochter das Haus übernimmt, wird bestimmt alles besser«, hatte Annika gemurmelt. Timo war skeptisch geblieben. »Abwarten.«
Er hatte Recht behalten. Nach fast einem Jahr war Övenhorst mit einem Herzschrittmacher aus dem Krankenhaus zurückgekehrt und hatte seine morgendlichen Besuche in der Bäckerei wieder aufgenommen. Seine Bewegungen waren etwas schwerfälliger geworden, außerdem benutzte er eine Gehhilfe, die er demonstrativ an den Tisch lehnte, wenn er sich auf seinem Stammplatz niederließ.
Annika hatte das Brötchen wie gewohnt üppig belegt, ein Croissant daneben platziert, frischen Kaffee abgefüllt und alles auf einem Tablett arrangiert. Mit angehaltenem Atem trug sie es zu ihm hinüber, murmelte »bitte sehr« und kehrte rasch hinter den Tresen zurück. Der Gast verströmte einen unangenehmen Geruch, der sie an faulende Kartoffeln in einem muffigen Keller erinnerte.
Övenhorst musste im Geld schwimmen, schließlich hatte er nicht nur die Geschäftsräume im Erdgeschoss, sondern auch ein Dutzend Wohnungen in den oberen Etagen vermietet. Er selbst bewohnte die kleinste von allen. Sie befand sich auf der Rückseite des Hauses, neben der Spielothek, die ebenfalls zu seinem Imperium gehörte. Außerdem besaß er ein weiteres Geschäftshaus in der Fußgängerzone und eine Barkasse im Hafen, mit der Touristen zu den Seehundsbänken geschippert wurden. Trotz der Einnahmen daraus sowie aus Vermietung und Verpachtung, die Annika auf mindestens zwanzigtausend Euro monatlich schätzte, kam der Hausbesitzer wochenlang in derselben abgewetzten Hose und im selben verwaschenen Hemd in die Bäckerei. Seine Schuhe waren ausgetreten, und die graubraune Jacke, die er zu jeder Jahreszeit trug, hatte auch schon bessere Tage gesehen. All das hätte sie nicht gestört, wäre da nicht dieser Geruch gewesen. »Alte ungewaschene Männer riechen so«, hatte Timo ihr erklärt und mit den Schultern gezuckt, als sie sich bei ihm beklagt hatte. »Kenne ich von meinem Opa.«
Die Ladentür wurde geöffnet, eine ältere Dame aus der Nachbarschaft und ein junger Mann betraten den Verkaufsraum und unterbrachen Annikas Gedankenfluss. Weitere Kunden erschienen, Annika musste sich auf deren Wünsche konzentrieren und verschwendete keinen Gedanken mehr an Öve. Am Rande bemerkte sie, dass er sein Frühstück beendet hatte und den Laden, wiederum grußlos, verließ.
Gerhard Övenhorst humpelte durch die Fußgängerzone. Sein Ziel war ein Wohn- und Geschäftshaus an der Nordersteinstraße. Er hatte es vor Jahren günstig erworben. Nach dem Abriss des Karstadt-Kaufhauses war auf dem Weg zum Kaemmererplatz eine hässliche Brachfläche entstanden, die den Eindruck vermittelt hatte, die Geschäftszeile sei hier zu Ende. In der Folge waren einige Betriebe aus der Nachbarschaft in die Insolvenz und die Immobilienpreise in den Keller gegangen. Eins der leer stehenden Gebäude hatte er gekauft, die Geschäftsräume ungenutzt gelassen und die übrigen Räume hauptsächlich an osteuropäische Arbeiter vermietet. Innerhalb von drei Jahren waren die Ausgaben für den Kauf wieder hereingekommen.
Unter den Bewohnern hatte er ein Brüderpaar gefunden, das bereit war, gegen ein entsprechendes Entgelt zahlungsunwillige Mieter zur Räson zu bringen oder hinauszuwerfen. Außerdem halfen sie bei Bedarf auf der Kühlen Brise aus, der Ausflugs-Barkasse, mit der er an Touristen verdiente.Die beiden ehemaligen Hafenarbeiter hatten wegen gemeinsamer Eigentumsdelikte eingesessen und waren auf Bewährung. Ihre Freiheit hing davon ab, dass er ihnen einen festen Wohnsitz und ein Arbeitsverhältnis bescheinigte. Sie hatten die Bewohner, die ohnehin keinen Mietvertrag besaßen, an die Luft gesetzt. Nachdem das Haus vollständig entmietet war, hatte er es saniert und modernisiert.
Inzwischen war die Baulücke an der Nordersteinstraße durch eine moderne Geschäftszeile geschlossen worden und Övenhorst hatte begonnen, Läden und Wohnungen seines Gebäudes zu vermieten. Mit ordentlichen Verträgen, aber zum höchstmöglichen Mietzins. Und mit bewährter Steigerungsklausel. Niemand war gezwungen, das zu akzeptieren, doch er hatte immer Menschen gefunden, die dazu bereit waren. Das würde auch für dieses Haus gelten. Noch standen die Räume leer, aber für die Geschäftsräume im Erdgeschoss hatte er bereits einen Vertragspartner, und es gab Interessenten für die freien Wohnungen, bevor er sie überhaupt inserieren konnte.
Heute würde er das erste Apartment im Dachgeschoss übergeben, obwohl in den Läden die Handwerkerarbeiten nicht abgeschlossen waren. An eine offensichtlich gut situierte alleinstehende Dame. Sie dürfte keine Probleme mit der steigenden Miete haben. Eine Stunde vor dem verabredeten Termin für die Aushändigung der Schlüssel stieg er die Treppe aus hellgrauem Naturstein zu den Wohnungen hinauf.
Unterhalb der Dachgeschosswohnungen begegnete ihm eine junge Frau, die höflich grüßte und an ihm vorbei die Treppe hinabeilte. Er hatte sie noch nie gesehen.
»Wer sind Sie?«, rief er ihr nach. »Was machen Sie hier? Wie sind Sie hier reingekommen?«
Sie blieb stehen, wandte sich um, stieg einige Stufen wieder hinauf und musterte ihn kritisch. »Wer will das wissen?«
»Ich bin der Eigentümer«, knurrte Övenhorst. »Und mich interessiert, wer in meinem Haus herumläuft.«
Ihre Miene entspannte sich. »Dann sind Sie der Vermieter von Frau Doktor Anderson! Ich werde bei ihr zur Untermiete wohnen. Ein Handwerker, ich glaube ein Maler, hat mich reingelassen, als er ging.« Sie nahm eine weitere Stufe und streckte die Hand aus. »Mein Name ist Solveig Vollmer. Ich wollte nur mal sehen, wo genau die Wohnung liegt.«
Övenhorst achtete nicht darauf. Er schüttelte den Kopf. »Untermiete ist nicht erlaubt. Suchen Sie sich etwas anderes!«
»Frau Anderson bittet selbstverständlich um Ihre Zustimmung und hat eine entsprechende Erklärung vorbereitet. Sie brauchen nur zu unterschreiben.«
»Das wäre ja noch schöner!« Övenhorst hob die Stimme. »Ich unterschreibe nichts, was nicht von mir oder meinem Anwalt stammt. Untervermietung kommt nicht infrage. Basta!« Er wandte sich zum Gehen. »Und Sie verschwinden jetzt«, rief er über die Schulter.
»Sie können die Erlaubnis zur Untervermietung nur verweigern«, widersprach die Frau, »wenn die Wohnung dadurch überbelegt wird oder besondere Gründe gegen meine Person sprechen.«
Övenhorst fuhr herum und hob seine Gehhilfe. »Was ich kann und was ich nicht kann, entscheide ich, und sonst niemand. Merken Sie sich das!«
»Nach Paragraf fünfhundertvierzig BGB …«
»Kommen Sie mir nicht mit Paragrafen!«, schrie Övenhorst wütend und stieß mit seiner Krücke nach der Frau. Er traf sie am Brustbein. Sie geriet aus dem Gleichgewicht, ruderte mit den Armen, verfehlte das Geländer, stürzte mit einem Aufschrei rückwärts die Treppe hinab, rollte und rutschte über die Stufen bis zur nächsten Etage, wo sie regungslos liegen blieb. Nur Unterschenkel und Schuhe waren zu sehen.
Unschlüssig starrte er auf die Beine der Frau, wartete darauf, dass sie sich bewegten und aus seinem Blickfeld verschwanden. Doch die Füße rührten sich nicht. Mit einem ärgerlichen Schnaufen nahm er eine Stufe abwärts, verharrte, stieg weiter die Treppe hinab. Schließlich stand er vor dem Körper der unbekannten Frau, die sich nicht rührte. Mit der Gehhilfe stupste er gegen eine ihrer Schultern. Der Kopf fiel zur Seite und gab den Blick frei auf eine Blutlache, die sich langsam auf dem Steinfußboden ausbreitete. Övenhorst entfuhr ein halblauter Fluch. Die Schweinerei würde sich nur schwer beseitigen lassen.
Noch einmal stieß er den Körper mit der Krücke an. Ein kaum wahrnehmbares Atemgeräusch entwich dem offenen Mund. Argwöhnisch beugte er sich über die Frau. Lebte sie noch? Ratlos betrachtete er das Gesicht. Plötzlich flatterten die Augenlider, öffneten sich.
»Hallo?«, rief er. Keine Reaktion. Unschlüssig verharrte er in gebeugter Haltung, starrte in die aufgerissenen Augen. Sie schienen ihn anzusehen. Sekunden später verloren sie ihren Glanz und erstarrten zu blickloser Entrücktheit.
Övenhorst richtete sich auf und umrundete vorsichtig das Hindernis, nahm die letzte Treppe zum Erdgeschoss und verließ das Gebäude über den Hinterhof. So rasch seine schmerzende Hüfte es erlaubte, eilte er zum anderen Haus zurück, ging jedoch nicht in seine Wohnung, sondern betrat nach einem kurzen Blick auf die Uhr die Spielothek.
René Möller war in Cuxhaven geboren und aufgewachsen, hatte etwa ein Drittel seines achtundvierzig Jahre währenden Lebens im Knast verbracht und erst als Pächter von Övenhorsts Spielsalon zu einem regelmäßigen und dauerhaften Auskommen gefunden. Zwar kassierte der Verpächter den größten Teil seiner Einnahmen, aber René war genügsam, und durch gelegentliche zusätzliche Jobs im Auftrag seines Chefs ließ sich sein Einkommen so weit verbessern, dass er sein anspruchsloses Leben finanzieren konnte.
Als Övenhorst eintrat, sah er ihn überrascht an. »Moin, Chef. Ungewöhnliche Zeit, Chef.«
Sein Verpächter winkte wortlos ab und deutete zum Telefon. René nahm den Apparat aus der Halterung. Der Alte lehnte seine Krücke gegen die Theke, kramte ein zusammengefaltetes Stück Papier aus der Tasche und schob es René hin. Ein Name und eine Telefonnummer. »Soll ich wählen?«
Övenhorst nickte, René drückte auf die Tasten und reichte ihm das Telefon.
»Die Übergabe des Schlüssels muss verschoben werden«, sagte er ohne Begrüßung, als sich jemand meldete. »Auf morgen. Oder Sie holen ihn bei mir ab. Wiederhören.« Dann wählte er eine Mobilfunknummer, die er im Kopf hatte. »Schnapp dir deinen Bruder und den Bulli! Fahrt zum Haus! Nein, zum neuen. Einen Schlüssel für den Hintereingang findet ihr im Wagen. Im Treppenhaus, im ersten Stock, liegt etwas, das verschwinden muss. Und dann reinigt ihr die Stelle. Aber gründlich. Anschließend ruft ihr mich unter dieser Nummer an. Ich will wissen, ob alles erledigt ist.«
Er gab René das Telefon zurück, packte ihn am Kragen und zog ihn zu sich heran. »Ich bin seit einer Stunde hier. Merk dir das! Kann sein, dass man dich danach fragt. Vielleicht musst du’s auch beschwören. Hast du mich verstanden?«
René nickte. »In Ordnung, Chef.«
Der Alte ließ ihn los. »Schreib dir Tag und Uhrzeit hinter die Ohren!«
»Mach ich, Chef. Sie können sich auf mich verlassen.« Er grinste, warf einen Blick auf den Kalender an der Wand, dann auf seine Armbanduhr. »Siebter August, neun Uhr. Sieben acht, neun. Kann man sich gut merken. Möchten Sie was trinken, Chef?«
»Ein Bier«, antwortete Övenhorst und deutete mit einer Kopfbewegung zu einem Automaten, der etwas abseits an der Wand hing. »Und schmeiß da was rein!«
René öffnete eine Flasche Flensburger, schob sie über den Tresen, verließ seinen Platz, zog eine Münze aus der Hosentasche und steckte sie in den Einwurfschlitz des Merkur-Disc-Super. Das Gerät ließ eine Tonfolge hören, seine bunten Scheiben setzten sich in Bewegung. Övenhorst griff nach seiner Krücke und stellte sich davor, eine Hand an der Stopptaste.
Den alten Spielautomaten mit elektromechanischer Technik, der 2001 noch von D-Mark auf Euro umgerüstet worden war, hätte er längst an einen Sammler verkauft, wenn Övenhorst nicht darauf bestanden hätte, daran täglich sein Spielchen zu machen. Die modernen Geräte mit ihren LED-Anzeigen und gewaltigen Klangkulissen verachtete er. Eigentlich war der Alte kein Spieler, sondern ein knallhart kalkulierender Geschäftsmann. Dabei war er so geizig, dass er sich weder einen eigenen Telefonanschluss noch ein Handy leistete, zum Telefonieren kam er zu ihm in die Spielothek oder ging in die benachbarte Kneipe. Dennoch gönnte er sich das Spiel am Automaten. Wahrscheinlich hatte er sich das als junger Mann nicht leisten können oder die Ausgabe gescheut.
Nachdem René an seinen Platz zurückgekehrt war, beobachtete er den Alten, der mit erstaunlichem Geschick die rotierenden Scheiben so oft an der richtigen Stelle zum Stillstand brachte, dass immer wieder Münzen laut klappernd in der Geldausgabe landeten. Bei jedem Gewinn stieß er ein zufriedenes Grunzen aus. Doch am Ende würde er die Spielothek mit leeren Händen verlassen, da der Apparat nicht mehr Geld ausspucken konnte, als man hineinsteckte. Den einen Euro, den René bei den Besuchen seines Verpächters in den Automaten werfen musste, erstattete ihm der Geizhals nicht. Für René war das kein Problem, denn der er besaß den Schlüssel und holte sich die Münzen in unregelmäßigen Abständen zurück.
Heute war Övenhorst früher gekommen als sonst, und René fragte sich, ob die Anweisung, sich an Datum und Uhrzeit zu erinnern, und die beiden Telefonate damit zusammenhingen. Anscheinend brauchte der Alte ein Alibi. So was kam vor, er kannte das. Aber der zweite Anruf, mit dem er Mike und Marco diesen geheimnisvollen Befehl erteilt hatte, gab ihm Rätsel auf. Offenbar musste im neuen Haus etwas weggeräumt und eine Verunreinigung beseitigt werden. Auch das war an sich nichts Ungewöhnliches. Doch in Verbindung mit der Alibi-Sache kam ihm der Auftrag seltsam vor. Es schien fast, als wäre eine Leiche wegzuschaffen. René musterte den Mann vor dem Geldspielautomaten. Övenhorst war kräftig, aber der schmale graue Haarkranz an seinem kantigen Schädel, die fleckige Kopfhaut und die langsamen und offensichtlich anstrengenden Bewegungsabläufe beim Gehen ließen sein Alter erkennen. Der Mann war über achtzig und wohl kaum in der Lage, jemanden umzubringen.
*
Wenn einer der Kowalski-Brüder vom Anblick der toten Frau überrascht war, so verbarg er es vor dem anderen. Sie beugten sich über sie, sahen sich an und zuckten mit den Schultern. »Wir brauchen eine Decke oder so«, stellte Mike fest. Marco verließ wortlos das Treppenhaus, ging zum Wagen und kehrte mit einer großen schwarzen Plastikfolie zurück.
Sie wickelten die Leiche in die Plane und trugen sie ohne nennenswerte Anstrengung die Treppe hinunter zum Hinterausgang. Nachdem sie sich vergewissert hatten, dass auf dem Hof kein Mensch zu sehen war und von den Fenstern und Balkonen der Nachbarhäuser niemand herüberschaute, verfrachteten sie das Paket in den Lieferwagen. Marco nahm Eimer, Schrubber und Feudel heraus und sah seinen Bruder fragend an. »Erst putzen?« Mike nickte, schloss den Wagen ab und ging voran.
Eine knappe Stunde später waren alle Spuren vom Ort des Unfalls beseitigt. Zufrieden betrachteten die Männer ihr Werk. Nahm man einen bestimmten Winkel ein und sah genau hin, blieb ein leichter Schatten erkennbar. »Das sieht man nur«, sagte Marco, »wenn man weiß, wo der Fleck war.« Sein Bruder nickte und gab mit einer Kopfbewegung das Zeichen zum Gehen.
Wenig später rollte der VW Bulli vom Hinterhof des Hauses. »Wohin?«, fragte Mike, als sein Bruder in die Holstenstraße einbog.
»Hafen. Aber nicht jetzt. Erst zu Öve.«
*
Als Mike und Marco die Spielothek betraten, hatte Övenhorst gerade die letzte Münze verspielt. Inzwischen waren etliche Besucher an den Automaten beschäftigt. Eine Kakofonie unterschiedlichster elektronisch erzeugter Töne erfüllte den Raum. Der Alte nahm seine Krücke und hinkte auf die Brüder zu. »Hier ist es zu laut. Wir gehen nach draußen.«
Die Fußgängerzone hatte sich gefüllt. Durch den Strom aus schlendernden Touristen, einkaufenden Einheimischen und hastenden Berufstätigen dirigierte er seine Männer zum Eiscafé an der Ecke zur Segelckestraße. Das Da Dalto war wie immer gut besucht. Övenhorst hielt es für eine Goldgrube. Es hatte nur den Nachteil, dass es nicht ihm gehörte. In den neunzehnhundertsiebziger Jahren hatte er versucht, mit Saverio Da Dalto ins Geschäft zu kommen, doch der Mann aus Venetien hatte eine Beteiligung abgelehnt.
Im gläsernen Raucherbereich gab es freie Tische. Abseits der übrigen Gäste ließen sie sich nieder.
Für Mike und Marco bestellte Övenhorst Espresso, für sich ein Glas Wasser. Nachdem sich die Bedienung zurückgezogen hatte, griff er in die Innentasche seiner Jacke und zog eine abgegriffene Brieftasche hervor. Er nahm zwei Hunderter heraus und schob sie über den Tisch. Rasch und wortlos ließen die Brüder die Scheine verschwinden. »Der Flur ist sauber«, berichtete Mike. »Die … das … Paket schaffen wir heute Nacht fort.«
Övenhorst kniff die Augenlider zusammen. »Aber so, dass es nicht wieder auftaucht. Ist das klar?«
»Selbstverständlich«, bestätigte Marco. »Wir bringen sie … es …«
»Das will ich gar nicht wissen«, unterbrach ihn der Alte. »Ich verlasse mich auf euch. Denkt daran, den Wagen hinterher gründlich zu reinigen!«
Die Brüder nickten. »Klar, Chef«, antworteten sie wie aus einem Mund.
»Dann ist ja alles gut.«
Nachdem die Bedienung Espresso und Wasser serviert hatte, leerte Övenhorst sein Glas. »Ein bisschen Kleingeld werdet ihr in der Tasche haben«, sagte er, nahm seine Krücke und stand auf. »Morgen meldet ihr Vollzug!« Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er das Eiscafé.
Die Blicke seiner Helfer folgten ihm, bis er in den Fleckenpüsterweg einbog und aus ihrem Sichtfeld verschwand.
Mike schob die Espressotasse von sich und winkte der Bedienung. »Zwei Grappa!«
*
Der blaue VW Transporter T3 aus den neunzehnhundertachtziger Jahren war genau das Fahrzeug, nach dem er gesucht hatte. Stumpfer Lack, rostige Stoßstangen und etliche Beulen störten ihn nicht. Viel wichtiger als solche Äußerlichkeiten waren eine gültige TÜV-Plakette und brauchbare Reifen. Was den Wagen vor allem auszeichnete, war das Fehlen einer Wegfahrsperre. Und er war günstig abgestellt. Der Parkplatz vor dem Bahnhof stand voller Fahrzeuge. Deren Besitzer waren mit dem Zug unterwegs oder im gegenüberliegenden Supermarkt, auf dem Wege dorthin oder kamen bepackt heraus und hatten nichts anderes im Sinn, als ihre Einkäufe zu verstauen. Niemand achtete auf seinen Nebenmann. Sascha würde nicht auf den Schutz der Dunkelheit warten müssen.
Er trug einen grauen Overall, in dem man ihn, würde er überhaupt wahrgenommen, für einen Handwerker hielte. Um die Tür auf der Fahrerseite zu öffnen, die Kabel für Zündung und Anlasser zu überbrücken und den Motor zu starten, benötigte er weniger als eine Minute. Niemand stellte sich ihm in den Weg, kaum jemand beachtete den T3, als er vom Parkplatz rollte. An der Ampel zur Einmündung auf die Konrad-Adenauer-Allee bog er links ab und folgte der B 73 stadtauswärts. Er durchfuhr den Kreisel, an dem die A 27 begann, und verließ ihn in Richtung Hamburg, passierte Altenbruch und erreichte schließlich Otterndorf. Hier bog er in eine schmale Seitenstraße ein, an deren Ende er sein Ziel fand. Eine leere Scheune. Er stieg aus, öffnete das Tor und sah sich um. Niemand war in der Nähe. Sascha fuhr den Transporter hinein, stellte den Motor aus und schob die Tür wieder zu. Dann zog er sein Handy aus der Tasche und wählte.
»Bin da«, sagte er, als sich sein Gesprächspartner meldete. »In eurer Scheune. Habe einen T3 gefunden.«
*
Die Kowalski-Brüder warteten schon in der Spielothek, als Gerhard Övenhorst am nächsten Morgen dort eintraf. Demnach hatten sie ihren Job bereits erledigt. Zufrieden nickte er ihnen zu und rief eine Bestellung in Renés Richtung. »Mach mal drei Biere auf! Für meine Freunde und für mich.«
René bejahte stumm, und Övenhorst humpelte heran, lehnte seine Gehhilfe gegen den Tresen. Er ergriff eine der Flaschen, die René auf die Theke gestellt und geöffnet hatte, und hielt sie hoch. »Zum Wohl! Auf die erfolgreiche Aktion!«
Zögernd tasteten Mike und Marco nach den Getränken, machten aber keine Anstalten, mit ihrem Chef anzustoßen.
Mit einer ruckartigen Bewegung ließ Övenhorst seine Flasche auf die Theke knallen, sodass das Bier aus dem Flaschenhals schäumte. »Was ist passiert?«, fragte er mit schneidender Stimme.
Mike breitete hilflos die Arme aus. »Der Transporter ist weg.«
»Wie weg?«, schnappte der Alte.
»Ganz weg«, ergänzte Marco. »Verschwunden. Geklaut. Mit Ladung.«
Övenhorst lief rot an und streckte die Hand aus. »Ich will die Hunnis zurück.«
2
2017
»Darf ich bei Oma und Opa schlafen?«, fragte die dreijährige Nele, als Marie Janssen in Otterndorf die Bundesstraße verließ und in den Sophienweg einbog.
»Ich weiß nicht«, antwortete sie zerstreut. »Papa kann dich heute Abend abholen.«
Nele schob die Unterlippe vor und zog die Stirn kraus.
Maries Gedanken waren bei der bevorstehenden Abschiedsfeier. Konrad Röverkamp hatte, nachdem seine Dienstzeit auf Antrag des Chefs verlängert worden war, nun endgültig die Altersgrenze erreicht. Da in den Polizeidienststellen Alkoholverbot herrschte, hatte Konrad Freunde und Kollegen in die Offiziersmesse des Marinefliegerstützpunktes Nordholz eingeladen. Heute würde Kriminalrat Lütjen ihm die Urkunde zur Versetzung in den Ruhestand überreichen. Der Chef hatte Andeutungen über einen möglichen Nachfolger gemacht, jedoch keine Einzelheiten preisgegeben.
»Ich möchte aber lieber bei Oma und Opa bleiben«, erklärte Nele bestimmt. »Opa hat ein neues Kaninchen.«
»Du hast mindestens zwei Stunden Zeit, dich mit ihm anzufreunden«, wandte Marie ein, verspürte allerdings wenig Neigung, das Thema Übernachtung mit ihrer Tochter auszudiskutieren. Die bevorstehenden Veränderungen im Kommissariat beherrschten ihre Gedanken. »Wir fragen Oma, ob es ihr auskommt, wenn du über Nacht bleibst«, schlug sie ihrer Tochter vor.
»Juhu!« Nele klatschte in die Hände. »Oma sagt bestimmt ja.«
Wahrscheinlich hatte ihre Tochter Recht. Maries Mutter hatte sie von klein auf tagsüber betreut, den Kindergarten besuchte Nele erst seit einem halben Jahr. Großmutter und Enkelin liebten sich über alles. Und ihr Vater hatte – nach anfänglicher Skepsis – einen Narren an dem Kind gefressen.
Holger Janssen war trotz seines Rentnerdaseins viel unterwegs. Er engagierte sich in einer Bürgerinitiative gegen die Elbvertiefung und kämpfte für den Schutz der Wölfe, die in den vergangenen Jahren im Elbe-Weser-Dreieck aufgetaucht waren. Marie empfand die Tiere eher als Bedrohung. So gut sie sich mit ihrem Vater auch verstand, in dieser Frage gab es gelegentlich Auseinandersetzungen. Ein weiterer Diskussionspunkt war seine Neigung, Nele allzu sehr zu verwöhnen. Ihre Mutter war einigermaßen konsequent, aber Opa Holger konnte ihr keinen Wunsch abschlagen. Es war Marie immer noch nicht gelungen, ihm klar zu machen, dass auch Leckereien aus dem Bioladen seinem Enkelkind schaden konnten, bekam es zu viel davon. Zum Glück hatte dieses Thema an Bedeutung verloren, seit Nele nur gelegentlich von ihren Großeltern betreut wurde. So wie heute, wenn sie nach Dienstschluss noch eine Veranstaltung hatte. Oder wenn die Aufklärung eines Verbrechens Überstunden erforderte. Felix, der als Redakteur bei den Cuxhavener Nachrichten arbeitete, kam selten vor neunzehn Uhr nach Hause.
Als Marie im Helgoländer Weg vor dem Haus ihrer Eltern hielt, erklang der Klingelton ihres Smartphones. Über die Freisprechanlage meldete sich Felix.
»Hallo, Marie!«
»Papa«, krähte Nele, bevor Marie sich melden konnte, »darf ich bei Oma und Opa schlafen?«
Ihr Vater lachte. »Deshalb rufe ich an. Marie, hörst du mich?«
»Klar und deutlich. Wir sind gerade bei meinen Eltern angekommen. Was meinst du mit deshalb?«
»Wenn Nele bei ihnen übernachtet, komme ich mit nach Nordholz. Ich kann heute früher Schluss machen und würde dafür den Artikel zu Röverkamps Verabschiedung übernehmen. Was hältst du davon?«
»Das wäre super, Felix.« Marie sah ihre Tochter an, die aufgeregt mit den Händen wedelte. »Ich muss nur erst meine Mutter fragen, ob sie einverstanden ist.«
»Oma ist einverstanden«, rief das Mädchen. »Das weiß ich.«
»Wir klären das gleich«, sagte Marie. »Ich rufe dich zurück.« Sie legte auf und stieg aus, um ihrer Tochter aus dem Kindersitz zu helfen.
Kaum hatte sie Nele abgesetzt, rannte das Kind los. Im selben Augenblick erschien seine Großmutter in der Tür und breitete die Arme aus. »Wie schön!«
»Oma«, rief Nele, »darf ich bei euch schlafen?«
Wenig später saßen Marie und ihre Mutter auf der Terrasse und genossen die Sonnenstrahlen des spätsommerlichen Nachmittags und den Blick aufs Wasser der Medem. Nele inspizierte die Kaninchenställe ihres Großvaters. »Selbstverständlich kann sie hier schlafen«, sagte Maries Mutter. »Es ist doch noch alles da. Und wir freuen uns. Und es ist auch kein Problem, wenn sie bis morgen Abend bleibt.«
»Das ist lieb von dir, Mama. Aber ich möchte, dass sie möglichst wenig im Kindergarten fehlt. Sie geht gerne hin, hat dort ihre Gruppe mit Freundinnen und Freunden. Kontinuität ist in dem Alter wichtig. Felix holt sie morgen früh vor der Arbeit wieder ab.« Marie zog ihr Smartphone hervor. »Ich muss ihn nur informieren, dass er nachher mit nach Nordholz kommen kann.« Sie tippte rasch eine WhatsApp-Nachricht ein.
»Was wollt ihr in Nordholz?«, fragte Holger Janssen, der in diesem Augenblick auf der Terrasse erschien. »Moin, mein Kind.« Er küsste seine Tochter auf die Stirn und seine Frau auf die Wange. »Schön, dass ihr da seid.«
»Konrad wird in den Ruhestand verabschiedet«, erklärte Marie. »Das machen die Kollegen gern bei den Marinefliegern. Er wollte erst nicht feiern, aber wir haben ihm so lange zugeredet, bis er eingewilligt hat.«
»Verstehe.« Ihr Vater grinste. »Bullen bechern besser beim Bund. Apropos. Möchtest du was trinken?«
»Danke.« Marie verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf. »Deine Witze waren schon lustiger, Papa.«
Holger Janssen winkte ab. »Vergiss die dummen Sprüche deines Vaters. Erzähl mir lieber, wie es bei euch im Kommissariat weitergeht.«
»Wenn ich das wüsste!«, seufzte Marie. »Kriminalrat Lütjen macht ein großes Geheimnis daraus. Es soll ein Hauptkommissar von außen kommen.«
»Hoffentlich einer, mit dem du dich verstehst.« Ihre Mutter machte ein besorgtes Gesicht. »So einen wie den Herrn Röverkamp findet man wahrscheinlich so schnell nicht wieder.«
Marie nickte. »Das macht mir ein bisschen Angst. Konrad und ich waren ein tolles Team. Obwohl er schon so alt ist.«
»Der ist doch nicht alt«, widersprach Holger Janssen. »Wir sind ein Jahrgang. Na ja, fast.« Er beugte sich vor und fixierte seine Tochter. »Was ist eigentlich mit dir? Müsstest du nicht auch mal befördert werden?«
»Das geht nicht mehr so schnell wie früher.« Marie hob die Schultern. »Vielleicht am Jahresende. Und wenn, werde ich Oberkommissarin. Für die Leitung des FK1 reicht das nicht. Das ist die Stelle eines Ersten Kriminalhauptkommissars.«
»Und wer ist dann der zweite?«, fragte ihre Mutter.
»Das werde ich oft gefragt.« Marie lachte. »Aber den gibt es nicht. Nur Erste.« Sie stand auf. »Ich muss los, Felix aus der Redaktion abholen.«
»Grüß bitte Herrn Röverkamp von uns«, sagte ihr Vater. »Wenn er eine sinnvolle Beschäftigung sucht, kann er bei uns mitmachen. In der Initiative gegen die Elbvertiefung oder beim Tierschutz.«
»Ich glaube nicht, dass Konrad solche Ratschläge braucht. Der ist in letzter Zeit viel mit dem Fahrrad unterwegs. Seit er sich ein E-Bike angeschafft hat, macht er ausgedehnte Touren. Wingst, Geestland, Wurster Nordseeküste. Manchmal trifft er sich mit unserem alten Chef Christiansen, und die beiden radeln zusammen durch die Gegend.« Sie winkte Nele zu. »Mach’s gut, mein Schatz!«
Nele winkte zurück, machte aber keine Anstalten, ihrer Mutter Auf Wiedersehen zu sagen. Die Kaninchen nahmen ihre volle Aufmerksamkeit in Anspruch.
Marie verabschiedete sich von ihren Eltern und ging zum Wagen. Als sie schon den Motor startete, klopfte ihre Mutter an die Scheibe und hielt einen Einkaufsbeutel hoch, in dem sich Marmeladengläser abzeichneten.
»Nimm das mit!«, rief sie. »Erdbeeren und Rhabarber. Isst dein Mann doch so gern.«
Zu Hause standen noch etliche Gläser aus Renate Janssens Produktion. Marie verkniff sich eine Bemerkung, ließ das Fenster herunter, nahm den Beutel entgegen und verstaute ihn im Fußraum vor dem Beifahrersitz. »Danke, Mama. Felix wird sich freuen. Macht’s gut!«
*
»Bei allem Militärischen ist mir ein bisschen unbehaglich«, sagte Marie, als sie in Nordholz zwischen dem Aeronautikum auf der einen und dem ausgedienten Flugzeug auf der anderen Seite zum Gelände des Marinefliegergeschwaders 3 einbogen.
Felix hob die Schultern. »Ich war schon ein paar Mal hier, zur Einhundertjahrfeier und zuletzt, als sie die neuen Sea-Lynx-Bordhubschrauber bekommen haben. Irgendwann nimmst du das Militärische nicht mehr wahr. Die Uniformen sehen auch gar nicht so martialisch aus, sie erinnern mich eher an Traumschiff-Offiziere wie Sascha Hehn als Kapitän Burger und seinen Vorgänger Paulsen, den meine Oma so liebte, als er noch Oberförster war. Wie heißt der gleich?«
»Siegfried Rauch?« Marie lachte. »Lass das nicht die Soldaten hören!«
Felix grinste und hielt vor dem Schlagbaum. »Wir wollen zur Feier von Kriminalhauptkommissar Röverkamp«, sagte er durch das geöffnete Fenster.
Der Wachhabende salutierte, ließ sich die Ausweise zeigen und verglich die Namen mit den Eintragungen auf der Einladungsliste.
Wenig später betraten Marie und Felix den Saal der Offiziersmesse. Durch die Fensterfront an Längs- und Stirnseite schien die Sonne, leicht gedämpft von orangeroten Raffrollos. An der gegenüberliegenden Wand hing ein Porträt des Grafen Zeppelin, nach dem das Marinefliegergeschwader benannt war. Marie bestaunte die Tafel, die jedem Spitzenrestaurant Ehre gemacht hätte. Teller und Gläser auf weißen Tischtüchern, dazu Servietten in der Farbe der Rollos, alles perfekt ausgerichtet. So ordentlich würde ich das gar nicht hinkriegen, dachte sie und hielt Ausschau nach Konrad Röverkamp.
Anscheinend gehörten sie und Felix zu den letzten Gästen, denn der Hauptkommissar war bereits umringt von Menschen. Marie erkannte Konrads Lebensgefährtin Sabine, den ehemaligen Chef des Zentralen Kriminaldienstes Christiansen und dessen Frau Renate. Sicher war sein Nachfolger, Kriminalrat Lütjen, ebenfalls zur Stelle. Doch Marie konnte ihn nicht entdecken, weil derLütte, wie man ihn wegen seiner geringen Körpergröße in der Inspektion auch nannte, wahrscheinlich von allen anderen Personen überragt wurde. Dazu gehörten noch Staatsanwalt Krebsfänger und einer der Rechtsmediziner, mit denen sie gelegentlich zu tun hatten. Marie erkannte Kollegen aus dem Kommissariat und aus der Kriminaltechnik. Einige unbekannte Gesichter ordnete sie Konrads Freundeskreis zu. Der Raum war erfüllt von lebhaften Gesprächen, sodass trotz kaum hörbarer Hintergrundmusik das Geräuschniveau einer Party erreicht wurde.
Anne Lüken, die Pressesprecherin der PI, winkte ihnen zu. Felix hatte regelmäßig mit ihr zu tun und verstand sich gut mit der sympathischen Frau. »Da ist Anne.« Er steuerte auf sie zu. »Ich sag ihr Guten Tag.«
»Lass uns erst mal Konrad begrüßen«, entgegnete Marie und zog Felix an der Hand durch die Menge. Als sie den Kreis, der sich um ihren Kollegen gebildet hatte, erreichten, verstummten die Gespräche um sie herum. »Da ist sie ja«, hörte sie den Lütten sagen. Alle schienen sie anzustarren.
Marie erschrak.
*
»Sieht ein bisschen schrottig aus, die Kiste«, murmelte Dennis, nachdem er den VW-Bus einmal umrundet und wegen des dämmrigen Lichts in der Scheune mit seinem Handy ins Innere des Wagens geleuchtet hatte.
»Hast du einen Besseren?«, fragte Sascha. »Dieser fährt astrein, fällt nicht auf und ist vollgetankt. Da kriegen wir mindestens zwölf Sätze rein. Macht zehntausend Tacken für jeden von uns.«
»Aber nur, wenn die Räder original Audi, BMW oder Mercedes sind.«
Sascha hob die Schultern. »Klar. Wir fangen bei Manikowski an. Zweimal in Cuxhaven, einmal Otterndorf, außerdem Geestland und Bremerhaven. Und dann nehmen wir auch noch die Mercedes-Niederlassung mit. Zurück fahren wir über Bremervörde und Stade. Zu Spreckelsen. So viele fabrikneue Aluräder, wie wir einsammeln können, kriegen wir gar nicht unter.«
Dennis hob die Schultern. »Okay.« Er klopfte gegen die Außenwand des Bullis. »Aber das Gerümpel muss raus. Und Werkzeug rein. Wagenheber und so weiter.«
»Klar.« Sascha öffnete die Schiebetür des T3. »Kann das Zeug so lange hier bleiben?«
»Warum nicht? Mein Großvater kommt nicht mehr her. Und Vadder auch nicht. Wenn er könnte, würde er die Scheune abreißen lassen. Aber Opa erlaubt es nicht.« Dennis griff nach einem umgefallenen Eimer. Mit einer Kopfbewegung deutete er ins Innere des Wagens. »Was ist das für ein Paket?«
*
»Schöne Scheiße«, knurrte Mike und leerte sein Glas. Sein Bruder nickte, trank ebenfalls aus und schenkte Wodka nach. »Was machen wir jetzt?«
»Wir müssen den Dieb finden und ihm die Karre wieder abnehmen.«
Marco gab einen unartikulierten Laut von sich. »Der ist doch längst sonst wo. In Polen oder …«
»Das glaube ich kaum.« Mike schüttelte den Kopf. »Das war kein Profi. Die klauen teure Limousinen, aber nicht so eine alte Kiste wie Öves VW. Da brauchte einer einen Transporter. Wahrscheinlich für irgendein krummes Ding.«
»So einen finden wir nie«, seufzte Marco.
»Vielleicht doch.« Mike hob einen Zeigefinger. »Wenn einer wissen kann, was in Cuxhaven und umzu so läuft, ist das die Wirtin der Seepocke. Die Tochter von Willibald Steenhusen. Der Alte hat uns früher schon gute Tipps gegeben. Litfaßsäule auf zwei Beinen haben wir ihn genannt. Erinnerst du dich nicht? Der wusste, wo was zu holen war, wer was plante und wem man nicht in die Quere kommen durfte. War ein einträgliches Geschäft. Ich habe gehört, in der Kneipe werden immer noch Informationen gehandelt.«
»Die Tochter? Kennen wir die? Ich meine, kennt sie uns? Erzählt die uns überhaupt was?«
Mike zuckte mit den Schultern. »Käme auf einen Versuch an. Willibald soll gelegentlich aushelfen. Vielleicht können wir mit ihm sprechen.«
»Muss aber schnell gehen. Wenn der Autodieb die … das    doch nicht so blöd, die Bullen … Und falls doch, kämen die nicht zu uns, sondern zu Öve. Und der könnte sagen, dass man ihm den Wagen geklaut hat. Wer was damit transportiert hat, weiß er natürlich nicht. Wenn wir Glück haben, lässt der Typ die Leiche verschwinden. Dann sind wir aus dem Schneider. Trotzdem sollten wir zusehen, dass wir die Karre finden, und uns auf den Weg zu Willibald und seiner Tochter machen.«
*
Die Seepocke befand sich in der Nähe des Alten Hafens in einem schmalen Haus, eingeklemmt zwischen einem Spielcasino und einem Bordell. Als Mike und Marco die Kneipe betraten, erkannten sie den Vater der Wirtin erst auf den zweiten Blick. Zum einen war der Laden rappelvoll und die Luft rauchgeschwängert, zum anderen schien Willibald geschrumpft. Am Zapfhahn hinter der Theke hantierte ein schmales Männlein geschäftig mit Biergläsern. Sein kleines Gesicht unter der gebräunten Glatze war eingefallen, doch die blauen Augen wirkten wach. Sie leuchteten auf, als er sich den Ankömmlingen zuwandte. Er hob eine Hand und winkte den Brüdern zu. Mit einer Kopfbewegung dirigierte er sie zum Ende der Theke, an der noch ein Hocker frei war.
»Euch habe ich ja eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Pils und Persiko? Wie früher?«
Beide Brüder schüttelten den Kopf. »Wir brauchen einen Tipp«, sagte Mike. »Auch wie früher.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Wenn du noch immer Bescheid weißt. Ich meine, was hier so läuft.«
Willibald Steenhusen grinste. »Dat kannst glööven.« Er stellte die Gläser, die er gerade gefüllt hatte, auf der Theke ab und kam näher. »Was wollt ihr wissen? Kann aber sein, dass die Antwort was kostet. Wie früher.«
»Jemand hat unseren Transporter gestohlen«, erklärte Marco. »Blauer VW-Bulli, Baujahr 1988.«
»Is ja ’n Ding.« Der Wirt lachte. »Ihr alten Hasen lasst euch beklauen? Ist die Kiste überhaupt noch was wert?«
»Das ist nicht witzig«, knurrte Mike. »Es geht nicht so sehr um den Wagen, sondern um den Inhalt. Also, hast du eine Idee?«
Steenhusen neigte den Kopf. »Wenns ’ne neue Luxuslimousine wäre, könnte ich euch einen Tipp geben. Aber bei so einer alten Karre …« Er wandte sich wieder dem Zapfhahn zu. Kurz darauf hob er den Kopf wieder und sah die Brüder an. »Vielleicht habe ich doch etwas für euch. Vor ein paar Tagen hat sich ein junger Bursche nach Kleintransportern erkundigt. Der wollte nur nix ausgeben. Nannte sich Sascha. Ob der Name stimmt?«
»Und weiter?«, fragte Marco ungeduldig. »Nachname, Adresse?«
Der Wirt hob die Schultern. »Gebt ihr überall eure Visitenkarten ab, wenn ihr ein Ding ausbaldowert? Ich glaube, ihr seid schon zu lange aus dem Geschäft. Aber wartet mal, ich frage meine Tochter. Der Typ hat versucht, sie anzubaggern und ihr die Ohren vollgelabert.« Er gab der jungen Frau, die mit einem gefüllten Tablett zwischen den Tischen unterwegs war, einen Wink.
Wenig später kam sie zur Theke. »Was ist? Siehst doch, was ich zu tun habe.«
»Nur eine kurze Frage, Schatz. Hier sind zwei alte Freunde, die interessieren sich für den Typen, der dich kürzlich so blöd angequatscht hat. Stellte sich als Sascha vor und wollte von mir wissen, wie er an einen Kleintransporter kommt. Für lau.«
»Ach der.« Aurora verzog das Gesicht. »Der sah ganz nett aus. War aber ein bisschen zu jung für mich. Hat mir seinen Namen und seine Telefonnummer auf einen Bierdeckel geschrieben. Sascha … Lindemeier, Lindemann, Lindenau oder so ähnlich. Kam, glaube ich, aus Otterndorf.«
»Hast du den Deckel noch?«, fragte Mike.
»Sehe ich so aus?« Die Wirtin schob ihrem Vater das Tablett hin. »Fünf Pils, fünf Malteser.« Sie wandte sich an die Besucher und grinste. »Ihr könnt ja den Müll durchsuchen. Ist noch nicht abgeholt worden. Steht hinten auf dem Hof.«
Die Brüder sahen sich an. »Vielleicht sollten wir einen Blick ins Altpapier werfen«, murmelte Marco. »Ich glaube nicht, dass wir was finden, aber man weiß ja nie.« Mike nickte.
Kurz darauf stocherten die beiden Männer in dem blauen Container herum, schoben Zeitungen, Prospekte und Kartons zur Seite, stapelten neben dem Behälter Bierfilze zu kleinen Türmen auf.
»Scheiße«, grummelte Marco. »Auf fast allen steht was drauf. Nur kein Name.«
Eine halbe Stunde später hielt Mike triumphierend einen Bierdeckel hoch. »Die Suche hat sich gelohnt. Wir haben ihn.«
*
Offenbar hatte man soeben über sie gesprochen. Ein halbes Dutzend Augenpaare waren auf Marie gerichtet, ohne dass sie auch nur erahnen konnte, worum es gerade ging. Die Blicke waren schwer zu deuten. Sabine lächelte aufmunternd, Konrad Röverkamp schaute wohlwollend, Kriminalrat Lütjen skeptisch, ihr ehemaliger Chef Christiansen erstaunt, seine Frau freundlich. Staatsanwalt Krebsfänger wirkte irritiert. Neben Lütjen stand ein unbekannter Gast in der Runde, der sie kritisch musterte. Er war mindestens eins neunzig, kräftig, hatte mittelblondes Haar, blaue Augen und einen akkurat gestutzten Bart. Sie schätzte ihn auf Ende dreißig oder Anfang vierzig, fand, dass er ein wenig zu elegant gekleidet war und zu sehr nach Model aussah, um zum Kreis der Kollegen zu gehören. Er erinnerte sie an einen Schauspieler, der vor Jahren in einer Serie den »Letzen Bullen« dargestellt hatte.
»Schön dich zu sehen«, sagte Sabine und brach damit den Bann. »Willkommen und Abschied«, zitierte der Staatsanwalt zu Maries Überraschung Johann Wolfgang von Goethe.
»Moin zusammen«, sagte sie und nickte Konrad zu. »Danke für die Einladung.«
Felix gab dem Hauptkommissar die Hand. »Können wir uns zwischendurch kurz unterhalten?«
»Klar«, antwortete Konrad Röverkamp. »Ich freue mich, dass ihr kommen konntet.«
Kriminalrat Lütjen ergriff das Wort. »Darf ich bekanntmachen? Kriminaloberkommissarin Marie Janssen, ihr … äh … Lebensgefährte, Herr Dorn von den Cuxhavener Nachrichten.« Er legte eine Hand auf die Schulter des deutlich größeren Mannes neben ihm. »Und hier, Frau Janssen, ist Ihr neuer Kollege. Hauptkommissar Jan Feddersen. Er tritt die Nachfolge unseres Pensionärs an.«
»Kriminalkommissarin«, korrigierte Marie und streckte die Hand aus. »Willkommen im Team!«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Frau Janssen.« Der Neue hatte eine kräftige, tiefe Stimme. Er ergriff Maries Hand. »Ich habe schon von Ihnen gehört.«
»Das … überrascht mich ein wenig.« Unsicher suchten Maries Augen Halt bei Konrad. »Hast du über mich …?«
Er schüttelte kaum merklich den Kopf und öffnete den Mund, um zu antworten. Doch der Kriminalrat kam ihm zuvor. »Ich musste Herrn Feddersen erst überzeugen, sich auf die Stelle zu bewerben. Da habe ich ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert. Junge attraktive Kollegin mit hervorragenden Ortskenntnissen, hoher kriminalistischer und sozialer Kompetenz und außerordentlich guter Aufklärungsquote.«
Entsetzt starrte Marie ihren Chef an. Noch nie hatte er sich so über sie und ihre Ermittlungen geäußert. »Attraktiv?«, fragte sie gereizt. »Ist das jetzt ein Kriterium für die Würdigung unserer Arbeit?« Innerlich klappte sie ein Scharnier herunter. Wenn Lütjen sie dem neuen Kollegen als Lockvogel angeboten hatte, würde der Schönling sein blaues Wunder erleben.
Der Kriminalrat hob die Hände. »War nur gut gemeint, Frau Janssen. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«
Treten ist das richtige Wort, dachte Marie. Am liebsten hätte sie dem Lütten sonst wohin ... »Gut gemeint ist das Gegenteil von gut«, zischte sie. »Sollte ein Vorgesetzter den Dienstgrad seiner Untergebenen nicht kennen?« Die zweite Bemerkung war jetzt nicht nötig, sagte sich Marie, es tat aber gut, dem kleinen Macho einen Tritt vors Schienbein zu geben.
Doch der wirkte keineswegs betroffen, grinste vielsagend in die Runde und schwieg.
»Lasst uns Platz nehmen«, versuchte Konrad Röverkamp die Situation zu retten. »Das Essen kommt gleich. Vorher muss ich noch ein paar Worte sagen.«
Während sich die Gäste am Tisch niederließen, zog er Marie beiseite. »Vergiss Lütjens Gequatsche! Der neue Kollege kann schließlich nichts dafür. Ich glaube, er ist in Ordnung. Sabine hat sich vorhin länger mit ihm unterhalten. Wenn sie sagt, dass er einen guten Eindruck macht, bin ich zuversichtlich.«
»Danke Konrad!« Sie sah ihn an. »Hast du gewusst, dass der hier aufkreuzt?«