Wega 7: Oase der Mutanten - Katharina V. Haderer - E-Book

Wega 7: Oase der Mutanten E-Book

Katharina V. Haderer

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Beschreibung

Seit mehr als dreieinhalb Jahrtausenden bereisen die Menschen den Weltraum und erforschen die Wunder des Universums. Sie sind faszinierenden Fremdvölkern begegnet, haben zahlreiche Welten besiedelt und kosmische Geschichte gestaltet. Als die Raumfahrer einst zu den Sternen aufbrachen, war die Wega ihr erstes Ziel. Im Jahr 2059 Neuer Galaktischer Zeitrechnung kehrt Perry Rhodan dorthin zurück, gerät jedoch mitten in einen Krisenherd. Eine Flotte unbekannter Eroberer riegelt das System von der Milchstraße ab. Wollen sie diese Gegner abwehren, müssen Rhodan und seine Gefährten einem neuen Galaktischen Rätsel nachspüren. Seinen Freund Reginald Bull und den Mausbiber Gucky verschlägt es hierbei in die ferne Vergangenheit – nach Tramp, der Heimatwelt Guckys. Dort stoßen sie auf Vorfahren des Mausbibers, die von einem heimtückischen Feind bedroht werden. Gucky sieht die einmalige Chance, sein Volk vor dem Untergang zu retten – er kämpft um die OASE DER MUTANTEN ...

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Nr. 7

Oase der Mutanten

Der Mausbiber kämpft gegen Roboter – in der Vergangenheit einer seltsamen Welt

Katharina V. Haderer

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Ghiafir

2. Gucky

3. Reginald Bull

4. Ghiafir

5. Reginald Bull

6. Gucky

7. Reginald Bull

8. Gucky

9. Ghiafir

10. Gucky

11. Reginald Bull

12. Gucky

13. Reginald Bull

14. Gucky

15. Reginald Bull

16. Ghiafir

17. Gucky

18. Ghiafir

19. Gucky

20. Reginald Bull

21. Ghiafir

22. Reginald Bull

23. Gucky

Impressum

Seit mehr als dreieinhalb Jahrtausenden bereisen die Menschen den Weltraum und erforschen die Wunder des Universums. Sie sind faszinierenden Fremdvölkern begegnet, haben zahlreiche Welten besiedelt und kosmische Geschichte gestaltet.

Als die Raumfahrer einst zu den Sternen aufbrachen, war die Wega ihr erstes Ziel. Im Jahr 2059 Neuer Galaktischer Zeitrechnung kehrt Perry Rhodan dorthin zurück, gerät jedoch mitten in einen Krisenherd.

Eine Flotte unbekannter Eroberer riegelt das System von der Milchstraße ab. Wollen sie diese Gegner abwehren, müssen Rhodan und seine Gefährten einem neuen Galaktischen Rätsel nachspüren. Seinen Freund Reginald Bull und den Mausbiber Gucky verschlägt es hierbei in die ferne Vergangenheit – nach Tramp, der Heimatwelt Guckys.

Dort stoßen sie auf Vorfahren des Mausbibers, die von einem heimtückischen Feind bedroht werden. Gucky sieht die einmalige Chance, sein Volk vor dem Untergang zu retten – er kämpft um die OASE DER MUTANTEN ...

Die Hauptpersonen des Romans

Reginald Bull – Perry Rhodans Freund warnt vor Manipulationen der Vergangenheit.

Gucky – Der Mausbiber legt den Auftrag von ES auf eigene Weise aus.

Ghiafir – Die Iltin rebelliert gegen die Vorschriften der Wächter.

Mink

»Gucky!«

Reginald Bull rief den Namen und riss dabei den Mund so weit auf, dass er seinen Kiefer knacken hörte. Vor ihm waren nichts als rote Steinwüste und die Sonne, die ihm in die Augen stach.

Sein Freund war fort.

1.

Ghiafir

Ghiafir steckte ihre Schnauze aus dem Loch. Die feinen Tasthärchen vibrierten im Wind, der das Ödland in Gefangenschaft hielt. Er trug die altbekannten Gerüche mit sich, pfiff, wenn er über rote Felsen und Hügel schnitt. Nur selten ertönte ein anderes Geräusch als dieses Heulen.

Die Ilts bauten ihre Hapts nur in weiter Distanz zu dem fruchtbaren Reich, das die großen Wasserflächen umgab. Auch wenn dort exotische Pflanzen wucherten, an denen Ghiafir gern mal geknabbert hätte, war die Angst der Gemeinschaften zu groß, den Jägern zu begegnen.

Einige Familien hatten sich unterirdisch rund um die Krik-Oase angesiedelt. An der Oberfläche waren sie kaum anzutreffen. Die Wasserreservoire lagen ohnehin größtenteils im Untergrund. Bloß Flechten und hartblättrige Büsche oder Gräser zwischen dem roten Sand zeugten davon, dass draußen noch etwas lebte.

Die meisten Ilts vertrauten lieber auf die Sicherheit ihrer Tunnelsysteme. Die Familien rühmten sich dreier Dinge: ihres Gefahrensinns, ihrer Gemütlichkeit und ihrer Vernunft. Es gab für das Verlassen ihrer heimatlichen Hapthöhlen absolut keine Notwendigkeit. Die Einzige, deren Neugier sie gelegentlich aus ihrem Loch trieb, war sie selbst, die nicht mal achtzig Jahre alte Ghiafir.

Sie drückte sich ins Freie. Erde bröckelte unter ihren Pfoten. Ihre trichterförmigen Ohren flatterten im Wind.

Schon war sie draußen. Reckte ihr Näschen höher, stellte sich auf die Hinterbeine und schnupperte angestrengt.

Kein fremder Geruch in der Luft! Zumindest nicht von der Seite aus, woher der Wind pfiff. Ghiafir drückte ihren Plattschwanz gegen den Boden, nutzte ihn wie ein drittes Bein und stemmte sich gegen die Böen.

Ein Geräusch erklang. Ein Rauschen, das nicht vom Wind stammte. Die Iltin erstarrte. Sie spürte, dass ihr Herz schneller pochte – wie ein Kieselstein, der von einem Hügel herabpolterte.

Erschrocken blickte sie sich um, doch es war nichts zu erspähen, nur karge Wüste, die unablässig weiter verödete. Zu ihrer Linken versperrte ein Hügel die Sicht.

Ghiafir widerstand dem Drang, sich in das unterirdische Tunnelsystem zurückzuziehen, und machte sich daran, den Hügel hinaufzusteigen. Das fremde Geräusch versetzte sie vor allem deswegen in Aufregung, weil die Wächter es gar nicht schätzten, wenn sich jemand den Gefahren der Oberfläche aussetzte.

Im Schatten der Anhöhe war es deutlich kälter als in den Hapts, doch Ghiafirs verhornte Ballen und ihr dichtes Fell schützten sie. Der Boden bröckelte unter ihren Beinen. Sie ließ sich auf die Arme nieder und kletterte auf allen vier Pfoten weiter.

Flechten wucherten in den Ritzen der größeren Felsen. Sie waren einer der wenigen Gründe, warum Ilts ihre Höhlen verließen. Die Obenflechten wuchsen nicht in den selbst angelegten Gärten im Untergrund, und doch benötigten die Ilts sie, damit ihre Nagezähne kräftig blieben.

Ghiafir erreichte den Hügelkamm. Grelle Tageslichtstrahlen bissen ihr in die Augen. Dicht am Horizont entlang wanderte die rote Sonne. Ihr Gleißen flutete über das ebenso rote Land hinweg, warf scharfe Schatten hinter die Geländeerhebungen und losen Felsen. Ghiafir blinzelte. Der Schein wärmte ihr Gesicht. Der Wind zerzauste ihren Pelz.

Da, erneut! Ein lang gezogenes Rauschen.

Ghiafirs Ohren zuckten, doch es war ihr unmöglich zu sagen, woher der Ton stammte. Hätte sie es nicht besser gewusst, sie hätte behauptet, er stamme aus dem Himmel und schalle über die gesamte Ebene hinweg. Doch über den beiden kleinen Seen der Oase tobte kein Gewitter. Gerade mal ein paar Wölkchen sammelten sich über den in der Ferne aufragenden Höhen.

Da – wieder! Glänzte dort etwas? Oder war es nur einer der Tümpel, über den das Sonnenlicht glitt? Vielleicht einer der Wächter?

Unter das Rauschen mengte sich ein zweiter Ton wie ein schrilles Pfeifen. Ghiafir glaubte, etwas zu sehen. Es bewegte sich nicht an Land, sondern es ... schwebte. Nein. Es sauste!

Vor Schreck duckte sich Ghiafir zu Boden. Schlagartig verschwand ihre bisherige Selbstsicherheit. Steinchen lösten sich unter ihren Pfoten und kugelten hinab, »klock-klock-klock«. Das Fell an ihrem Rücken stellte sich zu einem Kamm auf. Sie plusterte sich auf wie zur größten Kältezeit – und teleportierte zurück in den Tunnel, knapp unterhalb des Ausgangs.

Sicherheit! Wohlige Dunkelheit!

Hastig scharrte sie mit den Beinen und drückte die Erde empor, um den Zugang zu schließen. Ihr Puls hämmerte wild.

Was sollte sie nun tun? Die anderen warnen? Möglicherweise hatte sie sich geirrt und bloß ein Flugtier beobachtet oder eine aus der Höhle geschlüpfte Cludana. Wenn sie die anderen Ilts unnötig aufbrachte und auch die Wächter davon Wind bekamen ... Wenn sie herausfanden, dass sie schon wieder teleportiert war, obwohl ihr die Jaddas und Jiddas, ihre älteren männlichen und weiblichen Iltverwandten, ein strenges Verbot ausgesprochen hatten ...

So stolz Ghiafir auch darauf war, zu den mutigsten Bewohnern ihrer Hapt zu gehören – nun kroch sie mit pumpendem Herzen in Richtung der Familienhöhle zurück.

Der Weg verzweigte sich. Eine Felsspalte kreuzte den niedrigen Rundtunnel. An dieser Stelle hatte die Familie des Öfteren Wächter gesichtet, weshalb Ghiafir möglichst schnell darüberhasten wollte.

Kleinsonnen glühten aus dem Felsen und erhellten die Finsternis blutrot wie die Obensonne. Adern zogen sich zwischen den Kleinsonnen dahin und verschwanden irgendwo im Erdreich. Niemand wusste genau, wohin sie führten. Die Wächter hatten sie eingepflanzt und pflegten sie. Sie brachten neue Lichtspender, wenn die alten starben und ihr Leuchten erlosch. Die Ilts waren ihnen dafür zu Dank verpflichtet. Aber die Wächter galten auch als strenge Herren.

Ghiafir blickte sich argwöhnisch um und erstarrte auf der Kreuzung. Ein verzerrter Schatten lauerte am Ende der Felsspalte zu ihrer Linken. Aus der Ferne hätte man ihn für einen übergroßen Ilt halten können. Das Streifenauge, mit dem die Wächter in alle Richtungen gleichzeitig sehen konnten, glühte so hell wie die Kleinsonnen.

Das Blut sackte aus Ghiafirs Gesicht. So knapp an einem Ausgang erwischt; ohne Geleit und ihre Aufsicht! Sie war der größte Unglücksilt der Welt.

Etwas bewegte sich. War es sein Kopf? Sein Streifenauge?

Ganz still stand er da. Genau wie Ghiafir, vor Angst erstarrt.

Ein Ticken ertönte. Die Gestalt löste die Arme vom Rumpf. Der Schatten darunter geriet in Aufruhr. Am Gesäß verbreiterte sich der Wächter, seine vielgliedrigen Beine glichen in nichts denen eines Ilts. Seine Haut schimmerte, als wäre sie feucht. Wie eine Spinne zwängte er sich durch die Enge. Und seine Bewegungen wurden immer schneller!

Er hatte sie entdeckt.

Die Angst versetzte Ghiafir einen Fußtritt, also stob sie los. Auf allen vieren tauchte sie in den Rundtunnel ein. Zu ihren eigenen kratzenden Schritten gesellte sich nun das Prasseln der zahlreichen Glieder des Wächters. Panisch warf Ghiafir einen Blick zurück und sah, wie sich ein Schatten vor das Rotlicht schob. Das Streifenauge glühte. Tickend tasteten sich seine Beine vor. Und dank der vielen Gelenke gelang es dem Wächter, sich so zu verschlanken, dass auch er sich in den Tunnel quetschen konnte.

Ghiafir quietschte auf und sprintete voran. Es knallte, als sich ihr Verfolger das Haupt stieß. Erde bröckelte, es klang wie kurz vor einem Einsturz. Das trieb Ghiafir nur noch weiter an.

»Stehen bleiben!«, befahl der Wächter mit seiner monotonen Stimme. »Du bist unautorisiert in einen verbotenen Bereich vorgedrungen!«

Ghiafir stürzte. Abrupt knallte sie auf ihr Kinn. Der Unterkiefer schlug schmerzhaft gegen den Nagezahn. Sternchen tanzten durch das Dunkel. Die Angst saß in ihrem Magen, krampfte sich wie eine Pranke um ihre Eingeweide.

»Stehen bleiben!«

Es scharrte, als sich der Wächter durch den Tunnel zwängte. Ächzend stemmte sich Ghiafir ein Stückchen in die Höhe. Im Liegen warf sie die Nase herum. Ihre Barthaare erzitterten vor Angst.

Der Wächter zog seine Glieder zusammen, bis er wie ein Pfropfen wirkte und kein Licht mehr an ihm vorbeischeinen konnte. Nur sein Auge war noch grell zu sehen. Es zuckte bei jedem Schritt hin und her. Vorne setzte er sich auf die iltartigen Arme. Statt mehrgliedrigen Fingern hatten sie eklige Scheren, ähnlich den Wasserkrebsen drunten in den Kavernen.

Ghiafir hätte sich einfach fangen lassen können. Vermutlich würde sie nur ordentlich Schelte von ihrem Haptältesten Monbetto bekommen. Du bist fast erwachsen, Ghiafir! Benimm dich wie eine Jirra!

Doch etwas hielt sie davon ab, dieses Schicksal willig anzunehmen. Sobald sie in dieses fremdartige Auge sah, war ihr, als berühre ein Gluthauch sie, ein Brennen, wie sie es noch nie erlebt hatte. Das machte ihr noch größere Angst als die auf- und zuklappenden Scheren.

Sie rappelte sich auf, weiter ging's. Die Decke wurde niedriger. Ihre Barthaare streiften an den Wänden, auch sie musste Beine und Arme einknicken, um weiterhin vorwärtszukommen. Mehrmals stieß sie ihren Kopf an der Decke, dachte aber nicht daran, ihr Tempo zu drosseln. Das Klackern der Glieder, das Furchen der Erde, als zöge ihre Freundin Zarfre neue Gräben im Garten, näherte sich laut.

Über ihr gähnte ein Spalt, der in einen höher gelegenen Pfad führte. Hoffnung! Mit dem nächsten Atemzug sog Ghiafir herabrieselnde Erde ein. Der Staub brannte in ihren Augen, doch sie ignorierte es. Schoss vor, drückte sich eilig hindurch, ihre Zehen durchkämmten den Humus, Steinchen rollten unter den Tritten fort ...

Sie stürzte aus dem Loch.

Es krachte, als der Wächter versuchte, sich durch das letzte, schmale Stück zu zwängen. Zwischen fallenden Steinchen und einer nach ihrem Schweif schnappenden, zweifingrigen Hand sah Ghiafir das Auge hervorleuchten.

Sie wandte sich ab und rannte. Sie lief, so schnell ihre Beine sie trugen.

*

Ghiafir keuchte. Der Speichel schmeckte bitter, und ein pulsierendes Stechen durchzog ihre Hüfte, als sie endlich den letzten Tunnel zu ihrer Hapt erreichte.

Die Höhle begrüßte sie mit der vertrauten, von zahlreichen Iltkörpern gewärmten Luft, dem Rascheln und Schnarchen von Familienmitgliedern, die in ihren Schlafkuhlen dösten, sowie dem sanften Licht der Kleinsonnen, die aus der Erde hervorleuchteten.

Monbetto thronte in seiner gut gepolsterten Schlafkuhle. Der Jadda war einer von Ghiafirs ältesten männlichen Verwandten und versuchte hin und wieder, ihr Verwandtschaftsverhältnis zu spezifizieren, indem er die gemeinsamen Vorfahren sämtlicher Ilts in der Hapt aufzählte.

Man hätte meinen können, er schliefe, hätte sich sein Schnurrhaar nicht hin und wieder geregt, während er an einer Obenflechte knabberte.

Aus irgendeinem Grund gelang es einfach nicht, die Obenflechten in den Haptgärten zu ziehen. Die Ilts mussten sie von der Oberfläche ernten, und aus Angst vor Jägern taten sie das stets nur unter der Aufsicht von Wächtern.

Monbetto lebte in seiner Kuhle. Er sah kaum je Anlässe, sein Schlaflager zu verlassen. Er lag auf dem Rücken, sein bepelzter Schweif bog sich über den Erdwall, er hielt die Augen geschlossen und döste, während ihm eine Cludana die Ohren kraulte. So nannte er es zumindest, wenn die leicht durchscheinenden Schwebeköpfchen ihre Nesseln ausstreckten, damit liebevoll die Ilts streichelten und sie mit schönen Eindrücken belustigten.

Ghiafir konnte sich nicht erinnern, eine Geschichte zu kennen, wie und wann die Cludana das erste Mal in den Höhlen aufgetaucht waren. Nicht mal Monbetto hatte dazu eine Idee, obwohl er seine körperliche Trägheit gern mit seinem überwältigenden Intellekt auszugleichen versuchte.

»Die Cludana waren schon immer da und gehören zu uns wie unsere Höhlen, Hapts, Wasserkavernen, Tunnel und Gärten«, sagte er manchmal, wenn Ghiafir ihm vorwarf, sich zu sehr von den anderen Bewohnern des Tunnelsystems verwöhnen zu lassen. Wer sich ständig nur von den Bildern der Cludana berieseln ließ, sah keinerlei Notwendigkeit mehr, selbst etwas zu erleben.

Ghiafir trippelte über den platt getrampelten Boden zu ihrem eigenen Schlafplatz. Die getrockneten Gräser, Farne und Blätter knisterten unter dem Druck ihres Körpers, als sie sich hineinkuschelte. Sie schlang ihren langen Plattschweif um sich und beobachtete Monbetto, der unter den Betastungen der Cludana kicherte. Er öffnete nicht einmal die Augen, und doch war es, als könne er Gedanken lesen.

Monbetto war der Älteste der Hapt. Er legte die Regeln fest. Und er würde es gar nicht gern hören, dass sich Ghiafir den Anweisungen widersetzt hatte. Ihr Nackenfell plusterte sich unter einem Schauer des Unwohlseins.

»Was ist los, Jirra?«, fragte Monbetto von seinem Platz aus. »Struwwel? Ich höre dich schnaufen. Warum so unentspannt?«

Nun schnaufte Ghiafir tatsächlich. »Für dich ist jeder unentspannt, der eine Pfote aus seiner Schlafkuhle bewegt, Jadda Monbetto.«

Sie beobachtete, wie seine Barthaare zuckten, ob aus Belustigung oder aus Erbostheit, vermochte Ghiafir zunächst nicht einzuschätzen. Erst als er seine gespaltene Oberlippe anhob und die Luft an seinem gesprungenen Nagezahn entlangstieß, sodass es pfiff, wusste sie, dass er sich amüsierte.

Er schüttelte die Ohren und somit die Cludana ab. Mit dem Finger stupste er sie in Ghiafirs Richtung. »Meine Jirra braucht die Entspannung dringender als ich!«

Die Cludana trieb auf Ghiafir zu, als wöge sie nichts. Nachdenklich beobachtete Ghiafir das sonderbare Wesen. Konnte es wahrhaftig sein? Hatte sie oben, im Freien, eine Cludana gesehen?

Als sich der anfängliche Schwung der Cludana abschwächte, zog sie die schimmernden Nesseln an und schwamm mit weiteren rhythmischen Bewegungen auf Ghiafir zu.

Ghiafir steckte die Nase zwischen die felligen Pfoten und guckte dem Ding unsicher entgegen. Es war nichts Besonderes, sich von den Cludana unterhalten zu lassen. Sie schwebten überall durch das weitläufige Netz der Hapts und Tunnel unter der Krik-Oase, belustigten die Ilts und verlangten keinerlei Gegenleistung.

Ob sie sich von Luft ernährten oder von Partikeln oder Sporen der unterirdischen Pilze, wusste Ghiafir nicht. Genau deshalb waren ihr die Cludana nicht so recht geheuer. Sie wusste nichts über sie. Niemand suchte Erklärungen darüber, was sie eigentlich waren und worin der Zweck ihrer Existenz bestand. Dennoch wurden sie von allen Ilts und den Wächtern akzeptiert.

»Ich mag nicht«, nuschelte Ghiafir in ihr Fell. Sie stieß das durchscheinende Wesen mit ihrem Schwanz an. Es trieb kurz zurück, ruderte dann jedoch mit seinen Nesseln wieder näher.

Es verursachte dabei keinerlei Geräusch. Lediglich ein Leuchten blitzte kurz auf, wie winzige Entladungen. Die Cludana tastete sich weiter vor und stupste Ghiafir vorsichtig an. Es war nicht unangenehm. Im Gegenteil, es kitzelte wohlig.

Auch wenn es eigenartig klang – und jeder andere Ilt hätte sie für diesen Gedanken ausgelacht: Ghiafir wollte momentan nicht beruhigt werden.

Ihre Familie wusste, dass Ghiafir teleportieren konnte; aber sie erwarteten von ihr, dass sie es nicht tat. Die meisten Ilts verloren diese Fähigkeit nach der Geburt, sobald sie aus dem Bauch der Mutter teleportierten. Nicht so Ghiafir. Sie war anders. Sie hatte ihre Fähigkeiten behalten; sie konnte gelegentlich sogar die Gefühle und Bruchteile von Gedanken anderer erspähen.

Sie spähte hinüber zu Monbetto. Er hatte die Augen wieder geschlossen und kaute an einem Pockenpilz herum, den er sich von irgendjemandem hatte servieren lassen.

Ein Nesselarm der Cludana kitzelte an ihrem Ohr. Ghiafirs Sichtfeld tauchte in wundersame Farben, wie bunte Wolken, die nach und nach Form annahmen. Ein wohliges Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus.

Nein! Ich möchte über das, was ich gesehen habe, nachdenken! Ich will ...!

Ghiafir presste die Lider zusammen. Die Bilder blieben. Verärgert stieß sie die Cludana fort. Das Wesen setzte an, neuerlich auf sie zuzurudern. Also teleportierte Ghiafir einfach in den heimischen Garten.

*

Einen Augenblick lang fühlte es sich furchtbar an. Fröstelnd umarmte sie sich selbst. Ihre Sicht flimmerte, alles wirkte dunkel, kalt und irgendwie traurig. Das konnte passieren, wenn man den Kontakt zu einer Cludana zu rasch abbrach.

Sie sog die Luft ein, doch der Duft der Kräuter, in deren Mitte sie stand, wollte sie nicht recht erreichen. Da merkte sie, dass sie ausgerechnet Senfblumen niedertrampelte, außerdem rotblaue Stachelgürkchen, Monbettos liebste Delikatesse. Erschrocken hastete sie aus den Beeten. Wenn das Seriella entdeckte, eine Jirra, eine jüngere weibliche Verwandte, die sich um die Pflege dieser Pflanzen besonders bemühte, würde Ghiafir großen Ärger kriegen! Sie hatte aber Glück, momentan hielt sich außer ihr selbst niemand im Kräutergarten auf.

Ihr Blick glitt hoch zur Höhlendecke, an der die roten Kleinsonnen glühten. Die Wächter der Oase hatten sie ihnen geschenkt, so hieß es, damit sich die Ilts nicht länger den Gefahren der Oberfläche aussetzen mussten. Sie konnten darüber glücklich sein.

Doch Ghiafir war nicht immer glücklich. Trotz der Cludana, die wie ein Geschenk schienen. Trotz ihrer Sicherheit. Trotz des einfachen, guten Lebens.

Etwas kitzelte sie von hinten. Ghiafir wollte sich umdrehen, da verfingen sich bereits die Nesseln an ihren Ohren. Ghiafir wollte sich losreißen, doch ein knisterndes Blitzen blendete sie. Heiß schoss es in ihren Kopf und tauchte alles in Weiß.

Mit einem Mal fielen alle Zweifel und Ängste von ihr ab. Es war, als löse sich eine gewaltige Last von Brust und Schultern. Sie spürte, wie ihre Anspannung nachließ und sie endlich tief einatmen konnte. Ihre Rippen knackten.

Nur der Zweifler glaubt, dass zweifeln etwas Gutes ist.

Ghiafir konnte nicht sagen, ob die Gedanken von ihr selbst stammten oder von den Cludana stimuliert wurden. Sie wusste nur, dass sich das Leben gut anfühlen konnte. Besser, als es das zuletzt hatte.

Alles wird gut. Alles ist gut.

Etwas zog an ihr, brachte sie dazu, dass sie ein Bein vor das andere setzte. Ihre Zehen streiften durch Gräser und Kräuter, krallten sich in weiche Erde. Es duftete herrlich, sauer, süß und herb. Wie die wärmste Zeit des Jahres.

Wie mit Fäden wurde sie von den Cludananesseln gezogen. Zurück zu ihrer Hapt, wo sie ihre Schlafkuhle am knisternden Laub und dem eigenen Geruch erkannte. Im Hintergrund Monbettos hallte entferntes Lachen. Und vor sich sah sie Bilder vom Himmel, von Flugtieren, von einer grasüberzogenen Ebene, von der die ältesten Jiddas und Jaddas erzählten.