Lynouna 3 - Liesa Marin - E-Book

Lynouna 3 E-Book

Liesa Marin

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Beschreibung

Lucy hat in der Schule einiges nachzuholen und es ist nicht wirklich hilfreich, erneut als Opfer hingestellt zu werden. Jetzt, da sie doch endlich neu anfangen kann! Auch ihre Beziehung zu Zayn wird auf eine harte Probe gestellt, denn eine Lehrerin zeigt Interesse an ihrem gut aussehenden Vampir. Plötzlich steht er kurz davor, Lucys Geheimnis zu lüften, sodass sie schnellstens eine Möglichkeit finden muss, Aurelia, die sich noch immer im Seelensplitter befindet, zu helfen. Als zudem bekannt wird, dass auch noch eine Prüfung durch den Rat ansteht, wird Lucy klar: Dieses Mal steht mehr auf dem Spiel, als nur eine schlechte Note. Sollte sie nicht bestehen, wird ihr nicht nur die Freiheit genommen, sondern womöglich auch jedes Recht auf ein normales Leben.

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Seitenzahl: 439

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Lynouna 3

Die Prüfung der weißen Hexe
Ein Roman von
Liesa Marin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Lynouna 3 – Die Prüfung der weißen Hexe
Liesa Marin
1. Auflage
2022
© 2022 DerFuchs-Verlag D-74889 [email protected] DerFuchs-Verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
Das Werk, einschließlich aller Teile, ist urheberrechtlich geschützt.
Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, Verbreitung, Übersetzung und Verfilmung liegen beim Verlag. Eine Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ohne Genehmigung des Verlags ist strafbar.
ISBN 978-3-96713-035-5 (Taschenbuch)
ISBN 978-3-96713-036-2 (ePub)

DanksagungWenn ein Buch erscheint, so steht immer der Autor im Vordergrund. Das ist nicht besonders fair, weil es immer vieler Menschen bedarf, die ein Solches überhaupt erst ermöglichen. Das war natürlich auch bei mir der Fall. Und die lieben Menschen, die mir während des Schreibens eine große Hilfe gewesen sind, sollen hier nun besondere Erwähnung finden. Ich hoffe, an alle gedacht zu haben. Zunächst richtet sich mein Dank an meinen Verlag. Für die offenen Ohren und die motivierenden Worte, wenn ich vor einem leeren Blatt gesessen habe und nicht weiter wusste. Was bei meinen geistigen Ergüssen schlussendlich dort gelandet ist, musste alles zunächst meine Lektorin lesen. Das war bestimmt nicht immer einfach. Und was sie daraus gemacht hat, ist einfach phänomenal. Innigen Dank also, liebe Sabrina Georgia. Im gleichen Atemzug möchte ich natürlich auch meiner Testleserin danken, der während der Lektüre bestimmt die Augen wehtaten, wenn ich an all meine Komma- und Rechtschreibfehler denke. Herzlichen Dank für die Mühe und die Geduld, Janina Reger, Verena Bielefeldt, Yvonne Witt, Rebecca Stehlin. Keinen geringen Anteil an der Fertigstellung hatten auch die liebe Isabell Bayer! Hier soll ein großes Dankeschön stehen, für die Hilfe die du mir geschenkt hast. Jeder soll wissen, was du für ein großartiger Mensch für mich bist, der für mich so einzigartig ist. Dafür vielmals danke! Immer, wenn ich davor war, alles hinzuwerfen, hast du mich aufgebaut und zum Weitermachen ermutigt. Du bist Tag und Nacht für mich da!

Vielen Dank an alle – ich weiß das echt zu schätzen.

Prolog

Lucy, mach keinen Mist! Du musst hier raus!«, rief er dieser Plage zu.

Ich wurde dadurch so wütend, dass ich ihn in den Arm biss, was ihn ächzen ließ.

»Ich habe die Faxen dicke! Ich war zu lang untätig. Wenn wir hier rauskommen, lerne ich jeden gottverdammten Zauber, den es gibt und schicke alle zur Hölle, die mir sagen, ich solle weglaufen!«

Die Ansprache der Hexe hatte ich nicht erwartet. Verdutzt sah ich mit großen Augen den Mann an, der mir erst seine ewige Liebe geschworen hatte und jetzt an der Seite dieses kleinen rothaarigen Flittchens blieb. Ausgerechnet sie brüllte mir zu:

»Aurelia! Ich wollte dich retten, dir helfen, ein Leben führen zu können, aber du willst mich ständig nur töten! Ich glaube, dir schlägt der Fluch auf den Magen.«

Langsam führte sie diese komischen Lichtkugeln zusammen, die riesig wurden. Der Verräter kam aus dem Staunen nicht heraus und das ließ mich nur noch wütender werden. Als wäre das etwas Besonderes!

Ich rannte rasend vor Wut auf sie zu.

»Es tut mir leid«, flüsterte sie, was vermutlich nur ich verstehen konnte.

Mit einer Hand nahm sie den Seelensplitter und fügte ihn der komischen Kugel hinzu, ehe sich das Licht einen Weg in meine Richtung bahnte. Bevor ich mich versah, wurde alles schwarz um mich herum.

***

Dunkelheit. Wie ich sie hasste! Ich konzentrierte mich darauf, meine Augen zu öffnen, und tatsächlich funktionierte es. Ich blinzelte in die strahlenden Lichter um mich herum. Wo war ich denn jetzt schon wieder? Das Ganze sah aus, als wäre ich in einem riesigen Kristall. Instinktiv schlug ich dagegen, doch es half nichts. Ich saß fest. Schon wieder.

Irgendwann gab ich es auf, darauf einzuprügeln. Es brachte ja doch nichts. So entschied ich, mich ein wenig umzusehen. Mit der flachen Innenseite meiner Hand strich ich die Wand entlang.

»Kalt«, flüsterte ich.

Die Wände wirkten, als wären sie tatsächlich aus einer Art Kristall, der die Farben widerspiegelte. Jedes Mal, wenn ich ihn berührte, spielte alles verrückt. Die Lichter bewegten sich in alle Richtungen, als hätte man Farbe in Wasser geträufelt. Ich ließ die Wand nicht los, während ich einmal umher ging. Wie ein Rechteck aufgebaut, sah alles aus, wie im Glashaus. Es fehlten nur noch die Steine.

»Der Seelensplitter«, fiel es mir ein. »Ich sitze tatsächlich im Seelensplitter!«

Seufzend wanderte mein Blick umher.

»Nicht einmal eine schäbige Matratze habe ich hier! Wobei ... ein Bett wäre netter.« Ich zuckte erschrocken zusammen, als aus dem Nichts ein Bett auftauchte. Es war einfach so erschienen. Wie war das möglich?

»Genial!« Mit einem lauten Lachen warf ich mich aufs Bett.

Egal, was hier gerade passierte, das war definitiv besser als eine schäbige Matratze!

Mein Blick wanderte nach oben.

»Wunderschön«, war das Erste, was mir dazu einfiel.

Als könnte ich die Farben einfangen, streckte ich meine Hand mit der Innenfläche nach oben aus, nur um sie kurz darauf wieder sinken zu lassen. Dieses Farbenspiel und der Raum hatten etwas Magisches an sich. Fast so, als würde sie meine ganzen negativen Emotionen auflösen wollen.

Eine gefühlte Ewigkeit wartete ich darauf, dass etwas passierte, wobei ich mich in die fluffigen Kissen kuschelte. Es fühlte sich erstaunlich gut an. Als hätten sich auf einmal alle Probleme in Luft aufgelöst.

Ich grinste und rollte mich im Bett hin und her, bis mich Stimmen aufhorchen ließen. Sie kamen mir bekannt vor. Zayns Stimme hätte ich überall erkannt und die von dieser hässlichen Hexe war für mich wie ein Tinnitus im Ohr. Okay, ich konnte sie hören, aber ich war nicht in der Lage sie zu sehen. Warum? Wieso konnte ich sie nicht sehen?

Ich schloss die Augen und konzentrierte mich darauf, Zayn zu erspüren. Als ich jedoch meine Lider hob, stockte mir der Atem. Es war nicht Zayn, den ich sah. Es war die Hexe, die mich genauso verdattert anstarrte, wie ich mich fühlte.

»Was ist?«

»Ach, nichts. Weißt du, ich bin müde und würde gern gleich schlafen gehen«, verabschiedete sie Zayn hastig und schloss die Tür hinter sich.

Erst schaute sie sich um, doch scheinbar war außer uns sonst niemand anwesend.

»Wie ist das möglich? Du bist doch umgekommen«, fing sie an, leise darüber nachzudenken.

Ich und tot? Was glaubte sie denn? Dass ich aus Zucker war? Ich war ein verfluchter Vampir! Und dazu ein verdammt hübscher.

»Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, du elende Plage, aber wie du siehst, erfreue ich mich bester Gesundheit.« Sie lief den Flur auf und ab, während sie vermutlich alles Revue passieren ließ.

»Das ist verrückt! Ich habe dich also nicht umgebracht? Aber wo bist du denn? Etwa erneut in der Spiegelwelt?« Kopfschüttelnd verneinte ich.

»Das hier ist keine. Aber es sieht aus wie ein Glashaus. Alles ist Licht durchflutet und warm. Keine Ahnung, aber es ist kein Drecksloch wie damals.« Ihr ständiges Hin- und Herlaufen nervte mich. »Falls es der Hoheit nichts ausmacht, würde ich gern hier raus, und zwar heute noch.«

Da sie nicht reagierte, machte ich mit einem Pfiff auf mich aufmerksam. Sie hielt erst inne, dann stellte sie sich plötzlich vor mich.

»Glaub mir, wenn ich könnte, würde ich es tun. Ich habe jedoch keinen Schimmer ... Weder worin du da steckst, noch wie ich dich rausholen kann.«

Genervt verdrehte ich die Augen.

»Dann finde einen Weg! Immerhin bist du schuld, dass ich hier drin bin.« Das hatte anscheinend gesessen. Ich konnte an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, dass sie Schuldgefühle hatte. Perfekt!

1

Ähm, Emilia? Könntest du mir das hier noch einmal erklären? Das kapiere ich nicht wirklich.« Nach einem Augenrollen kam meine Freundin zum Tisch und beugte sich über das Buch.

»Herr ...«

Chris wandte sich grinsend an uns, als er merkte, dass mir der Name des Lehrers zum wiederholten Male, an diesem Tag nicht einfallen wollte.

»Mein persönlicher Favorit ist ja Lustmolch.« Er zwinkerte mir zu.

»Chris, hör auf, ihr so einen Blödsinn in den Kopf zu setzen.« Die Elfe schimpfte zwar mit ihrem Freund, aber ein Lächeln konnte sie sich dennoch nicht verkneifen. »Pass auf, Lucy, es ist eigentlich ganz einfach: Es gibt die Menschenwelt und die magische Welt. Beide funktionieren parallel zueinander, auf ihrer ganz eigenen Art. Lynouna ist der Menschenwelt ziemlich ähnlich. Es gibt tatsächlich auch hier normale Menschen, wie du es sagen würdest. Sie wurden ohne Magie geboren. Sowas passiert eher weniger, aber es kommt vor. Größtenteils gibt es aber verschiedene magische Wesen. Darunter Hexen, Elfen, Werwölfe und Vampire.« Sie stoppte, um Chris, der abermals einen seiner Sprüche gemurmelt hatte, böse anzuschauen.

Die beiden waren einfach zu süß! Kurz darauf drehte sich Emilia wieder zu mir und fuhr fort.

»Die Wesen wirst du mit der Zeit hier im Unterricht kennenlernen und die, die wir schon hatten, werden wir dir beibringen. Wir ...«

Die Klingel unterbrach sie während der Erklärung.

»Okay, da wir jetzt zum nächsten Unterricht müssen, würde ich vorschlagen, ich gebe dir heute Mittag Nachhilfe. Du musst einiges an Grundwissen aufholen.«

Nickend stimmte ich ihr zu und packte meine Sachen in den Rucksack. Der erste Schultag war jetzt schon fast zwei Wochen her, aber es kam mir trotzdem jede Kleinigkeit beeindruckend vor. Selbst die von allein erstrahlenden Lichter oder diese riesige magische Pinnwand. So gut wie alles in dieser Schule funktionierte mit Magie. Ein Wunder, dass man sich noch eigenhändig den Hintern abwischen musste.

»Lucy, ich weiß, alles muss sehr überwältigend auf dich wirken, aber du darfst nicht auffallen.«

Ich wusste, Emilia hatte Recht, aber was sollte ich machen? Es war ständig so, als würde ich es zum ersten Mal sehen.

Hätte man mir vor einigen Monaten etwas von Zauberei, Hexerei oder magischen Tieren erzählt, hätte ich denjenigen für total durchgeknallt gehalten. Es war allerdings wirklich wahr – und ich befand mich mittendrin. Manchmal fühlte es sich an, als würde das Ganze einer Geschichte entspringen, die in einem meiner Regale stand.

»Lucy, trödel nicht so! Wir müssen uns beeilen. Bei Herrn Thaolon dürfen wir nicht zu spät kommen.«

Zügig schloss ich zu der kleinen Gruppe auf. Noch immer war ich es nicht gewohnt, endlich Freunde zu haben.

»Ist der Rotschopf schon wieder von den Lichtern fasziniert?« Diese Stimme konnte ich bestens zuordnen, denn sie war genauso nervig, wie die von Bianca, der Mobberin aus meiner alten Schule.

»Saandra, was willst du?«, ergriff Emilia sofort Partei für mich.

»Misch dich nicht ein, Elfe.« Die Schreckschraube drehte sie sich daraufhin erneut zu mir. »Du könntest in einer anderen Gesellschaft weitaus mehr erreichen.«

Die schwarzhaarige Hexe grinste, was eine Reihe weißer Zähne zum Vorschein brachte.

»Danke, aber ich bin bereits in bester Gesellschaft.« Nun war ich es, die sie an grinste.

Eingeschnappt streckte sie die Nase in die Höhe und machte Anstalten zu gehen. Nachdem sie allerdings ein paar Schritte gegangen war, wandte sie sich nochmals um.

»Es liegt an dir, wie das Schuljahr für dich ablaufen wird.«

Damit stolzierte sie davon, ihren Freundinnen hinterher.

»Diese dämliche Kuh! Was fällt der eigentlich ein? Nur, weil sie glaubt, dass Lucy zuvor von einem Ratsmitglied unterrichtet wurde, würde sie Sonderrechte haben.« Meine blonde Freundin machte ihrem Ärger Luft, doch plötzlich verstummte sie.

Verwundert wandte ich mich um und erkannte, dass Chris ihr einen zärtlichen Kuss auf die Lippen gegeben hatte. Die beiden passten perfekt zusammen.

»Bevor jemand Lucy auch nur ein Haar krümmen kann, werde ich ihn aus dem Weg räumen. Das verspreche ich dir, mein Schatz.«

Scheinbar zufrieden nickte meine Freundin. Ich ließ die Turteltauben allein und marschierte vor ihnen in den Klassenraum. Es waren schon fast alle auf den Plätzen. Da es keinen festen Sitzplan gab, suchte ich mir aus Gewohnheit in der hintersten Reihe einen Tisch aus, der unbeachtet geblieben war. Nur wenigen Minuten später klingelte es und auch meine verliebten Freunde schlenderten in den Klassenraum. Gleich hinter ihnen folgte der Lehrer.

Herr Thaolon war recht gewöhnungsbedürftig. Er ließ keine Gelegenheit aus, jemanden zu betatschen oder zu Spannern. Das hatte ich mehrfach beobachten müssen. Einmal hatte er sogar vor einem Fenster der Umkleideräume der Mädchen gestanden. Ich wollte mir nicht vorstellen, was der schmierige Typ da gesucht hatte.

»Guten Morgen, Klasse.«

Wie in einem Chor begrüßten wir ihn ebenfalls. Wie jedes Mal, wenn er den Unterricht begann, schlug er ein kleines braunes Buch auf und schrieb etwas hinein. Was er darin wohl notierte? Als könnte er meine Gedanken lesen, wiederholte Chris meine Frage.

»Ich wüsste zu gern, was der Lustmolch da immer in sein Heft schreibt. Bestimmt macht er sich Stichpunkte für seine nächste Flamme.« Für den Kommentar kassierte er einen strafenden Blick von Emilia und von seinem Kumpel neben sich ein High Five.

»Ich möchte heute, dass ihr einen neuen Schüler begrüßt. Er hatte, genau wie unser letzter Neuzugang, lange Zeit Privatunterricht. Heißt ihn bitte Willkommen.« Er wandte sich der Tür zu. »Junge, du kannst nun rein kommen.«

Ich hielt den Atem an, als sich der Neuling zeigte. Es war niemand Geringeres als Evan Asag, der Hexer, der mich erst unterrichtet und dann an meinen Vater verraten hatte. Was zur Hölle machte er denn in unserer Klasse? War er lebensmüde?

»Setz dich am besten neben Lucy.« Er zeigte auf den leeren Platz neben mir.

»Hallo Lucy. Können wir nach dem Unterricht kurz reden?«

Keine Ahnung warum, aber ich war plötzlich nicht mehr böse auf ihn. Ich hatte das Gefühl, etwas stimmte bei der ganzen Sache nicht.

»Okay. In der Mittagspause?«

Evan nickte und wir konzentrierten uns nach einer forschen Ermahnung Emilias auf den Unterricht. Meine Freundin nahm die Schule erstaunlich ernst.

»Als Erstes werden wir uns unterschiedliche Wesen ansehen. Fangen wir doch mit dem Formwandler an«, sprach der Lehrer, den Blick zur Tafel gerichtet und ich begann, mir hoch motiviert Stichpunkte zu notieren.

»Formwandler können sich in jede beliebige Person verwandeln. Das ist ihnen jedoch nur möglich, wenn sie die Person zuvor einige Sekunden lang angefasst haben. Kann mir einer sagen, warum das so ist?«

Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Sich in jemanden anderes verwandeln zu wollen, um vielleicht irgendwem zu schaden? Schon ziemlich krank! Ganz nach dem Motto: Hey, entschuldige. Ich verwandle mich nur mal kurz in dich, damit ich in deinem Namen Schaden anrichten kann. Klar, keiner konnte sich aussuchen, mit welchen Anlagen man geboren wurde, dennoch gehörte sich so etwas einfach nicht.

Ich konzentrierte mich wieder auf den Unterricht und bemühte mich, dem Lehrer zu folgen.

»Schlagt eure Bücher auf. Kapitel 8. Und schreibt mit: Diesen Wesen ist es möglich, durch die Fähigkeit der Gestaltwandlung, nahezu unerkannt zu bleiben. Ein Merkmal, an dem man einen Formwandler erkennen kann, ist das besondere Leuchten der Augen bei Kerzenschein. Formwandler werden von den gleichen Gefühlen getrieben, wie normale Menschen. So handeln sie oft Aufgrund von Eifersucht, Gier oder Einsamkeit. Es scheint auch so zu sein, dass nicht jeder von ihnen die gleichen Fähigkeiten besitzt.«

Plötzlich klingelte es und Herr Thaolon beendete den Unterricht. Er sprach ziemlich schnell, sodass ich Mühe hatte, alles aufzuschreiben.

»Oh man, das war was. Ich kam kaum hinterher.«

Meine Freunde lachten.

»Du weißt aber schon, dass das alles auch im Buch steht und du es dir später in aller Ruhe abschreiben hättest können?« Nach dieser Äußerung musste ich mit einstimmen.

»Echt? Das habe ich gar nicht bemerkt. Ich war irgendwie total in seine Erzählungen vertieft. Für einen solchen Lustmolch kann er ziemlich gut reden.«

Chris bellte kurz laut auf.

»Wen wundert es? Mit seinen großen Reden bekommt er ja auch die ein oder andere Flamme ab.« Der Werwolf sprang zur Seite, da Emilia ihm in die Flanke geboxt hatte. »Hey nicht so gewalttätig ja? Ich will das Schuljahr überleben.«

Emilia gab belustigt kleinbei und wir verabschiedeten uns. Jetzt hatte jeder eine Stunde Magie und eigene Anwendungen. Dazu musste jedes Wesen in seinen zugewiesenen Raum. Dort befanden sich nur Gleichgesinnte. Laut meiner Großmutter sollte so jeder Unterricht der dazu passenden Spezies angepasst sein. So bekamen die Hexen eine Hexe oder einen Hexer als Lehrer, die Vampire einen Vampir, die Werwölfe einen Werwolf und so weiter. Erst hatte ich ein wenig Angst davor, was passieren könnte. Dass meine Magie vielleicht noch nicht ausgereift genug war oder so. Dieser Zweifel wurde verstärkt, als mein kläglicher Versuch, eine Feuerkugel zu erschaffen, geradezu im Chaos endete. Ich hoffte inständig, Abigail nahm es mir nicht krumm, immerhin hatte sie wegen mir nun so gut wie eine Glatze.

»Nun schließt die Augen und versucht, eure Atmung zu entspannen. Konzentriert euch darauf. Lasst die Magie durch euch strömen und spürt sie.«

Meine Großmutter hatte das Ganze mit Sicherheit bereits viele Male erklärt. Mit zu einem kleinen Schlitz geöffneten Augen beobachtete ich die anderen Hexen. Plötzlich bekam ich einen Schlag mit einem Notizbuch oder Ähnlichem auf den Kopf. Es tat eigentlich nicht wirklich weh, aber ich erschrak tierisch.

»Konzentriere dich, junge Dame!« Nun hatte ich meine Lider komplett gehoben und starrte meine Großmutter schockiert an. Hatte sie mich eben wirklich junge Dame genannt? Mit einer mahnenden Miene erinnerte sie mich, am Unterricht teilzunehmen. Ich wusste, dass besonders ich es nötig hatte, dennoch wirkte es manchmal surreal.

»Haltet eure Handflächen nach oben. Stellt euch nun eine kleine Flamme vor. Und wenn ich sage, eine Kleine, dann meine ich das auch. Sie sollte nicht größer als eine Glühbirne sein.«

›Na danke‹, dachte ich.

Ich wusste, dass sie diese Anspielung an mich gerichtet hatte. Rosalia war eine liebenswerte Oma. Na ja, auf ihre Weise. Allerdings war sie eine strenge Lehrerin. Wir hatten etliche Unterhaltungen geführt, wie wichtig es war, sich unter Kontrolle zu haben. Während eines letzten Blicks über die Klasse erhaschte ich einen auf Evan. Seine Glühbirnenflamme klappte natürlich sofort. Wie sollte es sonst auch sein bei seiner Erfahrung.

Die Augen erneut komplett geschlossen, bemühte ich mich, die Konzentration aufzubauen. Frustriert ließ ich nach einer Weile die Hände sinken und öffnete wieder die Augen. Noch bevor meine Großmutter erneut schimpfen konnte, klingelte es.

Froh, endlich etwas frische Luft genießen zu können, holte ich mir eine heiße Suppe mit Kartoffeln und Würstchen in einem Becher und setzte mich auf eine Bank, die unter einem Baum stand. Es dauerte nicht lang, bis mich Evan fand. Mir fiel erst dann auf, dass wir vergessen hatten, einen Ort auszumachen.

»Hallo Lucy. Ich habe dich schon gesucht«, sagte der Hexer und nahm neben mir Platz.

»Ja, entschuldige. Nach der Stunde musste ich an die frische Luft.«

Evan winkte ab.

»Alles gut. Kann ich verstehen. In den Räumen der Hexerei kann es ganz schön stickig werden.«

Es trat eine Stille ein, die sich ziemlich unangenehm anfühlte.

»Weißt du«, fing er etwas schüchtern an. »Ich möchte mich gern nochmals bei dir entschuldigen. Es war für mich echt nicht leicht, euch zu hintergehen. Ich habe es nicht gemacht, um euch zu schaden. Ich ...«

Er stockte und schaute mit traurigem Blick zu Boden.

»Es ist wegen Fiola oder?«

Mit großen Augen schaute mich mein blonder Freund nach dieser Äußerung an.

»Woher weißt du das?«

Ich warf den Becher, in dem vorher das Mittagessen gewesen war, in den Mülleimer neben der Bank.

»Ich will ehrlich sein. Zayn hat mir von ihr erzählt.«

Es war nicht meine Art, jemanden anzulügen, obwohl Zayn gesagt hatte, ich sollte mit dieser Information vorsichtig sein. Keine Ahnung, wieso er es angemerkt hatte.

»Ja, es stimmt. Fiola ist meine kleine Schwester. Sie ist die einzige Familie, die ich noch habe.« Evan schaute beschämt auf seine Schuhspitzen und spielte mit den Händen herum.

»Das verstehe ich. Wirklich. Ich bin auch nicht böse. Klar, ich war zuerst geschockt und habe es nicht verstanden, doch dann erzählte mir Zayn von seinem Verdacht und, dass du eine Schwester hast. Ist sie in Gefahr?«

»Das ist eine längere Geschichte. Weißt du, dein Vater hat damals unser Dorf niederbrennen lassen. Wir wurden mit einigen anderen Hexerkindern gefangen genommen und sollten für ihn die schwarze Magie erlernen. Mit unserer Hilfe wollte er dich finden. Damals war ich gerade mal zehn Jahre meine Schwester acht. Das waren harte Zeiten. Da die Magie meiner Schwester nicht so stark war, wie die meine, hielt er sie gefangen. Damit blieb ich gefügig. Es starben allerdings immer mehr der Kinder, bis nur noch eine Hand voll übrig blieben.«

Ich seufzte.

Mein Erzeuger war ganz klar ein grausamer Mann. Was sollte das alles? Warum machte man so etwas?

Evan fuhr mit seiner Erklärung fort:

»Irgendwann gab es nur noch mich und ich wurde sozusagen sein kleiner Laufbursche. Beinahe alles habe ich für ihn erledigt. Dich zu finden und auszuspionieren, war meine größte und schwierigste Aufgabe. Von Anfang an fiel es mir nicht leicht. Ich bin ein ziemlich guter Schauspieler, musst du wissen und meine Magie ist, ohne prahlen zu wollen, recht groß. Selbst den Rat konnte ich davon überzeugen, nur Gutes im Sinn zu haben.« Evan zog ein kleines Bild aus seiner Hosentasche und reichte es mir. »Es bedarf jahrelangem Trainings, um stark genug zu sein und doch schwach zu wirken.«

Ich schaute mir das Foto genau an. Es zeigte Evan, als er jünger war. Sein rundes Gesicht, die Nase mit der klitzekleinen Wölbung und diese blonden Wuschelhaare hatte er bereits früher besessen. Neben ihm saß ein Mädchen, das ihm ziemlich ähnlich sah. Fiola hatte jedoch braunes Haar, im Gegensatz zu meinem blonden Freund, aber dieselben braunen Augen. Ihre Gestalt war zudem etwas kleiner. Man erkannte jedoch sofort, dass sie Geschwister waren.

»Sag mal, wenn ihr beide Geschwister seid, warum ist ihre Magie nicht so ausgeprägt, wie deine?«

Bevor der Hexer antworten konnte, klingelte es. Wir mussten zum Sprachunterricht. Langsam aber sicher verstand ich das Konzept. Es war dem der normalen Menschen ähnlich. Der Sprachunterricht diente, genau, wie in meiner alten Schule dazu, verschiedene Sprachen zu lernen, um Zauber oder Sprüche richtig ausführen zu können.

»Ich erzähle dir später gern mehr von meinem Leben. Jetzt sollten wir nicht zu spät kommen.« Evan nahm das Bild wieder an sich und steckte es zurück in seine Hosentasche.

Wir mussten uns wirklich beeilen, wenn wir noch vor der Lehrerin ankommen wollten. So liefen wir los und erreichten keuchend und nur Sekunden früher als Frau Miureall das Klassenzimmer.

»Setzt euch«, sagte sie und drehte sich wie die meisten Lehrer direkt zur Tafel.

Wir saßen in einem großen Raum, der mit grellem Licht durchflutet wurde. Es wirkte dennoch warm und freundlich. Emilia saß mit Chris an einem Tisch und auch Evan nahm neben einem Mädchen Platz. Ihre langen braunen Haare waren gewellt und wirkten seidig weich. Wie bekam sie das nur hin? Meine Haare sahen hingegen ständig aus wie ein Vogelnest. Ich schnappte mir den letzten freien Platz.

»Hey Lucy, schön dich wiederzusehen.« Es war Karoline, eine Schattenwanderin. Dafür, dass sie von bösen Schattenwesen abstammen sollte, die den Legenden nach nur Unglück und Verrat verbreiteten, erschien sie mir eigentlich immer gut gelaunt und freundlich zu sein.

»Hey Karo, freue mich auch. Wie geht es Elli?« Meine neu gewonnene Freundin grinste und zeigte mir einen langen Kratzer auf ihrem Unterarm.

»Der Trulla geht es zu gut. Im Training hat sie mich nur um Haaresbreite mit einem Schattendoppelgänger verfehlt. Und die hier wird mir wohl für immer bleiben.« Mit diesen Worten drückte sie auf der Narbe herum, die scheinbar keine Schmerzen mehr verursachte.

»Tut das denn nicht weh?«, fragte ich lieber noch einmal nach, doch sie schüttelte den Kopf.

»Nein, überhaupt nicht. Weißt du, das ist noch gar nichts. Meiner Tante wurde mal von ihrem Schattenwesen der halbe Arm abgerissen.« Karo zeichnete eine Linie in der Mitte des Unterarms, um zu verdeutlichen, bis wohin er jetzt weg war.

»Aua! Das müssen höllische Schmerzen gewesen sein.« Schockiert legte ich eine Hand an den Mund.

»Oh ja, wochenlang. Aber ihr Mann ist ein begnadeter Pfleger. Er war stets an ihrer Seite und hat alles getan, damit sie schnell wieder fit wurde.« Als ich bemerkte, dass sich Frau Miureall umgedreht hatte und die Klasse etwas fragte, flüsterte ich meiner Freundin zu:

»Und wie macht sie das jetzt?« Mit einer kleinen Handbewegung deutete ich nur eine Hand an.

Karoline grinste und und streckte ihren Zeigefinger aus.

»Du darfst nicht vergessen, wir sind Schattenwesen. Wir können für eine begrenzte Zeit einen Schatten formen.« Sie zauberte einen kleinen Minimenschen auf unseren Tisch, während sie zur Lehrerin schaute. Der kleine Mensch fing an zu tanzen und sprang herum, bis wir anfingen, zu lachen.

»Miss Byron, Miss Elodie, was bitte ist so lustig?«

Ertappt wandten wir uns beide erneut dem Unterricht zu. Die gesamte Klasse starrte uns an, während Frau Miureall mit einem wütenden Gesichtsausdruck auf uns zu gestampft kam.

»Worüber lachen Sie beide?«

Augenblicklich ließ Karoline den kleinen Schattenmenschen verschwinden und wir taten, als wäre nichts gewesen. Ein ungewohntes Gefühl stieg in mir auf. Zwar schimpfte die Lehrerin mit uns, aber ich fühlte mich das erste Mal gut dabei. Ich wusste nicht genau, wie ich es beschreiben sollte, aber es tat gut. Es war einfach herrlich, mit Freunden zu lachen, Quatsch zu machen und gemocht zu werden.

»Da Sie meinen Unterricht so lustig finden, möchte ich, dass sie nach der Stunde hier sauber machen, um wenigstens etwas Sinnvolles zu erledigen.« Damit war das Thema für sie abgehakt und der Unterricht ging weiter.

Ihre schulterlangen braunen Haare hüpften bei jedem ihrer Schritte zurück zur Tafel. Den Rest der Stunde konzentrierten wir uns auf die Aufgaben und bemühten uns, brav mitzuschreiben. Als es schlussendlich klingelte und wir unsere Sachen packten, erinnerte uns Frau Miureall an unsere Lektion.

»Na toll, jetzt kommen wir sicherlich zu spät«, schnaubte die Schattenwanderin, nachdem wir zur letzten Stunde des Tages die Tür des Kräuterlehrraums erreichten.

Das Schlimmste an der Sache war, dass wir erneut diese Lehrerin hatten. Ich wusste nicht wieso, doch ich mochte sie aus irgendeinem Grund nicht.

»Wenn sich alle setzen, können wir endlich anfangen.«

Dieses Mal befand ich mich neben Evan. Eine richtig gute Entscheidung, wie sich herausstellte. Er erklärte mir jeden einzelnen Gegenstand und jede Pflanze. Das war definitiv sein Spezialgebiet.

»Mach dir keine Sorgen. Ich werde es schaffen, dass du durch diesen Kurs kommst. Das ist das Mindeste, was ich für dich tun kann.«

Dankbar lächelte ich ihn an und bemühte mich, mir so viel zu merken, wie ich dazu in der Lage war. Anders als früher gab er mir sogar die Zeit, mir Notizen zu machen. Ich spürte, dass er das, was er getan hatte, wirklich bereute. Warum wusste ich nicht, aber es schien, als könnte ich seine Gefühle wahrnehmen. Echt seltsam.

2

Zwei Wochen ganz gewöhnlicher Schulalltag! Was hätte ich nicht dafür gegeben, wäre Gedion auf die Idee gekommen, jetzt anzugreifen. Das wäre eine willkommene Abwechslung zu diesem tristen Dasein gewesen.

Seit Aurelia verschwunden war, fühlte ich mich irgendwie befreit. Eigentlich ziemlich mies, das so zu empfinden, aber es hatte mir eine große Last vom Herzen genommen. Sie war schlussendlich doch nicht meinetwegen gestorben, sondern weil es ihre eigene Entscheidung gewesen war. Lucy hatte ihr anscheinend mehrmals die Wahl gelassen, doch am Ende war es Aurelias Dickschädel gewesen, der ihr Schicksal besiegelt hatte.

»Oh, Zayn, hier bist du!« Abvia Miureall, die Lehrerin für Sprachen und Kräuterkunde, strahlte mich an, wobei ihre Vampirzähne gut zur Geltung kamen.

Sie schien sich etwas in mich verschossen zu haben. Das schmeichelte mir zwar, doch irgendwann würde ich ihre Hoffnungen zerplatzen lassen, wie eine Seifenblase. Gerade jetzt half es mir jedoch noch, den Schein zu wahren, weshalb ich sie ebenfalls angrinste.

»Abvia. Wie immer befinde ich mich in der Sporthalle«, erwiderte ich und hob die Hände.

Wo sollte ich als Lehrer für Verteidigung auch sonst sein?

Wobei ich ja nebenbei noch einer anderen Aufgabe nachkam, die allerdings nur den wenigsten bekannt war. Lucys Sicherheit hatte für mich stets die höchste Priorität. Deshalb erkundete ich in jeder freien Minute die Umgebung und hielt nach Gefahren Ausschau oder aber, ich warf ein Auge auf die kleine Hexe. In letzter Zeit schien das eine recht einfache Aufgabe zu sein. Lucy war voll und ganz damit beschäftigt, in der neuen Schule klarzukommen. Glücklicherweise hatte sie Emilia und Chris an ihrer Seite, denn allein wirkte es wie ein unüberwindbares Hindernis.

Bei dem Gedanken musste ich leicht schmunzeln. Wer hätte gedacht, dass ich jemals froh sein würde, wenn ein Schützling von einer Elfe und einem Werwolf begleitet wurde.

»Hast du heute Abend schon etwas vor? Es ist Neumond«, plapperte Abvia drauflos und ich unterdrückte ein Seufzen.

Natürlich! Sie erhoffte sich ein Date. Also musste ich wohl oder übel meine Tarnung fallen lassen und ihr eine Abfuhr erteilen. Welche Ausrede sollte ich nutzen?

»Zayn!«, tönte allerdings eine Stimme, ehe ich etwas sagen konnte.

Rosalia näherte sich energischen Schrittes und mir schwante Böses. Wieso war sie denn jetzt schon wieder sauer auf mich?

»Hexe im Anmarsch. Ich lasse euch mal besser allein.« Selbst Abvia bemerkte, dass Gefahr in Verzug war und suchte das Weite. Dumm war sie also nicht.

Prima! Dann musste ich zumindest jetzt noch kein Drama heraufbeschwören.

»Alles klar«, knurrte ich nur und die Vampirin verschwand in Windeseile.

Nachdem die alte Hexe und ich allein zurückblieben, wartete ich auf das Donnerwetter. Das blieb zwar aus, doch hätten Blicke töten können, wäre ich augenblicklich gestorben.

»Du hast keine Zeit, um zu flirten, Vampir!«, murmelte sie und ich schnaubte automatisch.

»Ich und flirten?«

Die Hexe war wohl kurz vor dem Alterswahnsinn! Wie kam sie denn ausgerechnet auf diese Idee?

»Nun komm schon! Du hast dem Vampirweib doch von Anfang an den Kopf verdreht. Deine Aufgabe ist es, Lucy zu beschützen, vergiss das nicht!« Ihre gezischten Worte brachten mich dazu, die Stirn zu runzeln, aber ich entgegnete nichts. Sollte die Alte auf dieser Spur sein, erkannte sie zumindest nicht, welche Gefühle wirklich in mir tobten.

Lucy war mittlerweile mein Leben. Nachts schlief ich vor dem Fenster ihres Zimmers, um schnell bei ihr sein zu können, falls nötig, tagsüber hielt Minou für mich Wache. Ich konnte es jedes Mal kaum erwarten, bis ich sie im Training wiedersehen durfte. Dass die Großhexe dies nicht wusste, war meine Rettung.

»Hast du noch weitere Kommentare, die du loswerden willst? Falls nicht, werde ich zurück an meine Mission gehen.« Betont überheblich wandte ich ihr den Rücken zu. Ein großer Fehler, wie sich herausstellte, denn aus dem Boden wuchsen plötzlich Ranken, die mich an Ort und Stelle fesselten.

»Du weißt genau, dass ich dich nicht leiden kann, Vampir! Wieso machst du es uns also noch schwerer?«, fauchte Rosalia, aber ich zuckte nur mit den Schultern.

»Du hast deinen Standpunkt klar und deutlich gemacht und ich verhalte mich nur, wie du es gern hättest. Wieso also dein Missfallen?«

Langsam lockerten sich die Ranken und ich vernahm ein gedämpftes Fluchen. Die Großhexe wirkte, als wüsste sie selbst nicht, was sie wollte. Das schien so eine Macke der Frauen in dieser Familie zu sein.

Angestrengt unterdrückte ich ein Grinsen. Gerade war es vermutlich der schlechteste Zeitpunkt, diese Emotionen zu zeigen. Die Ranken konnten sich jederzeit erneut um meinen Hals legen.

»Pass einfach auf, was du von dir gibst, wenn du nicht als Vampir auf einem Spieß enden willst«, drohte sie mir, aber mich ließ es kalt.

Mittlerweile hatte ich herausgefunden, dass sie nicht immer das meinte, was sie sagte.

Mit einem Ruck wurde ich zu Boden befördert. Die Alte wollte mich ganz offensichtlich im Staub liegen sehen, doch ich rollte mich elegant ab und kam so wieder auf die Beine. Rosalia verzog die Mundwinkel. Okay, damit hatte ich nicht gerechnet. Sie lächelte.

»Wir haben Neuzugänge in der Schule. Fühl ihnen am besten auf den Zahn ...«

»Das hatte ich vor. Nach dem Unterricht.«

Wieso ich es bevorzugte, sie zu ärgern, wusste ich nicht genau, aber es gelang mir ständig.

***

Nach dem Unterricht näherte ich mich einer Gruppe von Lehrern, die sich in der Cafeteria ihren Kaffee gönnten. Mein Ziel war es, mich mit den Anwesenden anzufreunden, was sich jedoch als schwieriger herausstellte, als erhofft. Die meisten Kerle sahen mich irgendwie als Rivalen an – mit Ausnahme vielleicht von Direktor Elemthein und seinem Stellvertreter Arrenstein. Für die beiden war ich schlichtweg der Lehrer für Verteidigung.

»Ich glaube, wir wurden uns noch nicht vorgestellt. Mein Name ist Tamyr Edan. Ich bin der neue Hausmeister an der Schule«, sprach mich auf einmal einer dieser Typen an und ich fixierte ihn mit meinem Blick.

Auf mich wirkte er seltsam durchtrainiert für einen einfachen Hausmeister. Tamyr Edan war jung, trug ein weißes Hemd und eine schwarze Hose, das ebenfalls nicht ganz zu seinem Beruf passen wollte. Dagegen wirkte ich in meinem Kampfoutfit wie der größte Rüpel der Schule.

»Zayn Knight«, stellte ich mich vor und deutete automatisch eine kleine Verbeugung an.

Der neue Hausmeister grinste. Na klasse! Von diesem Zahnpastalächeln konnte man ja blind werden. Woher kam der Kerl? So, wie er drauf war, würde es eine Menge Unruhe in den Reihen der Schülerinnen geben. Natürlich war ich nicht besorgt, dass auch Lucy von diesem Sonnyboy beeindruckt sein könnte, aber dennoch war er mir sofort unsympathisch. Tamyr Edan hatte etwas an sich, das verdächtig nach Spitzel stank.

»Ich denke, wir werden uns wunderbar verstehen.«

Davon ging ich ganz und gar nicht aus, nickte jedoch leicht.

»Willkommen«, murmelte ich.

An den unteren Treppenstufen, die zu den Zimmern führten, erspähte ich Evan. Er bedachte mich eines alarmierten Blicks und deutete danach eine leichte Kopfbewegung in Richtung des oberen Stockwerks an. Ich senkte den Kopf, um ihm zu zeigen, dass ich verstanden hatte. Er wollte mit mir in unserer Wohnung reden. Eigentlich war es derzeit seine Behausung, denn ich schlief ja auf dem Balkon vor Lucys Fenster.

»Entschuldige mich bitte. Ich muss mich um einen Schüler kümmern, der heute meine Klasse versäumt hat«, knurrte ich, den Blick auf Evans Rücken geheftet, der eiligen Schrittes die Treppe nach oben lief.

In der Miene des Hausmeisters erkannte ich Bedauern, ehe er sich räusperte.

»Dann viel Erfolg. Wir werden uns sicherlich noch oft begegnen. Vielleicht besuche ich dich ja mal in der Trainingshalle. Mich würde brennend interessieren, was du den Schülern so beibringst.«

Den letzten Kommentar ignorierte ich und hastete Evan hinterher. Was sollte das alles auf einmal? Hätte Evan nicht warten können, bis wir uns eh am Abend in der Wohnung treffen würden?

Leider wirkte es überaus dringend.

»Na endlich! Es hat ewig gedauert, dich endlich auf mich aufmerksam zu machen! Der Fatzke hatte dich ja total in den Bann gezogen«, fuhr er mich direkt an und ich musste die Zähne aufeinanderbeißen, um ihm nicht gleich an die Gurgel zu gehen.

Der Drang war stark. Ich musste unbedingt Blut zu mir nehmen, doch das von Evan würde mich nicht mehr nähren. Ich brauchte ...

»Was willst du?«, blaffte ich den blonden Jungen an, der sich auf die Couch warf.

»Lucy. Wir müssen über sie reden.«

Das war etwas, das ich ganz und gar nicht hören wollte. Er hatte vor, sich mit mir über die Prinzessin auszutauschen? Das musste ein schlechter Scherz sein!

»Die Prinzessin geht dich nichts mehr an. Dank deines letzten Einsatzes, hast du dich disqualifiziert. Eigentlich dürftest du dich ihr nicht einmal nähern«, brummte ich und marschierte zum Kühlschrank.

Es war mehr ein Impuls. Auch das Blut darin würde mir nicht helfen. Ich musste das dringend klären, denn nicht mehr lang und die Zeit war vorbei.

»Ich weiß. Allerdings siehst du in den letzten Tagen echt bescheiden aus.«

Das war mir durchaus bewusst. Mit dem Kleinen wollte ich mich darüber aber nicht unterhalten. Der Hexer war schließlich noch grün hinter den Ohren und für ein solches Gespräch nicht qualifiziert. Das merkte zum Glück auch Evan, der sich räusperte und das Thema wechselte.

»Ich werde Lucy beim Lernen helfen. Sie hat es echt nötig. Sollte der Rat bei den ursprünglichen Plänen bleiben, haben wir demnächst alte Bekannte hier vor Ort. Sie werden die Prinzessin prüfen, das ist dir hoffentlich bewusst.«

Statt eine Antwort zu geben, knurrte ich.

3

Lucy, hörst du mir überhaupt zu?« Erschrocken fuhr ich hoch.

»Ja klar! Ich bin wach«, murmelte ich und rieb mir die Augen.

Evan schaute auf die Uhr und schlug das Buch in seinen Händen zu.

»Okay, es ist bereits dunkel und die Sperrstunde beginnt eh gleich. Schluss für heute.«

Müde schenkte ich dem Hexer ein Lächeln und streckte mich.

»Oh Mann, bin ich erledigt.«

Schnell räumte ich meine Sachen weg und verabschiedete den Hexer. Da Emilia noch mit Chris unterwegs war, holte ich danach mein Tagebuch hervor. Seit gestern wusste ich, warum uns Evan hintergangen hatte. Er wollte seine Schwester retten – vor meinen Vater.

Klar, ich war sauer gewesen, weil er auch einfach mit uns hätte reden können. Gut, wenn ich ehrlich sein wollte, hätte ich wahrscheinlich ebenfalls auf eigene Faust gehandelt. Ich fuhr mit meiner Hand über die letzten Sätze des Textes, den ich am Abend zuvor geschrieben hatte. Evan arbeitete heimlich für meinen Vater. Er hält Fiola, Evans kleine Schwester, gefangen. Ich muss ihm helfen, sie zu retten!

›Und das werde ich auch!‹

»Nur wie?«, sprach ich den Gedanken laut aus.

»Wie wäre es mit einer Entführung?« Erschrocken stand ich auf.

»Was? Wer?«

Ein genervtes Schnauben war zu hören und ich schaute in die Richtung, aus der es kam. Mit meinem Tagebuch in der Hand ging ich zum großen Spiegel, der im Flur an der Wand hing.

»Aurelia? Was machst du denn da? Ich denke, du steckst im Seelensplitter?«

Statt zu antworten, verdrehte sie die Augen.

»Fragen über Fragen. Woher soll ich das denn wissen?«

Das stimmte wohl. Sie schien genauso wenig über die ganzen Dinge Bescheid zu wissen wie ich.

»Tja, wenn ich hier nicht drinnen säße deinetwegen, hätte ich Gedion dazu bringen können, sie freizulassen. Aber Madame Hexe musste ja gleich wieder übertreiben.«

Jetzt war ich es, die angefressen war.

»Ich habe übertrieben? Hallo? Du hast mich eingesperrt und gefoltert! Wenn einer übertrieben hat, dann ja wohl du!«

Die blonde Vampirin zuckte mit den Achseln.

»Ich hatte meine Gründe.«

Na toll! Was sollte das für eine Antwort sein?

»Und sowieso solltest du uns helfen? Ich glaube kaum, dass du für eine Fremde, etwas Gutes tun würdest«, hakte ich nach, aber Aurelia schien das Ganze nicht zu interessieren.

»Du weißt gar nichts über mich, Hexe. Genau das ist der Punkt. Du weißt nichts.« Sie wirkte wütend. Ihre Augen nahmen ein gefährliches dunkles Rot an.

»Weißt du was, Aurelia, du hast Recht. Ja, ich kenne dich nicht. Und ehrlich gesagt, kann ich im Grunde auf deine Bekanntschaft verzichten. Aber ich bin nicht wie du: Mir sind andere nicht egal! Jeder hat eine zweite Chance verdient. Das gilt auch für dich. Wobei es in deinem Fall sogar schon die Dritte oder Vierte sein dürfte.«

Mein Vortrag schien die blonde Frau zu verwirren.

»Immer noch? Trotz allem, was ich dir angetan habe? Nicht, dass ich es bereue ... Ich verstehe dich nur nicht. Warum willst du einer Mörderin wie mir eine Chance geben?«

Ja, warum eigentlich? Gerade sie hätte es im Grunde verdient, in der Hölle zu schmoren. Nein, es war nicht richtig! Meine Eltern sagten mir immer, man sollte einen Menschen nicht verurteilen, wenn man die Hintergründe seiner Taten nicht kannte.

»Du bist eine gute Person. Ich weiß, du hast Sachen gemacht, die nicht zu verzeihen sind. Ich bin mir jedoch auch sicher, dass du keine Wahl hattest. Wäre die Situation eine andere, wärst du vermutlich nie so geworden. Ich will dir helfen, von vorn anzufangen.«

Aurelia lachte plötzlich laut los.

»Na, du bist mir eine. Kein Wunder, dass der Kristall dich ausgesucht hat. Trotzdem werde ich ...«

Sie konnte ihren Satz nicht beenden, da sich die Tür plötzlich öffnete und ich das Tagebuch mit dem Seelensplitter zuklappte. Zum Glück verschwand Aurelia damit aus dem Spiegel, denn meine Elfenfreundin trat in unser gemeinsames Zimmer. Emilia schaute mich verwirrt an.

»Mit wem hast du gerade gesprochen?«

Hastig versteckte ich das Buch hinter dem Rücken.

»Ich? Also, ich ... ähm ... Ich habe mit mir selbst gesprochen?« Den letzten Teil sprach ich eher wie eine Frage aus. Im Lügen war ich eine absolute Niete.

»Ah, okay. Und warum führst du Selbstgespräche mit deinem Spiegelbild?« Sie ging an mir vorbei und warf ihre Tasche aufs Bett.

Ich nutzte die Gelegenheit, um mein Buch im Nachttisch zu verstauen.

»Tja, weißt du, ich habe geübt. Ja genau, ich habe geübt.«

Während Emilia die Schuluniform gegen ein bequemes Outfit tauschte, erzählte ich ihr eine kleine Lüge. Solange sie mich nicht ansah, würde ich hoffentlich nicht rot anlaufen.

»Ach, Lucy, nun lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.«

Beschwichtigend hob ich meine Hände.

»Ich ... Ich habe geübt mit Zayn zu reden.«

Verwirrt schaute sie mich einen kleinen Moment an.

»Wie mit Zayn reden? Was willst du ihm denn sagen?«

›Oh, shit! Was will ich ihm sagen? Vor allem, was werde ich ihm dann wirklich sagen müssen, damit der Schwindel nicht auffällt?‹ Mein Herz schlug mir augenblicklich bis zum Hals und ich grübelte verbissen.

»Ich will ihm sagen, dass ... Ich, also, dass ich ihn ...« Weiter kam ich nicht, denn Emilia riss die Augen auf und ihr entwischte ein kleiner Schrei.

»Ahhh! Du willst ihm sagen, dass du ihn liebst?«, brüllte sie fast.

Oh Gott, was hatte ich mir da nur eingebrockt? Jetzt musste ich da tatsächlich durch.

»Ja, genau.« Meine Freundin warf die restlichen Sachen aufs Bett, wobei Einiges auf den Boden rutschte. Das beachtete sie aber nicht. Mit einem breiten Grinsen setzte sie sich neben mich und bot mir ein Stück von ihrer Schokolade an.

»Wie willst du das machen? Soll es einfach nur nebenbei sein oder ganz romantisch?«

Verwirrt sah ich sie an.

»Ähm, also, ich glaube einfach so?«

Emilia verschluckte sich während meiner Worte an der Schokolade. Rasch klopfte ich der Elfe auf den Rücken, bis sie aufhörte zu husten.

»Emi, alles gut?«

Die strafte mich plötzlich mit einem bösen Blick.

»Das ist nicht dein Ernst!« Meine Freundin sprang vom Bett auf und umarmte sich selbst. »Das erste Ich liebe dich muss etwas Besonderes sein.«

Sie drehte sich ein paar Mal um sich selbst und schmiss sich dann mit dem Rücken voran wieder neben mich aufs Bett.

»Als Chris mir das erste Mal sagte, dass er mich liebt, war ich total aus dem Häuschen. Auch, wenn es im Nachhinein eigentlich Aurelias Verdienst war.«

Stimmte ja! Chris hatte Emilia seine Liebe gestanden, nachdem Aurelia diesen Abend mit ihm geplant hatte. Schon da hatte sie sich nicht gerade schlecht benommen. Ihre Beweggründe kannte ich natürlich nicht, aber wegen ihr waren Chris und Emilia mittlerweile zusammen.

»Es ist nicht wichtig, wo man es sagt. Wichtig ist eher, dass man auch das fühlt, was man sagt und es ernst meint.«

Sie nickte zustimmend.

»Du solltest dir trotzdem den passenden Moment aussuchen. Gerade hier wird es kaum möglich sein.«

Da hatte sie Recht.

»Ich werde mir etwas einfallen lassen. Aber nicht mehr heute.« Ich streckte mich und konnte mir ein Gähnen kaum verkneifen. »Heute war echt viel los. Muss das erst einmal verarbeiten.«

Emilia zeigte sich glücklicherweise verständnisvoll. Sie ging ins Bad und duschte, während ich die heutigen Ereignisse in mein Tagebuch schrieb. Ich war derart in Gedanken versunken gewesen, dass ich leicht zusammenzuckte, als ich plötzlich ein leises Miauen vernahm.

»Minou, meine Süße. Wo warst du denn? Ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Du warst den ganzen Tag verschwunden.« Ich öffnete das Fenster und ließ meine kleine Freundin ins Zimmer. Liebevoll strich ich ihr über das wunderbar weiche Fell. Dabei bemerkte ich, dass sie einen Zettel unter ihrem Halsband trug. »Oh, von wem das wohl ist?«

Ich faltete den Zettel auseinander. Komm bitte morgen direkt nach dem Unterricht zu mir. Wir müssen etwas besprechen. Rosalia.

Wieder streichelte ich meiner kleinen Freundin übers pechschwarze Fell.

»Erst einmal bekommst du eine kleine Stärkung, danach bringst du meiner Großmutter eine Antwort, ja?«

Minou miaute und ich konnte nicht anders, als zu lächeln. Sie war echt süß. Von Rosi hatte ich einige kleine Leckereien bekommen, mit der ich sie gern verwöhnte. Die Dämonenkatze war Feuer und Flamme für diese Zuwendungen und ich genoss es ebenfalls, ihr damit etwas Gutes zu tun. Auch jetzt drückte sich Minou an meine Beine, um sich zu bedanken.

»Na, wen haben wir da?« Emilia war mit dem Duschen fertig und hatte sich bereits für Schlafengehen angezogen. Während sie in Richtung Bett ging, zeichnete sie mit ihrem Zeigefinger, den sie auf die Haare gerichtet hatte, ein Zeichen und ihre nassen Haare lagen nach einem kurzen Luftzug perfekt getrocknet auf den Schultern.

»Manchmal bin ich echt neidisch, Emilia«, sagte ich grinsend und eilte danach gleichfalls unter die Dusche.

Als ich zurückkam, schlief meine blonde Freundin bereits. Rasch zog ich aus einem Stapel Papier ein Blatt heraus und riss eine kleine Ecke ab.

Ich werde kommen. Lucy, schrieb ich darauf und rollte es zusammen. Vorsichtig befestigte ich es an Minous Halsband und schickte sie erneut los.

***

»Lucy, nun mach endlich. Du wirst wieder zu spät kommen.«

Ich ächzte. Wenn ich mich bei meiner Großmutter verspätete, riss sie mir vielleicht noch den Kopf ab. Sie hasste Unpünktlichkeit. Das musste ich zuvor bereits mehrfach am eigenen Leib erfahren und eine ganze Unterrichtsstunde hatte ich als Versuchskaninchen herhalten müssen. Das war alles andere als lustig gewesen.

»Ist ja gut, ich bin wach«, murmelte ich und schlurfte ins Bad.

Wenn ich mir kaltes Wasser ins Gesicht spritzte, würde ich hoffentlich gleich munter werden. Als ich allerdings vor dem Spiegel stand, rutschte mir ein Schrei heraus. Emilia, die bereits fertig war und ihre Bücher einpackte, kam angelaufen und fragte, was passiert wäre. Mit wedelnden Händen deutete ich auf meine Haare. Ich war gestern einfach eingeschlafen und hatte vergessen, mir die Haare abzutrocknen. Jetzt hatte ich wortwörtlich ein Nest auf dem Kopf!

»Die bekomme ich doch nie und nimmer gebändigt!«

Meine Freundin fing an zu lachen.

»Das ist doch kein Problem. Das haben wir in null Komma nichts gerichtet.« Sie wies mich an, mich aufs Bett zu setzen. »Mach mal die Augen zu.«

Dem Befehl folgend, ließ ich meine Lider sinken und spürte, wie Emilia an meinen Haaren herumzupfte.

»Okay, schon fertig.«

Neugierig sprang ich auf und begutachtete mich im Spiegel. Ich konnte nur staunen.

»Es sieht toll aus!«

Emilia nickte und grinste. Sie stellte sich neben mich und zeichnete wie am Abend zuvor eine Figur in die Luft. Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Ihre Haare fingen an, sich von allein zu flechten. Jetzt hatte sie genau die gleiche Frisur wie ich. Eine Flechtfrisur, die an den Seiten bis nach hinten mit dünnen Strähnen zusammenliefen und nach unten fielen.

Emilia war wunderschön. Ihre blauen Augen, die strahlende Haut, die blonden Haare, einfach alles war stets perfekt. Und auch dieses Mal saß einfach alles super.

»Nun schau mich nicht so an. Du bist wunderschön. Du musst nur mal mehr aus dir herauskommen. Ich denke, Zayn dürfte das gefallen.«

Peinlich berührt nahm ich wahr, wie meine Wangen heiß wurden.

»Oh, jetzt müssen wir aber wirklich!«, sagte meine Elfenfreundin und zog mich am Handgelenk hinter sich her, aus unserem Zimmer.

»Hey, warte doch mal.«

Sie verabschiedete sich jedoch hastig und lief mit einem anderen Mädchen Richtung Elfenräume.

»Guten Morgen, Lucy!« Evan winkte mir zu und ich rannte zu ihm. Nur Sekunden später kam Rosalia und schaute mit grimmigem Blick in die Klasse. Als sie mich erblickte, nickte sie kaum merklich. Zum Glück sollten wir heute allein trainieren. Evan erklärte mir nur kurz die Glühbirnenflamme und gab mir den einen oder anderen Tipp. Und tatsächlich: Es funktionierte!

Dies sah auch meine Oma. Sie lächelte leicht. Als es klingelte, drängten sich die Schüler und Schülerinnen am Ausgang zusammen. Auch Evan und ich wollten an die frische Luft. Wir unterhielten uns noch, während wir den Flur entlangschlenderten, über die nächste Nachhilfe, als ich aus Versehen gegen jemanden lief. Es war Saandra. Das hatte mir gerade noch gefehlt! Keine Ahnung, warum, aber sie hatte ein echtes Problem mit mir.

»Wen haben wir denn da?« Sie grinste und wir wurden auf dem Flur von ihren Freunden umkreist. »Ich hatte dich gewarnt, aber du willst anscheinend unbedingt zu den Losern gehören. Ich sagte ja, du könntest in einer anderen Gesellschaft weit aus mehr erreichen. Aber wer nicht will, der hat schon.«

Sie hob ihre Hand und zwei Jungs hielten mich plötzlich an den Armen fest. Einen von ihnen hatte ich schon einmal gesehen. Mir fiel aber der Namen nicht mehr ein. Zwei Weitere hatten sich Evan geschnappt.

»Lasst uns los! Auf der Stelle!«

Saandra lachte jedoch nur.

»Sonst was? Du mittelmäßige Hexe! Nur, weil du die Enkeltochter von Madame Byron bist, heißt es noch lange nicht, dass du etwas Besonderes bist.« Sie zerrten uns bis hinter das Schulgebäude und hinter ein paar Bäume, die am Waldrand standen. »Schafft mir den Kerl aus den Augen.«

Die beiden Jungs, die Evan festhielten, fingen an, auf ihn einzuschlagen. Ich wusste, dass er eigentlich kämpfen konnte, doch jetzt unternahm er nichts. Wieso machte er das?

»Aufhören!«, schrie ich. »Hilfe! Warum hört uns keiner?«

Saandra nahm mein Kinn zwischen Zeigefinger und Daumen und drehte mich zu einer ihrer Freundinnen.

»Dank meiner Freundin hier, sind wir praktisch unsichtbar für die anderen.«

Wie meinte sie das mit unsichtbar? Erst jetzt realisierte ich, was sie gesagt hatte. Eine ihrer Hexenfreundinnen hatte eine Art Tarnschild errichtet. Sie musste schon älter sein, denn so eine Magie beherrschten laut Emilia nur ältere Hexen, deren Kräfte bereits ausgebildet waren.

»Was willst du?«, knurrte ich und versuchte, mich zu wehren. Die Jungs waren allerdings stark und hielten mich weiterhin an den Armen fest.

»Was ich will? Du sollst von hier verschwinden! Geh dahin zurück, wo du hergekommen bist. Sonst endest du wie dein Freund hier.« Ein letztes Mal schlugen und traten die Jungs auf den armen Evan ein, der mittlerweile bewusstlos geworden war.

Tränen liefen mir unkontrolliert über die Wangen, was Saandra nur zum Lachen brachte.

»Kommt, Leute, gehen wir. Wir wollen doch nicht zu spät zum Unterricht kommen«, meinte sie kichernd und zog mit ihren Freunden davon.

Nachdem mich die Jungs losließen, lief ich zuerst zu Evan. Der Ärmste hatte ganz schön einstecken müssen und das nur, weil er mir beistehen und nicht auffallen wollte. Etwas Gutes hatte es: Ich wusste jetzt, dass mich Evan nicht angelogen hatte. Er hatte mir ohne Hintergedanken beigestanden. Aber was machte ich denn jetzt? Ich konnte ihn nicht selbst heilen oder ins Krankenzimmer tragen. Außerdem musste ich zum Treffen mit meiner Großmutter. Sie wartete sicherlich schon auf mich.

»Mau?«

Erschrocken zuckte ich zusammen, ehe ich hinabschaute.

»Minou! Süße, du bist meine Rettung!«

Meine vierbeinige Freundin verwandelte sich, nachdem ich den Wunsch geäußert hatte. Es brachte mich jedes Mal aufs Neue zum Staunen. Angst hatte ich schon lange nicht mehr vor ihr, auch nicht in dieser Form, wenn die Dämonenkatze so groß war wie ich. Sie legte sich auf den Boden und sehr vorsichtig schafften wir es, Evan auf den Rücken von Minou zu hieven. Langsam gingen wir los. Ziel war die Wohnung meiner Großmutter. Sie wusste bestimmt, was zu tun war.

4

Jetzt reiß dich zusammen. So schlimm ist es nun auch wieder nicht!«, knurrte ich, während ich mich über den Schüler beugte.

»Sind Sie blind oder was? Ich blute wie Sau!« Der Schüler brüllte und maulte so, dass es die ganze Klasse hören konnte.

»Ach, nun komm schon! Da machen wir ein Pflaster drauf und gut ist es«, brummte ich genervt und bekam mit, dass sich Lucy das Lachen verkneifen musste.

»Lucy, darüber sollte man nicht lachen«, ermahnte sie Emilia, die sich scheinbar Sorgen machte. Als müsste man das bei dem kleinen Kratzer.

»Schon gut, schon gut. Tut mir leid.« Ganz langsam kam die Hexe auf mich und den Jungen zu. »Ich könnte helfen.«

Da schnellte das Weichei hoch und sah sie angewidert an.

»Von dir will ich ganz sicher keine Hilfe!«

Damit drehte er sich um und stapfte davon. Am liebsten hätte ich ihm dafür alle Knochen im Leib gebrochen, begnügte mich jedoch damit, ihm nur hinterher zu brüllen, er sollte ins Krankenzimmer gehen.

Lucys Lippen verzogen sich zu einem schmalen Strich. Ich kannte den Gesichtsausdruck. Den hatte ihre Großmutter Rosalia auch drauf, wobei ich ihn an unserer Prinzessin süß fand.