Lisbeth - Katharina V. Haderer - E-Book

Lisbeth E-Book

Katharina V. Haderer

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Beschreibung

"Kein Mensch entscheidet, wo eine Katze wohnt. Natürlich ist es möglich, ihr ein Zuhause anzubieten. Womöglich werden wir einen Vorschlag akzeptieren, zumindest eine Zeit lang, weil wir zu bequem sind, uns etwas anderes zu suchen. Dann, auf einem unserer Spaziergänge, treffen wir auf einen verwunschenen Garten, eine geöffnete Terrassentür, einen warmen Schoß oder ein Bett mit frisch bezogener Bettwäsche, und wir ahnen: Das wird unser neues Heim." Nach dem traumatisierenden Erlebnis unter der Herrschaft der Wölfe quartiert sich die Katzenwandlerin Lisbeth in ihrer zweiten Gestalt bei dem Hexade-Mitglied Viktorius ein. Als Katze glaubt sie, die Vergangenheit vergessen und ihrem Schwarm aus sicherer Distanz nahe sein zu können. Doch dann taucht eine - menschliche - Frau mit einem romantischen Interesse an Viktorius auf. Als plötzlich Wolfsschatten Lisbeth erneut zu verfolgen scheinen, beginnt die Katze zu begreifen: In der vermeintlichen Sicherheit ihrer zweiten Gestalt ist sie dazu verdammt, zuzusehen, wie ihr eigenes Leben an ihr vorüberzieht...

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Lisbeth

Die Drachen von Talanis - Novelle

Katharina V. Haderer

Copyright © 2017by

Astrid Behrendt

Rheinstraße60

51371 Leverkusen

http: www.drachenmond.de

E-Mail: [email protected]

Umschlagdesign: Alexander Kopainski

Lektorat: Alexandra Fuchs

Korrektorat: Michaela Retetzki

Layout: Michelle N. Weber

Bildmaterial: Shutterstock

ISBN 978-3-95991-413-0

Alle Rechte vorbehalten

Für alle Katzenliebhaber und jene, die noch nicht wissen, dass sie essind.

Inhalt

Begriffe für NeuleserInnen:

Lisbeth

Über die Autorin

Begriffe für NeuleserInnen:

Die Hexade: Sechsköpfiger Stadtrat, der sich die Stadt in Einflussbereiche aufteilt

Patriarch & Matriarchin: Stadtratsmitglied. Kann seinen Hexade-Titel an einen sogenannten Nachfolger weitervererben

Wandler: Zwischenwesen, die ihre menschliche Form zugunsten einer anderen ablegen können

Die Mahr: Fluss, der durch Poschovar fließt und der bei der dort ansässigen Volksgruppe einen wichtigen, fast schon göttlichen Status besitzt

Lisbeth

Meine Katzennase führt mich durch das Einzugsgebiet der Stadt. Ich folge den Duftspuren, die manchmal von Fremden, oftmals von Einwohnern dieses Viertels hinterlassen wurden. In der Morgendämmerung erscheinen mir die Farben dumpf, Häuser und Gärten wirken wie in einen Nebelschleier gehüllt. Ich lausche dem Brummen der Autos und dem Rattern der Züge, dem Ticken der Fahrradspeichen eines Anrainers, der wohl vom Nachtdienst heimkehrt. Eine ständige Geräuschkulisse umgibt mich wie ein stetes Meeresrauschen. Meine Samtpfoten hingegen verursachen keinen Laut, der Sprung über ein Mauerstück geschieht in absoluter Stille.

Einige Straßen weiter erfasst meine Nase den Geruch meines Ziels – die Mahr, der Fluss, der die Stadt teilt. Das dunkelgrüne Gewässer bahnt sich träge seinen Weg durch ein Bachbett, das es sich über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende selbst erschaffen hat. Rechts und links davon, oftmals von Balken gestützt, thronen die ältesten Häuser Poschovars. Bis heute befinden sich die meisten davon im Besitz des Flussvolks.

Der Geruch der Mahr ist eigen. Ich rieche das Laub, zerrieben von den Wassermassen und dem Zahn der Zeit; die Fische, die sich zwischen den Algen tummeln; den Schaum, der gegen Sand und Kies schwappt. Als ich mich auf einem Mauervorsprung niederlasse, streift die aufsteigende Kälte die empfindliche Haut meines Näschens. Nur wenig Schnee liegt auf den Sandbänken des ausgewaschenen Flussbetts. Mehr davon lauert in der dichten Wolkendecke über mir, welche die Stadt seit Tagen vom Himmelsblau abschirmt.

Meine Aufmerksamkeit wird von den Fischen abgelenkt, die sich gegenseitig als flinke Schatten umschwärmen und gelegentlich an der Wasseroberfläche zupfen. Mein tierischer Instinkt lässt meine Augen und Ohren zucken. Das Einzige, das mich davon abhält, meinem Jagdtrieb nachzugehen, ist meine Angst vor Wasser. Ich traue mich nicht ans Ufer heran, kann weder als Mensch noch als Katze schwimmen.

Ich möchte mich nicht länger necken lassen, gleite von der Mauer und tapse zur Treppe meiner momentanen Residenz. Die Stufen führen zur Holztür eines alten Gebäudes, das von seinem Besitzer renoviert wurde. Die Wände stehen in keinem rechten Winkel zueinander, Fenster und Türen sind ungleich groß und in unterschiedlicher Höhe angebracht. Doch die Mauer ist frisch verputzt und weiß gestrichen, das Dach erneuert und die Einfahrt kunstvoll gepflastert, weswegen das betagte Haus in neuem Glanz erstrahlt.

Ich überlege, an der verschlossenen Tür zu kratzen, erklimme stattdessen die Treppenbrüstung und springe von dort auf die Fensterbank. In der Aushöhlung des gedrungenen Fensters hebe ich meine Tatze und schabe am Glas. Ein Miauen entringt sich meiner Kehle, meine Schnurrhaare zucken.

Warmes Licht streift den unbehandelten Parkettboden des Hausinneren, der bis an einen geziegelten Kamin heranreicht. Keine Bewegung ist in Sicht. Vielleicht hat Viktorius mich nicht gehört, möglicherweise ignoriert er mich. Er kennt keine Eile. Notgedrungen hat er sich mit mir arrangiert – ein Zugeständnis, als es keinen anderen Ort gab, an den ich gehen konnte.

Ich kratze weiter und miaue, diesmal lauter. Es gibt wenige Dinge, die menschliche Nerven ausgiebiger strapazieren als eine klagende Katze. Und wir sind ausdauernd darin, nach Dingen zu verlangen, die uns verwehrt werden. Nach einer Weile vernehme ich Schritte, die die Treppe zum Obergeschoss erschüttern.

Viktorius tritt in mein Sichtfeld. Er durchquert den Wohnbereich, der komplett offen gestaltet ist und von einem Wohnzimmer nahtlos in eine Küche übergeht. Wie sonst auch, trägt mein Gastgeber Jeans und ein weißes T-Shirt, das Arbeitsspuren aufweist. Das lange Haar hat er zurückgebunden. Die Art, selbiges zu tragen, sowie die helle Haarfarbe sind typisch für die Bewohner am Fluss. Viktorius’ Geruch verrät mir, dass er und viele andere der Horaschs – die Sippe, der er angehört – von Zwischenwesen abstammen wie ich, wenn sie auch keine Wandler sind. Welches Erbe genau sie in sich tragen, bleibt mir ein Rätsel. Das Flussvolk besitzt viele Geheimnisse, die es nicht mit Außenstehenden teilt.

Viktorius’ helle Augen tauchen vor der winzigen Luke auf. Er verzieht den Mund, öffnet das Fenster jedoch anstandslos. Mit einem Satz lande ich auf dem Holzfußboden.

»Lisbeth«, brummt er. »Gibt’s draußen keine Mäuse zu jagen?«

Die Wärme des Kaminfeuers umschließt mich wohlwollend. Ich versuche, die Kälte des Frühwinters aus meinem Fell zu schütteln und tänzle Richtung Küche. Zielgerichtet visiere ich meine Schüssel an und bemerke empört, dass sie kein Futter enthält. Den Schwanz gereckt, stoße ich einen Protestlautaus.

Viktorius zieht eine Dose Katzenfutter aus einer Einkaufstüte und öffnet sie. Ich hasse Katzenfutter. Doch wer in meiner Situation ist, darf nicht wählerisch sein. Dass Viktorius mich überhaupt hereinlässt, grenzt an ein Wunder; immerhin sind wir keine Freunde.

Lieblos löffelt er den Doseninhalt in die Schüssel und ich stürze mich darauf. Früher hätte ich außer Frischfleisch nichts angerührt, doch bei meinem unfreiwilligen Gastgeber bin ich an Grenzen gestoßen, die mich zu einer gewissen Genügsamkeit zwingen.

Viktorius entfernt sich einige Schritte. Eine Zeit lang hat er noch versucht, mich verbal aus meiner Katzengestalt zu locken, obwohl er eigentlich nicht der große Redner ist. Die Psychologin, die man mir schickte, blieb genauso erfolglos wie der Tiertrainer und meine Anwältin, welche mir erklärte, ich dürfe das Erbe meiner Mutter ausschließlich in Menschengestalt antreten. Sie dachte, sie könne mich mit Geld und Versprechen zurück in meine eigentliche Form locken. Niemand versteht, dass es in unserem alten Anwesen nichts gibt, das ich länger in meiner Nähe wissen möchte. Jeder Raum, jedes zerkratzte Möbelstück, Mamas verstreuter Schmuck – all das erinnert mich an die Herrschaft der Wölfe. Kann man es vielleicht nicht länger sehen, ich rieche, dass sie da waren. Dieser Geruch wird niemals schwinden, genau wie die Erinnerungen an das, was sie meiner Mutter und mir angetan haben.

Als Mensch lockt mich nichts dort draußen. Die einzige Person, die ich vermisse, ist für immer von mir gegangen. Als Katze erwarten mich zumindest ein Nickerchen vor dem Kamin sowie eine Katzenfutterdose jeweils morgens und abends.

Als ich die Schüssel geleert habe – natürlich nicht, ohne einen Rest übrig zu lassen, der den Protest über meine mangelhafte Bewirtung ausdrückt –, widme ich meine Aufmerksamkeit wieder Viktorius. Die Arme vor der Brust verschränkt – Arme mit schwieligen Handwerkerhänden, die von den Renovierungsarbeiten stammen –, kreuzen sich unsere Blicke. Er hat es sich zum Beruf gemacht, die alten Gebäude rund um die Mahr, von denen viele bereits verfallen sind, herzurichten. Als Dank wurden ihm von der Gemeinde einige Häuser am Fluss überschrieben, die er aufgebaut und vermietet hat. Für einen Handwerker und ungelernten Architekten verdient Viktorius Horasch daher ganz gut und genießt in seiner Gemeinschaft großes Ansehen.

Emotionslos sieht er mich an, beschwert sich nicht. Fragt mich nicht, wann ich gehe und ihn in Ruhe lasse. Manche Dinge benötigen keinen verbalen Ausdruck. Seine Unzufriedenheit spiegelt sich in seiner Haltung wider, in seinem Blick.

Ich verenge die Augen zu Schlitzen, tue so, als ob ich es nichtsähe.

Kein Mensch entscheidet, wo eine Katze wohnt.

Natürlich ist es möglich, ihr ein Zuhause anzubieten. Womöglich werden wir einen Vorschlag akzeptieren, zumindest eine Zeit lang, weil wir zu bequem sind, uns etwas anderes zu suchen. Dann, auf einem unserer Spaziergänge, treffen wir auf einen verwunschenen Garten, eine geöffnete Terrassentür, einen warmen Schoß oder ein Bett mit frisch bezogener Bettwäsche, und wir ahnen:

Das wird unser neuesHeim.

Ich brauche keinen Märchengarten. Unsere Villa war ein pastellfarbener Traum, eine Oase der Ruhe. Dann wandelte sich alles in einen Albtraum.

Ein Rudel Wölfe hat unseren Besitz erobert, obwohl sie Wandler waren – wie meine Mutter und ich. Sie dachte, sie könne mit ihnen Handel treiben, sie zu ihren Freunden machen. Doch während wir Katzen uns in der Dämmerung genauso bewegen wie in den Grauzonen der Moral, kennen Hunde nur Schwarz und Weiß: Hatten sie meine Mutter erst mal als Feindin auserkoren, ließ sich das Rad nicht länger zurückdrehen.

Mit ihren dreckigen Pfoten haben sie unser Heim eingenommen, unseren Besitz zerstört und die Luft mit ihrem Gestank verpestet. Sie haben meine Mutter gedemütigt und gebrochen – allen voran eine Wölfin mit leuchtend rotem Haar, die Augen voller Wahnsinn. Ich konnte aus einem Fenster schlüpfen und der Gefahr entkommen, jedoch nicht den Folgen meiner Abwesenheit …

Meine Mutter war mein Zuhause, und jetzt, wo sie weg ist, verbindet mich nichts mit diesem Haus, in dem sie so grausam verendete.

Es gibt keine Orte, an die ich flüchten kann, kaum Menschen, denen ich traue. Mein Leben lang waren da nur wir zwei: Mama und ich. Mein Vater war eine flüchtige Liebelei, ein Freund aus Kindertagen. Er lebt irgendwo in Vorst-Sandhe mit seiner Familie. Ich spüre keine Verbindung zu diesem Fremden mit den hängenden Augenwinkeln und dem schütteren Haar. Es gibt keine weitere Familie, die mir bekannt wäre, keine Freunde. Wir Katzenwandler pflegen oberflächliche Bekanntschaften, an uns heran lassen wir wenige.

Nach meiner Flucht hielt mich die Angst in meinem Tierkörper gefangen. Ich hörte allein auf meinen Instinkt und ließ mich von meiner Nase führen.

Damals führte mich meine Nase hierher.

Vermutlich liegt es daran, dass mich Viktorius schon immer fasziniert hat. Ich schätze seine ruhige Art, die dem Volk vom Fluss zu eigen ist, als wären sie ein Spiegelbild des trägen Wasserlaufs, an dem sie wohnen. Uns Katzen zieht es oftmals zu Menschen, die nichts mit uns anfangen können. Was wir uns davon versprechen, weiß ich selbst nicht.

Umgekehrt mochte Viktorius mich wohl nie, war jedoch immer pflichtbewusst und verhielt sich wie ein Gentleman. Die Zuvorkommenheit, die er manchmal an den Tag legt, war wohl der Grund, warum ich diese unsinnige Verliebtheit entwickelte. Obwohl meine Zuneigung einseitig und unausgesprochen ist, genieße ich Viktorius’ Anwesenheit genauso wie seinen Geruch.

Er wendet sich ab und kehrt in den Oberstock zurück. Ich überlege, ihm zu folgen, entscheide mich jedoch dagegen. Entweder arbeitet er an seinem überdimensionalen Schreibtisch und zeichnet Pläne, oder er geht duschen. Manchmal beobachte ich ihn. Scham kenne ich dabei keine. Körperlichkeit hat unter uns Wandlern eine andere Bedeutung als unter normalen Menschen.