Letzter Halt Teisendorf Mord und andere Kleinigkeiten - gv Friedrich - E-Book

Letzter Halt Teisendorf Mord und andere Kleinigkeiten E-Book

gv Friedrich

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Letzter Halt Teisendorf Mord und andere Kleinigkeiten Sommerrainers erster Fall Politisch gewollt übernimmt Kommissar Sommerrainer die neue Polizeistation in Teisendorf. Anfänglich ändert sich im Dorfleben nichts. Dann aber der erste Fall. Und dann gleich ein Mord. Mitten im beschaulichen Teisendorfer Ortskern auf dem Gelände der Brauerrei Weinberger. Für Sommerrainers Team beginnen die Ermittlungen. Schnell wird klar, hinter den Kulissen des Ortes brodelt es. Der Gemeinderat, Geschäftsleute, Bürgerinnen und Bürger und international arbeitende Firmen sind in bedeutende Zukunftsveränderungen in Teisendorf verwickelt. Ein geplantes Großzentrallager im Gewerbegebiet und eine Autobahnausfahrt in Freidling spalten die Teisendorfer Bürger in zwei Lager. Die Gegner der Projekte sind in der Überzahl und so werden die Entscheidungen ohne Öffentlichkeit entschieden. Man will Ruhe im Ort, damit die Investoren nicht abspringen. Sommerrainer liefert schnelle Ergebnisse und steht kurz vor der Aufklärung, da gibt es einen zweiten Toten. Dieser zweite Fall erschüttert das Dorfleben. Der zweite Tote ist einer von ihnen. Stehen beide Fälle im Zusammenhang mit den geplanten Veränderungen? gvFriedrich

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gvFriedrich

Autor

Letzter Halt Teisendorf 

Mord und andere Kleinigkeiten

Sommerrainers erster Fall

Impressum:

Texte: © Copyright by gvFriedrich Umschlaggestaltung: © Copyright by gvFriedrich Verlag: gvFriedrich, Gabriel Vogt Kiem-Pauli-Ring 2 83317 Teisendorf [email protected] Druck:        epubli ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Die Personen und die Handlung in diesem Buch sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten, lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig. Ausnahmen wurden genehmigt!

Letzter Halt  Teisendorf

Die sind alle mit dabei:

Bauersbacher Hans Oberregierungsrat

Bertels Anna, beste Freundin Sommerrainers

Bertels Steffen, bester Freund Sommerrainers

Breitenbachner Evi, Tochter vom Sepp

Breitenbachner Sepp, Landwirt Freidling

Breitmessner, Landwirt in Freidling

Breitmoser, Landwirt Oberteisendorf

Demreich, stellvertretender Bürgermeister

Donhartl, Gemeinderat, Bäckereibesitzer

Dornhagen Manuela, Sekretärin Firma Thomerrsson

Dr. Mainländer, Gerichtsmedizin München

Franke-Schönwälder Emanuel, Bauunternehmer

Franke-Schönwälder Sybille, Frau von Emanuel

Franz, Fahrer Fahrdienst

Geroldshuber Sabine, Firma GS-Beratuung

Giuliano Anastasia, Eiskaffeebesitzerin Teisendorf

Gollinger, Moderator Bayernwelle SüdOst

Grauwetter, Vermieter von Wohnmobilen

Hafner, ermittelnde Kollegin von Sommerrainer

Haunsdorfer Hubert, ehemaliger Chef von Sommerrainer

Hinterstoißer Johannes, Landwirt Freidling

Huber, Gemeinderat

Johannbauer Dieter, Landwirt Freidling

Johannbauer Johanna, Frau von Johannbauer Dieter

Johannbauer Werner, Bruder vom Dieter, Sparkasse

Kalteiß Moderator Bayernwelle SüdOst

Karin in Ausbildung, Servicekraft im Sternelokal

König, Hausmeister Brauerei

Kurt, Butler von Familie Franke-Schönwälder

Lindenpol Monika, Kommissariat München

Maier, Baubehörde Landratsamt

Maierhofer, Sekretärin Brauerei

Mälzer Kurt, Direktor Hotel Gutshof-Alpenblick

Marlies, Frau von Sommerrainer

Mendldinger, Sekretärin Sommerrainers

Müller Hubert, Stellvertreter von Sommerrainer

S. Ann-Kathrin, Bayernwelle SüdOst

Schmidt Leo, Nachbar von Sommerrainer, Gemeinderat

Schmitt, Polizeiobermeister

Schröder Gerold, Anwalt

Seehauser, Gretl Kassenkraft, Mein Einkauf

Segmaier, Bürgermeister Teisendorf

Sommerrainer, Hauptkommissar

Steinberg, Spurensicherung Traunstein

Steinlinger, Landwirt in Oberteisendorf

Thalhuber, Manfred, Landwirt in Freidling

Thomas, Fahrer Fahrdienst

Thomerrsson Elina, Frau von Thomerrsson Thomas

Thomerrsson Thomas, Geschäftsführer Firma Thomerrsson

Wassner, Stellvertreter Brauereichef

Weinberger, Brauereibesitzer

Weitmoser, Bauamt Teisendorf

Wellner, Gemeinderätin, Sparkassenleitung

Wiese, Empfangsdame Hotel Gutshof-Alpenblick

Winkelmoser, Jagdpächter

Prolog 

Mord und andere Kleinigkeiten! 

Seit Jahren hatte sich der Gemeinderat in Teisendorf für eine eigene Polizeistation im Ort eingesetzt. Nicht, dass dies wegen der erhöhten Kriminalität hätte sein müssen, im Gegenteil. Hier war es ruhig, traditionell, bodenständig und gläubig, bayrisch eben. Nein, Prestige war der Grund. Und die Politik. Denn im eigenen Dorf eine eigene Polizeistation zu bekommen, war politisch egoistisch begründbar und auch aus Bürgersicht von großem Vorteil. Es beruhigt die Einwohner und den Wähler. Man bringt Recht und Ordnung sichtbar ins Dorf, man ist nicht abhängig von anderen Dienststellen, wartet nicht, bis mal ein Polizeiwagen zufällig vorbei kommt, sondern man hat welche da, sozusagen vor der eigenen Haustüre. Und man würde sich einreihen können in die schon bestehenden Standorte in Südostbayern. In der Listennennung gleich nach Freilassing und noch vor Traunstein stehend. - Unsere Polizeistandorte im südöstlichen Oberbayern sind: 

Berchtesgaden, 

Bad Reichenhall, 

Freilassing, 

TEISENDORF und 

Traunstein.

Vielleicht war es ja auch ein kleiner Vorteil, dass Teisendorf in den letzten Jahren in vielen Festansprachen von lokaler Prominenz gerne als eines der schönsten, wirtschaftlich erfolgreichsten und nennenswertesten Dörfer in Oberbayern bezeichnet wurde. In diesem Jahr kam dann die Entscheidung. Von ganz oben, von ganz weit oben! Und der erste Coup in dieser politischen Strategie sollte aufgehen. Die Nachricht wurde im Frühjahr über die regionalen Zeitungen veröffentlicht.

Neue Polizeidienststelle kommt nach Teisendorf

Obb/ Ende August nimmt die neue Polizeidienststelle in der Gemeinde Teisendorf ihre Arbeit auf. Nach jahrelangen Bemühungen der Gemeinderäte, die in diesem Fall ungewöhnliche Einigkeit durch alle Parteien hindurch bewiesen hatten, wird der Oberregierungsrat Hans Bauerswacher die offizielle Eröffnung der Räume mit geladenen Gästen vornehmen.  Bei einem Tag der offenen Tür kann sich später auch die Öffentlichkeit ein Bild machen. Ein Datum hierzu wird noch bekannt gegeben. Langwierige und zähe Verhandlungen und der Nachweis über ein geeignetes Dienststellengebäude hätten letztendlich zu einer positiven Entscheidung für den Standort geführt, sagte Bauerswacher im Gespräch mit unserer Redaktion. Dienststellenleiter wird Hauptkommissar Ferdinand Sommerrainer.

Herr Sommerrainer kommt aus Nordrheinwestfalen, lebt seit seinem 18. Lebensjahr in Bayern, die letzten Jahrzehnte in Teisendorf. Er war zuletzt stellvertretender Dienststellenleiter in Bad Reichenhall und freut sich auf seine neuen Aufgaben. Die Redaktion wünscht allen Beteiligten eine gute Eröffnung und eine erfolgreiche Tätigkeit im Dienste aller Teisendorfer Bürgerinnen und Bürger.

Kapitel 1

Wieder daheim

»Nächster Halt Teisendorf«, krächzte es aus den für ihn fast nicht zu hörenden Digitallautsprechern des Regionalzuges, da sich dieser, während die Stimme sprach, zur gleichen Zeit in eine lang gezogene Schienenkurve legte und mit quietschenden Eisenrädern auf quietschenden Eisenschienen und in leichter Rechtsneigung Richtung Bahnhof einfuhr. 

Das Dorf mit seiner Kirche und den umliegenden Häusern war sichtbar, zum Greifen nah. Trotzdem dauerte es noch einige Zeit zwischen der gerade gemachten, nur schlecht zu verstehenden Ansage und dem tatsächlichen Halt des Zuges im Bahnhof, so dass man viel zu früh dazu animiert wurde, hetzend aufzustehen, um als Erster an die Zugausgangstüre zu gelangen um somit auch als Erster aussteigen zu können.  Auch Ferdinand war von der Ansagestimme animiert worden und stand - viel zu früh - an der Tür. Er musste sich nun der Fliehkraft der Zugneigung und den ratternden Stößen des Zuges entgegen stemmen. Sein mittelgroßer Rollkoffer bewegte sich ebenso wacklig wie er hin und her. So hatte er Mühe, beides - sich und den Koffer - im Gleichgewicht zu halten, zumal die Kofferrollen das Ihrige zum unstabilen Türe Stehen beitrugen. Beim Aussteigen bemerkte er, dass ihm das frühe An-die-Tür Hetzen überhaupt nichts gebracht hatte. Er war der Einzige, der hier ausstieg. 

Seit dem Zughalt in München entspannte sich die Fahrgastsituation etwas, was bis dahin ganz anders ausgesehen hatte. Sein oberster Dienstherr, der Innenminister, hatte gut daran getan, ihm, Sommerrainer, Platzkarten genehmigt zu haben. Die Auskunft des Bahnbeamten am Schalter im Würzburger Bahnhof, dass sich Platzkarten an einem Freitag, dem Reisetag, auf jeden Fall positiv auf den Reisekomfort auswirken würden und mit einem Preis von 4 Euro pro Buchung nun wirklich nicht viel Geld ausgegeben werden müsse, um auf einem angenehmen Sitz, »seinem persönlichen Sitz«, diese lange Reise antreten zu können, überzeugten den normalerweise autofahrenden Reisenden Sommerrainer.

Warum er sich überhaupt hatte hinreißen lassen, den Zug zu nehmen, diese Frage stellte sich Ferdinand seit dem Umsteigen vom ICE in den Regionalexpress in München bei jedem einzelnen Halt wieder und wieder. Die ICE-Züge in Deutschland halten relativ selten, nämlich bei seiner Zugverbindung ganze zweimal auf den 279 Kilometern der Teilstrecke Würzburg nach Teisendorf - in Nürnberg und München. Der Regionalexpress toppt dann das Halteergebnis durch dreizehn Haltestellen innerhalb der letzten 123 Kilometer. 

Besonders deutlich kam seine Frage des Zugfahrens zu Tage, wenn an        den Größeren   der Haltebahnhöfe ganze

Menschentrauben verzweifelt versuchten, mit ihren Koffern, Taschen und Tüten sich in »seinem« Großraumabteil einen Platz zu sichern und das bei insgesamt genügend anderen möglichen Großraumabteilen im Zug. 

Man sollte alle Platzkartenreservierenden belohnen, indem man ihnen einen breiten, dick gepolsterten Sitz in einem nur für Platzkartenbesitzer reservierten Abteil reservieren würde, mit Beinfreiheit, Tisch und Fensteraussicht. Diejenigen, die nicht vorgebucht hatten und nur zustiegen, sollte man strafen, indem man diese Reisenden in eigene, enge Abteile einpferchte, damit sie bei ihrer nächsten Reise daran denken würden VORZUBUCHEN! 

Sommerrainer war nach dem letzten Halt vor seinem Ziel dösig geworden. Er hatte sich in seinem Sitz nach hinten an die Kopfstütze angelehnt und schaute gelangweilt durch halb geschlossene Augen in die Großraumabteilrunde. Direkt gegenüber von ihm saß ein Anzugträger, der exakt und gestriegelt wirkte. Er tippte unaufhörlich auf der Tastatur eines kleinen Notebooks, ohne auf irgendwas oder irgendjemanden zu achten. Er hatte wohl auch beim morgendlichen Anziehen dieses Notebook schon geöffnet und auch schon damit gearbeitet. Oder wie wäre es sonst zu erklären gewesen, dass er zum blauen Anzug braune Socken trug? Neben ihm war seit einiger Zeit ein ebenfalls gut gekleideter älterer Herr wohl leicht eingenickt, denn seine Zeitungslektüre rutschte ihm stetig mehr aus den Händen in Richtung Boden.

Ihm schräg gegenüber saß eine Familie mit zwei kleineren Kindern, er schätzte die zwei auf sechs und neun Jahre, die sich entsprechend benahmen und nur schwer ruhig zu halten waren. Auffallend hierbei, dass eigentlich nur die Frau damit beschäftigt war, diese Ruhe bei den Kindern einzufordern. Der Mann hielt sich aus alledem raus und starrte nur zur linken Seite. Der Grund wurde Ferdinand sofort klar, als er selber in diese Richtung schaute. Eine jüngere, aus seiner Sicht sehr attraktive Frau mit strohblonden, langen Haaren saß am Fensterplatz und blickte in die schnell vorbeihuschende Außenwelt. Ihre Körperkonturen spiegelten sich dabei im Fenster. Sie hatte es sehr gut verstanden, ihren schlanken Körper mit einer ausgewogenen Oberweite mit der passenden Kleidung in Szene zu setzen. So ließ die halboffene, fast durchsichtig schimmernde Bluse den freien Blick auf genau diese Oberweite zu, ohne aber ordinär zu wirken. Ihr knapper Jeansrock betonte ihre langen Beine, die sie überkreuzt hatte, und einige Schmuckteile bestärkten den restlichen hübschen Gesamtanblick.

Am Ende des Abteils saßen noch vier junge Leute, vermutlich Schüler, da alle entsprechendes Outfit dabei hatten, sich laut und kichernd unterhielten und sich gegenseitig die Ohrstöpsel der tragbaren CD-Player in die Ohren schoben, wohl um den jeweiligen Musikgeschmack der Anderen mitzubekommen. Gott sei Dank am Ende des Abteils. Als er später an den vieren vorbeiging, sah er, es waren keine CD-Player, sondern ihre Handys. War er doch schon so alt?

Als Sommerrainer in Teisendorf ausstieg, ließ er die Eindrücke seiner Beobachtungen im Zug zurück, zog den Haltegriff des Rollkoffers ganz heraus, um diesen dann hinter sich her in Richtung Bahnhofsgebäude zu ziehen. Jetzt zeigte sich auch, dass es nicht immer von Vorteil war, bei einer Platzreservierung den ersten Waggon hinter der Lok zu bekommen, denn umso länger hatte er jetzt den Weg zum Bahnhof zu gehen. Dies sollte man auch noch bei der Platzvergabe beachten, dachte Ferdinand zu sich. Der, der als Erster bucht, bekommt auch den Platz in dem Waggon, der dem Bahnhofsgebäude beim Halt am gebuchten Ausstiegsort am Nächsten kommt. Allein die organisatorische Frage, die sich aus seinen Gedanken ergeben hätte, müsste die Bahn beantworten und zu lösen versuchen. Für ihn wären diese Überlegungen aber zu spät gewesen. Das nächste Mal, egal wohin, würde Ferdinand wieder das Auto nehmen. Und das wollte er jetzt auch nehmen, ein Auto nach Hause, ein Taxi bis ans andere Ende des Dorfes. 

Am Bahnhofsvorplatz angekommen musste er schnell feststellen, dass sowohl das Bahnhofsgebäude geschlossen war und ebenso wenig ein Taxi auf dem Vorplatz stand. Er hatte hier auf dem Platz aber auch noch nie vorher, wenn er zufällig vorbeikam, ein Taxi gesehen. So stand er mit seinem Rollkoffer am Bahnhof von Teisendorf auf dem kleinen Vorplatz und starrte auf seine Uhr: 15.25 Uhr. Pünktliche Ankunft, na wenigstens das hatte geklappt. Für ihn stand nun allerdings fest, es war sein letzter Halt in Teisendorf. Nie wieder sollten seine Füße je einen Zug besteigen, zumindest nicht im Moment.

Kapitel 2      

Der Berg

Als er sich in Richtung Dorfmitte aufmachte, sinnierte er darüber, wieso in ALLEN Städten die Bahnhöfe sehr zentral zur Stadt liegen, immer in Verbindung mit Taxiständen, Bus-, Straßen- oder U-Bahnanschlüssen, hier aber in Teisendorf zuerst mit dem Zug weiträumig das Ziel umfahren werden musste, um dann dem Reisenden den ganzen Weg in das Dorf zurück zuzumuten. Was würde wohl eine flächendeckende U-Bahnanbindung an alle Dörfer, Städte, Gemeinden, Kommunen sowie Bundesländer den Steuerzahler kosten? Mehr als diverse Rettungsschirme sicher auch nicht. Er seufzte tief und wurde brummig. Ferdinand ging über den Bahnhofsvorplatz in Richtung Dorfanfang und Hauptstraße auf dem leicht abfallenden Gehsteig, überquerte die Seitenstraße, lief an Büschen und Bäumen vorbei, bis der Weg den Blick auf den Anfang des Dorfes freigab. Auf einem großen Schild stand: 

»Am…20  …Malzfe und Tag d nen T« in Teis….df

Mehr hatte er nicht lesen können, floss ihm doch der beißende Schweiß von seiner Stirn in die Augen und ließ alles verschwimmen.

Dann war er da der Berg, ein laaanggezogener, unendlich hoch wirkender Berg, ein geradezu gewaltiges Bergmassiv lag vor ihm. Der nächste Schock für jeden Rollkoffer hinter sich herziehenden Teisendorfer und, darüber hatte er die ganzen letzten 15 Jahre als Bürger dieser Gemeinde noch nicht ein einziges Mal nachgedacht, es musste auch ein Schock für jeden ankommenden Erst-Gast, der mit dem Zug hierher kam, gewesen sein. 

Spätestens jetzt hätte er sich an den Straßenrand stellen und den Finger heben können, um zu sehen, ob ihn jemand als Anhalter hätte mitnehmen können oder hätte mitnehmen wollen. Aber er traute sich nicht und so hielt auch kein vorbeifahrendes Auto an, obwohl doch jedem vorbeifahrenden Autofahrer hätte klar sein müssen, wie schwierig der Anstieg mit Rollkoffer sein würde. 

Er sollte sich innerhalb der nächsten Haupturlaubsreisezeit einmal den Spaß machen, sich mit seinem Wagen in Bahnhofsnähe zu positionieren und auf Rollkoffer ziehende Reisende zu warten, die sich mühsam auf den Weg ins Dorf aufmachten, um dann gaaanz langsam, mit offenem Fenster und aufliegendem Arm am Kofferzieher…

…vorbeizufahren. 

Jetzt zog er diesen »seinen« Koffer aber erst einmal selber weiter. Je länger er unterwegs war und je weiter es aufwärts ging, desto mehr schnaufte er, zum Schluss war sein Atmen lauter als die Rollen seines Koffers.

Immerhin! Einhundertfünfundzwanzig Kilogramm mussten bewegt und gezogen werden. Siebzehneinhalb Kilo wog alleine schon der Koffer. 

Er hatte lange nichts mehr für sich getan. Der sportliche Ausgleich war allerdings auch nicht seins. Fahrradfahren, ja das machte ihm eigentlich Spaß. Er hatte aber jetzt nicht die Zeit, über diesen Zustand ernsthaft nachzudenken, er wollte es aber auch nicht. 

Ferdinand ließ den Friedhof mit der für ihn sehr mächtig wirkenden Urnenmauer rechter Hand liegen. So gelangte er an die höchste Stelle des Anstiegs. Jetzt sah man die Häuserzeilen rechts und links an der in einer Kurve verlaufenden Dorfstraße stehen. Kompakt, eng aneinander, aus seiner Sicht farbenfroh und aufgeräumt. »Wieder zu Hause«, murmelte er fast normal atmend. Aber dass seine Frau gerade an diesem Wochenende nicht zu Hause war, ärgerte ihn kolossal. Nicht, weil sie nicht da war, nein, sondern weil sie ihn aus diesem Grund nicht vom Bahnhof abholen konnte. Hunderte Teisendorfer Bürger wurden täglich in der Früh von ihren Partnern mit dem Wagen zum Bahnhof hingebracht und abends wieder abgeholt. Hunderte, nur er nicht! Zumindest nicht heute. Hingebracht hatte sie ihn ja, wie er nach Würzburg zu seiner Schulung aufgebrochen war und zwar so früh, damit er den Zug nicht verpasst, hatte sie dazu bemerkt, sodass er dann eine Ewigkeit auf den Zug warten musste. Heute war sie also nicht da zum Abholen. 

Auch Anna und Steffen hatten keine Zeit gehabt. Waren angeblich seit drei Tagen mit den Rädern in Österreich unterwegs, lange schon geplant, bei gutem Wetter. Na so tolles Wetter war nun heute auch nicht… 

… lange geplant. Wofür hat man eigentlich Freunde?

Oben, »am steilen Abhang« angekommen, wagte er einen Blick zurück und sah in ungefähr 200 Metern am Anfang des Anstiegs die Straßeneinfahrt zum Bahnhof. Sommerrainer wunderte sich nach seiner körperlichen Anstrengung ob der relativ kurz wirkenden Strecke, die ihm unendlich lange vorgekommen war und ihm aus jetziger Sicht auch sehr flach erschien.

Kapitel 3      

Das letzte Wochenende vor dem Amtsantritt

Er hatte sich auf die frei werdende Stelle nicht beworben und irgendwann auch nicht mehr daran gedacht. Außerdem gab es genügend gestandene Mannsbilder in seinem Dezernat, die sich gerne dazu bereiterklärt hätten, einen solchen Posten anzunehmen. Nicht dass er kein gestandenes Mannsbild war, er wollte sich nur nicht so definieren, da er, obwohl es ihn schon in jungen Jahren nach Bayern verschlagen hatte, immer noch der Preiß, der Zuagroaste war. Er glaubte, dies würde sich mit den Jahrzehnten in Bayern ändern, aber er war und blieb der Preiß. Dann kam irgendwann die Nachricht von seinem Chef, Hubert Haunsdorfer. 

»Du, wie wär es denn, wenn du um deine Versetzung bitten würdest?«, fragte er ihn, »und des halbe Jahr in Würzburg an der Schule ist so schnell rum, dass `di nur so umschaugst«, meinte er noch am Schluss. Und da war es dann besiegelt. Er hatte sich auch nicht dagegen zur Wehr gesetzt, die Entscheidung seines Chefs angenommen, die Schulung, zur Freude ebendieses Chefs mit Auszeichnung bestanden, na ja überstanden und nun, nach diesem halben Jahr in Würzburg, stand er zum ersten Mal als Dienststellenleiter, Hauptkommissar Ferdinand Sommerrainer vor seinem Dorf, das er ab Montag zu betreuen hatte. 

Insgesamt kam ihm der Ort jetzt doch recht überschaubar vor. Zu klein, um hier ein neues Kommissariat einzurichten. Aber die ganz oben hatten sich halt zu diesem Standort entschieden. Er kam am einzigen Eiskaffee des Dorfes  vorbei, das um diese Zeit, wie in den Sommermonaten normal, noch recht gut besucht war. An den Tischen, bis auf einen kleinen freien neben der Toilettentür - wahrscheinlich deswegen - saß gemischtes Publikum. Er steuerte den freien Tisch an und setzte sich in Blickrichtung zur Straße. Die Bedienung kam recht schnell und begrüßte ihn freundlich mit einem »Servus, was derf’s denn sein«? 

Ferdinand musste schmunzeln. War es doch, wie Steffen es ihm einmal gesagt hatte, als die beiden das Thema Einwanderung diskutierten, die Besitzerin des Eiskaffees, Anastasia Giuliano, mit sizilianischen Wurzeln, die ihn so begrüßte. Auch eine Zuagroaste, aber seit ewigen Jahren in Teisendorf, so wie er, der Preiß. 

»Griaß di«, erwiderte Ferdinand, »einen Cappuccino.« 

Der Cappuccino schmeckte perfekt. »Ein guter Start nach dem Anstieg«, dachte er, und ließ ihn sich schmecken. Es folgte ein zweiter, dazu ein Weißbier und zum Schluss ein kleiner Eisbecher, ohne Sahne. 

»Zahlen bitte!«, sagte er. Der Kaffeeraum leerte sich zunehmend und es saßen mit ihm zusammen nur noch drei andere Gäste. Die Bedienung brachte die Rechnung. Er zahlte, ohne auf den Zettel zu schauen, es würde schon stimmen und machte sich dann auf den Weg ins Rathaus. Dort angekommen, fragte er am Empfang nach dem Bürgermeister. Ferdinand zeigte der Dame, die er nicht kannte, sein Dienstschreiben, auf dem noch die Bahnfahrkarte angeheftet war. 

»Ah, der Herr Sommerrainer. Grüaß Gott und herzlich willkommen in Teisendorf, Herr Sommerrainer. Sans mit dem Zug kommen, waren’S weg«? 

»Dienstreise, Schulung Würzburg«, antwortete er kurz.  »Wie war denn die Reise mit dem Zug?« 

»Bis zum letzten Anstieg recht unangenehm, ab dem Anstieg eine reine Katastrophe«, antwortete er. Er war sich sicher, dass die Frau hinter dem Empfangstresen diese Bemerkung nicht verstanden hatte, was sich durch ihren fragenden Blick bestätigte. Er ließ es gut sein, ihr dies zu erklären. 

»Warten’S einen Augenblick, der Herr Segmaier kommt gleich und holt Sie persönlich ab.« 

Dieses persönlich klang so, als wenn er, der Bürgermeister, dies sonst nicht machen würde, einen selber persönlich abholen. Ferdinand wertete das als gutes Omen. Der Herr Segmaier kam schnell die Treppe von oben herunter, ja fast gesprungen. Er begrüßte ihn mit einem festen Händedruck und einem gleichen Herzlich willkommen, wie er es eben schon gehört hatte.

»Ja wie war denn die Reise«, fragte der Bürgermeister und Sommerrainer hätte beinahe geantwortet, »fragen Sie doch die Dame am Empfang«. Das verkniff er sich allerdings und sagte kurz: 

»Danke der Nachfrage, sehr gut.« 

»Kommen’S, kommen’S«, rief der Herr Segmaier und fuchtelte mit der Hand. »In mein Büro. Da stell ich Ihnen glei a paar von meiner Regierungsbank, na ja, kleiner Scherz, ein paar vom Gemeinderat vor«.  

Die beiden hetzten zur Treppe und sprangen diese so hinauf, wie der Bürgermeister diese heruntergekommen war, Sommerrainer etwas weniger hüpfend. Er dachte sich‚ na da freut sich ja einer über den Herrn Sommerrainer oder eher über seinen persönlichen Sieg im Kampf um eine so wichtige Neueinrichtung einer Polizeistation in seiner Gemeinde. Die folgende Begrüßung war recht förmlich, so etwas wie nach der Verordnung für offizielle Begrüßungsregularien zwischen Bürgermeistern und geladenen Gästen. 

Er musste sich bei dieser Prozedur alle Namen merken. Die anderen nur den seinen. Und nicht nur den jeweiligen Namen, sondern auch gleich noch jeden Werdegang, die Parteizugehörigkeit, den Beruf, die öffentliche Stellung und sonstige, nicht unwichtige Details. Er überlegte sich eine seiner ersten Amtsentscheidungen. Ein Mitarbeiter würde Namenslisten mit Fotos erstellen und ein System entwickeln, dass er schnellstmöglich, wenn eines der Listenfotos tatsächlich mal sein Büro betrat, dessen passenden Namen wissen würde. 

»Mein Stellvertreter, Herr Demreich«, begann der Bürgermeister seinen Vorstellreigen. »Das sind die Herren Wassner, Huber, Donhartel und Schmidt und die Frau Wellner, alle im Gemeinderat.« 

Mit einem lauten „Grüaß Gott“ begrüßte der Hauptkommissar jeden einzelnen der ihm Vorgestellten mit einem kräftigen Handschlag, einem kurzen Kopfnicken und einem „angenehm“ am Schluss. Nur beim Schmidt rutschte ihm ein freundschaftliches »Grüaß di« raus. Denn den Schmidt Leo kannte er schon etwas länger, wohnte er doch in der Nachbarschaft. Beim Leo hatte er auch auf das »angenehm« verzichtet. Beinahe hätte Sommerrainer den Bürgermeister darauf hingewiesen, dass man normalerweise, wenn eine Frau im Raum ist, diese als Erste vorstellt. Er verzichtete aber darauf, kannte er ja nicht die eventuell politisch begründete Hierarchieebene der Anwesenden. Immerhin arbeitete Frau Wellner auf der hiesigen Sparkasse, so wie der Leo auch.  Teisendorf hat alles vor Ort, was man zum täglichen Leben braucht. Die Teisendorfer kaufen gerne in ihrem Dorf. Regional. Man braucht nicht nach Bad Reichenhall oder Traunstein zu fahren. Banken, Einzelhandelsgeschäfte, Getränkemarkt, Malerfachgeschäfte, Optiker, Apotheke, Blumenläden, Friseur, Spielwaren, Foto- und Elektrogeschäft. Und auch genügend Gastronomie.

Die restliche Zeit der Zusammenkunft war gestreut mit üblichen Fragen in so einer Kennenlernrunde. »War die Prüfung schwer, hat es Ihnen in Würzburg gefallen, sind’S froh, wieder hier zu sein, freuen Sie sich auf Ihr neues Amt, hat ja ganz schön lange gedauert? Und so weiter.« Nach einer Stunde war die Prozedur zu Ende, man verabschiedete sich freundlich voneinander. 

»Die anderen werden’S dann spätestens am Eröffnungstag kennen lernen«, beendete schließlich Bürgermeister Segmaier die Vorstellungsrunde. »Wie kommen’S denn heim, werden’S abgeholt, oder soll Sie jemand fahren?«, fragte der Bürgermeister noch.

»Wenn’s  möglich wär, ich hätt da einen Rollkoffer.« 

»Schmarrn«, fuhr ihm der Bürgermeister ins Wort. »Der Leo, also der Herr Schmidt kann Sie mitnehmen, der wohnt doch eh in Ihrer Ecken.«

»Ja«, war seine knappe Antwort.

»Also dann, ein ruhiges Wochenende und bis Montag.« Mit einem letzten Händedruck verabschiedete sich der Bürgermeister von Ferdinand Sommerrainer. Der ließ sich anschließend mit seinem Rollkoffer und in der Limousine nach Hause fahren, vom Leo, der wie immer etwas brummig wirkte und auf dem kurzen Heimweg nix von sich gab, schweigend, wie Sommerrainer ihn kannte. Erst als die beiden vor der Einfahrt standen und Ferdinand die Türe des Wagens aufgemacht hatte, verabschiedete sich Leo mit einem dumpfen »Servus«.

Als Ferdinand seine Haustüre aufsperrte, fröstelte ihn. Unbehagen und ein beklemmendes Gefühl umgaben ihn. Er war nicht gerne alleine. Er liebte es, wenn beim Reinkommen in der Küche oder im Wohnzimmer irgendwelche Geräusche wahrzunehmen waren. Da reichte es ihm schon, wenn aus der Küche Töpfe klapperten oder aus dem Wohnzimmer der Fernseher zu hören war. Und natürlich auch, wenn seine Frau oder die Kinder ihn freudig begrüßten, wobei das bei den Kindern immer seltener wurde, da diese, lange erwachsen, ihre eigenen Wohnungen hatten. Wenn seine Marlies zu Hause war, bedeutete dies auch, dass er schnell etwas zum Essen bekam, da sie grundsätzlich gerne kochte, immer etwas im Hause hatte und als eine bemerkenswerte Ehefrau die Wünsche und Vorlieben ihres Ehemannes kannte. 

Heute nicht.

Heute lag ein Zettel auf der Arbeitsfläche in der Küche.

Mein lieber Schatz, im Kühlschrank wirst du nicht viel finden. Ich hatte keine Zeit mehr was vorzubereiten. Bin ja am Montagabend wieder da. Bis dahin wirst du – hoffentlich – nicht verhungern. Mach dir doch am Freitag eine Pizza, die ist unten im Keller im Gefrierschank, dritte Schublade, ganz unten. Bussi Marlies.

»Wieso Montagabend. Ich dachte Sonntagabend?«, stöhnte er laut und fluchend hervor. »Und wieso keine Zeit gehabt etwas vorzubereiten?«, nörgelte er gleich hinterher. »Was machen Hausfrauen eigentlich den ganzen Tag?«, schloss er sein Selbstgespräch. 

Die Pizza – leider nur eine vegetarische – das hatte er der jüngeren Tochter zu verdanken, die sich im Kindergartenalter plötzlich und völlig unerwartet dazu entschlossen hatte, keinerlei Fleisch oder Wurst mehr zu essen. Selbst der Versuch ihr zu erklären, dass Weißwürschte auf Bäumen wachsen, war nur für eine kurze Zeit von Erfolg geprägt. Und so sollte sie zeitlebens alle Mangelerscheinungen von Vegetariern durch Tabletten ausgleichen müssen. Die vegetarische Pizza also fand er wirklich im Gefrierschank, dritte Schublade, ganz unten. Ansonsten konnte er narrisch werden, wenn ihm seine Frau bei jeder Arbeit, Frage oder sonstigen Haushaltsdingen immer genau erklärte für was es sein würde, wo man es finden könne und warum es jetzt sofort sein müsse. Dieses Vorgehen war inzwischen, nach so vielen (glücklichen) Ehejahren so intensiv mit ihrem Leben verwurzelt, dass er selber auf keinen Fall etwas fand, wenn sie ihm nicht vorher den genauen Standort erklärt hatte und oft selbst dann nicht. 

Diese Vorgehensweise barg aber auch kleine Vorteile für ihn. Er brauchte wenig im Haushalt helfen. Und nachdem seine Marlies mehrere Jahre darüber geschimpft hatte, man würde für die Steuererklärung - die ER damals machte -  keinen einzigen Beleg in dem ganzen Sauhaufen der Unterlagen finden und jedes Mal beim Steuerberatergespräch etwas fehlen würde, hatte er ihr irgendwann einfach gesagt:

»Wenn du damit nicht zufrieden bist, wie ich eine Steuererklärung vorbereite, dann mach sie doch in Zukunft selber.« Das machte sie dann auch. Zugegeben, seitdem fehlte nichts mehr beim Steuerberatergespräch. 

Die Pizza schmeckte unerwartet des vegetarischen Belags recht gut, nachdem er noch eine Dose Thunfisch, eine Handvoll Zwiebelringe, zehn Sardellen und mächtig Reibkäse draufgelegt hatte. Bei einem guten Glas Rotwein, die letzten fünf Tageszeitungen aufgestapelt, den Füßen auf dem Wohnzimmertisch und seinem geliebten dauereingeschalteten Fernseher war Ferdinand dann mit sich, mit dem Tag und der Situation zufrieden. In der Nacht allerdings bekam er Magenschmerzen, was er dem Gemüse auf der Pizza in die Schuhe schob. Die wurden so groß, diese Magenschmerzen, dass Ferdinand aufstehen musste, um sich in der Küche ein Glas Wasser zu holen. Mit dem Glas ging Ferdinand wieder nach oben an die Arzneimittelschubladen im Gang. Diese durchwühlte er ohne System und fand auch nichts, zumindest nichts, was gegen Magenschmerzen geholfen hätte. 

»Kopfschmerzen« las er auf einer kleinen blauen Packung, die im hinteren Eck der Schublade liegend auf den Zugriff seiner Hand wartete. Sollte er die nehmen? Ob die vielleicht auch helfen würden? Er konnte sich sowieso nicht vorstellen, wie eine Tablette nach dem Schlucken den richtigen Weg im Körper finden und genau dahin kommen würde, wo sie hingehörte, um dort die Wirkung freizugeben. Woher sollte zum Beispiel die Pille wissen, dass sie gegen eine Schwangerschaft ankämpfen soll? Er vertraute der Aufschrift Schmerzen, strich das „Kopf“ im Kopf einfach weg. Dann hoffte er, wenn er diese Tablette mit reichlich Wasser runterspülen würde - knapp die Hälfte vom Glas verschüttete er allerdings - dass diese Tablette direkt in seinen Magen gespült werden würde. Dort erst einmal angekommen, würde sie vielleicht erkennen, dass dieser Magen Schmerzen hatte und nicht der Kopf. Mit dieser innerlichen Beruhigung und einem nassen linken Schlafanzugärmel ging er zurück ins Bett und… schlief ein. 

Seine Frau hätte gewusst, warum er innerhalb von einer Minute einschlief, er schlief immer, ja immer, jeden Abend innerhalb einer Minute mit und ohne Magenschmerzen ein. Ferdinand hatte die Eigenschaft, selbst mitten in einem Satz einschlafen zu können.

Kapitel 4

Sommerrainers Polizeistation

Das Gebäude war im Zuge der Entscheidung, hier eine Polizeistation einzurichten, von ortsansässigen Firmen renoviert worden. Dass hiesige Firmen bei solchen Renovierungsarbeiten involviert wurden war einfach so üblich! Nichts desto trotz mussten sich auch diese Firmen an den vorgeschriebenen öffentlichen Ausschreibungen beteiligen und die ausschreibende Kommune musste dem Angebot den Zuschlag geben, welches, ganz einfach, am günstigsten war.  Beim Teisendorfer Polizeistationsumbau allerdings handelte es sich um ein Prestigebau. Und hierbei kamen ausschließlich die hiesigen Firmen zum Zug. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen.

Helle, weiße Räume im Erdgeschoss und dem ersten Stock, untergebracht im Herzen von Teisendorf - ein Traum von einer Polizeistation - hatte Ferdinand bekommen. Gegenüber das Rathaus und nebenan die Schule. Ein perfekter Standort für alle, die dem Projekt zugestimmt hatten.

Vorerst noch ziemlich kalt und nackt sollten die Räume schnellstmöglich mit den restlichen Büromöbeln, Bildern an den Wänden und Vorhängen an den Fenstern »ihr ganz besonderes Flair« erhalten. Ob die vielen Straftäter, Diebe, Mörder und Falschparker, die sich in den nächsten Monaten und Jahren in diesen Räumen aufhalten mussten, die Geometrie in Anordnung mit dem Lichteinfall der großen, hohen Fenster bemerken würden, konnte in Frage gestellt werden.

Ferdinand dachte zu sich, dass es jedem Einzelnen der Festgesetzten vollkommen wurscht sein würde! Die beiden Teisendorfer Architekten hatten mit dieser Planung den ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen und festgestellt, dass solche polizeilich genutzten Räume einmalig in der bayerischen Behördenbauweise seien. Auch die Ausnüchterungszelle hatte ein Fenster. Allerdings mit grauen, dicken Gittern von außen montiert und somit eine stark eingeschränkte Sicht. Obwohl, wer hier ausgenüchtert werden musste, würde eh nichts mitbekommen von der Fensteraussicht. Oder erst wieder im Stadium der Nüchternheit. Die Gänge waren lang und hallten, unterstützt durch den Fliesenboden. In den einzelnen Büros lag schon Teppichboden und dämpfte so das Gehen. Ferdinand konnte, wenn er seine Bürotür offen stehen ließ, schon früh hören, wenn er Besuch bekam, denn sein Büro war am Ende des Hauptganges im Erdgeschoss untergebracht. Ein weiter Weg vom Eingang, aber auch das größte Büro im gesamten Haus. Er brauchte nur darauf zu achten, ob die Besucherschritte abrupt aufhörten zu hallen, dann nämlich war der jeweilige Besucher links oder rechts in ein anderes Büro abgebogen.

Kapitel 5      

Arbeitsalltag

Sein erster Arbeitstag, die feierliche Eröffnung und der Tag der offenen Tür waren vorbei. Unzählige neugierige Einwohner waren zwischen den neuen Büros fragend und schauend hin- und hergelaufen. Kinder besetzten die Telefonanlage, saßen an den Schreibtischen, schauten in Aktenschränke und Umkleidekabinen, rannten mit Polizeimützen auf dem Kopf umher, Räuber und Gendarm spielend. Im Innenhof waren die Polizeiautos mit eingeschalteter Sirene und Blaulicht umlagert. Sommerrainer selber blieb im Büro sitzen. Seine Sekretärin ließ nur die herein, die eine Genehmigung in Form einer persönlichen Einladung bekommen hatten. An diesem wichtigen Ort, der Schaltzentrale dieser Polizeistation mit dem Dienststellenleiter Herrn Oberkommissar Ferdinand Sommerrainer persönlich ein paar Geplänkelworte zu sprechen, nutzten allerdings die meisten, die eingeladen wurden.

Eine Statistik, wie viele Straftäter sich an solchen Besichtigungstagen eine Polizeistation einmal - sozusagen unverbindlich - anschauen, wäre interessant gewesen.